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Die schilfhütte am Rande eines Kornfelds stand nachts verlassen. Sie wurde zum Liebesnest für Iset, die Schöne, und Ramses. Wächter lag auf der Lauer, er hätte jeden Störenfried abgewehrt.
In ihrer Sinnenlust harmonierten die beiden jungen Menschen. Ohne ein Wort zu wechseln, schenkten sie einander phantasievoll, leidenschaftlich und unermüdlich Stunden voller Beglückung.
In dieser Nacht, nachdem ihr Verlangen gestillt war, legte Iset ihren Kopf auf die Brust des Geliebten und summte glücklich vor sich hin.
»Warum bleibst du bei mir?«
»Weil du königlicher Schreiber geworden bist.«
»Strebt eine Person deines Standes nicht eine bessere Partie an?«
»Das Leben eines Sohns von Sethos zu teilen, was könnte man sich Höheres erträumen?«
»Eine Ehe mit dem zukünftigen Pharao.«
Die junge Frau schürzte die Lippen.
»Daran habe ich auch schon gedacht, aber er gefällt mir nicht. Er ist zu fett, zu schwerfällig, zu verschlagen. Von ihm berührt zu werden stößt mich ab, daher habe ich beschlossen, dich zu liehen.«
»Beschlossen?«
»Jedes menschliche Wesen besitzt eine bestimmte Kraft zu lieben. Die einen lassen sich verführen, die anderen verführen. Ich werde mich nicht zum Spielzeug eines Mannes machen, auch wenn er König ist. Ich habe dich erwählt, Ramses, und du wirst mich erwählen, denn wir sind aus gleichem Holz geschnitzt.«
Als Ramses, noch erhitzt von der leidenschaftlichen Nacht in den Armen der Geliebten, durch den Garten des Hauses ging, das er seinem Amt verdankte, schoß Ameni aus seiner Schreibstube heraus und versperrte ihm den Weg.
»Ich muß mit dir reden!«
»Ich bin müde. Kannst du dich gedulden?«
»Nein, nein! Es ist zu wichtig.«
»Dann gib mir wenigstens zu trinken.«
»Milch, frisches Brot, Datteln und Honig: das prinzliche Frühstück steht bereit. Doch zuvor soll der königliche Schreiber Ramses noch erfahren, daß er geladen ist, in Begleitung seiner Amtsbrüder im Palast zu erscheinen.«
»Du willst sagen, bei meinem Vater?«
»Es gibt nur einen Sethos.«
»Im Palast als Gast? Ist das wieder einer deiner zweifelhaften Scherze?«
»Dir wichtige Nachrichten zu überbringen gehört zu meinen Aufgaben.«
»Im Palast…«
Ramses träumte davon, seinem Vater erneut zu begegnen. Als königlicher Schreiber hätte er wohl Anrecht auf ein kurzes Gespräch. Was sollte er ihm sagen? Sich auflehnen, Erklärungen erbitten, gegen sein Verhalten aufbegehren, in Erfahrung bringen, was er von ihm verlangte, was er mit ihm vorhatte… Darüber nachzudenken, war noch Zeit.
»Ich habe noch eine Nachricht, und die ist weniger erfreulich.«
»Erklär dich.«
»Unter den schwarzen Tintensteinen, die mir gestern geliefert wurden, sind zwei von sehr schlechter Qualität. Ich probiere sie immer erst aus, bevor ich sie verwende.«
»Ist es so arg?«
»Eine ganz üble Schlamperei! Ich beabsichtige, Nachforschungen anzustellen – in deinem Namen. Ein königlicher Schreiber kann so etwas nicht dulden.«
»Wie es dir beliebt. Darf ich jetzt etwas schlafen?«
Sary beglückwünschte seinen früheren Schüler. Von nun an brauchte Ramses keinen Lehrer mehr, der sich eingestehen mußte, daß er ihn nicht vorbereitet hatte auf die schwierige Prüfung für das Amt eines königlichen Schreibers. Dennoch war der Erfolg des Schülers teilweise als Verdienst des Lehrers gewertet und er in den Rang des Verwalters des Kap erhoben worden, eine Ernennung, die ihm eine geruhsame Laufbahn sicherte.
»Du hast mich erstaunt, das gebe ich zu. Aber berausche dich nicht an dieser Leistung. Sie hat dir ermöglicht, ein Unrecht wiedergutzumachen und Ameni zu retten. Ist das nicht genug?«
»Ich verstehe nicht recht.«
»Ich habe die Mission, die du mir auftrugst, erfüllt. Deine Freunde und deine Feinde auszumachen. Zur ersten Kategorie kann ich eigentlich nur deinen Schreiber Ameni zählen. Deine Glanzleistung hat Neid erweckt, aber das ist unwesentlich. Das Wichtigste ist, daß du Memphis verläßt und dich im Süden niederläßt.«
»Sollte mein Bruder dich geschickt haben?«
Sary wirkte verlegen.
»Mal dir keine finsteren Machenschaften aus, aber geh nicht in den Palast. Dieser Empfang betrifft dich nicht.«
»Ich bin königlicher Schreiber.«
»Glaub mir, deine Anwesenheit ist weder erwünscht noch wünschenswert.«
»Und wenn ich darauf beharre?«
»Dann wirst du zwar königlicher Schreiber bleiben, aber außer Dienst. Widersetze dich Chenar nicht, du wirst in dein Unglück rennen.«
Sechzehnhundert Säcke Roggen und ebensoviel Weizen waren in den Königspalast geschafft worden, um etliche tausend Kuchen und Küchlein verschiedenster Form zu bereiten, zu denen süßes Bier und Wein aus den Oasen gereicht werden sollten. Dem Fleiß des Hofmeisters war es zu verdanken, daß die Gäste, die zum Empfang der königlichen Schreiber geladen waren, die Erzeugnisse des Bäcker- und Konditorhandwerks kosten durften, sobald der erste Stern am Nachthimmel stand.
Ramses war unter den ersten, die Einlaß heischten am großen Tor in der Umfassungsmauer, wo Tag und Nacht die Leibgarde des Pharaos Wache stand. Obgleich die Soldaten den jüngeren Sohn Sethos’ erkannt hatten, überprüften sie seine Beglaubigung als königlicher Schreiber, bevor sie ihn in den weiten, mit Hunderten von Bäumen bepflanzten Park hineinließen, wo uralte Akazien sich im Wasser eines zur Zierde angelegten Sees spiegelten. Ringsum standen Tische mit Körben voller Gebäck, Brot und Früchten, und auf hohen Schemeln prangten Blumengebinde. Mundschenke füllten Alabasterschalen mit Wein und Bier.
Der Prinz hatte nur Augen für den Mitteltrakt des Palastes, wo die Audienzsäle lagen, deren Wandfliesen in den reizvollsten Farben schimmerten und bei allen Besuchern Bewunderung weckten. Bevor er als Zögling im Kap wohnen mußte, hatte er in den königlichen Gemächern gespielt und sich sogar bis auf die Stufen des Thronsaals vorgewagt, was seine Amme, die ihn länger als drei Jahre gestillt hatte, allerdings tadelnswert fand. Er erinnerte sich noch gut an den Thronsessel des Pharaos, der auf einem Sockel stand und die Geradlinigkeit der Maat versinnbildlichte.
Ramses hatte gehofft, Sethos würde die Schreiber im Palast empfangen, und nun mußte er erkennen, daß der Pharao wohl nur am Fenster zum großen Hof, wo sie sich alle sammeln sollten, erscheinen und sie in einer kurzen Ansprache nochmals auf die Tragweite ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten hinweisen würde.
Wie konnte er unter diesen Umständen mit ihm unter vier Augen sprechen? Es kam vor, daß der König sich kurz zu seinen Untergebenen gesellte und die Ausgezeichneten persönlich beglückwünschte. Und er, Ramses, hatte nicht nur eine fehlerfreie Arbeit abgeliefert, sondern als einziger das Rätsel der zu neuem Leben erweckten Schreibtafel gelöst. Daher bereitete er sich auf eine Begegnung mit seinem Vater vor, dessen Schweigen ihm ungerecht schien. Wenn er Memphis verlassen und sich mit der unrühmlichen Rolle eines Provinzschreibers begnügen sollte, wollte er den Befehl dazu vom Pharao selbst und von keinem anderen erhalten.
Die königlichen Schreiber, ihre Familienangehörigen und all diejenigen, die sich Empfänge solcher Art nie entgehen ließen, tranken, aßen und plauderten. Auch Ramses kostete den kräftigen Oasenwein und das starke Bier. Während er seine Schale leerte, bemerkte er auf einer Bank im Schutze einer Laube ein junges Paar.
Sein Bruder Chenar und Iset, die Schöne.
Mit großen Schritten ging Ramses auf die beiden zu.
»Glaubst du nicht, meine Schöne, es sei notwendig, eine endgültige Wahl zu treffen?«
Die junge Frau erschrak, doch Chenar bewahrte die Ruhe.
»Du bist recht unhöflich, geliebter Bruder. Habe ich etwa nicht das Recht, mich mit einer Dame von Stand zu unterhalten?«
»Ist sie das wirklich?«
»Werde nicht ausfallend.«
Mit glühenden Wangen lief Iset, die Schöne, davon und überließ die Brüder ihrem Wortgefecht.
»Du wirst unerträglich, Ramses, dein Platz ist nicht mehr hier.«
»Bin ich nicht königlicher Schreiber?«
»Jetzt prahlst du auch noch damit! Ohne meine Zustimmung wirst du keinen Posten erhalten.«
»Dein Freund Sary hat es mir bereits angedeutet.«
»Mein Freund? Doch wohl eher deiner! Er hat nur versucht, dir einen weiteren Fehler zu ersparen.«
»Stell dieser Frau nicht weiter nach!«
»Du wagst es, mir zu drohen, mir?!«
»Wenn ich in deinen Augen ein Nichts bin, was habe ich dann noch zu verlieren?«
Chenar ließ ab vom Kampf, seine Stimme nahm einen öligen Ton an.
»Du hast recht. Es ist gut, wenn eine Frau treu ist. Lassen wir sie entscheiden, einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Zerstreu dich, da du nun schon einmal hier bist.«
»Wann wird der König das Wort ergreifen?«
»Ach, du weißt es nicht? Der Pharao residiert augenblicklich im Norden. Er hat mich gebeten, an seiner Statt die königlichen Schreiber zu beglückwünschen. Dein Erfolg verdient die ausgesetzte Belohnung: eine Jagd in der Wüste.«
Chenar entfernte sich.
Verstimmt kippte Ramses eine Schale Wein hinunter. So würde er also seinen Vater nicht mehr wiedersehen. Chenar hatte ihn herausgefordert, um ihn noch tiefer zu demütigen. Der Prinz trank mehr, als vernünftig war, und verzichtete darauf, sich den Grüppchen zuzugesellen, deren nichtiges Gerede ihn langweilte. In ihm war Groll. Da stieß er mit einem auffallend eleganten Schreiber zusammen.
»Ramses! Welch eine Freude, dich wiederzusehen!«
»Acha! Du bist noch in Memphis?«
»Ich reise übermorgen in den Norden. Weißt du das Neueste denn noch nicht? Der Trojanische Krieg nimmt eine entscheidende Wendung. Die griechischen Barbaren haben es sich nicht versagt, Priamos’ Hauptstadt in ihre Gewalt zu bringen, und man munkelt, Achill habe Hektor getötet. Meine erste Mission besteht darin, an der Seite von erfahrenen Gesandten Genaueres über diese Sachlage einzuholen. Und du? Wirst du bald mit einer großen Verwaltungsaufgabe betraut werden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Deine Glanzleistung von neulich hat Lob und Neid geweckt.«
»Daran werde ich mich gewöhnen.«
»Drängt es dich nicht, in ferne Länder zu gehen? Ach, verzeih! Ich vergaß deine bevorstehende Heirat. Ich werde nicht mitfeiern können, aber in Gedanken von Herzen bei dir sein.«
Ein Gesandter faßte Acha am Arm und nahm ihn zur Seite. Die Mission des angehenden Diplomaten hatte begonnen.
Ramses spürte, wie Trunkenheit ihn befiel. Er kam sich vor wie ein zerbrochenes Ruder, wie ein Gebäude, dessen Mauern ins Wanken gerieten. Wütend schleuderte er die Trinkschale von sich. Niemals mehr würde er sich so gehenlassen, das schwor er sich.