37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

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ZWÖLF

»WIR REISEN AB, RAMSES.« Der Prinz traute seinen Ohren nicht, doch er konnte seinen Vater nicht bitten, die drei magischen Worte, die er soeben gesprochen hatte, nochmals zu wiederholen. Einen Augenblick lang schloß er die Lider, so groß war sein Glück.

Sethos ging bereits auf sein Pferd zu, das jetzt seelenruhig stand. Der Pharao band es los, das Tier folgte ihm und ließ sich vor den leichten Wagen spannen. Am Haupttor der Kaserne stand die Leibgarde des Königs Wache.

Der Prinz stieg ein, links vom Vater.

»Nimm die Zügel.«

Stolz wie ein Sieger lenkte Ramses das königliche Gefährt bis zur Anlegestelle der Flottille, die gen Süden auslaufen sollte.

Ramses war keine Zeit geblieben, Ameni zu verständigen. Und was würde Iset, die Schöne, denken, wenn sie zu ihrem Liebesnest, der Schilfhütte, kam und er nicht da war? Aber all das war unwichtig im Vergleich zu dem unverhofften Glück, an Bord des königlichen Schiffes zu reisen, das dank des kräftigen Nordwinds schnell vorankam!

Als königlicher Schreiber sollte Ramses über die Expedition berichten und alle Einzelheiten im Bordtagebuch festhalten. Mit Eifer ging er an seine Aufgabe heran, gefesselt von den Landschaften, die sich hier eröffneten. Es war weit von Memphis bis zum Gebel Silsileh, dem Ziel der Reise. Siebzehn Tage lang berauschte sich der Prinz an der Schönheit der Nilufer, den friedlichen, auf Hügelkuppen entlang dem Fluß errichteten Dörfern, arn Schimmern des Wassers. Ägypten bot sich ihm dar, unwandelbar, lebensfroh, dazu angetan, auch dem Geringsten Würde zu verleihen.

Während der ganzen Reise sah Ramses seinen Vater nicht. Tage vergingen wie Stunden, das Bordtagebuch wurde immer dicker. In diesem sechsten Jahr der Regierungszeit Sethos’ gingen tausend Soldaten, Steinmetze und Seeleute am Gebel Silsileh von Bord. Hier lagen die größten Sandsteinbrüche des Landes. Die von Hügeln überwölbten Ufer standen so eng, daß nur eine schmale Fahrrinne blieb. Der Fluß grub sich hindurch, gefährliche Stromschnellen ließen Schiffe kentern und Schwimmer ertrinken.

Vom Bug seines Schiffes aus beobachtete Sethos das Kommen und Gehen der Expeditionsteilnehmer. Unter Anleitung der Mannschaftsführer luden sie Kisten voller Werkzeug und Vorräte aus. Sie sangen, feuerten einander an und arbeiteten im Gleichklang.

Bevor der Tag zur Neige ging, verkündete ein königlicher Bote, seine Majestät gewähre jedem Arbeiter fünf Pfund Brot pro Tag, cm Bund Gemüse, ein Stück gebratenes Fleisch, Sesamöl, Honig, Feigen, Trauben, Dörrfisch, Wein und zwei Säcke Korn pro Monat. Die Erhöhung der Zuteilung spornte die Männer an, jeder war bedacht, sein Bestes zu geben.

Die Steinhauer schälten Block um Block heraus, nachdem sie kleine Schneisen in das Sandsteingebirge geschlagen hatten, um dem Fels die Stücke zu entreißen. Bei dieser Arbeit durfte nichts dem Zufall überlassen werden. Die Mannschaftsführer erkundeten die Äderung des Gesteins und ritzten Zeichen ein, die den Männern als Anhaltspunkte dienten. Manchmal, wenn es um sehr große Blöcke ging, wurden Keile aus angefeuchtetem Holz in die Masse getrieben, nachdem waagerechte Kerben angelegt worden waren. Wenn das Holz trocknete, übte es einen so starken Druck aus, daß der Stein sich mit einem Schlag lösen ließ.

Einige der Blöcke wurden den Steinmetzen gleich an Ort und Stelle überantwortet. Andere ließ man auf stark geneigten Rutschen zum Ufer hinabgleiten. Lastschiffe beförderten sie dann weiter zur Tempelbaustätte, für die sie gedacht waren.

Ramses wußte nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Wie konnte man all das beschreiben und auflisten, was diese Männer unermüdlich leisteten? Er wollte seinen Auftrag aber dennoch tadellos erfüllen und machte sich daher mit den Gepflogenheiten des Handwerks vertraut, schaute diesen rauhen Kerlen über die Schulter, ohne sie bei ihrer Arbeit zu stören, erlernte ihre Sprache und wußte bald die Zeichen ihrer Zünfte zu unterscheiden. Als sie ihm einen Hammer und einen Meißel in die Hand drückten, damit er es selbst versuche, hieb er seinen ersten Stein mit einer solchen Geschicklichkeit heraus, daß selbst die Grimmigsten verblüfft waren. Schon längst hatte der Prinz sein vornehmes Leinengewand gegen einen derben Lederschurz vertauscht. Weder die Hitze noch der Schweiß schienen ihn zu stören. Das Leben in den Steinbrüchen gefiel ihm besser als das bei Hof. Unter diesen urwüchsigen Kerlen, denen das Gestein redliche Arbeit abverlangte, fiel die Eitelkeit des wohlhabenden Zöglings von ihm ab.

Sein Entschluß war gefaßt, hier wollte er bleiben, bei den Männern im Steinbruch, er würde die Geheimnisse ihres Berufs erlernen und ihr Leben teilen. Fern der Stadt und ihrem sinnlosen Gepränge würde er all seine Kräfte aufbieten, um den Göttern die geeigneten Sandsteinblöcke auszusuchen.

Das war die Botschaft, die sein Vater ihm übermitteln wollte: er sollte die vergoldete Kindheit vergessen, diese gekünstelte Erziehung, und statt dessen seine wahre Natur entdecken unter der unbarmherzigen Sonne der Steinbrüche. Er hatte sich geirrt, als er glaubte, die Begegnung mit dem wilden Stier eröffne ihm den Weg zum Königtum. Indem er ihm seine wahren Fähigkeiten vor Augen führte, hatte Sethos ihm seine Illusionen genommen.

Ramses verspürte nicht die geringste Lust auf ein Leben als Würdenträger, nur auf Bequemlichkeit und Gewohnheiten ausgerichtet; mit dieser Rolle würde sich Chenar weit besser anfreunden als er. Heiteren Gemüts legte er sich auf das Schiffsdeck, betrachtete verträumt die Sterne und schlief ein.

Eine seltsame Stille herrschte in dem Steinbruch, aus dem tags zuvor zahlreiche Blöcke herausgeholt worden waren. Für gewöhnlich machten sich die Männer bei Tagesanbruch ans Werk, um die morgendliche Kühle zu nutzen. Doch wieso waren die Mannschaftsführer nirgends zu sehen, wieso hatten sie ihre Leute nicht längst zusammengetrommelt?

Dem Zauber des Ortes verfallen, ging der Prinz durch die von Sandsteinfelsen gesäumten Schneisen, in denen völlige Stille herrschte. Sie waren bereits ein Teil von ihm. Kein anderer Horizont würde ihn mit solcher Ruhe erfüllen, und die wollte er genießen, bis der lärmende Gesang der Werkzeuge sie unterbrach.

Ramses schritt durch dieses Labyrinth und orientierte sich an den geritzten Steinzeichen, die jedem Trupp sein Arbeitsgebiet zuwiesen. Es drängte ihn, das königliche Gewand des Schreibers abzulegen, um in Einklang mit seinen Gefährten zu leben, ihre Mühen und Freuden mit ihnen zu teilen und für immer die Pose des adeligen Müßiggängers zu vergessen.

Am äußersten Ende des Steinbruchs entdeckte er einen in den Fels gehauenen kleinen Tempel. Links vom Eingang, vor einer Stele mit einer gemeißelten Huldigung für die aufgehende Sonne, stand Sethos. Mit erhobenen Händen und geöffneten Handflächen zelebrierte er die Wiedergeburt des Lichts, dessen erste Strahlen den Steinbruch zu erhellen begannen.

Ramses kniete nieder und lauschte den Worten seines Vaters.

Als das Gebet beendet war, wandte sich Sethos seinem Sohn zu.

»Was suchst du an diesem Ort?«

»Meinen Lebensweg.«

»Der Schöpfer vollbrachte vier vollkommene Taten«, erklärte der Pharao. »Er gebar die vier Winde, damit jedes Wesen sein Leben lang atmen könne. Er zeugte Wasser und Flut, damit der Arme wie der Mächtige Nutzen daraus ziehe. Er schuf jeden Menschen als Abbild seines Nächsten. Und er prägte dem menschlichen Herzen die Erinnerung an den Westen und das Jenseits ein, damit dem Unsichtbaren geopfert werde. Aber die Menschen übertraten das Gebot des Schöpfers und hatten nichts anderes im Sinn, als sein Werk zu zerstören. Gehörst auch du zu dieser Meute?«

»Ich… ich habe einen Mann getötet.«

»Ist Zerstören der Sinn deines Lebens?«

»Ich habe mich verteidigt, eine Kraft lenkte mich!«

»In diesem Fall bekenne dich zu deiner Tat und jammere nicht.«

»Ich will den wahren Schuldigen finden.«

»Verlier dich nicht in Grübeleien; bist du bereit, dem Unsichtbaren zu opfern?«

Der Prinz nickte.

Sethos trat ins Innere des Tempels und trug, als er herauskam, einen goldgelben Hund auf dem Arm. Der Prinz lächelte verklärt.

»Wächter!«

»Er ist doch dein Hund?«

»Ja, aber…«

»Nimm einen Stein, zertrümmere ihm den Kopf und opfere ihn dem Geist dieses Steinbruchs; so wirst du gereinigt von deiner Gewalttätigkeit.«

Der Pharao ließ das Tier los, das auf seinen Herrn zustürzte und das Wiedersehen mit fröhlichen Sprüngen feierte.

»Vater…«

»Handle.«

Wächters Augen baten um Liebkosungen und Zärtlichkeit.

»Ich weigere mich.«

»Bist du dir bewußt, was deine Antwort bedeutet?«

»Ich möchte in die Zunft der Steinhauer eintreten und niemals mehr in den Palast zurückkehren.«

»Solltest du wegen eines Hundes auf deinen Stand verzichten?«

»Er hat mir sein Vertrauen geschenkt, ich schulde ihm Schutz.«

»Folge mir.«

Auf einem schmalen Pfad stiegen Sethos, Ramses und Wächter den Hügel hinauf bis zu einer Felsnase hoch über dem Steinbruch.

»Hättest du deinen Hund gemordet, wärst du der jämmerlichste aller Zerstörer gewesen. Durch dein Verhalten hast du eine weitere Stufe erklommen.«

Ramses war außer sich vor Freude.

»Hier werde ich beweisen, was ich wert bin!«

»Du irrst.«

»Ich bin fähig, hart zu arbeiten!«

»Steinbrüche wie dieser verleihen unserer Zivilisation Bestand. Ein König muß sie häufig aufsuchen, sich vergewissern, daß Steinhauer und Steinmetze das Werk gemäß der Regel fortführen, damit die Behausungen der Gottheiten verschönert werden und sie auf Erden verweilen. Im Umgang mit Männern des Handwerks bildet sich das Verständnis fürs Regieren heraus. Stein und Holz lügen nicht. Der Pharao wurde von Ägypten erschaffen, der Pharao erbaut Ägypten; er baut und baut weiter, denn den Tempel zu erbauen ist die edelste Tat der Liebe.«

Jedes Wort Sethos’ war ein funkelndes Licht, das Ramses’ Horizont erweiterte, und er labte sich daran wie ein Reisender, der seinen Durst an einer Quelle frischen Wassers stillt.

»Dann ist dies hier mein Platz.«

»Nein, mein Sohn, Gebel Silsileh ist nur ein Sandsteinbruch. Granit, Alabaster, Kalkstein, anderes Gestein und andere Baustoffe fordern deine Anwesenheit. Du darfst dich in keinen Unterschlupf flüchten, auch nicht in eine Zunft. Es ist Zeit, wieder gen Norden zu fahren.«