37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

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SECHZEHN

Die hitze lastete schwer. Mensch und Tier verlangsamten ihren Arbeitsrhythmus und warteten sehnsüchtig auf die Flut, die den Bauern eine lange Ruhepause bescherte. Die Ernten waren eingebracht, und der Boden schien bald zu verdursten. Doch die Farbe des Nils hatte sich verändert, und die braune Tönung kündigte den baldigen Anstieg der wohltätigen Wassermassen an, denen Ägypten seinen Reichtum verdankte.

In den großen Städten suchte man überall Schatten. Die Händler auf den Märkten hatten große Stoffbahnen über Pfähle gespannt, die Zuflucht boten. Die von allen am meisten gefürchtete Periode hatte soeben begonnen, die fünf letzten Tage des Jahres, die nicht in den Kalender der zwölf Monate zu dreißig Tagen gehörten. Diese fünf Tage, die außerhalb des normalen Zyklus lagen, wurden von Sachmet beherrscht. Sachmet, schreckenerregende löwenköpfige Göttin, die die gegen das Licht aufbegehrende Menschheit vernichtet hätte, wenn nicht der Schöpfer sich noch cm letztes Mal für sie verwendet hätte und das göttliche Tier glauben machte, es tränke Menschenblut, während es in Wirklichkeit rotes, aus Schwindelhafer gewonnenes Bier war. Jedes Jahr zur gleichen Zeit befahl Sachmet ihren Horden, Unheil und Seuchen über das Land zu verbreiten, und machte sich selbst daran, die Erde von nichtsnutzigen, feigen und Ränke schmiedenden Menschenwesen zu befreien. Tag und Nacht wurden in den Tempeln Bittgebete gesprochen, um Sachmet zu besänftigen, und der Pharao persönlich vollzog ein Geheimritual, das – sofern der König gerecht war – abermals Tod in Leben verwandeln würde.

Während dieser fünf gefürchteten Tage lag das Wirtschaftsleben nahezu brach. Vorhaben und Reisen wurden verschoben, die Schiffe blieben im Hafen, viele Felder waren menschenleer. Ein paar Nachzügler befestigten noch hastig die Deiche gegen den heftigen Wind, der den Zorn der rachegierigen Löwin bezeugte. Was wäre ohne das Einschreiten des Pharaos übriggeblieben von dem Land?

Der Oberste Palastwächter von Memphis hätte sich auch lieber in seine Amtsräume zurückgezogen und das Fest des ersten Tags des neuen Jahres abgewartet, wenn in die von Furcht befreiten Herzen jubelnde Freude einzog. Aber Königin Tuja hatte ihn rufen lassen, und nun rätselte er über den Anlaß für diese Vorladung. Im allgemeinen hatte er keinen Zugang zur großen königlichen Gemahlin, deren Kammerdiener ihm die Befehle überbrachte. Wie erklärte sich also dieses ungewöhnliche Vorgehen?

Die hohe Dame flößte ihm, wie vielen Würdenträgern, große Furcht ein. Der ägyptische Hof mußte Vorbild sein, daran hielt sie fest und duldete keinerlei Nachlässigkeit. Ihr zu mißfallen war eine Verfehlung, die nicht mehr gutzumachen war.

Bisher hatte der Oberste Palastwächter sich nicht sonderlich plagen müssen, war weder gelobt noch getadelt worden und ohne Mißhelligkeiten vorangekommen. Er verstand es, nicht aufzufallen und sich an dem zugewiesenen Platz zu behaupten. Seit er dieses Amt übernommen hatte, war die Ruhe des Palastes durch keinen Zwischenfall gestört worden.

Kein Zwischenfall, abgesehen von dieser Vorladung.

Sollte ihn einer seiner Untergebenen, der auf seinen Posten lauerte, verleumdet haben? Ein Günstling der königlichen Familie ihn vernichten wollen? Was könnte man ihm vorwerfen? Die Fragen stürmten auf ihn ein und hämmerten in seinem Kopf. Der Oberste Palastwächter zitterte am ganzen Leib, und seine Augen zwinkerten nervös, als er in den Audienzsaal vorgelassen wurde, wo sich die Königin befand. Obwohl er größer war als sie, erschien sie ihm gewaltig.

Er warf sich zu Boden.

»Majestät, die Götter seien dir gewogen und…«

»Genug der hohlen Worte; setz dich.«

Die große königliche Gemahlin wies ihm einen bequemen Stuhl an. Er wagte nicht, zu ihr aufzublicken. Wie konnte eine so zierliche Frau so viel Macht ausstrahlen?

»Du weißt vermutlich, daß ein Stallknecht einen Anschlag auf Ramses verübt hat.«

»Ja, Majestät.«

»Du weißt ebenfalls, daß nach dem Wagenlenker gesucht wird, der Ramses zur Jagd begleitet hat und vielleicht der Anstifter dieses Verbrechens ist.«

»Ja, Majestät.«

»Gewiß bist du im Bilde über den Stand der Nachforschungen.«

»Sie könnten sich als langwierig und schwierig erweisen.«

»Sie könnten? Eine merkwürdige Ausdrucksweise! Solltest du fürchten, die Wahrheit herauszufinden?«

Wie von einer Wespe gestochen, sprang der Mann auf.

»Natürlich nicht! Ich…«

»Setz dich und hör mir aufmerksam zu. Ich habe den Eindruck, als solle dieser Vorfall totgeschwiegen und heruntergespielt werden. Ramses hat überlebt, sein Angreifer ist tot, und der Auftraggeber ist verschwunden. Warum also noch weitersuchen? Trotz der Beharrlichkeit meines Sohnes wird nichts Neues zutage gefördert. Leben wir hier in einem barbarischen Königreich, wo der Begriff Gerechtigkeit jeden Sinn verloren hat?«

»Majestät kennt doch die Einsatzbereitschaft der Wachen, ihr…«

»Ich stelle ihr Versagen fest und hoffe, daß dies sich ändern wird. Sollte jemand die Nachforschungen zu verhindern suchen, werde ich ihm auf die Schliche kommen. Mit anderen Worten, du wirst mir sagen, wer es ist.«

»Ich? Aber…«

»Es gibt keine bessere Stellung als die deine, um einer Sache schnell und taktvoll auf den Grund zu gehen. Finde den Wagenlenker, der Ramses in die Falle gelockt hat, und bring ihn vor Gericht.«

»Majestät, ich…«

»Irgendwelche Einwände?«

Der Oberste Palastwächter war am Boden zerstört und fühlte sich durchbohrt von einem der Pfeile Sachmets. Wie sollte er die Königin zufriedenstellen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen und das Mißfallen eines anderen zu erregen? Und wenn der für den Anschlag tatsächlich Verantwortliche eine hochgestellte Persönlichkeit wäre? Und vielleicht noch unbarmherziger als Tuja…? Sie aber duldete keinen Mißerfolg.

»Nein, natürlich nicht, aber leicht wird es nicht sein.«

»Das sagtest du bereits, ich wende mich ja an dich, weil es keine der üblichen Aufgaben ist. Und noch eine zweite Aufgabe will ich dir übertragen, die weitaus einfacher ist.«

Tuja sprach von den minderwertigen Tintensteinen und der zwielichtigen Werkstatt, wo sie hergestellt wurden. Dank der Hinweise von Ramses vermochte sie ihm zu sagen, wo sie sich befand, wissen wollte sie den Namen des Besitzers.

»Besteht zwischen den beiden Fällen ein Zusammenhang, Majestät?«

»Unwahrscheinlich, aber wer weiß? Dein Fleiß wird uns Klarheit verschaffen.«

»Gewiß, Majestät.«

»Ich bin entzückt. An die Arbeit!«

Die Königin zog sich zurück.

Niedergeschlagen, von Kopfschmerz geplagt, fragte sich der Würdenträger, ob ihm überhaupt noch etwas anderes blieb als die Magie.

Chenar strahlte.

Um den älteren Sohn des Pharaos scharten sich in einem der Empfangssäle des Palastes Dutzende von Händlern aus aller Welt. Zyprioten, Phönizier, Ägäer, Syrer, Libanesen, Afrikaner, Orientalen mit gelber Haut und Bleichgesichter aus den Nebeln des Nordens waren seinem Ruf gefolgt. Ägypten unter Sethos besaß weltweite Ausstrahlung, und eine Einladung an diesen Hof galt jedem als Ehre. Allein die Hethiter hatten niemanden entsandt, bekundeten also auch hiermit ihre wachsende Feindseligkeit gegenüber dem Pharao und seiner Politik.

Für Chenar lag die Zukunft in weltweiten Handelsbeziehungen. In den phönizischen Häfen, in Byblos, in Uggrit, liefen bereits Schiffe aus Kreta, aus Afrika oder dem fernen Orient ein. Warum sollte Ägypten sich der Ausweitung dieser Handelsbeziehungen widersetzen unter dem Vorwand, seine Identität und seine Traditionen wahren zu wollen? Chenar bewunderte seinen Vater, machte ihm aber den Vorwurf, kein Mann des Fortschritts zu sein. An seiner Stelle hätte er längst mit der Trockenlegung des größten Teils des Deltas begonnen und an der Mittelmeerküste zahlreiche Handelshäfen angelegt. Aber wie seine Ahnen war auch Sethos nur auf die Sicherheit der Zwei Länder bedacht. Wäre es nicht gescheiter, anstatt die Verteidigungsstellungen auszubauen und die Armee auf einen Krieg vorzubereiten, mit den Hethitern Handel zu treiben und die kriegslüsternsten zu befrieden, indem man ihnen zu Reichtum verhalf?

Bei seiner Thronbesteigung würde er, Chenar, erst einmal die Gewalt abschaffen. Er haßte die Armee, die Generäle und die Soldaten, die Engstirnigkeit dieser Haudegen, diese Machtausübung mittels roher Gewalt. Sollte diese Macht von Dauer sein, durfte man sie so nicht einsetzen. Über kurz oder lang würde sich ein besiegtes Volk gegen den Besatzer auflehnen und zum Sieger werden. Bände man es hingegen ein in ein dichtgeknüpftes Netz von Gesetzen, die die Wirtschaftsbeziehungen regeln und die nur von wenigen verstanden und gesteuert wurden, dann wäre jeder Widerstand schnell im Keime erstickt.

Chenar dankte dem Schicksal, daß es ihm die Stellung des älteren Sohnes und zukünftigen Thronfolgers beschert hatte. Dieser hitzköpfige und ahnungslose Ramses würde ihn gewiß nicht daran hindern, seine grandiosen Träume in die Tat umzusetzen. Ein weltweites Handelsnetz unter zivilisierten Völkern, mit ihm als uneingeschränktem Herrscher, Bündnisse zur Verfolgung seiner Absichten, eine Nation, die alle vereinen würde… Gab es einen berauschenderen Plan?

Was war schon Ägypten? Gewiß, hier würde alles beginnen, aber bald schon die Grenzen sprengen. Der in seinen Traditionen verhaftete Süden hatte keine Zukunft. Nach seinem Erfolg würde er, Chenar, sich in einem lieblichen Land niederlassen und von dort aus sein Reich regieren.

Für gewöhnlich wurden fremdländische Händler nicht bei Hof empfangen. Durch diese Einladung unterstrich Sethos’ Nachfolger die Bedeutung, die er ihnen zumaß. So bereitete er eine Zukunft vor, die er sich herbeiwünschte. Sethos zu überzeugen, seinen Kurs zu ändern, würde keine leichte Aufgabe sein, aber war ein der Maat Respekt schuldender Herrscher nicht gehalten, sich der Notwendigkeit des Augenblicks zu beugen? Chenar traute sich zu, für alles eine Rechtfertigung zu finden.

Der Empfang war ein voller Erfolg. Die ausländischen Händler versprachen Chenar die schönsten Vasen ihrer jeweiligen Handwerker als Geschenke. Damit würde er seine im ganzen Vorderen Orient berühmte Sammlung anreichern können. Er hätte alles gegeben für eine vollendete Vase, kunstvoll geschwungen, in berückenden Farben! Die Freude am Besitz wurde durch die des Betrachtens gesteigert. Die Lust, der er sich hingab, wenn er ungestört seinen Schätzen gegenübersaß, würde ihm niemand rauben können.

Einer seiner Zuträger trat an ihn heran, nachdem er das herzliche Gespräch mit einem ausländischen Händler unterbrochen hatte.

»Etwas Unangenehmes«, murmelte der Gewährsmann.

»Welcher Art?«

»Deine Mutter gibt sich mit den Ergebnissen der amtlichen Nachforschungen nicht zufrieden.«

Chenar verzog das Gesicht.

»Nur eine Laune?«

»Weit mehr.«

»Will sie etwa selbst nachforschen?«

»Sie hat den Obersten Palastwächter beauftragt.«

»Ein Schwachkopf.«

»In die Enge getrieben, könnte er unangenehm werden.«

»Lassen wir ihn erst einmal strampeln.«

»Und wenn er etwas herauskriegt?«

»Das ist unwahrscheinlich.«

»Wäre es nicht ratsam, ihm eine Warnung zu verpassen?«

»Da fürchte ich eher eine unvorhersehbare Reaktion. Dummköpfe bringt man nicht so leicht zur Vernunft. Außerdem wird er keine heiße Spur finden.«

»Wie lautet dein Befehl?«

»Beobachte ihn und halte mich auf dem laufenden.« Der Mann ging, und Chenar wandte sich wieder seinen Gästen zu. Trotz seines Unbehagens machte er eine gute Figur.