37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

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ACHTZEHN

Zwei tage lang weigerte sich Ramses, zu essen und mit wem auch immer ein Wort zu sprechen.

Ameni, dem bewußt war, wie tief enttäuscht sein Freund war, machte sich unsichtbar und schwieg. Wie ein Schatten wachte er über den Prinzen, ohne ihn zu stören. Gewiß, Ramses war herausgetreten aus der Anonymität und gehörte von nun an zu jenen Persönlichkeiten des Hofes, die bei Staatsritualen zugelassen waren. Aber durch den Platz, der ihm zugewiesen worden war, wurde er zum bloßen Statisten. In aller Augen blieb Chenar der Erbe der Krone.

Der goldgelbe Hund verspürte die Traurigkeit seines Herrn und bettelte weder um Spaziergang noch Spiel. Dieser Zutraulichkeit war es zu verdanken, daß der Prinz aus dem selbstgewählten Gefängnis dann doch hervorkam. Weil er Wächter füttern mußte, willigte er schließlich ein, die Mahlzeit, die Ameni ihm anbot, zu sich zu nehmen.

»Ich bin ein Dummkopf und ein eitler Fant, Ameni. Mein Vater hat mir eine gute Lehre erteilt.«

»Was nützt es, daß du dich so quälst?«

»Ich hielt mich nicht für so dumm.«

»Ist Macht denn so wichtig?«

»Macht? Nein, aber seiner wahren Natur zu entsprechen, das ist wichtig! Und ich war überzeugt, meine wahre Natur bestimme mich zum Regieren. Mein Vater versperrte mir den Thron, und ich war blind.«

»Wirst du dich jetzt in dein Los fügen?«

»Habe ich denn überhaupt eins?«

Ameni fürchtete, Ramses würde eine Verzweiflungstat begehen. Die Enttäuschung des Prinzen war so groß, daß er sich durchaus kopflos in ein Abenteuer stürzen und darin willentlich zugrunde gehen könnte. Nur die Zeit würde den Schmerz lindern, doch Geduld war eine Tugend, die der Prinz nicht kannte.

»Sary hat uns zum Angeln eingeladen«, murmelte Ameni, »willst du diese Zerstreuung annehmen?«

»Wie du willst.«

Der junge Schreiber unterdrückte seinen Jubel. Wenn Ramses an den alltäglichen Vergnügungen erst einmal wieder Freude fand, könnte es mit der Genesung schnell gehen.

Ramses’ ehemaliger Erzieher und seine Gattin hatten die pfiffigsten jungen Leute aus gutem Hause eingeladen, um sie das Angeln zu lehren. Das war ein Vergnügen besonderer Art. In einem Wasserbecken wimmelte es von Zuchtfischen, jeder Teilnehmer bekam einen dreibeinigen Hocker und eine Angelrute aus Akazienholz. Der Geschickteste in diesem Wettkampf würde als Sieger gefeiert und einen herrlichen Papyrus mit den Abenteuern Sinuhes erhalten, an denen Generationen von Gebildeten sich schon erfreut hatten.

Ramses überließ seinen Platz Ameni, der sich an diesem unbekannten Spiel ergötzte. Wie sollte er auch verstehen, daß weder seine Freundschaft noch Isets Liebe das Feuer zu löschen vermochten, das Ramses’ Seele verzehrte. Die Zeit würde diese unersättliche Flamme, die nach Nahrung gierte, nur noch heftiger entfachen. Ob es seine Bestimmung war oder nicht, ein Leben in Mittelmäßigkeit würde er nicht hinnehmen. Nur zwei Wesen konnten ihn beeindrucken: sein Vater, der König, und seine Mutter, die Königin. Ihre Vorstellungen hätte er teilen wollen, keine anderen.

Liebevoll legte Sary seinem früheren Schüler die Hand auf die Schulter.

»Langweilt dich dieses Spiel?«

»Es ist ein gelungenes Fest.«

»Gelungen dank deiner Anwesenheit.«

»Willst du mich verspotten?«

»Das ist nicht meine Absicht, deine Stellung ist doch nun klar. Viele der Höflinge fanden dich prachtvoll bei der Prozession.«

Der leutselige Sary wirkte aufrichtig. Er zog Ramses unter ein Zeltdach, wo frisches Bier ausgeschenkt wurde.

»Das Amt des königlichen Schreibers ist etwas, um das dich jeder beneidet«, erklärte er mit Begeisterung. »Du erwirbst das Vertrauen des Königs, hast Zugang zu den Schatzkammern und den Kornspeichern, erhältst einen beachtlichen Anteil der Opfergaben im Anschluß an die Weihung im Tempel, bist gut gekleidet, besitzt Pferde und ein Boot, bewohnst ein schönes Haus, ziehst Erträge aus deinen Feldern, und eifrige Diener kümmern sich um dem Wohlergehen. Deine Arme ermüden nicht, deine Hände bleiben zart und weiß, dem Rücken ist kräftig, du hast keine schweren Lasten zu tragen, du schwingst weder Hacke noch Grabscheit, schwere Arbeit wird dir erspart, und deine Befehle werden eilfertig ausgeführt. Palette, Farbpigmente und Papyrusrolle sorgen für deinen Wohlstand und machen dich zu einem reichen und geachteten Mann. Und der Ruhm, wirst du jetzt fragen? Der wird sich einstellen! Die Zeitgenossen des gelehrten Schreibers sind in Vergessenheit geraten, doch den Ruhm des Schreibers singt die Nachwelt.«

»Sei Schreiber«, rezitierte Ramses mit tonloser Stimme, »denn ein Buch ist von längerer Dauer als eine Stele oder eine Pyramide. Es bewahrt deinen Namen länger als jedwedes Bauwerk. Die Nachfahren der Schreiber sind ihre Weisheitsbücher, die Priester, die ihre Totengedenkfeiern zelebrieren, sind ihre Schriften. Ihr Sohn ist das Täfelchen, auf dem sie schreiben, der mit Hieroglyphen bedeckte Stein ihre Gemahlin. Die mächtigsten Bauten zerfallen, das Werk der Schreiber überdauert die Zeiten.«

»Großartig!« rief Sary. »Du hast nicht vergessen, was ich dich gelehrt habe.«

»Das haben uns die Väter gelehrt.«

»Gewiß, gewiß, aber ich habe es an dich weitergegeben.«

»Meinen Dank.«

»Ich bin stolz auf dich, von Tag zu Tag mehr! Sei ein guter königlicher Schreiber, und träume nicht von Höherem.«

Andere Gäste verlangten nach dem Hausherrn. Man plauderte, trank, angelte, erzählte sich scheinheilig Vertraulichkeiten, doch Ramses langweilte sich. Dieses Volk in seinem Dünkel, das sich mit seinen Privilegien begnügte, war ihm unverständlich.

Seine ältere Schwester nahm ihn zärtlich am Arm.

»Bist du glücklich?« fragte Dolente.

»Sieht man das nicht?«

»Bin ich hübsch?«

Er trat etwas zurück und sah sie an. Ihr Kleid war eher fremdländisch, zu grell in den Farben, die Perücke zu gekünstelt, aber sie selbst wirkte nicht ganz so träge wie früher.

» Du bist eine vollendete Gastgeberin.«

»Ein Kompliment von dir, eine Seltenheit!«

»Also um so kostbarer.«

» Beim Opferritual am Nil wurde dein Auftreten bewundert.«

» Ich habe doch unbeweglich ausgeharrt und kein Wort gesagt.«

»Genau. Das war eine gelungene Überraschung! Der Hof war auf eine andere Reaktion gefaßt.«

»Auf welche?«

In Dolentes stechendem Blick flackerte ein böses Licht.

»Empörung, vielleicht sogar Angriffslust. Wenn du nicht bekommst, was du willst, bist du für gewöhnlich viel heftiger. Sollte der Löwe sich etwa zum Lamm gewandelt haben?«

Ramses ballte die Fäuste, um sie nicht zu ohrfeigen.

»Weißt du denn, was ich will, Dolente?«

»Was dein Bruder besitzt und du nie haben wirst.«

»Du irrst, ich bin nicht neidisch. Ich suche meinen Weg und nichts anderes.«

»Die Ferienzeit ist angebrochen, Memphis wird unerträglich. Komm mit in unsere Residenz im Delta! Du kannst uns Bootfahren lehren, wir werden schwimmen und dicke Fische fangen.«

»Mein Amt…«

»Komm, Ramses, jetzt ist doch alles geklärt, widme dich ein Weilchen deinen Angehörigen, und laß dich von ihnen verwöhnen.«

Der Sieger des Angelwettbewerbs stieß einen Freudenschrei aus. Die Gastgeberin mußte ihn beglückwünschen und der Hausherr ihm die Papyrusrolle mit den abenteuerlichen Schilderungen Sinuhes überreichen.

Ramses gab Ameni ein Zeichen.

»Meine Angel ist zerbrochen«, gestand der junge Schreiber.

»Gehen wir.«

»Schon?«

»Das Spiel ist aus, Ameni.«

Ein prachtvoll gekleideter Chenar kam auf Ramses zu.

»Ich bedaure, so spät zu kommen, nun konnte ich deine Geschicklichkeit gar nicht bewundern.«

»Ameni hat an meiner Stelle teilgenommen.«

»Bist du denn müde? Das geht wohl vorüber.«

»Deute es, wie du willst.«

»Bravo, Ramses, du erkennst deine Grenzen von Tag zu Tag besser. Dennoch hätte ich ein paar Worte des Dankes erwartet.«

»Wofür?«

»Mir hast du es zu verdanken, daß du teilnehmen durftest an dieser großartigen Prozession. Sethos wollte dich ausschließen. Er fürchtete zu Recht, du würdest nicht Haltung bewahren. Aber zum Glück hast du dich gut benommen. Mach weiter so, dann werden wir miteinander auskommen.«

Eine Horde Beflissener folgte Chenar, als er davonging. Sary und seine Gemahlin verneigten sich vor ihm, entzückt über die Ehre seiner unverhofften Anwesenheit.

Ramses kraulte seinen Hund am Kopf, verzückt schloß Wächter die Augen. Der Prinz betrachtete die Zirkumpolarsterne, von denen es heißt, sie gingen nicht unter. Die Weisen sagten, diese Sterne bildeten im Jenseits das Herz des wiedererweckten Pharaos, sobald er vom göttlichen Gericht als »Hüter der Wahrheit« befunden ward.

Iset, die Schöne, schlang Ramses die Arme um den Hals; sie war nackt.

»Vergiß doch ein bißchen diesen Hund, ich werde sonst eifersüchtig. Du liebst mich, und gleich darauf verläßt du mich!«

»Du warst eingeschlafen, und ich war nicht müde.«

»Wenn du mir einen Kuß gibst, werde ich dir ein Geheimnis verraten.«

»Das ist Erpressung, und das kann ich nicht leiden.«

»Es ist mir gelungen, mich von deiner älteren Schwester einladen zu lassen. So wirst du nicht ganz so allein sein mit deiner lieben Familie, und da uns alle schon für Mann und Frau halten, liefern wir den Gerüchten neue Nahrung.«

Sie wurde so zärtlich und so schmeichelnd, daß der Prinz sich ihren Liebkosungen nicht mehr zu entziehen vermochte. Er nahm sie in den Arm, verließ die Terrasse, bettete sie aufs Lager und legte sich zu ihr.

Ameni war glücklich, denn Ramses hatte wieder unbändigen Appetit.

»Alles ist bereit, wir können abreisen«, erklärte er stolz, »ich habe das Gepäck selbst überprüft. Die Ferien werden uns guttun.«

»Du hast sie verdient. Willst du etwas schlafen?«

»Wenn ich eine Arbeit angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören.«

»Bei meiner Schwester wirst du nichts zu tun haben.«

»Das glaube ich nicht, dein Amt beinhaltet die Kenntnis unzähliger Vorgänge und…«

»Ameni! Weißt du eigentlich, was Entspannung ist?«

»Sollte der Knecht es seinem Herrn nicht gleichtun?«

Ramses faßte ihn um die Schultern.

»Du bist nicht mein Knecht, sondern mein Freund. Folge meinem Rat und ruh dich ein paar Tage aus.«

»Ich will’s versuchen, aber…«

»Quält dich eine Sorge?«

»Diese verflixten Tintensteine, diese zwielichtige Werkstatt… Ich will die Wahrheit herausfinden.«

»Wird uns das vergönnt sein?«

»Weder Ägypten noch wir selbst können einen solchen Betrug dulden.«

»Solltest du das Zeug zu einem Staatsmann haben?«

»Du denkst wie ich, das weiß ich.«

»Ich habe meine Mutter gebeten, uns zu helfen.«

»Das ist – das ist ja wunderbar!«

»Bis jetzt haben wir noch kein Ergebnis.«

»Wir werden ans Ziel gelangen.«

»Diese Tintensteine und diese Werkstatt sind mir eigentlich gar nicht so wichtig, aber den Mann, der dich zu töten versucht, und den, der den Befehl dazu gab, die will ich vor mir sehen.«

Ramses’ Entschlossenheit ließ Ameni erschaudern.

»Mein Gedächtnis, Ameni, läßt mich nie im Stich.«

Sary hatte ein prächtiges Schiff angemietet, auf dem etwa dreißig Personen bequem Platz fanden. Er erfreute sich an dem Gedanken, auf diesem Meer zu fahren, das die Überschwemmung bewirkt hatte, und eine Residenz mit allen Annehmlichkeiten zu beziehen, die hoch auf einem Hügel inmitten von Palmen lag. Dort dürfte die Hitze erträglicher sein, und die Tage würden verstreichen in Muße und Verzückung.

Der Schiffsführer hatte es eilig, die Taue zu lösen, die Flußwache hatte ihm soeben das Auslaufen gestattet. Wenn er nicht gleich ablegte, würde er zwei oder drei Stunden warten müssen.

»Ramses ist noch nicht da«, bedauerte seine Schwester.

»Aber Iset ist bereits an Bord«, bemerkte Sary.

»Und das Gepäck?«

»Wurde schon im Morgengrauen verladen, vor der großen Hitze.«

Dolente trat von einem Fuß auf den anderen.

»Da kommt sein Schreiber!«

Ameni rannte mit hastigen Schrittchen. Da er solche Anstrengung nicht gewohnt war, mußte er erst einmal Luft holen, bevor er reden konnte.

»Ramses ist verschwunden«, bekannte er dann.