37753.fb2
Ramses verweilte eine Woche im Harim Mer-Our, doch Nefertari sah er nicht wieder. Moses, von seinem Vorgesetzten, der seinen Eifer schätzte, mit Arbeit überhäuft, konnte seinem Freund nur wenig Zeit widmen. Dennoch schöpften sie aus ihren Gesprächen neue Kraft und schworen sich, nicht dahinzudämmern im Schlaf des Gerechten.
Recht schnell wurde die Anwesenheit des jüngeren Sohns des Sethos zu einem Ereignis. Altere Damen von Stand suchten das Gespräch mit ihm, einige überschütteten ihn mit Erinnerungen und guten Ratschlägen, etliche Handwerker und Beamte buhlten um sein Wohlwollen, und der Leiter des Harim bezeigte ihm unermüdlich größte Zuvorkommenheit, damit er Sethos berichte, wie vollendet dieser Harim geführt war. Sich in einen Garten zurückzuziehen, um in Frieden die Schriften der Alten zu lesen, geriet zu einem Kunststück. Bald fühlte er sich als Gefangener in diesem Paradies, daher nahm er seinen Reisesack, seine Matte und seinen Stock und machte sich davon, ohne jemandem ein Wort zu sagen. Moses würde es schon verstehen.
Wächter war dick geworden, ein paar Tage Fußmarsch würden ihm guttun.
Der Oberste Palastwächter war am Ende seiner Kräfte. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie soviel gearbeitet. Er war hierhin und dorthin geeilt, hatte Dutzende von Gewährsleuten zusammengetrommelt, war jeder Einzelheit nachgegangen, hatte die Befragungen wiederaufgenommen und den Befragten schreckliche Strafen angedroht.
Versuchte jemand, die Nachforschungen zu erschweren, oder war das Räderwerk des Gemeinwesens von allein ms Stocken geraten? Das war nicht einfach zu beantworten. Gewiß, etwas Druck war schon ausgeübt worden auf ihn, den hohen Beamten, aber von wem das kam, hatte er nicht herauszufinden vermocht, und außerdem konnte ihm kein noch so blutrünstiger Höfling so viel Furcht einflößen wie die Königin.
Als er sicher war, alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben und nun nicht weiter vorankommen zu können, ließ er sich bei Tuja melden.
»Ich versichere Majestät meiner tiefsten Ergebenheit.«
»Deine Tüchtigkeit wolltest du beweisen.«
»Majestät hatte mir befohlen, die Wahrheit herauszufinden.«
»In der Tat.«
»Majestät dürfte nicht enttäuscht sein, denn…«
»Überlaß mir das Urteil, und nenn mir die Tatsachen.«
Der Beamte zögerte.
»Ich möchte noch vorausschicken, daß meine Verantwortung…«
Der Blick der Königin untersagte ihm weiteres Eigenlob.
»Die Wahrheit, Majestät, hört man häufig ungern.«
»Ich höre.«
Der Mann schluckte.
»Nun gut, ich melde Majestät ein zweifaches Unglück.«
Ameni schrieb sorgfältig die Verfügungen ab, die jeder königliche Schreiber zur Kenntnis zu nehmen hatte. Obwohl es ihn betrübte, daß Ramses ihm offensichtlich nicht vertraute, wußte er, daß der Prinz wiederkommen würde. Folglich fuhr er mit seiner Arbeit fort, als sei nichts geschehen.
Als Wächter ihm auf den Schoß sprang und ihm mit sanfter und feuchter Zunge die Wangen leckte, vergaß Ameni die Vorwürfe und hieß Ramses freudig willkommen.
»Ich war überzeugt, deine Schreibstube leer zu finden«, bekannte der Prinz.
»Und wer hätte wohl die laufenden Geschäfte erledigt?«
»Ich an deiner Stelle hätte eine solche Vernachlässigung nicht hingenommen.«
»Du hast deinen Platz, ich den meinen. Die Götter haben es so gewollt, und ich begnüge mich damit.«
»Verzeih mir, Ameni.«
»Ich habe geschworen, dir treu zu dienen, und werde mein Wort halten, sonst werden die Dämonen der Hölle mir die Gurgel durchschneiden! Du siehst, ich handle aus reinem Eigennutz. War’s eine angenehme Reise?«
Ramses erzählte ihm vom Harim, von Moses und Setaou, sparte aber seine Begegnung mit Nefertari aus. Das war ein Augenblick der Gnade gewesen, den sein Gedächtnis bewahren würde wie ein Juwel.
»Du kommst gerade im rechten Augenblick«, bekannte Ameni, »die Königin wünscht dich so schnell wie möglich zu sehen, und Acha hat uns zum Abendessen eingeladen.«
Acha empfing Ramses und Ameni in seinem Amtssitz mitten in der Stadt, unweit seiner Dienststelle und ihrer Verwaltung. Trotz seines jugendlichen Alters ähnelte er mit seinem schmeichlerischen Gebaren und dem verbindlichen Ton bereits einem erfahrenen Gesandten. Auf sein Erscheinungsbild bedacht, kleidete er sich nach der neuesten memphitischen Mode, dieser Mischung aus bewährten Formen und greller Farbenpracht. Zu der angeborenen Vornehmheit war jetzt eine Selbstsicherheit im Auftreten gekommen, die Ramses noch nicht an ihm kannte. Augenscheinlich hatte Acha seinen Weg gefunden.
»Du scheinst glücklich mit deinem Los«, bemerkte Ramses.
»Ich wurde gut angeleitet, und das Glück war mir hold. Mein Bericht über den Trojanischen Krieg wurde als der zutreffendste gewertet.«
»Ach ja, wie steht’s damit?«
»Die Niederlage der Troer ist unabwendbar. Im Gegensatz zu denen, die auf Agamemnons Milde bauen, sage ich ein Gemetzel und die Zerstörung der Stadt voraus. Dennoch werden wir nicht einschreiten, Ägypten betrifft dieser Zwist in keiner Weise.«
»Den Frieden zu bewahren ist Sethos’ Hauptanliegen.«
»Daher seine Besorgnis.«
Ramses und Ameni stellten dieselbe bange Frage:
»Befürchtest du etwa einen Krieg?«
»Die Hethiter beginnen sich erneut aufzulehnen.«
Gleich im ersten Regierungsjahr hatte Sethos einem Beduinenaufstand zu trotzen gehabt. Angestachelt von den Hethitern, hatten sie Palästina überrannt und ein unabhängiges Königreich ausgerufen, wo verschiedene Stämme sofort übereinander hergefallen waren. Als wieder Ruhe herrschte, war der Pharao ausgezogen, Kanaan zu befrieden, den Süden Syriens an sich zu binden und die phönizischen Häfen seiner Oberhoheit zu unterstellen. Im dritten Regierungsjahr hatte jedermann an ein Kräftemessen mit den hethitischen Streitkräften geglaubt, aber die aufmarschierten Heere halten nur ihre jeweiligen Stellungen gehalten und sich dann in ihre Ausgangslager zurückgezogen.
»Weißt du Genaueres?« fragte Ramses.
»Das ist streng vertraulich, und obgleich du königlicher Schreiber bist, gehörst du nicht zum diplomatischen Dienst.«
Mit dem rechten Zeigefinger strich Acha sich über den tadellos gestutzten Lippenbart. Ramses fragte sich, ob seine Worte ernst gemeint waren, doch ein spöttisches Funkeln in den blitzenden Augen seines Freundes gab ihm Gewißheit.
»Die Hethiter schüren Unruhe in Syrien, und gewisse phönizische Prinzen sind gegen ein beachtliches Entgelt bereit, ihnen zu helfen. Die Militärberater des Königs drängen auf ein schnelles Eingreifen, nach jüngsten Gerüchten hält Sethos es für unumgänglich.«
»Wirst du dabeisein?«
»Nein.«
»Bist du etwa in Ungnade gefallen?«
»Eigentlich nicht.«
Das feine Gesicht Achas verkrampfte sich ein wenig, als fände er Ramses’ Fragen unangemessen.
»Man hat mir eine andere Aufgabe übertragen.«
»Worum geht es?«
»Hierüber muß ich wirklich Stillschweigen bewahren.«
»Eine geheime Mission«, jubelte Ameni. »Aufregend, aber gefährlich.«
»Ich stehe im Dienste des Staates.«
»Kannst du uns wirklich nichts verraten?«
»Ich werde in den Süden aufbrechen, und nun bedrängt mich nicht mit weiteren Fragen.«
Wächter wußte das ihm zugebilligte Privileg zu schätzen, ein üppiges Mahl im Garten der Königin. Belustigt hatte Tuja die mit liebevoller Zunge vorgebrachten Zärtlichkeitsbezeigungen des Hundes entgegengenommen, während Ramses voller Ungeduld an einem Halm kaute.
»Du hast einen treuen Hund, mein Sohn, das ist ein großes Glück, das du schätzen solltest.«
»Du wünschtest mich zu sehen, hier bin ich.«
»Wie ist dein Aufenthalt im Harim Mer-Our verlaufen?«
»Du weißt aber auch alles!«
»Muß ich nicht den Pharao beim Regieren unterstützen?«
»Und was machen die Nachforschungen?«
»Der Oberste Palastwächter hat sich als tüchtiger erwiesen, als ich vermutet hatte. Wir haben Fortschritte gemacht, aber die Nachrichten sind nicht sonderlich gut. Der Wagenlenker, der dich in eine Falle gelockt hat, wurde tot aufgefunden. Seine Leiche lag in einer verlassenen Scheune im Süden von Memphis.«
»Wie ist er dort hingekommen?«
»Darüber gibt es keine verläßliche Zeugenaussage. Und was die Werkstatt betrifft, die Tintensteine herstellt, da scheint es unmöglich, den Besitzer auszumachen. Der Papyrus, der seinen Namen trug, ist in den Archiven zerstört worden.«
»Solch ein Verbrechen konnte nur ein Würdenträger vollbringen!«
»Du hast recht. Und zwar ein Würdenträger, der reich und mächtig genug war, Mittelsmänner zu dingen.«
»Dieser moralische Verfall ekelt mich an… Das dürfen wir nicht hinnehmen!«
»Solltest du mir etwa Feigheit zutrauen?«
»Mutter!«
»Ich liebe deine Auflehnung. Dulde niemals Ungerechtigkeit!«
»Wie können wir jetzt weiter verfahren?«
»Der Oberste Palastwächter kann nicht mehr weiter vordringen, daher übernehme jetzt ich den Fall.«
»Verfüge über mich, befiehl, und ich werde gehorchen.«
»Wärest du zu solch einem Opfer bereit um der Wahrheit willen?«
Das Lächeln der Königin war spöttisch und zärtlich zugleich.
»Ich bin nicht einmal fähig, der Wahrheit in mir ans Licht zu verhelfen.«
Ramses wagte nicht, noch mehr preiszugeben, schließlich wollte er sich in den Augen Tujas nicht lächerlich machen.
»Ein echter Mann begnügt sich nicht mit Hoffen, er handelt.«
»Selbst wenn das Schicksal gegen ihn zu sein scheint?«
»Dann muß er es ändern, und ist er dazu nicht fähig, darf er die Schuld nur bei seiner eigenen Mittelmäßigkeit suchen und sein Unglück keinem anderen anlasten.«
»Nimm einmal an, Chenar habe die Fäden gezogen beim Versuch, mich zu vernichten.«
Ein Ausdruck von Trauer überzog das Antlitz der Königin.
»Das ist eine grauenvolle Beschuldigung.«
»Dieser Verdacht hat dir wohl auch ins Herz geschnitten, nicht wahr?«
»Ihr seid meine Söhne, und ich liebe euch beide. Selbst wenn ihr charakterlich so verschieden seid und selbst wenn ihr beide ehrgeizig seid, darf man deinem Bruder solch eine Niedertracht doch wohl nicht unterstellen.«
Ramses war erschüttert. Seine Sehnsucht, eines Tages Pharao zu sein, hatte ihn so blind gemacht, daß er ringsum finstere Machenschaften vermutete.
»Mein Freund Acha fürchtet, der Frieden sei bedroht.«
»Er ist gut unterrichtet.«
»Ist mein Vater entschlossen, die Hethiter zu bekämpfen?«
»Die Lage zwingt ihn dazu.«
»Dann will ich mit ihm gehen und für mein Land kämpfen.«