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In dem flügel des Palastes, der Chenar vorbehalten war, herrschte Mißmut unter den Bediensteten und der Beamtenschaft. Jeder schlich an den Wänden entlang, tat seine Arbeit und hielt sich streng an die Anweisungen, doch niemand lachte, niemand plauderte, man war bedrückt.
Die Nachricht war am Spätvormittag eingetroffen: sofortige Einberufung zweier Eliteregimenter für einen Dringlichkeitseinsatz mit anderen Worten: Man befand sich im Krieg mit den Hethitern! Chenar war am Boden zerstört. Diese heftige Reaktion brachte seine Handelspolitik, die er gerade erst eingefädelt hatte und deren erste Früchte er bald zu ernten gedachte, ins Wanken.
Dieses unkluge Auftrumpfen würde doch nur wieder ein Gefühl der Bedrohung wecken, und das war äußerst schädlich für die Handelsbeziehungen. Wie schon so viele vor ihm würde Sethos in eine Zwickmühle geraten. Was sollte diese veraltete Moralvorstellung, dieser Wille, den ägyptischen Herrschaftsbereich zu bewahren, die Größe einer Kultur herauszustreichen und dabei Kräfte zu vergeuden, die anderswo so nützlich eingesetzt werden konnten! Chenar war keine Zeit geblieben, den Ruf der militärischen Berater des Königs zu untergraben und ihre Verstocktheit zu beweisen. Diese Haudegen hatten doch nichts anderes im Kopf, als loszuschlagen. Sie hielten sich für Eroberer, vor denen alle anderen Völker sich zu verneigen hatten. Sollte dieser Krieg in einer Niederlage enden, würde Chenar diese Versager aus dem Palast verjagen, das schwor er sich.
Wer, wenn nicht Königin Tuja, würde über das Land herrschen, solange der Pharao, sein Wesir und sein Oberster Heerführer abwesend waren? Auch wenn ihre Gespräche mit Chenar seltener wurden und manchmal in Bitterkeit endeten, empfanden sie doch echte Zuneigung füreinander. Die Stunde für eine offene Aussprache war gekommen. Tuja würde ihn verstehen und zudem ihren Einfluß geltend machen, damit Sethos den Frieden bewahrte. Daher beharrte er auf seiner Bitte, sie so bald wie möglich zu sehen.
Tuja empfing ihn am Nachmittag in ihrem Audienzsaal.
»Das ist ein recht feierlicher Rahmen, liebe Mutter!«
»Ich vermute, dein Anliegen ist nicht privater Natur.«
»Du hast es erraten, wie immer. Woher hast du bloß diesen sechsten Sinn?«
»Ein Sohn darf seiner Mutter nicht schmeicheln.«
»Du liebst den Krieg doch nicht, nicht wahr?«
»Wer liebt schon den Krieg?«
»Ist der Entschluß meines Vaters dann nicht etwas übereilt?«
»Glaubst du etwa, er handle kopflos?«
»Gewiß nicht, doch die Kriegserklärung an die Hethiter…«
»Findest du Gefallen an schönen Gewändern?«
Chenar stutzte.
»Gewiß, aber…«
»Folge mir.«
Tuja führte ihren Ältesten in ein Nebengemach. Auf einem niedrigen Tisch lagen eine Langhaarperücke, ein Hemd mit weiten Ärmeln, ein langer, gefältelter und mit Fransen gesäumter Schurz sowie eine Schärpe, die unter der Taille gekreuzt wurde und das Kleidungsstück festhielt.
»Prächtig, nicht wahr?«
»Eine wundervolle Arbeit.«
»Diese Gewänder sind für dich, denn dein Vater hat dich zum Bannerträger für den bevorstehenden Feldzug gegen Syrien bestimmt. Du wirst zu seiner Rechten ziehen.«
Chenar erbleichte.
Der Bannerträger zur Rechten des Königs hatte die Lanze mit Widderkopf zu tragen, eines der Symbole Amuns, des siegreichen Gottes. Der ältere Sohn des Pharaos zog also mit seinem Vater in die Schlacht und stünde im Kampf an vorderster Front.
Ramses fieberte vor Ungeduld.
Warum kam Ameni nicht endlich mit der Liste derer, die Sethos mitzunehmen gedachte? Er wollte doch wissen, welcher Rang unter den hochgestellten Persönlichkeiten des Palastes ihm zugedacht war! Auf einen ehrenvollen Titel kam es ihm nicht an, kämpfen zu dürfen war ihm das wichtigste.
»Da bist du ja endlich! Was sagt diese Liste?«
Ameni senkte den Kopf.
»Lies selbst.«
Laut königlichem Beschluß war Chenar zum Bannerträger zur Rechten des Pharaos ernannt, Ramses’ Name war nicht einmal erwähnt.
In allen Kasernen von Memphis herrschte Aufbruchstimmung. Gleich am nächsten Morgen sollten die Fußtruppen und die Streitwagen nach Syrien ausrücken, angeführt vom Pharao selbst.
Ramses verbrachte den Tag im Hof der größten Kaserne. Als sein Vater bei Einbruch der Nacht den Kriegsrat verließ, wagte er sich an ihn heran.
»Darf ich eine Bitte vortragen?«
»Ich höre.«
»Ich möchte mit euch ziehen.«
»Mein Erlaß ist endgültig.«
»Einen Offiziersrang begehre ich nicht, ich möchte nur den Feind niedermachen.«
»Mein Entschluß war also richtig.«
»Ich… ich verstehe nicht recht.«
»Dem wahnwitziges Begehren ist nichts weiter als Eitelkeit. Um einen Feind niederzumachen, bedarf es besonderer Fähigkeiten, und die besitzt du nicht, Ramses.«
Nachdem er Wut und Enttäuschung überwunden hatte, war Chenar nicht unzufrieden mit seinem neuen Amt, da es eine ganze Reihe von Ehrungen, die ihm zuteil geworden waren, noch ergänzte. Ein Thronerbe mußte in der Tat seine Fähigkeiten als Krieger unter Beweis gestellt haben, das war anders nicht denkbar. Von den ersten Königen Thebens an hatte der Herrscher zu beweisen, daß er sein Land zu verteidigen und den Feind zurückzuschlagen verstand. Chenar beugte sich also dieser, wie er fand, albernen Tradition, da sie in den Augen des Volkes entscheidend war. Ja, sie belustigte ihn sogar, als er den enttäuschten Blick seines Bruders auffing, während die Vorhut, mit ihm als Bannerträger, vorbeizog.
Der Aufbruch des Heers in einen Feldzug bot Anlaß zu einem Fest. Die Bevölkerung erhielt einen arbeitsfreien Tag und ertränkte ihre Sorgen wie immer in Bier. Wer zweifelte denn ernsthaft an Sethos’ Sieg?
Trotz seines persönlichen Triumphs war Chenar nicht frei von Angst. Im Kampf konnte es immer auch den besten Soldaten treffen. Der Gedanke, er könne verwundet oder verunstaltet werden, verursachte ihm Übelkeit. An der Front würde er vor allem darauf bedacht sein, sich selbst zu schützen, und die gefährlichen Aufgaben lieber anderen überlassen.
Wieder einmal war das Glück auf seiner Seite, denn während dieses Feldzugs würde er Gelegenheit haben, mit seinem Vater zu sprechen und seine Zukunft zu entwerfen. Diese Aussicht lohnte die Anstrengung, wenn es auch hart war, auf die Annehmlichkeiten des Palastlebens zu verzichten.
Ramses’ Enttäuschung war das beste Antriebsmittel.
Dieser Haufen Provinzler mißfiel Bakhen. Wenn Krieg drohte, wurden Soldaten ausgebildet, Freiwillige, die von Heldentaten in lernen Ländern träumten. Doch dieser Trupp grobschlächtiger Bauerntölpel würde über die Vororte von Memphis nicht hinauskommen und schleunigst auf die Felder zurückkehren. Bakhen, der Aufseher der Stallungen des ganzen Königreichs, mußte eben auch junge Rekruten ausbilden.
Mit seiner tiefen und heiseren Stimme befahl er ihnen, einen Sack Steine vom Boden zu heben, ihn sich auf die rechte Schulter zu schwingen und an den Kasernenmauern entlangzulaufen, bis er Einhalt gebot.
So ging das Aussieben zwar brutal, aber schnell vonstatten. Die meisten hatten ihre Kräfte falsch eingeschätzt. Atemlos setzten sie ihre Last ab. Bakhen geduldete sich ein Weilchen und brach den Drill ab, als noch etwa fünfzig Anwärter im Rennen waren.
Erstaunt vermeinte er einen von ihnen schon einmal gesehen zu haben. Er war gut einen Kopf größer als seine Kameraden und offensichtlich noch erstaunlich frisch.
»Prinz Ramses! Dem Platz ist nicht hier.«
»Ich möchte diese Ausbildung durchstehen und meine Befähigung bestätigt bekommen.«
»Aber so etwas brauchst du doch nicht! Es genügt, daß du…«
»Auf Papyrus kann man keinen Soldaten ausbilden, das weißt du selbst am besten!«
Überrumpelt drehte Bakhen an den Lederbändern, die seine Armmuskeln noch betonten.
»Das ist eine heikle…«
»Hast du etwa Angst, Bakhen?«
»Ich und Angst? Also, angetreten!«
Drei endlose Tage lang drillte Bakhen die Männer und forderte dabei ihre Kräfte bis aufs äußerste. Dann sonderte er die zwanzig Zähesten aus: Ramses war unter ihnen.
Am vierten Tag begann die Ausbildung an den Waffen: Knüppel, Kurzschwert, Schild. Bakhen gab nur ein paar Hinweise und hetzte die jungen Männer gegeneinander.
Sobald einer von ihnen am Arm verletzt wurde, legte Ramses sein Schwert auf den Boden. Die Kameraden machten es ihm nach.
»Was fällt euch ein?« brüllte Bakhen. »Los, weiter! Sonst könnt ihr gleich das Feld räumen!«
Die Rekruten beugten sich den Forderungen des Ausbilders, Schwächlinge und Tolpatsche wurden ausgesondert. Am Ende blieben nur zwölf Freiwillige übrig, die er für fähig hielt, Berufssoldaten zu werden.
Ramses hielt durch, zehn Tage Drill hatten seine Begeisterung nicht zu schmälern vermocht.
»Ich brauche einen Offizier«, erklärte Bakhen am Morgen des elften Tages.
Mit einer Ausnahme bewiesen alle Kandidaten gleiches Geschick im Umgang mit dem Akazienholzbogen, dessen Pfeile in gerader Linie hundert Ellen weit flogen.
Bakhen war zufrieden und erstaunt und zeigte ihnen daraufhin einen sehr großen Bogen, dessen Innenseite mit Horn überzogen war. Dann brachte er in dreihundert Ellen Entfernung von den Schützen eine Kupferplatte an.
»Nehmt diese Waffe und durchbohrt diese Scheibe.«
Den meisten gelang es nicht einmal, den Bogen zu spannen. Zweien gelang ein Schuß, doch ihre Pfeile flogen nicht weiter als zweihundert Ellen.
Ramses trat als letzter an, spöttisch von Bakhen beäugt. Drei Pfeile standen ihm zu, wie seinen Kameraden.
»Ein Prinz sollte sich nie der Lächerlichkeit preisgeben. Es haben schon Stärkere als du versagt.«
Ramses hatte nur Augen für die Zielscheibe, nichts anderes war ihm mehr wichtig.
Den Bogen zu spannen verlangte schon unermeßliche Kräfte; mit schmerzenden Muskeln bezwang er die Sehne aus Ochsendarm.
Der erste Pfeil schoß links am Ziel vorbei. Bakhen lachte höhnisch.
Ramses hielt den Atem an und schoß den zweiten Pfeil ab. Er flog über die Kupferscheibe hinaus.
»Dein letzter Versuch«, verkündete Bakhen.
Der Prinz schloß die Lider und hielt sie eine Weile fest geschlossen, um sich das Ziel innerlich vor Augen zu führen. Er redete sich ein, es sei ganz nah und er selbst sei nun der Pfeil, der den heftigen Wunsch verspüre, sich mit dem Kupfer zu vereinen.
Der letzte Schuß kam einer Befreiung gleich. Der Pfeil sirrte durch die Luft wie eine kampflustige Hornisse und durchbohrte die Scheibe.
Die Rekruten beklatschten den Sieger, Ramses gab Bakhen den Bogen zurück.
»Noch eine letzte Prüfung«, befand der Ausbilder, »ein Ringkampf, bei dem du gegen mich antreten wirst.«
»Gehört das dazu?«
»Bei mir gehört es dazu. Solltest du Angst haben, gegen mich anzutreten?«
»Ernenne mich zum Offizier.«
»Schlag dich, beweise, daß du fähig bist, gegen einen echten Soldaten anzutreten!«
Ramses war zwar größer als Bakhen, aber nicht so muskulös und längst nicht so geübt. Daher mußte er auf die Schnelligkeit seiner Reflexe setzen. Der Ausbilder griff ohne Vorwarnung an, der Prinz wich aus, und Bakhens Faust streifte seine linke Schulter. Fünfmal nacheinander gingen die Angriffe des Ausbilders ms Leere, dann gelang es ihm, das linke Bein seines Gegners zu packen und ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mit einem Fußtritt ins Gesicht befreite Ramses sich jedoch und hieb mit der Handkante auf Bakhens Nacken ein.
Ramses glaubte den Zweikampf schon gewonnen, als Bakhen, wütend und in seinem Stolz verletzt, auf die Beine sprang und seinen gesenkten Kopf dem Prinzen in die Brust rammte.
Iset, die Schöne, betupfte die Brust ihres Geliebten mit einem Balsam, der den Schmerz sogleich linderte.
»Besitze ich nicht heilende Hände?«
»Wie dumm ich war«, murmelte Ramses.
»Dieses Ungeheuer hätte dich töten können.«
»Er tat nur seine Arbeit. Ich habe einen Fehler gemacht, weil ich glaubte, ihn besiegt zu haben. An der Front wäre ich jetzt längst tot.«
Isets Hände wurden noch zärtlicher und noch leidenschaftlicher.
»Ich bin so glücklich, daß du hiergeblieben bist! Krieg ist ein Greuel.«
»Manchmal ist er notwendig.«
»Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich liebe.«
Mit der Geschmeidigkeit einer Katze legte sich die junge Frau über ihren Geliebten.
»Vergiß Kampf und Gewalt, bin ich denn nicht viel angenehmer?«
Ramses stieß sie nicht zurück und ließ der Lust, die sie ihm schenkte, freien Lauf. Dabei empfand er noch ein tieferes Glück, von dem er nichts sagte: er hatte sein Offizierspatent erworben.