37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

FÜNFUNDZWANZIG

CHENAR WAR ZORNIG. Zum zehntenmal hatte die Königin es abgelehnt, ihn an der Führung der Staatsgeschäfte zu beteiligen, und das unter dem Vorwand, sein Vater habe dafür keinerlei Weisung erteilt. Seine Stellung als Nachfolger des Pharaos verlieh ihm noch lange nicht das Recht, sich einzumischen in Dinge, die für ihn noch zu schwierig waren.

Der ältere Sohn des Königs beugte sich dem Willen seiner Mutter und verbarg seinen Unwillen, aber er begriff, daß sein Netz von Freunden und Zuträgern noch zu schwach war, um Tuja wirksam entgegenzuarbeiten. Daher beschloß Chenar, anstatt sich zu grämen, lieber auf seinen eigenen Vorteil hinzuwirken.

Ohne große Worte bat er etliche einflußreiche Persönlichkeiten, denen Traditionen etwas bedeuteten, zum Abendessen und spielte den bescheidenen, ratsuchenden Gastgeber. Da er auf jegliche Überheblichkeit verzichtete, glaubte man ihm die Rolle des mustergültigen Sohnes, dessen einziger Ehrgeiz dann bestand, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Seine Worte fanden Gefallen, und so gewann Chenar, dessen Zukunft ja vorgezeichnet war, zahlreiche Anhänger.

Allerdings mußte Chenar feststellen, daß die Außenpolitik ihm entglitt, doch sein Hauptanliegen galt ja ohnehin den Handelsbeziehungen mit anderen, selbst mit feindlich gesinnten Ländern. Aber wie sollte man den tatsächlichen Stand der diplomatischer Beziehungen kennen, ohne einen sachkundigen und williger Mann in seinen Reihen zu haben? Es genügte nicht, bei den Händlern Gehör zu finden. Ihnen fehlte ja der Weitblick und vor allem der Einblick in die Pläne ihrer Herrscher.

Man müßte einen Gesandten, der Sethos nahestand, für sich gewinnen. Das war die ideale Lösung, doch sie schien unerreichbar. Chenar benötigte Auskünfte aus erster Hand, um seine eigene Strategie zu entwickeln und im geeigneten Moment die ägyptische Politik von Grund auf zu ändern.

Das Wort »Verrat« kam ihm in den Sinn, aber es entrang ihm nur ein müdes Lächeln. Wen würde er denn schon verraten? Höchstens das Vergangene und Überkommene.

Von der Höhe der Felsterrasse Serabit el-Khadims aus überblickte man eine Kette von Bergen und Tälern, deren ungeordnetes Gefüge die Seele verwirrte. In diesem Chaos, wo Feindseligkeit spürbar war, bot nur der Türkisberg beschaulichen Frieden.

Ramses betrachtete die Berglandschaft zu seinen Füßen: das kostbare blaue Gestein schien greifbar nahe in all den Adern der Felsnase! Doch so leicht war es nicht immer zu packen. Generationen von Bergleuten hatten unterirdische Gänge und Stollen gegraben und ihr Werkzeug zurückgelassen. Hier war kein Dauerquartier errichtet worden, denn Türkis konnte nur in der warmen Jahreszeit abgebaut werden, weil er sonst seine Farbe und seine Reinheit eingebüßt hätte.

Die erfahrenen Steinhauer nahmen die Neulinge in die Mitte, und dann machte man sich schnell ans Werk, um so kurz wie möglich an diesem abgelegenen Ort zu verweilen. Man bezog steinerne Hütten, die mehr oder minder vor Nachtfrost schützten, und besserte sie sorgfältig aus. Bevor er den Befehl gab, mit der Arbeit zu beginnen, zelebrierte der Pharao ein Ritual im kleinen Hathor-Tempel, um die Himmelsgöttin um Hilfe und Schutz zu ersuchen. Die Ägypter seien nicht gekommen, um dem Berg Wunden zu schlagen, sondern um die Frucht ihres Leibes zu ernten, die in den Tempeln geopfert werden sollte und, verarbeitet zu Schmuckstücken, der Nachwelt von der ewigen und erneuernden Schönheit der Herrin der Sterne künden werde.

Bald schon hallte der Klang von Meißel, Hammer und Steinschere durch die Berge, nur übertönt vom Gesang der Bergleute, die in Grüppchen eingeteilt waren. Sethos selbst feuerte sie an. Ramses stattete den hier errichteten Stelen einen Besuch ab, um den geheimen Mächten des Himmels und der Erde zu huldigen und an die Leistungen derer zu erinnern, die Jahrhunderte früher riesige Edelsteine entdeckt hatten.

Moses nahm seine Aufgabe sehr ernst und vergewisserte sich des Wohlergehens jedes einzelnen. Kein Arbeiter litt Hunger oder Durst, und kein Altar entbehrte des Weihrauchs. Weil die Männer den Göttern huldigten, schenkten diese ihnen Wunder wie diesen riesigen Türkis, den ein junger Arbeiter mit begnadeten Händen vorzeigte und emporhielt.

In der unwegsamen Berglandschaft hatte die Expedition keinen Überraschungsangriff zu fürchten. Niemand konnte diese steilen Hänge erklimmen, ohne von den Spähern gesichtet zu werden, daher war Ramses’ Aufgabe ungemein leicht. An den ersten Tagen ließ er noch eiserne Disziplin walten, die aber bald schon übertrieben erschien. Er wahrte zwar gewisse Sicherheitsvorkehrungen, gestattete aber den Soldaten auch Muße und ausgedehnte Mittagsruhe, die sie über alles schätzten.

Da er selbst keinen Müßiggang ertragen konnte, versuchte er Moses zu helfen. Doch sein Freund ließ nicht mit sich reden, er wollte seinen Pflichten allein nachkommen. Auch bei den Bergleuten hatte der Prinz keinen Erfolg. Sie rieten ihm ab, sich allzu lange in den Stollen aufzuhalten. Schließlich befahl ihm ein zornentbrannter Bakhen, sich zufriedenzugeben mit dem ihm zugeteilten Posten und den Arbeitsablauf im Steinbruch nicht zu stören.

Also widmete Ramses sich ganz seinen Untergebenen. Er befragte sie über ihren beruflichen Werdegang, ihre Familien, hatte ein Ohr für ihre Klagen, verwarf die eine oder andere Kritik und hieß wieder andere gut. Sie wünschten sich einen besser entlohnten Lebensabend und mehr Anerkennung gemäß den geleisteten Diensten unter oft schwierigen Umständen, fern ihres heimatlichen Bodens. Wenige von ihnen hatten Gelegenheit gehabt, sich im Kampf zu beweisen, aber alle hatten in den Steinbrüchen, auf großen Baustellen oder auf Expeditionen wie dieser Dienst getan. Obwohl sie es nicht leicht hatten, waren sie doch stolz auf ihre Arbeit. Und welch herrliche Geschichten wußten jene zu berichten, die das Glück gehabt hatten, mit dem Pharao durchs Land zu ziehen!

Ramses beobachtete.

Er lernte den Alltag des Abbaubetriebs kennen, erkannte die Notwendigkeit einer Rangordnung, die auf Kenntnissen und nicht auf Rechten fußte, unterschied zwischen Arbeitseifrigen und Müßiggängern, zwischen Ausdauer und Flatterhaftigkeit, zwischen Schweigern und Schwätzern. Und stets kehrte sein Blick zu den Stelen zurück, die die Vorfahren errichtet hatten, zu dieser Geradlinigkeit, die jenes Wesen verlangt hatte, das auch der Wüste etwas Heiliges ins Herz pflanzte.

»Sie sind überwältigend, nicht wahr?«

Sein Vater hatte ihn überrascht.

In dem schlichten Schurz, wie ihn auch seine Vorgänger im Alten Reich getragen hauen, verkörperte er dennoch den Pharao. Von ihm ging eine Kraft aus, die Ramses bei jeder Begegnung von neuem beeindruckte. Sethos bedurfte keiner Herrschaftszeichen, seine Gegenwart reichte aus, um seine Macht herauszustellen. Kein anderer verfügte über solch magische Kräfte. Die anderen nutzten Kunstkniffe oder gekünsteltes Gehabe, Sethos brauchte nur zu erscheinen, und schon wurde aus Chaos Ordnung.

»Sie stimmen mich besinnlich«, bekannte Ramses.

»Sie sind lebendige Sprache. Anders als die Menschen lügen und verraten sie nie. Die Bauwerke eines Tyrannen werden zerstört, die Taten eines Lügners sind vergängliche Werke. Des Pharaos Stärke beruht allein auf dem Gesetz der Maat.«

Ramses war erschüttert, galten diese Worte ihm? Hatte er zerstört, verraten oder gelogen? Er wollte aufspringen, bis zum Rand der Hochebene laufen, den Abhang hinunter und in der Wüste untertauchen. Welchen Fehler hatte er bloß begangen? Er erwartete eine genauere Beschuldigung, aber sie kam nicht. Der König richtete den Blick in die Ferne.

Chenar! Natürlich, sein Vater spielte auf Chenar an, ganz sicher, er nannte ihn nur nicht beim Namen! Er hatte seine Schliche durchschaut und deutete Ramses hiermit seinen wahren Rang an. Wieder würde sich das Schicksal wandeln! Der Prinz war überzeugt, diese Worte waren ein Lob für ihn, und er schwankte zwischen Hoffnung und Enttäuschung.

»Welches Ziel hat diese Expedition?«

Ramses zögerte, verbarg sich hinter dieser einfachen Frage vielleicht eine Falle?

»Türkise heimzubringen für die Götter.«

»Sind sie unerläßlich für den Wohlstand des Landes?«

»Nein, aber wie könnten wir ihrer Schönheit entsagen?«

»Gewinn soll nicht unseren Reichtum begründen, er würde ihn von innen her zerstören. Erkenne in jedem Wesen und in jedem Ding das, was seinen Ruhm ausmacht, das heißt seine Beschaffenheit, seinen Wert, seine Ausstrahlung und seinen Geist. Suche, was sich nicht ersetzen läßt.«

Ramses war, als dringe ein Licht in ihn ein, das seinem Herzen Kraft verlieh. Sethos’ Worte prägten sich ihm ein für ewig.

»Der Kleine wie der Große erhalte vom Pharao seinen Lebensunterhalt, und die Zuteilung muß gerecht sein. Vernachlässige nicht den einen auf Kosten des anderen, wisse sie zu überzeugen, daß die Gemeinschaft wichtiger ist als der einzelne. Was dem Bienenstock nutzt, nutzt der Biene, und die Biene hat dem Bienenstock, dem sie ihr Leben verdankt, zu dienen.«

Die Biene, sie war eines der Schriftzeichen für den Pharao! Sethos sprach über die Ausübung des höchsten Amtes, und nach und nach enthüllte er Ramses die Geheimnisse des ägyptischen Königtums.

Erneut befiel ihn Schwindel.

»Erzeugen ist wichtig«, fuhr Sethos fort, »verteilen noch wichtiger. Ein Überfluß an Reichtümern auf Seiten einer Kaste zieht Unglück und Zwietracht nach sich, eine gerecht verteilte kleine Menge spendet Freude. Die Geschichte einer Regentschaft soll eine Geschichte von Festlichkeit sein. Damit dies gelingt, darf kein Bauch Hunger leiden. Beobachte, mein Sohn, laß nicht ab, beobachte gut. Denn wenn du nicht zum Seher wirst, wirst du den Sinn meiner Worte nicht erkennen.«

Ramses verbrachte eine schlaflose Nacht, er starrte auf eine blaue Gesteinsader, die am Rande der Hochebene zutage trat. Er bat Hathor, die Finsternis zu zerstreuen, in der er sich verfangen hatte und nicht mehr wog als ein Strohhalm.

Sein Vater verfolgte einen genauen Plan, aber welchen? Ramses hatte aufgehört, an eine Zukunft als König zu glauben. Aber wieso beschenkte Sethos, der doch berühmt dafür war, mit Vertraulichkeiten zu geizen, ihn mit Lehrsätzen wie diesen? Moses hätte die Absichten des Herrschers vielleicht eher begriffen, aber er als Prinz mußte allein kämpfen und seinen eigenen Weg entwerfen.

Kurz vor Morgengrauen trat ein Schatten aus dem Hauptstollen. Ohne das Licht des sterbenden Mondes hätte Ramses an die Erscheinung eines Dämons geglaubt, der es eilig hatte, in ein anderes Schlupfloch zu flüchten. Aber dieser Dämon hatte eine menschliche Gestalt und preßte einen Gegenstand an sich.

»Wer bist du?«

Der Mann blieb kurz stehen, wandte den Kopf in Richtung des Prinzen und lief dann zum abschüssigen Teil des Plateaus, wo die Grubenarbeiter nur eine Bauhütte erstellt hatten.

Ramses heftete sich dem Flüchtenden an die Fersen.

»Bleib stehen!«

Der Mann lief schneller, Ramses ebenfalls. Er gewann an Boden und erreichte die fremde Gestalt kurz vor dem Steilhang.

Der Prinz machte einen Satz und packte ihn an den Beinen. Der Dieb stürzte, ohne seine Beute loszulassen, griff mit der Linken nach einem Stein und versuchte, seinem Angreifer den Schädel einzuschlagen. Mit einem Ellbogenhieb in den Brustkasten verschlug Ramses ihm den Atem. Dem Mann gelang es trotzdem, sich aufzurichten, doch er verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings.

Min Schmerzensschrei, dann noch einer und dann das Geräusch eines von Fels zu Fels stürzenden Körpers, der unten am Hang liegenblieb.

Als Ramses bei ihm ankam, war der Mann tot, aber den Sack voller Türkise preßte er nach wie vor gegen seine Brust.

Dieser Dieb war kein Unbekannter. Es war der Wagenlenker, der Ramses bei der Wüstenjagd in die Falle gelockt hatte, die ihn das Leben hatte kosten sollen.