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Der alte gesandte war stolz, seinem Land so viele Jahre gedient und mit seinem Rat drei Pharaonen geholfen zu haben, zwischen Ägypten und den Fremdländern zu vermitteln. Er schätzte Sethos’ Umsicht, weil der Erhalt des Friedens ihm wichtiger war als kriegerische Heldentaten, die zu nichts führten.
Bald würde er sich in Theben zur Ruhe setzen, unweit des Tempels von Karnak, und sich seiner Familie widmen, die er wegen seiner ständigen Reisen ohnehin zu sehr vernachlässigt hatte. Eine Freude war ihm noch beschert worden in diesen letzten Tagen: Er durfte den jungen, hochbegabten Acha ausbilden. Dieser junge Mann lernte schnell und merkte sich, was wichtig war. Aus Oberägypten zurückgekehrt, wo er eine heikle Kundschaftertätigkeit mit erstaunlichem Fingerspitzengefühl gemeistert hatte, war er aus eigenem Antrieb gekommen, um bei dem erfahrenen Gesandten Unterricht zu nehmen. Dieser hatte ihn sofort wie einen Sohn aufgenommen, ihn nicht nur theoretisch unterwiesen, sondern ihm auch die geheimen Kanäle genannt und gewisse Kniffe verraten, die man nur durch Erfahrung erwirbt. Manchmal war Acha ihm sogar schon einen Gedanken voraus. Bei seiner Einschätzung der Beziehungen zwischen den Ländern bewies er einen ausgeprägten Sinn für die Gegebenheiten und die Zukunftsaussichten.
Der Sekretär des Gesandten meldete den Besuch Chenars, der ehrerbietig um ein Gespräch bat. Den älteren Sohn des Pharaos und designierten Nachfolger wies man nicht ab. Daher empfing der hohe Beamte, obwohl er sich müde fühlte, den rundgesichtigen, dünkelhaften Besucher. Die kleinen braunen Augen zeugten allerdings von einem wachen Geist; ihn für einen ungefährlichen Gegner zu halten wäre ein schwerer Fehler gewesen.
»Dein Kommen ehrt mich.«
»Ich empfinde tiefe Bewunderung für dich«, erklärte Chenar herzlich. »Wie jeder weiß, berätst du meinen Vater in allen diplomatischen Angelegenheiten.«
»Das ist zuviel gesagt, der Pharao entscheidet selbst.«
»Dank deiner nützlichen Auskünfte.«
»Die Diplomatie ist eine Kunst, die Fingerspitzengefühl erfordert; ich versuche, sie so gut wie möglich zu beherrschen.«
»Mit großem Erfolg.«
»Sofern die Götter mir gewogen sind. Möchtest du ein Süßbier?«
»Mit Vergnügen.«
Die beiden Männer setzten sich in eine Laube, in die der Nordwind Kühlung brachte. Eine graue Katze sprang dem alten Gesandten auf den Schoß, rollte sich zusammen und schlief ein.
Der Diener füllte zwei Schalen mit bekömmlichem Bier und entfernte sich dann.
»Überrascht dich mein Besuch nicht?«
»Ein wenig, das gebe ich zu.«
»Ich wünsche, daß unser Gespräch vertraulich bleibt.«
»Das versteht sich von selbst.«
Chenar sammelte sich, der alte Diplomat dagegen war eher belustigt. Wie oft schon hatte er es mit Bittstellern zu tun gehabt, die um seine Dienste ersuchten. Je nachdem half oder riet er ab. Daß ein Königssohn sich so weit herabließ, schmeichelte ihm.
»Es heißt, du beabsichtigst, dich zurückzuziehen.«
»Das ist kein Geheimnis. In ein oder zwei Jahren werde ich mich mit dem Einverständnis des Königs aus den Amtsgeschäften zurückziehen.«
»Bedauerst du es?«
»Ich fühle mich allmählich matt, das Alter wird hinderlich.«
»Der Schatz der Erfahrung ist unbezahlbar.«
»Deshalb verschenke ich ihn auch an junge Leute wie Acha; morgen werden sie in die Diplomatie eingeführt.«
»Kannst du Sethos’ Entscheidungen uneingeschränkt gutheißen?«
Der alte Diplomat fühlte sich unbehaglich.
»Ich verstehe deine Frage nicht recht.«
»Ist unsere feindliche Haltung den Hethitern gegenüber noch gerechtfertigt?«
»Du kennst sie nicht.«
»Sind sie nicht darauf bedacht, mit uns Handel zu treiben?«
»Die Hethiter wollen Ägypten an sich reißen, und diesen Plan werden sie niemals aufgeben. Es gibt keine andere Möglichkeit als die vom König verfolgte Politik der aktiven Verteidigung.«
»Und wenn ich eine andere vorschlüge?«
»Darüber sprich mit deinem Vater, nicht mit mir.«
»Aber genau mit dir und niemand anderem möchte ich darüber sprechen.«
»Du erstaunst mich.«
»Teil mir alles mit, was du über die Fürstentümer der fremden Länder weißt, ich werde es dir danken.«
»Dazu bin ich nicht befugt. Was im Rat gesprochen wird, muß streng geheim bleiben.«
»Genau das möchte ich aber erfahren.«
»Beharr nicht darauf.«
»Morgen werde ich König sein, bedenk das.«
Dem alten Diplomaten stieg die Röte ins Gesicht.
»Soll das eine Drohung sein?«
»Du bist noch nicht im Ruhestand, ich benötige deine Erfahrung. Die Politik der Zukunft wird mein Siegel tragen. Sei mein geheimer Verbündeter, du wirst es nicht zu bereuen haben.«
Der alte Gesandte pflegte seinem Zorn nicht leicht nachzugeben, doch diesmal siegte die Empörung.
»Wer auch immer du bist, deine Forderungen sind unannehmbar! Wie kann der Sohn des Pharaos überhaupt den Gedanken hegen, seinen Vater zu verraten?«
»Beruhige dich, ich bitte darum.«
»Nein, ich werde mich nicht beruhigen! Dein Benehmen ist eines zukünftigen Königs unwürdig. Dein Vater muß davon in Kenntnis gesetzt werden.«
»Wag dich nicht zu weit vor.«
»Verlaß mein Haus!«
»Solltest du vergessen haben, mit wem du sprichst?«
»Mit einem schändlichen Menschen!«
»Ich verlange Stillschweigen.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Dann werde ich dich mundtot machen.«
»Mich, mundtot…?«
Dem alten Diplomaten verschlug es den Atem, er preßte seine Hände aufs Herz und brach zusammen. Chenar rief nach den Dienern, der Würdenträger wurde auf ein Lager gebettet und ein Arzt herbeigerufen, der jedoch nur noch den Tod feststellen konnte, ausgelöst von einem plötzlichen Herzanfall.
Chenar hatte Glück gehabt. Sein gewagter Vorstoß nahm eine glückliche Wendung.
Iset, die Schöne, schmollte.
Sie hielt sich im Haus ihrer Eltern verborgen und weigerte sich, Ramses zu empfangen. Sie gab vor, Müdigkeit verunstalte ihre Gesichtszüge. Diesmal würde sie ihm sein überstürztes Verschwinden und seine lange Abwesenheit heimzahlen. Hinter einem Vorhang im oberen Geschoß belauschte sie den Wortwechsel zwischen ihrer Zofe und dem Prinzen.
»Übermittle deiner Herrin meine Wünsche zu baldiger Genesung«, sagte Ramses, »und melde ihr auch, daß ich nicht nochmals komme.«
»Nein!« schrie sie auf.
Sie schob den Vorhang zur Seite, rannte die Stufen hinunter und warf sich ihrem Geliebten in die Arme.
»Es geht dir anscheinend schon wieder viel besser.«
»Geh nicht fort, sonst werde ich wirklich krank.«
»Willst du von mir verlangen, dem König nicht zu gehorchen?«
»Diese Expeditionen sind widerlich, und ohne dich langweile ich mich.«
»Solltest du Einladungen abgelehnt haben?«
»Nein, aber da muß ich dauernd die Angebote junger Adeliger zurückweisen. Wenn du dabei wärst, würde man mich nicht so belästigen.«
»Manchmal ist Reisen gar nicht so nutzlos, wie du denkst.«
Ramses machte sich los und zeigte der jungen Frau eine Schatulle. Erstaunt riß sie die Augen auf.
»Öffne sie.«
»Ist das ein Befehl?«
»Tu, was dir beliebt.«
Iset hob den Deckel. Was sie da vor sich sah, entlockte ihr einen Schrei der Bewunderung.
»Ist das für mich?«
»Mit Erlaubnis des Expeditionsleiters.«
Stürmisch umarmte sie ihn.
»Leg es mir um den Hals.«
Ramses kam ihrem Wunsch nach. Die Kette aus Türkisen zauberte einen funkelnden Glanz in die grünen Augen der jungen Frau. Damit würde sie alle ihre Rivalinnen ausstechen.
Ameni durchwühlte immer noch die Scherbenhaufen. Kein Mißerfolg vermochte seine Hartnäckigkeit zu mindern. Noch gestern hatte er mehrere Mosaiksteinchen des Rätsels zu entdecken geglaubt, hatte gehofft, einen Zusammenhang herstellen zu können zwischen der Werkstatt und ihrem Eigner. Aber er mußte aufgeben, die Inschrift war unleserlich, und es fehlten Schriftzeichen.
Diese Suche hinderte den jungen Schreiber aber nicht daran, seine Arbeit gewissenhaft auszuführen. Ramses erhielt jetzt mehr und mehr Schriftstücke, die beantwortet werden mußten, und zwar mit den jeweils angemessenen Höflichkeitsformeln. Der Ruf des Prinzen, das war ihm wichtig, sollte untadelig sein. Gerade hatte Ameni letzte Hand an den Bericht über die Expedition in die Türkisberge gelegt.
»Dein Ansehen wächst«, bemerkte Ramses.
»Das Hintertreppengemunkel beeindruckt mich nicht.«
»Man ist der Meinung, du verdientest ein besseres Amt.«
»Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, dir zu dienen.«
»Denk auch an deine Laufbahn, Ameni.«
»Sie ist längst vorgezeichnet.«
Diese unbeirrbare Freundschaft erfüllte das Herz des Prinzen mit Freude. Doch würde er es verstehen, sich ihrer immer würdig zu erweisen? Ameni war jemand, der hohe Ansprüche stellte.
»Bist du bei deinen Nachforschungen vorangekommen?«
»Nein, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Und du?«
»Obwohl die Königin sich eingeschaltet hat, gibt es keine ernstzunehmende Spur.«
»Weil es einen Namen gibt, den niemand auszusprechen wagt«, meinte Ameni.
»Zu Recht, das glaubst du doch auch? Eine Anklage ohne Beweise wäre ein schweres Vergehen.«
»Das höre ich gern aus deinem Mund. Weißt du eigentlich, daß du Sethos immer ähnlicher wirst?«
»Ich bin sein Sohn.«
»Chenar ebenfalls, auch wenn man daran zweifeln möchte.«
Ramses war nervös. Wieso war Moses kurz vor seiner Abreise zum Harim Mer-Our in den Palast bestellt worden? Während der Expedition hatte der Freund keinen Fehler begangen. Im Gegenteil, Grubenarbeiter wie Offiziere waren des Lobes voll gewesen für den jungen Versorgungsbeamten und hatten ihn den anderen als Vorbild hingestellt. Aber üble Nachrede und Verleumdung gab es ja immer. Seine Beliebtheit hatte vielleicht einen hochgestellten Dummkopf in den Schatten gestellt.
Ameni schrieb unbeirrbar weiter.
»Bist du nicht besorgt?«
»Wegen Moses? Nein. Er ist von deiner Art: je mehr man ihm abverlangt, desto stärker wird er.«
Diese Behauptung vermochte Ramses nicht zu beruhigen. Der Hebräer hatte einen so ausgeprägten Charakter, daß er eher Eifersucht als Hochachtung weckte.
»Anstatt zu grübeln«, riet Ameni, »solltest du lieber die letzten königlichen Verfügungen lesen.«
Der Prinz machte sich mit Eifer an die Arbeit, konnte sich jedoch nur schwer konzentrieren. Immer wieder sprang er auf und lief auf der Terrasse hin und her.
Kurz vor Mittag sah er Moses aus dem Verwaltungsgebäude, wohin er bestellt worden war, herauskommen. Da er es nicht mehr erwarten konnte, rannte er die Treppe hinab und eilte ihm entgegen.
Der Hebräer wirkte fassungslos.
»Los, sag schon!«
»Man bietet mir den Posten eines Vorarbeiters auf den königlichen Baustellen an.«
»Dann ist es also aus mit dem Harim?«
»Ich werde von Stadt zu Stadt ziehen und unter Leitung eines Baumeisters die Arbeiten an Tempel- und Palastbauten überwachen.«
»Hast du angenommen?«
»Ist das denn nicht besser als das einlullende Dasein im Harim?«
»Dann ist es ja eine Beförderung! Acha ist in der Stadt, Setaou ebenfalls, also werden wir heute abend feiern.«