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Sary, Ramses’ erzieher, suchte im ganzen Palast nach seinem Zögling. Es war nicht das erste Mal, daß der junge Mann, anstatt rechnen zu lernen, sich davonstahl, um nach den Pferden zu schauen oder mit einer Horde vergnügungssüchtiger und widerspenstiger Freunde ein Wettschwimmen zu veranstalten.
Der beleibte, leutselige, jedem Sport abholde Sary hatte ständig etwas auszusetzen an seinem Zögling. Doch in helle Aufregung geriet er bei Torheiten dieser Art, denn er verdankte den beneideten Posten eines Prinzenerziehers eigentlich nur seiner Heirat mit einer sehr viel jüngeren Frau, und die war die ältere Schwester von Ramses.
Beneidet… Die hatten ja alle keine Ahnung, wie störrisch und unbeugsam dieser jüngere Sohn des Pharaos sich gebärdete! Wäre er – Sary – nicht von Natur aus so geduldig und so erpicht darauf, einem oft unverschämten und überaus selbstsicheren Knaben die Welt des Geistes zu eröffnen, hätte er sein Amt längst niedergelegt. Wie es die Tradition gebot, kümmerte der Pharao sich nicht um die Erziehung seiner Kinder, solange sie noch klein waren. Er wartete den Augenblick ab, da im Jüngling der Erwachsene zum Vorschein kam. Dann erst fanden die erste Begegnung und die erste Prüfung statt, die erweisen sollten, ob er würdig wäre, eines Tages zu regieren. In diesem Fall war die Entscheidung längst gefallen:
Chenar, der Ältere, würde den Thron besteigen. Dennoch oblag ihm, Sary, die schwierige Aufgabe, das Ungestüm des jungen Ramses in die richtigen Bahnen zu leiten, um einen guten Heerführer oder zumindest einen zufriedenen Höfling aus ihm zu machen.
Sary, in der Blüte seiner dreißig Jahre, hätte es sich eigentlich ganz gern wohl sein lassen am Weiher seines herrschaftlichen Anwesens, in Gesellschaft seiner zwanzigjährigen Gemahlin. Aber wäre es nicht auch langweilig? Dank Ramses glich kein Tag dem anderen. Der Tatendrang dieses Knaben war nicht zu löschen, ständig fiel ihm etwas Neues ein, etliche Erzieher hatte er aufgerieben, bevor er sich mit Sary abfand. Trotz häufiger Zusammenstöße war es Sary gelungen, den Geist des jungen Mannes zu wecken und ihm alle Wissenschaften nahezubringen, die ein Schreiber kennen und beherrschen mußte. Wenn er es sich auch nicht eingestehen wollte, so bereitete es ihm doch Vergnügen, den wachen Verstand des jungen Ramses mit den oft verblüffenden Einfallen zu schärfen.
In der letzten Zeit waren ihm Veränderungen aufgefallen. Der junge Mann, der keinen Augenblick tatenlos verharren konnte, vertiefte sich plötzlich in die Lehren des alten Weisen Ptah-hotep; Sary hatte ihn sogar dabei überrascht, wie er traumverloren den Tanz der Lerchen im Morgenlicht betrachtete. Er wurde langsam reifer, bald wäre sein Werk vollendet. In vielen Fällen gelang das nicht. Aus welchem Holz würde der Mann Ramses wohl gemacht sein, fragte sich sein Erzieher so manches Mal. Würde das Feuer der Jugend sich wandeln in ein anderes, nicht so ungestümes, aber ebenso kraftvolles Feuer?
Wie sollte er sich keine Sorgen machen angesichts einer so breitgefächerten Begabung? Am Hofe wie auch in jeder anderen Gesellschaftsschicht waren die Mittelmäßigen, deren Nachfolge gesichert war, abweisend, wenn nicht gar haßerfüllt gegenüber jenen, deren Persönlichkeit sie noch bedeutungsloser erscheinen ließ. Obwohl Sethos’ Nachfolge niemanden überraschte und Ramses sich nicht zu scheren hatte um die unausbleiblichen Ränke, die mit Macht ausgestattete Männer immer schmiedeten, konnte seine Zukunft dennoch weniger rosig aussehen als geplant. Einige überlegten bereits, wie sie ihn von hohen Staatsämtern ausschließen könnten, der eigene Bruder als erster. Was würde aus ihm werden, abgeschoben in eine ferne Provinz, könnte er sich an das Landleben und den ewig gleichen Lauf der Jahreszeiten gewöhnen?
Sary hatte nicht gewagt, derartig quälende Gedanken der Schwester seines Zöglings anzuvertrauen. Sie war zu schwatzhaft. Und mit Sethos offen darüber zu sprechen war undenkbar. Der Pharao war ein Arbeitstier und vollauf damit beschäftigt, das aufblühende Land zu verwalten. Wie sollte er da Kümmernissen eines Erziehers Aufmerksamkeit schenken? Es war gut, daß Vater und Sohn keinerlei Kontakt hatten. Angesichts einer so mächtigen Person wie Sethos hätte Ramses keine andere Wahl, als sich aufzulehnen oder zu kuschen. Die Tradition hatte schon etwas Gutes: Väter sind nicht die geeignetsten Erzieher ihrer Kinder.
Tuja, die große königliche Gemahlin und Ramses’ Mutter, nahm eine völlig andere Haltung ein. Sary gehörte zu den wenigen, dem ihre deutliche Vorliebe für den jüngeren Sohn aufgefallen war. Gebildet und lebensklug, wie sie war, kannte sie die guten wie die schlechten Eigenschaften eines jeden Höflings. Sie war die unbestrittene Herrscherin über den königlichen Hausstand, wachte über die strenge Einhaltung der Anstandsregeln und stand beim Adel wie auch beim Volk in hohem Ansehen. Sary hingegen fürchtete Tuja. Belästigte er sie mit lächerlichen Befürchtungen, würde er in ihrer Achtung sinken. Geschwätz schätzte die Königin nicht; eine unbegründete Anschuldigung war in ihren Augen ebenso verwerflich wie eine Lüge. Es war ratsamer, zu schweigen, anstatt den Unheilkünder zu spielen.
Sary bezwang seinen Widerwillen und ging zu den Stallungen. Er hatte Angst vor Pferden, die keilten immer aus, und die Pferdepfleger und besonders die lächerlich hochmütigen Reiter, die konnte er schon gar nicht leiden. Er überhörte die Spötteleien, während er durch die Stallungen hastete, wo er seinen Zögling jedoch vergeblich suchte. Seit zwei Tagen hatte keiner ihn gesehen, worüber man verwundert war.
Stunde um Stunde mühte sich Sary, Ramses wiederzufinden. Er vergaß dabei sogar das Mittagessen. Bei Einbruch der Nacht kehrte er entmutigt, von oben bis unten staubbedeckt, in den Palast zurück. Schon bald müßte er das Verschwinden seines Zöglings melden und beweisen, daß er völlig unschuldig war an diesem Verhängnis. Wie sollte er der Schwester des Prinzen gegenübertreten?
Er war so mißmutig, daß er sogar vergaß, seine Amtsbrüder zu grüßen, die aus dem Unterrichtssaal kamen. Gleich morgen früh würde er, wenn er sich auch wenig Hoffnung machte, Ramses’ beste Freunde befragen. Erhielt er keinerlei Hinweis, mußte er sich in die grauenvolle Wirklichkeit fügen.
Was hatte er den Göttern nur angetan, daß ein böser Geist ihn so quälen durfte? Ein solcher Bruch in seiner Laufbahn wäre doch die schreiendste Ungerechtigkeit. Der Hof würde ihn verjagen, seine Gemahlin ihn verstoßen, und den Rest seiner Tage könnte er als Wäscher zubringen! Schaudernd beim Gedanken an einen derartigen Abstieg, setzte sich Sary in Schreiberpose an seinen angestammten Platz.
Für gewöhnlich saß Ramses ihm gegenüber, mal aufmerksam, mal verträumt, aber stets zu einer unerwarteten Antwort bereit.
Im Alter von acht Jahren schon hatte er mit sicherer Hand Hieroglyphen zu zeichnen vermocht, weil diese Übung ihm gefiel.
Der Erzieher schloß die Lider, um die glücklichsten Augenblicke seines gesellschaftlichen Aufstiegs in sein Gedächtnis zu rufen.
»Bist du krank, Sary?«
Diese Stimme… Wie ernst und autoritär sie schon klang!
»Du bist’s? Bist du es wirklich?«
»Wenn du schläfst, schlaf weiter; wenn nicht, schau her.«
Sary öffnete die Augen.
Es war wirklich Ramses, auch er war staubbedeckt, aber sein Blick funkelte.
»Wir müssen uns beide wohl erst einmal waschen; wo hast du dich denn herumgetrieben, Erzieher?«
»An schmutzigen Orten wie den Stallungen.«
»Solltest du mich gesucht haben?«
Verdutzt stand Sary auf und ging um Ramses herum.
»Was hast du mit der Kindheitslocke gemacht?«
»Mein Vater hat sie mir eigenhändig abgeschnitten.«
»Unmöglich! Das Ritual verlangt, daß…«
»Ziehst du meine Worte etwa in Zweifel?«
»Verzeih mir.«
»Setz dich, Erzieher, und hör mir zu.«
Sary gehorchte, der Ton des Prinzen, der kein Kind mehr war, beeindruckte ihn.
»Mein Vater hat mir die Mutprobe mit dem wilden Stier auferlegt.«
»Das… das kann doch nicht sein!«
»Besiegt habe ich ihn nicht, aber ich habe dem Ungeheuer die Stirn geboten, und ich glaube, daß mein Vater mich als zukünftigen Regenten ausersehen hat!«
»Nein, mein Prinz; dein älterer Bruder wurde bereits benannt.«
»Hat er die Stierprobe bestanden?«
»Sethos wollte dich nur mit der Gefahr konfrontieren, die du ja so liebst.«
»Hätte er wegen solch einer Belanglosigkeit seine Zeit vergeudet? Kr hat mich berufen, da bin ich mir ganz sicher!«
»Berausche dich nicht, entsage diesem Wahn.«
»Wahn?«
»Es gibt genügend einflußreiche Persönlichkeiten bei Hofe, die dich ganz und gar nicht schätzen.«
»Was wirft man mir vor?«
»Du selbst zu sein.«
»Willst du mir etwa nahelegen, ins Glied zurückzutreten?«
»Die Vernunft erfordert es.«
»Sie besitzt nicht die Kraft eines Stieres.«
»Die Machtspiele sind grausamer, als du dir vorstellst. Unerschrockenheit genügt nicht, um als Sieger daraus hervorzugehen.«
»Dann wirst du mir eben helfen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Du kennst die Gepflogenheiten bei Hofe; benenne mir meine Freunde und meine Feinde, und dann berate mich.«
»Verlang nicht zuviel von mir… Ich bin nur dein Erzieher.«
»Solltest du vergessen haben, daß meine Kindheit vorüber ist? Entweder wirst du mein Lehrmeister, oder wir werden uns trennen.«
»Du zwingst mich, unüberlegt Wagnisse einzugehen, und besitzt doch selbst nicht das Zeug für die höchste Macht. Dein älterer Bruder bereitet sich seit langem darauf vor. Reiz ihn nicht, sonst wird er dich vernichten.«