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Am vierundzwanzigsten Tag des zweiten Monats der Winterzeit im achten Regierungsjahr Sethos’ zog die ägyptische Flotte gen Süden. Sie kam recht schnell voran. In Assuan ging man von Bord und schiffte sich jenseits der Felsen am ersten Katarakt gleich wieder ein, obwohl der Wasserstand zu dieser Zeit das Durchfahren der gefährlichen Engpässe gestattet hätte. Aber der Pharao benutzte von hier ab lieber Schiffe, die für die Fahrt flußaufwärts gen Nubien geeigneter waren.
Ramses war begeistert. Zum Heeresschreiber ernannt, leitete er die Expedition unter dem Oberbefehl seines Vaters und fuhr mit ihm auf dem gleichen mondsichelförmigen Schiff mit den hoch aus dem Wasser ragenden Steven. Zwei Steuerruder, eines an Backbord, das andere an Steuerbord, ermöglichten schnelles und wendiges Fahren. Ein starker Nordwind blähte das riesige Segel an dem mächtigen Mast, dessen Taue von der Mannschaft regelmäßig überprüft wurde.
Eine große Kajüte im Mittelschiff bot Räume zum Schlafen und Arbeiten; die kleineren Kajüten, in der Nähe von Bug und Heck, waren dem Kapitän und den beiden Steuermännern vorbehalten. An Bord des Königsschiffes wie auch auf all den anderen Seglern der Kriegsflotte herrschte fröhliche Betriebsamkeit. Seeleute und Soldaten hatten das Gefühl, eine harmlose Ausflugsfahrt zu unternehmen, und auch keiner der Offiziere belehrte sie eines Besseren. Sie alle hatten die Weisungen des Königs zur Kenntnis genommen: Anstand wahren, die Bevölkerung nicht bedrohen, keinerlei Zwangsverpflichtung, keine willkürlichen Festnahmen. Der Durchzug der Armee sollte Furcht einflößen und Ehrfurcht wecken gegenüber der bestehenden Ordnung, keinesfalls aber Angst vor Schreckensherrschaft oder Plünderung. Wer diesen Ehrenkodex nicht beachtete, würde streng bestraft werden.
Nubien wirkte betörend auf Ramses. Während der ganzen Fahrt stand er im Bug des Schiffes. Kahle Hügel, Granitinselchen, schmale Grünstreifen, die der Wüste trotzten, glitten vorbei, überwölbt von einem Himmel von leuchtendem Blau. Dieser Landstrich barg ein Feuer und besaß eine Unbedingtheit, die seine Seele entzückten. Die Kühe auf den steilen Ufern wirkten ebenso schläfrig wie die Nilpferde im Wasser. Kronenkraniche, rosafarbene Flamingos und Schwalben flogen hoch über Palmen, in denen Paviane spielten. Dieses urwüchsige Land hatte Ramses sofort für sich eingenommen. Es entsprach seiner Natur, in ihm glühte das gleiche unbezähmbare Feuer.
Zwischen Assuan und dem zweiten Katarakt bot sich der ägyptischen Flotte eine friedvolle Landschaft. Auf der Höhe stiller Dörfer legten sie an und verteilten Nahrungsmittel und Hausgerät. Schon seit langem war die Provinz Wawa befriedet. Glücklich, mit wachen Sinnen glaubte Ramses einen Traum verwirklicht, so unmittelbar sprach dieses Land ihn an.
Er erwachte aus seinem Traum, als er ein unglaubliches Bauwerk vor sich sah. Es war die gewaltige Festung Buhen mit ihren zweiundzwanzig Ellen hohen und zehn Ellen dicken Ziegelmauern; von den viereckigen Türmen aus, die den zinnenbestückten Wehrgang unterbrachen, überwachten ägyptische Späher den zweiten Katarakt und das Umland. Kein nubischer Einfall vermochte den Festungsgürtel zu sprengen, und schon gar nicht Buhen, das ständig mit dreitausend Soldaten besetzt war und durch ein Heer von Boten mit Ägypten Verbindung hielt.
Sethos und Ramses betraten die Festung durch das auf die Wüste blickende Haupttor. Eine Holzbrücke führte zum zweiten Doppeltor, das jeden Angreifer fernhielt, weil es ihn einem Hagel von Pfeilen, Wurfspießen und aus Schleudern abgeschossenen Steinen aussetzte. Die Schießscharten waren so angebracht, daß der Feind ins Kreuzfeuer geriet und keine Gelegenheit zur Flucht bekam.
Im Städtchen zu Füßen der Festung hatte ein Teil der Mannschaft Quartier bezogen. Eine Kaserne, schmucke Häuser, Speicher und Werkstätten, ein Marktplatz sowie Badehäuser machten das Leben durchaus angenehm. Hier konnte sich jetzt auch die Schiffsbesatzung eine Weile Entspannung gönnen, bevor es weiterging nach Kusch, in die zweite nubische Provinz. Noch herrschte Hochstimmung.
Der Festungskommandant empfing den König und seinen Sohn im Festsaal von Buhen, wo er auch Recht sprach, nachdem seine Entscheidungen dem Wesir unterbreitet und von ihm gutgeheißen worden waren. Heute bewirtete er den hohen Besuch mit kühlem Bier und Datteln.
»Ist der Vizekönig von Nubien denn nicht anwesend?« fragte Sethos.
»Er muß bald zurück sein, Majestät.«
»Sollte er seinen Wohnort gewechselt haben?«
»Nein, Majestät, er wollte sich nur persönlich Kenntnis verschaffen von der Lage in Irem, südlich des dritten Katarakts.«
»Der Lage? Meinst du einen Aufstand?«
Der Kommandant wich Sethos’ Blick aus.
»Das Wort ist gewiß übertrieben.«
»Sollte der Vizekönig eine so weite Reise unternehmen, nur um ein paar Diebe dingfest zu machen?«
»Nein, Majestät, wir haben die Gegend völlig unter Kontrolle und…«
»Warum wird in euren Berichten seit Monaten die Gefahr verharmlost?«
»Ich habe mich um Sachlichkeit bemüht. Gewiß, die Nubier der Provinz Irem sind im Augenblick etwas unruhig, aber…«
»Zwei Karawanen wurden angegriffen, Plünderer haben einen Brunnen in ihre Gewalt gebracht, ein Kundschafter wurde ermordet. Nennst du das eine kleine Unruhe?«
»Wir haben schon Schlimmeres erlebt, Majestät.«
»Gewiß, doch da wurden Strafen verhängt. Diesmal habt ihr, der Vizekönig und du, euch als unfähig erwiesen, die Schuldigen festzunehmen, und daher halten die Nubier sich für unangreifbar und stiften jetzt überall Aufruhr.«
»Meine Aufgabe ist einzig und allein die Verteidigung«, warf der Kommandant ein. »Kein Nubier wird unseren Festungsgürtel sprengen.«
Sethos’ Zorn wurde immer heftiger.
»Glaubt ihr vielleicht, wir könnten Kusch und Irem ruhig den Aufständischen überlassen?«
»Keineswegs, Majestät!«
»Dann rück mit der Wahrheit heraus.«
Die Entschlußlosigkeit dieses hohen Offiziers widerte Ramses an. Solche Feiglinge waren nicht würdig, Ägypten zu dienen. Er an seines Vaters Statt hätte diesen Kerl seines Ranges enthoben und an die vorderste Front geschickt.
»Ich halte es für unnötig, unsere Truppen in Alarmbereitschaft zu versetzen, selbst wenn ein paar Vorfälle unsere Seelenruhe beeinträchtigt haben.«
»Gibt es Verluste?«
»Keine, wie ich hoffe, der Vizekönig ist mit einem Trupp erfahrener Männer unterwegs. Schon bei ihrem Anblick werden die Nubier die Waffen strecken.«
»Ich werde drei Tage lang abwarten, keinen Tag mehr. Dann werde ich einschreiten.«
»Das wird nicht notwendig sein, Majestät, aber es freut mich dennoch, daß mir abermals die Ehre zuteil wird, Euch zu empfangen. Heute abend gebe ich übrigens ein kleines Fest…«
»Ich werde nicht daran teilnehmen. Tragt Sorge für das Wohlergehen meiner Soldaten.«
Gab es eine wildere Landschaft als die am zweiten Katarakt? Steilfelsen zwängten den Nil ein, der sich durch eine enge Schlucht hindurchkämpfte. Schäumend prallten die Wassermassen gegen riesige Basalt- und Granitblöcke. Der Strom kochte und wütete, bis er das Hindernis überwältigt und neuen Schwung gewonnen hatte. In der Ferne zerschellten ockerfarbene Sandwächten an roten Ufern, gesprenkelt mit blauem Gestein. Hier und da setzten Dumpalmen mit ihrem verzweigten Stamm ein paar grüne Tupfer. Ramses bäumte sich auf, kämpfte mit dem Nil gegen die Felsen, triumphierte mit ihm. Sie waren eins, der Fluß und er.
Das Städtchen Buhen erfreute sich seines Daseins, niemand glaubte auch nur im entferntesten an einen Krieg. Die dreizehn ägyptischen Festungen würden Tausende von Angreifern abschrecken, und Irem – das war doch das weite Ackerland, Garant für sorgloses Glück. Das würde doch niemand zerstören wollen. Wie seine Vorgänger hatte sich auch Sethos darauf beschränkt, seine Streitmacht vorzuführen, um die Gemüter zu beeindrucken und den Frieden noch sicherer zu machen.
Während er den Lagerplatz abschritt, wurde es Ramses offenkundig, daß auch kein Soldat an einen Kampf glaubte. Man schlief, tafelte, vergnügte sich mit den hinreißenden Nubierinnen, saß beim Würfelspiel, redete über die Rückkehr nach Ägypten und dachte gar nicht daran, die Waffen zu schärfen.
Dabei war der Vizekönig von Nubien noch nicht aus der Provinz Irem zurück.
Ramses erkannte den Hang der Menschen, das Wesentliche zu verdrängen, um sich so lange wie möglich in Illusionen zu wiegen. Die Wirklichkeit schien ihnen so wenig schmackhaft, daß sie sich mit Trugbildern überfütterten und dabei glaubten, alles abzuschütteln, was ihnen in die Quere kam. Der Mensch war ein Feigling und ein Frevler, und der Prinz schwor sich, niemals vor den Tatsachen zurückzuweichen, selbst wenn sie seinen Erwartungen nicht entsprachen. Wie der Nil würde er dem Fels die Stirn bieten und ihn bezwingen.
Am westlichen Rand des Lagers, wo die Wüste begann, kniete ein Mann und wühlte im Sand, als wollte er einen Schatz vergraben.
Ramses stutzte und ging auf ihn zu, das Schwert in der Hand.
»Was machst du da?«
»Still, mach keinen Lärm!« Die Stimme war kaum hörbar, doch fordernd.
»Antworte.«
Der Mann erhob sich.
»Herrje, wie töricht von dir! Du hast sie in die Flucht geschlagen.«
»Setaou! Du hast dich freiwillig gemeldet?«
»Natürlich nicht. – Ich bin sicher, in diesem Loch sitzt eine schwarze Kobra.«
Setaou in seinem wunderlichen Mantel mit den vielen Taschen sah in der Tat nicht aus wie ein Soldat. Die dunkle Haut war schlecht rasiert, und das schwarze Haar schimmerte im Mondlicht.
»Laut Aussage erfahrener Magier ist das Gift nubischer Schlangen von außergewöhnlicher Beschaffenheit. Eine Expedition wie diese war mir ein willkommener Anlaß!«
»Und die Gefahr? Es geht um einen Feldzug!«
»Von Blutrünstigkeit kann ich noch nichts erkennen. Diese Esel von Soldaten schlagen sich den Bauch voll und besaufen sich. Im Grunde ist das ja auch das ungefährlichste.«
»Diese Ruhe wird nicht von Dauer sein.«
»Weißt du das gewiß, oder ist das eine Weissagung?«
»Glaubst du etwa, der Pharao hätte so viele Männer nur um einer Parade willen verschifft?«
»Mir soll das gleich sein, solange ich nur Schlangen fangen darf. Ihre Farben sind prachtvoll! Anstatt töricht dein Leben aufs Spiel zu setzen, solltest du lieber mit mir in die Wüste ziehen.«
»Ich unterstehe dem Befehl meines Vaters.«
»Und ich bin ein freier Mann.«
Setaou legte sich nieder und schlief auch sofort ein. Er war der einzige Ägypter, der die nächtlichen Streifzüge der Reptilien nicht fürchtete.
Ramses starrte auf die Stromschnelle, gebannt von der Unermüdlichkeit des Nils. Als die Nacht fast endgültig aufgerissen war, spürte er, daß jemand hinter ihm stand.
»Hast du vergessen zu schlafen, mein Sohn?«
»Ich habe Setaou bewacht und etliche Schlangen gesehen, die sich ihm näherten, innehielten und wieder verschwanden. Selbst im Schlaf ist seine Macht wirksam. Trifft das nicht auch auf den Pharao zu?«
»Der Vizekönig ist zurückgekehrt«, enthüllte ihm Sethos.
Ramses blickte seinen Vater an.
»Hat er Irem befriedet?«
»Fünf Tote, zehn Schwerverletzte und ein übereilter Rückzug, das ist das Wesentliche, was sich dazu sagen läßt. Die Befürchtungen deines Freundes Acha erweisen sich als gerechtfertigt. Dieser junge Mann ist ein glänzender Beobachter, der die richtigen Schlüsse zog.«
»Manchmal verursacht er mir Unbehagen, doch seine Klugheit ist außergewöhnlich.«
»Leider hat er im Gegensatz zu vielen meiner Ratgeber recht behalten.«
»Heißt das, es wird Krieg geben?«
»Ja, Ramses, nichts verabscheue ich mehr, doch der Pharao darf keine Aufständischen dulden. Sonst wäre das Ende der Herrschaft der Maat schnell gekommen, und Unordnung würde sich breitmachen, die allen, groß und klein, nur Unglück bringen würde. Im Norden schützt Ägypten sich vor Überfällen durch die Kontrolle über Kanaan und Syrien; im Süden muß es sich auf Nubien verlassen können. Würde der König Schwäche zeigen wie Echnaton, brächte er das Land in Gefahr.«
»Wir werden also kämpfen?«
»Wir wollen hoffen, daß die Nubier Vernunft annehmen. Dein Bruder hat mit Nachdruck darum ersucht, daß ich deine Ernennung billige. Er scheint an deine soldatischen Fähigkeiten zu glauben. Doch unsere Gegner sind gefährlich. Wenn sie sich berauschen, kämpfen sie bis zum Tod.«
»Glaubst du mich nicht geeignet für den Kampf?«
»Du bist nicht verpflichtet, dich Gefahren auszusetzen.«
»Du hast mir eine Verantwortung übertragen, und die werde ich auf mich nehmen.«
»Ist dein Leben nicht wertvoller?«
»Bestimmt nicht. Wer sein Wort bricht, verdient nicht zu leben.«
»Dann also kämpfe, falls die Aufständischen sich nicht ergeben. Kämpfe wie ein Stier, ein Löwe und ein Falke, schleudere Blitze wie das Gewitter. Sonst wirst du besiegt werden.«