37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 31

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DREISSIG

Mit Bedauern verließ das Heer Buhen, um über den zweiten Katarakt und aus dem Schutz des Festungsgürtels hinaus in die Provinz Kusch zu ziehen, die zwar befriedet, aber von Nubiern bewohnt war, die man ihrer Tapferkeit wegen rühmte. Bis zur Insel Sais, auf der sich die Festung Shaat erhob, wo der Vizekönig zeitweilig residierte, dauerte die Reise nicht lange. Ein paar Meilen flußabwärts hatte Ramses eine weitere Insel namens Amara entdeckt, deren wilde Schönheit ihn betört hatte. Wenn das Schicksal gnädig mit ihm war, wollte er seinen Vater bitten, dort eine Kultstätte zu Ehren der Pracht Nubiens zu errichten.

In Shaat verstummten die sorglosen Gesänge. Die Zitadelle, viel kleiner als Buhen, war voll mit Flüchtlingen aus der so reichen Ebene von Irem, das in die Hände der Rebellen gefallen war. Siegestrunken und unbehelligt vom Vizekönig, der ihnen nur ein paar Veteranen entgegengeschickt hatte, die schnell auseinandergetrieben waren, hatten zwei Stämme den dritten Katarakt überwunden und zogen nun gen Norden. Der alte Traum war aufs neue erwacht: Kusch sollte zurückerobert, die Ägypter vertrieben und die Festungen im Sturm eingenommen werden.

Shaat war diesem Ansturm als erste ausgesetzt.

Sethos ließ sofort Alarm blasen. Auf jeder Zinne hielt sich ein Bogenschütze bereit, oben auf den Türmen standen Männer mit Steinschleudern, und im Schütze der Gräben, verteilt rund um die hohen Ziegelmauern, warteten die Fußtruppen.

Dann nahmen der Pharao und sein Sohn in Begleitung des schweigsamen und niedergeschlagenen Vizekönigs den Festungskommandanten ins Gebet.

»Die Nachrichten sind schauerlich«, bekannte dieser, »seit einer Woche hat der Aufruhr unglaubliche Ausmaße angenommen. Für gewöhnlich kommt es zu Scharmützeln zwischen den einzelnen Stämmen, aber nie zu Bündnissen. Diesmal sind sie sich jedoch einig! Ich habe Botschaften nach Buhen gesandt, aber…«

Die Anwesenheit des Vizekönigs hinderte den Kommandanten, allzu harsch Kritik zu üben.

»Sprich weiter«, forderte Sethos.

»Wir hätten diesen Aufruhr im Keim ersticken können, wenn wir rechtzeitig eingeschritten wären, aber inzwischen frage ich mich, ob es nicht klüger wäre, sich zurückzuziehen.«

Ramses traute seinen Ohren nicht. Wie konnte dieser Mann nur annehmen, die für die Sicherheit Ägyptens Verantwortlichen wären so feige und ahnungslos?

»Sind diese Stämme so furchterregend?« fragte er.

»Es sind Wilde«, erwiderte der Kommandant. »Sie fürchten weder Tod noch Leid. Kämpfen und Töten macht ihnen Vergnügen. Ich würde es niemandem übelnehmen, wenn er flieht, sobald die schreiende Horde zum Angriff ansetzt.«

»Fliehen? Das wäre doch Verrat!«

»Wenn du sie erst siehst, wirst du begreifen. Nur eine zahlenmäßig weit überlegene Armee vermag sie im Zaum zu halten. Und inzwischen wissen wir nicht einmal mehr, ob wir es mit einigen hundert oder Tausenden von Feinden zu tun haben.«

»Bring die Flüchtlinge nach Buhen, und nimm den Vizekönig mit«, befahl Sethos.

»Soll ich Verstärkung schicken?«

»Das werden wir noch sehen. Meine Boten werden dich auf dem laufenden halten. Laß den Nil abriegeln, und erteile allen Festungen Order, sich zu rüsten zur Abwehr eines Sturmangriffs.«

Der Vizekönig zog sich zurück. Er hatte Schlimmeres befürchtet. Der Kommandant bereitete die Evakuierung vor, und zwei Stunden später zog eine lange Kolonne in Richtung Norden. In Shaat verblieben nur der Pharao, Ramses und tausend Soldaten, deren Kampfeslust schlagartig gesunken war. Man munkelte, zehntausend blutrünstige Nubier würden über die Zitadelle herfallen und die Ägypter bis zum letzten Mann aufreiben.

Sethos übertrug es Ramses, die Truppe aufzuklären, und der junge Mann ließ es nicht dabei bewenden, die tatsächliche Lage zu schildern und die Gerüchte zu zerstreuen, sondern appellierte an den Mut jedes einzelnen und die Verpflichtung zum Schutz des Landes unter Einsatz des eigenen Lebens. Er sprach in schlichten, eindringlichen Worten, und seine Begeisterung wirkte ansteckend. Als sie erfuhren, der Sohn des Königs werde mit ihnen kämpfen, schöpften die Soldaten neue Hoffnung. Ramses’ Ungestüm und Sethos’ lange Erfahrung als Feldherr würden sie vor dem Untergang bewahren.

Der König hatte entschieden, weiter gen Süden vorzudringen und nicht auf einen möglichen Angriff zu warten. Es schien ihm sinnvoller, Flagge zu zeigen und sich notfalls zurückzuziehen, falls der Gegner übermächtig war. So würde man zumindest Klarheit gewinnen.

Minen ganzen Abend lang studierte Sethos die Karte der Provinz Kusch und erklärte Ramses, wie die Aufzeichnungen der Landvermesser zu lesen waren. Der junge Mann strahlte, weil der Pharao ihm so viel Vertrauen schenkte. Er lernte sehr schnell und bemühte sich, seinem Gedächtnis jede Einzelheit einzuprägen. Was auch immer geschah, morgen würde ein glanzvoller Tag sein.

Sethos zog sich in den Raum der Festung zurück, der dem Herrscher vorbehalten war, während Ramses mit einem Notlager vorliebnehmen mußte. Lachen und Seufzen aus dem Nebenraum unterbrachen immer wieder seine Träume vom großen Sieg. Verdutzt stand er auf und öffnete die Tür zu der angrenzenden Kammer.

Setaou lag auf dem Bauch und genoß es sichtlich, daß sein Rücken von einer jungen nackten Nubierin mit geschickten Händen geknetet wurde. Sie hatte ein auffallend zartes Gesicht und einen herrlichen Körper. Ihre Haut schimmerte wie Ebenholz und ließ an thebanischen Adel denken. Sie war es, die da lachte, weil Setaou sein Wohlbehagen derart kundtat.

»Sie ist fünfzehn Jahre alt und heißt Lotos«, verriet der Schlangenkundige. »Wie keine andere beherrscht sie die Kunst, mit ihren Fingern den Rücken zu entspannen. Möchtest du ihre Begabung auch einmal erproben?«

»Dir eine so schöne Eroberung zu rauben müßte ich mir ja verargen!«

»Sie pflegt zudem mit den gefährlichsten Wirbeltieren furchtlosen Umgang. Mit vereinten Kräften haben wir bereits eine schöne Menge Gift zusammengetragen. Götter, welch ein Glück! Diese Expedition gefiel mir ja von Anfang an. Wie recht ich hatte, sie mir nicht zu versagen!«

»Morgen werdet ihr beide die Festung hüten.«

»Greifst du an?«

»Wir rücken vor.«

»Einverstanden, Lotos und ich werden Wächter spielen und uns bemühen, mindestens zehn Kobras zu fangen.«

Im Winter war es frühmorgens recht kühl, daher hatten die Fußtruppen ein langes Hemd übergezogen, das sie ablegen würden, sobald die nubische Sonne sie wärmte. An der Spitze des Zugs, gleich hinter den Spähern, stand Ramses in einem leichten Streitwagen, den er eigenhändig lenkte. Sethos, von seiner Leibgarde geschützt, befand sich in der Mitte seines Heeres.

Ein Trompetenstoß hallte durch die stille Steppe. Ramses ließ anhalten, sprang zu Boden und folgte den Spähern.

Ein gewaltiges Tier mit langem Rüssel brüllte vor Schmerzen, ein Wurfspieß steckte vorne im verjüngten Ende dieser unglaublich langen Nase. Das Tier trat um sich, es mußte diesen Dorn loswerden, der es schier wahnsinnig machte vor Schmerz. Es war ein Elefant. Jenes Tier, das in vergangenen Zeiten der Insel Elephantine, an der südlichen Grenze Ägyptens, seinen Namen verliehen hatte und dann von dort verschwunden war.

Der Prinz sah zum erstenmal einen Elefanten.

»Ein wahrer Riese«, erklärte einer der Männer, »jeder seiner Stoßzähne wiegt mindestens soviel wie ein ausgewachsener Mann. Geh bloß nicht näher an ihn heran!«

»Aber er ist doch verwundet!«

»Die Nubier haben ihn zu töten versucht und sind dann vor uns geflohen.«

Der Kampf stand also kurz bevor.

Während einer der Aufklärer zurücklief, um den König in Kenntnis zu setzen, ging Ramses vorsichtig auf den Elefanten zu. Etwa vierzig Ellen vor dem Riesen hielt er inne und suchte seinen Blick auf sich zu lenken. Das verwundete Tier hörte auf zu toben und beobachtete dieses winzige Lebewesen.

Ramses zeigte ihm seine leeren Hände. Das Tier hob den Rüssel, als wollte es kundtun, daß es die friedlichen Absichten des Zweibeiners begriffen hatte. Betont langsam näherte sich der Prinz.

Einer der Männer wollte laut schreien, doch ein anderer hielt ihm den Mund zu. Bei der geringsten Störung würde der Elefant den Sohn des Pharaos zertrampeln.

Ramses empfand keinerlei Furcht, der aufmerksame Blick des Vierbeiners verriet einen wachen Verstand. Er würde seine Absichten richtig deuten! Noch ein paar Schritte, und er war nur mehr zwei Ellen von dem verwundeten Tier entfernt.

Der Prinz hob die Arme, der Riese senkte den Rüssel.

»Ich werde dir weh tun«, erklärte Ramses, »aber das ist unumgänglich.«

Ramses packte den Schaft des Spießes.

»Bist du einverstanden?«

Die großen Ohren peitschten die Luft, als wollte der Elefant sein Einverständnis kundtun.

Der Prinz zog mit aller Kraft, und mit einem Ruck hatte er den Spieß tatsächlich heraus; der Riese brüllte erleichtert. Die sprachlosen Aufklärer glaubten an ein Wunder, aber Ramses würde dennoch nicht überleben, da das blutige Rüsselende sich bereits um seine Taille schlang.

Eine Weile nur, und er würde zermalmt sein. Dann wären sie an der Reihe, und da flohen sie doch lieber gleich.

»Schaut her, aber schaut doch bloß!«

Die fröhliche Stimme des Prinzen rief sie zurück. Sie wandten sich um und sahen, daß er bereits hoch oben auf dem Kopf des Riesen saß, wo der Rüssel ihn ganz behutsam abgesetzt hatte.

»Von diesem Berg aus werde ich jede Bewegung des Feindes erkennen können«, rief Ramses.

Die Heldentat des Prinzen begeisterte das Heer, und einige sprachen Ramses übernatürliche Kräfte zu, nachdem er sich das mächtigste aller Tiere gefügig gemacht hatte. Die Wunde des Tiers wurde regelmäßig mit Öl und Honig betupft, und Ramses und der Elefant hatten keine Schwierigkeiten, sich zu verständigen: der eine benutzte Zunge und Hände, der andere Rüssel und Ohren. Unter dem Schutz des Riesen, der ihnen eine Spur bahnte, gelangten die Soldaten in ein Dorf mit Hütten aus getrocknetem Schlamm und Palmdächern.

Die Leichen von Greisen, Kindern und Frauen lagen dort verstreut, die einen waren aufgeschlitzt, den anderen war die Kehle durchgeschnitten worden. Die verstümmelten Körper der Männer, die Widerstand geleistet hatten, lagen etwas weiter entfernt. Die Ernte war verbrannt worden, das Vieh geschlachtet.

Ramses drehte sich der Magen um.

So sah also der Krieg aus, dieses Gemetzel, diese grenzenlose Grausamkeit, der Mensch wütete ja schlimmer als das gefährlichste Raubtier.

»Trinkt nicht aus dem Brunnen!« rief ein älterer Soldat.

Zwei junge Männer hatten bereits ihren Durst gelöscht. Kurz darauf starben sie an dem Feuer, das in ihrem Leib entbrannte. Die Aufständischen hatten den Brunnen vergiftet, um die Dorfbewohner, die Ägypten treu bleiben wollten, zu strafen.

»Solche Vergiftungen kann ich nicht behandeln«, beklagte Setaou, »über Pflanzengifte muß ich mich erst noch kundig machen. Zum Glück habe ich Lotos, sie wird es mir beibringen.«

»Was machst du überhaupt hier?« fragte Ramses verwundert. »Solltest du nicht die Festung hüten?«

»Das war mir viel zu langweilig. Diese Natur ist überreich, ist üppig!«

»Wie zum Beispiel dieses gemordete Dorf?«

Setaou legte dem Freund die Hand auf die Schulter.

»Verstehst du jetzt, warum mir die Schlangen lieber sind? Ihre Weise zu töten ist edler, und außerdem liefern sie uns noch wirksame Arzneien gegen Krankheiten.«

»Der Mensch ist aber doch auch nicht nur ein solches Scheusal.«

»Bist du dir da so sicher?«

»Es gibt die Maat, und es gibt das Chaos. Wir kamen auf die Welt, damit die Maat regiere und das Böse besiegt werde, auch wenn es immer von neuem hochsteigt.«

»So denkt ein Pharao, du aber bist nur ein Kriegsherr, der sich anschickt, Schlächter zu schlachten.«

»Oder unter ihren Schlägen zu fallen.«

»Zieh nicht den bösen Blick auf dich, und trinke lieber diesen Kräutertee, den Lotos zubereitet hat. Er wird dich unbesiegbar machen.«

Sethos blickte düster drein.

Er hatte Ramses und die höheren Offiziere in sein Zelt befohlen.

»Was schlagt ihr vor?«

»Noch weiter vorzudringen«, riet ein Veteran, »über den dritten Katarakt hinaus bis nach Irem. Unsere Schnelligkeit wird unser Vorteil sein.«

»Wir könnten in eine Falle geraten«, gab ein junger Offizier zu bedenken, »weil die Nubier wissen, daß wir gern so verfahren.«

»Das stimmt«, bestätigte der Pharao. »Um nicht in einen Hinterhalt zu geraten, müssen wir zuerst die feindlichen Stellungen ausmachen. Ich brauche Freiwillige, Nachtkundschafter.«

»Das ist sehr gewagt«, bemerkte der Veteran.

»Das ist mir bewußt.« Ramses erhob sich. »Ich melde mich freiwillig.«

»Ich auch«, erklärte der Veteran, »und ich habe drei Kameraden, die genauso mutig sind wie der Prinz.«