37753.fb2
Iset, die schöne, jubelte angesichts Chenars gescheitertem Plan, seinem Bruder das Wasser abzugraben. Ramses war nicht zum Vizekönig von Nubien ernannt worden! Der Prinz würde in Memphis bleiben und weiterhin ein Ehrenamt bekleiden. Dieses unverhoffte Glück würde sie sich zunutze machen und Ramses mit ihrer Leidenschaft umgarnen. Je heftiger ihr Geliebter sich sträubte, desto reizvoller wurde er für sie.
Trotz der eindringlichen Worte ihrer Eltern, sie solle Chenars Werben doch endlich nachgeben, hatte Iset nur Augen für Ramses. Seit er aus Nubien zurück war, beeindruckten seine Schönheit und Männlichkeit sie noch mehr. Er war kräftiger geworden, sein prachtvoller Körper noch beeindruckender und sein angeborener Anstand betörender denn je. Einen Kopf größer als die meisten seiner Landsleute, schien er unbezwingbar.
An seinem Leben, seinen Gefühlen, seinen Sehnsüchten teilzuhaben, das wäre wahrlich eine märchenhafte Zukunft! Nichts und niemand würde Iset, die Schöne, davon abhalten, Ramses’ Gemahlin zu werden.
Erst einige Tage nach Verlesung der Ernennungen begab sie sich zum Haus des Prinzen. Ein verfrühter Besuch wäre nicht ratsam gewesen. Inzwischen dürfte die Enttäuschung von ihm gewichen sein, und Iset würde ihn schon zu trösten wissen.
Ameni, den sie nicht leiden konnte, empfing sie ehrerbietig. Wie konnte der Prinz nur einem so kränklichen und schwächlichen Jungen, der immer nur über seinem Schreibgerät hing und nichts von den Freuden des Lebens wußte, sein Vertrauen schenken? Früher oder später würde sie ihren künftigen Gemahl schon überreden, sich von ihm zu trennen und sich mit aufgeweckteren Dienern zu umgeben. Ein Königssohn wie Ramses konnte sich doch mit so etwas nicht begnügen!
»Melde mich deinem Herrn.«
»Bedaure, aber er ist abwesend.«
»Wie lange wird er fort sein?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wo hält er sich auf?«
»Das weiß ich nicht.«
»Willst du mich etwa zum Narren halten?«
»Das würde ich nicht wagen.«
»Dann rede gefälligst! Wann ist er aufgebrochen?«
»Der König hat ihn gestern morgen abgeholt, Ramses ist zu ihm in den Wagen gestiegen, und dann fuhren sie in Richtung Hafen.«
Das Tal der Könige, das die Weisen »die große Weide« nannten, das Paradies, wo die leuchtende Seele der Pharaonen wiederauflebt, lag in steinerner Ruhe. Um von der Anlegestelle am Westufer Thebens bis zu diesem geheiligten Ort zu gelangen, dessen Zugang Tag und Nacht bewacht wurde, hatten der Pharao und sein Sohn einen von steilen Felswänden gesäumten und gewundenen Pfad eingeschlagen. Hoch über dem Tal ragte ein stufenförmig ansteigender Gipfel empor, Wohnstätte der Göttin der Stille.
Ramses war wie gebannt.
Warum führte sein Vater ihn an diesen geheimnisvollen Ort, zu dem nur der Pharao und die Handwerker Zugang hatten, die dem König sein Haus für die Ewigkeit bauten? Da die Grabstätten kostbare Schätze bargen, hatten die Bogenschützen Befehl, auf jeden, der ihnen unbekannt und in Sichtweite war, ohne Vorwarnung zu zielen. Auf versuchten Diebstahl, der als Verbrechen galt, das die Erhaltung des ganzen Landes gefährdete, stand die Todesstrafe. Es hieß, mit Messern bewaffnete Geister sollten dort leben, die den Waghalsigen, die ihre Fragen nicht beantworten konnten, kurzerhand den Kopf abschnitten.
Gewiß, des Pharaos Anwesenheit war beruhigend, und dennoch wären Ramses zehn Kämpfe gegen die Nubier lieber gewesen als diese Reise in eine unheimliche Welt. Seine Kraft und seine Tapferkeit würden ihm hier nicht helfen. Er fühlte sich schutzlos, nur mehr eine leichte Beute für unbekannte Mächte, gegen die er nicht anzutreten wußte.
Nirgends ein Grashalm, kein Vogel, kein Insekt, das Tal schien alle Lebewesen vertrieben zu haben, um nur dem Stein Raum zu geben, da er als einziger fähig war, dauerhaft vom Sieg über den Tod zu künden. Je weiter der von Sethos gelenkte Wagen in diesen Ort eindrang, desto enger rückten die bedrohlichen Mauern zusammen. Die Hitze wurde erstickend, und das Gefühl, die Welt der Lebenden zu verlassen, schnürte einem den Hals zu.
Ein schmaler Gang wurde sichtbar, eine Art Tür im Fels, die von Bewaffneten bewacht wurde. Der Wagen hielt an, Sethos und Ramses stiegen aus. Die Wachen verneigten sich tief, denn sie kannten den Herrscher, der in regelmäßigen Abständen den Fortgang der Arbeiten an seiner eigenen Grabstätte überprüfte und den Bildhauern die Inschriften diktierte, die in die Wände seiner letzten Heimstätte eingeritzt werden sollten.
Als sie die Tür hinter sich gelassen hatten, verschlug es Ramses beim Anblick der gewaltigen Landschaft, die sich vor ihnen auftat, den Atem.
Die »große Weide« war ein glühender Schmelztiegel, über dem sich der Gipfel der Ockerfelsen einem azurblauen Himmel entgegenstemmte. War der Prinz soeben noch von Furcht erfüllt, stand er jetzt da wie geblendet. Das Licht des Tals verschlang ihn, er fühlte sich erdrückt und gleichzeitig erhoben. Ein Zwerg angesichts des Mysteriums und der Erhabenheit des Ortes. Er spürte, daß da ein Jenseits war, das nicht zerstörte, sondern erbaute.
Sethos führte seinen Sohn vor ein steinernes Portal. Er stieß die Tür aus vergoldetem Zedernholz auf und ging einen steilen Weg hinab, der zu einer Kammer führte, in deren Mitte ein Sarkophag stand. Der König entzündete Fackeln, die den Raum in Licht tauchten. Die Pracht und Kunstfertigkeit der Wandverzierungen, die nun sichtbar wurden, verblüfften Ramses. Die Kammer erstrahlte in glänzendem Gold, Rot, Blau und Schwarz. Der Blick des Prinzen verweilte auf der Darstellung der Riesenschlange Apophis, dem Ungeheuer der Finsternis und Verschlinger des Lichts, das der Schöpfer in Menschengestalt mit einem weißen Stock unschädlich machte, nicht aber zerstörte. Er bewunderte die von Gott Sia gesteuerte Sonnenbarke. Sia, die Eingebung der Ursachen, einzig befähigt, in düsteren Gefilden den rechten Weg zu erkennen. Verzückt stand der Gott vor dem Pharao, den der falkenköpfige Horus und der schakalköpfige Anubis in ihren Bann schlugen und den die Göttin Maat, die Weltordnung, im Paradies der Gerechten willkommen hieß. Der König war als junger Mann in strahlender Schönheit dargestellt, er trug die herkömmliche Haartracht, eine breite goldene Halskette und einen vergoldeten Schurz. Gegenüber Osiris oder Nefertem, dem lotosgekrönten König, der vom wiedererwachten Leben kündete, wirkte der Herrscher heiter mit seinem zur Ewigkeit hin erhobenen Blick. Unzählige Details fesselten die Aufmerksamkeit des Prinzen, vor allem ein rätselhafter Spruch, in dem von den Toren des Jenseits die Rede war. Doch Sethos ließ ihm nicht die Zeit, seinen Wissensdurst zu stillen, und gebot ihm, vor dem Sarkophag niederzuknien.
»Der König, der hier ruht, trug den gleichen Namen wie du, Ramses. Er war der Begründer unseres Herrscherhauses. Horemheb ernannte ihn zu seinem Nachfolger, obgleich Ramses als ehemaliger Wesir, der seinem Lande gewissenhaft gedient hatte, sich bereits zur Ruhe gesetzt hatte. Dieser Ruhe wurde der alte Mann entrissen, und er verwandte seine letzten Kräfte darauf, Ägypten zu regieren. Da er erschöpft war, herrschte er nur knapp zwei Jahre, aber seinen Krönungsnamen war er gerecht geworden: ‹Der in den beiden Ländern die Maat bestätigt / Das göttliche Licht brachte ihn in die Welt / Unerschütterlich ist die Macht des göttlichen Lichts / Der bei Schöpfungsbeginn Erwählte›. So war er, dieser weise und bescheidene Mann, unser Ahn, dem wir huldigen müssen, damit er uns den Blick öffnet. Weihe ihm einen Kult, erweise seinem Namen und seinem Andenken Ehre, denn die Ahnen gehen uns voran, und in ihre Fußstapfen müssen wir unsere Schritte lenken.«
Der Prinz fühlte die geistige Gegenwart des Begründers der Dynastie; vom Sarkophag, den die Hieroglyphen »Den für das Leben Sorgenden« nannten, ging eine Kraft aus, die man spüren konnte wie eine milde Sonne.
»Steh auf, Ramses, deine erste Reise ist beendet.«
Allerorts erhoben sich Pyramiden in den Himmel. Die eindrucksvollste war die das Pharaos Djoser, deren ausladende Stufen eine zum Himmel aufsteigende Treppe bildeten. Und noch eine Begräbnisstätte zeigte der Vater Ramses: das riesige Sakkara, wo die Pharaonen des Alten Reichs für sich und ihre getreuen Diener Heimstätten für die Ewigkeit hatten errichten lassen.
Sethos trat an den Rand der felsigen Kuppe, von wo aus man die Palmhaine, die Felder und den Nil überblickte. Auf mehr als zweitausend Königsellen Fläche reihten sich gewaltige Grabstätten aus Rohziegeln. Sie waren gut hundert Königsellen lang, und die Seitenwände glichen Palastfassaden und waren zehn Ellen hoch und in lebhaften und fröhlichen Farben bemalt.
Eine dieser Mauern, aus der dreihundert tönerne Stierköpfe vorragten, fand große Bewunderung bei Ramses. Die Köpfe trugen echte Hörner und verwandelten das Grabmal in eine unbesiegbare Armee, der sich keine böse Macht zu nähern wagen würde.
»Der hier beigesetzte Pharao trug den Namen Djet, und das bedeutet Ewigkeit«, erklärte Sethos. »Um ihn geschart liegen die anderen Könige der ersten Dynastie, unsere frühesten Ahnen. Zum erstenmal auf Erden haben sie das Gesetz der Maat angewandt und dem Chaos die Ordnung aufgeprägt. Jede Herrschaft wurzelt in diesem von ihnen angelegten Garten. Entsinnst du dich des wilden Stiers, dem du die Stirn geboten hast? Hier wurde er geboren, hier speist sich seit Anbeginn unserer Kultur die Macht stets von neuem.«
Ramses hielt vor jedem Stierkopf inne, denn keiner hatte denselben Gesichtsausdruck. Die Kunst des Regierens zeigte sich in ihren Mienen, die von strengster Erhabenheit bis zum Wohlwollen reichten. Als er das eigenartige Bauwerk einmal umrundet hatte, bestieg Sethos seinen Wagen.
»Hier endet deine zweite Reise.«
Sie waren gen Norden gesegelt und dann auf schmalen Pfaden zwischen grünenden Feldern bis zu einem Marktflecken galoppiert, wo die Ankunft des Pharaos mit seinem Sohn Jubel auslöste. In diesem abgelegenen Winkel im Delta kam ein solcher Glücksfall einem Wunder gleich, doch der Pharao schien diesen Bewohnern wohlbekannt. Auch die Wachen gaben sich wohlwollend, als Sethos und Ramses ein ins Dunkel getauchtes kleines Heiligtum betraten. Auf Steinbänken setzten sie sich einander gegenüber.
»Ist dir der Name Auaris bekannt?«
»Wer kennt ihn nicht?! Es ist doch der Name der verfemten Stadt, die die Hyksos-Belagerer als Hauptstadt nutzten.«
»Du befindest dich in Auaris.«
Ramses war sprachlos.
»Aber war sie denn nicht zerstört worden?«
»Welcher Mensch vermöchte eine Gottheit zu zerstören? Hier herrscht Seth, der Herr über Blitz und Donner, der mir meinen Namen verliehen hat.«
Ramses wußte nichts zu sagen. Er spürte, daß Sethos in der Lage war, ihn mit einem einzigen Handzeichen oder einem einzigen Blick zu vernichten. Aus welchem anderen Grunde hätte er ihn sonst an diesen verfemten Ort gebracht?
»Du hast Angst, und das ist gut so. Nur Prahler und Dummköpfe kennen keine Angst. Aus dieser Furcht muß eine Kraft entstehen, die sie zu besiegen vermag. Dies ist das Geheimnis Seths. Wer das leugnete wie Echnaton, beging einen schweren Fehler und schwächte Ägypten. Ein Pharao verkörpert auch das Gewitter, den Zorn des Alls, die Unerbittlichkeit des Blitzes. Er ist der handelnde Arm, der manchmal zuschlägt und straft. An das Gute im Menschen zu glauben ist ein Fehler, den ein König nicht begehen darf. Er würde sein Land in den Untergang und sein Volk ins Elend führen. Doch bist du fähig, Seth die Stirn zu bieten?«
Ein Lichtstreif vom Dach des Heiligtums erhellte das Standbild eines Mannes. Sein Haupt mit der langen Schnauze und den zwei großen Ohren flößte Angst ein. Es war Seth, dessen schreckenerregendes Antlitz da aus der Finsternis auftauchte!
Ramses erhob sich und ging auf ihn zu.
Er stieß gegen eine unsichtbare Mauer und mußte innehalten; ein zweiter Versuch mißlang ebenfalls, aber beim dritten vermochte er das Hindernis zu überwinden. Die roten Augen des Standbildes funkelten wie zwei Flammen. Ramses hielt dem Blick stand, obgleich er ein Brennen verspürte, als leckte eine Feuerzunge an seinem Körper entlang. Der Schmerz war heftig, aber er hielt ihn aus. Nein, er würde nicht zurückweichen vor Seth, selbst wenn er dabei zugrunde ginge.
Das war der entscheidende Augenblick, ein ungleicher Zweikampf, den er nicht verlieren durfte. Die roten Augen traten aus ihren Höhlen hervor, eine Flamme umhüllte Ramses, verzehrte ihn vom Kopf an abwärts, sein Herz zersprang. Doch er blieb aufrecht, heftete all seine Kraft auf Seth und schleuderte ihn von sich bis in den hintersten Winkel des Heiligtums.
Das Gewitter setzte ein, sintflutartiger Regen ging auf Auaris nieder. Hagelkörner ließen die Mauern des Heiligtums erbeben. Das rote Licht erlosch, Seth zog sich in die Finsternis zurück. Er war der einzige Gott, der keinen Sohn besaß, aber der Pharao Sethos, sein Erbe auf Erden, erkannte den seinen als mächtigen Mann.
»Deine dritte Reise ist beendet«, murmelte er.