37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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DREI

Endlich war er da, der große Abend. Der neue Mond wurde geboren, die Nacht war so schwarz, wie man sich’s nur wünschen konnte. All seinen Mitschülern, die wie er »Zöglinge des Königs« waren, hatte Ramses eine Aufgabe gestellt, die für ihn entscheidend war. Wären sie Manns genug, von den Wächtern unbemerkt bis zur Stadtmitte zu gelangen, um das Wesentliche, diese Frage, die allen auf der Zunge lag, die aber niemand zu stellen wagte, zu erörtern?

Ramses sprang aus dem Fenster seines im ersten Geschoß gelegenen Schlafgemachs, die lockere Erde der Blumenbeete fing den Aufprall ab. Dann lief er am Gebäude entlang. Die Wächter behelligten ihn nicht, die einen schliefen, die anderen saßen beim Würfelspiel. Sollte er das Pech haben, einem zu begegnen, der tatsächlich seinen Dienst versah, würde er ihn schon in ein Gespräch verwickeln oder niederschlagen.

Einen Aufseher hatte er in seiner Hochstimmung vergessen, und der lag nicht auf der faulen Haut: Es war ein goldgelber Hund von mittlerer Größe, stämmig und muskulös, mit hängenden Ohren und Ringelschwanz. Er hatte mitten auf dem Weg Posten bezogen, bellte nicht, verwehrte aber den Durchgang.

Instinktiv suchte Ramses seinen Blick. Der Hund setzte sich auf sein Hinterteil, und der Schwanz begann rhythmisch zu schlagen.

Der junge Mann trat näher und streichelte ihn. Sie waren vom ersten Augenblick an Freunde. Auf dem roten Lederhalsband stand sein Name: »Wächter«.

»Hast du nicht Lust mitzukommen?«

Die kurze Schnauze mit der schwarzen Nase nickte zustimmend. Wächter geleitete seinen neuen Herrn zum Ausgang des Palastbereichs, in dem die künftigen Honoratioren Ägyptens erzogen wurden.

Trotz der späten Stunde schlenderte noch allerlei Volk durch die Straßen von Memphis. Das Ansehen der ältesten Hauptstadt des Landes war ungebrochen, trotz des Reichtums des südlichen Theben. Die großen Lehranstalten befanden sich in Memphis, und dort genossen die Kinder des Königshauses und die für die höchsten Ämter Ausersehenen eine strenge und umfassende Erziehung und Ausbildung. Wer ms »Kap«, dieses »Gehege, wo Schutz und Nahrung geboten wurden«, aufgenommen war, wurde von vielen beneidet, aber wer wie Ramses dort seit frühester Kindheit lebte, hatte nur den einen Wunsch, von dort auszubrechen!

Er hatte ein schlichtes, kurzärmeliges Hemd übergezogen, um unter den Vorübergehenden nicht aufzufallen, und gelangte unbehelligt zum berühmten Brauhaus im Medizinerviertel, wo die künftigen Ärzte es sich nach langen Studiertagen Wohlergehen ließen. Da Wächter ihm nicht von den Fersen wich, unternahm der Prinz auch nichts und betrat mit ihm die den »Kindern vom Kap« untersagte Schenke.

Aber Ramses war ja auch kein Kind mehr, und es war ihm gelungen, aus seinem vergoldeten Käfig auszubrechen.

Im großen Saal des Brauhauses mit den gekalkten Wänden harrten Matten und Schemel der munteren Kunden, die starkes Bier, Wein und Palmlikör zu schätzen wußten. Bereitwillig zeigte der Wirt seine Amphoren, die aus dem Delta, den Oasen oder aus Griechenland stammten, aber ebensogern rühmte er seine eigenen Erzeugnisse. Ramses suchte sich ein ruhiges Eckchen, von wo aus er die Eingangstür überwachte.

»Was möchtest du?« fragte der Wirt.

»Im Augenblick noch nichts.«

»Unbekannte zahlen im voraus.«

Der Prinz hielt ihm ein Karneolarmband hin.

»Wird dir das genügen?«

Der Wirt beäugte das Stück.

»Das wird reichen. Wein oder Bier?«

»Dein bestes Bier.«

»Wieviel Schalen?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Ich bring schon mal den Krug… Sobald du’s weißt, bekommst du die Schalen.«

Ramses stellte fest, daß er gar nicht wußte, was die Dinge kosteten; der Kerl betrog ihn bestimmt. Es war höchste Zeit, daß er rauskam aus seiner Palastschule, wo man viel zu abgeschirmt war von der Außenwelt.

Der Prinz starrte auf die Tür, Wächter lag zu seinen Füßen. Wer von den Mitschülern würde das Abenteuer wagen? Er wettete, sortierte die Schwächlinge und die Karrieresüchtigen aus und beschränkte sich auf drei Namen. Die drei würden vor der Gefahr nicht zurückscheuen.

Er lächelte, als Setaou über die Schwelle trat.

Setaou war der Sohn eines Seemanns und einer Nubierin, untersetzt, männlich, ein Muskelprotz mit dunkler Haut, schwarzem Haar und eckigem Schädel. Seine ungewöhnliche Ausdauer, aber auch seine Begabung für Chemie und Pflanzenkunde hatten die Aufmerksamkeit seines Lehrers geweckt. Und auch im Kap bedauerte man es nicht, ihm die Pforten zu höherer Bildung geöffnet zu haben.

Der wenig redselige Setaou setzte sich neben Ramses.

Noch bevor die beiden Jungen miteinander reden konnten, kam auch schon Ameni, klein, mager und schmächtig. Sein Teint war blaß und sein Haar trotz seines jugendlichen Alters bereits schütter; bei den sportlichen Übungen erwies er sich als unbeholfen, doch in der Kunst des Hieroglyphenschreibens übertraf er alle seines Jahrgangs. Er war unermüdlich und fleißig, schlief nachts nur drei oder vier Stunden und kannte die Schriften der Allen besser als sein Lehrmeister. Sein Vater war Gipsarbeiter, daher galt er als Held in der Familie.

»Ich hab es geschafft«, verkündete er stolz, »ich habe einem der Wächter mein Abendessen überlassen.«

Ihn hatte Ramses auch erwartet; er wußte, daß Setaou notfalls seine Kraft und Ameni eine List anwenden würden.

Der dritte Ankömmling überraschte den Prinzen. Niemals hätte er geglaubt, daß der reiche Acha solche Risiken eingehen würde. Kr war der einzige Sohn einer wohlhabenden adeligen Familie, und der Aufenthalt im Kap war für ihn eine Selbstverständlichkeit und eine Verpflichtung, eine Art Übergang zu einer hohen Beamtenlaufbahn. Er war elegant, wußte sich zu bewegen, hatte ein längliches Gesicht mit einem kleinen gepflegten Schnurrbart, und wenn er andere anblickte, wirkte das häufig herablassend. Seine salbungsvolle Stimme und seine vor Intelligenz funkelnden Augen schlugen seine Gesprächspartner in den Bann.

Er setzte sich den dreien gegenüber.

»Erstaunt, Ramses?«

»Ja, das gebe ich zu.«

»Mit euch einen Abend lang mal über die Stränge zu schlagen mißfällt mir nicht. Das Leben erschien mir ohnehin schon arg eintönig.«

»Wir riskieren Strafen.«

»Das macht das Verbotene nur noch pikanter; sind wir vollzählig?«

»Noch nicht.«

»Sollte dein bester Freund dich verraten haben?«

»Er wird kommen.«

Mit ironischem Blick ließ Acha das Bier einschenken… Ramses rührte es nicht an. Unruhe und Enttäuschung schnürten ihm die Kehle zu. Sollte er sich so gewaltig getäuscht haben?

»Da ist er ja!« rief Ameni.

Moses, groß, breitschultrig, mit üppigem Haar und einem Bartkranz ums Kinn, wirkte viel älter als fünfzehn. Er war der Sohn hebräischer Arbeiter, die seit mehreren Generationen in Ägypten ansässig waren, und seit frühester Jugend genoß er aufgrund seiner erstaunlichen geistigen Fähigkeiten die Erziehung im Kap. Da er körperlich ebenso stark war wie Ramses, hatten die beiden Jungen bei allen Gelegenheiten ihre Kräfte gemessen, dann aber einen Pakt geschlossen und vereint ihren Lehrern die Stirn geboten.

»Ein alter Wächter wollte mich hindern, das Gelände zu verlassen. Da ich ihn nicht zusammenschlagen wollte, mußte ich ihn erst vom Sinn und Zweck meines Vorhabens überzeugen.«

Man beglückwünschte sich gegenseitig, leerte eine Schale Bier und weidete sich am unvergleichlichen Geschmack des Verbotenen.

»Beantworten wir die einzig wichtige Frage«, sagte Ramses, »wie erlangt man wirkliche Macht?«

»Durch den Umgang mit den Hieroglyphen«, antwortete Ameni, ohne zu zögern. »Unsere Sprache ist die der Götter, die Weisen nutzten sie, um uns deren Gebote zu übermitteln. ‹Ahme deine Ahnen nach›, steht geschrieben, ‹denn sie kannten das Leben vor dir. Macht wird durch Wissen verliehen, nur die Schrift macht unsterblich.›«

»Gelehrtengefasel«, warf Setaou ein. Ameni ereiferte sich.

»Willst du etwa leugnen, daß der Schreiber die wahre Macht innehat? Anstand, Höflichkeit, Lebensart, Geradlinigkeit, Einhaltung von Versprechungen, Ablehnung von Unehrlichkeit und Neid, Selbstbeherrschung, Schweigsamkeit zugunsten des geschriebenen Wortes, all das sind Tugenden, die ich entwickeln will.«

»Das genügt nicht«, befand Acha, »höchste Macht verleiht die Diplomatie. Daher werde ich bald in fremde Länder reisen und die Sprachen unserer Verbündeten wie auch die unserer Gegner erlernen, um zu begreifen, wie die Handelsbeziehungen geknüpft sind und welche Absichten die anderen Herrscher in Wirklichkeit verfolgen. Wenn ich das alles weiß, habe ich sie in der Hand.«

»Aus dir spricht der Ehrgeiz eines Städters, der jeden Kontakt zur Natur verloren hat«, beklagte Setaou. »Die Stadt ist die eigentliche Bedrohung!«

»Du sagst uns nicht, wie du Macht zu erlangen gedenkst«, warf Acha spitz ein.

»Es gibt nur einen Weg, wo Leben und Tod, Schönheit und Abscheu, Arznei und Gift ständig ineinander verschlungen sind: auf dem Pfad der Schlangen.«

»Du machst wohl Witze?«

»Wo leben denn die Schlangen? In der Wüste, auf den Feldern, in den Sümpfen, an den Ufern des Nils und der Kanäle, auf den Dreschplätzen, in den Unterständen der Hirten, in den Viehpferchen, ja sogar in den dunklen und kühlen Schlupfwinkeln der Häuser! Die Schlangen sind überall, sie wissen um das Geheimnis der Schöpfung. Ihnen das zu entlocken wird Ziel meines Lebens sein.«

Niemand wagte etwas einzuwenden, denn Setaou schien seine Entscheidung wohl durchdacht zu haben.

»Und du, Moses?« fragte Ramses.

Der junge Hüne zögerte.

»Ich beneide euch, meine Freunde, denn ich vermag keine Antwort zu geben. Seltsame Gedanken treiben mich um, mein Geist ist ruhelos, aber mein Schicksal bleibt im dunkeln. Man wird mir wohl einen wichtigen Posten in einem großen Harim anvertrauen, ich bin auch bereit, ihn anzunehmen, allerdings in Erwartung einer beglückenderen Aufgabe.«

Die Blicke der vier jungen Männer richteten sich auf Ramses.

»Es gibt nur eine wahre Macht«, erklärte er, »die des Pharaos.«