37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 40

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NEUNUNDDREISSIG

Ameni zitterte und frohlockte zugleich. Er zitterte, weil Ramses ihm gerade erzählt hatte, wie er einem entsetzlichen Tod entronnen war; er frohlockte, weil der Regent ihm mit dem Brief an Sethos, der die Reise nach Assuan ausgelöst hatte, ein großartiges Beweisstück ausgehändigt hatte.

»Eine schöne Schrift«, sagte er, »eine Person aus höheren Kreisen, gebildet und erfahren im Abfassen von Sendschreiben.«

»Der Pharao wußte also, daß es nicht von einem der Vorsteher dort stammte und man ihm eine Falle stellen wollte.«

»Meiner Meinung nach hatte man es auf euch beide abgesehen, Unfälle auf Baustellen sind ja keine Seltenheit.«

»Bist du einverstanden, die Nachforschungen voranzutreiben?«

»Aber natürlich! Allerdings…«

»Allerdings?«

»Ich muß dir etwas gestehen. Ich habe nie aufgehört, nach dem Besitzer der verdächtigen Werkstatt zu fahnden. Ich hätte dir zu gern den Beweis gebracht, daß Chenar der Schuldige war, aber das ist mir nicht gelungen. Doch dies hier ist ja viel aufschlußreicher.«

»Hoffen wir es.«

»Hat man noch mehr über den Schiffsmann in Erfahrung gebracht?«

»Nein, sein Auftraggeber scheint unantastbar.«

»Eine echte Schlange also, wir sollten Setaous Mithilfe erbitten.«

»Warum eigentlich nicht?«

»Sei getrost, es ist bereits geschehen.«

»Und was hat er gesagt?«

»Da es um deine Sicherheit geht, ist er bereit, mich tatkräftig zu unterstützen.«

Chenar konnte dem Süden nichts abgewinnen. Dort war es ihm zu heiß, und dort war man auch nicht so aufgeschlossen wie im Norden für all das Neue, das die Welt bot. Der riesige Tempel von Karnak allerdings war ein so reiches und so einflußreiches Wirtschaftsgebilde, daß keiner, der die höchste Macht anstrebte, auf die Unterstützung des Hohenpriesters verzichten konnte. Daher machte er ihm einen Anstandsbesuch, wobei allerdings nur Belangloses zur Sprache kam. Doch mit Genugtuung stellte Chenar fest, daß dieser hohe Würdenträger, der die Machtspiele in Memphis aus der Ferne beobachtete, ihm keineswegs feindlich gesinnt war und sich im rechten Augenblick auf die Seite des Stärkeren schlagen würde. Daß er nicht Ramses’ Loblied sang, war ein ermutigendes Zeichen.

Chenar ersuchte um die Erlaubnis, eine gewisse Zeit im Tempel zu verweilen, um fern aller Geschäftigkeit des öffentlichen Treibens ein wenig Besinnung zu finden. Es wurde ihm gestattet, doch Sethos’ älterer Sohn gewöhnte sich nur schwer an das karge Dasein in einer Priesterzelle, erreichte aber sein Ziel, Moses zu treffen.

In einer Arbeitspause begutachtete der Hebräer eine Säule. Auf ihr war die Zurückgabe des göttlichen Auges dargestellt und die Erfassung der Welt.

»Ein prachtvolles Kunstwerk! Du bist ein großartiger Baumeister!«

Moses, der noch kräftiger geworden war, blickte mißbilligend auf den verweichlichten und beleibten Prinzen.

»Ich lerne meinen Beruf erst noch, dieser Erfolg ist dem Werkmeister zu verdanken.«

»Nicht so bescheiden!«

»Ich verabscheue Schmeichler.«

»Du schätzt mich wohl nicht sehr.«

»Ich hoffe, das beruht auf Gegenseitigkeit.«

»Ich bin hierhergekommen, um Besinnung und Erbauung zu finden. Ramses’ Ernennung war ein harter Schlag, das gebe ich zu, aber irgendwann muß man sich mit der Wirklichkeit ja abfinden. Die Stille dieses Tempels wird mir dabei helfen.«

»Möge es dir gelingen.«

»Laß dich durch deine Freundschaft zu Ramses nicht blenden. Mein Bruder hegt keine ehrenwerten Absichten. Wenn du Ordnung und Gerechtigkeit liebst, solltest du die Augen nicht verschließen.«

»Mißbilligst du die Entscheidung deines Vaters?«

»Sethos ist ein außergewöhnlicher Mann, aber wer begeht keine Fehler? Mir ist der Weg zur Macht endgültig versperrt, und das bedaure ich auch nicht. Mein neues Amt füllt mich voll und ganz aus, doch wie wird die Zukunft Ägyptens aussehen, wenn es einem Versager, einem Ehrgeizling in die Hände fällt?«

»Was führst du im Schilde, Chenar?«

»Ich will es dir erklären, denn ich bin überzeugt, daß dir Großes beschieden ist. Auf Ramses zu bauen wäre ein verhängnisvoller Fehler. Wenn er morgen den Thron besteigt, kennt er keine Freunde mehr und wird euch alle schnell vergessen haben.«

»Was schlägst du vor?«

»Hören wir auf, uns zu fügen, bereiten wir die Zukunft vor.«

»Die deine, wie ich vermute.«

»Um mich geht es dabei gar nicht so sehr.«

»Den Eindruck habe ich nicht.«

»Du schätzt mich falsch ein. Meinem Lande zu dienen ist mein einziges Ziel.«

»Dein Wort in der Götter Ohr. Solltest du nicht wissen, daß sie Lügen verabscheuen?«

»Die Menschen regieren Ägypten, nicht die Götter. Mir liegt an deiner Freundschaft, gemeinsam werden wir es schaffen.«

»Täusche dich nicht und geh jetzt lieber.«

»Du machst einen Fehler.«

»An einem Ort wie diesem möchte ich weder laut werden noch Gewalt anwenden. Wenn du es wünschst, können wir ja außerhalb weiterreden.«

»Das erübrigt sich, aber vergiß meine Warnungen nicht. Eines Tages wirst du es mir danken.«

Der zornige Blick von Moses entmutigte Chenar, noch weiter auf ihn einzureden. Wie er befürchtet hatte, war sein Plan mißlungen. Der Hebräer ließ sich nicht so leicht erobern wie Acha. Aber auch er hatte Schwächen, die im Laufe der Zeit erkennbar werden würden.

Dolente schob Ameni beiseite, der dem Sturmangriff der Rasenden nicht gewachsen war. Sie stieß die Tür zum Arbeitszimmer des Bruders auf und rauschte wie ein Gewittersturm hinein.

Ramses saß in Schreiberhaltung auf einer Matte und schrieb einen Erlaß zum Schutz der Bäume.

»Wirst du jetzt endlich deine Pflicht erfüllen?«

»Was ist der Grund für dein unerwartetes Erscheinen, liebe Schwester?«

»Als ob du das nicht wüßtest!«

»Hilf meinem Gedächtnis auf die Sprünge.«

»Mein Mann wartet noch immer auf seine Beförderung.«

»Wende dich an den Pharao.«

»Er weigert sich, Mitgliedern seiner Familie Vorrechte einzuräumen, die er für ungerechtfertigt erachtet!«

»Was erwartest du sonst noch?«

Dolente wurde immer zorniger.

»Diese Entscheidung ist es, die ungerechtfertigt ist! Sary verdient eine Beförderung, und du als Regent mußt ihn zum Oberaufseher der Kornspeicher ernennen!«

»Ein Regent sollte gegen den Willen des Pharaos handeln?«

»Führ dich nicht auf wie ein Feigling!«

»Den Pharao zu beleidigen ist in meinen Augen ein Frevel.«

»Willst du mich verspotten?«

»Beruhige dich, Dolente, ich bitte dich darum.«

»Gib mir, was du mir schuldig bist.«

»Das ist unmöglich.«

»Tu doch nicht so, als wärest du unbestechlich! Du bist wie alle anderen, verbünde dich mit den Deinen!«

»Du bist doch sonst so friedfertig.«

»Ich habe mich nicht von Chenars Tyrannei befreit, um mich nun deiner zu unterwerfen. Hältst du an deiner Weigerung fest?«

»Begnüge dich mit dem, was du hast, Dolente. Habgier ist ein tödliches Laster.«

»Behalt sie für dich, deine veralteten Moralvorstellungen«, fauchte sie und verschwand.

Im Garten von Iset, der Schönen, wuchsen majestätische Sykomoren, die wohltuenden Schatten spendeten. Die junge Frau suchte dort Kühlung, während Ramses junge Setzlinge in den lockeren und gut vorbereiteten Boden pflanzte. Das Blattwerk über ihm raschelte in der sanften Brise, die von Norden kam. Streckte dieser Baum, in dem die Gottheit Hathor sich so gerne verkörperte, nicht seine grünen Äste hoch ins Jenseits, um die Gerechten zu speisen und zu tränken, ihnen Nase und Mund zu öffnen und sie mit jenem himmlischen Duft zu umhüllen, der den Herrn der Ewigkeit bezauberte?

Iset pflückte Lotosblüten und steckte sie sich ins Haar.

»Möchtest du eine Weintraube?«

»In zwanzig Jahren wird diese großartige Sykomore diesen Garten noch reizvoller machen.«

»In zwanzig Jahren werde ich alt sein.«

Ramses sah sie prüfend an.

»Wenn du weiterhin mit Schmink- und Salbtöpfchen so geschickt umgehst wie bisher, wirst du sogar noch reizvoller sein.«

»Werde ich dann endlich verheiratet sein mit dem Mann, den ich liebe?«

»Ich bin kein Wahrsager.«

Mit einer Lotosblüte schlug sie ihm gegen die Brust.

»Man munkelt, in den Steinbrüchen von Assuan wäre es beinahe zu einem Unfall gekommen.«

»Unter Sethos’ Schutz bin ich unverletzlich.«

»Also haben die Angriffe auf dich noch immer nicht aufgehört.«

»Sei beruhigt, wir werden den Schuldigen bald entlarvt haben.«

Sie nahm ihre Perücke ab, löste ihr langes Haar und breitete es über Ramses’ Körper. Dann küßte sie ihn leidenschaftlich mit ihren warmen Lippen.

»Ist das Glück denn so schwer zu packen?«

»Wenn du es gefunden hast, dann halt es fest.«

»Bei dir zu sein ist mein höchstes Glück. Wann wirst du das begreifen?«

»Jetzt sofort.«

Umschlungen ließen sie sich auf die Seite rollen. Iset, die Schöne, empfing die Lust ihres Geliebten wonnetrunken und beglückt.

Die Papyrusherstellung war in Ägypten ein Handwerk von hoher Bedeutung. Der Preis richtete sich nach Güte und Länge der Rollen. Jene, die Sprüche aus dem Totenbuch, dem »Buch zum Hinaustreten ins Licht«, trugen, waren für die Gräber bestimmt; andere für Schulen und höhere Lehranstalten; die meisten aber für die Verwaltung, denn dort wurde auf Papyrus alles festgehalten, was das Land betraf.

Sethos hatte dem Regenten aufgetragen, in regelmäßigen Abständen die Papyrusherstellung und die gerechte Verteilung zu überprüfen. Immer wieder wurden Klagen laut über unzureichende Mengenzuteilung und die Habgier des Nachbarn.

Bei den Schreibern, die für Chenar arbeiteten, hatte Ramses soeben einen solchen Mißbrauch aufgedeckt und, um ein Ende zu setzen, seinen Bruder zu sich gebeten.

Chenar schien bestens gelaunt.

»Wenn du mich brauchst, Ramses, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung.«

»Überwachst du das Tun deiner Schreiber?«

»Nicht in allen Einzelheiten.«

»Den Ankauf von Papyrus, beispielsweise?«

»Gibt es da irgendwelche Schwierigkeiten?«

»In der Tat. Deine Schreiber beschlagnahmen willkürlich große Mengen von erstklassigem Papyrus.«

»Ich schreibe gerne auf schönem Papyrus, aber ich gebe zu, daß ein solches Vorgehen nicht geduldet werden darf. Die Schuldigen werden streng bestraft werden.«

Chenars Antwort überraschte Ramses, da er keine Einwände erhob und seinen Fehler sogar zugab.

»Dein Vorgehen kann ich nur gutheißen«, fuhr Chenar fort, »nur Änderung bringt Gesundung. Kein Verstoß gegen die guten Sitten, und sei er noch so geringfügig, darf geduldet werden. In diesem Bereich kann ich mich dir wirklich als nützlich erweisen, denn mein Amt gewährt mir Einblick in das Gebaren bei Hof und macht es mir leicht, Regelwidrigkeiten aufzuspüren. Es genügt auch nicht, sie aufzudecken, jedes Fehlverhalten muß berichtigt werden.«

Ramses fragte sich, ob er wirklich seinen Bruder vor sich hatte. Welcher wohlwollende Gott hatte denn aus dem verschlagenen Höfling einen Verfechter des Rechts gemacht?

»Ich nehme dein Angebot gerne an.«

»Nichts könnte mich mehr beglücken als brüderliche Zusammenarbeit! Ich werde gleich anfangen, meinen Stall auszumisten, und dann werden wir uns all die anderen im Reich vornehmen.«

»Siehst du denn überall Unrat?«

»Sethos ist ein großer König, sein Name wird in die Geschichte eingehen, aber er kann sich nicht um alles und jeden kümmern! Als Würdenträger, Sohn oder Enkel eines solchen nimmt man schlechte Gewohnheiten an und maßt sich zum Schaden anderer gewisse Vorrechte an. Als Regent hast du die Möglichkeit, diesem Sittenverfall Einhalt zu gebieten. Ich gestehe, auch ich habe in der Vergangenheit von Vorrechten Gebrauch gemacht, doch dies ist nun vorbei. Wir sind Brüder, der Pharao hat jedem seinen rechtmäßigen Platz zugewiesen. Aus dieser Erkenntnis müssen wir leben und handeln.«

»Ist das Waffenstillstand oder Friede?«

»Friede, endgültig und unwiderruflich«, beteuerte Chenar. »Wir haben einander nur zu oft die Stirn geboten, daran trägt jeder von uns beiden Schuld. Dieser Bruderkrieg ist sinnlos geworden. Du bist der Regent und ich der Oberste Zeremonienmeister. Arbeiten wir Hand in Hand zum Wohle unseres Landes.«

Ramses war verwirrt, als Chenar gegangen war. War das nur wieder eine Falle, ein neuer Schachzug, oder war der Bruder diesmal ehrlich?