37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 42

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EINUNDVIERZIG

Tuja, die grosse königliche Gemahlin, waltete ihres Amtes als Vorsitzende bei der Aufnahmeprüfung für junge Musikerinnen. Die jungen Frauen, die den Hathor-Kult im Tempel von Memphis mitgestalten würden, waren aus allen Provinzen des Landes angereist und hatten – ob sie nun sangen, tanzten oder ein Instrument spielten – bereits eine Vorprüfung abgelegt.

Die Königin hatte die Bewerberinnen derartig beeindruckt, daß viele von ihnen rundum versagten. Die gestrengen und wachen Augen der Herrscherin, ihre ausgeprägten Wangenknochen, die schmale und gerade Nase und das kleine eckige Kinn verliehen Tuja Schönheit und Autorität zugleich. Ehrfurcht gebot auch ihre Raubvogelperücke, eine Weihe, das Sinnbild der Mütterlichkeit. Tuja, die sich in ihrer Jugend der gleichen Prüfung unterzogen hatte, ließ keinerlei Nachsicht walten, denn wer der Gottheit dienen wollte, mußte vor allem über Selbstbeherrschung verfügen.

Schon die Beherrschung der Instrumente ließ zu wünschen übrig. Sie würde die Lehrer in den Harims tadeln müssen, die in letzter Zeit offenbar die Zügel schleifen ließen. Hervorragend war nur eine. Diese junge Frau hatte ein ernstes, gesammeltes Gesicht von erstaunlicher Schönheit, und wenn sie ihre Laute spielte, war sie so versunken, als wäre die Außenwelt nicht mehr vorhanden.

In den Gärten des Tempels wurde allen Bewerberinnen, mochten sie glücklich oder unglücklich sein, eine Erfrischung gereicht. Die einen schluchzten, die anderen kicherten nervös. Sie waren alle noch so jung, fast noch Kinder. Nur Nefertari, der die Altpriesterinnenschaft die Leitung der Tempelmusikerinnen zu übertragen gedachte, schien so gelassen, als betreffe sie diese Auszeichnung gar nicht.

Die Königin trat auf sie zu.

»Du warst glänzend.«

Die junge Lautenspielerin verneigte sich.

»Wie heißt du?«

»Nefertari.«

»Woher kommst du?«

»Ich bin in Theben geboren und habe meine Ausbildung im Harim Mer-Our erhalten.«

»Dieser Erfolg scheint dir keine große Freude zu bereiten.«

»Ich wollte nicht nach Memphis übersiedeln, sondern nach Theben zurückkehren, um im Amun-Tempel zu dienen.«

»In der Abgeschiedenheit?«

»In den Amun-Kult eingeweiht zu werden ist mein innigster Wunsch, aber ich bin noch zu jung.«

»Für ein Mädchen deines Alters ist das ungewöhnlich. Bist du etwa vom Leben enttäuscht, Nefertari?«

»Nein, Majestät, aber die Rituale beglücken mich.«

»Möchtest du nicht heiraten und Kinder haben?«

»Daran habe ich noch nicht gedacht.«

»Das Leben im Tempel ist karg.«

»Ich hebe die steinernen Zeugen der Ewigkeit, ihre Geheimnisse und die innere Sammlung, die sie fordern.«

»Würdest du dennoch bereit sein, ein Weilchen von ihnen Abstand zu nehmen?«

Ohne Scheu sah Nefertari zur großen königlichen Gemahlin auf. Tuja hatte diesen freimütigen, offenherzigen Blick.

»Die Leitung der Tempelmusikerinnen ist ein hohes Amt, doch ich habe anderes mit dir vor. Wärest du bereit, die Leitung des Hofstaats der Königin zu übernehmen?«

Leiterin des Hofstaats der großen königlichen Gemahlin! Wie viele vornehme Damen träumten nicht von diesem Amt, denn es bedeutete, die Vertraute der Königin zu sein.

»Die alte Freundin, die dieses Amt versah, ist vorigen Monat verstorben«, erklärte Tuja. »Es gibt viele Anwärterinnen bei Hof, und jede verleumdet die andere, um sie auszustechen.«

»Ich habe keinerlei Erfahrung, ich…«

»Du bist nicht von Adel, nicht ständig auf deine Vorrechte bedacht, und deine Familie verweist nicht auf Schritt und Tritt auf eine ruhmreiche Vergangenheit, um ihre jetzige Trägheit zu rechtfertigen.«

»Ist meine Herkunft nicht ein schwerwiegendes Hindernis?«

»Für mich zählt nur, was der einzelne wert ist. Und ein wertvoller Mensch überwindet jedes Hindernis. Wofür entscheidest du dich?«

»Darf ich noch etwas nachdenken?«

Die Königin lächelte belustigt. Keine adelige Dame bei Hof hätte eine solche Frage zu stellen gewagt.

»Ich fürchte, nein. Wenn du zu lange Tempelluft atmest, wirst du mich vergessen haben.«

Nefertari faltete die Hände vor der Brust und verneigte sich.

»Zu Diensten, Majestät.«

Königin Tuja liebte die frühen Morgenstunden, daher stand sie vor Tagesanbruch auf. Der Augenblick, da ein Lichtstrahl die Finsternis durchstieß, versinnbildlichte für sie jeden Tag aufs neue die Erschaffung des Lebens. Zu ihrer großen Genugtuung teilte Nefertari ihre Freude an der Arbeit in den Morgenstunden. Daher gab sie ihr gleich beim gemeinsamen Frühstück ihre Anweisungen für den Tag.

Schon drei Tage nach ihrer Entscheidung wußte Tuja, daß sie sich nicht geirrt hatte. Nefertari war nicht nur schön, sondern verfügte außerdem noch über einen Scharfsinn, der völlig frei von Zwängen war und sie befähigte, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Sofort, gleich beim ersten Mal, als sie die Arbeit besprachen, hatte Einklang geherrscht zwischen der Königin und ihrer Hofmeisterin. Eine Andeutung genügte, und sie verstanden sich, wenn sie nicht gar den gleichen Gedanken hatten. Sobald ihre morgendlichen Gespräche beendet waren, begab sich Tuja in ihre Privatgemächer.

Während die Perücke der Königin noch von der Zofe mit Essenzen benetzt wurde, erschien Chenar bei seiner Mutter.

»Schick die Dienerin fort«, befahl er. »Was ich zu sagen habe, ist nicht für lauernde Ohren bestimmt.«

»Ist es so gewichtig?«

»Ich fürchte, ja.«

Die Zofe entfernte sich. Chenar schien wirklich von Angst gepeinigt.

»Sprich, mein Sohn.«

»Ich habe lange gezögert.«

»Da du dich nun aber doch wohl entschieden hast, warum spannst du mich dann noch länger auf die Folter?«

»Weil – weil ich mich nur schwer entschließen kann, dir schrecklichen Kummer zu bereiten.«

Nun war Tuja wirklich besorgt.

»Ist ein Unglück geschehen?«

»Sethos, Ramses und die Schutztruppen sind verschollen.«

»Hast du genauere Auskünfte?«

»Es ist doch nun schon sehr lange her, daß sie in die Wüste aufbrachen, um die Goldgräber zu finden, und all die Gerüchte verheißen nichts Gutes.«

»Hör sie dir einfach nicht an. Wenn Sethos tot wäre, wüßte ich es.«

»Wieso?«

»Zwischen deinem Vater und mir bestehen unsichtbare Bande. Selbst wenn wir fern voneinander sind, bleiben wir vereint. Beruhige dich also.«

»Du mußt ein Einsehen haben. Der König und seine Truppen müßten längst zurück sein. Wir können das Land nicht einfach verwaist lassen.«

»Der Wesir und ich erledigen die laufenden Geschäfte.«

»Wünschst du meine Unterstützung?«

»Erfülle deine Aufgaben und begnüge dich damit. Ein größeres Glück gibt es auf Erden nicht. Solltest du dennoch weiterhin besorgt sein, warum setzt du dich dann nicht an die Spitze eines Suchtrupps und folgst den Spuren deines Vaters und deines Bruders?«

»Da ist noch etwas anderes, das wir nicht verstehen, etwas Merkwürdiges. Die bösen Geister der Wüste verschlingen alle, die ihr das Gold zu entreißen suchen. Ist es nicht meine Pflicht, hier auszuharren?«

»Höre auf die Stimme deines Gewissens.«

Keiner der beiden Boten, die Sethos im Abstand von vier Tagen ausgesandt hatte, erreichte Ägypten. Auf dem Weg ins Tal lauerten ihnen Sandläufer auf, töteten sie, beraubten sie ihrer Kleidung und zerbrachen die von Ramses beschriebenen Holztäfelchen, auf denen der Königin mitgeteilt wurde, daß die Truppe Gold gefunden hatte, es abbaute und die Grundfesten legte für einen Tempel und eine Stadt für die Grubenarbeiter.

Der von den Sandläufern geschickte Bote teilte Chenar mit, der König und der Regent seien wohlauf, und der König habe dank göttlicher Eingebung mitten in der Wüste eine reich sprudelnde Quelle entdeckt. Die Beduinen, die den Auftrag hatten, den Hauptbrunnen zu vergiften, hatten also versagt.

Viele bei Hof vermuteten, Sethos und Ramses seien einem bösen Geist zum Opfer gefallen. Aber wie ließ sich die Abwesenheit des Herrschers nutzen? Tuja hielt die Zügel der Macht fest in der Hand. Nur wenn ihr Gemahl und ihr jüngerer Sohn tatsächlich tot wären, müßte sie Chenar zum Regenten ernennen.

In ein paar Wochen, spätestens, würde die Expedition zurück sein. Dann wäre die schöne Gelegenheit, sich dem höchsten Amt zu nähern, erneut verpaßt. Ein Hoffnungsschimmer blieb Chenar noch. Die unerträgliche Hitze, die Schlangen oder die Skorpione könnten den Auftrag erfüllen, an dem die Beduinen gescheitert waren.

Ameni tat kein Auge mehr zu.

Die Gerüchte verdichteten sich. Die von Sethos und Ramses angeführte Truppe war nun auch verschwunden. Anfangs glaubte der junge Schreiber all diesem Geschwätz nicht, doch dann erkundigte er sich bei der königlichen Botendienststelle und erfuhr die beklemmende Wahrheit.

Man war gänzlich ohne Kunde über den Pharao und den Regenten und unternahm offensichtlich nichts!

Eine einzige Person vermochte den Anstoß dazu zu geben und Hilfstruppen in die westliche Wüste zu entsenden. Also begab sich Ameni zum Palast der großen königlichen Gemahlin, wo eine auffallend schöne junge Frau ihn empfing. Obwohl er dem weiblichen Geschlecht und seinem bösen Zauber mißtraute, gefiel dem jungen Schreiber das ebenmäßige Gesicht Nefertaris. Auch der tiefe Blick und die sanfte Stimme bezauberten ihn.

»Ich bitte, zu Majestät vorgelassen zu werden.«

»Während des Pharaos Abwesenheit ist sie überaus beschäftigt. Dürfte ich den Anlaß deines Besuchs erfahren?«

»Verzeih, aber…«

»Mein Name ist Nefertari. Die Königin hat mich zur Vorsteherin ihres Hofstaats ernannt. Ich verspreche, alles, was du mir sagst, getreu wiederzugeben.«

Obwohl sie eine Frau war, schien sie ihm aufrichtig. Und obwohl er es als Schwäche ansah, ließ Ameni sich betören.

»Als Schreiber und Sandalenträger des Regenten halte ich es für unumgänglich, sofort einen Trupp ausgesuchter Männer loszuschicken, um sie zu suchen.«

Nefertari lächelte.

»Ich kann deine Befürchtungen zerstreuen, die Königin ist im Bilde.«

»Im Bilde? Aber das genügt nicht!«

»Der Pharao ist nicht in Gefahr.«

»Dann hat der Hof also Nachricht erhalten?«

»Weitere Erklärungen vermag ich dir nicht zu geben, aber hab Vertrauen.«

»Ich flehe dich an, bestürme die Königin!«

»Das Schicksal ihres Gemahls und ihres Sohnes ist ihr ebenso wichtig wie dir, das mußt du glauben. Wären sie in Gefahr, würde sie handeln.«

Dieses Gerüttel auf dem Rücken eines kräftigen und flinken Esels war eine Marter, aber Ameni, obwohl er jede Ortsveränderung haßte, mußte so schnell wie möglich zu Setaou. Der Schlangenbeschwörer lebte weit außerhalb von Memphis am Rande der Wüste. Der steinige Weg am Bewässerungskanal entlang nahm kein Ende. Zum Glück hatten ein paar Uferbewohner schon von Setaou und seiner nubischen Frau gehört und konnten Angaben machen zu seiner Behausung.

Als er endlich in sicherem Hafen war, konnte Ameni sich kaum mehr aufrichten, außerdem mußte er bei all diesem Staub ständig niesen und sich die geröteten und schmerzenden Augen reiben.

Lotos, die vor dem Haus ein Gebräu herstellte, dessen übler Geruch die Nasenhöhlen des jungen Schreibers beleidigte, bat ihn einzutreten. Als er einen Fuß über die Schwelle des großen weißen Hauses setzen wollte, schreckte er zurück.

Eine Königskobra bedrohte ihn.

»Sie ist ein altes, harmloses Tier«, beruhigte ihn Lotos.

Sie strich dem Reptil über den Kopf, und es wiegte sich vor Wohlbehagen. Ameni schlüpfte an ihr vorbei ins Innere des Hauses.

Der erste Raum war vollgestopft mit Gefäßen verschiedener Größen und merkwürdigen Gerätschaften, die zur Giftgewinnung dienten. Da hockte Setaou und schüttete eine dickliche und rötliche Flüssigkeit von einem Behälter in den anderen.

»Solltest du dich verirrt haben, Ameni? Du hockst nicht in deiner Stube? Das grenzt ja an ein Wunder!«

»Eher an ein Erdbeben.«

»Welcher Hexenmeister hat dich denn aus deiner Höhle gelockt?«

»Ramses ist Opfer einer Verschwörung.«

»Dein überhitzter Geist gaukelt dir etwas vor.«

»Er ist in der östlichen Wüste verschollen, auf dem Goldgräberpfad, und Sethos ist auch dabei.«

»Ramses soll sich verirrt haben?«

»Seit zehn Tagen gibt es keinerlei Nachricht mehr von ihm.«

»Gab es vielleicht eine Verspätung bei den Kundschafterdiensten?«

»Nein, ich war schon dort. Und das ist noch nicht alles.«

»Was denn noch?«

»Königin Tuja hat die Verschwörung angezettelt.«

Setaou hätte beinahe alles verschüttet. Er schaute sich nach dem jungen Schreiber um.

»Hast du den Verstand verloren?«

»Ich habe um eine Unterredung gebeten, und sie wurde mir verwehrt.«

»Das ist doch nichts Außergewöhnliches.«

»Ich erfuhr, die Königin erachte die Lage als völlig normal. Sie habe keinerlei Befürchtung und beabsichtige nicht, einen Suchtrupp loszuschicken.«

»Das mag ein Gerücht sein.«

»Ich habe es von Nefertari, der neuen Hofmeisterin der Königin.«

Setaou schien beklommen.

»Du glaubst also, Tuja habe versucht, sich ihres Gemahls zu entledigen, um selbst die Macht zu übernehmen? Das ist höchst unwahrscheinlich!«

»Die Tatsachen lassen sich nicht leugnen.«

»Sethos und Tuja sind doch eng verbunden.«

»Warum verweigert sie ihm dann jede Hilfe? Es ist doch offensichtlich. Sie hat ihn in den sicheren Tod geschickt, um den Thron zu besteigen.«

»Selbst wenn du recht hättest, was sollten wir tun?«

»Wir müssen Ramses suchen.«

»Und mit welchem Heer?«

»Du und ich, das genügt.«

Setaou stand auf.

»Du willst stundenlang durch die Wüste hecheln? Du bist wirklich von Sinnen, mein armer Ameni.«

»Machst du mit?«

»Natürlich nicht!«

»Du läßt Ramses im Stich?«

»Wenn deine Vermutung stimmt, ist er bereits tot. Warum dann noch unser Leben aufs Spiel setzen?«

»Einen Esel und Wasservorräte habe ich schon. Gib mir noch eine Arznei gegen Schlangenbiß.«

»Damit könntest du nichts anfangen.«

»Dann habe Dank für alles.«

»Bleib! Was du vorhast, ist Wahnsinn!«

»Ich stehe in Ramses’ Diensten. Man bricht sein Wort nicht.«

Ameni kletterte auf seinen Esel und schlug den Weg zur östlichen Wüste ein. Bald schon war er gezwungen, anzuhalten. Er legte sich mit angezogenen Beinen auf den Rücken, um seine Gliedmaßen zu entspannen, während das Grautier im Schatten einer Persea ein paar vertrocknete Grasbüschel kaute.

Im Halbschlaf sann der junge Schreiber darüber nach, daß er sich vielleicht einen Stock verschaffen müßte. Vielleicht müßte er ja kämpfen?

»Hast du schon aufgegeben?«

Ameni öffnete die Augen und fuhr hoch.

Da stand Setaou vor ihm, mit fünf Eseln, die mit Wasserschläuchen und allem, was man für den Kampf gegen die Wüste brauchte, beladen waren.