37753.fb2
Sethos eröffnete sein elftes Regierungsjahr mit einer Opferhandlung. Er huldigte dem riesigen Sphinx von Gizeh, dem Hüter der Hochebene, auf der die Pyramiden der Pharaonen Cheops, Chephren und Mykerinos erbaut worden waren. Da er dort wachte, vermochte kein Unwürdiger vorzudringen an diese heilige Stätte, aus der das ganze Land seine Kraft schöpfte.
Als Regent durfte Ramses seinen Vater in den kleinen Tempel vor dem Sphinx, einem ruhenden Löwen mit Königskopf und zum Himmel erhobenen Augen, begleiten. Bildhauer hatten eine Stele errichtet, die Sethos darstellte, wie er die Säbelantilope des Gottes Seth erlegte. Im Kampf gegen die dunklen Mächte, die dieses Wüstentier verkörperte, erfüllte der Pharao seine hehrste Pflicht, die diese Jagd versinnbildlichte: die Unordnung durch Ordnung zu ersetzen.
Ramses war tief beeindruckt. Die Kraft, die dieser Ort ausströmte, prägte sich jeder Faser seines Körpers ein. War in Abydos alles auf Vertrauen und Besinnlichkeit angelegt, so war Gizeh die augenfälligste Bekundung der Anwesenheit des Ka. Ka, die unsichtbare und allgegenwärtige Kraft, die in der Tierwelt in die Haut des wilden Stiers geschlüpft war. Dies hier hatte ewigen Bestand, die Pyramiden würden die Zeiten überdauern.
»Am Nilufer«, bekannte Ramses, »habe ich ihn wiedergesehen.
Der Stier und ich standen einander gegenüber, und er starrte mich an wie beim erstenmal.«
»Du wolltest auf die Regentschaft und die Königsherrschaft verzichten«, antwortete Sethos, »und davon hat er dich abgehalten.«
Sein Vater las in seinen Gedanken. Vielleicht hatte Sethos sich gar in den wilden Stier verwandelt, um seinem Sohn seine Verantwortung klarzumachen.
»Ich habe nicht alle Geheimnisse von Abydos zu entschlüsseln vermocht, aber daß das Leben das große Geheimnis enthält, das hat diese Zeit der Besinnung mich gelehrt.«
»Kehre häufig dorthin zurück, und wache über diesen Tempel. Auch der Osiris-Kult sorgt für das Gleichgewicht unseres Landes.«
»Ich habe noch eine Entscheidung getroffen.«
»Deine Mutter ist einverstanden, ich auch.«
Am liebsten hätte er seiner Freude in Jubelrufen Ausdruck verliehen, doch die Weihe dieses Ortes ließ so etwas nicht zu. Ob auch er, Ramses, eines Tages im Herzen der Menschen würde lesen können, so wie Sethos es vermochte?
So ausgelassen hatte Ramses Ameni noch nie erlebt.
»Ich weiß alles, und ich habe ihn überführt! Es ist unglaublich, aber es gibt keinen Zweifel. Schau her, sieh dir das an!«
Der junge Schreiber, der sonst so peinlich auf Sorgfalt bedacht war, wühlte sich buchstäblich aus einem Haufen von Papyri, Holztäfelchen und Kalksteinscherben hervor. Was sich seit Monaten hier angehäuft hatte an Schriftstücken, hatte er immer wieder von neuem geprüft.
»Er ist es!« beteuerte er. »Es ist seine Schrift! Ich erkenne auch die Verbindung zum Wagenlenker, der in seinen Diensten stand, und folglich auch zum Stallknecht! Stell dir das bloß vor, Ramses!
Ein Dieb und Verbrecher, das ist er! Warum hat er sich auf so etwas bloß eingelassen?«
Es war wirklich kaum zu glauben, aber eindeutig. Ameni hatte großartige Arbeit geleistet, es gab keinen Zweifel mehr.
»Ich werde ihn fragen.«
Ramses’ ältere Schwester Dolente und ihr Mann Sary, dessen Bauch sich immer mehr wölbte, vergnügten sich mit dem Füttern exotischer Fische im Wasserbecken ihres Gartens. Dolente war schlecht gelaunt. Diese Hitze, und diese krankhaft fettige Haut! Sie würde den Arzt und die Salben wechseln müssen.
Ein Diener meldete, Ramses sei zu Besuch gekommen.
»Endlich ein Zeichen der Anerkennung!« rief Dolente und umarmte ihren Bruder. »Weißt du, daß der Hof dich in Abydos als Einsiedler wähnte?«
»Der Hof täuscht sich oft, und er regiert nicht das Land.«
Der ernsthafte Ton überraschte Dolente und Sary. Der junge Prinz hatte sich verändert. Hier sprach kein Jüngling mehr, sondern der Regent Ägyptens.
»Bist du gekommen, um endlich meinem Mann die Leitung der Kornspeicher zu übertragen?«
»Du solltest uns jetzt lieber allein lassen, liebe Schwester.«
Dolente war beleidigt.
»Mein Mann hat kein Geheimnis vor mir.«
»Bist du dir sicher?«
»Ich weiß es genau.«
Sarys übliche Leutseligkeit war gewichen. Der ehemalige Prinzenerzieher wirkte verkrampft und besorgt.
»Erkennst du diese Schrift wieder?«
Ramses zeigte ihnen den Brief, der den Vater und ihn zum Aufbruch in die Steinbrüche von Assuan bewogen hatte.
Weder Sary noch seine Gemahlin antworteten.
»Dieser Brief trägt eine gefälschte Unterschrift, aber der Schriftzug ist eindeutig. Es ist deiner, Sary. Der Vergleich mit anderen Unterlagen ist der schlagende Beweis.«
»Das ist eine Fälschung, eine plumpe Nachahmung…«
»Da dein Amt als Lehrer dir nicht mehr genügte, hast du einen Betrug mit minderwertigen Tintensteinen ersonnen und sie mit dem Siegel ‹erstklassig› in den Handel gebracht. Als du dich in Gefahr wähntest, hast du versucht, jede Spur, die sich bis zu dir hätte zurückverfolgen lassen, zu verwischen. Nichts einfacher als das für jemanden, der wie du die Archive und das Schreiberamt kennt. Aber die Scherbe einer Schriftprobe war erhalten geblieben, und die hat Ameni, der für seine Wahrheitssuche beinahe mit dem Leben bezahlt hätte, in einem Scherbenhaufen gefunden. Lange Zeit haben er und ich geglaubt, Chenar sei der Schuldige, doch dann entdeckte Ameni seinen Irrtum. Vom Namenszug des Besitzers dieser Werkstatt war nur noch ein Bruchteil erhalten, und der war nicht Bestandteil des Namens Chenar, sondern deines, Sary. Außerdem hast du den Wagenlenker, der mich in eine Falle gelockt hat, über ein Jahr lang beschäftigt. Mein Bruder ist unschuldig, du bist der einzig Schuldige.«
Der ehemalige Erzieher des Regenten hatte die Zähne zusammengebissen und vermied es, Ramses anzublicken. Dolente hingegen schien weder erschüttert noch überrascht.
»Du hast keinen schlüssigen Beweis in Händen«, ließ sich Sary vernehmen. »Aufgrund solch dürftiger Hinweise wird kein Gericht mich verurteilen.«
»Warum haßt du mich?«
»Weil du ein Hindernis bist auf unserem Weg!« schrie Ramses’ Schwester wie von Sinnen. »Du bist nur ein Gockel, ein Geck, der sich viel zuviel zutraut! Mein Mann ist ein großartiger Mensch, gebildet, klug und anpassungsfähig; ihm fehlt nichts, um Ägypten zu regieren. Und durch mich, die Tochter des Königs, hat er einen Anspruch darauf!«
Dolente faßte nach der Hand ihres Gatten.
»Der Ehrgeiz hat euch wahnsinnig gemacht«, stellte Ramses fest. »Um meinen Eltern eine solch grausame Pein zu ersparen, werde ich davon absehen, Klage zu erheben. Aber ich befehle euch, Memphis zu verlassen. Ihr werdet euch in einer kleinen Provinzstadt ansiedeln und euch hier nicht mehr blicken lassen. Beim geringsten Aufbegehren droht euch Verbannung.«
»Ich bin deine Schwester, Ramses.«
»Das ist der Grund für meine Nachsicht und meine Schwäche.«
Obwohl man ihm nach dem Leben getrachtet hatte, war auch Ameni bereit, auf eine Anklage zu verzichten. Dieses Zeichen der Freundschaft war für Ramses wie Balsam auf die Wunde, die seine Schwester und sein ehemaliger Erzieher ihm zugefügt hatten. Hätte Ameni gerechte Rache gefordert, hätte er sich nicht widersetzt, doch der junge Schreiber dachte an nichts anderes, als für den Tag der Hochzeit des Regenten mit Nefertari alle, die ihm nahestanden, zusammenzutrommeln.
»Setaou ist wieder in seiner Giftküche und hat riesige Mengen Schlangengift mitgebracht, Moses wird übermorgen in Memphis erwartet. Nur Acha… Er ist zwar auf dem Weg hierher, doch wie lange es dauern wird, bis er da ist, weiß niemand so recht.«
»Wir werden auf ihn warten.«
»Ich freue mich für dich. Es heißt, Nefertari sei die Schönste der Schönen.«
»Bist du nicht dieser Ansicht?«
»Ich kann nur die Schönheit eines Papyrus oder eines Gedichts beurteilen, nicht die einer Frau. Verlang nicht zuviel von mir.«
»Wie geht es Homer?«
»Er wartet schon ungeduldig auf dich.«
»Ihn werden wir auch einladen.«
Ameni schien irgendwie unruhig.
»Plagt dich etwas?«
»Ja, es ist deinetwegen, ich habe mich dagegen gestemmt, aber lange werde ich nicht mehr durchhalten. Iset verlangt dich zu sehen.«
Iset, die Schöne, hatte sich vorgenommen, ihren Zorn nicht zu verbergen und ihren Geliebten mit Schmähungen und Vorwürfen zu überschütten. Doch als er auf sie zukam, war sie entwaffnet. Ramses hatte sich verändert, auffallend verändert. Er war nicht mehr nur der leidenschaftliche junge Mann, in den sie verliebt war, sondern ganz offenkundig der geborene Regent.
Die junge Frau hatte den Eindruck, jemanden vor sich zu haben, den sie gar nicht kannte und über den sie keinerlei Macht mehr besaß. Ihr Groll verflog und machte der Ehrfurcht Platz.
»Dein Besuch ehrt mich.«
»Meine Mutter hat mir von deinem Ansinnen erzählt.«
»Ich war so besorgt, das stimmt, und wünschte sehnlichst deine Rückkehr!«
»Und bist du jetzt enttäuscht?«
»Du wirst eine andere zur Gemahlin nehmen.«
»Ja, morgen vermähle ich mich mit Nefertari.«
»Sie ist sehr schön, doch du sollst wissen, daß ich ein Kind erwarte.«
Ramses faßte zärtlich nach ihrer Hand.
»Hast du geglaubt, ich ließe dich im Stich? Dieses Kind wird das unsrige sein. Morgen, wenn das Schicksal will, werde ich Nefertari zur großen königlichen Gemahlin erwählen. Aber wenn du es wünschst und wenn sie einwilligt, wirst du im Palast wohnen.«
Sie drängte sich an ihn.
»Liebst du mich, Ramses?«
»Abydos und der wilde Stier haben mir meine wahre Natur offenbart. Ich bin vermutlich nicht wie die anderen Männer, Iset. Mein Vater hat meinen Schultern eine Last aufgebürdet, die mich vielleicht erdrücken wird, aber ich möchte das Abenteuer wagen. Du verkörperst die Leidenschaft und das Begehren, das Feuer der Jugend, doch Nefertari ist die geborene Königin.«
»Ich werde alt werden, und du wirst mich vergessen.«
»Ich bin ein Stammesoberhaupt, und ein Stammesoberhaupt vergißt die Seinen nie. Möchtest du dazugehören?«
Sie bot ihm ihre Lippen dar.
Die Heirat war eine persönliche Angelegenheit, die keinen Anlaß bot zu einer religiösen Zeremonie. Nefertari hatte sich ein schlichtes Fest gewünscht, auf dem Lande, in einem Palmenhain, zwischen Kornfeldern und blühenden Mondbohnen, in der Nähe eines Kanals, an dessen schlammigen Ufern die Herden zur Tränke kamen.
Die junge Frau trug wie Königin Tuja ein kurzes Leinenkleid und als Schmuck Lapislazuli-Armbänder und Karneolkette. Der Eleganteste war Acha. Er war am selben Morgen aus den Ostländern zurückgekehrt, und dieses in so bäuerlichem Rahmen gehaltene Fest, das im Beisein der großen königlichen Gemahlin, Mosis, Amenis und Setaous nebst einem berühmten griechischen Dichter, einem Löwen mit gewaltigen Pranken und einem schier närrischen Hund stattfand, erstaunte ihn sehr. Acha wäre höfischer Prunk lieber gewesen, doch er enthielt sich jeglichen Einwands und teilte das ländliche Mahl trotz der spöttischen Blicke Setaous.
»Du fühlst dich nicht wohl in deiner Haut«, bemerkte der Schlangenbeschwörer.
»Es ist ein hübscher Ort.«
»Aber das Gras macht Flecken auf dein schönes Gewand! Das Leben ist manchmal doch recht hart, vor allem, wenn weit und breit kein Reptil zu sehen ist.«
Trotz seiner schwachen Sehkraft war Homer hingerissen von Nefertari. Widerstrebend mußte er zugeben, daß sie an Schönheit Helena noch übertraf.
»Diesen echten Erholungstag verdanke ich dir, und ich genieße ihn«, sagte Moses zu Ramses.
»Ist Karnak so anstrengend?«
»Das Bauvorhaben ist so gewaltig, daß der geringste Fehler ein Scheitern bewirken würde. Ich prüfe unermüdlich jede Einzelheit, damit die Arbeiten ungehindert weitergehen.«
Sethos war nicht anwesend. Obwohl er diese Heirat guthieß, hatte der König sich keinen Mußetag gönnen können. Ägypten gewährte ihn nicht.
Es war ein gelöster und glücklicher Tag. Zurück in Memphis, nahm Ramses Nefertari in die Arme und führte sie über die Schwelle ihres Hauses. Vor dem Gesetz waren sie jetzt Mann und Frau.