37753.fb2 Der Sohn des Lichts - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 51

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FÜNFZIG

Ramses’ und Nefertaris tochter hatte nur zwei Monate gelebt. Das schwächliche Kind, das auch nicht essen wollte, war ins Reich der Schatten heimgekehrt. Der Kummer der jungen Frau hatte den Ärzten viel Sorge bereitet. Drei Wochen lang hatte Sethos ihr täglich die Hände aufgelegt, um ihr die notwendige Kraft zu verleihen, diesen Schmerz zu überwinden.

Der Regent leistete seiner Gemahlin hilfreichen Beistand. Kein Ton der Klage kam über Nefertaris Lippen. Allzugern raffte der Tod Neugeborene dahin, ungeachtet ihrer Herkunft. Aus ihrer Liebe zu Ramses würde ein neues Kind entstehen.

Der kleine Kha war gesund. Eine Amme nahm sich seiner an, während Iset, die Schöne, in den höheren Kreisen Thebens mehr und mehr Fuß faßte. Sie hatte ein offenes Ohr für die Klagen Dolentes und ihres Gatten und wunderte sich über Ramses’ ungerechte Entscheidung. In der großen Stadt des Südens fürchtete man seine Thronbesteigung, denn er galt als Despot, der sich um das Gesetz der Maat recht wenig scherte. Iset erhob zwar Einwände, doch angesichts der vielen Klagen verschlug es ihr die Sprache. War ihr Geliebter wirklich ein machtbesessener Tyrann, ein völlig gefühlloses Ungeheuer?

Abermals fielen ihr Chenars Worte ein.

Sethos gönnte sich keine Ruhe mehr. Sobald seine Verpflichtungen es ihm erlaubten, ließ er Ramses kommen. Im Garten des Palastes führten Vater und Sohn lange Gespräche. Sethos, der am Schreiben keinerlei Gefallen fand, vermittelte seine Lehren lieber mündlich. So mancher König vor ihm hatte »Lehren« verfaßt und seinem Nachfolger Weisungen für das Regierungsamt hinterlassen. Er sprach lieber. Der Junge sollte den Worten des Alten lauschen.

»Genügen wird dieses Wissen nicht«, mahnte er, »aber es ist doch immerhin so viel wert wie Schild und Schwert für einen Fußsoldaten. Du wirst dich verteidigen und angreifen können. Zeiten des Glücks wird jeder sich selbst zuschreiben, doch sobald Unglück hereinbricht, wirst du der einzig Schuldige sein. Wenn dir ein Fehler unterläuft, suche die Schuld nur bei dir, bei keinem anderen, und dann berichtige ihn. Die gerechte Ausübung der Macht ist die ständige Berichtigung des Denkens und Handelns. Es ist an der Zeit, daß ich dir eine Aufgabe übertrage, die du an meiner Stelle bewältigen mußt.«

Diese Ankündigung erfreute Ramses ganz und gar nicht. Für lange Zeit hätte er seinem Vater noch weiter zuhören mögen.

»Ein kleines nubisches Dorf begehrt auf gegen die Verwaltung des Vizekönigs. Die mir zugegangenen Berichte sind wirr. Begib dich vor Ort und fälle eine Entscheidung im Namen des Pharaos.«

Nubien war wieder so betörend, daß Ramses beinahe vergessen hätte, daß er diese Reise nicht zur Erquickung unternahm. Nichts lastete auf seinen Schultern, die laue Luft, das Rascheln des Windes in den Dumpalmen, der Ocker der Wüste und das Rot der Felsen stimmten seine Seele heiter. Fast war er versucht, die Soldaten nach Ägypten zurückzuschicken und allein einzutauchen in diese herrliche Landschaft.

Doch der Vizekönig von Nubien verneigte sich vor ihm, wortreich und beflissen.

»Haben meine Berichte euch Klarheit verschafft?«

»Sethos befand sie als verworren.«

»Die Lage ist aber doch klar! Dieses Dorf hat sich aufgelehnt. Es muß ausgerottet werden.«

»Hattest du Verluste zu beklagen?«

»Nein, dank meiner Vorsicht. Ich wartete auf dein Kommen.«

»Warum bist du nicht sofort eingeschritten?«

Der Vizekönig geriet ins Stammeln.

»Was weiß man denn? Wenn sie sehr zahlreich sind, dann…«

»Bring mich hin!«

»Ich habe eine Erfrischung vorbereitet und…«

»Gehen wir.«

»Bei dieser Hitze? Ich dachte, zu späterer Stunde sei es vielleicht angenehmer.«

Ramses’ Wagen fuhr bereits los.

Das kleine nubische Dorf schlummerte im Schatten eines Palmenhains am Ufer des Nils. Die Männer melkten die Kühe, die Frauen bereiteten das Essen zu, und Kinder badeten nackt im Fluß. Magere Hunde schliefen vor den Hütten.

Die ägyptischen Soldaten waren auf die umhegenden Hügel ausgeschwärmt. Ihre zahlenmäßige Überlegenheit war gewaltig.

»Wo stecken die Aufrührer?« fragte Ramses den Vizekönig.

»Das sind diese da. Sie geben sich jetzt nur friedlich, trau ihnen nicht!«

Der Aufklärungstrupp meldete, daß weit und breit kein nubischer Krieger auszumachen sei.

»Der Dorfälteste verweigert mir den Gehorsam«, beteuerte der Vizekönig, »das muß streng geahndet werden, sonst weitet sich der Aufruhr auf andere Stämme aus. Wir müssen einen Überraschungsangriff durchführen und sie niedermetzeln, um ein sichtbares Zeichen zu setzen für alle Nubier.«

Eine Frau bemerkte als erste die ägyptischen Soldaten. Sie schrie auf, die Kinder kamen aus dem Wasser und flüchteten sich in die Hütten, unter den Schutz der Mütter. Die Männer bewaffneten sich mit Bogen, Pfeilen und Speeren und sammelten sich in der Dorfmitte.

»Sieh nur!« rief der Vizekönig. »Habe ich nicht wahr gesprochen?«

Der Dorfälteste trat vor. Zwei lange Straußenfedern steckten in seinem Kraushaar, und auf der Brust trug er ein Wehrgehänge. Er sah beeindruckend aus. In der Rechten hielt er einen vier Ellen langen Speer, der mit Bändern verziert war.

»Er wird das Zeichen zum Angriff geben«, warnte der Vizekönig. »Unsere Bogenschützen müßten ihn an den Boden nageln!«

»Ich erteile die Befehle«, erinnerte ihn Ramses, »keiner von euch macht eine bedrohliche Bewegung, verstanden!?«

»Aber was gedenkst du zu tun?«

Ramses nahm Helm, Harnisch und Beinschienen ab, legte Schwert und Dolch nieder und schritt den felsigen Abhang hinab.

»Majestät!« schrie der Vizekönig. »Kehr um, er wird dich töten!«

Den Blick auf den Nubier gerichtet, setzte der Regent gleichmäßig Fuß vor Fuß. Der etwa sechzig Jahre alte Mann war hager, fast knochig.

Als er seinen Speer emporhob, glaubte auch Ramses, daß er unüberlegt sich einer Gefahr ausgesetzt hatte. Aber war ein nubischer Stammeshäuptling gefährlicher als ein wilder Stier?

»Wer bist du?«

»Ramses, Sohn Sethos’ und Regent Ägyptens.«

Der Nubier senkte seine Waffe.

»Ich bin der Oberste meines Stammes.«

»Das wirst du bleiben, solange du das Gesetz der Maat achtest.«

»Der Vizekönig, unser Beschützer, hat es gebrochen.«

»Das ist eine schwere Anschuldigung.«

»Ich habe meine Verpflichtungen eingehalten, der Vizekönig hat nicht Wort gehalten.«

»Bring deine Klagen vor.«

»Er hatte uns Korn versprochen im Austausch für unsere Abgaben. Wo ist es?«

»Wo sind die Abgaben?«

»Komm mit.«

Indem er dem Häuptling folgte, mußte Ramses mitten durch die Schar der Krieger. Der Vizekönig, der überzeugt war, daß sie ihn töten oder als Geisel nehmen würden, verhüllte sich das Gesicht. Doch nichts geschah.

Der Häuptling zeigte dem Regenten Säcke voller Goldstaub, Pantherfelle, Fächer und Straußeneier, die bei den adeligen Familien sehr behebt waren.

»Wenn das gegebene Wort nicht eingelöst wird, werden wir kämpfen, selbst wenn wir dabei sterben müssen. In einer wortbrüchigen Welt kann niemand leben.«

»Es wird keinen Kampf geben«, erklärte Ramses, »das Korn wird, wie versprochen, geliefert werden.«

Allzugern hätte Chenar Ramses bezichtigt, den nubischen Aufständischen gegenüber Schwäche gezeigt zu haben, aber der Vizekönig riet ihm davon ab. Die beiden Männer hatten sich an einem geheimen Ort getroffen, ausführlich miteinander gesprochen, und dabei hatte der Vizekönig erzählt, Ramses erfreue sich unter den Soldaten wachsender Beliebtheit. Man bewundere seine Kühnheit, seine ansteckende Begeisterung und seine Fähigkeit, schnelle Entschlüsse zu fassen. Unter der Führung eines solchen Heerführers fürchteten sie keinen Feind. Ramses für feige zu halten könne Chenar nur zum Nachteil gereichen.

Der ältere Sohn des Pharaos beugte sich den Vernunftgründen des Vizekönigs. Die Armee nicht hinter sich zu haben wäre gewiß ein Hemmschuh, aber letztlich würde sie dem neuen Herrscher beider Länder gehorchen. In Ägypten genügte rohe Gewalt allein nicht, um zu regieren. Man mußte der Zustimmung des Hofes und der Hohenpriester sicher sein.

Mehr und mehr verfestigte sich das Bild von Ramses als kühnem und gefährlichem Krieger. Solange Sethos die Zügel der Macht in Händen hielt, würde der junge Mann nichts unternehmen. Aber dann? Aus Lust, sich mit dem Feind anzulegen, würde er sich vielleicht doch in wahnwitzige Abenteuer stürzen, wobei Ägypten alles verlieren konnte.

Wie Chenar selbst unterstrich, hatte sogar Sethos mit den Hethitern lieber einen Waffenstillstand geschlossen, anstatt zur Eroberung ihres Landes und der berüchtigten Festung Kadesch aufzurufen. Würde Ramses ähnlich weise handeln? Die hohen Würdenträger verabscheuten den Krieg, lebten in Annehmlichkeit und Ruhe und beäugten kampfeslustige Heerführer mit Mißtrauen.

Das Land bedurfte keines Helden, der Schlachten anzetteln und ringsum alles in Feuer und Blut ertränken würde. Wie die Gesandten und Botengänger, die in den Fremdländern tätig waren, mitgeteilt hatten, waren auch die Hethiter zum Frieden und zum Verzicht auf die Eroberung Ägyptens bereit. Folglich wurde jemand wie Ramses überflüssig, wenn nicht gar schädlich. Müßte man sich seiner nicht vorsorglich entledigen, wenn er sich weiterhin als Eroberer gebärdete?

Chenars Gedankengänge eroberten nach und nach die Gemüter. Man hielt den älteren Sohn des Königs für ausgewogen und sachkundig. Sprachen die Tatsachen nicht für ihn?

Anläßlich einer Reise ins Delta, wo er zwei Provinzvorsteher überredete, ihn nach Sethos’ Tod zu unterstützen, empfing er in der Prunkkabine seines Schiffes abermals Acha. Sein Koch hatte ein vorzügliches Essen zubereitet und sein Mundschenk einen ausnehmend fruchtigen Weißwein aufgetragen.

Wie üblich war der junge Gesandte mit erlesenem Geschmack gekleidet. Sein lebhafter Blick mochte verwirren, doch die salbungsvolle Stimme und die unerschütterliche Ruhe verliehen Zutrauen. Wenn er ihm treu bliebe, nachdem er Ramses verraten hatte, würde Chenar einen kundigen Mann für auswärtige Angelegenheiten haben.

Acha kostete nur von den Speisen und nippte nur an den Getränken.

»Behagt dir dieses Essen nicht?«

»Verzeih, aber ich weilte in Gedanken woanders.«

»Bist du in Schwierigkeiten?«

»Keineswegs.«

»Hat man dir Steine in den Weg geworfen?«

»Ganz im Gegenteil.«

»Ramses! Ramses wird es sein! Er ist uns auf die Schliche gekommen!«

»Sei unbesorgt, unser Geheimnis ist gewahrt.«

»Was beschäftigt dich denn dann so?«

»Die Hethiter«, antwortete Acha.

»Die Berichte, die bei Hofe eingehen, sind aber doch allesamt beruhigend. Ihr kriegerisches Ansinnen scheint zurückgesteckt.«

»Das sind in der Tat die offiziellen Worte.«

»Und was gefällt dir daran nicht?«

»Ihre Naivität. Es sei denn, meine Vorgesetzten beabsichtigten, Sethos nicht zu beunruhigen und ihn nicht mit düsteren Vorahnungen zu belasten.«

»Besitzt du genauere Hinweise?«

»Die Hethiter sind keine einfältigen Draufgänger. Da sie mit Waffengewalt nichts erreicht haben, verlegen sie sich jetzt auf eine List.«

»Sie werden sich das Wohlwollen einiger benachbarter Krieger erkaufen und niederträchtige Intrigen spinnen.«

»So sehen es die Gesandten, in der Tat.«

»Du nicht?«

»Ich betrachte es immer weniger so.«

»Was befürchtest du statt dessen?«

»Daß die Hethiter allmählich in unsere Schutzgebiete eindringen und wir plötzlich in der Falle sitzen.«

»Das ist höchst unwahrscheinlich. Bei der geringsten Abtrünnigkeit wird Sethos einschreiten.«

»Sethos weiß davon nichts.«

Chenar nahm die Warnungen des jungen Gesandten nicht auf die leichte Schulter. Bisher war Acha ungeheuer hellsichtig gewesen.

»Droht uns bereits Gefahr?«

»Die Hethiter haben sich für ein langsames, schrittweises Vorgehen entschieden. In vier oder fünf Jahren werden sie bereit sein.«

»Beobachte weiterhin ihr Tun und Lassen, aber sag niemandem etwas davon, außer mir.«

»Du verlangst viel von mir.«

»Du wirst auch viel dafür bekommen.«