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»Versprochen ist versprochen«, erklärte Setaou. »Du bist’s, bist du’s wirklich?«
Setaou hatte sich verändert. Schlecht rasiert, ohne Perücke, bekleidet mit einem Umhang aus Antilopenhaut mit vielen Taschen, hatte er kaum mehr Ähnlichkeit mit dem Zögling einer der besten Lehranstalten des Landes. Hätte einer der Palastwächter ihn nicht erkannt, wäre er ohne viel Federlesens fortgeschickt worden.
»Was ist dir zugestoßen?«
»Ich tue meinen Dienst und halte mein Wort.«
»Wohin willst du mich entführen?«
»Das wirst du schon sehen… Es sei denn, aus Angst würdest du wortbrüchig.«
Ramses warf ihm einen flammenden Blick zu.
»Gehen wir.«
Auf Eseln ritten sie durch die Stadt, verließen sie gen Süden, dann ging es einen Kanal entlang und bei einer Gabelung in Richtung Wüste zu einer ehemaligen Nekropole. Zum erstenmal verließ Ramses das Tal und betrat eine unheimliche Welt, wo das Gesetz der Menschen keine Geltung mehr besaß.
»Heute nacht ist Vollmond!« sagte Setaou mit begierigem Blick. »Alle Schlangen werden sich einfinden.«
Die Esel folgten einer Spur, die Ramses niemals entdeckt hätte.
Sicheren Schrittes und zügig drangen sie vor in das verlassene Gräberfeld.
In der Ferne das Blau des Nils und das Grün der Äcker, hier nichts als unfruchtbarer Sandboden, Stille und Wind. Ramses begriff und spürte, warum die Tempelhüter die Wüste »die rote Erde Seths« nannten. Seth, der Gott der Gewitter und des kosmischen Feuers, Seth hatte den Boden verbrannt in diesen einsamen Weiten, aber auch die Menschen befreit von Zeit und Verfall. Ihm war es zu danken, daß sie Stätten für die Ewigkeit errichten konnten, in denen die Toten nicht verwesten.
Ramses atmete die belebende Luft ein.
Der Pharao war Herr über diese rote Erde wie auch über die fruchtbare und schlammige schwarze Erde, die Ägypten Nahrung im Überfluß spendete. Er dürfte die Geheimnisse kennen, ihre Kraft nutzen und ihre Mächte im Zaum halten.
»Wenn du es wünschst, kannst du noch umkehren.«
»Möge es schnell Nacht werden.«
Eine Schlange mit rötlichem Rücken und gelbem Bauch zog an Ramses vorbei und verkroch sich zwischen zwei Steinen.
»Ungefährlich«, sagte Setaou, »von solchen wimmelt es in der Nähe verlassener Bauwerke. Tagsüber verziehen sie sich für gewöhnlich ins Innere der Gebäude. Komm mit.«
Die beiden jungen Männer stiegen einen steilen Abhang hinab, der zu einer verfallenen Grabstätte führte. Ramses zögerte einzutreten.
»Da drin ist keine Mumie mehr. Der Raum ist kühl und trocken, du wirst sehen. Kein Dämon wird dich angreifen.«
Setaou entzündete eine Öllampe.
Ramses erblickte eine Art Grotte, deren Decke und Wände grob behauen waren. Vielleicht hatte hier nie jemand gelegen. Der Schlangenbeschwörer hatte mehrere niedrige Tischchen aufgestellt, auf denen ein Schleifstein, ein Bartschaber aus Bronze, ein hölzerner Kamm, ein Flaschenkürbis, hölzerne Täfelchen, eine Schreibpalette und eine Reihe Näpfe mit Salben und Balsam standen. In Tonkrügen bewahrte er die zur Arzneibereitung notwendigen Ingredienzien auf: Erdharz, Kupferfeilicht, Bleioxyd, roten Ocker, Alaun, Tonerde und zahlreiche Pflanzen, darunter Zaunrübe, Steinklee, Rizinus und Baldrianwurzel.
Der Tag neigte sich, die Sonne färbte sich orangerot, die Wüste, eine in Gold getauchte Ebene, wickelte hier und da Sandschärpen, wenn der Wind über die Dünen strich.
»Entkleide dich«, befahl Setaou.
Als der Prinz nackt vor ihm stand, rieb der Freund ihn mit einer Mixtur aus Zwiebelsud ein.
»Die Schlangen scheuen diesen Geruch«, erklärte er. »Welchen Posten hat man dir eigentlich übertragen?«
»Keinen.«
»Ein Prinz als Müßiggänger? Das hat dir wieder dein Erzieher eingebrockt!«
»Nein, Befehl meines Vaters.«
»Also hast du die Probe mit dem Stier wohl doch nicht bestanden.«
Ramses wollte es nicht wahrhaben, dabei erklärte es seine Abschiebung.
»Vergiß den Hof mit all den Intrigen und dunklen Machenschaften. Komm zu mir, arbeite mit mir. Die Schlangen sind gefährliche Feinde, aber sie lügen nicht.«
Ramses war verwirrt. Warum hatte sein Vater ihm nicht die Wahrheit gesagt? So hatte er ihn bloßgestellt, ohne ihm Gelegenheit zu geben, seine Tauglichkeit zu beweisen.
»Jetzt mußt du wirklich eine Probe bestehen. Um unverletzlich zu werden, mußt du dieses abscheuliche und gefährliche Gebräu aus Nesselgewächsen trinken. Es hemmt den Blutfluß und kann den Kreislauf sogar zum Stillstand bringen, doch das kommt selten vor… Wenn du erbrichst, bist du tot. Ameni würde ich ein solches Experiment nicht vorschlagen, aber deine robuste Natur dürfte damit fertig werden. Danach bist du gegen den Biß etlicher Schlangen gefeit.«
»Nicht aller?«
»Gegen die größten muß man sich täglich eine kleine Dosis verdünnten Kobrabluts verabreichen. Solltest du dich für diesen Beruf entscheiden, wird diese besondere Behandlung natürlich auch dir zuteil. Trink jetzt.«
Es schmeckte grauenhaft.
Kälte schlich sich in die Blutbahnen, Ramses drehte sich der Magen um.
»Halte durch.«
Diesen quälenden Schmerz erbrechen, ausspucken und sich dann hinlegen und schlafen…
Setaou packte Ramses am Handgelenk.
»Halt durch, mach die Augen auf!«
Der Prinz faßte sich wieder. Im Ringkampf war er von Setaou nie besiegt worden. Sein Magen entkrampfte sich, das Kältegefühl wich.
»Du bist wirklich zäh, aber regieren wirst du nie.«
»Wieso nicht?«
»Weil du mir vertraut hast. Ich hätte dich doch vergiften können.«
»Du bist mein Freund.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es.«
»Ich vertraue nur den Schlangen. Sie gehorchen ihrer Natur und Verstellen sich nicht. Bei den Menschen ist das anders. Sie verstellen sich ein Leben lang und wollen Gewinn schlagen aus ihren Gaunereien.«
»Du auch?«
»Ich habe die Stadt verlassen und lebe hier.«
»Wäre mein Leben in Gefahr gewesen, hättest du mich dann nicht gerettet?«
»Zieh das Hemd wieder über, wir wollen hinausgehen. Du bist nicht so dumm, wie du aussiehst.«
Ramses erlebte eine prachtvolle Wüstennacht. Weder das unheimliche Kichern der Hyänen noch das Geheul der Schakale oder die tausenderlei Geräusche aus einer anderen Welt vermochten sein Entzücken zu trüben. Aus Seths roter Erde schallten die Stimmen der Wiedergeborenen. Hatte ihn vorhin noch die Schön-Heil des Niltals bezaubert, so bannte ihn hier die Macht des Jenseits.
Die wahre Macht… Hatte Setaou sie nicht hier entdeckt, in der gespenstischen Einsamkeit der Wüste? Zischen rundum.
Setaou lief vor ihm her und schlug mit einem langen Stab auf den Boden. Er eilte auf einen Steinhügel zu, der im Glanz des Vollmonds gespenstisch wirkte. Ramses ging hinter seinem Führer her verwandte keinen Gedanken mehr an die Gefahr. Am Gürtel der Schlangenkundige Beutelchen mit Arzneien für den Fall, sie doch gebissen werden sollten. Zu Füßen des Hügels machte er Halt.
»Dort wohnt mein Lehrmeister«, verriet Setaou. »Es ist nicht sicher, daß er sich zeigt, denn Fremde schätzt er nicht. Seien wir geduldig und bitten wir den Unsichtbaren, uns seinen Anblick zu gewähren.«
Setaou und Ramses setzten sich in Schreiberpose auf den Boden. Der Prinz fühlte sich so leicht, fast schwebend, und sog genüßlich die Wüstenluft ein, als sei sie von besonderer Süße. Die Mauern der Studierstube waren einem Himmel mit Tausenden von Sternen gewichen.
Eine elegante und gewundene Silhouette zeichnete sich in der Mitte des Hügels ab. Eine schwarze Kobra, drei Ellen lang, mit schimmernden Schuppen, kroch aus ihrer Höhle und richtete sich majestätisch auf. Der Mond hüllte sie in Silberglanz, doch ihr Kopf pendelte hin und her, stets bereit zu vernichten.
Setaou ging auf sie zu, die schwarze Kobra zischte. Mit einer Handbewegung bedeutete der Schlangenbeschwörer Ramses, er solle neben ihn treten.
Das Reptil zögerte und wand sich, welchen der beiden Eindringlinge sollte es zuerst angreifen?
Setaou trat nochmals zwei Schritte vor und stand jetzt dicht vor der Kobra. Ramses tat es ihm nach.
»Du bist die Herrin der Nacht und befruchtest die Erde, damit sie Frucht trage«, sagte Setaou betont langsam, Silbe für Silbe, mit getragener Stimme.
Etwa zehnmal wiederholte er die Beschwörungsformel und befahl Ramses, es ihm gleichzutun. Der Klang der Wörter schien die Schlange zu beruhigen. Zweimal streckte sie sich, wollte wohl zubeißen, doch kurz vor Setaous Gesicht hielt sie inne. Als er ihr die Hand auf den Kopf legte, erstarrte die Kobra. Ramses vermeinte ein rotes Leuchten in den Augen zu erkennen.
»Und nun du, Prinz.«
Der junge Mann streckte den Arm; das Reptil schoß vor.
Ramses glaubte sich gebissen, aber das Maul hatte sich nicht geschlossen, weil der Zwiebelgeruch dem Angreifer zu widerlich war.
»Leg ihr die Hand auf den Kopf.«
Ramses zitterte nicht. Die Kobra schien zurückzuweichen. Die gespannten Finger berührten den Kamm der schwarzen Schlange. Wenige Augenblicke lang hatte die Herrin der Nacht sich dem Sohn des Königs unterworfen.
Setaou zog Ramses zurück. Der Angriff der Kobra stieß ins Leere.
»Du wolltest zuviel, mein Freund. Solltest du vergessen haben, daß die Mächte der Finsternis unbesiegbar sind? Auf des Pharaos Stirn reckt sich eine Kobra, der Uräus. Worauf hättest du gehofft, wenn sie dich nicht geduldet hätte?«
Ramses atmete tief durch und betrachtete die Sterne.
»Du bist unvorsichtig, aber vom Glück begünstigt; gegen den Biß dieser Schlange gibt es kein Heilmittel.«