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Teil Eins

So beschloß ich,

sie als Lebensgefährtin heimzuführen;

denn ich wußte,

daß sie mir guten Rat gibt

und Trost in Sorge und Leid.

Mit ihr werde ich Ruhm beim Volke haben

und trotz meiner Jugend vom Alter geehrt sein.

Wenn Klugheit wirksam ist, wer in aller Welt,

ist ein größerer Meister als sie?

Das Buch der Weisheit, 8,9-10 und 8,6

Die Weisheit belehrt ihre Söhne

sie mahnt eindringlich alle, die auf sie achten.

Wer sie liebt, liebt das Leben,

wer sie sucht, wird Gott gefallen.

Wer sie ergreift, findet Ehre beim Herrn.

Jesus Sirach (Ecclesiasticus), 4,11-13

Kapitel 1

Liebkosend fuhr Salomos Hand über die Bundeslade. Von allen Kindern Davids durfte nur er diese Geste wagen, ohne daß ihn die geheimnisvolle Kraft, die dieses Heiligtum ausstrahlte, das die Gesetzestafeln barg, niederstreckte wie ein Blitz.

Die Bundeslade sollte etliche Tage in Schilo, mitten im Herzen von Judäa, der Provinz der Könige, bleiben, wo Abraham den wahren Gott verehrt hatte, den Einen Gott, der dem Schicksal der Menschheit einen anderen Lauf gegeben hatte, als er Israel zum auserwählten Volk machte. Schilo war Davids erste Hauptstadt gewesen, ehe er sich in Jerusalem niederließ. Der alte König wollte, daß die Bundeslade in regelmäßigen Abständen reiste und die Hebräer daran gemahnte, daß sie Nomaden bleiben würden, die auf der Suche nach Gottes Sohn waren.

Salomo war beauftragt worden, dieses kostbarste aller Tabernakel zu schützen. Und so hatte er Jerusalem an der Spitze eines Trupps Soldaten der Leibwache verlassen, hatte bei der Höhle von Machpela haltgemacht, wo die Patriarchen ruhten, war zwischen Weinbergen dahingefahren, in denen reife Trauben hingen, und hatte sich angesehen, wie sich die Weinberge in Terrassen an den trockenen und steinigen Hängen hochzogen. In Judäa hinderte nichts den Blick. Der Horizont mit seiner unermüdlichen Sonne wirkte falbfarben. Beim Reiten wurde eine Staubwolke aufgewirbelt, die sich im Geäst eines Zitronenbaums niederschlug.

Schilo war das Ziel der Expedition. Die kleine Stadt, die auf dem Stammesgebiet der Ephraim erbaut worden war, brüstete sich damit, die Bundeslade seit der berühmten Schlacht gegen die Philister in ihren Mauern aufgenommen zu haben. Das Heiligtum Jahwes war mitten ins Schlachtgetümmel getragen worden, hatte für die Gegenwart Gottes gezeugt und Israel unter großem Schmerzensgeheul und Jubelgeschrei den Sieg eingetragen.

Das Geheul und das Geschrei verfolgten Salomo. Der Krieg, die Gewalttätigkeit, das Blut… War sein Volk zu diesem Elend verurteilt? War Jahwe noch immer der Rachegott, der nach kriegerischen Auseinandersetzungen lechzte?

Salomo, ein junger Prinz von zwanzig Lenzen und verführerischer Schönheit, quälte sich mit sonderbaren Gedanken. Bei seiner Geburt hatten die Weisen vorausgesagt, daß seine hohe Stirn ein Sitz der Weisheit sein, keine Runzel sein Gesicht verunstalten würde und daß seine Züge nie altern würden. Seit frühester Jugend hatte Salomo eine gelassene Kraft und natürliche Autorität ausgestrahlt, die seine Gesprächspartner in Bann schlugen.

Wer wäre da auf den Gedanken gekommen, welch heftiger Sturm in ihm tobte und ihn gleichsam zum ruderlosen Boot machte? Salomo fand keinen Schlaf mehr. Er verlor seine angeborene Lust am Lernen und an der Dichtkunst. Selbst das Gebet verschaffte ihm keinerlei Ruhe mehr.

Die dritte Nachtwache ging zu Ende. Nach der des Sternenaufgangs und der Mitternachtswache kam die letzte, die des Sonnenaufgangs. Salomo war in der Nähe der Bundeslade geblieben und hatte den HERRN angefleht, Israel Frieden zu schenken. Warum mußten die Bewohner der Dörfer vor Angst zittern, warum mußten so viele von ihnen durch das Schwert sterben, warum wurden ihre Häuser geplündert und in Brand gesteckt, warum mußte alles, was da atmete, umgebracht werden? Warum mußten sich die Stämme gegenseitig umbringen, warum führte Israel Krieg mit seinen Nachbarn?

Diese Fragen hatte sich Salomo wohl hundertmal gestellt.

Doch Gott hüllte sich in Schweigen.

Als jedoch die ersten Sonnenstrahlen den morgendlichen Dunst durchdrangen, wagte es Davids Sohn, die Hand auf die Bundeslade zu legen.

Da Jahwe ihn nicht vernichtet hatte, mußte er sein Gebet erhört haben. Noch ein Tag, noch eine Nacht, und er würde ihm antworten.

Salomo betrachtete die Bundeslade.

Die Energiequelle, aus der Israel seine Kraft zog, war ein Kasten aus Akazienholz von eineinhalb Ellen Höhe und zweieinhalb Ellen Länge, war innen wie außen mit lauterem Gold überzogen und wurde von den Flügeln der Cherubim beschützt, auf denen Jahwe, der auf den Wolken fuhr, unsichtbar thronte. Er benutzte die Wolken als Streitwagen und fuhr mit ihnen bis zum Garten Eden, dessen Tore geflügelte Löwen mit Menschenkopf bewachten, eine Verkörperung der Wachsamkeit, die keinerlei Schwächen aufwiesen.

Salomo war versucht, das Heiligtum zu öffnen, die beiden Steinplatten herauszuholen, auf denen die Zehn Gebote eingraviert standen, der Bund vom Sinai, durch den Israel Jahwes treuer Diener geworden war. Doch dieses Recht war dem König vorbehalten. Niemand außer David war fähig, die Urbotschaft zu lesen und über das Wort des himmlischen Meisters nachzudenken.

Salomo legte ein kostbares Tuch aus Ziegenhaar über die Bundeslade, dann hüllte er die goldüberzogenen Akazienstangen in rotgefärbte Widderfelle. So war das Heiligtum vor den Augen seiner Träger geschützt.

Der Sohn Davids verließ das Zelt, das die Bundeslade barg. Auf der sattgrünen Ebene, die sich zu Füßen des Hügels erstreckte, auf dessen Kuppe man das Lager errichtet hatte, war bereits hellichter Tag. Salomo hatte das Gefühl, daß ihm die ganze Welt gehörte. Doch er verscheuchte diesen törichten Gedanken und hob den Blick zur aufgehenden Sonne, ließ sich von ihr blenden und hätte sich am liebsten in dieser Lichtfülle aufgelöst.

Waren die Hebräer nicht immer auf Wanderschaft gewesen? Hinter dem bebauten Land kam die Wüste. Und diese Wüste trennte Israel von der verhaßten Kultur, von Ägypten, das Salomo seit Kindesbeinen insgeheim bewunderte. Waren die Lehren der ägyptischen Weisen nicht die tiefgründigsten und scharfsinnigsten? War Ägypten nicht das einzige große Land, das sich an Frieden und Reichtum erfreute? Der Sohn Davids hatte es verstanden, seine Vorliebe für das Reich der Pharaonen geheimzuhalten. Dieses Geheimnis hatte er niemandem verraten, vor allem nicht seinem Vater, der ihn deswegen möglicherweise verbannt hätte. Wie er war auch Salomo ein Sohn der Wüste, der unendlichen Weiten, ein Sucher nach dem Unabdingbaren. Er wußte, daß sich Gott nur in der Stille und Einsamkeit offenbarte. Doch Salomo mochte sich nicht eingestehen, daß sich Israel in fruchtlosen Erinnerungen wiegte. Wenn die Hebräer einen dauerhaften Frieden haben wollten, brauchten sie einen mächtigen Staat und eine so strahlende Hauptstadt wie das ägyptische Theben.

Doch das war nichts weiter als ein unergiebiges Trugbild.

Während Davids Sohn mit verschränkten Armen dastand und das Dörfchen betrachtete, das gerade erwachte, meinte er einen Schmerzensschrei zu hören. War er wieder einmal Opfer von Alpträumen, mit denen ihn die Dämonen der Nacht viel zu häufig heimsuchten?

Menschenstimmen. Kampfgetöse.

Salomo ging bis zum Rand der felsigen Ebene. Auf einer Felsplatte gut zwanzig Ellen unter ihm hieben zwei Fußsoldaten seiner Leibwache mit Knüppeln unglaublich gewalttätig aufeinander ein. Schweißbedeckt trotz der morgendlichen Frische, nur mit einem schlichten Schurz bekleidet, schlugen sie sich auf den Tod. Ihre Waffengefährten feuerten sie an und ermutigten die beiden Kämpfenden auch noch.

Und die kämpften nicht nur, sondern beschimpften sich in der Hoffnung, damit den Widerstand des anderen zu brechen. «Ich verfüttere dein Fleisch an die Vögel des Himmels und die wilden Tiere auf dem Feld!» brüllte der Kleinere mit den dicken Beinen und dem großen Oberkörper. Er hob den Knüppel ganz hoch, zog einen eigenartigen Bogen und ließ ihn auf den Schädel des Soldaten sausen, der ihn herausgefordert hatte und der jetzt abwehrend die Arme hochriß. Der Hieb entschied alles. Mit blutüberströmtem Gesicht brach der Besiegte zusammen.

Das Ganze hatte sich so schnell abgespielt, daß Salomo keine Zeit zum Eingreifen blieb. Der Sieger stieß einen Jubelruf aus und warf seinen Knüppel auf die Leiche des Besiegten.

«Lassen wir den Dreckskerl einfach verfaulen!» forderte er. «Für den spielen Raubvögel und Nagetiere den Totengräber. Und seine Gebeine mag dann der Wind als Abfall verstreuen!»

Auf einmal bemerkte einer der Soldaten Salomo. Er klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter, und der warnte seine Waffengefährten. Sogleich schwiegen alle.

«Der Mann da soll zu mir hochkommen», befahl der Sohn Davids und zeigte dabei auf den traurigen Helden.

Der blickte sich erschrocken um. Niemand kam ihm zu Hilfe. Er gehorchte und ging zögernden Schrittes den steilen Pfad hoch, der zur Hügelkuppe führte. Sich Salomo zu stellen machte ihm mehr angst, als sich mit einem Koloß bis auf den Tod zu schlagen. Er wußte, daß der Sohn Davids eine Abneigung gegen Gewalt hatte.

«Gebieter», sagte er und fiel dabei auf ein Knie, «ich habe mich nicht gegen das Gesetz vergangen. Man hat mich herausgefordert, und nach altem Brauch habe ich mich gewehrt.»

Salomo wußte nur zu gut, daß die Hebräer für alle Arten von Zweikämpfen viel übrig hatten. So etwas lockte immer viele Zuschauer an. Davids Kampf gegen Goliath hatte den Gebrauch der Schleuder beliebt gemacht. Dabei waren jedes Jahr zahllose junge Menschen zu Tode gekommen, die Stirn von einem Wurfgeschoß zerschmettert.

«Warum hast du deinen Gegner getötet?» fragte Salomo.

Die Frage verwunderte den Soldaten.

«Ich hatte keine andere Wahl, Gebieter. Wer hat mit Jakob gerungen, ehe er ihm den Namen Israel verliehen hat, wenn nicht der Engel? Wir sind doch Krieger. Im Kampf muß man bis ans Ende gehen!»

Der Sieger war berauscht und verspürte keinerlei Gewissensbisse. Morgen würde er unter ähnlichen Umständen genauso handeln. Falls Salomo ihn bestrafte, würde er sich das empörte Mißfallen seiner Leibwache zuziehen.

«Geh», befahl er.

Lächelnd entfernte sich der Mörder. Er hatte vor, seinen Sieg mit seinen Waffengefährten zu feiern, und würde auch nicht vergessen, Jahwe dafür zu danken, daß er seinen Arm so stark gemacht hatte.

Nachdem Salomo den Obersten seiner Leibgarde befohlen hatte, mit einem Trupp zur Bundeslade zu kommen, stieg er zu Fuß den Hügel hinunter. Er setzte sich auf einen Felsen und barg den Kopf in den Händen.

Der Friede war nichts als ein Traum. Ein Trugbild, an das er glauben wollte, damit sein Leben einen Sinn bekam. Er mußte sich der Wahrheit stellen. Er würde kein eleganter Fürst sein, der den Tag und seine Langeweile mit dem Verfassen von Gedichten totschlug, welche die Höflinge dann bewundern mußten.

Die Morgenluft wehte das klare Geläut einer Glocke heran.

Salomo zuckte zusammen.

David hatte den Gebrauch dieses Instruments verboten, seitdem die Glocke verstummt war, die ihm die Engel geschenkt hatten. Wenn der König zu Gericht saß, war sie in Anwesenheit eines Unschuldigen erklungen und hatte geschwiegen, wenn der Schuldige verschwand. So herrschte sie über Israel als allmächtige Kraft, die von Gott selbst kam. Doch David hatte gesündigt, und seither schwieg die Glocke und zwang den Herrscher, seine eigenen Urteile zu fällen auch auf die Gefahr hin, daß er sich irrte.

David saß nicht mehr zu Gericht. Der alte König wartete verzweifelt darauf, daß die Glocke wieder erklang. Davids Glocke… War sie es, die Salomo hörte? Er stand auf und ging in Richtung einer Höhle, aus der das Geläut zu kommen schien. Er betrat das Innere einer dunklen und feuchten Welt. Der Ton wurde lauter.

Er wandelte sich zu einer mächtigen Stimme, die sehr feierlich klang, zu feierlich, um einem Menschen zu gehören. Da zog eine tiefe Ruhe in das Herz von Davids Sohn ein. Er wußte, diese unsichtbare Gegenwart war Gott.

Salomo lauschte mit seinem ganzen Wesen. Er fiel auf die Knie und betete leise: «Von Dir, Du Mächtigster der Mächtigen, wünsche ich mir weder Glück noch ein langes Leben. Aber gewähre mir die erforderliche Klugheit, daß ich den Weg des Friedens finde und lerne, Gut und Böse zu unterscheiden.»

Strahlendes Licht erfüllte die Höhle und zwang Salomo, die Augen zu schließen. Die feierliche Stimme, die nur aus Schwingungen bestand, verklang.

Als der Sohn Davids aus der Höhle trat, erreichte die Sonne bereits den Zenit. Schreiend liefen die Soldaten der Leibwache umher. Ihr Oberster stürzte auf seinen Herrn zu.

«Gebieter! Wir haben dich überall gesucht. Ein Bote ist aus Jerusalem gekommen. Du mußt unverzüglich zurückkehren. Dein Vater liegt im Sterben.»

Kapitel 2

Jerusalem erhob sich auf dem Hügel Zion. Die Stadt wirkte wie eine Festung mit Festungsmauern und bewachten Toren, die sie uneinnehmbar machten. Trotzdem hatte David sie eingenommen, hatte die hohen Mauern gestürmt, nachdem er sie lange belagert hatte. Für den König war es sein schönster Sieg gewesen, und er hatte Israel eine neue Hauptstadt beschert.

Von drei Seiten durch karge Täler eingeschlossen, von Schluchten mit steilen Hängen umgeben, durch deren Wadis nach Unwettern Wasserfluten schossen und gewundene Wasserläufe schufen, war die Festung durch ihre Lage geschützt. David hatte es nicht für nötig gehalten, seinerseits neue Festungsanlagen hinzuzufügen, abgesehen von der Nordflanke. Auf dem Vorgebirge Ophel, das eintausendvierhundert Ellen hochragte, erhob sich das Zion Davids.

Salomo betrat Jerusalem durch eins der befestigten Tore, das ständig von bewaffneten Soldaten bewacht wurde. Die Hauptstadt Israels machte ihm mehr Angst als Freude. Warum gab sie sich so abweisend, warum versteckte sie ihren Zauber hinter einem verschlossenen und abwehrenden Äußeren? Die Paläste der Reichen, welche die Oberstadt ausmachten, gaben dieser unruhigen Welt keinen Anschein von Fröhlichkeit.

Normalerweise war Jerusalem lebendig und laut, doch jetzt lag es unter einem erstickenden Mantel des Schweigens. Salomo stand auf einem von zwei Pferden gezogenen Streitwagen und erwiderte den Gruß des wachhabenden Soldaten, der oberhalb des Haupteingangs Posten bezogen hatte. An dieser Stelle maß die Festungsmauer die dreifache Stärke. Entgegen dem Brauch ließen die Soldaten keine Schafherden mehr in die Stadt, die zu den Gehöften in der Unterstadt wollten.

Salomo war besorgt, feuerte seine Pferde an und fuhr sogleich zum Palast seines Vaters hoch. Straßen und Gassen lagen verlassen. Die Einwohner hatten die hölzernen Läden vor den schmalen Öffnungen angebracht, durch die Licht in ihre Behausungen fiel. Die Neuigkeit hatte sich rasch in allen Stadtteilen verbreitet und Verzweiflung gesät. Wenn es David nicht mehr gab, kam eine schwierige Zeit auf das Volk zu, weil nämlich die Ehrgeizigen um die Macht kämpfen würden. Es würde unter den blutigen Auseinandersetzungen zu leiden haben. Schon jetzt überlegten Mütter, wie sie ihre Kinder am besten versteckten. Viele Menschen hatten vor, aufs Land zu fliehen, denn sie fürchteten sich vor den losgelassenen, wilden Horden, die ihren Günstling mit gezogenem Schwert durchsetzen wollten.

Der Königspalast war ein Haus, das lediglich größer und massiver gebaut war als die anderen. Seine dicken Mauern erhoben sich auf einem Fels, der das beste Fundament überhaupt abgab. Weder Stürme noch Regen konnten der Residenz des Herrschers etwas anhaben, die sich der Sohn reicher und prächtiger gewünscht hätte. Doch in ganz Israel gab es keinen genialen Baumeister, der fähig gewesen wäre, einen üppigen Palast zu erbauen, der es mit der Schönheit der Paläste ägyptischer Pharaonen hätte aufnehmen können.

David hatte sich nur einen einzigen Luxus zugestanden: Mosaikböden in den Staatsgemächern und in den Schlafgemächern ein herrliches Parkett aus Zedernholz. Die Armen mußten sich mit gestampftem Lehm begnügen. Zur Buße für seine Sünden hätte es ihnen der Herrscher gern nachgetan, doch seine Gemahlin Bathseba war dagegen gewesen.

Der Ort gefiel Salomo nicht. Er fand ihn eiskalt und unwirtlich. Während er noch überlegte, ob er sich seinem Vater anvertrauen und ihn hoffentlich davon überzeugen konnte, sich endlich ein Haus zu bauen, das seiner würdig war, verdunkelte sich die Zukunft. War David denn nicht unsterblich, er, der mit seinem Gesang Gottes Herz erfreut hatte?

Salomo hatte sich ein Leben ohne seinen Vater gar nicht vorstellen können. Für ihn war David die verkörperte Oberhoheit. Dennoch gab er zu Kritik Anlaß. Es war ihm nicht gelungen, Frieden zu schaffen und aus Israel ein geeintes und hinreichend mächtiges Volk zu machen, das sich seine Feinde vom Leib hielt. David war so von seinen früheren Sünden besessen, hatte sich so in sein Leid versenkt, daß er mehr an sich als an sein Volk dachte. Doch was zählten alle Vorwürfe im Hinblick auf Salomos Sohnesliebe. Er hätte sein Leben für David gegeben. Noch nie hatte er einen Befehl des Königs hinterfragt, auch wenn er mit dem, was dieser von ihm verlangte, nicht einverstanden war.

Auf der Schwelle der königlichen Gemächer wurde Salomo von Nathan, seinem Lehrer, begrüßt. Mehr noch als David war Nathan das geistige Vorbild des jungen Mannes gewesen. Er hielt seinen Schüler für einen von Gott Geliebten, dem das Siegel der Weisheit aufgedrückt war, und so hatte er ihm fast seine ganze Zeit gewidmet, hatte ihm die Bedeutung der heiligen Texte vermittelt und ihn in die Ausübung der Geheimwissenschaften eingeführt.

Salomo lernte schnell. Je mehr er entdeckte, desto mehr wollte er entdecken. Er interessierte sich nicht für ein Leben in Leichtfertigkeit. Für ihn gab es nichts Schöneres, als bei seinem Lehrer zu lernen.

Nathan, ein Greis von hohem Wuchs und mit weißem Bart, trug ein langes, weißes Gewand mit viereckigem Ausschnitt. Schmuck hatte er keinen angelegt, auch keinerlei Abzeichen seiner hohen Stellung bei Hofe. Er war stets ausgeglichen, und in der Regel verriet sein Gesicht keinerlei Gefühle.

Dieses Mal jedoch wies es Spuren von Müdigkeit auf. Er schenkte seinem Schüler ein angedeutetes Lächeln, doch dann wurde seine Miene aufgrund seines Wissens wieder ernst und besorgt.

Salomo ergriff ihn am Arm.

«Mein Vater… wie geht es ihm?»

«Es geht ihm schlechter. Deshalb habe ich dich holen lassen.»

«Die Bundeslade ist wieder in Jerusalem. Das wird ihn retten.»

«Möge Gott dich erhören.»

Ganz kurz erklang in Salomos Kopf die Stimme aus der Höhle. Doch er konnte sich so weit beherrschen, daß man ihm nichts anmerkte.

«Kann ich ihn sehen?»

«Dein Vater erwartet dich», antwortete Nathan.

Der Lehrer führte Salomo in ein kleines Zimmer mit nackten Wänden. Dort saß Bathseba auf einem kleinen Schemel, hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Als ihr Sohn eintrat, erhob sie sich und nahm ihn in die Arme.

«Salomo, endlich!»

«Mutter, ich konnte nicht schneller kommen.»

«Ich mache dir keinen Vorwurf. Ich habe nur solche Angst gehabt…»

«Warum?»

«Das Böse schleicht sich an, mein Sohn. Israel ist in Gefahr. David ist noch nicht tot, und schon rufen sich gewisse Leute zum König aus!»

Die, welche das Volk ‹die Erhabene› nannte, wirkte mit ihren sechzig Jahren noch immer außergewöhnlich edel. Zierlich, schlank und mit zarter Miene, hatte sie David so verlockt, daß er sich ihretwegen Jahwes Mißfallen zuzog. So herrschte sie nun über einen Hof, den ihr Gemahl im Stich gelassen hatte.

«Mutter, was erwartest du von mir? Du weißt genau, daß ich dich gegen jeden Angreifer schütze, selbst wenn er Thronanwärter wäre.»

Bathseba ließ ihren Sohn los. Sie konnte ihre Sorgen nur schlecht verhehlen.

«Ich liebe David, und David liebt mich… Wie könnte ich da…»

«Für Gefühle ist jetzt keine Zeit», meinte Nathan. «Der König liegt im Sterben. Wenn ihr nicht ganz schnell handelt, ist es mit Israel vorbei.»

Bathseba unterdrückte ihre Tränen, verließ den kleinen Raum und begab sich in das Schlafgemach, wo ihr Gemahl im Todeskampf lag.

Vergebens versuchte Salomo, den Sinn dieser seltsamen Ereignisse zu enträtseln.

«Nathan, was geht hier vor?»

Der Lehrer hatte eine strenge Miene aufgesetzt.

«Die Stunde ist gekommen, dir das Geheimnis zu enthüllen, das ich seit langem mit deiner Mutter teile. Ein Geheimnis, bei dem es um die Zukunft des Landes geht.»

Salomo lief es kalt über den Rücken, und das so jäh, daß er einen Schmerzenslaut von sich gab.

«Um was geht es dabei?»

«Es geht dabei nur um dich, Salomo. David hat seiner Gemahlin versprochen, dich zum Nachfolger auszuerwählen.»

«Mich?»

Es verschlug Salomo die Sprache. Herrscher Israels zu werden, den Thron Davids zu besteigen, es auf sich zu nehmen, das Volk Gottes auf den Weg der Weisheit zu führen… Dazu war er nicht im geringsten befähigt.

«Wer ist auf diesen verrückten Gedanken gekommen?»

«Der, der dich am besten kennt, dein Lehrer. Ich habe seit Kinderzeiten den großen König in dir gesehen und habe mich deiner Mutter anvertraut. Sie ist zu dem gleichen Schluß gekommen.»

«Und mein Vater…»

«David hat erkannt, wie richtig unser Vorschlag ist, und hat sein Wort verpfändet. Heute muß er es amtlich machen. Folge mir.»

Salomo wehrte sich nicht mehr. Benommen von der Kunde, folgte er seinem Lehrer.

Die beiden Männer betraten das Schlafgemach des Herrschers.

David lag unter einer Wolldecke und hatte die Augen auf die Flamme einer Fackel gerichtet. Das Parkett aus Zedernholz knarrte unter Salomos Schritten, als er sich neben seine Mutter an das Kopfende des Bettes stellte.

Das Gesicht des Sterbenden war von Leid gezeichnet. Da war keine Spur mehr von seiner früheren Anziehungskraft geblieben, nur noch die Last seiner siebzig Jahre, die er mit Lieben, Beten und Kämpfen zugebracht hatte.

«König von Israel», sagte Bathseba mit zitternder Stimme, «du hast deiner Dienerin geschworen, daß mein Sohn Salomo nach dir regieren und auf deinem Thron sitzen soll. Israel richtet die Augen auf dich. Es wartet darauf, daß du den Namen deines Nachfolgers bekanntgibst.»

«Nathan soll mein Schlafgemach verlassen», befahl David, ohne den Kopf zu bewegen.

Der Lehrer gehorchte.

Der alte Herrscher richtete sich auf, so als hätte er wie durch ein Wunder seine ehemalige Kraft zurückerhalten. Er musterte seine Gemahlin.

«Beim Leben Gottes, der mich aus aller Not erlöst hat, halte ich das, was ich geschworen habe. Komm näher, mein Sohn, und gib mir deine Hand.»

Salomo gehorchte und staunte, wie fest die Stimme des Königs klang. Er war mittlerweile davon überzeugt, daß David die Krankheit besiegen und noch viele Jahre an der Spitze seines Volkes erleben würde.

Der Sohn legte die rechte Hand in die seines Vaters, und der drückte sie mit aller Kraft.

«Salomo, ich übergebe dir die Königswürde, die mir Gott anvertraut hat und derer ich mich unwürdig erwiesen habe. Der Tod ist die Schnur, die Seine Hand durchtrennt, der herausgerissene Pflock, das vom Wüstenwind davongetragene Zelt. Meine Seele ist bereit, in den Himmel zu gehen und vor ihren Richter zu treten. Ich habe Krieg geführt und habe gesiegt. Möge diese Zeit nicht noch einmal kommen. Du, der den Namen Salomo, der ‹Friedensbringer›, trägst, erringe ihn auch für dieses Land. Mache ihn zu einem Band zwischen Israel und dem Himmel. Meine Krone ist blutbefleckt. Abgeschlagene Köpfe liegen zu Füßen meines Throns. Darum habe ich dem HERRN auch kein Haus bauen können. Erledige du diese Aufgabe, mein Sohn. Forsche unaufhörlich nach der Weisheit, die vor allem Anfang geschaffen wurde, ehe noch die Meere entstanden, die Flüsse und die Quellen, ehe sich die Berge erhoben, ehe Nacht und Tag voneinander geschieden wurden, ehe sich das Licht aus dem Chaos erhob und ehe sich die Himmel bildeten. Denn mit dieser Weisheit mißt die Welt, und mit ihr hat er die Erde geschaffen, und dank ihrer hat er die Pfade gezogen, auf denen die Sterne wandeln. Ohne sie baust du auf Sand.»

Davids Hand zitterte. Er verdrehte die Augen. Salomo half ihm beim Hinlegen. Der Tod setzte erneut zum Angriff an.

«Bathseba?» hauchte der König, «rufe auf der Stelle den Kronrat zusammen… Ich will mit seinen Mitgliedern sprechen. Mein Sohn bleibt bei mir.»

Davids Gemahlin schickte sofort nach den drei Mitgliedern, aus denen der Kronrat bestand: Nathan, dem Lehrer, Zadok, dem Hohepriester, und Banajas, dem Heerführer. Letzterer war ein Koloß, dessen gewaltige Muskulatur in krassem Gegensatz zur Magerkeit des Hohepriesters stand. Jedermann wußte, daß Banajas zum mächtigsten Mann Israels geworden war. Ohne seine Zustimmung würde der künftige König nur ein waffenloser Hampelmann sein. Der oberste Heerführer sprach fast nie. Er hatte David mit unerschütterlicher Treue gedient, doch niemand wußte, wie er über die Nachfolge dachte.

David bat Salomo, ihn aufzurichten, obwohl ihm diese Lage furchtbare Schmerzen bereitete. Er wollte wie ein Herrscher sprechen, nicht wie ein Sterbender.

«Euch, die ihr mein Kronrat seid», äußerte er mit beinahe erbitterter Energie, «verkünde ich meinen allerletzten Beschluß: Salomo ist Israels neuer König. Sollte es jemand wagen, sich diesen Titel anzueignen und ihm nicht den Treueeid zu schwören, so soll er hingerichtet werden.»

Zadok neigte als erster den Kopf. Nathan tat es ihm nach. Banajas in seinem Silberharnisch schien noch zu überlegen. Bathseba bekam einen trockenen Mund. Falls der Heerführer einen anderen Anwärter gewählt hatte, würde er schon bald Davids Angehörige über die Klinge springen lassen.

«Der Wille des Königs ist Gottes Wille», sagte Banajas mit rauher Stimme. «Salomo möge befehlen, ich werde gehorchen.»

David lächelte. Auf einmal zeigte sein Gesicht wieder den Liebreiz, dem niemand widerstehen konnte. Der Zauberer warf die häßliche Maske des Todes ab, der auf ihn wartete.

«Zieht euch zurück… du, Salomo, bleibst.»

Als sie allein waren, stieß der König seinen Sohn schroff zurück. Salomo staunte über diesen Wandel in seiner Haltung, merkte aber, daß ein beinahe jugendliches Leuchten in die Augen seines Vaters getreten war und daß sie etwas irre blickten.

«Meine letzten Minuten gelten dir, mein Sohn… versprich mir, daß du mir gehorchst.»

«Ich bin dein Diener…»

«Nein, Salomo! Du bist jetzt König. Dein einziger Herr ist Gott. Aber ich, dein Vater, ich habe eine Bitte an dich.»

Der Sohn Davids fiel auf die Knie und ergriff die Hände des Sterbenden, dessen Atem kürzer und immer kürzer ging.

«Sprich, und ich will sie erfüllen.»

«Gottes Gnade sei mit dir, Salomo… Du kannst mir den Frieden schenken, den ich brauche… Du weißt, daß Joab, dieser schändliche Verräter, Menschen getötet hat, die mir teuer waren, darunter auch einen meiner Neffen. Räche mich, Salomo!

Wende das Gesetz an: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben für Leben. Beseitige diesen Mörder. Als König bist du oberster Richter. Du handelst, wie es dir weise dünkt… aber um deiner Liebe zu mir willen, um deines Amtes willen laß die weißen Haare Joabs nicht friedlich in die Grube fahren.»

Davids Stimme brach. Sein Oberkörper fiel vornüber. Gott kam und holte die Seele des Dichters mit der Honigstimme zu sich.

Kapitel 3

Die Schaulustigen rings um die Zisterne brüllten. Sie ermutigten ihren Meisterkämpfer, Banajas, den mutigsten Mann Israels. Auf dem Boden eines leeren Schachtes, in glitschigem Schlamm, stand er einem gefangenen Berglöwen gegenüber. Während der Trauerzeit zwischen Davids Tod und Salomos Krönung hielt es der oberste Heerführer für geraten, das Volk abzulenken und ihm zu beweisen, daß einer, der tapferer war als selbst ein Raubtier, ihre Sicherheit gewährleistete. Banajas glaubte an seine Kraft, seit er einen ägyptischen Riesen niedergeschlagen, ihm die Lanze entrissen hatte, mit der dieser ihn bedrohte, und ihm den Schädel mit Knüppelhieben zertrümmert hatte. Zwar bluteten seine Hände, aber dennoch verspürte der Israelit keinerlei Schmerz. Der Siegesrausch hatte ihn unverletzlich gemacht.

Der Löwe konnte keinen festen Stand finden und griff wütend aus seiner ungünstigen Lage an. Banajas, der sich mit derlei Bodenverhältnissen auskannte, wich den Tatzen aus, ergriff das Raubtier von hinten und drückte ihm den Hals im Schraubstock seiner gewaltigen Hände und steinharten Finger zu. Das Siegesgeschrei vermischte sich mit dem Todesgeröchel des Tieres.

Die Menge jubelte Banajas zu. Er hatte kaum Zeit, sich zu waschen und anzukleiden, weil er in den Palast mußte, wohin Salomo ihn bestellt hatte. Als er die Straße entlangging, die zur königlichen Residenz führte, grüßten ihn zahlreiche Stadtbewohner.

Salomo empfing Banajas in einem schmucklosen Arbeitszimmer. Beide Männer standen. Der Soldat spürte, daß der Sohn Davids, der eine blaue, schlichte Tunika trug, nicht mehr der elegante Prinz war, der nur an Gedichte dachte. Seine selbst für einen so jungen Mann ernste Miene verriet, daß er sich große Sorgen machte.

«Hast du dich entschieden, Banajas, willst du mir dienen, wie du meinem Vater gedient hast?»

«Majestät, ich stamme aus einer Soldatenfamilie und bin am Rand der Wüste geboren, wo man lernt, zu kämpfen und sein Leben zu verteidigen.»

«Ich ernenne dich zum obersten Führer meines Heeres», verkündete Davids Sohn, «und zum Obersten meiner Leibwache. Wir werden uns noch häufig unterhalten. Entferne dich nicht von meinem Hof, denn ich könnte dich von einem Augenblick auf den anderen brauchen.»

Banajas verspürte einen unbändigen Stolz. Gewiß, David hatte ihn zu würdigen gewußt, doch Salomo würde seinen wahren Wert ermessen.

«Beim geheiligten Namen Jahwes», schwor er, «verpflichte ich mich, meinem Gebieter in Freud und in Leid die Treue zu halten.»

Salomo frohlockte heimlich. Das hier war der erste Sieg seiner Herrschaft. Aber wie konnte er noch echte Freude empfinden, da ihn die entsetzliche Bitte seines verstorbenen Vaters so verfolgte?

«Banajas, ich muß mich mit dir beraten.»

Der neue Heeresführer sagte ein wenig barsch: «Gebieter, ich bin ein erfahrener Krieger, aber kein Ratgeber eines Königs.»

Salomo ergriff Banajas beim Arm und zog ihn aus dem Arbeitszimmer. Sie durchschritten einen Flur und näherten sich einer Terrasse, die die Wohnungen der Reichen überragte. Weiße Mauern schimmerten in der Sonne. Der Tag neigte sich dem Ende zu, doch die Stadt war noch immer unruhig. Würde sie bald einen Herrscher bekommen, der auch herrschen konnte?

«Banajas, welches sind die Verbrechen, die Gott straft? Auflehnung gegen Ihn, Götzenanbetung, Gotteslästerung, das Passahfest nicht feiern, den Sabbat nicht heiligen, den Sohn nicht beschneiden, Schwarzer Magie frönen… Aber ist es ein Verbrechen, den Befehl des Königs auszuführen?»

«Gewiß nicht!» protestierte der oberste Heerführer.

«Falls du so urteilst, Banajas, dann finde Joab, Davids Feind.»

«Und wenn ich ihn gefunden habe…»

«Dann führt dein Arm mein Urteil aus: Tod.»

«Gebieter, noch ehe die Sonne des morgigen Tages aufgeht, werde ich dich zufriedengestellt haben.»

Als Banajas gegangen war, hätte Salomo seine Not am liebsten hinausgeschrien. Er hatte keine andere Wahl. Wie hätte er sich weigern können, Davids letzten Wunsch zu erfüllen?

Der künftige König Israels speiste in Gesellschaft seiner Mutter, doch er rührte keinen Bissen an, schickte die Musikanten fort und befahl dem ganzen Palast völliges Schweigen.

«Mein Sohn, warum quälst du dich so? Gott hat gewollt, daß du David auf den Thron folgst. Alles Aufbegehren ist vergebens. Achte seinen Wunsch, dann hast du friedliche Tage. Erlaube mir… erlaube mir, dir eine Bitte vorzutragen.»

Salomo erwachte aus seiner Benommenheit. Seine Mutter verhielt sich ihm gegenüber wie eine Dienerin gegenüber ihrem Herrn. Für sie war er nicht mehr ihr Kind, sondern ihr König.

Eine Welt brach zusammen, und eine größere Welt öffnete sich. Er mußte nur noch ihre Gesetze entdecken.

«Sprich, Mutter.»

«Adonais, ein Höfling, hat gebeten, eine Nebenfrau Davids heiraten zu dürfen. Er bittet um deine Zustimmung.»

Totenblaß sprang Salomo auf. Noch nie hatte Bathseba ihren Sohn so kalt und zornig erlebt.

«Mutter, bist du dir der Bedeutung dieser Bitte bewußt? Die Nebenfrauen meines Vaters sind jetzt meine! Was Adonais da fordert, ist der Thron!»

Salomo täuschte sich nicht. Die Bitte des Höflings kaschierte einen versuchsweisen Staatsstreich. Bathseba hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen.

«Wer sich schuldig macht, sich anstelle des Königs zum König auszurufen», rief sie ihm ins Gedächtnis, «verurteilt sich selbst zum Tod.»

Als Banajas in den Palast zurückkehrte, betrachtete Salomo den Polarstern. Den Blick auf die Erdachse gerichtet, von der ein unsichtbarer Faden Himmel und Erde verband, hatte er versucht, die menschlichen Sorgen zu vergessen und die Augen mit dem Schein des Himmelszeltes zu füllen, das sich ins Unendliche erstreckte.

Banajas blieb im Halbdunkel stehen. Salomo drehte sich nicht zu ihm um.

«Ein Fehlschlag, Gebieter», murmelte er mit heiserer Stimme.

«Hast du mir etwa nicht gehorcht?»

«Man hat Joab vor mir gewarnt, er ist in einen kleinen Tempel auf dem Land geflohen, an einen geheiligten Ort. Dort kann ihn meine Schwertspitze nicht erreichen. Man muß abwarten…»

«Niemand darf Hand an einen Mann legen, der bei Gott Zuflucht sucht», erkannte auch Salomo, «es sei denn, es handelt sich um einen Verbrecher. Ist das etwa nicht der Fall, Banajas? Joab hat Davids Neffen umgebracht. Er hat seine Freunde ermorden lassen. Glaubst du, daß er deine Nachsicht verdient? Glaubst du, daß Gott ihm gern Schutz gewährt?»

Als Salomo den Blick wieder zum Polarstern hob, ritt Banajas bereits durch eins von Jerusalems befestigten Toren.

Gemäß den Trauergebräuchen hatte sich Salomo weder gewaschen noch rasiert und auch nicht die Kleidung gewechselt.

Während ein Zug Klageweiber seinem Gram lauthals Luft machte, näherte sich Davids Sohn dem Leichnam seines Vaters, der mitten auf dem kleinen Platz vor dem Palast auf einem hölzernen Schlitten aufgebahrt lag. Man hatte seine sterbliche Hülle mit duftendem Öl gewaschen und mit Myrrhe und Aloeholz parfümiert.

Ein purpurnes Gewand verhüllte den Leichnam. Zu seiner Rechten lag die Harfe, auf der er sich beim Singen begleitet hatte, zu seiner Linken das Schwert, mit dem er gekämpft hatte. Auf seiner Stirn funkelte ein Diadem.

Salomo küßte seinen Vater auf die Schläfe. Es war der allerletzte Kuß, ein Kuß der Sohnesliebe, die den Tod überdauern würde. Auf diese Weise ging die Seele des ehemaligen Herrschers in die des künftigen Königs über.

Bathseba schritt an der Spitze des Zuges, gefolgt von Klageweibern, die zu trauriger Flötenbegleitung einen monotonen Singsang anstimmten. Die Witwe war die lebende Verkörperung Evas, die den Tod über die menschliche Rasse gebracht hatte und ihr nun den Weg in jene andere Welt öffnen mußte.

Je weiter die Prozession vorankam, desto wilder gebärdeten sich die Frauen, streuten sich Staub auf den Kopf und stießen wilde Schreie aus. Bathseba, deren majestätische Haltung die am Weg zur Gruft drängelnde Menschenmenge beeindruckte, schlug nicht den gewohnten Trauerweg ein, der ins Tal Josephat unweit der Stadt führte, sondern schritt in Richtung der höchsten Mauer der befestigten Stadt.

Hier hatte man auf halber Höhe eine tiefe Höhle mit Flachgewölbe in den Felsen geschlagen, zu der eine Planke führte. Der Stein in ihrem Inneren war grob behauen. Salomo, Banajas und Zadok, der Hohepriester, hielten den Trauerzug an. Davids Sohn betrat die Grabkammer allein und versenkte sich lange neben dem Leichnam, der auf einer Bank aus Kalkstein ruhte. Unter seinem Kopf lag ein duftendes Kissen, eine Gabe an David, die den zarten Duft des Gartens Eden heraufbeschwor.

Als Salomo die letzte Ruhestätte seines Vaters verließ, versperrte Banajas den Zugang mit einem Felsblock, den Maurer zurechtrückten und überputzten. Das Andenken daran würde im Laufe der Jahrhunderte vergessen werden, Gebeine und Fleisch würden vergehen, doch David würde für alle Zeiten in den Befestigungen seiner Hauptstadt ruhen, bereit, sie gegen die Mächte der Finsternis zu verteidigen.

Bei einem Mahl, das Salomo, Bathseba und die Mitglieder des Kronrats gemeinsam einnahmen, gab es als einzige Speise ein Trauerbrot, das der Hohepriester gesegnet hatte. Jeder Gast durfte einen Becher Wein trinken.

Banajas schenkte Salomo ein, beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr:

«Gebieter, es ist getan. Der Verbrecher ist bestraft.»

Der oberste Heerführer hatte Joab aus dem kleinen Tempel herausgezerrt, doch dieser hatte sich mit blutigen Fingern festgeklammert und geschrien. Darauf hatte Banajas ihm die Kehle durchgeschnitten. Alsdann war er zu Adonais gegangen und hatte ihm wegen Hochverrat und Verschwörung gegen den König das gleiche Schicksal zukommen lassen und damit den Befehl der Witwe Davids ausgeführt. Nun konnte der verstorbene Herrscher in Frieden ruhen.

Der geweihte Wein brannte Salomo in der Kehle.

Morgen würde er gekrönt werden.

Kapitel 4

Stetig trappelte das Maultier mit der Schönen, perlgrauen Satteldecke die Straße nach Gihon entlang, wo sich die wichtigste Quelle, aus der die Einwohner von Jerusalem ihr Wasser schöpften, und das für die Bundeslade erbaute Heiligtum befanden.

Salomo, der das Tier ritt, war gar prächtig anzusehen in seiner roten, golddurchwirkten Tunika; er bereitete sich auf die Krönungszeremonie vor, die ihn in den Augen Gottes und seines Volkes zum neuen König Israels machen würde.

Der Weg lag im milden Sonnenschein und war rasch zurückgelegt. Gedankenverloren sprach Salomo zu dem Tier im Takt seiner Schritte.

Der Hohepriester Zadok und Nathan, der Lehrer, standen vor der Bundeslade. Sie trugen helle Gewänder. An diesem geheiligten Tag hatte Zadok auf seine prächtigen Amtsroben verzichten müssen, denn nur der König durfte in der ganzen Pracht seiner Insignien auftreten.

Salomo stieg vom Maultier und streichelte ihm den Hals. Dann ging er neun Schritte und blieb zwischen Zadok und Nathan vor der enthüllten Bundeslade stehen. Eine Kette von Soldaten hielt den Hof zurück. Was in Gihon geschah, durften nur Gott und seine nächsten Diener sehen.

Zadok und Nathan hoben ein mit Öl gefülltes Horn über Salomos Kopf und gossen den Inhalt langsam auf das Hinterhaupt des Herrschers.

«So steigt der Geist zu dir herab», sagte der Hohepriester.

«Er macht dich zu einem Geweihten. Von nun an leitet die göttliche Gnade dein Herz. Deine Vergangenheit ist ausgelöscht. Du wirst Israels Messias, sein Retter und sein König.»

Nathan überreichte Salomo ein goldenes Zepter und krönte seine Stirn mit einem Goldreifen.

Nachdem der Hohepriester die beiden Cherubim gegrüßt hatte, die die Bundeslade bewachten, öffnete er diese. Er holte die Gesetzestafeln heraus und hob sie Salomo entgegen, der sie zum ersten Mal erblickte, sie, die Gottes Hand gemeißelt hatte.

«Ewig ist das Gesetz des Ewigen!» verkündete Zadok.

Der gekrönte Salomo, den Davids Armreifen schmückten, nahm auf dem Thron Platz. Er las Jahwes Erlaß, der ihn als Herrscher bestätigte und einen Bund mit ihm schloß, den nur der Tod oder Nichtswürdigkeit brechen konnte.

Man öffnete die Saaltüren.

Trompeten schmetterten. Das am Fuß des Hügels versammelte Volk jubelte wie aus einem Mund: «Es lebe König Salomo!», denn es war glücklich, daß ihm ein Bürgerkrieg erspart geblieben war. Das Fest zerstreute die letzten Ängste.

Salomo machte sich mit dem Thron aus Elfenbein und Gold und der von Stierköpfen bekrönten Rückenlehne vertraut. Als Armlehne dienten ihm zwei Löwenleiber. Der König hatte sofort die richtige Haltung eingenommen, die es ihm erlaubte, diesen erhabenen Sitz mit Würde einzunehmen.

Würdenträger und Höflinge huldigten Salomo, während auf den Straßen Jerusalems der Wein in Strömen floß. Jedermann hatte das bei einem so jungen Mann erstaunlich sichere Auftreten bemerkt, der keine Angst vor dem Regieren zu haben schien.

Zwei Todesurteile, eines von seinem Vater ausgesprochen, eines von seiner Mutter. Zwei Hinrichtungen, die ausgeführt wurden, noch ehe Salomo die Regierung übernommen hatte. Die Krönungszeremonie hatte seine Vergangenheit ausgelöscht. Doch wie sollte er diese Gewalttaten aus seinem Gedächtnis tilgen? Würden sie nicht Tag für Tag an seinem Gewissen nagen?

Salomo hatte den Palast bezogen, der ihm nicht gefiel. Beunruhigende Schatten sickerten aus den Mauern. Bis jetzt hatte der Sohn Davids noch keine Kritik an der Art und Weise geübt, wie Israel regiert worden war. Für ihn war Schweigen Gesetz gewesen. Das Amt jedoch, das Jahwe ihm anvertraut hatte, zwang ihn zu einer klaren Sicht, auch wenn diese Einsichten schmerzlich waren, worum aber nur er wußte.

Wer war der berühmte König Saul gewesen? Ein Bauer, der sich von den Früchten des Feldes ernährte, seine Herden selbst weidete, gern unter freiem Himmel schlief und Israel schlicht als fruchtbaren Acker betrachtete. Die Welt da draußen interessierte ihn nicht. Andere Völker waren nichts als Plünderer, die ihn berauben wollten.

Was war David gewesen, wenn nicht ein Hirte und vernarrt in ländliche Tänze und bäuerliche Spiele, ein unersättlicher Liebhaber, der die überlieferte Lebensart der Hebräer bewahrt und die Welt vergessen hatte, die sich rings um ihn verändert hatte? Wie seine Vorgänger hatte auch David sein Land für eine Insel gehalten, die sich aus einem feindlichen Meer erhob.

Salomos erste Aufgabe bestand darin, einen neuen Palast zu bauen. Israels König konnte nicht in einer so bescheidenen Behausung wohnen, die sich kaum von denen seiner reichen Höflinge unterschied. Er mußte der Monarchie den Glanz verleihen, der ihr zukam. Der Gebieter des hebräischen Staates durfte nicht mehr mit einem Stammeshäuptling verglichen werden.

Salomo setzte sich auf die Stufen der Treppe, die zur königlichen Kapelle führte, auch diese so karg und kahl, daß Gott wohl kaum Lust hatte, dort Wohnung zu nehmen. Doch David hatte sich hartnäckig geweigert, ein anderes Heiligtum zu bauen. Die Bundeslade war sicher aufgehoben, warum also nach Höherem streben?

Der König machte einen Bogen um den Schatten einer Eberesche, in der sich gern böse Geister versteckten. Er mußte sich überlegen, wie er seine Regierung organisierte, mußte enge Ratgeber mit Weitblick ernennen, die ihren Ehrgeiz für Israel hinter ihren persönlichen stellten. Dieser Entwurf erschreckte Salomo. Besaß er den Wagemut, seine Pläne auszuführen? Würde er nicht auf so heftige Gegenwehr stoßen, daß man ihn zum Aufgeben zwingen konnte?

Eine Frau setzte sich neben ihn.

Es war seine Mutter Bathseba bar allen Schmucks, denn sie war noch in Trauer.

«Du bist dem bösen Schatten ausgewichen, mein Sohn. Also wird sich deine Herrschaft im hellen Licht entfalten. Denk immer daran, daß die Menschen, auch deine Untertanen, das Dunkel vorziehen.»

«Mutter, du sollst zu meiner Rechten sitzen. Du, Israels erhabene Herrin, sollst weiterhin deinen Einfluß auf den Hof ausüben.»

«Nein, mein Sohn. Das ist genau das Thema, das ich unverzüglich mit dir ansprechen wollte. Ich bin mit der Ehre zufrieden. Du bist nicht König geworden, damit du deine Macht teilst. Du, und nur du allein, triffst die Entscheidungen. Meine Ratschläge würden dir nur lästig sein. Ich habe einen schwerwiegenden Fehler gemacht und gehöre in eine abgelaufene Zeit, in die Ära Davids, über die du im tiefsten Herzen sehr hart urteilst.»

Salomo protestierte nicht.

«Bis heute», so fuhr sie fort, «glaube ich, daß ich die Wirklichkeit im Blick gehabt habe. Jetzt bin ich Davids beraubt und brauche Ruhe. Gestatte mir, daß ich mich in die Stille des Palastes zurückziehe.»

Salomo hatte keine Lust, Bathseba dazu zu zwingen, einen Entschluß zu ändern, den sie sich reiflich überlegt hatte.

Sie öffnete die rechte Hand, in der ein Goldring lag, und steckte ihn ihrem Sohn an den kleinen Finger der linken Hand.

«Ein goldener Apfel auf silberner Ziselierung», sagte Bathseba, «das ist das Wort der Weisen. Ist es nicht genauso vollkommen wie dieser Ring, der David gehört hat und vor ihm unserem Vorvater Adam? Hüte ihn gut, Salomo. Wenn du ihn auf dem Finger drehst, kennst du die Botschaft des Windes von jenseits der Berggipfel. Dein Geist wird über diese Paradiese schweifen, wo ständig Ernten reifen und an den Weinstöcken Perlen wachsen. Du wirst die Sprache der Vögel sprechen, die Absichten der Lebewesen erkennen, die dir ihre Herzen unterwerfen. Wilde Tiere werden sich zu deinen Füßen legen und dir die Sandalen lecken. Dieser Ring bedeutet die Macht. Er wird dir so lange dienen, wie du Gott gehorchst. Deine Gedanken werden von einem Ende der Welt zum anderen und bis in den Himmel reichen. Wenn du jedoch den Weg der Weisheit verläßt, wirst du zum Elendesten der Elenden. So will es das Schicksal der Könige.»

Salomo musterte den seltsamen Gegenstand eingehend. Er stellte ein Siegel in Sternform dar, in dessen Mitte die vier Buchstaben graviert waren, die den geheimen Namen Jahwes bildeten. Davids Sohn hätte gern noch weitere Erläuterungen von seiner Mutter bekommen, doch sie hatte sich bereits erhoben und strebte ihren Gemächern zu.

Nathan schrieb einen sehr alten Text auf gutem Papyrus ab, dessen Original zu Staub zerfiel. Er handelte von dem Auszug der Hebräer aus Ägypten. Nathan staunte nicht, als er Salomo die Bibliothek betreten sah.

«Majestät, ich habe deinen Besuch erwartet.»

«Warum, Nathan?»

«Weil deine Herrschaft in genau dem Augenblick deiner Ölung begonnen hat. Du hegst große Pläne und willst keine Zeit verlieren, sie zu einem guten Ende zu führen.»

«Und die wären?» fragte der König neugierig.

Nathan verrückte mehrere Papyrusrollen, die ein Regal verstopften. Er fand einen riesigen Rubin und überreichte ihn Salomo.

«Dieser kostbare Stein ist mir von David am Tag nach seiner Thronbesteigung anvertraut worden. Er ist das Geheimnis der Könige. Den ersten Propheten zufolge hat ihn der Führer der himmlischen Heerscharen Moses auf dem Gipfel des Berges Sinai übergeben. Er ist das Unterpfand des Bundes. Durch ihn feiert alles, was Odem hat, das Ewige. Der Herrscher, der ihn besitzt, herrscht über die Geschöpfe der Luft, des Wassers und der Erde. Wenn er ihre Unterstützung braucht, muß er nur diesen Stein zu den Wolken heben und sie anrufen. Möchtest du ihn haben, Gebieter?»

Salomo streckte die Hand aus und schloß sie um den Rubin.

«Dieser himmlische Stein… ist er nicht das Fundament, auf dem sich Gottes Tempel erheben sollte?»

Diese Frage schien Nathan zu überhören.

«Wir haben oft davon gesprochen, mein Lehrer. Ich würde gern die Kapelle aufgeben und ein neues Heiligtum bauen. Mein Vater war unerbittlich gegen diese Idee. Du billigst sie.»

«In der Tat», bestätigte Nathan.

«Viele kleine Tempel über das Land verstreut… das genügt nicht.»

«So ist es», bestätigte der Lehrer.

Salomo staunte. Nathan lächelte.

«Ich habe großen Einfluß auf deinen Vater gehabt. Bei dir jedoch verzichte ich darauf. Ich bin es gewesen, der David daran gehindert hat, in Jerusalem eine Baustelle zu errichten.»

«Und warum?»

«Weil Davids Gebäude aufgrund seiner Sünden zusammengebrochen wäre.»

Dem König blieb keine Zeit, über die Worte seines Lehrers nachzudenken. Kaum hatte er Nathans Bibliothek verlassen, da sprach ihn Banajas an. Der oberste Heerführer war sehr besorgt.

«Gebieter… die drei Söhne eines Stammeshäuptlings bitten, daß du schlichtest! Wenn sie keine Wiedergutmachung bekommen, wollen sie ihre Truppen aufeinander loslassen.»

Das war eine echte Gefahr. Wenn Salomo bei seinen Schlichtungsversuchen keinen Erfolg hatte, gab es Dutzende von Toten. Und er wäre gezwungen, seine eigenen Soldaten gegen die Aufrührer zu schicken.

«Rufe sie auf dem Platz zusammen. Dort will ich richten.»

Banajas war fassungslos. Ein Gericht! David hatte dieses Verfahren nicht mehr anzuwenden gewagt. Er hätte versucht, die Streithähne zu besänftigen, und im Fall eines Fehlschlags hätte er eine Strafexpedition gegen sie geschickt.

Der Hof war versammelt, um an der Urteilsverkündung teilzunehmen. Viele setzten auf ein Scheitern des Königs, was ihn zur Aufgabe des Throns verurteilen würde. Vereitelte Hoffnungen wurden wieder wach.

Salomo saß auf einem Faltstuhl aus Querhölzern mitten auf dem Platz gegenüber von drei jungen Leuten, die in ihren Armen den Leichnam eines alten Mannes mit schwarzem Bart trugen.

«Was wollt ihr?» fragte der König.

«Das, was mir zusteht», erwiderte der Älteste der drei Brüder. «Mein Vater hat mir auf dem Totenbett enthüllt, daß nur einer von uns dreien sein echter Sohn ist und daß er diesem all seine Habe vermacht. Er hat den Geist aufgegeben, ehe er sagen konnte, wer es ist. Ich weiß, daß ich sein Sohn bin. Diese beiden Hochstapler fechten meine Rechte an.»

«Wer kennt schon die Geheimnisse der Toten», bestätigte der Jüngere. «Teilen wir also.»

«Ich weigere mich», sagte der Dritte. «Wir müssen den Willen meines Vaters achten.»

«Übergebt den Leichnam eures Vater Banajas», befahl Salomo. «Er soll ihn dort hinten auf dem Platz an eine Säule binden und jedem von euch einen Pfeil geben. Ihr schießt auf den Leichnam. Wer am besten trifft, ist der Erbe.»

Beifälliges Gemurmel. Die drei Bittsteller waren gezwungen anzunehmen.

Der Älteste kam am schnellsten zur Sache. Kaum hatte sich Banajas von der sterblichen Hülle entfernt, da schoß er schon. Der Pfeil bohrte sich in die Hand. Der Jüngere, der sich über diesen mittelmäßigen Schuß freute, nahm sich Zeit mit dem Visieren. Der Pfeil fuhr in die Stirn des Toten. Ein vollendeter Schuß. Der Jüngste hob den Bogen und zielte auf sein Herz, warf jedoch die Waffe zornig zu Boden.

«Das ist unwürdig», protestierte er. «Ich mache mich nicht zum Mörder meines Vaters, selbst wenn er nur noch eine Leiche ist. Lieber bin ich arm.»

Und als er den Platz mit großen Schritten verlassen wollte, rief Salomo laut hinter ihm her:

«Bleib hier und sei ein würdiger Erbe des Stammeshäuptlings. Nur du kannst der echte Sohn sein.»

«Es lebe König Salomo!» rief Banajas.

Und sogleich fielen hundert weitere Stimmen ein. 

Kapitel 5

Der Oberhofmeister, der das Leben am königlichen Hof zu regeln hatte, war fertig mit den Nerven. An vier aufeinanderfolgenden Tagen hatte er sich geweigert, den Höflingen, die um eine Audienz ersucht hatten, die Türen zu den Gemächern des Herrschers zu öffnen. Die Proteste wurden immer zahlreicher, schärfer und immer lauter. Doch der Oberhofmeister, ein schmerbäuchiger und leutseliger Mann, ließ sich nicht erweichen. Er, der das königliche Siegel verwahrte, unterhielt sich jeden Morgen mit dem Herrscher, der ihm die Namen der Personen gab, die er empfangen wollte. Während der Audienzen wartete der hohe Würdenträger dann geduldig an der Tür. Zuweilen waren die Tage lang und eintönig. Doch das Amt erweckte so viel Neid, daß sein Träger die Unannehmlichkeiten gern in Kauf nahm.

Salomo handelte gegen seine Gewohnheiten, als er sich in sein Arbeitszimmer einschloß, wohin ihm der Oberhofmeister Listen mit den Namen von Beamten brachte, die die Verwaltung des Landes leiteten und die Salomo mit größter Sorgfalt prüfte.

Wie erklärte sich diese Haltung, außer daß der König zutiefst verstört war? Der Oberhofmeister selbst machte sich nichts vor. Der neue König hatte beschlossen, die Hierarchie umzugestalten. Der Herold, ein ehemaliger Bauer mit gebräunter Haut, der sein Wohlergehen David verdankte, teilte seine Meinung. Er hatte die Aufgabe, dem König zu sagen, was im Land vor sich ging, und hatte die offiziellen Zeremonien zu regeln. Er machte sich Sorgen um seine Zukunft. Salomos Schweigsamkeit verhieß nichts Gutes.

Während sich Jerusalem in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne sonnte, rief Salomo den Oberhofmeister und den Herold zu sich. Beklommen erschienen die beiden Würdenträger gemeinsam vor dem Herrscher, um den herum etliche aufgerollte Papyri lagen. Der König sah überhaupt nicht müde aus.

«Die von meinem Vater ernannten Beamten bleiben im Amt», teilte Salomo ihnen mit. «Der Palast hier ist ordnungsgemäß verwaltet. Dazu kommt jetzt noch ein Dutzend Hofmeister, die sich im königlichen Haushalt abwechseln. Die sollen jeden Tag Gerste und Stroh für Pferde und Zugtiere ausgeben. Sie sollen Mehl holen und zehn Mastochsen, zwanzig freilaufende Ochsen und hundert Hammel ins Schlachthaus führen. Meine Köche wachen dann darüber, daß die Nahrung gerecht verteilt wird. Du, Herold, verkündest diese Beschlüsse morgen früh öffentlich.»

Strahlend entfernte sich der Würdenträger. Er würde seinen Posten behalten.

Der Oberhofmeister war besorgt, traute sich aber dennoch, eine Frage zu stellen.

«Gebieter, wen möchtest du morgen empfangen?»

«Einen einzigen Menschen: Elihap.»

«Ich befürchte, dein Wunsch…»

«Das ist kein Wunsch», berichtigte Salomo, «sondern ein Befehl. Elihap gehört zur Dienerschaft dieses Palastes. Er dient Israels König.»

«Es ist nur… Elihap stammt aus Ägypten und…»

«Weiter.»

«Dein Vater hat das zweifellos übersehen und hat ihn eingestellt, weil er mehrere Sprachen spricht.»

«Das ist doch etwas.»

«Zweifellos, Gebieter, aber Elihap hat einen schweren Fehler gemacht.»

«Und der wäre?»

«Als sein Vater kurz vor David gestorben ist, wollte er ihn nach ägyptischem Brauch begraben. Wir haben protestiert und…»

«Und habt ihn sogar bedroht», schloß der König.

«Er muß unsere Abmahnung falsch aufgefaßt haben.»

«Wo ist er im Augenblick?»

«Elihap ist geflohen», gestand der Oberhofmeister.

«Er hält sich versteckt. Du und der Herold, ihr habt den Auftrag, ihn vor dem Morgengrauen zu finden.»

«Majestät…»

Salomos Blick verbot jede weitere Entgegnung.

Kurz nach Sonnenaufgang führte man Elihap in Salomos kleines Privatzimmer. Es war ein erschöpfter Mann, der sich da vor seinem Herrscher auf die Knie warf, doch trotz seiner abgerissenen Kleidung strahlte er einen Stolz aus, den auch ein widriges Geschick nicht hatte brechen können. Dieser kahle, hochgewachsene Fünfziger mit den durchdringenden, schwarzen Augen erzitterte nicht vor seinem Herrscher, der gleich sein Urteil sprechen würde.

«Wird Israel von Jerusalem richtig regiert?» wollte der König wissen.

Die Frage verwunderte Elihap. Sie war an den ehemaligen, sachkundigen Schreiber des Palastes gerichtet.

«Nein, Majestät. Im Verhältnis zur Hauptstadt haben die Provinzen zu viele Rechte.»

«Wie werden die Steuern eingezogen?»

«Zum Teil in bar, zum Teil in Form von Fronarbeit auf den Baustellen des Königs.»

«Wie viele gibt es?»

«Sehr wenige. Zwei, drei in der Provinz, eine in Jerusalem, dort wird ein Teil der südlichen Befestigungsmauer ausgebessert.»

«Setze dich an die Palette da, Elihap.»

Mit sichtlicher Freude griff der Ägypter zu seiner Schreibbinse, einem Papyrus und dem Napf mit schwarzer Tusche. Ungezwungen nahm er die Schreiberhaltung ein: Aufrechter Oberkörper, gekreuzte Beine.

«Du wirst mein Schreiber und mein Vertrauter», sagte Salomo. «Und du wirst meine Erlässe schreiben. Fangen wir mit dem an, der deinen Aufgabenbereich im einzelnen beschreibt. Du setzt die Briefschaften des Palastes für das Inland und das Ausland auf, du empfängst und schreibst auf, was an Steuern hereinkommt, du bist der oberste Schreiber.»

Elihap schrieb sicher und schnell.

«Wer ist dein Gott?» fragte Salomo.

Der Ägypter legte die Schreibbinse auf die Palette. Vor ihm gähnte eine Falle, doch er zögerte nicht.

«Ich verehre den Gott Apis. Das bedeutet auch mein Name: ‹Apis ist mein Gebieter.› In ihm verkörpert sich der oberste Gott.»

Mit diesen Worten hatte Elihap sich selbst verurteilt. Im Land des Einen Gottes, der eifersüchtig über seiner Oberhoheit wachte, war es gegen das Gesetz, sich zu einem anderen Glauben zu bekennen, doch der Ägypter wollte nicht mehr wie ein Einsiedler leben und sein Herz verleugnen.

«Und wie ist dieser oberste Gott beschaffen?» wollte der König wissen.

«Er ist das Licht», erwiderte der Schreiber. «Der Apis-Stier ist das weltliche Symbol seiner Macht. Darum trägt der Pharao einen Stierschwanz an seinem Schurz.»

«Der Gott Israels ist auch das Licht. Höre auf das, was dich dein Glaube lehrt, Elihap. Aber hüte deine Zunge. Nimm deine Schreibbinse, wir haben noch viel zu tun.»

Öl- und Feigenbäume schützten das Kidron-Tal vor der ärgsten Sommerhitze. Hier war es lieblich und friedlich. Der Lärm der Hauptstadt brach sich an den Hängen der angrenzenden Hügel.

Dennoch gab es nur wenige, die sich zu diesem abgeschiedenen Fleckchen trauten. Man hatte dort nämlich einen Friedhof angelegt, auf dem Helden wie Absalom ruhten.

König Salomo betete vor Nathans Grab zum HERRN.

Der Lehrer war in einer Vollmondnacht im Schlaf gestorben. Sein Gesicht war die vollkommene Ruhe, die Ruhe eines Dieners, der nie unterwürfig gewesen war. Mit ihm war auch Salomos Jugend gestorben. Von nun an hatte er keinen Vertrauten mehr, keinen Freund, bei dem er sich aussprechen konnte, niemanden, mit dem er seine Zweifel und Ängste teilen konnte. Nathan hatte ihn aufgezogen, hatte ihn zum König erzogen, ohne ihn Eitelkeit zu lehren, nur weil er eines Tages über die Geschicke Israels bestimmen würde. Er hatte sich hinter seiner Aufgabe unsichtbar gemacht, damit er das Gewissen seines Schülers besser bilden konnte. Fern der Gerüchte und Intrigen des Hofes hatte er Salomo sein Leben geweiht.

Der König hatte seinem Lehrer eigenhändig das Grab gegraben und sich Klageweiber verbeten, denn er wollte in der duftenden Stille des Kidron-Tals mit einem Lehrer Zwiesprache halten, dessen Seele ihn sein wahres Wesen hatte erkennen lassen.

Salomo wußte nicht, ob er Nathans Erwartungen erfüllen konnte. Da er allein war und ihn seine engsten Vertrauten verlassen hatten, war er gezwungen, allein zu regieren, und mußte versuchen, sein Volk und sein Land zur Ehre des Höchsten zu gestalten.

Das schwor er Nathan an dessen Grab.

Kapitel 6

Wer hatte verkündet: «Ich erschaffe Jerusalem zu meiner Freude und seine Einwohner zu meiner Kurzweil», wenn nicht David? Wer hatte der Stadt ihren Namen gegeben, indem er seinen Getreuen befahl, dort zu wohnen und ihr Heil zu suchen, wenn nicht David? Wer hatte sich in dieser Stadt niedergelassen, weil er sie zu einer heiligen Stadt, zum Mittelpunkt der Offenbarung machen wollte, wenn nicht David? Hier hatte David residiert, weil sie auf der Grenze zwischen den beiden Königreichen Judäa und Israel lag und so seine Berufung zum Friedensmittler bestätigte. Und wer anders als das himmlische Jerusalem würde die Auserwählten am Ende der Zeit innerhalb seiner goldüberzogenen Mauern und seiner mit Rubinen gepflasterten Straßen empfangen?

Dieser herrlichen Aussicht, der Salomo während seiner Regierungszeit Gestalt geben wollte, drohte ein ernstes Ereignis in die Quere zu kommen. Der Thronsaal wimmelte von Reichen, die im Namen der fünfzehntausend Einwohner der Stadt sprachen.

«Gebieter, die Situation ist verzweifelt», erklärte der Herold, dem man mit Beschwerden zugesetzt hatte. «Die Oberstadt hat kein Wasser mehr. Die einzige Quelle in Gihon ist vergiftet, und man kann sie erst in einem Monat wieder benutzen. In der Unterstadt herrscht Mangel. Die Tumulte sind bedrohlich.»

Auch David hatte mit der schlechten Wasserversorgung der Hauptstadt sein Tun gehabt, hatte jedoch Versuche, die Lage zu verbessern, mit sehr harten Strafen belegt.

«Ich schicke keine Soldaten gegen die Einwohner von Jerusalem», sagte Salomo. «Sie haben nämlich recht, dieser Zustand ist unerträglich.»

Elihap, der ägyptische Schreiber, der offiziell in sein Amt eingeführt worden war, saß zu Füßen des Throns und schrieb die Vorschläge auf, die man bei dieser ungewöhnlichen Audienz austauschte.

«Ich beauftrage Banajas mit einer Friedensmission», verkündete Salomo. «Alle Männer, die auf den Baustellen in der Provinz Frondienst tun, sollen Trägermannschaften bilden und Wasser aus Quellen herantragen, die eine Wegstunde von hier entfernt liegen. Bis Gihon wieder sauber ist, soll ein Bewässerungssystem ausgehoben und das Wasser in Auffangbecken gespeichert werden.»

Der Herold legte im Namen eines alten Würdenträgers Widerspruch ein.

«Gebieter, wenn unsere Pläne gelingen sollen, brauchen wir mehrere Monate.»

«Aufgrund der schlechten Ausrüstung unserer Arbeiter ein knappes Jahr», erwiderte der König.

«Die Zisternen sind leer», mahnte ihn der Oberhofmeister. «Was soll in den kommenden Tagen aus uns werden?»

«Es wird heute regnen. Setzt euer Vertrauen auf Gott und den König.»

Salomo erhob sich. Die Audienz war beendet.

Jerusalem wartete besorgt.

Ein herrlich blauer Himmel spannte sich über der Stadt. Die Älteren kannten sich mit diesen Anzeichen der Natur aus und wußten, daß es lange nicht mehr regnen würde. Salomo hatte falsch gehandelt, als er dem Herrn in der Wolke trotzte. Davids Sohn war nichts als ein Aufschneider, der seinen Ehrgeiz noch bereuen würde.

Um die Mittagszeit stieg Salomo zum höchsten Punkt seines Palastes. Von der Höhe des Wachtturms aus, auf dem ein Bogenschütze stand, den er fortschickte, betete er zum Firmament, das ihm das rettende Wasser schicken mußte.

«Du, der Du im Licht regierst», murmelte der König, «höre an mein Gebet. Wenn sich Deine Himmel verschließen und uns keinen Regen spenden, wie soll Dein Land dann überleben? Vergib mir. Stürze Deine Stadt nicht ins Unglück. Laß es auf die Erde regnen, die Du Deinem Volk gegeben hast.»

Dreimal drehte Salomo den Ring aus Gold, den er am kleinen Finger der linken Hand trug. Er rief die Geister des Windes und befahl ihnen, ein Gewitter losbrechen zu lassen.

Und als die erste schwarze Wolke mit einem Bauch so dick wie dem eines Elefanten aus dem Wunderland hinter den Bergen im Norden emporquoll, dankte Salomo dem HERRN.

Der Töpfer, den ein Lehrling benachrichtigt hatte, hastete aus seiner Behausung aus gestampftem Lehm herbei. Er wickelte sich einen Schurz um die Lenden und betrachtete das unglaubliche Schauspiel.

Salomo, sein Schreiber Elihap, Banajas, der oberste Heerführer, und ein Trupp Soldaten waren gerade vor seiner Werkstatt im Herzen von Judäa abgestiegen, wo noch kein Mensch einen König hatte haltmachen sehen.

Seit Salomo Wasser in so ausreichender Menge bekommen hatte, daß sich Jerusalems Zisternen füllten, war ihm sein Ruf durch alle Provinzen vorausgeeilt. Selbst wenn die Priester ihre Vorbehalte hatten und es als glücklichen Zufall hinstellten, blieben die einfacheren Menschen bei ihrem Glauben, daß ein neues Zeitalter des Wohlstands anbrach, das aus Israel jenes Paradies machen würde, von dem Moses geträumt hatte.

Der König verweilte bei der Töpferscheibe des Töpfers. Wer hätte dabei nicht an Gott gedacht, als er mit diesem über alle Maßen vollendeten Werkzeug die menschliche Rasse schuf und dem Lehm lebendige Formen abrang, die er mit Seiner Hand und Seinem Geist formte? In Ägypten wiederum hatte der Widdergott die Welt erschaffen. Die Hebräer hatten diese Symbolik beibehalten, denn ihre Handwerker hatten ihr Gewerbe im Land der Pharaonen gelernt. Salomo träumte von einer Welt, die er dem Chaos entreißen wollte. Verdankte man den Töpfern nicht alltägliche Dinge genauso wie erlesenste Gefäße, kleine Krüge wie große Kornkrüge, Lampen wie Spielzeug? Salomo wollte es dem Töpfer nachtun und seinem Volk materiellen Wohlstand verschaffen. Doch der konnte nur Dauer haben, wenn er aus geistiger Fülle rührte. Darum wollte der König ein neues Wegstück in Angriff nehmen und hatte die zwölf Stämme Israels, nämlich Ruben, Simeon, Levi, Juda, Sebulon, Isaschar, Dan, Asser, Gad, Naphtali, Joseph und Benjamin, fern ihrer Stammesgebiete zusammengerufen. Diese reichen und mächtigen Männer, große Landbesitzer, wetteiferten miteinander, wer den König an diesem unwürdigen Ort mit seiner Pracht am meisten beeindrucken konnte. Ihre Leibbarbiere hatten mit Gold- oder Elfenbeinkämmen erlesene Frisuren mit schwingenden Locken oder langen geölten Strähnen geschaffen, die ihnen auf den Rücken fielen. Die Gürtel, die farbenprächtige Tuniken in der Mitte zusammenhielten, waren mit Diamanten und Rubinen besetzt. Neben den Stammesfürsten wirkte Salomo fast wie ein Mann aus dem Volk.

Er bat sie, auf den Matten Platz zu nehmen, die Banajas zu Füßen eines großen Feigenbaums ausgerollt hatte, dessen Schatten auf niemanden fallen durfte. Seine Gäste waren neugierig, was diese seltsame Zusammenkunft zu bedeuten hatte. Salomo bot ihnen ein Gericht aus Gurken, Zwiebeln und Lattich an. Einige aßen mit Appetit, andere lehnten ab, denn Könige griffen oftmals zu Gift, wenn sie Gegner loswerden wollten. Und wurde nicht gemunkelt, daß Salomo als alleiniger Herrscher regieren wolle?

«Ich habe Weinstöcke gepflanzt», machte ihnen der Herrscher klar, «habe Weinberge und Obsthaine geschaffen, Wasserleitungen zur Bewässerung der Plantagen bauen lassen, ich habe euch Dienstboten, Rinder- und Schafherden gegeben. Ihr lebt so gut wie selten jemand vor euch. Warum seid ihr mir gegenüber so mißtrauisch?»

«Du hast uns reich gemacht», bestätigte der Fürst des Stammes Dan, «aber war das nicht eine List, mit der du unsere Wachsamkeit einschläfern wolltest? Du gehörst nicht zu den Menschen, die Geschenke verteilen, ohne dafür etwas zu verlangen.»

«Das ist wahr», bekannte Salomo. «Niemand bestreitet eure Rechte. Ohne euch wären die Provinzen verloren. Aber ihr schuldet dem König Treue.»

«Wer daran denkt, sich gegen dich zu erheben», entrüstete sich der Fürst des Stammes Levi, «dem werde ich aufs Haupt schlagen!»

Das bestätigten seine Gefährten mehr oder minder beflissen mit einem Kopfnicken.

«Ich weiß, daß ihr mir treu ergeben seid», meinte Salomo, «doch das reicht mir nicht.»

Die Stammesfürsten warfen sich verwunderte Blicke zu.

«Solange ihr Rivalen seid, wird Israel ein schwacher Staat bleiben. Die einzige Möglichkeit, das zu bewahren, was ihr errungen habt, steht und fällt mit dem König. Ich will aus Jerusalem eine echte Hauptstadt machen. Und aus unserem Volk eines der mächtigsten und glorreichsten. Dazu brauche ich eure völlige Unterwerfung. Ihr führt weiterhin eure Stämme, seid jedoch meine gehorsamen Vasallen. Wenn ich Soldaten brauche, schickt ihr mir diese und setzt damit das Interesse des Landes vor euer eigenes. Wenn ich neue Steuern erhebe, so erhebt ihr sie für mich und dürft einen Teil davon behalten. Jeden meiner Wünsche erfüllt ihr mir beflissen. Nicht für mich, sondern für Israel. Ich will eine Antwort von euch, hier und heute.»

Salomo hatte in sehr sanftem, freundlichem Ton gesprochen, hatte aber keinen Hehl aus seinen Absichten gemacht. Die Stammesfürsten zogen sich hinter das Haus des Töpfers zurück, in dem der König ihren Entschluß abwartete.

Der Handwerker verzierte einen Weinkrug, er fuhr trotz der Anwesenheit des Königs mit seiner Arbeit fort.

«Töpfer, was erwartest du von deinem König?»

«Wohlergehen für meine Kinder», war die Antwort.

«Und wovon hängt das ab?»

«Vom Frieden, Gebieter. Er ist der Vater aller Freuden. Ruhm und Ehre, die der Krieg mit sich bringt, sind das Elend der kleinen Leute. Doch welcher König denkt schon daran?»

«Salomo wird es nicht vergessen.»

Die Besprechung dauerte drei Stunden.

Drei Stunden, in denen der Herrscher zusah, wie sich die Töpferscheibe drehte, deren Musik ihn bezauberte. Das waren unvergeßliche Erinnerungen oder die letzten Zuckungen als Herrscher Israels… Beim Anblick der kundigen Hände löste sich die Anspannung, und die düstere Laune des Königs wich. Er kam sich so leicht vor, so als ginge ihn die Zukunft nichts mehr an.

Es war dann der Fürst des Stammes Dan, der Salomo im Namen der anderen elf Stämme das Ergebnis ihrer Beratungen mitteilte.

«Ich war der letzte, der überzeugt werden mußte», gestand er. «Aber wir sind einer Meinung. Wir sind einverstanden.»

«Mangels einer großen Vision», sagte Salomo, «lebt das Volk ohne Hoffnung. Glücklich, wer die Gedanken des Königs liest, denn er beweist Weitblick.»

Der Fürst des Stammes Dan erforschte Salomos Seele.

Und er erkannte dort nicht die Eitelkeit eines Gewaltherrschers, sondern den guten Willen eines Königs.

Kapitel 7

Salomo hatte Israel geeint. Jerusalem, Davids religiöses Zentrum, war die politische Hauptstadt eines Königreiches geworden, in der ein junger König, dem man magische Kräfte zuschrieb, als unumschränkter Gebieter herrschte. Die Stammesfürsten beglückwünschten sich zu ihrer Wahl. Das Gespenst eines Bürgerkriegs war abgewendet, die inneren Konflikte waren beendet, jeder dachte nur daran, wie er möglichst glücklich leben, den Boden noch fruchtbarer machen oder in seiner Werkstatt noch emsiger arbeiten könnte. Die Reichen wurden reicher, die Armen waren weniger arm. Und der Hohepriester erinnerte sich, daß Nathan auf Salomos Stirn das Wort Weisheit erblickt hatte.

Der König arbeitete unablässig. Der ach so freudlose und kalte Palast aus Davids Zeiten wirkte wie ein Bienenkorb, in dem ständig Leben und Treiben herrschten. Elihap schrieb unaufhörlich königliche Erlässe, durch die die Verwaltung in kleinen Schritten verändert und fähiger gemacht wurde. In knapp zwei Jahren Regierungszeit hatte Salomo Israel kennengelernt. Von der Spitze des Staates bis zum kleinsten örtlichen Machthaber war ihm in seinem Land nichts mehr fremd. Sein Privatschreiber erwies sich als bemerkenswert tüchtig, und Salomo zog Nutzen aus den säuberlich geführten Akten, in denen sich im Laufe der Monate genaue Angaben gesammelt hatten.

Das erste Wegstück von Salomos Arbeit näherte sich dem Abschluß.

Jetzt war das zweite in Angriff zu nehmen: Bauen, aus Soldaten Arbeiter machen, die Kasernen schließen und Baustellen errichten. Jetzt ging es nicht mehr anders, er mußte Banajas überzeugen. Israel würde die Leibwache behalten, die sich darauf verstand, die Krone zu verteidigen, würde jedoch seine Kriegsanstrengungen zurücknehmen.

Mehrere königliche Erlässe lagen bereit, als man den obersten Heerführer kommen ließ. Das Gesicht des Riesen, das normalerweise ungerührt war, zeugte von tiefer Bestürzung. Salomo wußte sogleich, daß etwas Ernstes vorgefallen war.

Banajas brachte kein Wort heraus. Er überreichte dem König eine Holztafel mit einem Text, den der Gouverneur von Damaskus verfaßt hatte. Er war in Phönizisch geschrieben. Salomo las ihn zweimal.

«Was… was entscheidest du, Gebieter?»

«Zunächst muß ich nachdenken. Danach treten wir gemeinsam vor die Öffentlichkeit.»

Der oberste Heerführer entfernte sich.

Elihap hielt es für geraten, die Gedankengänge des Königs zu unterbrechen.

«Majestät, hat etwa ein Stamm zu den Waffen gegriffen?»

«Eine Katastrophe, Elihap. Ein phönizischer General, ein wahrhaftiger Teufel, hat den Flecken Damaskus angegriffen; er hat sich geweigert, meine Oberhoheit anzuerkennen, und hat unserer Garnison in der Oase, die über die Straßen von Palästina und Syrien wacht, arg zugesetzt. Dieser Aufwiegler hat die Unabhängigkeit seines Königreiches Damaskus ausgerufen.»

Der Schreiber verstand Salomos Enttäuschung, denn dieser Gewaltstreich ruinierte seine Pläne. David hätte sich Damaskus niemals rauben lassen.

«Das bedeutet Krieg, Majestät.»

«Nein, Elihap. Ich bin dagegen. Falls ich versuche, Damaskus zurückzuerobern, müssen wir gegen die Verbündeten dieses Phöniziers kämpfen, und der Teufelskreis beginnt von neuem.»

«Dann also Schimpf und Schande. Man wird dir Schwäche vorwerfen. Dein Werk wird zerbrechen.»

«Einen Tag… ich brauche einen Tag. Bring mir eine ausführliche Karte des Landes.»

Wo war seine Weisheit? Verbarg sie sich in einem so tiefen Abgrund, daß man an einem von Engeln gehaltenen Seil aus Licht, das länger war als die Zeit, tief hinuntersteigen mußte? Oder mußte man sich in einem Käfig aus Einsichten einschließen und sich in den unauslotbaren Schlund hinunterlassen, dessen Grund man nach zwölfmal dreißig Tagen und zwölfmal dreißig Nächten noch nicht erreicht hatte? Gott allein hatte den ganzen Weg der Weisheit zurückgelegt und wußte, wo sie sich befand.

Sich mit einer Landkarte von Israel zu beschäftigen war für Salomo eine ungewohnte Aufgabe. Was er sich da ausgedacht hatte, war nichts als ein eitles Trugbild. Davids Heer zu verkleinern hieß, das Land in Gefahr zu bringen. Die Einnahme von Damaskus war ein göttlicher Fingerzeig, der dem König den richtigen Weg weisen wollte.

Salomo rief Banajas und Elihap zu sich. Dieser verkleinerte Kriegsrat mußte genügen.

«Damaskus ist verloren», meinte er. «Es ist nichts weiter als eine wertlose Oase. Dieser Rückschlag wird schnell vergessen sein, zumal die Gebiete, die wir kontrollieren, bereits zahlreicher sind als zu Lebzeiten meines Vaters. Der vermaledeite Phönizier soll mir nicht lange den Schlaf rauben. Dennoch hat er mir etwas klargemacht: Unsere Verteidigungsanlagen müssen verstärkt werden. Wir beginnen mit dem Ausbau von Palmyra, danach wird das Heer neu organisiert. Wenn es stark genug ist, wird es den Feind einschüchtern und muß nicht mehr zu den Waffen greifen.»

Banajas verstand nicht, was sein König da sagte. Warum durften die Soldaten nicht kämpfen? Doch er setzte Vertrauen in Salomos Urteil.

Fettschwanzhammel von erstaunlichem Umfang zogen an Salomos Tragsessel vorbei, der im Schatten einer Laube aufgestellt war. Es war Herbst, und die Landschaft um Jerusalem war gar lieblich anzusehen. Nach der morgendlichen Kühle war die Mittagshitze willkommen. Am Ende mehrerer Arbeitswochen genoß der König ein paar Mußestunden fern des Palastes.

«Wir haben einen großen König», bestätigten die Hebräer immer lauter und immer kräftiger. Doch Salomo war sich bewußt, daß er nur ein kleines Land regierte, das angesichts des großen Ägypten gar nicht existierte. Israel… Wald, Ebene und Wüste, ein Himmel aus Feuer, sonnenverbrannte Felsen, Flüsse, die sich einmal durch unfruchtbare und ein anderes Mal durch grasbewachsene Ufer zogen. Eine knappe Wegstunde trennte vertrocknete Einöden von grünen Matten. Ein heiliges Land, das Gott geschenkt hatte und das von den Dan bei Beerscheba, vom Fuß des Hermon bis zur Moab-Wüste reichte. Ein Volk, das der König vor sich selbst und vor Gefahren von außen schützen mußte.

Nachdem er ein Bewässerungssystem gebaut hatte, das Wasser bis nach Jerusalem brachte, hatte sich Salomo mit dem Zustand der Verkehrswege beschäftigt. Die große Straße in die Hauptstadt war mit Basalt gepflastert worden; die anderen Straßen, die mittlerweile für Handelsleute sicher waren, hatten zur Aufnahme von Handelsbeziehungen zwischen den Provinzen geführt, und auch Streitwagen befuhren sie und machten großen Eindruck auf fremdländische Spione.

Nach Beendigung der inneren Auseinandersetzungen hatte Salomo in aller Stille sein Heer neu organisiert, hatte seine dreißigtausend Fußsoldaten in Einheiten zu je fünfzig unterteilt, hunderttausend Mann insgesamt, die von Feldhauptleuten befehligt wurden. Die Kriege, die David gegen die Philister, die Edomiter und Ammoniter, die Moabiter und die Phönizier geführt hatte, hatten zur Bildung des israelitischen Reiches geführt, das sich zwar nicht mit dem ägyptischen messen konnte, aber dennoch einen gewissen Zusammenhalt hatte. Bei mehreren Unterhaltungen mit verschiedenen Regimentern hatte Salomo ihnen angekündigt, daß er keine weitere Gebietserweiterung anstrebe, sondern nur die Verteidigung des Landes, dieses Heiligtum Jahwes. Und darum beschäftigte sich das schlagkräftigste Heer, das Israel jemals besessen hatte, mit dem Bau oder der Ausbesserung von Festungen, deren älteste man geschleift hatte. Statt roher Ziegelsteine verwendete man jetzt gutbehauene Bruchsteine. Die Arbeit damit war zuweilen hart, doch sie machten die Anlagen noch uneinnehmbarer. An allen strategisch wichtigen Punkten des Königreiches wachten seitdem Festungen, und die Grenzen waren endlich sicher.

Salomos Privatschreiber hatte einen Text verfaßt, der überall verkündet wurde: ‹Der König hat Israel mit Reichtümern überhäuft und ihm viele Streitwagen und Soldaten gegeben; er hat auf Ebenen und Bergen Festungen errichtet. Auf ihren Mauern stehen Engels- und Heldengestalten mit ehernen, edelstein-geschmückten Leibern. Alle Wege führen nach Jerusalem, unserer schützenden Mutter.›

Wenn der König in dem befriedeten Land überall furchtlos sein Haupt betten konnte, dann dank seiner Politik. Entzückt entdeckten die Hebräer, wie schön es war, sicher und ohne Plünderer und blutige Auseinandersetzungen unter den Parteien zu leben. Mütter konnten ihre Kinder sorglos in Gärten und auf dem Feld spielen lassen. Bauern kehrten singend nach Hause zurück und mußten nicht mehr fürchten, an einer Wegbiegung überfallen zu werden. Schon jetzt munkelte man im Volk, das Zeitalter Salomos sei mit keinem anderen zu vergleichen, denn eine ganze Generation würde keinen Krieg mehr kennenlernen. Ein Wunder, das es noch nie gegeben hatte, seit Könige über Israel herrschten.

Salomo strebte jedoch nach Höherem. Er wollte diesen Frieden für mehrere Jahrhunderte absichern.

Sein Erfolg würde von der ersten Schlacht abhängen, die er bei Megiddo schlagen mußte, einer Festung, die erst kürzlich umgebaut worden war und gegen die sich ein Angriff aufständischer Beduinen richtete. Ohne auf die Empfehlung seiner Ratgeber zu hören, hatte der König beschlossen, seine Truppen höchstpersönlich anzuführen. Es gab kein anderes Mittel, wenn er herausfinden wollte, ob die Verteidigungsstrategie, die er sich ausgedacht hatte, hinreichend abschreckend wirkte.

Ein warmer Windstoß liebkoste Salomos Hals. Die Berggipfel nahmen eine ockergelbe Farbe an. In einem Flußarm badeten junge Männer. Ein Bauer führte seinen Esel zum Markt, der Körbe trug, aus denen Weintrauben quollen.

Doch die Stunde nahte, in der er in die Schlacht ziehen mußte.

Salomo hatte die gesamte königliche Leibwache aufgeboten, die größtenteils aus fremdländischen Söldnern bestand. In Jerusalem ließ er nur alte Soldaten zurück, die israelitischen Hauptleuten unterstellt waren und während der Abwesenheit des Herrschers den Palast beschützten. Die Elitetruppen erreichten Megiddo unter seinem persönlichen Befehl.

Salomo begab sich zu den Pferdeställen, die an einem großen, mit Kalksteinen gepflasterten Hof mit einer steinernen Zisterne gelegen waren, die tausend Eimer Wasser enthielt. Seit seinem ersten Besuch vor einem Monat hatten die Arbeiten gute Fortschritte gemacht. Jeder Pferdestall war in fünf Einheiten unterteilt, hatte einen eigenen Eingang, und das Ganze war über einen breiten, kieselbestreuten Weg zugänglich, auf dem man leicht Futter für die Pferde heranschaffen und ihre Ställe säubern konnte. Jedes Tier war an einem Pfeiler mit einer Nummer angebunden. Zwischen den Pfeilern gab es Gipsengel. Luft und Licht kamen durch verstellbare Öffnungen im Dach.

«Wer ist für diese Gebäude verantwortlich?» fragte Salomo.

Der Schreiber befragte seine Liste, die er nie aus der Hand legte.

«Jerobeam, Majestät.»

Zwei Leibwachen gingen und holten einen Dreißigjährigen mit rotem Haar und einer Narbe auf der Stirn, die von einem Huftritt stammte, mit eingedrückter Nase und kantigem Kinn mit Kerbe – ein Riese und fast so eindrucksvoll wie Banajas. Barfuß, den Schurz lehmbeschmiert, weil er gerade Kalksteinplatten ausfugte, näherte er sich innerlich zitternd seinem König.

«Wo bist du geboren?» fragte Salomo.

«In den Bergen von Ephraim, Gebieter. Mein Vater ist tot. Meine Mutter ist daheim geblieben.»

«Wie lautet dein Titel?»

«Aufseher der Arbeiten. Ich bin in einer bäuerlichen Landwehr ausgebildet worden, später in einem Bautrupp, der die Befestigungen von Jerusalem ausgebessert hat. Dann hat man mich zu den Pferden versetzt. Ich habe meine Ideen vorgetragen. Man hat auf mich gehört, und seit zwei Monaten arbeite ich daran.»

Salomo nahm Maß: lebhaft, herrisch, ehrgeizig.

«Ich ernenne dich zum Leiter der Arbeiter, die aus dem Stamm Ephraim und Levi sind. Wenn du mit den Ställen fertig bist, unterbreitest du mir die Pläne, die du noch im Kopf hast.»

Ein breites Lächeln erhellte das häßliche Gesicht des roten Riesen. Eine herrliche Laufbahn eröffnete sich ihm.

Salomo musterte die Mauern der Festung Megiddo aus der Nähe, die Soldaten, die zu Maurern geworden waren, neu erbaut hatten. Unter Anleitung von ein paar Fachleuten hatten sie die Ziegelsteine durch fachgerecht behauene und eingefügte Bruchsteine ersetzt. Das Ganze machte einen haltbaren Eindruck.

Elihap neben dem Herrscher musterte die Ebene, auf die die Beduinen zum Angriff strömten. Er litt unter Höhenangst und fühlte sich auf diesem Turm unwohl, wo ihm der Wind um die Ohren pfiff. Banajas wartete auf den Befehl seines Königs, daß er die tapfersten seiner Soldaten gegen den Feind warf.

Salomo mit einem goldenen Diadem im schwarzen Haar und einem Zepter in der rechten Hand bemerkte die erste Staubwolke, die die Ankunft des Feindes meldete.

Die Hebräer hoben die Bogen.

«Räumt die Mauern», befahl Salomo. «Laßt sie näher kommen.»

Der Befehlshaber der Garnison hätte anders entschieden. Dazu kam noch, daß sich der König noch keinen Ruf als Krieger erworben hatte.

Unter Kriegsgeschrei schossen die berittenen Beduinen ihre Pfeile auf die Festungsmauern ab. Die Hebräer antworteten nicht, sie dachten nur daran, daß ihre Zahl winzig klein war.

«Entriegelt das Haupttor», forderte der Herrscher.

«Majestät!»

Der Befehlshaber begehrte nicht mehr auf. Seine Haltung war bereits eine Beleidigung für den König. Aber warum ging Salomo ein solches Risiko ein? Warum bot er dem Gegner ein Ziel?

Mühelos drangen die Beduinen durch das Eingangstor, das nicht verteidigt wurde. Sie waren sich sicher, daß sie einen leichten Sieg errungen hatten, und stießen Jubelrufe aus. Doch auf die erste Ringmauer folgte eine zweite weniger hohe, dafür aber breitere. Auf der tauchten jetzt die hebräischen Bogenschützen auf und schossen den verstörten Beduinen, die auf engem Raum gefangen waren und deren Pferde wild ausschlugen, ihre Pfeile in die Brust.

In den Reihen der Angreifer gab es keine Überlebenden. Kein Hebräer wurde verwundet. Die von Salomo aufgestellte Falle war ein voller Erfolg gewesen. Der Sieg von Megiddo wurde von Hofdichtern besungen, und der Ruhm des Königs von Israel verbreitete sich in der Welt und säte Furcht unter seinen Feinden.

Kapitel 8

Der von Elihap verfaßte Bericht ließ keinen Zweifel aufkommen, die Waffe der Zukunft war der mit drei Männern besetzte Streitwagen: der Bogenschütze, der Wagenlenker und ein Helfer, der seine Waffengefährten mit einem großen Schild schützte. Die besten Pferde gab es in ägyptischen Gestüten. Die ägyptischen Arsenale stellten die besten Streitwagen her. Ein ägyptisches Pferd kostete einhundertfünfzig Schekel, ein ägyptischer Streitwagen sechshundert Schekel. Zur Absicherung Israels brauchte Salomo mindestens viertausend Pferde und dreitausend Streitwagen.

«Nimm dir einen Papyrus», befahl der König seinem Schreiber.

Elihap schob Siegel und Tafeln beiseite, die ihn auf seiner Palette behinderten. Er nahm nicht den Papyrus, den eine Werkstätte in der Provinz aus Pflanzen herstellte, die im Sumpf, in der Nähe des Jordan, wuchsen, sondern griff zu einem, der aus Memphis kam, der großen Handelsstadt Unterägyptens.

«Einen schöneren habe ich nicht, Majestät. Ich habe ihn für einen besonderen Anlaß aufgehoben. Aber vielleicht sollte ich lieber eine Holz- oder Wachstafel nehmen?»

«Der Text, den ich dir zu diktieren habe, ist zu lang, Elihap. Wenn man an einen ägyptischen Pharao schreibt, darf man nicht mit Höflichkeitsfloskeln geizen.»

Salomo merkte seinem Schreiber an den Augen an, daß er sehr erregt war. Elihap mischte schwarzen Ruß mit Harz, was er dann in Wasser auflöste, wodurch er eine schöne schwarze Tusche bekam. Er säuberte das königliche Siegel, das unter die Botschaft kommen sollte.

«Deine Hand scheint zu stocken», meinte Salomo.

«An einen Pharao schreiben… ist das Unterfangen nicht zum Scheitern verurteilt?»

«Nur er allein kann uns die Pferde und Streitwagen verkaufen, die wir brauchen. Zweifellos wird er meinen ersten Vorschlag ablehnen. Ich hoffe darauf, daß er danach Lust bekommt, mir einen Gegenvorschlag zu machen.»

«Warum sollte er es zulassen, daß du dein Heer stark machst?»

«Weil er weiß, daß ich den Frieden will. Das Ägypten des Pharaos Siamun ist zwar stark, aber es geht ihm nicht so gut. Liegt es da nicht in seinem Interesse, in Frieden zu leben?»

Der Schreiber teilte die Meinung seines Gebieters. In der Tat sah Siamun seine Macht durch den Hohenpriester Thebens gefährdet, der im Süden Ägyptens, wo die religiösen Traditionen noch lebendig waren, eine starke Stellung innehatte. Darum hatte der Pharao seine Hauptstadt nach Tanis im Delta, unweit der nordöstlichen Landesgrenze, verlegt.

«Was weißt du über ihn?» fragte Salomo.

«Er ist ein Heimlichtuer, der sein Amt mit viel Strenge ausübt. Wie die meisten seiner Vorgänger arbeitet er unablässig und kennt sich bewundernswert in seinen Akten aus.»

«Hat er kriegerische Gelüste?»

«Welcher Pharao würde nicht von Größe träumen? Ägypten ist nicht mehr so prächtig wie zu Ramses’ Zeiten, aber es ist ehrgeizig geblieben. Siamun muß sich auf eine neue Eroberung Kleinasiens gefaßt machen. Der Weg zu seinen Siegen führt durch Israel. Darum befürchte ich, daß deine Botschaft bei ihm lediglich Heiterkeit auslöst.»

Elihap hatte frei von der Leber gesprochen, und Salomo wußte diese Aufrichtigkeit zu schätzen.

«Ich teile deine Ansicht, Schreiber, aber ich liebe das Unmögliche. Der Name dieses Pharaos gleicht zu sehr dem meinen, da müssen sich unsere Wege einfach kreuzen. Da er ‹der Geliebte der Maat› ist, der Göttin, die die Weltordnung und die Wahrheit verkörpert, wird er meine Absichten verstehen. An die Arbeit, Elihap. Beginnen wir mit ‹König Salomo an seinen Bruder, den Pharao von Ägypten…›»

Vor einem Monat war die kostbare Botschaft einem königlichen Sendboten anvertraut worden. Salomo, dessen Schlaf immer leichter wurde, konnte seine Gereiztheit nur noch schlecht verhehlen. Er kürzte seine Audienzen ab und versenkte sich immer länger in der Palastkapelle. Er wußte, daß die Hebräer die Ägypter verabscheuten, das Land, in dem man sie der Legende nach zu Sklaven gemacht hatte. Doch er wußte auch, daß die pharaonische Monarchie durch die feste Verknüpfung von Himmel und Erde ein außergewöhnliches Vorbild geschaffen hatte, wie man ein von der Gottheit inspiriertes Wesen auf den Thron setzte. Nur ein erblicher König, der aus dieser Tradition kam, konnte sein Volk auf dem Weg der Weisheit und des Glücks führen. Daher hatte Salomo, der sich über gefühlsbetonte Anwandlungen und früheren Groll hinwegsetzte, den hebräischen Staat und seine Verwaltung nach dem pharaonischen Vorbild geformt.

Salomo war überzeugt, daß er sein Volk damit nicht verriet. Dennoch erhoffte er sich ein Zeichen von Jahwe, das ihn in seiner Wahl bestätigte, nämlich der Pharao Israels zu werden. Die Antwort des Herrn in der Wolke erreichte ihn eines schönen Abends, als er einem Greis begegnete, der die Stufen des Throns fegte. Dem König schoß eine Frage durch den Kopf, eine Frage, die er diesem bescheidenen Diener unbedingt stellen mußte.

«Du da, was hältst du von Ägypten?»

Der Kehrer dachte nach.

«Ich habe da gelebt. Mein Vater auch. Und der Vater meines Vaters. Und unsere Vorfahren. Alle haben das gleiche gesagt: Es ist ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Man ißt dort gut, und es gibt keine Not. Wir sind da im Süden glücklich gewesen. Wir lieben Ägypten, und gleichzeitig hassen wir es, weil es für Israel ein zu starker Nachbar ist… Deswegen ist der Haß stärker als die Liebe. Das ist dumm, mein König, aber so ist die menschliche Natur nun einmal beschaffen. Daran kann niemand etwas ändern.»

«Sollte man nicht gerade den allerhöchsten Berg besteigen? Aus deinem Mund spricht Weisheit. Stelle deinen Besen beiseite und laß deine Arbeit einen Jüngeren machen. Im Palast wird man sich auf deine alten Tage um dich kümmern.»

«Endlich eine Antwort vom Pharao», verkündete Elihap.

«Lies sie mir vor», forderte Salomo.

«Es ist kein Papyrus, Majestät, sondern eine Neuigkeit, die Banajas gebracht hat. Das ägyptische Heer hat die Philister besiegt, die Stadt Gaza eingenommen und zieht auf die israelitische Grenze zu.»

Salomo wurde blaß. Er war nicht nur gescheitert, sondern hatte bei seinem furchteinflößenden Gegner auch noch eine heftige Reaktion ausgelöst. Die Existenz Israels stand auf dem Spiel.

«Rufe alle meine Regimenter zusammen», befahl Davids Sohn. «Wir werden nicht kampflos sterben.»

Banajas, der auf den Kampf brannte, marschierte an der Spitze der israelitischen Truppen. Salomos Ruf war so groß, seine Festungen boten eine so beispielhafte Sicherheit, daß ihnen der Sieg über die Ägypter gewiß war.

Salomo teilte diese Erwartung nicht. Das ägyptische Heer war nicht so arglos wie die Beduinen. Mochte seine Vorhut auch in die Falle der aufeinanderfolgenden Ringmauern tappen, die Hauptstreitmacht gewiß nicht. Mit dem Sieg über die Philister bei Gaza hatte Pharao Siamun strategische Begabung bewiesen.

Der Einfall in Israel würde ihn viele Tote kosten, doch allein durch die Zahl der Soldaten und Waffen war er im Vorteil.

Trotz des Vertrauens, daß die hebräischen Soldaten in ihren König setzten, erschauerten sie, als sie sahen, wie sich die Ägypter zu einer langen Schlachtordnung aufstellten. Vor den Fußsoldaten standen Dutzende von Streitwagen, die von zwei Pferden gezogen wurden. Jeder wußte um die Treffsicherheit der ägyptischen Bogenschützen, die dafür berüchtigt waren, daß sie ihre Gegner nur so hinmetzelten. Selbst Banajas verlor etwas von seinem Schwung.

Oben auf dem befestigten Turm, auf dem Salomo, sein Schreiber und der oberste Heerführer Platz genommen hatten, herrschte banges Schweigen. Beim Kampf würde es einer gegen sechs stehen, ständig würde man Leitern umstoßen müssen, die die Angreifer an die Mauern der Festung legten. Wie lange konnten sie wohl durchhalten?

Ein Streitwagen löste sich aus der Menge und näherte sich langsam dem israelitischen Lager. Das war ungewöhnlich. Der Streitwagen hielt in einiger Entfernung. Ein höherer Offizier stieg aus und warf mit großer Geste Schwert und Schild zu Boden. Dann durchmaß er die Wüste und blieb an die zweihundert Ellen vor der Grenze stehen.

«Gebieter, darf ich ihm die Kehle durchschneiden?» bat Banajas.

«Warte hier auf meine Anweisungen.»

Der König ließ das Festungstor öffnen und ging auf den ägyptischen Offizier zu. Und schon bald standen die beiden Männer Angesicht zu Angesicht.

«Mögen dich die Götter beschützen», sagte der Ägypter in etwas stockendem Phönizisch, der Sprache, die rings um das Mittelländische Meer verstanden wurde. «Ich bin der Heerführer der Heere des Pharaos, dessen Vorhut du sehen kannst.»

«Möge Jahwe den Herrn Ägyptens segnen. Warum kommst du der Grenze meines Landes so nahe?»

«Gebieter, hast du dem Pharao nicht einen Brief geschrieben? Hast du ihn nicht um Pferde und Streitwagen gebeten?»

«Ich habe um nichts gebeten, ich möchte kaufen. Den Preis mag er festsetzen.»

«Mein Gebieter möchte die Geheimnisse deines Herzens erfahren, König von Israel. Willst du Krieg oder Frieden?»

«Darüber redet ein König nur in Gegenwart eines anderen Königs», sagte Salomo.

Der ägyptische General verneigte sich.

«Dein Mund spricht wahr. Wenn du es wünschst, empfängt dich der Pharao unverzüglich.»

«So sei es.»

Unter den fassungslosen Blicken der Hebräer stieg ihr Herrscher in den Streitwagen des ägyptischen Generals.

Salomo war sich der Gefahr sehr wohl bewußt. Falls ihn der Pharao als Geisel behielt, konnte er Israel ohne einen einzigen Schwertstreich einnehmen. Doch das hatte noch kein ägyptischer König gewagt. War er nicht der Sohn der Maat, der kosmischen Ordnung, die Lüge und Feigheit haßte?

Wüstenwind peitschte Salomos Gesicht. Der General hatte seine Pferde zum Galopp angetrieben und wich geschickt den Steinhaufen aus, an denen sein Fahrzeug umstürzen konnte.

Kurze Zeit später hielt er vor einem weißen Zelt, dessen Eingang von zwei lanzenbewehrten Fußsoldaten bewacht wurde. Auf Aufforderung seines Begleiters betrat Salomo die Unterkunft des Pharaos.

Der kam seinem Gast mit einem Schurz aus Goldfäden bekleidet und einer Kette aus Karneolen um den Hals entgegen.

«Ich bin glücklich, daß ich meinen Bruder empfangen darf», sagte Siamun herzlich auf phönizisch. «Salomos Weisheit ist allerorten berühmt.»

«Ein Ruf trügt zuweilen. Mein Bruder, der Pharao, kommt aus einer viel berühmteren Familie als ich. Ist Weisheit nicht seit Jahrhunderten ihre Nahrung gewesen?»

Siamun lächelte.

«Wie schön, wenn meine Tafel jeden Tag mit dieser Speise bestellt wäre! Erweist mein Bruder mir die Ehre, einen Becher Weißwein aus dem Delta anzunehmen?»

«Dessen Ruf ist zu beständig, als daß er trügen könnte. Wer würde eine solche Köstlichkeit ablehnen?»

Die beiden Herrscher nahmen auf gegenüberstehenden Stühlen aus Zedernholz Platz. Der Pharao bediente seinen Gast höchstpersönlich. Wenn er alle Diener fortgeschickt hat, so dachte Salomo, dann nicht nur, um mir eine besondere Ehre zu erweisen, sondern auch, um sich mit mir unter größter Geheimhaltung zu besprechen.

«Israel ist ein aufblühender Staat», begann der Pharao.

«Das ist Gottes Wille», meinte Salomo. «Mein Land ist jung, ihm fehlt die Erfahrung. Welche Aussichten hat es schon ohne Vorbild?»

«Und was ist dieses Vorbild?»

«Gibt es ein besseres als Ägypten?»

«Dennoch», so wandte der Pharao ein, «wissen sich unsere beiden Völker nur wenig zu schätzen.»

«Die Hebräer lieben und verabscheuen Ägypten gleichermaßen leidenschaftlich», erläuterte Salomo. «Ihr König gibt den Ausschlag, zu welcher Seite sich die Waagschale neigt. Ich habe meine Seite gewählt und weiche nicht mehr davon ab.»

Siamun war ein edler Mann mit zarten Zügen und braunen, stets lebhaften Augen. Über große Körperkraft schien er nicht zu verfügen, doch sein Äußeres konnte auch täuschen. Siamun war kein unschlüssiger Pharao, sondern ein echter Staatenlenker. Hinter seinem diplomatischen Auftreten verbarg sich ein starker Wille, den das kleinste Hindernis aufbringen mußte.

«Ich habe die Philister bei Gaza geschlagen», rief ihm der Herr Ägyptens in Erinnerung. «Das ist ein wichtiger Sieg, aber nicht entscheidend. Die Philister sind furchterregende Krieger, die bis zum letzten Mann kämpfen. Viele Ägypter sind gefallen.

Und ich trage für sie Verantwortung. Was sie von mir erwarten, ist ein glückliches Leben, aber nicht, in der Schlacht zu fallen.»

Die beiden Herrscher tranken den Weißwein aus dem Delta. Ein bemerkenswerter Jahrgang, der dem Gaumen schmeichelte. Salomo erkannte allmählich, worauf sein Gesprächspartner hinauswollte.

«Der Brief des israelitischen Königs ist recht eigenartig», fuhr der Pharao fort. «Warum möchte mein Bruder so viele Streitwagen und Pferde erwerben, wenn nicht für einen Krieg gegen Ägypten?»

«Im Gegenteil, ich will ihn abwenden», berichtigte Salomo. «Israel ist in Gefahr. Wenn sein Heer stark ist, denken seine Nachbarn an Frieden, nicht an Krieg.»

«Eine durch und durch ägyptische Vorstellung, lieber Bruder. Meine ruhmreichen Vorfahren haben auch nicht anders gedacht. Mein militärisches Vorgehen gegen die Philister hat keinem anderen Zweck gedient, als ein Exempel zu statuieren. Soll ich meine Truppen gegen meine Gegner führen oder es dabei bewenden lassen?»

«Braucht mein Bruder Hilfe?» fragte Salomo ernst.

Israels König wußte sehr wohl, wie unsinnig seine Frage war. Sie überschritt die Grenzen der Höflichkeit. An der Reaktion des Pharaos würde er seine Ehrlichkeit ermessen können.

Siamun schenkte Wein nach.

«Ja, lieber Bruder. Ich brauche dich. Wenn Ägypten und Israel ein Bündnis schließen, wird es weniger Tod und Not geben. Die Philister sitzen in der Zange und sind gezwungen, die Waffen niederzulegen. Und dann wird wieder Frieden, fern wie der liebliche Nordwind, herrschen.»

Den Vorschlag des Pharaos anzunehmen hieß, Israels Außenpolitik umzukrempeln, die Hebräer dazu zu zwingen, diesen beneideten und verabscheuten Nachbarn wie einen vor allen anderen geliebten Freund anzunehmen. Die Ägypter würden zu Beschützern Israels werden.

Salomo setzte seinen Thron aufs Spiel.

Der ägyptische König schwieg und wartete auf Antwort.

«So einfach ist die Lage nicht», meinte der israelitische König. «Mein Land wäre selbst mit Pferden und Streitwagen nicht so mächtig wie Ägypten. Was mir mein Bruder da vorschlägt, wirft alles über den Haufen und…»

Siamun musterte Salomo aufmerksam.

«Gewiß erwartet Israels König Sicherheiten vom Pharao Ägyptens.»

«So ist es», entgegnete Salomo. «Sonst wäre Israels König ein argloser Tor. Und den würde der Pharao verachten.»

«Ist die Wahrheit nicht die wichtigste Sicherheit? Israel will in Frieden leben, Ägypten auch. Wir fürchten uns vor einem libyschen Angriff. Von einem Tag auf den anderen können die Schakale losgelassen sein. Desgleichen müssen wir unsere Grenzen nach Osten schützen. Und wenn ich gegen Israel ziehe, kann ich wohl kaum die Politik verfolgen, die ich für die beste halte. Reichen diese Erklärungen?»

«Dafür sei dem Pharao Dank, aber…»

«Aber es ist mehr erforderlich, um Salomo zufriedenzustellen!» brauste der Pharao auf. «Kann er denn Forderungen stellen?»

Salomo hielt dem Blick seines Gastgebers stand.

«Das muß mein Bruder beurteilen», meinte er gelassen.

«Ich will Frieden», bekräftigte der ägyptische König. «Ich wünsche mir sehnlichst, daß wir ihn gemeinsam schaffen. Mein Bruder soll die Sicherheiten bekommen, die er haben möchte.»

Kapitel 9

Kurz vor dem Morgengrauen verließ Salomo Davids Palast. An diesem Morgen war ihm das Zeremoniell einerlei, und der Oberhofmeister hatte sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Der König mußte fern von diesem Ort nachdenken.

Salomo hatte eine weiße Tunika angezogen und lenkte seinen Streitwagen selbst. Er fuhr in Richtung Etam, zu einem abgelegenen Ort, wo er sich eine Sommerresidenz hatte bauen lassen. Sie war von einem Garten umgeben, in dessen Mitte eine Heilquelle sprudelte.

Zu dieser Jahreszeit lag das Landgut verlassen. Die Sonne ging auf, als Salomo durchs Tor fuhr. Er ließ den Streitwagen stehen und ging zu Fuß bis an den äußersten Rand eines Felsvorsprungs, der über der Quelle emporragte. Früher hatten die Bauern hier Jahwe Opfer gebracht. Der König besann sich auf uralte Gesten und pflückte einen Strauß Wildkräuter, den er zum Himmel hob. Auf diese Weise konnte der HERR den flüchtigen Duft der Natur empfangen, die er geschaffen hatte.

Das Plätschern des Wassers wurde fast zum Tosen. Silbrige Tropfen tanzten im Sonnenschein. Als Salomo einem mit dem Blick folgte, hörte er Gottes Stimme. «Ich befehle dir», so sagte sie, «auf meinem heiligen Berg einen Tempel zu erbauen. Dein Werk wird durch Weisheit erschaffen werden. Sie wird dir zur Seite stehen, sie, die bei mir war, als ich die Welt erschuf. Sie, und nur sie, zeichnet den rechten Weg derer, die auf Erden wandeln.»

Salomo besann sich auf eine Legende, die ihm sein Lehrer so oft erzählt hatte. Zu Anbeginn der Zeit hatte sich der Himmel geöffnet. Ein Stein fiel herunter und ins Meer. Auf dieser festen Grundlage bildete sich die Erde. Gott hatte ein Seil auf die Leere herabgelassen und das Chaos mit der Richtwaage geordnet. Der Baumeister von Welten hatte Licht und Finsternis voneinander geschieden.

Einen Tempel erbauen… Salomos Berufung nahm Form an. Die Berufung, die er selbst seit so vielen Jahren tief in seinem Innersten spürte, galt dem künftigen Bauwerk, das Jahwe geweiht sein sollte. Wenn er ein großer König werden wollte, mußte er bauen. Salomo dachte an die berühmte Stufenpyramide des Pharao Djoser: Ehe er eine Riesenbaustelle errichten konnte, mußte er sein Land endgültig geeint haben. Ein prachtvolles Heiligtum zum Ruhme des Einen Gottes. Eine heilige Wohnstatt, die seine Herrschaft überstrahlte.

Berauscht vor Freude lief Salomo zu seinem Streitwagen und machte sich auf den Weg nach Jerusalem.

Die Soldaten der königlichen Leibwache waren in Alarmzustand versetzt worden. Niemand wußte, wohin Salomo gefahren war. Der Oberhofmeister hatte recht ungeschickt versucht, sein Verschwinden zu kaschieren, was jedoch einen wahren Skandal auslöste.

Der Platz wimmelte von Geistlichen und Würdenträgern, die Erklärungen forderten. Einige zögerten denn auch nicht, den König als Schwachkopf, als Irrlicht oder Wandervogel zu bezeichnen.

Als Salomo wiederauftauchte, ging von seiner weißen Kleidung ein blendendes Licht aus, und da verstummte das Gemurr. Erstaunt blickten seine Untertanen ihn an und konnten sich nicht vom Fleck rühren. Jeder wartete auf eine Erklärung dieses Rätsels.

Elihap mit einem versiegelten Papyrus in der rechten Hand bahnte sich einen Weg durch die Menge der Höflinge, näherte sich seinem König, verbeugte sich vor ihm und überreichte ihm den kostbaren Gegenstand.

«Das hier soll ich dir im Auftrag des Propheten Nathan, deines Lehrers, geben.»

«Warum in diesem Augenblick?»

«So hat es Gott Nathan eingegeben. Davids Testament sollte dir erst ausgehändigt werden, wenn du in aller Morgenfrühe den Palast verlassen und allein im Streitwagen und mit blendendweißem Gewand zurückkommen würdest. Das waren die Worte des Propheten.»

Elihaps Erklärung säte Furcht in den Herzen der Anwesenden. Man konnte Salomo nicht mehr als Menschen ansehen. War er nicht einer der Engel, die menschliche Gestalt annahmen, um den Willen des Höchsten auf Erden auszuführen?

Als Salomo Davids Residenz betrat, konnte er noch nicht wissen, daß sein Ruf so groß geworden war, daß niemand mehr seine Autorität in Frage stellte. Er hatte nur einen Wunsch, nämlich den Text zu lesen, den man so lange vor ihm verborgen gehalten hatte.

Der König entrollte den Papyrus auf den Fliesen des Thronsaals. Ja, es war die Schrift seines Vaters.

«Ich bewohne einen bescheidenen Palast», so schrieb David, «und Jahwes Bundeslade steht in einem schlichten Zelt. Ich wollte dem Einen Gott eine hehre Wohnstatt errichten. Doch der Prophet Nathan hat sich stets mit äußerster Strenge dagegen geäußert. Wenn ich versucht hätte, meinen Plan durchzuführen, hätte mich Jahwes Blitz niedergestreckt. So mußte sich Gott während meiner Herrschaft damit begnügen, von Ort zu Ort zu reisen, während ich viel Blut vergoß. Doch ich habe für die Zukunft gesorgt. In den Kellern des Palastes liegt ein ungeheurer Schatz versteckt. Der möge meinem Sohn Salomo dazu dienen, den Tempel zu bauen, den meine Augen nicht mehr sehen werden. Ich habe Schätze gehortet, Gold-, Bronze- und Eisenbarren. Ich habe am Ort des zukünftigen Heiligtums einen Altar aufstellen lassen. Ich habe den Boden gekauft, so daß er heute der Krone gehört. Mein Sohn, wenn du diese Zeilen liest, erweise dich der Aufgabe würdig. Endlich teilst du mein Geheimnis.»

Salomo wandte sich an seinen Schreiber.

«Dieser Text ist nicht vollständig», meinte er. «Dazu gehört noch eine mündliche Anweisung. Die kannst nur du allein erhalten haben.»

«Gewiß, Gebieter. Darum bin ich auch aus dem Palast geflohen. Ich wollte abwarten, was für ein König aus dir werden würde.»

«Bist du dir bewußt, wie unverschämt das gewesen ist?»

«Gewiß doch, Gebieter. Hättest du anders gehandelt?»

Das ging Salomo nicht leicht hinunter. Doch er kannte den Ägypter als willensstarken und rechtschaffenen Menschen. Nathan, der Prophet, hatte sich nicht in ihm getäuscht, als er ihm Vertrauen schenkte und dem jungen Herrscher Zeit ließ, seine Absichten aufzudecken.

«Wo befindet sich der Altar, der dem Tempel als Grundstein dienen soll?»

«Du wirst zahlreiche Widersacher haben», prophezeite Elihap seinerseits. «Ein Bauwerk, wie das von dir geplante, verstößt gegen die Sitten und Gebräuche der Nomaden, die im Herzen Israels verwurzelt sind.»

«Stimmt genau», meinte auch Salomo. «Aber mein Vater hat mir einen Auftrag anvertraut. Ich werde ihn ausführen. Dieses Land braucht einen Tempel. Den prächtigsten aller Tempel.»

«Der Altar befindet sich auf dem Felsen von Jerusalem, Gebieter, auf dem nördlichen Gipfel des Gebirges. Seit mehreren Jahren ist dort der Zutritt verboten. Die Stelle ist wegen der Schlucht, die sich zwischen den ersten Häusern erstreckt, fast unzugänglich.»

«Die alte Tenne zum Korndreschen, dort, wo Noah ein Opfer dargebracht, wo Jakob die Leiter erblickt hat, die Erde und Himmel vereint… Ist es die Stelle, Elihap?»

«Ja, Gebieter. Nathan hat geglaubt, daß dieser Stein der Urstein ist, um den herum sich die Welt gebildet hat. Dort sprudelt die Quelle des Paradieses, steigt bis zur Sonne und fällt als Regen wieder herab. Der Regen, dessen Herr du geworden bist.»

«Der Urstein… Haben den nicht auch die Ägypter in Heliopolis?»

«Es gibt ebenso viele heilige Orte, wie es auf der Welt Mittelpunkte gibt», erwiderte der Schreiber. «Für dein Volk mußt du deinen festlegen.»

Salomo verließ Davids Palast. Mit Hilfe von zwei Soldaten, die anstatt eines Steges zwei Seile hielten, überquerte er den Abgrund und verbrachte den Rest des Tages bis zum Sonnenuntergang auf dem majestätischen Felsen, auf dem sich sein Tempel erheben würde.

Oben vom Berg Jerusalem entdeckte er seine Hauptstadt und sein Land. Im Norden Samaria und Galiläa. Im Osten der Jordan, das Tote Meer und die Wüste. Im Süden Judäa. Im Westen die Ebenen, die bis zum Mittelländischen Meer reichten. Über diese Länder, diese Berge, diesen Fluß, diese Seen, diese Stämme, die er geeint hatte, herrschte er. Seit David auf diesem großen und aufragenden Felsen einen Altar geweiht hatte, hatte niemand Israel von so hoch und so fern betrachtet.

David hatte den Platz gut gewählt. Er besaß die Ausstrahlung, die Schönheit und das Geheimnis, die für ein Haus Gottes erforderlich waren. Bald würde die Bundeslade nicht mehr herumziehen müssen. Bald würden die Hebräer das Heiligtum erblicken, das sie für immer im Herzen des Höchsten verankerte.

Kapitel 10

Der Tag nach dem ersten Sabbat im Herbst zeichnete sich durch eine Abfolge nicht vorgesehener Audienzen aus. Salomo, der von seiten des Pharaos ein Zeichen erwartete und noch an sein Ehrenwort glaubte, war gedrückter Stimmung. Er studierte den Plan, den David ihm für den künftigen Tempel in Jerusalem vermacht hatte, fand ihn aber nicht sehr gelungen. Seinem Vater hatte lediglich eine größere Kapelle vorgeschwebt, die jedoch baulich einfallslos war.

Doch woher einen Oberbaumeister nehmen? Die Hebräer hatten gelernt, wie man Straßen pflasterte, wie man Festungsmauern baute oder verstärkte, doch von dem Geheimnis, wie man Steine für die Ewigkeit zu einem Heiligtum zusammenfügte, davon verstanden sie nichts.

Als man Jerobeam mit einer Nachricht meldete, die so wichtig war, daß man den König in seinen Überlegungen stören durfte, besserte sich dessen Laune ein wenig. War dieser junge Obermaurer etwa der Baumeister, den Israel brauchte?

Der rote Riese, der mit nackter Brust und einem Lederschurz um die Lenden vor ihn trat, war sichtlich erregt. Als der König ihm das Wort erteilte, wußte er sich sehr gut auszudrücken.

«Gebieter, die Ställe sind fertig! Deine Pferde sind darin glücklich. Die Mannschaften, die sie füttern und säubern sollen, können dort arbeiten. Jetzt gibt es nichts mehr zu tun!»

«Darauf kannst du stolz sein, Jerobeam.»

«Mein König, ich habe weitere Pläne! Doch die kann ich nur ausführen, wenn man mir ausreichend Arbeiter unterstellt.»

«Ich höre», sagte Salomo.

Hatte Jerobeam den Wunsch, Jerusalem durch einen Tempel bekrönt zu sehen? Hatte er die Zukunft des Landes erkannt? Falls es sich so verhielt, würde er ihn augenblicklich zum Oberbaumeister machen und ihn damit beauftragen, an der Seite des Herrschers zu arbeiten.

«Ich möchte Israels König einen neuen Palast bauen», erklärte Jerobeam selbstbewußt. «Das Volk murrt, daß Davids Haus Salomos unwürdig ist. Ich will dafür Ziegel und Holz verwenden, es soll mehrere Stockwerke und ein großes Flachdach und…»

«Bist du der Meinung, daß dieses Gebäude als erstes errichtet werden sollte?»

«Aber gewiß doch, mein König!»

«Gibt es nichts Dringlicheres?»

«Ganz und gar nicht!»

«Denk gut nach, Jerobeam.»

Der Riese preßte die Lippen zusammen und blickte besorgt, doch er suchte vergeblich nach der Antwort, die Salomo so gern gehört hätte. Dieser übte sich in Geduld. Aber was er da in der Seele seines Gesprächspartners las, bewog ihn, diesem keine höhere Stellung als seine augenblickliche anzubieten.

«Gib die Idee mit dem Palast auf, Jerobeam. Wir brauchen demnächst große Pferdeställe. Wähle einen Standort in der Nähe von Jerusalem, zeichne Pläne und richte eine Baustelle ein. Du wirst unter dem Befehl des Oberhofmeisters arbeiten.»

Die Audienz war beendet, Jerobeam zog sich gekränkt zurück. Kaum hatte er den Audienzsaal verlassen, als der Oberhofmeister eintrat und genauso besorgt wie sein Vorgänger war.

«Majestät, wir gehen einer Katastrophe entgegen!»

«Warum denn?»

«Dein Schreiber Elihap hat Steuern unterschlagen, die mir zum Unterhalt des Hofes zustehen. Ich fordere eine exemplarische Bestrafung.»

«In diesem Fall mußt du den König bestrafen, denn Elihap hat auf meinen Befehl gehandelt.»

Verstört wich der Oberhofmeister zwei Schritt zurück.

«Vergib, Majestät… ich habe nicht gewußt… aber wie kann ich weitermachen, wenn ich…»

«Ich habe schon viel eher mit deinem Eingreifen gerechnet. Es beweist, daß du die Rechnungen nicht häufig genug prüfst. Mache Gebrauch von deinem Kopf. Das von Elihap eingenommene Geld wird zum Bau eines Tempels dienen. Die Ausgaben für den Hof werden auf ein Mindestmaß beschränkt, ohne daß es an der gewohnten Prachtentfaltung fehlen soll.»

Der Würdenträger war überglücklich, weil er einem traurigen Schicksal entronnen war, und stürzte in sein Arbeitszimmer zurück. Dabei lief er dem Hohenpriester Abjatar in die Arme, der Salomo dringend sprechen wollte.

Abjatar, von David ernannt, war der einzige Nachkomme einer sehr edlen Familie von Geistlichen, die in Schilo lebte, dem berühmtesten heiligen Ort, ehe Jerusalem zur Hauptstadt Israels wurde. Abjatar war dem Massaker entkommen, bei dem Saul Davids Parteigänger abschlachten ließ. Es war ihm gelungen, die Bundeslade und die rituellen Gewänder des Hohenpriesters zu retten.

Man hatte Salomo gesagt, daß der Greis da sei, und so ging dieser ihm entgegen, nahm seinen Arm und führte ihn auf eine der geschützten Terrassen. Abjatar konnte nur noch mit Mühe gehen.

«Du bist ein junger Mann, Salomo, und ich stehe mit einem Fuß im Grabe.»

«Du bist ein Freund meines Vaters», sagte der Herrscher, «du hast seine Prüfungen geteilt. Gottes Segen ruht auf dir.»

«Ich wahre die Tradition, Salomo. Wenn ich meine Zurückhaltung aufgebe, dann, um dich zu warnen. Dein Vater hat niemals einen Tempel bauen wollen, denn dieses Gebäude würde eine Gotteslästerung darstellen. Die Bundeslade darf nicht in Jerusalem eingeschlossen werden, sondern muß durch die Provinzen reisen. Entweihe diese Sitte nicht. Jage die Fremdlinge aus der Stadt, deren Zahl immer größer wird. Und schaffe dir so schnell wie möglich diesen Ägypter Elihap vom Hals, er ist ein schlechter Ratgeber.»

«Versetzt der Bau eines Tempels die Geistlichkeit in Unruhe?»

Der greise Abjatar setzte sich mit dem Rücken zur Sonne auf den Rand der Terrasse.

«Das würde sie gewiß nicht zugeben! Dein Vater hat sie in achtundzwanzig Klassen unterteilt, die sich beim Gottesdienst ablösen. Ein Tempel würde sie zwingen, sich in Jerusalem neu zu formieren, ihre Provinzen zu verlassen! Nichts darf sich verändern. Israels Stärke ist seine Vergangenheit. Die zu zerstören hieße, den Willen Gottes zu verraten.»

Salomo bewunderte den Felsen, der Jerusalem beherrschte.

«Und du, Abjatar, kennst du diesen Willen?»

«Ich habe die Orakel befragt!»

«Das ist einer der Fehler, die ich dir zum Vorwurf mache. Ein Hohepriester hat sich mit dem Gottesdienst zu beschäftigen, nicht mit Magie. Dein Nachfolger Zadok verhält sich da klüger.»

Abjatar staunte über den anklagenden Ton.

«Aber es gibt noch Schlimmeres», fuhr Salomo fort. «Ich weiß, daß du meinen Feind Adonais unterstützt hast, den ich leider hinrichten lassen mußte, aber das war unerläßlich.»

Der Greis schwankte, und Salomo fing ihn auf, daß er nicht fiel.

«Abjatar, darauf steht der Tod. Aufgrund deines hohen Alters begnüge ich mich jedoch damit, dich in ein Dorf nördlich von Jerusalem zu verbannen, das du nie mehr verlassen darfst. Falls du nicht gehorchst, hast du keinerlei Nachsicht zu erwarten.»

Der greise Hohepriester stand ohne Hilfe auf.

Mit dem Blick eines verstörten Kindes sah er einen Herrscher in der Blüte seiner Jugend, der die Welt von gestern mit hartem Besen hinwegfegte und ihn vernichtete, als hätte er ihn verbrannt. Salomo jedoch zeigte keinerlei Feindseligkeit. Seine Miene war so ruhig und heiter, als hätte er ein Lied auf die sanften Farben des Herbstes gesungen.

«Zadok, mein Nachfolger… hat er nicht versucht, den König davon zu überzeugen, daß dieser in die Irre geht?»

«Zadok ist selbst ein älterer Mann», erinnerte ihn Salomo. «Er ist vorsichtig. Wenn er sich gegen einen Herrscher gestellt hätte, den er eigenhändig gekrönt hat, wie würde Gott ihn wohl richten? Die Priester haben dabei nicht viel zu sagen. Es ist Aufgabe des Königs, sein Volk zum Licht zu führen. Hat dein Vater dich das nicht gelehrt?»

Abjatar ließ den Kopf hängen.

Salomo betrachtete ihn, als er die Terrasse verließ, und wußte, daß er den Greis nie wiedersehen würde.

Kapitel 11

Nachdem Pharao Siamun im Allerheiligsten des Tempels von Tanis die göttliche Kraft angerufen hatte, sammelte er sich innerlich. Allein das verborgene Licht an diesem geheimnisvollen Ort, den nur der ägyptische König betreten durfte, beeinflußte seine Taten an diesem Tag, an dem er einen wichtigen Entschluß fassen mußte.

Hinter seinem Sandalenträger überquerte er den großen, nach oben hin offenen Hof. Der Himmel war bedeckt, und man konnte das Mittelländische Meer riechen. Ein Streitwagen brachte Siamun vom Tempel in den Palast. Er genoß aufs neue die Schönheit von Tanis, das zahlreiche Kanäle durchzogen, die von Bäumen und Gärten gesäumt wurden. Die Baumeister hatten sich von Theben, der Prächtigen, inspirieren lassen und hatten im Norden eine Stadt mit majestätischen Herrenhäusern gebaut, in denen es sich gut leben ließ.

Als der Pharao den Ratssaal betrat, erhoben sich der Hohepriester Amuns, der Oberste der Geistlichkeit, und der oberste Heerführer und begrüßten den Herrn Ägyptens. Letzterer nahm auf einem Thron aus vergoldetem Holz Platz, dessen Rückenlehne eine Krönungsszene zierte.

«Meine Freunde», so hob er an, «wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe, hat sich König Salomo entschlossen, auf dem Felsen von Jerusalem einen mächtigen Tempel zu erbauen.»

«Abwegig», meinte der Hohepriester. «Israel ist ein bitterarmes Land, es besitzt nicht die nötigen Mittel, um ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen.»

«Weit gefehlt. David hat Reichtümer angesammelt, die sein Sohn dazu verwenden kann.»

«Warum will er uns nacheifern? Die Hebräer sind doch Nomaden», meinte der Priester. «Die brauchen kein großes Heiligtum, um ihren Gott zu beherbergen.»

«Salomo hat begriffen, daß er bauen muß, wenn er ein großes Königreich schaffen will», erläuterte der Pharao. «Wir unterstützen ihn dabei.»

Der General machte keinen Hehl aus seinen Vorbehalten.

«Majestät, es war sehr großmütig, ihm Streitwagen zu verkaufen. Warum ihm noch mehr helfen?»

«Damit er den Frieden festigt», erwiderte Siamun. «Der Tempel von Jerusalem verhindert Kriege. Falls sich Israels König dem mit aller Kraft widmet, sind unsere beiden Länder auch auf geistlichem Gebiet verbunden. Aber Salomo ist nicht nur weise, sondern auch gerissen. Er wird kein Bündnis ohne Beweise unseres guten Willens eingehen.»

«Und die wären, Majestät?» fragte der Hohepriester.

«Salomo kennt sich mit unseren Traditionen aus. Er weiß, daß nur eine Heirat den Friedenspakt besiegeln kann.»

Die drei Vertrauten Siamuns waren bestürzt. Was Siamun da stillschweigend voraussetzte, war unmöglich.

«Pharao, du denkst doch wohl nicht daran… deine Tochter einem Hebräer zu geben?»

«Es ist das einzige Mittel, Salomo davon zu überzeugen, daß wir den Krieg genauso ablehnen wie er. Ich weiß natürlich, daß bislang noch keine Pharaonentochter einen Fremdling geheiratet hat. Aber wir müssen Weitsicht beweisen. Ägypten wird immer schwächer. Es kann die Last mehrerer Konflikte nicht mehr aushalten. Unser Bündnis mit Israel garantiert uns im Nordosten Sicherheit, und wir können uns dem Schutz unserer Westgrenze widmen.»

Der Pharao sah das ganz richtig, und dem General fiel kein einziges Gegenargument ein.

«Israel hat weder Stein noch Holz noch Gold zur Verfügung, um damit einen prächtigen Tempel zu bauen», meinte der Priester. «Pharao, willst du ihm das beschaffen?»

«Das wäre ein Fehler», meinte auch Siamun. «Dadurch würde Salomo zu abhängig von Ägypten, und das kann er nicht hinnehmen. Wir machen es über einen Umweg. Salomo dürfte gezwungen sein, sich an den König von Tyros zu wenden.»

«Und der kann dir nichts abschlagen», meinte der General.

«Abgesehen davon, daß Israel ein fester Verbündeter gegen Überfälle der Nomaden ist», stellte der Pharao klar, «wird es auch zum wichtigen Handelspartner. Es wird uns Zugang zu Handelswegen verschaffen, die wir noch nicht kontrollieren.»

Man hatte das Bündnis mit Salomo geprüft, und es bot nur Vorteile. Dennoch war der Pharao nachdenklich.

«Gibt es noch ein Hindernis?» fragte der Hohepriester.

«Ein wichtiges Hindernis», entgegnete Siamun. «Wir müssen die Geheimnisse kennen, die Salomo in seinem Tempel aufbewahren will.»

«Dazu müßte ein Ägypter zum Glauben Jahwes übertreten», hielt ihm der Hohepriester entgegen. «Und das kannst du von niemandem verlangen, Majestät.»

«Einer solchen Freveltat will ich mich auch nicht schuldig machen», versprach der Pharao. «Es fehlt Salomo nämlich noch an einem anderen Material, dieses Mal an menschlichem: Er hat keinen Oberbaumeister, der fähig ist, ihm seinen Tempel zu bauen. Daher wird der Baumeister, der Jahwes Heiligtum errichtet, Ägypter sein.»

Das Haus des Lebens im Tempel von Tanis durchlebte eine Zeit ungewohnter Unruhe. In der Regel widmete man sich an diesem Ort der Stille, dem Studium und der inneren Versenkung. Hierher kamen Menschen, die die Hieroglyphenschrift lernten und Rituale ausarbeiteten. Baumeister, Bildhauer, Ärzte und hohe Verwalter hatten sich über kürzere oder längere Zeit in den Werkstätten im Haus des Lebens aufgehalten, um hier ihr Gewerbe zu erlernen.

Die Geweihten, die ihr Leben lang an diesem Ort blieben, wo die Weisheit der Vorfahren vermittelt wurde, waren weniger zahlreich. In ihren Augen hatte die Außenwelt so wenig Anziehendes, daß sie ihr Leben lieber dem Heiligen widmeten und sich nicht mehr mit menschlichen Angelegenheiten beschäftigten. Deshalb waren sie erstaunt, als der Herr Ägyptens, der Pharao leibhaftig, bei hereinbrechender Nacht bei ihnen auftauchte.

Der König war Schüler des Weisen gewesen, der das Haus des Lebens leitete. Dieser nun bat den Herrscher in einen Säulensaal, den ringsum Steinbänke säumten. Dort saß ein Dutzend Schüler.

«Wenn ich um dieses Treffen gebeten habe», sagte der König, «so, weil ich mich mit dir beraten muß. Israel ist eine große Nation geworden. Es wird von einem außergewöhnlichen Herrscher regiert, nämlich Salomo. Und der will Jahwe zu Ehren einen Tempel bauen, aber dazu ist kein hebräischer Baumeister in der Lage.»

«Auch gut», meinte ein Schüler. «Israel ist unser Gegner.»

«Es war unser Gegner», berichtigte der Pharao. «Salomo will der Feindseligkeit gegen uns ein Ende machen.»

«Hüte dich vor den Hebräern», empfahl ein anderer Schüler. «Sie sind arglistig.»

«Salomo will Frieden, und wir wollen ihm helfen.»

«Wie denn?»

«Indem wir ihm einen Baumeister schicken, der fähig ist, Jahwe einen Tempel zu bauen», erwiderte der Pharao.

«Unmöglich. Unsere Geheimnisse müssen in Ägypten bleiben.»

«Davon soll auch nichts preisgegeben werden», bekräftigte Siamun. «Die werden in der Konstruktion verborgen. Die Form wird so, wie Salomo sie haben will.»

Der Herr im Haus des Lebens wandte sich an den Pharao.

«Da dein Beschluß feststeht, Majestät, möchten wir wissen, auf wen von uns deine Wahl gefallen ist?»

Siamun, der es gewohnt war, seine Gefühle im Griff zu haben, hielt den Atem an.

«Horemheb, den Sohn des Horus.»

Die Blicke fielen auf einen Schüler von dreißig Jahren mit hoher Stirn und kräftigen Muskeln. Der war mit zwölf Lehrling geworden und hatte seine Jugend auf der Baustelle von Karnak verbracht. Vor drei Jahren war er Oberbaumeister geworden und wollte sein Wissen durch das Studium der Schriften Imhoteps, des allergrößten Baumeisters, erweitern, die in den Archiven im Haus des Lebens aufbewahrt wurden.

Horemheb war nicht gerade der Gesprächigste, er äußerte sich nicht dazu.

«Ich weiß, welches Opfer ich von dir verlange», sagte Siamun. «Ägypten zu verlassen ist eine Prüfung, die nur wenige von uns bestehen. Wenn du meinen Entschluß als ungerecht empfindest, kannst du dich weigern.»

Horemheb verbeugte sich vor dem Pharao.

Der Herr im Haus des Lebens stand auf.

«Der König und ich selbst haben lange beraten, ehe wir zu der Einstellung gekommen sind, die wir heute einnehmen. Vielleicht irren wir uns. Vielleicht verbergen Salomo und die Hebräer nur ihre Kriegslust. Unser Baumeister muß nicht unbedingt Erfolg haben. Aber wenn es ihm gelingt, in Jerusalem einen Tempel zu bauen, wird die Weisheit unserer Vorfahren an ein anderes Volk weitergegeben, das sie seinerseits an künftige Generationen weiterreichen kann. Dieses Unternehmen ruht auf den Schultern eines einzigen Mannes. Er möge in sich gehen und sich vorbereiten. Lassen wir ihn allein.»

Siamun trat als letzter aus dem Ratssaal. Er wandte sich an Horemheb, der sich nicht vom Fleck gerührt hatte.

«Heute abend», sagte er zu ihm, «brechen wir nach Memphis auf.»

In der klaren Nacht wirkte die große Pyramide des Königs Cheops, deren Blendsteinverkleidung aus weißem Kalkstein in der Finsternis strahlte, wie ein riesiges Gebirge.

Siamun und der Oberbaumeister betraten das Innere, nachdem sie durch die stillen Alleen des oberen Tempels geschritten waren. Horemheb kannte den Plan des prächtigen Bauwerks, mit dem es noch kein Baumeister hatte aufnehmen können. Der Pharao befahl ihm, in den unterirdischen Saal hinabzusteigen und die rituellen Gegenstände zu holen, die man dort zum Wohle folgender Jahrhunderte aufbewahrt hatte.

Der Oberbaumeister ging in die Hocke und ließ sich durch die enge Öffnung gleiten, die in die Eingeweide der Erde führte.

Als er mit seiner kostbaren Bürde beladen wieder hochstieg, umarmte ihn der Pharao.

«Von jetzt an», so sagte er, «heißt du Hiram.»

Kapitel 12

Nagsara, Pharao Siamuns Tochter, war entgeistert. Sie zählte siebzehn Lenze und hatte Ägypten und den königlichen Hof noch nie verlassen, wo sie in wohligem Luxus fern der äußeren Welt und ihrer schrecklichen Wirklichkeit gelebt hatte. Da sie nicht zur Königin bestimmt war, hatte Nagsara die Freuden genossen, die den Frauen des Adels erlaubt waren: Dichtkunst, Tanz, Musik, Teilnahme an den Riten der Göttin Hathor, Dienst im Tempel, Spazierfahrten auf dem Land und dem Nil, üppige Festmähler. Die Tochter des Pharaos war mit prächtigen Lustbarkeiten und Festen groß geworden. Und sie hatte beschlossen, einen Mann zu heiraten, den sie liebte, und ihm zwei Kinder zu schenken, einen Jungen und ein Mädchen. Ein Freudentag folgte dem anderen, und alle verrannen im Rhythmus der Jahreszeiten unter dem Schutz der göttlichen Sonne.

Die Glücksträume der jungen Prinzessin zerplatzten jäh, als ihr Vater sie ganz offiziell in den Palast bestellte, wo auch seine Ratgeber zugegen waren. Er hatte ihr seinen Beschluß mitgeteilt: Um den Interessen Ägyptens zu dienen, würde Nagsara nach Jerusalem aufbrechen, wo sie die Gemahlin König Salomos werden und damit das Bündnis besiegeln würde, das eine Ära des Friedens und der Freundschaft einleiten sollte.

Die junge Frau war verstört und fand nicht mehr die Kraft, darauf hinzuweisen, daß dies gegen die Gepflogenheiten verstieß und daß sie die erste Pharaonentochter war, die man mit einem Fremdling vermählte.

Nagsara weinte einen ganzen Tag lang. Sie dachte daran, sich vom Palast zu stürzen. Doch Selbstmord stand nur den zum Tode Verurteilten zu. Kein menschliches Wesen hatte das Recht, sich selbst auszulöschen, denn die Strafe war das Verlöschen der Seele, so daß man nicht mehr die Pforte zum Jenseits durchschreiten konnte.

Bis zur Abreise hatte Nagsara in einem Nebel gelebt, wie er sich an einem Wintermorgen über die Straßen von Tanis legte und sich erst verflüchtigte, wenn die Sonne die Oberhand gewann. Doch das Herz der Pharaonentochter, das zu Eis erstarrt war, konnte den Weg zum Licht nicht mehr finden.

Sie, die immer lächelte, sah traurig und erschöpft aus. Sie verzehrte sich und ließ sich schminken und frisieren, ohne sich zu rühren. Ihre Zofe weinte. Da hatte sie die noch kindlichen Züge Nagsaras verschönt, ohne daß es sie erheitert hätte. Die geflochtene, nach Jasmin duftende Perücke war ein Kunstwerk. Die schwarzen Augen der Prinzessin, ihre mit Rot betonten Lippen, ihre mit ein wenig Rouge gepuderten Wangen und ihre langen Wimpern verliehen ihr einen bezaubernden Liebreiz. Doch wozu war es gut, so verführerisch herausgeputzt zu werden, wenn man zur schlimmsten aller Strafen, nämlich der Verbannung, verurteilt war?

Seit dem Aufbruch in Tanis hatte Nagsara die Augen zugemacht und gehofft, daß dieser falsche Schlaf sie ins Reich der Götter bringen würde. Als sie diese wieder aufschlug, stellte sie fest, daß sie sich in einem von aufgeputzten Pferden gezogenen Wagen auf der mit Basalt gepflasterten Straße befand, die nach Jerusalem führte, gefolgt von Wagen mit Geschenken für Salomo. Die Prinzessin wurde von einer Leibwache beschützt und hatte eine zahlreiche Dienerschaft, die den Auftrag hatte, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Doch welchen Wunsch hätte eine Pharaonentochter, die einem fremdländischen König versprochen war, den sie mehr fürchtete als einen nächtlichen Dämon, wohl äußern mögen?

Es war Winteranfang, und der Himmel hatte sich in unruhiges Grau gehüllt. Der Zug hatte Regen und Wind trotzen müssen, nachdem er die lichten Morgenröten und Sonnenuntergänge Ägyptens hinter sich gelassen hatte.

Übelriechender Fischgeruch stieg Nagsara in die Nase. In der Hauptstadt Israels war Markttag. Die Gäßchen stanken. Sie waren so schmal, daß der Wagen nur mit Mühe durchkam. Nagsara stieß einen Schreckensschrei aus, als sich ein Dutzend Bettler, einer noch wilder als der andere, an das Holzgitter klammerte, das ihr als Fenster diente. Die Zerlumpten mit den schmutzigen Händen wollten die schöne Ägypterin berühren, die aus einem legendären Land kam. Bogenschützen drängten sie brutal beiseite. Sie nahmen Reißaus und trampelten dabei einen Leprakranken nieder, der nicht schnell genug hatte fliehen können.

Eingeklemmt zwischen den Häusern der Reichen mit Dächern aus Ziegeln und denen der Armen mit Dächern aus Ried und gestampftem Lehm, bemühten sich die Soldaten vergeblich, so etwas wie Ordnung herzustellen. Der Tumult erreichte seinen Höhepunkt. Die Menge zeigte eine geräuschvolle Freude, denn zu ihrem Erstaunen hatte sie festgestellt, daß das Gerücht nicht getrogen hatte: Man bot dem König von Israel eine Pharaonentochter an.

Hier gab es keine Prachtstraße wie in Theben oder Memphis, sondern eine Abfolge von kleinen, verschlungenen Verkehrsadern, einige davon mit Stufen, damit die mit Nahrung beladenen Esel leichter hochklettern konnten. Nagsara hatte das Gefühl, sie betrete eine enge, erstickende Welt, in der sie ihr Leben lang eine Gefangene sein würde.

Für immer dahin die Gärten vor den Herrenhäusern des ägyptischen Adels, die Bäume und die blühenden Büsche, verschwunden die mit Blättern überrankten Holzlauben, in denen man frische Luft schöpfte.

Eine Gänse- und Hühnerschar aus einem Gehöft mitten in der Hauptstadt kam dem Wagen in die Quere. Der Vorfall entlockte Nagsara kein Lächeln, doch ein bekannter Duft beschwichtigte flüchtig ihre Bangigkeit, sie roch die Blüten eines riesigen Jasmins, der die Mauern eines kleinen Hofes schmückte, auf dem sich Kupfergegenstände türmten. Ein Wunder um diese Jahreszeit. Die junge Frau liebte diesen Duft, der sie an ihre kindlichen Spiele am Badeteich des Palastes erinnerte.

Die Räder drehten sich ein paarmal, und schon machte der Duft stinkendem, schwärzlichem Qualm Platz. Hausfrauen verbrannten Abfälle und Exkremente; andere kochten Fleisch oder Fisch. Jerusalems Gerüche mit ihrer Bestialität hatten den flüchtigen Traum zerstört.

Jählings biß sich Nagsara ins Handgelenk, biß bis fast aufs Blut. Dann wurde ihr bewußt, daß sie sich wie ein leichtfertiges, junges Mädchen benahm, was ihres Ranges nicht würdig war. Daß eine Pharaonentochter in diesem jämmerlichen Zustand vor den König Israels trat, nein, das ging nicht an. Über dem Gewirr von Häusern, dem Mangel an Platz durfte sie nicht vergessen, daß sie sich in der Hauptstadt eines mächtigen Reiches befand, das ein Herrscher mit stetig wachsendem Ruf regierte. In dieser Gegend verkörperte Nagsara Ägypten. Sie wurde Erbin und war für den Adel seines Landes verantwortlich.

Der Zug mußte am Fuß einer Kesselschmiede anhalten. Die Arbeiter hatten ihr den Weg mit ihren Werkzeugen versperrt. Sie schlugen mit Hämmern auf Metall ein und formten Kessel. Widerwillig gaben sie auf Befehl der Soldaten den Weg frei. Ein Wasserträger näherte sich dem Wagen.

«Trink, meine Prinzessin! Sieh doch, es ist ganz frisch!»

Nagsara trank. Als Dank schenkte sie dem Händler einen Silberbecher.

Der Wasserträger schwenkte seine prächtige Trophäe und pries die Großmut der Ägypterin, die den kleinen Leuten Wohlstand bescherte. In diesem Viertel von Jerusalem hatte Nagsara die Herzen gewonnen. Trotz der Verzweiflung, die an ihr nagte, entschloß sie sich, nie wieder das kleine, heimwehkranke Mädchen zu sein.

Bald darauf erschien Nagsara vor Salomo, dem man ihre Schönheit und Klugheit in höchsten Tönen gepriesen hatte.

Sie enttäuschte ihn nicht.

Nach zwei Stunden geduldiger und aufmerksamer Arbeit war es den Dienern des Hohenpriesters Zadok gelungen, ihren Herrn in die rituellen Gewänder zu kleiden. Zadoks Bart war nicht gestutzt, wie es der Brauch erforderte, auf dem Kopf saß ein Turban aus lila Bändern, auf dem eine goldene Tiara mit der Inschrift ‹Ruhm und Ehre sei Jahwe› prangte. Über seiner Leinentunika trug er ein lila Chorhemd mit Granaten, zwischen denen goldene Schellen hingen, deren Gebimmel die bösen Geister vertreiben sollte. Darüber kam ein einzigartiges Stück, die Levitenschärpe aus gold- und karmesindurchwirktem Leinen, die mittels vergoldeter Spangen mit Onyx-Schließen auf der Schulter des Hohenpriesters gehalten wurde. An der Schärpe hing das berühmte Pektoral aus zwölf Edelsteinen. Topas, Smaragd, Saphir, Jaspis, Amethyst, Achat, Karfunkel und Chalzedon symbolisierten die zwölf Stämme Israels. Am Pektoral wiederum hing ein Beutel mit zwei Würfeln. Wenn der Hohepriester die warf, zeigten sie ihm die Zahlen, aus denen Gott die Welt erschaffen hatte.

In dieser Gewandung erweckte der schmächtige Zadok Bewunderung, die an Furcht grenzte. Hinter zwei Priestern führte man ihn in den Thronsaal, in dem Salomo auf ihn wartete.

«Warum diese Bitte um Audienz, Zadok? Mußt du nicht die Vorbereitungen zu meiner Vermählung überwachen?»

Hochfahrend und schneidend gab der Hohepriester zurück:

«Majestät, diese Verbindung mißfällt Jahwe. Warum hast du dir keine Gemahlin unter deinen Nebenfrauen gesucht? Diese Ägypterin teilt unseren Glauben nicht. Sie wird eine schlechte Königin und bringt Israel Unglück. Laß ab von dieser Heirat und verärgere dein Volk nicht. Es ist Gott, der durch mich zu dir spricht.»

Salomos Augen funkelten. Ihn packte die Wut, und er hätte diesen unverschämten Geistlichen am liebsten geohrfeigt, der ihm vollkommene Treue schuldete. Doch ein König der Hebräer mußte sich in allen Lebenslagen beherrschen.

«Falls ich mich darüber hinwegsetze, Zadok, was geschieht dann?»

«Ich werde mich weigern, diese gottlose Ehe zu segnen, Majestät. Ich werde vor das Volk treten und meine rituellen Gewänder vor den Augen der Gläubigen ablegen. Ich werde ihnen erklären, daß der Hohepriester Jahwes dadurch Unglück auf das Haupt des Königs und der Ägypterin herabruft.»

Zadok stand mit zusammengekniffenen Lippen da und triumphierte. Salomo dachte, ich habe einen Dummkopf ernannt, der seine Anweisungen buchstabengetreu ausführt. Ihm war klar, daß der Hohepriester echte Macht ausübte. Zadok freute sich schon darauf, daß er eine herausragende Persönlichkeit und fast ebenbürtig mit dem König sein würde, der ihn von nun an bei jeder Entscheidung würde befragen müssen.

Zadok wunderte sich über Salomos Gelassenheit. Er hatte eine heftige Reaktion erwartet, die er dazu nutzen konnte, den Schwung eines zu jungen Herrschers zu bremsen. Doch der versuchte, entweder aus Schwäche oder aus Vernunftgründen, nicht einmal, sich zu wehren.

«Zadok, nimm die Würfel, die du aufbewahrst.»

«Die Würfel, aber…»

«Ehe du sie auf den Fliesen dieses Saales auswirfst, beweise mir, daß du im Namen Gottes sprichst, und sage mir die Zahlen, die gerollt kommen.»

«Gebieter, das ist eine Legende, mehr nicht, und…»

«Die Fünf und die Sieben, Zadok. Die Fünf für den Mann und die Sieben für die Frau. Wenn meine Vorhersage zutrifft, segnet Gott meine Ehe mit der Tochter des ägyptischen Königs. Wirf die Würfel, Hohepriester.»

Noch immer zögernd, holte Zadok die Würfel aus dem Lederbeutel. Er schloß die rechte Hand um sie und warf. Sie rollten lange und klapperten über die Steinfliesen.

Salomo bewegte sich nicht.

Zadok rührte sich, und die goldenen Schellen an seiner Amtsrobe bimmelten. Ihr metallisches Geklingel hallte ihm teuflisch in den Ohren, als er die Zahlen erblickte, die der Zufall gewählt hatte.

Die Fünf und die Sieben.

Kapitel 13

Nagsara, die Pharaonentocher, war sich gewiß, daß man sie mit allen Ehren empfangen würde, die ihr aufgrund ihrer hohen Geburt zustanden. Und das mindeste darunter war die Anwesenheit ihres künftigen Gemahls, des Königs Salomo.

Als der Wagen vor einem grauen Gebäude neben dem Palast hielt, half ihr ein schmerbäuchiger Mann mit Schlüssel und Schärpe auf der Schulter beim Aussteigen.

«Ich bin der Oberhofmeister», stellte er sich freundlich vor. «Willkommen in Israel.»

Nagsara sagte entrüstet:

«Wo ist der König?»

«Er kommt bald. Die Hochzeitsvorbereitungen haben ihn aufgehalten.»

«Das ist eine schwere Beleidigung! Ich bin doch keine Dienerin.»

Der Oberhofmeister war beeindruckt von der Heftigkeit dieser ziemlich kleinen und nicht übermäßig schönen jungen Frau. Wie er vorausgesehen hatte, würde die Tochter des Pharaos am israelitischen Hof schon bald Auseinandersetzungen und Skandale auslösen.

«Wenn du mir folgen möchtest, Majestät. Es gehört zu meinem Amt, dir zu zeigen, wo du wohnen wirst.»

Nagsara blickte sich um. Die ägyptischen Soldaten waren in der Minderzahl. Salomos Leibwache konnte sie mit Leichtigkeit erledigen, falls sie aufmuckten. Die Tochter des Pharaos hatte augenblicklich nichts in der Hand, womit sie sich gegen die Mißachtung hätte wehren können, der man sie aussetzte.

Sie folgte dem Oberhofmeister. Ihre Enttäuschung war riesengroß. Die Unterkunft mit den rauhen Wänden, in die man sie führte, war noch bescheidener als das bescheidenste Haus in Theben. Kein Innenhof mit Grün, kein Springbrunnen, kein Säulensaal. Viereckige Steine bar jeglicher Eleganz und nicht verziert, das war einer königlichen Hoheit unwürdig. Die blanke Wut packte Nagsara, als sie Lachen hörte. Zwei junge Frauen in kurzen Kleidern schoben einen Vorhang beiseite, traten aus einem Schlafgemach und liefen an der Ägypterin vorbei. Eine dritte, ältere, folgte ihnen. Spöttisch starrte sie Nagsara an wie ein seltsames Tier, dann verzog sie sich in ein anderes Schlafgemach, aus dem würzige Düfte drangen.

«Wer ist das?»

«Die anderen Gemahlinnen Salomos», erwiderte der Oberhofmeister. «Sie haben früher seinem Vater David gehört. Er hat an die zwanzig gehabt… Moabiterinnen, Edomiterinnen, Sidonesinnen und sogar Hethiterinnen. Die, die du gesehen hast, ist Ammoniterin. Sie kommt aus der Stadt Ammons, die die Straße von Jerusalem nach Damaskus kontrolliert. Das ist eine wichtige strategische Lage, und daher hat diese zweite Gemahlin einen herausragenden Platz unter den Nebenfrauen. Ihr Pech, daß sie so alt ist… Salomo braucht eine neue, sehr junge Königin…»

«Und das soll ich…»

Nagsara traute sich nicht, ihren Satz zu beenden. Hatte dieser abartige König beschlossen, sie zur Sklavin zu machen, sie seinen niedrigsten Instinkten zu unterwerfen? Der Pharao hatte eine politische Ehe vorgesehen, was auf ein abgeschiedenes Leben hinauslief. Dieses elende Los erschien Nagsara herrlich im Vergleich zu dem, was ihr jetzt drohte.

«Ich weigere mich, die Hündin deines Königs zu sein», teilte sie dem Oberhofmeister mit. «Wenn er mich anrührt, bedeutet das Krieg. Mein Vater ist nie im Leben damit einverstanden, wie man mich behandelt. Ich werde hier nicht wohnen, zusammen mit diesen gräßlichen Frauen.»

«Majestät…»

«Ich verbiete dir, mich anzusprechen. Salomo ist meiner unwürdig. Und du wärst in Ägypten nicht einmal Fischer im Delta. Ich steige nicht wieder aus diesem Wagen aus.»

Nagsara ging zu ihrem Gefährt. Sie konnte nur einige Schritte machen, denn auf der Schwelle des Gebäudes stand Salomo, der sich die Ankunft der Pharaonentochter angesehen hatte.

Er lächelte friedfertig. Nagsara musterte ihn. Die blauen Augen des Königs von Israel waren bezaubernd. Sie entzückten die Seele. Die jugendlichen Züge verrieten eine eigenartige Reife.

«Vergib mir, daß ich mich verspätet habe», bat er freundlich. «Bei einem König ist ein Mangel an Höflichkeit unverzeihlich. Ich könnte dir erklären, daß ich dem Hohenpriester die Stirn bieten mußte, weil er gegen unsere Heirat ist, aber überzeugt dich das?»

«Ein großer König ist von keinem seiner Untertanen abhängig», entgegnete Nagsara, «und schon gar nicht von einem Priester.»

Das hatte schneidend klingen sollen, doch ihr Blick strafte ihre Worte Lügen. In Wahrheit konnte sie sich kaum der Faszination entziehen, die von ihm ausging. Salomo war kein Untier, sondern ein wunderschöner Mann.

«Du hast recht», meinte der Herrscher. «Dieser Ort ist deiner Abkunft keineswegs angemessen. Aber Jerusalem ist nicht Tanis oder Theben. Ich habe die Absicht, meine Hauptstadt prächtig zu gestalten. Hast du noch ein wenig Geduld? Du bekommst eigene Gemächer, damit du nicht in Berührung mit den Nebenfrauen kommen mußt.»

Nagsara hätte gern aufbegehrt, lautstark bekräftigt, daß diese Vorkehrungen nicht genügten, daß sie den Frieden garantieren, jedoch nicht das Bett mit einem fremdländischen König teilen müsse, doch die Worte wollten ihr nicht über die Lippen.

«Ruhe dich aus, Nagsara, und bereite dich auf das Festmahl vor, mit dem wir unseren Bund feiern.»

Nathan, der Lehrer, hatte Salomo die Geheimnisse des Elfenbeins, das der Elefant wachsen ließ, des Honigs, den die Biene herstellte, der Perle in der Muschel und des Gifts der Viper gelehrt. Er hatte ihm die Bedeutung des Falkenflugs, die Kunst, wie man Obst auswählte und die Namen der Sterne erklärt, denen er Küsse schickte, um ihnen für ihr Funkeln zu danken. Der Sonne opferte er heiliges Öl, dem Mond Duftsalbe. Er hatte Edelsteine ins Meer geworfen, damit die Wogen schöner glitzerten. Nathan hatte Salomo gezeigt, wie man Trugbilder und Dämonen verscheuchte, indem man mit Haselstecken auf Katzenfelle einschlug. Vom Meister hatte der Schüler erfahren, daß der Hahn das Licht und die Schwalbe erquickenden Regen ankündigten, daß die Eule bei Nacht deutlich sehen konnte und der Kranich die Jahreszeiten gliederte. Salomo hatte das Geheimnis des Adlers geteilt, der direkt in die Sonne sehen konnte.

Als dem jungen Mann dieses Wissen in Fleisch und Blut übergegangen war, hatte Nathan ihm gezeigt, wie man in die Zukunft sehen konnte. Nicht Hellseherei, das traurige Erbteil der gefallenen Engel, sondern Astrologie, die Kunst der Könige, die schon seit Urzeiten ausgeübt wurde.

Salomo zog einen Tierkreis in den Sand. Er beobachtete den Himmel, ermittelte die Planeten und zeichnete ihren Standort in die Zeichen. Nur der König hatte das Recht, die Zukunft zu kennen, nicht für sich selbst, sondern für das Gemeinwesen, für das er verantwortlich war. Salomo las, was die Sterne zu diesem Tag sagten, an dem die Pharaonentochter in Jerusalem eingetroffen war und eine neue Ära eingeläutet hatte, die sich weder David noch seine Vorgänger hatten vorstellen können. Darauf wollte er die fernere Zukunft wissen und bat den Himmel um eine Vision von künftigen Tagen.

Die Antworten waren zweideutig und ihm noch nie so verschlüsselt vorgekommen, denn sie bildeten ein unauflösbares Netz wie die Straßen von Jerusalem. Kündigten sie nun Glück oder Unglück, Erfolg oder Scheitern an? Falls der Tierkreis und seine Sterne die Aussage verweigerten, durfte Salomo dann nicht das Ruder übernehmen und vor keiner Gefahr zurückschrecken?

Als der König von Israel die Zeichnung löschte, hatte er das Gefühl, als hätte man ihm ein kostbares Hilfsmittel geraubt. Wie ein Seemann, der in einen Sturm gerät, konnte er sich nur noch auf sein Gespür verlassen, wenn er nicht Schiffbruch erleiden wollte.

Salomos Tagträume waren geplatzt. Seine Ehe stürzte sein Volk in Verwirrung. Mit dem Werfen der Würfel hatte er das Spiel des Herrn in der Wolke gespielt. Aber kannte ein Mensch, selbst wenn er König war, die Regeln?

Kapitel 14

Die Hebräer riechen nicht gut», sagte Prinzessin Nagsara zu ihrer Zofe. «Laß Weihrauch und Myrrhe verbrennen. Ich will, daß diese elende Behausung immer gut duftet.»

Die Dienerinnen der Pharaonentochter arbeiteten seit dem Morgengrauen ohne Unterlaß, um ihre Herrin für das abendliche Festmahl schönzumachen, mit dem man die Staatsehe feiern wollte. Die Zofe hatte Nagsaras feines Haar mit einem Goldkamm vorteilhaft frisiert, und Nagsara hatte sich dabei ununterbrochen in einem Kupferspiegel mit makellos polierter Oberfläche betrachtet.

Ungeachtet des Oberhofmeisters, der zu Mäßigung riet, hatte Nagsara jegliches Zugeständnis an die hebräische Mode abgelehnt. Sie würde sich wie eine Ägypterin kleiden und in der ganzen Pracht einer Königin aus einer der ältesten und geachtetsten Kulturen auftreten. Und ehe sie ihre Gemächer verließ und zum Palast aufbrach, ließ sich Nagsara zudem einen Duftkegel aufs Haar setzen, der ihre Perücke den ganzen Abend lang wohlriechend machen würde. Vorsichtshalber legte sie ein winziges Duftkissen in ihre Sandale, das durch schlichten Zehendruck zarte Düfte freisetzte.

Ängstlich überprüfte die Prinzessin noch einmal ihre Frisur, die ihr nicht recht gelungen vorkam. Und wie sie geschminkt war, gefiel ihr auch nicht. Die Zofen fürs Frisieren und für die Nagelpflege mußten sich noch einmal mit Spateln, Kämmen und Farblöffelchen an die Arbeit machen. Sie zogen noch feinere Lippenkonturen und betonten die Augenbrauen noch besser mit dunkelblauer Farbe. Die Wimpern wurden blau getuscht, Fingernägel und Füße rot bemalt.

Endlich war Nagsara zufrieden und kleidete sich in ein feines Leinengewand, das ihr die Leinenweber von Tanis zum Abschied geschenkt hatten. Und weil der Abend frisch war, legte sie sich ein Wolltuch um die Schultern.

Salomo hatte ihr Soldaten seiner Leibwache geschickt, die Banajas befehligte, und dazu einen Wagen aus vergoldetem Holz mit bequemem Sitz und Baldachin. Im Palast hatte der König zwei Wände einreißen und so einen großen Raum schaffen lassen, in dem man niedrige Tische aufgestellt hatte.

Der Herrscher empfing jeden Gast höchstpersönlich, gab ihm den Friedenskuß und wusch ihm die Füße. Die Gäste setzten sich an den ihnen vom Oberhofmeister zugewiesenen Platz, die einen mit gekreuzten Beinen auf Polstern, die anderen auf Holzschemeln. Mitten im Saal stand allein und prächtig der Ehrentisch. Seine Vergoldung funkelte im Licht der großen Fackeln.

Köche, Mundschenke und Hofbeamte hatten mit diesem Festmahl gewaltig zu tun gehabt, das seit Menschengedenken das üppigste in der Geschichte Israels war. Auf farbigen Servietten standen Becher und Silbergeschirr und lagen Löffel aus Elfenbein und Holz. Auf Tontellern gab es Kapern, Minzeblätter, Rosmarin, Knoblauch, Zwiebeln, Koriander und Safran. Niemand wagte es, diese Vorspeisen anzurühren. Alle Augen waren auf das Eingangsportal des Festsaals gerichtet.

Und jetzt trat Nagsara, die Tochter Pharao Siamuns, ein. Die künftige Königin Israels stellte durch die Pracht ihres Leinengewandes und ihres Goldschmucks alle Ehefrauen der Höflinge in den Schatten. Hier erschien die legendäre Schönheit Ägyptens in Jerusalem, das damit jählings zur kleinen Provinzhauptstadt herabgemindert wurde.

Nur mittels dieser Frau, die jetzt schon Neid und Begehrlichkeit weckte, konnte Salomo Tausende von Menschenleben retten. Nagsara bemerkte die Frostigkeit des Mannes, der ihr Gemahl sein würde, denn Israels König in seinem blau-roten, mit Goldfäden gesäumten Gewand betrachtete sie ohne Zärtlichkeit. Seine Gedanken galten dem Bündnis zwischen den beiden Ländern, nicht der Liebe zu einer jungen Prinzessin.

«Möchte der Herrscher Israels die Stimme meines Landes hören?» fragte sie sanft auf phönizisch. «Die Lieder und Tänze erinnern mich an das Land meiner Geburt. Sie lindern meinen Schmerz, lassen mich vergessen, daß ich meine Familie für immer verlassen habe, und bringen Freude in alle Herzen.»

Jetzt betraten Harfen- und Lauten- und Tamburinspielerinnen den Saal. Ihnen folgten Tänzerinnen in einem schlichten Schurz aus Grasfasern, der sich bei jeder Bewegung hob. Sie bewegten sich rhythmisch zu der verführerischen Musik der Instrumente. Die Gäste, von soviel Kühnheit wie geblendet, konnten den Blick nicht von den zarten Brüsten und den behenden Beinen abwenden. Die Ohren ließen sich von dieser verführerischen Musik einlullen, während Salomo die Hände der Prinzessin ergriff und sie einlud, neben ihm Platz zu nehmen.

«Ich werde dir eine schöne Wohnung im Tempelbezirk bauen», murmelte er.

«Und wann ist der fertig?»

Darauf gab Salomo keine Antwort, sondern gab vor, die Vorführungen der Tänzerinnen zu bewundern. Nagsara ärgerte sich über sich selbst und biß sich auf die Lippen. Was für eine dumme Frage, damit hatte sie den Mann verstimmt, den sie gerade erobern wollte. Sie hatte ihrem Vater, Pharao Siamun, gegrollt, doch er hatte ihr gar kein so elendes Los zugedacht. Ob sie ihm genug dafür danken konnte, daß er ihr Stunden geschenkt hatte, in denen sie die Gemahlin eines so verführerischen Mannes wurde? War das Liebe, dieses berauschende Gefühl, das alle Wesen außer diesem einen nichtig machte?

Jetzt wurden ein gemästetes Kalb, Tauben, Rebhuhn, auf Holzfeuer gebratene Wachteln und zur Auswahl auch noch Milchlamm auf Weinblättern aufgetragen. Noch köstlicher waren die in gesalzenem Wasser gekochten Heuschrecken, an denen die Köche Beine und Kopf entfernt hatten, ehe man sie in der Sonne trocknen ließ. Andere hatte man in Honig eingelegt. Die Mundschenke waren ununterbrochen mit dem Ausschenken eines rubinroten Weins beschäftigt.

Erst gegen Ende des Abends bat der Oberhofmeister um Ruhe. Salomo ergriff Nagsaras rechte Hand. Der Herold bestätigte sie als Vermählte, und damit besiegelte man das Friedensabkommen und die Freundschaft zwischen Ägypten und Israel und machte beide zu Verbündeten gegen einen möglichen Angreifer. Beifall brandete auf. Darauf nahm das Festmahl seinen Fortgang und wurde noch lauter und zügelloser.

Salomo hatte seine Hand zurückgezogen, was Nagsara verwunderte.

«Gebieter, sind wir jetzt nicht Mann und Frau?»

«So schreibt es das Gesetz der Könige vor. Aber ich kann dich doch nicht zwingen, mich zu lieben.»

«Eine Ägypterin läßt sich zu nichts zwingen.»

Nagsara bereute ihre vorschnellen Worte sogleich. Sie benahm sich wie ein scheues, nicht zähmbares Geschöpf, wo sie doch so gern ihr Zutrauen gezeigt hätte. Welcher böse Geist war in sie gefahren und zwang sie, gegen ihre eigenen Interessen zu reden?

Salomo ergriff erneut die Hand seiner Gemahlin. Bei der zarten Berührung erschauerte Nagsara.

«Du, die Israels Königin sein wird», empfahl er ihr, «denke daran, daß der Odem unserer Existenz nichts ist als Rauch, der im Himmel verweht. Und wenn er sich verflüchtigt hat, zerfällt unser Leib zu Asche, und unser Geist verlöscht wie leichte Luft. Unser Leben verschwindet wie eine Wolkenfurche, wie die unsichtbare Spur des Schattens. Unsere Gedanken sind nichts als Funken, die im Schlag unseres Herzens sprühen. Genieße den Augenblick und denke nicht weiter. Was kümmern uns Elend und Alter? Hier sind sie nichts als Trugbilder. Der rote Wein, den ich dir anbiete, ist Bote der Sonne, die ihn gereift hat. Laß ihn in deine Adern rinnen, er sei das Licht, das deine Handlungen erleuchtet.»

Nagsara nahm den Becher, den Salomo ihr reichte. Nachdem sie mit Genuß getrunken hatte, reichte sie ihm den Becher zurück. Als er ihn an die Lippen setzte, spürte sie, daß der Bund geschlossen war. Mit einem leichten Fußdruck setzte sie den Duft in ihrer Sandale frei. Er schuf eine unsichtbare Mauer zwischen dem Ehepaar und den anderen Gästen.

Nagsara war allein und grausam enttäuscht. Am Ende des Festmahls hatten ihre Diener sie in ihre Gemächer geleitet. Salomo war bei seinen Gästen geblieben. Zweifellos hatte er die Nacht im Bett einer seiner zahlreichen Nebenfrauen verbracht. Die keimende Liebe war zum Gespött geworden. Sie würde nicht nur das Gefühl ersticken, das sie bereits empfand, sondern auch diesen Unmenschen mit allerletzter Kraft zurückweisen, wenn er versuchte, sich ihr zu nähern.

Als die Zofe Israels König ankündigte, weigerte sich Nagsara gegen jedes Protokoll, ihn zu empfangen.

Salomo öffnete gewaltsam die Tür zu den Gemächern seiner Gemahlin.

Wütend trat sie ihm entgegen.

«Verlaß auf der Stelle mein Haus!» befahl sie.

«Es ist auch das meine», sagte Salomo gelassen und umklammerte Nagsaras Handgelenke, während sie vergebens versuchte, ihn zu schlagen.

«Geh bitte!»

«Einverstanden, liebreizende Gemahlin, aber nicht ohne dich. Ich habe dir viele Wunder zu zeigen. Unser Streitwagen steht bereit. Ich werde ihn selbst fahren.»

«Ich möchte aber hierbleiben.»

Nagsaras Widerstand ließ nach. Salomos Berührung verzauberte sie. Sie konnte der eigenartigen Wärme, die sie durchrieselte, kaum noch widerstehen.

«Laß mich allein», bat sie.

«Warum stößt du mich zurück?»

«Weil ich dich verabscheue!»

Nagsara riß sich los.

«Du hast mich beleidigt, zum Gespött gemacht! Du behandelst mich wie eine dieser Hündinnen, wie eine Nebenfrau! Warum schließt du mich nicht in den Palast ein und verstößt mich?»

Der König wirkte überrascht.

«Nagsara, ich verstehe nicht. Habe ich einen so schlimmen Fehler gemacht?»

Die Prinzessin wandte sich schmollend ab.

«Deine Abwesenheit heute nacht…»

«Das also ist es… Protokoll, schöne Nagsara, nichts als Protokoll! Ich hatte keine andere Wahl. In Gedanken war ich jedoch bei dir. Zweifelst du etwa daran?»

Der letzte Widerstand der Ägypterin war dahin. Sie nahm Salomos Arm.

«Aber… ich bin kaum bekleidet, ich…»

«Israels Königin ist so sehr schön. Laß uns nicht noch mehr Zeit verlieren.»

Nagsara stieg zu ihrem Gemahl in den Streitwagen. Als er sie um die Taille faßte, erstarrte sie. Sie hatte ihm den Sieg zu leicht gemacht. Er ging mit ihr um wie mit einer Stoffpuppe, wie sie kleine Mädchen lieben. Salomo fuhr sie nicht grob an, sondern band sie lediglich fest, damit sie nicht herunterfiel.

Das Paar fuhr durch kleine Ebenen, die mit Büschen bestanden waren, hinter denen sich beschauliche Dörfer verbargen. Auf der einen Seite eine Talmulde mit Maulbeerbäumen, auf der anderen Hänge mit Pfirsichbäumen und dazwischen Weinstöcke. Salomo hielt am Fuß von Terrassen, die den Boden festhielten und ein Abrutschen des Erdreichs verhinderten. Er zog Nagsara zu einem See, hinter dem sich ein bewaldeter Hügel erhob. Am Ufer besserten Fischer ihre Netze aus, gingen behende mit der Nadel um. Auf dem Boden lagen kupferne Angelhaken. Das mit Blei beschwerte Wurfnetz war ein Netz, das die Geschicktesten mit einer einzigen Handbewegung von großen Booten auswarfen, die der Strömung widerstanden. Die Männer sangen. Sie hatten einen guten Fang gemacht und warfen kleinere Fische, die weder Flossen noch Schuppen hatten, wieder ins Wasser. Ihr Arbeitgeber bot dem königlichen Paar Hecht an, der auf einem Holzfeuer briet. Nagsara lehnte ab, doch ihr Gemahl aß mit Genuß.

Dann fuhren sie wieder los und durchquerten eine duftende Strauchheide, auf der Ginster und Bärenklau wuchsen. Vögel flatterten in den Zweigen der Senfpflanzen, deren Samen die Köche im Mörser zerstießen, wenn sie Senf herstellen wollten. Nagsara fuhr mit der Hand an der Karosserie des Streitwagens entlang und wurde von einer großen Distel gestochen. Salomo küßte den Stich mit einem langen Kuß.

Als der See Genezareth in Sicht kam, vergaß die junge Frau ihren Schmerz. Es war nur ein kleiner See, der wie eine Harfe geformt war. Ein guter Schwimmer konnte ihn in knapp einer Stunde durchqueren. Doch er war so schön, daß auch der Unempfänglichste bei seinem Anblick nicht ungerührt blieb. Seine Fluten waren saphirblau und wurden von kleinen Fischerbooten durchfurcht, deren Besitzer in weißen Häusern zwischen Jasmin und Oleander wohnten, die das Ufer schmückten. Die grünen Hügel schützten ihn vor dem Wind, der an diesem schönen Tag die Blumen tanzen ließ.

«Hier», so erklärte ihr Salomo, «hat sich seit Anbeginn der Zeit nichts verändert. Hier herrscht immer Friede. Erst als ich diesen friedlichen See mit seinen Farben wie die Ewigkeit gesehen hatte, wollte ich Frieden für mein und dein Volk.»

Nagsara kämpfte nicht mehr gegen sich selbst.

Sie empfand Gefühle, die sie flüchtig in den Gärten von Fayum am Rand des Sees verspürt hatte, auf dem junge ägyptische Prinzen segelten.

Sie legte den Kopf auf Salomos Schulter, und da er spürte, wie sie nachgab, rührte er sich lange nicht, ehe er sie in die Arme nahm und sie zum ersten Mal küßte.

Nagsaras Blick hatte sich verändert. Sie lachte und weinte zur gleichen Zeit. Die Vergangenheit wich, verwehte mit der Brise, die das Wasser des Jordan kräuselte, zu dem sie der König jetzt zog. Er führte seine Gemahlin auf einem schmalen Pfad, der sich über den Flußauen dahinzog, ehe er zwischen Basaltfelsen anstieg und in eine Landschaft führte, die aus steil aufragenden Böschungen und dichtem Gebüsch bestand.

Nagsara wagte es nicht, Salomo nach dem Ziel ihres Ausflugs zu fragen. Es gefiel ihr, sich durch den leiten zu lassen, der sie verzaubert hatte.

Von einem Felsen fiel ein Wasserfall unter glasklarem Geplätscher auf ein mit Ibissen bevölkertes Inselchen. Die Welt wurde zu einem lauteren Traum, der süßer war als Honig. Oleander säumten den Weg. Salomo schob Zweige zur Seite und zeigte ihr einen merkwürdigen Weiher mit brodelndem Wasser. Auf einem Hügel stob ein Schwarzstorch auf. Nagsara zeigte zunächst Widerwillen gegen die weiche und feuchte Erde, in der bebende Papyrusstengel wuchsen. Doch ein laues Wasser umschmeichelte ihre Füße.

«Warme Quellen», erläuterte Salomo. «Die geheimsten von ganz Israel. Komm, bade darin. Sie vertreiben die Müdigkeit.»

Der König entkleidete die Prinzessin, ehe auch er das Gewand ablegte. Dann legte er seinen Mund auf ihren, nahm sie in die Arme und tauchte mitten in der Quelle unter. Von der untergehenden Sonne vergoldet, den Leib von köstlichem Gebrodel geliebkost, liebten sich der König und die Königin im Rausch ihres Verlangens.

Kapitel 15

Der Traum zerplatzte nicht. Nagsara wich nicht mehr von Salomos Seite und vergaß seine Nebenfrauen. Israels neue Königin hatte den Hof durch ihr gewandtes Auftreten und ihre Eleganz gewonnen, obgleich die Eifersucht der Damen von Adel auf die Fremdländerin nicht nachließ. Der König ließ sich von seiner jungen Gemahlin mitreißen und überließ die laufenden Geschäfte seinem Schreiber und dem Oberhofmeister.

Diese beiden Männer konnten sich nicht ausstehen. Sie stellten sich Fallen, bis es zum offenen Konflikt kam, der das Eingreifen Salomos erforderte.

Als der König nach einem weiteren Liebestag an den warmen Quellen auf seinem Thron Platz nahm, lehnte er es ab, sich die Vorwürfe der beiden Würdenträger anzuhören. Salomo dämmerte eine Erkenntnis: Ein großer Herrscher mochte zu einem außergewöhnlichen Geniestreich fähig sein, doch über Liebesspielen vergaß er seine Aufgabe.

Salomo schickte den Oberhofmeister fort und behielt nur den Schreiber da.

«Hast du eine Liste der von meinem Vater gesammelten Reichtümer angelegt, Elihap?»

«Ja, Gebieter.»

«Reichen sie, um den Bau eines Tempels zu finanzieren?»

«Gewiß nicht.»

«Gibt es einen hebräischen Baumeister, der neue Pläne zeichnen und die Baustelle organisieren kann?»

«Nein, und das weißt du sehr wohl, Gebieter. Es fehlt uns an edlen Materialien und an Zedernholz. Wir haben nicht genug Zimmerleute und Steinhauer, und zudem haben sie keine Erfahrung. Laß ab von diesem Tempel. Wenn du bei diesem Unternehmen scheiterst, verblaßt auch der Ruhm, den du dank des Bündnisses mit Ägypten genießt.»

Ablassen… Das Wort gefiel Salomo überhaupt nicht. Wenn er den Tempel aus seinen Gedanken strich, verlor er jegliche Würde. Nagsaras anbetungswürdiger Leib, der Stolz, eine Pharaonentochter zur Gemahlin zu haben, hatten ihn seine Pflichten vergessen lassen. Wie hatte sich Davids Sohn nur so schändlich aufführen können?

Der Tempel: Er würde Bürge für den Bund Israels mit Gott und den der Erde mit dem Himmel sein. Er allein würde das Einvernehmen mit Ägypten von Dauer machen. Er würde ein Ort des Friedens sein, den keine Barbarei zu zerstören wagte. Salomo würde sich nicht mit menschlichem Glück begnügen.

Ablassen… damit würde er sich selbst zerstören und einen schrecklichen Tod auf sich nehmen, der ihm das Herz zerreißen würde. Aber wie Erfolg haben, außer er machte Israel reicher und schuf aus einem kleinen Land eine Handelsmacht und trieb obendrein noch die Menschen und Materialien auf, die er brauchte?

Diese Herausforderung durch das Unmögliche gab Salomo wieder Mut, auch wenn er mit weniger Erfolgsaussichten in den Kampf ging als David gegen Goliath.

«Bei wem hat mein Vater das versteckte Edelmetall gekauft?»

«Beim König von Tyros», antwortete Elihap.

«Laß ein Schiff klarmachen. Morgen breche ich nach Tyros auf.»

Durch seinen überstürzten Aufbruch in die große Hafenstadt, die Handelsmetropole des alten Phönizien, die westlich des Merom-Sees und südlich von Byblos gelegen war, verstieß Salomo gegen den Brauch, der einen Brief- und Gesandtenaustausch zwischen den beiden Herrschern erforderte, ehe man sich traf.

Der König von Tyros, ein vorsichtiger und verschlagener Mann um die Sechzig, galt als furchteinflößender Schacherer. Der Wohlstand seiner Stadt beruhte auf Handel und auf der mühelosen Nutzung natürlicher Reichtümer in den Landstrichen, die er kontrollierte.

Die Schutzgöttin von Tyros war die Gute Göttin, die lächelte wie Ägyptens Hathor und über die Seeleute und ihre Schiffe wachte. Ein Kapitän, der ihr opferte, ehe er in See stach, war gewiß, daß er der Wut des Meeres entgehen und wohlbehalten ankommen würde. Obwohl seine Mutter eine Israelitin aus dem Stamm Naphtali war, hatte sich der König von Tyros geweigert, zur Religion Jahwes überzutreten, denn er hielt diesen Gott für unduldsam und kriegerisch. Natürlich war er einverstanden gewesen, David Zedernholz für seinen geplanten Tempel zu verkaufen. Doch das aussichtslose Projekt war rasch wieder aufgegeben worden. Salomo hatte sich nicht gerade beeilt, die vernachlässigten Beziehungen zu Phönizien wieder aufleben zu lassen. Bereitete er sich nach seinem Bündnis mit Ägypten darauf vor, in einen Israel so nahe gelegenen Landstrich einzufallen?

Als man dem König von Tyros Salomos Ankunft meldete, dämmerte diesem, daß der General Pharao Siamuns, der soeben seinen Palast verlassen hatte, nicht gelogen hatte, als er ein baldiges Eingreifen des hebräischen Herrschers vorhersagte. Der Ägypter hatte dem Phönizier Empfehlungen gegeben und ihm im Austausch für völligen Gehorsam seinen Schutz angeboten. Was er vom König von Tyros forderte, war nicht ehrenrührig. Daher wollte sich der an die Anweisungen halten und sich nicht mit dem Reich am Nil entzweien.

Salomo kam allein, ohne Kriegsschiffe, ohne Streitmacht, ohne Dienerscharen. Ein geschicktes Vorgehen, fand der Phönizier. Er unterstellte sich dem Schutz seines Gastgebers, der nun über ihn wachen mußte, als wäre er ein heiliger Mensch.

Ob der Hebräer seinen schmeichelhaften Ruf wohl verdiente? Besangen die Dichter nicht seine Kenntnisse in der Sprache der Zedern und des Ysop, der Vögel und der Tiere auf dem Feld und all dessen, was da kreuchte und fleuchte? Übertrieb man nicht, wenn man einem so jungen Herrscher so viel Weisheit nachsagte?

Der Palast des Königs von Tyros war aus dicken Felsblöcken auf einen Felsvorsprung gebaut, der sich über dem Hafen erhob, wo es zahlreiche Handelshäuser gab. Große Fensteröffnungen ließen die Sonnenstrahlen in Säle fallen, die mit bunten Mosaiken ausgeschmückt waren. Das Militär war zwar zugegen, aber nicht zahlreich, und es hielt sich zurück. Tyros gab sich als eine für alle offene, nicht engstirnige Stadt, in der alle Völker Handel treiben durften. Jeder hatte Interesse daran, Tyros und seine Flotte zu erhalten, mit Eisen, Silber, Zinn und Blei zu handeln, und das gewinnbringend. Wer, wenn nicht der phönizische Hafen, machte die Könige reich, auch wenn sie Gegner waren? Wer, wenn nicht die ruhmreichsten Seevölker, wollte die außergewöhnlich kundigen, phönizischen Steuermänner in seinen Diensten haben? Aber vielleicht hatte Salomo, dessen Ehrgeiz so groß war wie das Meer, beschlossen, diese Situation zum Wohle seines Landes zu ändern.

Salomo wurde nur von seinem Schreiber begleitet, der hinter ihm ging und Palette und Schreibbinse trug. Der König von Tyros empfing sie auf der schönsten Terrasse seines Palastes, die von einer milden Wintersonne beschienen wurde. Er bot ihnen Palmwein und eingelegte Früchte an.

Salomos Charme bezauberte den König von Tyros schon bald, und dabei war er es gewöhnt, Fürsten und Herrscher zu empfangen. Zu schönen, erstaunlich gelassenen Zügen gesellte sich eine kluge und bedächtige Stimme. Es fiel nicht leicht, sich diesem Zauber zu entziehen. Der Phönizier mißtraute ihm. Würde es Israel mit einem Herrscher seines Schlages wagen, sich die Oberhoheit über die Länder der Umgegend zu sichern?

«Ich bin nichts als der Enkel eines Bauern», erklärte Salomo. «Israel ist ein Land von Bauern, die sich nicht mit den Gefahren des Meeres auskennen. Meine Untertanen sind arm, deine hingegen reich. Tyros ist auf dem Gipfel seines Ruhms, nicht wahr?»

Der Phönizier hörte der Schmeichelei nur mit einem Ohr zu.

«Und folgt dem Gipfel nicht der Absturz? Ich habe mich mit David, deinem Vater, gut verstanden. Nach seinen Siegen über die Philister und Moabiter hat er mich wie einen Verbündeten behandelt. Ist das auch deine Absicht?»

«Hat man dir nicht gesagt, warum ich hier bin?»

«Dein Reich hat sich vergrößert, seitdem du den israelitischen Thron bestiegen hast. Es reicht vom Jordan bis ans Meer und im Süden bis an den Rand des ägyptischen Deltas. Von deiner Politik hängen Tyros’ Frieden und Wohlstand ab.»

Der Phönizier hatte Angst, er könnte zu offen gesprochen haben. Würde diese Herausforderung einen Wutausbruch auslösen?

Salomo lächelte.

«Deine Worte erfüllen mich mit großer Freude», sagte er. «Israels Glück hängt von deinem ab. Unsere Freundschaft kann sich nur auf einen festen und dauerhaften Frieden gründen.»

Der König von Tyros zögerte.

«Ich hätte gern deine Weisheit auf die Probe gestellt», sagte er.

«Wie du willst.»

«Es gibt ein lebendiges Wesen, das sich nicht bewegen kann», sagte der Phönizier. «Erst im Sterben bewegt es sich endlich. Was ist das?»

Salomo dachte nach. Mit einer nicht wahrnehmbaren Geste drehte er den goldenen Ring auf seinem linken Ringfinger.

«Ein Baum», antwortete Salomo. «Lebend bewegt er sich nicht vom Fleck. Wenn der Holzfäller ihn fällt, stirbt er. Aber er wird zum Schiff, das auf dem Wasser fährt.»

Der König von Tyros gab sich geschlagen.

«Habe Dank für die Lehre», sagte Salomo. «Du hast auf deine Seemacht angespielt und mir die Schwäche Israels aufgezeigt. Aus diesem Grund brauche ich deine Hilfe.»

Während der Schreiber die Bemerkungen der beiden Herrscher festhielt, ließ sich der Phönizier von seinem Gesprächspartner bezaubern. Er glaubte daran, daß er den Frieden wollte.

«Man munkelt, daß du in Jerusalem einen prächtigen Tempel bauen willst.»

«Ja, das möchte ich sehr gern», bekannte Salomo. «Mein Vater ist gescheitert. Ich werde Erfolg haben. Und bei dir möchte ich gern viel Material kaufen, insbesondere Metalle, Zedern- und Zypressenholz.»

«Was bietest du dafür?»

«Getreide, Wein, Obst, Gewürze und Honig.»

«Ich brauche auch Weizen und Öl», forderte der König von Tyros.

«Dazu kommt noch der landwirtschaftliche Ertrag von zwanzig Dörfern in Galiläa.»

Der Phönizier war es zufrieden. Der Tauschhandel ließ sich für ihn gut an.

«Wie willst du das alles liefern? Du hast doch keinen Hafen, und die Straßen sind nicht gerade gut befahrbar.»

«Binnen eines Jahres gibt es einen Hafen», versicherte ihm Salomo. «Ich lasse dich an seinen Gewinnen teilhaben, jedoch zu einer Bedingung…»

«Und die wäre?»

«Schicke mir eine Mannschaft Steinhauer und Zimmerleute. Die besten Handwerker des Morgenlandes arbeiten in Tyros. Die Hebräer kennen sich nicht mit den geheimen Techniken aus, mit denen man einen Tempel baut, wie er mir vorschwebt.»

«Welchen Vorteil hätte ich davon?» fragte der König von Tyros.

«Gold», erwiderte Salomo.

«Gold», wiederholte sein Gesprächspartner. «Das heißt, du willst mich übers Ohr hauen.»

«Du läßt mich am Seehandel teilhaben. Dank meines Bündnisses mit Ägypten kann ich dir völlige Sicherheit garantieren. So ziehen wir beide Nutzen aus unserer Abmachung. Auf sich allein gestellt, kann Phönizien nicht überleben.»

Der König von Tyros überlegte nicht lange. Die unterschwelligen Drohungen Salomos waren nur zu klar. Die Lösung, die er vorschlug, war ebenso vernünftig wie unvermeidlich.

«Abgemacht, König von Israel. Du verdienst deinen Ruf zu Recht. Bleibt nur noch eine kleine Einzelheit… Welcher Oberbaumeister soll dein Heiligtum erbauen?»

Salomo wirkte verlegen.

«Ich suche noch nach einem», bekannte er. «Aber kein Hebräer scheint mir kundig genug, daß er ein Amt mit so hohen Anforderungen ausfüllen könnte.»

«Hast du dir die Mauern meines Palastes angesehen? Die Arbeit war nicht einfach. Ich habe sie einem jungen Baumeister anvertraut, und er hat sie zufriedenstellend ausgeführt. Er will Tyros jedoch demnächst verlassen.»

«Wie heißt er?»

«Meister Hiram.»

«Schicke ihn mir», bat Salomo.

«Ich werde es versuchen…»

«Warum dieses Zögern?»

«Weil sich Meister Hiram nichts befehlen läßt, ja, er ist sehr leicht zu kränken und wird aus zahlreichen Hauptstädten angefordert. Er übernimmt nur große Baustellen, auf denen er seine Kunst ausdrücken kann.»

Salomos Neugier war geweckt.

«Ist Jerusalem groß genug für sein Genie?»

«Das weiß ich nicht», antwortete der König von Tyros.

«Versuche, ihn zu überzeugen», bat Salomo.

Darauf gingen Salomo und sein Schreiber, und der König von Tyros ließ eine Tafel an den Pharao schreiben. Er hatte sein Versprechen gehalten und forderte nun den verheißenen Lohn, weil ihm ein gewisser Fisch namens Salomo ins Netz gegangen war.

Kapitel 16

Nagsara salbte sich das Gesicht mit einer erfrischenden Salbe auf der Basis von Ligusterblättern. Sie hatte sich die Fingernägel goldgelb bemalt und brachte Stunden damit zu, sich zu schmücken und für einen König schön zu machen, den sie fast nie zu sehen bekam. Nach seiner Rückkehr aus Tyros war Salomos Leidenschaft erloschen, und Nagsara hatte vergebens zu den Waffen der Verführung gegriffen. Ihr Gemahl hatte Jerusalem verlassen, ohne sie zu benachrichtigen, und sich in einem bescheidenen Haus in der Gegend von Ezjon-Geber am hintersten Ende des Golfes von Akkaba am Ufer des Roten Meeres niedergelassen.

«Du wolltest mich sehen, Majestät?» fragte der Oberhofmeister besorgt.

«Wo ist mein Gemahl?»

«In Ezjon-Geber.»

«Für wie lange? Seine Abwesenheit wird von Tag zu Tag ärgerlicher.»

«Der König baut einen Hafen», erläuterte der Oberhofmeister und befürchtete schon einen neuerlichen Wutausbruch seitens der Ägypterin. «Was möchtest du zum Abend speisen?»

«Ich habe keinen Hunger!» schrie Nagsara.

Der Oberhofmeister verzog sich. Die Königin ließ sich auf ihr Bett fallen und vergoß bittere Tränen.

In ihrer Not schwor Nagsara herauszufinden, was Salomos Aufmerksamkeit erregen und ihn zu ihr zurückführen würde.

Der aus Afrika kommende Wind tobte über dem Hafen von Ezjon-Geber und hinderte die großen Schiffe daran, in den Hafen einzulaufen. Salomos feines Haar flog im tosenden Sturm, der hohe Wellen auftürmte.

Israels König freute sich über die Arbeit, die Bautrupps unter Anleitung von Jerobeam ausgeführt hatten. Letzterer war glücklich, daß er seine Kenntnisse aufs neue hatte unter Beweis stellen können. Auf knapp tausendvierhundert Morgen war im Handumdrehen eine Stadt entstanden. Gewiß, die verwendeten Materialien waren von mittelmäßiger Qualität, und den Häusern mangelte es an Schönheit und Bequemlichkeit. Doch das Volk Israel besaß endlich einen großen Hafen. Salomo machte sich dennoch nichts vor. Die Hebräer hatten Angst vor dem Meer, hatten lieber festen Boden unter den Füßen. Sie würden es nie mit den phönizischen Seeleuten aufnehmen können, nie die Seefahrtswege des Morgenlands und des Abendlands kontrollieren. Doch das beabsichtigte er auch gar nicht. Wenn hier nach und nach Karawanen durch die befestigten, von sechzehn Ellen hohen Mauern bewachten Tore ein- und auszogen, so diente das der israelitischen Wirtschaft. Bald konnte man auch die beim König von Tyros gekauften Materialien ausladen. Ezjon-Geber würde als Zwischenstation für die afrikanischen, arabischen und indischen Handelswege zahlreiche Schiffe anziehen, die für das Recht auf einen Liegeplatz zahlen würden.

Doch diese Maßnahmen genügten nicht, wenn man einen Tempel finanzieren wollte. Salomo rollte ein Goldkügelchen von der Größe eines Olivenkerns zwischen Zeigefinger und Daumen. Davon gab es noch mehr, mispelgroß und sogar nußgroß, aus dem Lande Ophir, das bei den Ägyptern Punt hieß und bei den Afrikanern Saba. Seine Berge waren aus Gold und Goldstaub. Sein Volk trug Armbänder und Ketten aus einem so lauteren Gold, das man es nicht mehr im Schmelztiegel reinigen mußte. Die Königin von Saba, Balkis, war die reichste Frau der Welt. Sie holte aus ihren Bergwerken ein Rotgold, das keine Spur von Silber aufwies, und obendrein Berylle und Smaragde. Die Sabäer, für ihren friedfertigen Charakter berühmt, verkauften außerdem Opium und Gewürze. An der Spitze ihres Staates stand nach altem Brauch eine Frau, die einem obersten Gott diente.

Salomo brauchte das Gold von Saba, wenn er den König von Tyros bezahlen und den Tempel in Jerusalem bauen wollte. Doch das Wunderland war nur vom Meer her zu erreichen. Aus diesem Grund hatte Israels König einen Hafen gebaut, hatte Handelsschiffe bauen lassen und einen Trupp Fußsoldaten gezwungen, Seeleute zu werden.

Salomos Flotte war mit Öl, Wein und Weizen beladen und sollte demnächst nach Saba in See stechen. Wenn sie mit Rotgold zurückkehrte, würde der junge Herrscher wissen, ob er sein großes Werk vollenden konnte.

Elihap störte Salomos Gedankengänge. Der Schreiber konnte dem Wind wenig abgewinnen und mußte lauter sprechen.

«Verzeihung, Majestät… Aber der Oberhofmeister bittet um deine sofortige Rückkehr nach Jerusalem.»

«Was ist geschehen?»

«Ein Aufstand», teilte ihm der Schreiber mit. «Das Volk erhebt sich.»

Weinkrüge standen umgestülpt auf Wolltüchern. Metzger schwangen ihre Messer und zerfetzten Stoffe. Überall auf dem Boden lagen Fleischviertel, wurden von den Walkern zertreten, die in wilder Unordnung zum höher gelegenen Viertel Jerusalems rannten. Bettler machten sich das Durcheinander zunutze, plünderten die Fischstände und stahlen auf dem Markt Obst. Schuster bewarfen damit die Spitze der Leibwache, die unter dem Befehl von General Banajas den Zugang zu dem Sträßchen abriegelte, das zum Palast führte. Frauen und Kinder hatten sich in die Häuser geflüchtet.

Die wütende Menge war unter Gebrüll durch den Rosengarten gestürmt, der noch aus der Zeit der Propheten stammte. Erschreckte Esel stoben in alle Richtungen davon und warfen ihre Last ab. Es gab keine Gasse mehr, in der nicht die wutentbrannte Bevölkerung tobte und David und sein Geschlecht verfluchte.

In Abwesenheit des Königs kam sich General Banajas verloren und verlassen vor. Sollte er den Bogenschützen den Befehl zum Schießen geben und damit einen Bürgerkrieg entfachen? Er verzweifelte daran, daß man die Ordnung so zum Gespött machte. Nein, er würde das königliche Haus nicht diesem Abschaum ausliefern. Lieber im Kampf fallen.

Auf einmal machten die Rädelsführer kehrt. Etwas Unvorhergesehenes tat sich, dessen Wirkung die Reihen der Aufrührer ins Wanken brachte; von der Unterstadt bis zur unmittelbaren Umgebung des Palastes hörte das Geschrei auf. Sodann legte sich lastendes Schweigen über alles.

Salomo war allein und ohne Leibwache durch das große Eingangstor getreten und ging gemessenen Schrittes an der langen Reihe der Aufrührer vorbei. Viele Bewohner der Hauptstadt sahen ihren König zum ersten Mal ganz aus der Nähe. Keiner von ihnen wagte es, ihn anzufassen, aus Angst, er könnte vom Blitz niedergestreckt werden.

Salomos Miene zeigte keinerlei Furcht. Er wirkte so gelassen, als ginge er allein auf der Heide spazieren.

Er richtete das Wort an einen der Rädelsführer, einen äußerst erregten Gerber mit verarbeiteten Händen.

«Warum dieser Aufruhr?» fragte er.

Der Gerber fiel auf die Knie.

«Gebieter… Die Ägypterin…»

«Was hast du Israels Königin vorzuwerfen?»

«Sie widmet sich dem Schlangenkult, der Schlange, die uns aus dem Paradies vertrieben hat.»

«Wer behauptet das?»

«Es ist die Wahrheit, Gebieter! Du, unser König, darfst eine solche Beleidigung Jahwes nicht dulden!»

«Geh an deine Arbeit zurück. Ich herrsche durch Gottes Gnade, und nur von Ihm habe ich meine Macht bekommen. Ich werde Ihn niemals verraten.»

Der Gerber küßte den Saum von Salomos Gewand. Dann stand er auf und schrie aus vollem Hals: «Es lebe Salomo!»

Der Jubelruf wurde von der Menge aufgenommen.

Eine Stunde später war der Handel auf dem Markt wieder in vollem Gange.

Nagsara, die auf die unnachahmliche Weise der Ägypterinnen geschminkt war, bot ihrem Gemahl die Stirn.

«Ist Israel nicht imstande, andere Kulte zuzulassen? Ist Jahwe in dieser Hinsicht eifersüchtig und dumm?»

«Weißt du nicht, daß die Schlange in den Augen meines Volkes das Symbol des Bösen ist?»

«Dein Volk ist barbarisch. In Ägypten schützt die Kobra, die ich verehre, die Ernte. Wenn ich ihr huldige, bringe ich Israel Wohlergehen.»

Salomo ließ sich von den verliebten Blicken der Pharaonentochter nicht rühren, sondern blieb ernst.

«Nagsara, du bist umfassend gebildet. Du kennst die Fabel von der Schlange, die Adam und Eva verführte, genau. Als du deiner heiligen Kobra öffentlich geopfert hast, da hast du meinen Thron in Gefahr gebracht.»

«Ja, ich habe Jerusalem herausgefordert. Es war das einzige Mittel, dich aus diesem gottverlassenen Hafen am Roten Meer zu locken. Verurteile mich. Bestrafe mich. Aber schenke mir wenigstens einen Blick.»

Salomo nahm die Königin in die Arme und forderte sie auf, sich neben ihn auf ein Lager aus Polstern zu legen.

«Du bist ungerecht, Nagsara. Der Beruf des Königs ist aufreibend. Gott hat mir die Aufgabe anvertraut, Israel zu schaffen.

Das muß doch die wichtigste meiner Beschäftigungen sein, oder?»

Die junge Ägypterin legte den Kopf auf Salomos Brust.

«Ich nehme es hin, daß ich an zweiter Stelle komme, Gebieter, aber ich will geliebt werden… Das Feuer, das du in mir geweckt hast, kann nur durch deine Gegenwart gelöscht werden. Dank dir ist aus meinem Schmerz Glück geworden. Ich liebe dich, mein Gebieter.»

Salomo entkleidete Nagsara mit kundiger Hand, und sie schloß im Freudentaumel die Augen.

Schwalben tanzten im Abendsonnenschein. Sie flogen so schnell, daß Salomo ihnen nicht mit den Augen folgen konnte. Israels König besann sich auf die Legende, laut der diese Vögel die unsterblichen Seelen der ägyptischen Pharaonen waren, die in das Licht zurückkehrten, aus dem sie gekommen waren.

Wie fern er sich ihnen in diesen Augenblicken der Einsamkeit fühlte!

Salomo hatte dem von Nagsara ausgelösten Skandal ein Ende gemacht. Das Volk schenkte ihm weiter Vertrauen, obwohl er der Königin erlaubt hatte, an ihrem Glauben festzuhalten. Von jetzt an würde sie sich ihrem Kult an einem abgeschiedenen Ort, hoch über der Stadt und geschützt vor neugierigen Blicken, widmen. Daß jeder davon wußte, zählte nicht. Wichtig war in den Augen der Priesterkaste nur, daß man nichts sehen konnte.

Nagsara genoß ein wolkenloses Glück. Sie hatte den sinnlichsten Nebenfrauen gelauscht und bot sich ihrem Gemahl mit Begeisterung an. Doch wie hätte sich Salomo ohne Hemmungen an einem Leib, auch wenn er noch so vollkommen war, erfreuen können, da ihn unerträgliche Sorgen quälten?

David und Nathan waren nicht mehr, Bathseba hatte sich zurückgezogen und schwieg, Nagsara kannte nur ihre Selbstsucht, daher hatte Salomo jetzt, im Augenblick eines furchtbaren Fehlschlags, als seine Herrschaft an der Mauer einer unerbittlichen Wirklichkeit zerschellte, keinen Vertrauten mehr.

Seine Schiffe hatten Saba nicht erreicht. Die ägyptische Marine, die diese Gewässer als ihr privates Jagdgebiet betrachtete, hatte sie zurückgeschickt, ohne jedoch Gewalt anzuwenden. Salomo konnte nicht gut protestieren, schließlich hatte er versucht, die wachsame ägyptische Flotte zu überlisten. Eine übereilte Expedition, schlecht vorbereitet… Salomo hatte die Fähigkeiten seiner Seeleute überschätzt.

Das Gold aus Saba würde nicht eintreffen. Israels König würde vor dem König von Tyros das Gesicht verlieren. Der Tempel würde niemals gebaut werden.

Salomo hatte seine Wette mit Gott verloren.