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Der Tempel zu Jerusalem - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

Teil Drei

Braun bin ich, doch schön

ihr Töchter Jerusalems…

Du, den meine Seele liebt,

sag mir, wo weidest du die Herde?

Wo lagerst du am Mittag?

Wozu soll ich erst herumirren

bei den Herden deiner Gefährten?

Das Hohelied Salomos,

erstes Gedicht

Kapitel 46

Von der Grenze Israels bis nach Jerusalem zog die Königin von Saba durch zwei Reihen von Bauern, die ihr ihre kostbarsten Dinge anboten und der Besucherin zujubelten, die aus einem Land kam, das reicher war als die ganze Welt.

In der Nähe der Hauptstadt hatte Salomo Perlen und Diamanten auf die gepflasterte Straße streuen lassen. Hoch oben im Korb auf einem weißen Elefanten, der ihrem kleinsten Wink gehorchte, entdeckte Balkis das Gelobte Land.

Hinreißend schön mit schwarzen, von einem grünen Lidstrich betonten Augen, mit lächelndem Mund, biegsamem Leib, den das Gewand, das mit dem Purpur der Stachelschnecke gefärbt war, kaum verhüllte, um den Hals ein Pektoral aus Lapislazuli, um die Handgelenke goldene Armreifen, flößte die Königin von Saba allen Achtung ein, die in ihre Nähe kamen. Zu einem Charme, der auch das härteste Herz bezauberte, gesellte sich ein Geist so flink wie ein Bergadler.

Balkis hatte sich ein Umschlagtuch aus fließendem Leinen um die Schultern gelegt und reiste an der Spitze eines Zugs aus Elefanten, Kamelen und Pferden, die Gold, Edelsteine, Seiden und Duftsalben trugen. Mehr als tausend schwarzhäutige Sabäer gaben ihnen das Geleit. Ihre Königin hatte die kupferfarbene Haut der Ägypterinnen aus dem Süden. Am Ende des Zugs rumpelten schwere Karren, beladen mit Flaschen voller Myrrhe-, Narden-, Lilien- und Rosenöl und Zimt.

Vor dem großen Tor Jerusalems saß Salomo auf seinem goldenen Thron, der mitten auf einem Pflaster aus Kristall stand, in dem sich der Herbsthimmel spiegelte. Der König war umgeben von Würdenträgern in Seidentuniken, die mit farbigen Bändern geschmückt und mit einem mehrfach um die Mitte geschlungenen Wollgürtel gehalten waren. Die Priesterroben, die von Quasten verschönt wurden, waren in Hyazinthblau gehalten. Zadok prangte auf Befehl des Königs in seiner Amtstracht, auch wenn er gegen den Besuch einer Königin war, die heidnische Götzen anbetete.

«Ob sie mir eine noch größere Macht als meine eigene zeigen kann», dachte Salomo, «und eine größere Weisheit als meine? Ob sie mir dabei helfen kann, den Frieden zu festigen, der der Schlüssel zum Glück der Völker ist?» Der König dachte an Nagsara, deren Anwesenheit ihm erlaubt hatte, mit seinem Werk zu beginnen, als Nardenduft Balkis’ Ankunft meldete.

Der Korb auf dem weißen Elefanten war in Mittagssonne gebadet. Die Königin von Saba mit einer Purpurkrone auf dem Kopf richtete sich auf. Vor dem Dickhäuter bewegten Diener Fächer, um den Parfümduft zu verteilen, der den Zug umwehte.

Salomo erhob sich, als das eindrucksvolle Reittier stehenblieb. Zadok, den die Dreistigkeit dieser Fremdländerin, die es wagte, den Gebieter Israels zu übertreffen, anwiderte, wandte sich ab.

«Königin des reichen Landes Saba, sei willkommen in meinem Land und bei meinem Volk.»

Der Elefant kniete nieder. Zwei Sabäer halfen ihrer Königin beim Heruntersteigen. Etliche Ellen vor Salomo blieb sie stehen.

«Die ganze Welt feiert deine Macht, König Salomo. Ich komme aus einem Paradies, das von Baumeistern erbaut wurde, die die Felsen gezähmt, die Wasser in Kanäle geleitet und die Wüste fruchtbar gemacht haben. Meine Vorfahren haben Seen ausgehoben, Bäume gepflanzt und die Steppe zum Blühen gebracht. Ich habe dir tausend Schätze als Geschenk mitgebracht.

Doch dann habe ich die Straße deiner Hauptstadt mit Perlen und Diamanten bestreut gesehen und mich geschämt. Sollte ich die erbärmlichen Reichtümer Sabas nicht lieber in den Bach werfen? Vor dir wird aller Überfluß zunichte.»

«Mein Palast erwartet dich.»

«Leider kann ich deine Einladung nicht annehmen, Majestät. Morgen ist Sabbat. Keine Fremdländerin darf Jahwes Kult stören. Noch ehe die Sterne am Himmel stehen, hat mein Gefolge am Ufer des Kidron Zelte aufgestellt.»

Salomo war hingerissen von der melodischen Stimme dieser Königin, die sich so gut mit israelitischen Gebräuchen auskannte, und beugte sich Balkis’ Wunsch. Wie hätte er bei all dem jubelnden Beifall für die Herrscherin von Saba wohl das Schluchzen seiner Gemahlin Nagsara hören können, die verlassen in einem prächtigen Palast saß, der ihr Angst einflößte?

Beim ersten Strahl der aufgehenden Sonne bestieg die Königin von Saba ein weißes Pferd und zog in Jerusalem ein. Eine Menschenmenge war zusammengelaufen und bewunderte sie. Selbst der bescheidenste Bettler spürte, daß sich Israels Schicksal von diesem Augenblick an würdig gestalten würde. Der Hohepriester, den man nicht befragt hatte, konnte seinen Zorn kaum zügeln. Insgeheim flehte er Gottes Blitzstrahl auf die Fremdländerin herab. Einige Frauen bedauerten das traurige Los, das Nagsara getroffen hatte. Und jedem fiel auf, daß sonderbarerweise auch der Oberbaumeister Hiram fehlte.

Als sie den Fuß auf die Straße setzte, die zum Tempel führte, betete Balkis zur Sonne. Ihr Gebet empörte die Priesterschar, doch Salomo machte der Königin von Saba, die in einem hellgrünen, sehr schlicht geschnittenen Gewand noch prächtiger anzusehen war als vor zwei Tagen, keinen Vorwurf daraus. Er bat sie, an seiner Seite auf einem Tragsessel Platz zu nehmen, der aus vergoldetem Holz und von Hirams Schreinern geschaffen worden war.

Balkis trug die Haare kurz. Sie waren leuchtend schwarz und so fein wie Augenwimpern. Ihr Gesicht war anmutig wie das einer Hindin, zart wie eine Taube und frisch wie eine Lilie.

«Was ist der wahre Grund für dein Kommen?»

«Ich wollte den Tempel sehen, den alle Leute für vollkommen erachten, und ein Land kennenlernen, das von einem König regiert wird, dessen durchdringenden Geist man rühmt und dessen Worte man aufsaugt. Glücklich, wer deine Frau ist, glücklich, wer dein Diener ist, denn sie dürfen ständig um dich sein. Gelobt sei der Gott, der dich auf Israels Thron gesetzt hat.»

«Diese Worte schmeicheln zu sehr.»

«Hat Jahwe Salomo nicht Klugheit so riesig wie Sand am Meer geschenkt? Strahlt deine Weisheit nicht heller als die aller Söhne des Morgenlandes?»

«Weisheit ist kein Besitz.»

«Sei nicht so bescheiden. Dein Ruf geht weit über Israels Grenzen hinaus.»

Salomo merkte auf. Hatte die Königin von Saba etwa die Absicht, ihm eines dieser gefürchteten Rätsel zu stellen, die den Gelehrtesten zum Gespött machten und den namhaftesten Ruf zerstörten? Wer die Lösung nicht fand, verlor die Ehre.

«Ich muß dir trotzdem einen Vorwurf machen.»

«Welchen?» verwunderte sich der König.

«Man munkelt, daß du den Dämonen befiehlst und daß du die Sprache der Tiere und Pflanzen verstehst. Gewährt dir das nicht Zugang zu verbotenen Reichen?»

«Gibt es für jemanden, der nach Weisheit sucht, denn verbotene Reiche?»

Balkis lächelte.

«Jerusalem ist eine prächtige Stadt», sagte sie sanft.

«Die Erde ist eine von Wasser umgebene Scheibe», bemerkte Salomo. «Und die hat der Baumeister der Welten gezeichnet. In ihre Mitte hat er Israel gesetzt und mitten in Israel den Felsen von Jerusalem, wo sein Geist Gestalt angenommen hat, eine unsichtbare Gegenwart, die die Seelen der Gerechten speist.»

Die Königin von Saba lauschte aufmerksam und genoß die Worte des Königs wie Honig.

«Deine Vermählung mit einer Tochter Siamuns hat für große Aufregung gesorgt», erinnerte sie ihn. «Warum ist sie nicht an deiner Seite?»

«Das ist hier nicht Brauch. Sie ist nur die erste unter meinen Gemahlinnen. Du wirst sie beim Festmahl sehen, das wir dir zu Ehren geben.»

Salomo reichte Balkis den Arm und half ihr aus dem Tragsessel. Zusammen stiegen sie die Stufen hoch, die zu dem Platz führten, wo ihr Priester und Höflinge huldigten. Die Königin von Saba sah sich die Gerichtshalle, das Haus vom Walde Libanon, die Halle der Säulen, die auf das Kidron-Tal ging, den Palast und den Tempel an.

Und sie sah sich an den Wundern satt. Balkis’ Schönheit, die durch die Schlichtheit ihres Auftretens noch mehr erstrahlte, rührte Salomo ans Herz. Die Vollkommenheit der Bauten, die alle Gebäude Sabas übertraf, machte die Königin stumm vor Staunen.

«Wer ist der Erbauer dieser Meisterwerke?»

«Meister Hiram.»

«Ich würde ihn gern kennenlernen.»

Salomo befahl seinem Schreiber, den Baumeister zu holen.

«Nicht nötig», sagte die ernste Stimme des Oberbaumeisters, der auf dem Dach der Gerichtshalle stand.

Balkis blickte zu ihm hoch. Der Oberbaumeister ging zwar auf die Vierzig zu, hatte jedoch nichts von seiner kräftigen Statur eingebüßt. Die hohe, von tiefen Falten durchzogene Stirn war das charakteristischste Kennzeichen eines scheuen Menschen. Sein Auftauchen sorgte unter den Höflingen für Ärger. Er überragte Salomo und die Königin von Saba und bezeugte damit eine Majestät, die einige beleidigend fanden.

Die Königin ließ ihn nicht aus den Augen. Wie Salomo verstand auch sie sich darauf, verbotene Reiche zu betreten und sich mit unsichtbaren Mächten zu unterhalten. Balkis konnte hinter das Äußere der Menschen sehen und bis ins tiefste, verborgene Innere ihrer Seele vordringen.

Salomo besaß die eindrucksvolle Statur eines großen Königs und die Klugheit der von Gott Auserkorenen. Hiram glich ihm, doch in ihm brannte ein anderes Feuer, düsterer und gequälter. Gemeinsam konnten diese beiden Männer die unglaublichsten Werke schaffen. Allein war ihnen das allergrausamste Los beschieden, doch weder der eine noch der andere waren sich dessen bewußt.

«Weißt du nicht, das heute ein freier Tag ist?» fragte Elihap erzürnt.

«Sabbat war gestern», entgegnete Hiram. «Meine Arbeiter werden heute zu Ehren der beiden Majestäten schlemmen. Ich jedoch arbeite, denn das Dach muß fertiggestellt werden.»

Elihap wandte sich an Salomo in der Hoffnung, Unterstützung bei seinem König zu finden. Doch Balkis kam dazwischen.

«Warum rufst du deine Arbeiter nicht zusammen, Meister Hiram? Warum sollen sie nicht an dem Augenblick teilhaben, wenn sich zwei große Königreiche friedlich begegnen?»

Noch nie hatte Hiram eine so schöne Frau erblickt. Ihre elegante Gestalt und ihr zartes Gesicht konnten es mit den hübschesten Ägypterinnen aufnehmen. Ihre Lippen lachten, ihre Augen wirkten nachdenklich. In ihr vereinte sich die Fröhlichkeit einer Verliebten mit dem Ernst einer Königin.

Hiram hatte sich geschworen, die Macht, die er besaß, nie auszunutzen. Doch Balkis stellte ihn auf eine harte Probe, aus der er nicht als Besiegter hervorgehen durfte. Er gab einem Verlangen nach, das aus den Tiefen seiner Seele emporstieg, hob die Arme und bildete mit den Händen ein Dreieck, eine Geste, die bei den Ägyptern ka hieß.

Eine geraume Weile verharrte er so, unbeweglich und einem vor der Sonne erstarrten Späher gleich.

Salomo war gereizt, denn er glaubte, Hiram wäre von Sinnen. Wie wollte es der Baumeister schaffen, die in der Stadt und auf dem Land verstreuten Arbeiter herbeizurufen? Am liebsten hätte der König dieses lächerliche Schauspiel unterbrochen, doch Balkis blickte Hiram eindringlich an.

Auf einmal hörte man Gemurmel am Eingang zum Hof. Die Höflinge schubsten sich; aneinandergedrängelt machten sie den Meistern und Gesellen Platz, die mit streitlustigen Mienen den Hof umzingelten. Aus den Gassen kamen ganze Scharen von Lehrlingen heraufgestiegen, gefolgt von den Handlangern. Steinmetze, Steinhauer, Maurer, Tischler, Schreiner, Gießer, Schmiede – alle zogen in Richtung Tempel und folgten dem Ruf Meister Hirams.

Sie bildeten ein stummes und friedliches Heer, dessen Macht jedoch augenscheinlich war. Binnen einer knappen Stunde hatte Hiram Tausende von Männern versammelt, die sich auf ein Zeichen hin mit dem gleichen Feuereifer und der gleichen Disziplin wie erfahrene Soldaten seinem Befehl unterstellten.

Die Höflinge hatten Angst, Salomo saß unbeweglich da. Dank der Königin von Saba kannte er jetzt die Grenzen seiner Macht: Er regierte in Israel nicht allein.

Der Baumeister verschränkte die Arme.

«Dein Wunsch ist erfüllt», sagte er zu der Königin von Saba.

«Hüte dich, Meister Hiram», murmelte Balkis.

Kapitel 47

Ein lauer Herbstwind wehte, der kleine, weiße Wolken über Jerusalem hinwegblies, die das Ende der großen Hitze ankündigten. Jetzt kam für fröhliche Scharen junger Leute die Zeit, in den Weinbergen unter Feigenbäumen und Ölbäumen zu schlafen, die zwischen den Rebstöcken gepflanzt worden waren, die nicht zurückgeschnitten wurden. Die Erfahrensten zeigten den Neulingen, wie man das Rebmesser handhabte, mit dem man die riesigen, roten Trauben sonnengereiften Weins abschnitt. In der Regel hatte man es damit nicht eilig, doch dieses Mal beeilten sich die Kräftigsten, die Weidenkörbe zu leeren und den Inhalt in einen Keller zu schütten, wo junge Leute mit Begeisterung Trauben traten.

Der Oberhofmeister hatte reichlich Wein angefordert, der beim Festmahl Salomos für die Königin von Saba bestimmt war. Dazu hatte er zahlreiche Tische aufstellen lassen, denn der gesamte Hof wollte an dem Empfang teilnehmen. Er gebot über eine ganze Schar von Köchen und Mundschenken, rannte jedoch von einer Stelle zur anderen, aus Angst, in Verzug zu geraten.

Die sonderbare Haltung des Schreibers fiel ihm auf, der sich an der Mauer entlangdrückte, als er seinem Arbeitszimmer zustrebte.

«Was ist los, Elihap?»

«Nichts… muß Papyrus einordnen.»

Der Schreiber konnte nicht gut lügen.

«Bei all diesen Festlichkeiten habe ich es eilig», meinte der schmerbäuchige Würdenträger. «Du bist besorgt? Warum?»

Elihap drückte einen zerknitterten Papyrus an die Brust.

«Zeig her.»

«Nein…»

«Es gibt Geheimnisse, die sind für einen allein zu schwer zu tragen.»

Elihap hatte so offensichtlich Angst, daß er sich nicht wehrte, als sich der Oberhofmeister des Papyrus’ bemächtigte.

Er las, wurde aber nicht schlau daraus.

«Elihap, benachrichtige auf der Stelle den König.»

Salomo war mit seinen Vorbereitungen gerade fertig, als sein Schreiber um Audienz bat. Gereizt willigte er ein.

«Fasse dich kurz.»

«Majestät… es handelt sich um einen Bericht…»

«Ist er wichtig?»

«Ich fürchte ja.»

«Dann sprich!»

«Die Nachforschungen sind zu einem amtlichen Ergebnis gekommen. Jerobeams treue Leute haben die Einrüstung des ehernen Meeres beschädigt. Sie sind schuld am Tod von Dutzenden von Arbeitern.»

«Jerobeam… Dieser Bericht muß geheim bleiben. Falls etwas durchsickert, mache ich dich dafür verantwortlich.»

Elihap verbeugte sich.

Salomo und die Königin von Saba nahmen bei einem üppigen Festmahl, auf dem Nagsara und Meister Hiram fehlten, den Ehrenplatz ein. Nagsara hatte sich mit hohem Fieber in ihre Gemächer zurückziehen müssen, und Meister Hiram wollte mit seinen besten Arbeitern die Gerichtshalle fertigstellen.

«Diese Mahlzeit ist ein heiliger Akt», sagte Salomo, ehe das Essen aufgetragen wurde. «Es sei Gott dargeboten, so wie Gott es unserem Vorvater Abraham im Kastanienhain von Mamre dargeboten hat.»

Karren hatten Gerste, Weizen, Oliven, Melonen, Feigen, Weintrauben, Granatäpfel, Mandeln, Pistazien, Brombeeren und Schoten vom Johannisbrotbaum herangebracht. Zu Bienenhonig, Weintrauben und Datteln gab es Brot und gebratenes Fleisch. Der Wein, dessen Herstellung Gott Noah verraten hatte, floß in Strömen. Feuriger Rotwein aus Krügen oder Schläuchen rann in Tonbecher.

Der König schenkte Balkis seltene Myrrhe aus Dornengewächsen der finsteren Gegend um Ghor, in deren Einöden die kostbarsten Duftstoffe gewonnen wurden.

Dichter trugen herrliche Gedichte vor, in denen sie die Schönheit Israels und die Tugenden seiner Söhne priesen. Salomo befürchtete, daß die Königin von Saba diesen Augenblick für ihr Rätsel gewählt hatte. Doch Balkis begnügte sich mit dem Verspeisen der Gerichte und beantwortete die bewundernden Blicke der Festteilnehmer mit einem Lächeln.

Jerobeam zog die Kapuze herunter, die seinen Kopf bedeckte. Er hatte sich den Bart abrasiert, die Haare schwarz gefärbt und die Narbe auf der Stirn mit Farbe übermalt.

«Majestät, ich habe mich mit meinem Kommen in große Gefahr begeben.»

«Du hast gar keine andere Wahl gehabt», sagte Nagsara scharf. «Ein Untertan hinterfragt die Befehle seiner Königin nicht.»

Der Riese grinste.

«Ich habe keinen König und keine Königin mehr… Dieser Palast wird mich nie wieder als Speichellecker zu sehen bekommen.»

«Warum dieser Groll?»

«Warum diese heimliche Unterhaltung?»

Nagsara hatte über Elihap als Mittler den Mann zu sich gerufen, den der königliche Schreiber bereits für einen Abtrünnigen und Aufwiegler hielt.

In dem Flügel des Palastes, den die Königin bewohnte, gab es nur noch einen alten Blinden, der sich die Zeit mit Schlafen vertrieb. Das restliche Gesinde bediente beim Festmahl.

Die Ägypterin hatte selbst auch Angst. Jerobeam strahlte die Gewalttätigkeit eines enttäuschten, halsstarrigen Mannes aus, der in seinem Haß zu allem fähig war. Doch es gab für sie kein Zurück. Die Flamme hatte endlich gesprochen. Sie konnte ihr Glück nur durch eine fürchterliche Tat erringen.

«Ich brauche dich, Jerobeam.»

Der ehemalige Fronvogt reckte das kantige Kinn. Israels Königin demütigte sich vor ihm.

«Ich höre, Majestät.»

«Würdest du gern reich sein?»

«Morgen wird mich Salomo verhaften. Geld rettet mich auch nicht mehr.»

«Was willst du dann?»

«Einen von dir eigenhändig geschriebenen Brief, damit mich dein Vater, der Pharao, empfängt. Ich kann mein Leben nur retten, wenn ich nach Ägypten fliehe.»

Nagsara griff zu einer Schreibbinse und verfaßte ein paar Zeilen Hieroglyphen auf sehr teurem Papyrus.

«Dank dieser Botschaft wird dein Wunsch in Erfüllung gehen.»

«Und welchen Dienst soll ich dir erweisen?»

Im Blick der Königin flackerte es beunruhigend.

«Du sollst die Königin von Saba umbringen.»

Die sieben Silbertrompeten, die den Beginn des täglichen Gottesdienstes verkündeten, erschollen. Die Königin von Saba zeigte sich auf der Stelle des Vorhofes, der Heiden vorbehalten war. Zadok und die Priester waren sich sicher, daß sie nicht weitergehen würde. Nur ein wahrer Gläubiger hatte das Recht, diese Grenze zu überschreiten.

Balkis, die in einem Gewand aus Gold und Purpur prangte, blieb stehen.

Salomo ging ihr entgegen. Er reichte ihr die Hand und führte sie zum Platz für die Frauen. Empört wandten sich etliche Priester ab. Als Israels König und die Königin von Saba über den Israeliten vorbehaltenen Hof schritten, stieg Zadok angewidert von soviel Dreistigkeit zum Hauptaltar hinauf, wo Kuchen aus Öl und Mehl, ein Gemisch aus Weihrauch, Onyx und Galbanum und ein Ochsenschenkel lagen. Er widmete sich lieber der Kultfeier, als einem Verstoß gegen die Bräuche beizuwohnen. Doch eine Fliege besudelte das Fleisch, und da wußte der Hohepriester, daß es ein Unglück geben würde. Seit Menschengedenken hatte kein Insekt die dem HERRN geweihten Gerichte unrein gemacht.

Als sich Zadok umdrehte, sah er, wie Balkis und Salomo auf den Priestern vorbehaltenen Hof zugingen…

Zadok entzündete das Brandopfer, warf sich zu Boden und pries Jahwes Namen. Die Tempelmusiker widmeten sich ihrer Aufgabe. Der Älteste setzte ein Widderhorn an den Mund, das an den Laut erinnerte, den Moses gehört hatte, als er den Berg der Offenbarung bestieg. Alsdann fielen Harfen, Querflöten, Zithern, Lyren und Tamburine ein.

Der Rauch des Opfers und die rituelle Musik stiegen zu den Wolken hoch. Zadok kam die Stufen vom Altar herunter.

«König von Israel, ich wehre mich auf das entschiedenste gegen diesen Verstoß gegen das Gesetz. Wir befinden uns hier auf dem Priesterhof, und kein anderer…»

«Alles verlasse den heiligen Ort», befahl Salomo. «Ich möchte mit der Königin von Saba allein sein.»

Der Hohepriester beherrschte seinen Zorn und gehorchte.

Balkis wußte die Menschenleere zu würdigen, die sich ihr nun bot. Jahwes in Sonnenschein gebadeter Tempel gehörte ihr allein. Hirams Meisterwerk gehörte ihr allein. Da ihr die Sonne zu grell schien, sprach die Königin von Saba mit melodiöser Stimme die Namen von etlichen Vögeln aus, und die kamen herbeigeflogen und verdunkelten die Sonne. Eine Haubenlerche setzte sich auf Balkis’ linke Schulter. Jahwes Tempel war erfüllt von Flügelschlag, fröhlichem Geflatter und hellem Gezwitscher.

«Sprichst du die Sprache der Vögel?» wollte Salomo wissen.

«Sie schenken uns ein wenig Frische, Majestät. Verkörpern sich die Seelen der Gerechten nicht in diesen zarten Geschöpfen, die im Licht leben und den Himmel bewohnen?»

Salomo sah keine Bläue mehr und vergaß den Vorhof des Tempels. Er ertrank im Blick dieser Frau, die aus fernen Landen gekommen war, in denen der Odem der Berge zu Gold wurde. Ein unbekanntes Gefühl ergriff sein Herz, ein Gefühl, das ihm die Kraft ewiger Jugend und ein Verlangen wie rauschendes Wildwasser eingab.

Die Haubenlerche flog davon.

Die Steine des Tempels waren in ein goldenes Licht getaucht, wie es am Anbeginn der Zeit entstanden war.

Jerobeam hätte sich keine bessere Gelegenheit wünschen können. Die Königin von Saba stieg allein die Stufen vom Priesterhof hinunter. Salomo folgte ihr nicht, er wirkte wie berauscht von einer Gnade, die er nur allmählich begriff.

Die Königin ging gemessenen Schrittes und bewunderte in aller Ruhe die Gebäude, die Meister Hirams Genie erschaffen hatte. Die Priester hatten sich gemäß Salomos Befehl entfernt.

Wenn Balkis um die Ecke des Hauses vom Walde Libanon bog, wollte Jerobeam zuschlagen.

Salomo hatte sich endlich aufgerafft und folgte der Königin. Doch er kam sich wie in einem Schraubstock gefangen vor, so als ob Balkis eine Distanz zwischen sich und ihn gelegt hätte, die er nicht aufholen konnte. Die junge Frau betrat den Durchgang zwischen der Gerichtshalle und der königlichen Schatzkammer.

Jerobeam machte einen Satz und spannte den Kupferdraht, mit dem er die Königin von Saba erdrosseln wollte.

Balkis zitterte nicht. Sie wußte sofort, daß der Mann, der den Kopf in einer Kapuze verbarg, sie töten wollte. Furchtlos blickte sie ihn an und rief aufs neue eine Unzahl von Vögeln herbei.

Jerobeam machte einen Schritt vorwärts, stieß jedoch gegen eine unsichtbare Mauer. Seine Wut gab ihm die Kraft, um sie herumzugehen. Er stand schon dicht vor Balkis, als er den ersten Schnabelhieb auf seinem Kopf spürte. Der Haubenlerche folgten Raben, Eichelhäher, Elstern und Bussarde, und alle hackten auf ihn ein. Blutend ergriff Jerobeam die Flucht.

Kapitel 48

Salomo und der Hohepriester standen sich in der Vorhalle zu Jahwes Tempel gegenüber und stritten sich öffentlich. Zadok gab keinen Schritt nach. Sein beleidigter Glaube empörte sich gegen das Benehmen des Herrschers. Er war sich des Risikos bewußt, das er einging, wollte sich jedoch der Robe, die er trug, würdig erweisen.

«Majestät, die Königin von Saba ist eine Zauberin. Sie befiehlt den Vögeln. Wenn sie das ausgerechnet auf dem Vorhof zum Heiligtum unseres Schöpfers tut, dann trotzt sie Ihm und beleidigt uns. Daß deine Gemahlin nicht zu unserer Rasse gehört, ist für Jahwe bereits eine schwere Kränkung. Daß du jedoch dieser Götzenanbeterin aus einem Land der Unzucht erlaubst, sich so aufzuführen, das ist eine Sünde, für die Israel mit Blut und Tränen büßen muß. Weise sie aus dem Land und tu Buße. Flehe Gott um Nachsicht an, denn sonst kommt Unglück über dein Volk.»

Zadok redete laut und gestenreich. Salomo bedauerte es nicht, ihn zum Hohenpriester bestimmt zu haben. Er freute sich, daß der Besuch der Königin von Saba bei diesem alten Ränkeschmied ein eingeschlafenes Feuer geweckt hatte. Endlich versuchte er, sich seines Amtes würdig zu erweisen.

Der König ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, sie besänftigte die Gemüter und beschwichtigte die Ängste.

«Zadok, du spielst deine Rolle gut, aber Gott sei Dank regiert der Hohepriester nicht das Reich. Er hat das Glück, in der Welt des Tempels zu leben, und darf über das hinwegsehen, was außerhalb des Vorhofs und der Tempelmauer vor sich geht. Als Israels König jedoch muß ich das Unten mit dem Oben vermählen. Es ist der HERR, der uns die Königin von Saba geschickt hat. Es ist ihr Gold, das uns den Tempelbau ermöglicht hat. Möge sie noch lange unter uns weilen! Ihre Anwesenheit ist die kostbarste Unterstützung für einen Frieden, den wir seit zehn Jahren genießen. Aber man muß weiter daran bauen. Bete du für Israel, Zadok, und laß mich regieren.»

«Ein König, den die Liebe blind macht», dachte Zadok, «ist der noch in der Lage zu herrschen?»

Meister und Gesellen hatten die Baustelle der Säulenvorhalle verlassen, wo Salomo Gericht halten sollte. Die hatte man an den großen Saal angefügt, in dem Botschafter empfangen wurden. Hiram blieb allein zurück und widmete sich seiner Aufgabe. Ein dunkles Gefühl sagte ihm, daß er keine Zeit zu verlieren hatte. Der Drang, etwas zu schaffen, war so stark, daß er sich überhaupt keine Ruhe mehr gönnte. Täfelungen aus Zedernholz vom Boden bis zur Decke machten die Gerichtshalle feierlich und streng. Der Baumeister arbeitete eigenhändig am Schnitzwerk des Throns aus Elfenbein und Gold, dessen Armlehnen wie Löwen geformt waren.

Es war schon lange Nacht, als der Oberbaumeister Holzhammer und Stechbeitel beiseite legte. Er würde zwei, drei Stunden im Schutz der Säulenreihe schlafen, dann zurückkommen und die Baustelle beim ersten Morgengrauen öffnen.

Die Fassade der zukünftigen Gerichtshalle, die in das dunkelblaue Licht des Vollmondes gebadet lag, bestand aus einem langgezogenen Vorbau, den gewaltige Pfeiler ähnlich denen des Osiris-Tempels in Abydos stützten. Rechts vom gepflasterten Hof begann der jähe Hang, der sich nach Jerusalem hinabzog. Hier mußten große Stufen herausgeschlagen werden, damit die Kläger, die vom König Gerechtigkeit forderten, bequemer hochsteigen konnten.

«Es ist spät, Meister Hiram.»

Der Baumeister erkannte die elegante Gestalt der Königin von Saba, die an einen Pfeiler gelehnt die Sonne der Nacht betrachtete.

«Majestät… aber wie…»

«Ich gehe gern allein unter dem Sternenzelt spazieren. Meine Untertanen schlafen. Ihre Seelen ruhen friedlich. Da erscheint einem die Bürde des Königtums nicht mehr so schwer. Ich bitte den Himmel, mich zu inspirieren und zu leiten.»

Hiram hatte nichts als eine Schürze aus abgenutztem Leder an. Seine Hände, seine Arme, sein Oberkörper waren von der Tagesarbeit verdreckt. Niemand hätte ihn von einem einfachen Arbeiter unterscheiden können, wenn da nicht die Kopfhaltung eines Mannes gewesen wäre, der das Befehlen gewohnt war.

«Von wo kommst du, Meister Hiram? Was ist dein Vaterland?»

«Diese Baustelle ist mein Vaterland. Ich komme von einem vollendeten Werk und gehe zum nächsten, das fertiggestellt werden muß.»

«Wo hast du deine Kunst gelernt?»

«In der Wüste beim Betrachten von Steinen und Sand. Das sind die Materialien der Ewigkeit.»

«Nur ein Ägypter kann das so ausdrücken. Aber einem Ägypter hätte Salomo niemals erlaubt, Jahwes Tempel zu bauen!»

Hiram schwieg. Er witterte eine Falle. Ihm war nur die Unterhaltung mit der Materie vertraut, die Fragen dieser Frau mit dem hellen Kopf zu beantworten, das stellte ihn auf eine harte Probe. Doch der Klang ihrer Stimme bereitete ihm Vergnügen.

«Deinetwegen, Meister Hiram, habe ich diese lange Reise unternommen. Dein Freund, der Oberste Ratgeber, gehört deiner Baumeister-Bruderschaft an. Er hat darauf bestanden, daß ich mein Gold schicken und zum Bau des Tempels beitragen sollte. Ich wollte das Gebäude sehen.»

«Bist du enttäuscht?»

«Im Gegenteil. Ich habe zugleich einen großen König entdeckt.»

«Du bist doch Erbin einer uralten Weisheit, Majestät. Willst du wirklich ein Bündnis oder noch Schlimmeres mit dem Sohn eines Hirten, dem Häuptling eines rebellischen Volkes ohne Traditionen, schließen?»

Bestürzt musterte die Königin von Saba den Oberbaumeister.

«Ein verwunderlicher Zorn! Weißt du denn nicht, daß Israel keine schwache Nation mehr ist? Die Traditionen, die ihm noch fehlen, die hast du ihm doch selbst geschenkt, als du diesen Tempel gebaut hast, oder? Bist du eifersüchtig auf Salomo?»

Hiram schlug mit der Faust auf einen Pfeiler ein, verschwand und ließ die Königin von Saba, deren herrlicher Leib in der nächtlichen Bläue durch ihr Leinengewand schimmerte, einfach im Mondschein stehen.

Die ganze Nacht hindurch meißelte Hiram. Ein Fieber hatte ihn ergriffen. Er formte einen Granitblock, dem er Balkis’ Gestalt gab, einer Frau aus Schatten und Licht, einer fernen Göttin, die gekommen war, um die Welt der Menschen zu quälen, einer Erscheinung aus dem Jenseits, die ihm zu nahe war, als daß er sie vergessen konnte. Er formte die runden Brüste, die schmalen Hüften, den flachen Bauch, die langen Beine, und seine Hand zitterte nicht. Sie führte zur verborgenen Schönheit im Stein, ließ eine Königin entstehen, die er liebkosen konnte und die ihm nie gehören würde.

Am Morgen zerstörte er sein Werk.

Salomo stieg die sechs Stufen hoch, die zum Thron führten. Er setzte sich auf den goldenen Sitz und legte die Arme auf die Armlehnen aus Elfenbein.

Ihm fiel auf, daß die Anwesenden zahlreich waren und schwiegen. In der ersten Reihe Zadok und die Priester, hinter ihnen die Würdenträger des Reiches. Links vom Thron, unten an der Estrade, der Oberhofmeister; rechts Elihap mit Palette und einem Bündel Schreibbinsen bewaffnet. Dank der Täfelungen aus Zedernholz glich die Gerichtshalle einer Kapelle, in der niemand seinen Leidenschaften freien Lauf ließ.

Salomo führte den Vorsitz bei seinem ersten Gerichtstag in dem Gebäude, das Meister Hiram gebaut hatte. Dieser arbeitete an den letzten Verschönerungen des Hauses vom Walde Libanon; er baute Verstecke, die die goldenen Schilde aufnehmen sollten.

«Wir haben über das unwürdige Betragen des ehemaligen Fronvogts Jerobeam zu richten. Er ist der Fahnenflucht und des Mordes angeklagt. Auf die Einberufung des Schreibers hat er nicht reagiert. Weiß einer unter euch, wo er sich versteckt?»

General Banajas bat um das Wort.

«Ich, Majestät. Ich habe gerade einen Bericht erhalten, der keinen Zweifel an Jerobeams Ruchlosigkeit läßt. Er ist an den ägyptischen Hof geflohen. Unser Gesetz kennt nur eine Strafe für Mörder und Verräter: den Tod.»

Nagsara weinte heiße, stürmische Kindertränen, die sie nicht zurückhalten konnte. Ihr jämmerliches Komplott war gescheitert. Die Königin von Saba bezauberte weiterhin Salomos Herz. Demnächst würde sie in Israel herrschen und die ägyptische Gemahlin des Königs für alle Zeiten der Verzweiflung und der Schmach überantworten.

Salomo gegenüber empfand Nagsara keinerlei Verbitterung. Er war einer Zauberin erlegen, die in einem verfluchten Land geboren worden und gekommen war, um im Lande Jahwes Unglück zu säen. Ihr Gemahl war ein Opfer böser Mächte, Balkis’ Zauber hatte ihn blind gemacht.

Aber sie, die Ägypterin, würde ihn niemals loslassen.

Der Stolz einer Rasse, die Pyramiden und Tempel gebaut, die Wüste fruchtbar gemacht und die Weisheit vorangetrieben hatte, erwachte in ihr. Dazu kam noch der Adel eines Geschlechts von Königinnen, die sich darauf verstanden hatten, den mächtigsten Staat der Erde zu regieren.

Nagsara stieg auf das Dach des Palastflügels, in dem sie wohnte. Dort stellte sie eine Lampe ab und zündete den Docht an. Die Flamme loderte empor.

Nagsara schnitt sich mit der Spitze eines Stiletts ins eigene Fleisch, an der Stelle, wo der Name Hiram eingebrannt war. Seit einigen Tagen wollte es ihr so vorkommen, als ob er verblaßte. Als ihr Blut floß, fing es die Königin von Israel mit der Hand auf und hielt diese in die Flamme.

«Mein Leben für seinen Tod», flehte sie.

Kapitel 49

Kühles Wasser strömte durch die Gärten, die mit Lorbeerbäumen, Sykomoren und Tamarisken bestanden waren. Aus den grünen Tälern Judäas und Samarias stieg der Duft von Lilien und Mandragola hoch und wurde von einer Brise davongetragen, die durch die Klarheit eines warmen Nachmittags wirbelte.

«Gefällt dir diese Unterkunft, Balkis?»

Salomo führte die Königin von Saba zur Schwelle eines Palastes aus Holz, dessen Brüstungen Schalen mit Blumen zierten und dessen Fenster mit Purpurvorhängen verschlossen waren. Auf dem Dach gurrten Tauben.

«Als Kind habe ich mich hier mehrere Monate lang aufgehalten. Das waren glückliche Stunden. Ich hatte mir geschworen, nicht mehr herzukommen, ehe ich nicht vom wahren Glück gekostet hätte.»

«Die Vollendung des Tempels?»

«Daß ich dich kennengelernt habe, Balkis.»

Die Königin von Saba wich Salomos Blick aus und ging zu einem Ölbaum. Dort griff sie sich einen Stock und schlug gegen die Zweige. Dicke, reife Oliven fielen zu Boden, und sie aß sie auf.

«In der kleinen Mühle hinter dem Haus habe ich gelernt, wie man ihnen das Öl entzieht», sagte der König jetzt. «Das ist mein liebstes Spiel gewesen.»

Salomo entfernte die Bretter, mit denen das Landhaus verriegelt war.

«Ich habe Durst», sagte Balkis.

Der König suchte nach einem Becher, säuberte ihn und goß ihr frisches Wasser aus dem Brunnen ein. Die Königin schüttete es auf die Erde.

«Du, dessen Weisheit überall so berühmt ist, kannst du mir einen Becher mit Wasser reichen, das weder vom Himmel noch von der Erde ist?»

Salomo wahrte kaltes Blut. Meisterhaft geschickt hatte Balkis einen Augenblick der Ruhe gewählt, an dem sie zum Angriff überging und ihm das Rätsel stellte. Der König bemühte sich, regelmäßig weiterzuatmen. Er setzte sich auf den Brunnenrand und dachte nach, ohne sich dabei zu verkrampfen.

Doch erst als er die beiden ungestümen Pferde musterte, die seinen Streitwagen gezogen hatten, dämmerte ihm die Lösung. Er spannte eines aus, bestieg es und galoppierte davon. Als er zum Landhaus zurückkehrte, hielt er den Becher an die Flanke des Pferdes und ließ dessen Schweißtropfen hineinrinnen.

Die Königin von Saba öffnete die rechte Hand. Auf der Handfläche blitzte ein Smaragd.

«Sieh dir diesen Edelstein an, König von Israel. Er ist von zwölf fast unsichtbaren Spiralen durchzogen. Sind deine Finger so geschickt, daß sie einen Faden durchziehen können?»

Salomo nahm den Schatz entgegen. Kein Handwerker, auch der geschickteste, hätte Erfolg gehabt. Er drückte den Stein an die Brust und ging auf einem trockenen, steinbestreuten Weg in Richtung Obsthain. Er hatte sich schon oft unter einem Baum innerlich versenkt und dabei Antwort auf die kniffligsten Fragen gefunden. Er schritt zwischen den Ölbäumen dahin, streifte den Stamm einer Sykomore und entdeckte den Retter in der Not, zu dem es ihn unbewußt gezogen hatte, nämlich einen prächtigen Maulbeerbaum. Dann wählte er sorgsam einen Platz, wo er den Smaragd ablegte, und gesellte sich wieder zu Balkis.

«Ich habe den Smaragd einer Seidenraupe anvertraut, die ihren Faden durch die zwölf Spiralen spinnen und den im Edelstein geschriebenen Tierkreis neu erschaffen wird. Hast du mich auf diese Weise befragen wollen, ob ich die Lehren des Kosmos auch stets befolge?»

Die Königin lächelte.

«Dein Ruf hat nicht getrogen. Du besitzt wirklich große Weisheit.»

«In Wahrheit eine armselige Weisheit! Ich habe die Natur beobachtet wie der einfachste Bauer. Mein Wissen ist groß, behaupten die Arglosen. Doch es ist nichts als eine Ansammlung von Kenntnissen, die belasten wie ein zu voller Schlauch. Dieses Wissen verschafft weder Glück noch Weisheit. Es ist wie ein grauer, niedriger Himmel. Zuviel Wissen verursacht Schmerz und Kummer; wer es unaufhörlich vermehrt, wird darüber zum Toren. Wer würde noch die Gesetze der Schöpfung bemerken? Welcher Gelehrte würde Gott noch jenseits der Form erkennen, jenseits selbst des Lichts, in dem er sich verbirgt? Ich bin kein Weiser, Balkis. Ich habe Abhandlungen über die Geheimnisse der Pflanzen, der Mineralien, der Tiere und der Steine geschrieben. Keiner kennt das Wort des Windes oder die Botschaft der unterirdischen Geister besser als ich. In den kommenden Jahrhunderten werden Zauberer Salomos Schlüssel verwenden, mit dem sie das Tor zu den Mysterien der Natur öffnen. Dadurch werden sie an meiner Macht teilhaben. Aber das alles ist nur eitel. Was könnte ich mir darüber hinaus wünschen? Alle bestätigen mir, daß ich große Macht in Händen halte, alle bemerken, daß ich die Kunst des Heilens und der Beschwichtigung der Seelen ausübe, alle bewundern meinen Erfolg bei der Durchsetzung meiner Ziele, o ja. Nichts wird von diesen falschen Reichtümern übrigbleiben. Sie sind nur ein Trugbild. Ich bin kein Weiser, Balkis, aber ich brauche deine Liebe.»

Die Haubenlerche fiel aus dem Himmel und setzte sich auf die rechte Schulter der Königin von Saba. In ihrem Gesang konnte die junge Frau Worte aus einem uralten Gedicht ausmachen, in dem es um Liebesgefühle ging: «Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will ich ins Myrrhengebirge gehen und zum Weihrauchhügel. Dort wird er auf dich warten und dich verwirren.»

Es gab keinen schöneren Mann als Salomo. Es gab keinen von gewandterem Auftreten. Auch wenn er sich erniedrigt hatte und Qualen litt, die er verheimlichte, so war er noch immer der edle Herrscher, den die Stürme zwar durchschütteln, aber nicht zerstören konnten. Was Balkis verspürte, war mehr als die Bewunderung einer Königin für einen König. Sich in seine Arme zu stürzen, sich an ihn zu schmiegen, sich ihm hinzugeben… warum verbot es ihr Schicksal, daß sie sich wie eine von Leidenschaft berauschte Frau benahm?

«Du bist die Nachfahrin des berühmten Sem, des Vorvaters der Hebräer und der Araber», rief Salomo ihr ins Gedächtnis. «Wenn du einwilligst, mich zu heiraten, erschaffen wir die verlorengegangene Einheit aufs neue. Und wir halten für immer das Gespenst des Krieges fern.»

«Du irrst sehr», hielt sie dagegen. «Das Königreich, das wir schaffen würden, würde zuviel Begehrlichkeit wecken. Unsere Nachbarn würden sich zum Kampf gegen uns vereinen. Und wer von uns würde es hinnehmen, sich dem anderen zu unterwerfen? Salomo, du darfst nicht träumen. Dazu hast du kein Recht.»

«Ich habe vom Frieden geträumt, Balkis, und ich habe ihn errungen. Ich habe vom Tempel geträumt, und er ist gebaut. Ich habe von der Liebe geträumt, und da bist du gekommen. Warum sollte ich diese Hoffnung begraben?»

«Saba ist so weit…»

«Denk darüber nach, bitte.»

Balkis war im Begriff nachzugeben, als sie auf der Straße eine ockergelbe Staubwolke erblickte. Ein Reiter, der zur Leibwache des Königs gehörte, tauchte auf. Atemlos wandte er sich an König Salomo und sagte gehetzt:

«Verzeihung, Majestät… aber deine Mutter liegt im Sterben.»

Salomo hatte den Wunsch seiner Mutter befolgt und Bathseba seit dem Tag nicht wiedergesehen, als sie beschlossen hatte, den Hof zu verlassen und sich in ein Haus am See Genezareth zurückzuziehen, wo David sie geliebt und darüber einen Sommer lang die Anforderungen seines Amtes vergessen hatte.

Bathseba auf ihrem Sterbebett wiegte sich in leidenschaftliche Erinnerungen, in denen der König mit der Lyra sie mit seinen Gedichten bezauberte.

Als Salomo an ihr Lager trat und niederkniete, damit er seiner Mutter die Hand küssen konnte, machten die Todesqualen der alten Königin aufs neue zu schaffen.

«Endlich, mein Sohn… ehe ich ins Reich der Schatten gehe, wollte ich dich ein letztes Mal sprechen.»

«Warum diese düsteren Gedanken?»

«Eine Königin weiß, wann sie stirbt, und empfängt den Tod wie einen wohlwollenden Freund. Aber das Herz blutet mir deinetwegen.»

«Welchen Schmerz habe ich dir bereitet?»

«Du vernachlässigst die Frau, die dich liebt. Du suchst nach Freuden, die sich in Traurigkeit umkehren werden.»

«Ich will nichts als Frieden, Mutter.»

«Den wird die Königin von Saba nicht festigen. Nagsara hat ihn dir gebracht. Du machst einen großen Fehler, wenn du sie nicht achtest. Und jetzt geh, ich muß mich bereit machen. Sei gerecht, Salomo. Sei deines Vaters würdig.»

Balkis hatte die Nacht lieber in dem Landhaus verbracht. Die Sonne war bereits aufgegangen, als es an die Tür klopfte. Die junge Frau lief und öffnete, denn sie erwartete Salomo, von dem sie die ganze Nacht geträumt hatte. Doch es war nur ein Grünspecht mit rotem Kopf, der pfeilgeschwind davonflog.

Enttäuscht trat sie barfuß in den Morgentau und freute sich an dem klaren Morgen und dem Gesang der Vögel. Konnte sie sich Salomos Anträgen noch länger verweigern? Wenn sie den König von Israel heiratete, würde Saba nur noch ein Anhängsel Israels sein. War das nicht Verrat am Land ihrer Vorfahren? War Salomos Liebe ein solches Opfer wert?

Als sie Frauen sah, die Wasser schöpften, ging sie ins Haus zurück und hob einen Krug auf die Schulter. In eine schlichte Tunika gekleidet, gesellte sie sich zu ihnen. Zunächst waren sie abweisend, doch dann gewann Balkis sie mit ihrem Lächeln, und sie bezogen sie in ihr Gespräch ein. Da sie allein und ohne Gefolge kam, mußte sie eine Dienerin sein.

Die Königin hörte sich ihre Klagen bezüglich der harten Feldarbeit, der Heftigkeit des Chamsin und der Voraussagen eines bitterkalten Winters an.

«Was ist in Jerusalem los?» fragte sie. «Empfängt man dort nicht eine Fremdländerin mit allen Ehren bei Hofe?»

«Die Königin von Saba… Man sagt, daß sie Salomos Herz erobert hat.»

«Denken sie an Heirat?»

«Das wäre ein Unglück!» bekräftigte eine Bäuerin. «Nagsara ist Salomos Gemahlin, Nagsara, die Ägypterin, und keine andere! Das Volk hat sie angenommen. Wenn der König weise ist, so gibt er diesem augenblicklichen Verlangen nicht nach.»

«Sie soll sehr schön sein», sagte ihre Gefährtin. «Und unser König ist so verführerisch…»

«Laßt sie doch von den Freuden der Liebe kosten, Hauptsache, Salomo achtet seine Ehe!»

«Ist eine Vermählung mit der Herrscherin von Saba nicht gut für den Frieden?» fragte Balkis.

«Ein Hirngespinst!» meinte die ungestümste der Bäuerinnen. «Dank der Pharaonentochter leben Israel und Ägypten in gutem Einvernehmen. Saba bringt uns nur Unglück. Salomo sollte sich lieber um den Baumeister aus Tyros kümmern.»

«Und warum?»

«Dieser Hiram mit seinen Heerscharen von Arbeitern ist der wahre Herr des Landes. Er kann alles schaffen, alles bauen. Er gibt sich wie ein Fürst. Und die Dämonen lassen ihm freie Hand.»

«Was sollte Salomo tun?»

«Ihn loswerden! Wenn nicht, wird er seinetwegen den Thron verlieren. In unserem Land ist kein Platz für zwei Könige.»

Mit gefülltem Krug wanderte Balkis in den nahe gelegenen Obsthain und setzte sich unter einen Feigenbaum. Eine süße Frucht im Mund, kühler Schatten, laue Luft… Israel glich einem Paradies. Ein Paradies, dessen Königin sie nicht sein würde.

Kapitel 50

Von Osten bliesen stürmische Winde und drückten den übelkeitserregenden Rauch des Brandopfers nach Jerusalem hinein. Weihrauch und verbranntes Fleisch vermischten sich zu einem abscheulichen Geruch. In Israel war es plötzlich so kalt geworden, daß zahllose Priester erkrankten, da sie barfuß auf den Steinen des Vorhofes gehen mußten. Erkältungen und Durchfall hielten sie von den Gottesdiensten fern, so daß deren Ausgestaltung zu wünschen übrigließ.

Salomo hatte sich in seinem Palast eingeschlossen. Seit einer Woche gewährte er keine Audienzen mehr. Nachdem ihm die Königin von Saba mitgeteilt hatte, daß sie ihn auf keinen Fall heiraten würde, hüllte er sich in Schweigen und weigerte sich sogar, Zadok und Elihap zu empfangen.

Die letzten Priesterwohnungen waren fertiggestellt. Hiram hatte befohlen, die Gerüste zu entfernen und die Fassaden zu verputzen. Jerusalems heiliger Bezirk auf dem vom Baumeister gezähmten Felsen erstrahlte in beinahe vollendeter Pracht.

Wie hätte sich Salomo darüber gefreut, er, der zum ersten Mal im Leben gescheitert war, und das noch dazu so ungemein schmerzlich.

Von Ezjon-Geber am Ufer des Jordan wanderte Hiram von Baustelle zu Baustelle. Da die großen Arbeiten in Jerusalem beendet waren, gab er der Handwerkerschaft neue Aufgaben, denn die hing von seinen Befehlen ab. Statt Anarchie herrschte Ordnung in seiner Bruderschaft. An die Spitze jedes Handwerks hatte er einen Verantwortlichen gestellt, der dem Meisterrat Rechenschaft schuldete. In einigen Jahren würde Israel ein neues Ägypten sein. Schreiner und Steinmetze erneuerten die Dörfer, schufen neue Tempel und verschönerten die Städte.

Anup begleitete den Oberbaumeister überall, während sich Kaleb sorgfältig um die Höhle kümmerte, in der Hiram noch immer beharrlich lebte, denn andere Wohnungen lehnte er ab. Nur dort gestand er sich zwischen zwei Reisen einige Ruhestunden zu. Der Hinkefuß hatte einen Weg bis zu einer unweit gelegenen Quelle freigeschlagen, die in einem Dickicht aus Gestrüpp, Jasmin und kleinen Palmen verborgen lag. Salomo höchstpersönlich hatte diese Wasserader zu Beginn seiner Herrschaft mit der Wünschelrute aufgespürt, die ihm sein Vater vererbt hatte.

Dorthin ging der Baumeister jeden Morgen und wusch sich.

Er hatte nicht erwartet, die Königin von Saba dort nackt anzutreffen, die sich anmutig mit sonnenglitzerndem Wasser bespritzte.

«Nicht weglaufen, Meister Hiram. Erschreckt dich die Vision einer Frau? Wer macht in Ägypten bei Festmählern Musik, wenn nicht nackte Frauen?»

Der Baumeister drehte sich um und lehnte sich an einen Palmenstamm.

«Dein Platz ist nicht hier.»

«Warum sollte sich eine Königin nicht mit dem mächtigsten Mann im Land unterhalten?»

«Wer wagt es…»

«Das Volk, Meister Hiram, und seine Stimme lehrt uns etwas.»

«Ich kenne nur die meiner Arbeiter. Mein Beruf ist nicht Herrschen.»

«Bist du in dieser Hinsicht neidisch auf Salomo?»

«Heirate ihn nicht, Majestät.»

Die Königin kam aus dem Wasser, trocknete sich mit weißem Leinen ab und zog ohne Eile eine leichte Tunika an.

Hiram hatte den Blick nicht von ihr abwenden können. Sie hatte überhaupt nicht versucht, sich zu verstecken.

«Ich werde Salomo nicht heiraten», teilte sie ihm mit. «Aber das hindert mich nicht daran, ihn zu lieben.»

«Du liebst ihn nicht. Er reizt dich. Er fasziniert dich wie der Berglöwe. Er wird dich ersticken.»

«Wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Ich habe von Israels König nichts zu befürchten.»

«Ich muß gehen, Majestät.»

«Warum fliehst du? Warum flüchtest du dich in eine Arbeit, die deinen hohen Zielen nicht mehr angemessen ist?»

Balkis schöpfte mit der rechten Hand Wasser.

«Hörst du, wie es zwischen meinen Fingern verrinnt? Denke an dein Schicksal, das sich in diesem Land erschöpft, während es in Saba neue Kraft gewinnen könnte, ist es nicht so?»

«Das sind zu viele Fragen, Majestät.»

Er ging, und Balkis blickte ihm nach. Er war ihr ein zweites Mal entkommen.

Als der Himmel dunkelblau wurde und sich mit Sternen schmückte, begab sich Nagsara zum Fuß des Felsens. Sie hatte den Kopf mit einem Schleier bedeckt, bloße Füße und glich so den Dienerinnen, die Wasser für den Frondienst schleppten.

Angst schnürte ihr die Kehle zu. Würde Meister Hiram auf ihre Aufforderung reagieren? Hatte der Hinkefuß ihre Botschaft überbracht? Der heilige Bezirk über ihr erdrückte sie schier mit seiner beeindruckenden Masse. Wie sich die Hauptstadt Israels doch verändert hatte! Die Stadt Davids war Salomos Königreich geworden. Niemand dachte mehr daran, den Ruf des Königs in Frage zu stellen. Gott hatte seinem Volk einen außergewöhnlichen Führer geschenkt, dessen Andenken so glorreich sein würde wie das von Moses.

Nagsara hätte glücklich sein können, falls er ihr ein wenig Liebe geschenkt hätte. Als Salomo sie vergaß, hatte er sie ausgelöscht. Diese verfluchte Balkis hatte Zauberkünste spielen lassen, denen die Pharaonentochter nichts entgegenzusetzen hatte.

Sie sah Hiram einen steilen Pfad hochsteigen. Auch er hatte das Gesicht verhüllt, doch es gelang ihm schlecht, seinen eindrucksvollen Wuchs und seine Herrscherhaltung zu verbergen. Neben Salomo war er der einzige Mann, der Nagsara so beeindruckte, daß sie innerlich zitterte. Er besaß nicht die strahlende Schönheit des Königs, doch sein Ernst und seine Kraft machten ihn ebenso anziehend.

«Ich bin da, Königin von Israel.»

«Ich brauche dich, Meister Hiram.»

Der Baumeister spürte, wie verstört die Königin war. Ihre Stimme zitterte. Als der Mondschein ihre Züge erhellte, merkte er, daß sie sehr abgemagert war.

«Hilf mir, Salomo zu retten. Er muß aus dem Bann dieser Sabäerin befreit werden. Du bist Ägypter, da bin ich mir sicher. Wir gehören derselben Rasse an. Der Nil ist uns Vater und Mutter. In diesem fremden Land, in dem das Schicksal mich zu leben verurteilt, bist du meine einzige Stütze. Darum ist dein Name auch in meine Kehle eingebrannt.»

Wie von Sinnen warf sich Nagsara dem Oberbaumeister an die Brust.

«Halte mich fest… mir ist kalt, und ich bin müde, so müde… Ich wollte doch nur geliebt werden. Warum begreift Salomo das nicht?»

«Der König wird Balkis nicht heiraten», teilte Hiram ihr mit.

Der jungen Ägypterin wurde wieder warm. Wie wohl sie sich fühlte, wie aufgehoben! Ach, wenn doch dieser Oberkörper, dieser Arm, dieses Gesicht dem Mann gehört hätten, den sie anbetete.

«Man muß die Frau aus dem Land jagen», beharrte sie. «Sie bringt Unglück. Das Flammenorakel hat mich gewarnt. Sei du das Instrument meiner Rache.»

«Was verlangst du von mir?»

«Daß du Salomo überzeugst, sie nach Saba zurückzuschicken.»

«Ist das nicht etwas kindisch?»

«Du bist der heimliche Herr dieses Landes. Wenn deine Arbeiter streiken, ist der König gezwungen, dir zu gehorchen.»

«Meine Arbeiter arbeiten, bis sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Arbeit richtig auszuführen. Streik ist wie Krieg. Er darf nicht zur Erpressung dienen.»

«Dann bringe Balkis um!»

Nagsara löste sich aus Hirams Umarmung. Ihr Aufschrei hatte den Haß aufgezeigt, der sich während vieler schlafloser Nächte aufgestaut hatte.

«Meine Hände sind zum Bauen bestimmt, nicht zum Töten. Was du verlangst, ist Wahnsinn.»

«Dann verachtest du mich auch…»

Nagsara sank gegen den Felsen. Welchen Beistand hätte ihr Hiram auch in der Finsternis bringen können, in der sie unterging?

Auf Befehl Salomos und nach einem diplomatischen Briefwechsel hatte sich Elihap den Winter zunutze gemacht und war nach Ägypten aufgebrochen, um das Problem Jerobeam am Hofe des Pharaos zu lösen. Zwar war das zwischen Ägypten und Israel geschlossene Bündnis durch Nagsaras Anwesenheit in Jerusalem nicht in Frage gestellt, doch es war Brauch, daß Siamun einen Feind Salomos auslieferte und andersherum genauso.

Elihap merkte, daß der vom Sohn Davids begründete Frieden kein Wahnbild war. Er reiste mit kleinem Gefolge und kam durch glückliche Städte und Dörfer, in denen die Handwerker aus Hirams Bruderschaft die alten Häuser ausbesserten und neue bauten. Bis zur Grenze sah Salomos Schreiber ein friedliches und blühendes Land. Ein Trupp ägyptischer Soldaten empfing ihn und geleitete ihn bis zur prachtvollen Stadt Tanis, die von Kanälen durchzogen wurde, an die Gärten und Parks grenzten, in denen sich die Herrenhäuser des Adels versteckten.

Elihap verwunderte sich über die Stille auf den Straßen. Die Ägypter hatten den Ruf, frohe und lachende Menschen zu sein. Auf den Märkten wurde tüchtig gestritten. In der Regel waren die Hauptstraßen der Stadt von zahlreichen Karren befahren. Doch Tanis wirkte so leblos, als hätten es alle Bewohner verlassen.

Die Flure des Palastes waren leer. Kein einziges Grüppchen von Höflingen in eine Unterhaltung vertieft. Ein Hofmeister führte Elihap in das weiträumige Arbeitszimmer des Wesirs, dessen Fenster auf einen Teich mit Seerosen gingen. Der Oberste Berater Ägyptens war ein hochgewachsener und herrischer Mann. Der kleine, schwarze Schnurrbart konnte seine strenge Miene auch nicht mildern.

«Verzeih diesen jämmerlichen Empfang, aber die Zeiten sind düster. Der Pharao ist ernstlich erkrankt.»

«Befürchtest du, daß er stirbt?»

«Die besten Ärzte sind an Siamuns Krankenlager. Sie haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.»

«Dann kommt dir mein Besuch wohl ungelegen.»

«Keineswegs. Doch du mußt verstehen, daß jetzt viele Angelegenheiten, auch wenn sie noch so dringlich sind, liegenbleiben müssen. Das ist jedoch kein Hinderungsgrund, sie anzusprechen.»

«Der Fall Jerobeam beispielsweise…»

«Der wohnt augenblicklich in einem Landhaus im Delta. Unsere beiden Länder sind Verbündete. Hebräische Staatsbürger, die unsere Gesetze achten, können sich in Ägypten frei bewegen.»

Salomos Schreiber witterte, daß ihm das Glück hold war. Siamuns Nachfolge versprach, schwierig zu werden. Man raunte den Namen eines Libyers, der, einmal auf dem Thron, sofort daran denken würde, den Frieden zu brechen und Gegner Salomos zu begünstigen. Jerobeam, dem Verbannten, winkte vielleicht eine große Zukunft am zukünftigen, ägyptischen Hof. Elihap war es sich schuldig, auf mehreren Ebenen gleichzeitig vorzugehen. Der Erfolg schien ihm gewiß, vorausgesetzt, er stellte einen gefährlichen Gegner kalt, der sich niemals in seine Strategie einbinden ließ.

«Durch meinen Mund wünschen Israels König und sein Volk unserem Bruder, dem Pharao, baldige Genesung. Was Jerobeam angeht, so üben wir uns in Geduld und warten auf die Entscheidung des Pharaos.»

Diese Einstellung freute den Wesir. Siamuns Seele würde demnächst vor den Toren des Jenseits stehen. Kein Arzt konnte ihn retten. Und im Schatten hielt sich schon der Libyer bereit. Seine Parteigänger waren zahlreich und entschlossen. Jerobeam, der seinen Haß auf Salomo nährte, hatte ihn schon kennengelernt. Man zwang den Wesir also nicht, Jerobeam auszuliefern, und das verschaffte ihm die nötige Zeit, die neue Lage besser einzuschätzen, die sich in den nächsten Monaten ergeben würde.

«Salomos Weisheit wird ihrem Lob gerecht», meinte er. «Ägypten ist ihm für seine Nachsicht verbunden.»

«Uns drückt eine größere Sorge», teilte ihm Elihap mit.

«Und die wäre?»

«Der zu große Einfluß des Oberbaumeisters, der den Tempel gebaut hat, Hiram, der Tyrer. Die Mitglieder seiner Bruderschaft sind überall in Israel. Sie gehorchen nur ihm. Salomo ärgert sich darüber, aber wie könnte er gegen den Erbauer von Jahwes Tempel vorgehen? Ich hätte gern gewußt, was deine Regierung bezüglich Hirams denkt.»

Der Wesir, der Augen und Ohren des Pharaos sein durfte, wußte, daß Hiram niemand anders war als der Baumeister Horemheb, den das Haus des Lebens ausgeschickt hatte. Und er fragte sich schon lange, warum er nach Beendigung der Arbeiten auf dem Felsen von Jerusalem nicht nach Hause gekommen war. Dieses Geheimnis kannte allein Siamun.

«Wir dürfen zum Geschick eines fremdländischen Baumeisters keine Stellung nehmen», sagte der Wesir.

«Er jedoch äußert sich heftig gegen Ägypten», entrüstete sich Elihap. «Unaufhörlich spricht er von seinem Haß auf den Pharao, so daß Salomo ihm schon befohlen hat, den Mund zu halten.»

Aha, schloß der Wesir, dann ist der frühere Horemheb wahrhaft zu Hiram geworden. Die Vergünstigungen seiner Stellung haben ihn geködert, er hat seine Abstammung vergessen und seine Herkunft verraten. Und wie alle Abtrünnigen gibt er sich als wilder Gegner des Landes, das ihn gehegt und gepflegt hat.

«Salomo ist ein duldsamer König», bekräftigte Elihap. «Seine hohen Würdenträger müssen ihn davon abhalten, allzu großzügig zu sein, insbesondere hinsichtlich Hirams. Nimmt Ägypten daran Anstoß?»

«Ich wiederhole: Es ist nicht unsere Sache, uns um fremdländische Baumeister zu kümmern.»

Kapitel 51

Das Gefolge der Königin von Saba hatte seine Zelte auf einer Blumenwiese gegenüber von Jerusalem aufgeschlagen. Hirams Handwerker hatten Gartenhäuschen und Pavillons aus leichtem Material aufgestellt und der Herrscherin ein elegantes Schloß aus Holz gebaut.

Balkis schlief unter einem Feigenbaum und träumte von einer Liebe so stark wie der Tod, so feurig wie eine Flamme des HERRN, die viele Wasser nicht auslöschen und Ströme nicht ertränken konnten. Als sie Salomo ihren Entschluß mitteilte, hatte sie geglaubt, sich von einer unerträglichen Last befreit zu haben. Aber die war statt dessen noch drückender geworden. Doch wie sollte sie Hiram aufgeben, diesen Oberbaumeister, der wahrhaft einem König gleichkam? Wie Salomo verlassen, diesen König, der sie zur Sklavin gemacht hatte?

Sie ärgerte sich über sich selbst und stieg in den Garten hinunter, wo zwischen den Granatapfelbäumen ein Weinstock stand. Selbst die schönsten Naturschauspiele einer großzügigen Natur erfreuten sie nicht mehr. Sie schlenderte ziellos dahin, wartete auf ein Zeichen, ein Versprechen. Auf einmal blieb sie stehen. Waren das nicht die Räder eines Streitwagens auf der gepflasterten Straße? Horch! Mein Geliebter! Sieh da, er kommt. Er springt über die Berge, hüpft über die Hügel. Der Gazelle gleicht mein Geliebter, dem jungen Hirsch. Ja, dachte sie, draußen steht er verborgen vom Weinstock und hinter der Mauer. «Bleib!» rief sie. «Fahre nicht fort!» Der Streitwagen hatte angehalten. Machte Salomo einen Fehler, wenn er hierherkam und Balkis gestand, daß er sie nicht aus seinen Träumen vertreiben konnte?

Die Königin von Saba war schön wie ein strahlender Frühlingstag. Ihr leichtes, gelbes Gewand ließ Schultern und Busen frei. Ein roter Gürtel betonte ihre schmale Taille. Salomo hatte Angst, Angst, noch mehr bezaubert zu werden.

«Bleib», bat sie. «Ich will für dich tanzen.»

Barfuß deutete sie eine Spirale an, ihr Leib rollte sich zusammen wie ein Blatt, das um den Zweig flattert, von dem es sich lösen will. Sie zeichnete unsichtbare Windungen nach, schuf einen stummen Rhythmus, der sich in das Geraschel der Blumen fügte.

Salomo stürzte zu ihr und schloß sie in die Arme.

«Balkis, oh, wie liebe ich dich… Von deinen Lippen tropfen Honig und Milch, der Duft deiner Kleider ist wie des Libanon Duft. Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut, ein versiegelter Quell, ein Lustgarten sproßt aus dir, ein Brunnen lebendigen Wassers… Deine Liebe ist süßer als Wein, der Duft deiner Salben köstlicher als alle Balsamdüfte…»

Die Augen der Königin wurden ein Himmel der Hoffnung. Salomo wußte, daß sie nicht mehr mit seiner Leidenschaft spielte. Am Ende eines langen Kusses drückte er sie zärtlich zu Boden und bettete sie auf das gemähte, sonnenwarme Gras. Mit zarter und kundiger Hand entkleidete er sie. Ihre Augen ließen ihn nicht mehr los. Und während sie die Liebe entflammte, setzte sich eine Haubenlerche in den Wipfel des Granatapfelbaums und schützte sie vor einer in Vergessenheit geratenen Welt.

«Du brauchst mich nicht mehr», meinte der Hinkefuß.

«Ich hatte dir einen Auftrag anvertraut», rief Hiram ihm ins Gedächtnis.

«Der ist ausgeführt», meinte Kaleb. «Tempel und Palast sind fertig. Ich muß auf dem Felsen niemanden mehr überwachen.

Du rennst von Baustelle zu Baustelle, und ich, ich sitze allein in dieser feuchten Höhle.»

«Sie ist sehr trocken und ungemein bequem.»

«Es tut einem Menschen nicht gut, wenn er allein in einem Haus schlafen muß, selbst wenn es ein so elendes wie das hier ist. Er kann einer Dämonin zum Opfer fallen, und diesem schlimmen Schicksal möchte ich entgehen.»

«Wie denn?»

Verlegen beschäftigte sich der Hinkefuß mit dem Kochtopf, in dem Gemüse köchelte.

«Glücklich der Mann, der eine gute Ehefrau hat», sagte Kaleb mit Nachdruck. «Die Zahl seiner Tage verdoppelt sich. Eine kräftige Ehefrau erfreut ihren Mann und sichert ihm friedliche Nächte. Eine solche Frau ist der allergrößte Schatz! Und den schenkt der HERR nur den wahren Gläubigen… selbst wenn der Ehemann einer solchen Frau arm ist, so ist er dennoch glücklich zu preisen. Die Zuneigung einer ehrlichen Frau macht den Ehemann satt und seine Knochen kräftig. Durch sie bleibt er rüstig bis ins hohe Alter.»

Hiram kostete von der Gemüsebrühe.

«Bedeutet diese schöne Rede, daß du heiraten willst?»

Der Hinkefuß verzog das Gesicht.

«Vielleicht… will sagen, gewiß. Eine arbeitsame und sparsame Arbeiterin.»

«Der du nachgestellt hast, seit wir in Jerusalem sind?»

Verdutzt musterte Kaleb Hiram, so als wäre dieser ein aus den Tiefen der Erde emporgestiegener Teufel.

«Woher weißt du das?»

«Eine einfache Schlußfolgerung. Bist du dir sicher, daß dich das glücklich macht?»

Der Baumeister füllte eine Schale und gab sie seinem Hund, der die Brühe eifrig aufschleckte.

«Ganz sicher. Ich bringe nichts mit in die Ehe, aber sie ist mit mir allein zufrieden.»

«Wohin ziehst du?»

«In ein Dorf in Samaria, wo ihre Eltern einen Hof haben.»

«Hast du keine Angst, daß du tüchtig arbeiten mußt?»

«Immer noch besser, als langsam einzugehen wie bei dir.»

«Bin ich so grausam?»

«Die Atmosphäre in dieser Stadt sagt mir nicht mehr zu. Als dein Diener riskiere ich zuviel.»

«Übertreibst du nicht?»

«Du bist hoch gestiegen, Meister Hiram, aber du kannst Gefahr nicht gut einschätzen. Deine Macht wird Salomo am Ende lästig werden, und dann kennt er kein Erbarmen.»

«Deine Weissagungen sind nicht oft eingetroffen.»

«Wenn du vernünftig bist, gehst du zusammen mit mir.»

«Willst du mich wirklich verlassen, Kaleb?»

Der Hinkefuß kehrte ihm den Rücken zu und wischte sich eine Träne ab.

«Sie zwingt mich dazu, Meister Hiram. So begreife doch.»

«Du bist mein Freund gewesen.»

Kaleb hatte keinen Hunger mehr.

«Ich gehe jetzt zu ihr. Wenn ich noch länger bleibe, fehlt mir am Ende der Mut.»

Sein Hinken war noch ausgeprägter.

Am liebsten hätte Hiram ihn zurückgehalten. Doch mit welchem Recht konnte er einen anderen Menschen aufhalten, der anderswo sein Glück suchte? Der Baumeister bedauerte, daß er sich nicht genug mit ihm unterhalten, daß er ihn nicht in die Geheimnisse des Bauzeichnens eingeführt hatte. Doch das waren lediglich eitle Gedanken. Der Hinkefuß verließ ihn und zog auf dem Pfad einen Esel hinter sich her, den er mit seiner spärlichen Habe beladen hatte.

Eine feuchte Hundenase liebkoste Hirams Hand. Sein Hund dankte ihm für ein ausgezeichnetes Mahl. Die Augen des Tieres zeigten eine Liebe so klar wie ein Bergquell.

Als die Diener Nagsara auf der Lagerstraße herankommen sahen, benachrichtigten sie eilig die Königin von Saba. Gerüchte, daß Salomos Gemahlin einen wilden Haß auf Balkis hegte, hatten die Runde gemacht.

Vor sich zwei Soldaten und hinter sich mehrere Dienerinnen, so nahte Nagsara in ihrer Amtsrobe, die mit einer goldenen Fibel geschlossen war. Auf ihrem Haar blitzte ein Türkisdiadem. Ihre Kleidung gab dem Besuch einen offiziellen Anstrich.

Balkis speiste auf dem Dach ihres Holzpalastes zu Mittag. Eine Dienerin parfümierte ihr die Haare. Eine andere schenkte neuen Wein in einen Becher. Anscheinend freute sich Balkis sehr über den Besuch von Israels Königin. Sie erhob sich und verneigte sich.

«Welch schöne Überraschung, Majestät! Verzeih meinen Aufzug… Wenn du dich angekündigt hättest, ich würde dich mit dem deiner Stellung zukommenden Prunk empfangen haben.»

«Bitte, lassen wir doch dieses Zeremoniell, ja?»

«Darf ich dich an meine Tafel bitten?»

«Ich habe weder Hunger noch Durst.»

«Dann laß uns unter dem Feigenbaum miteinander reden. In Israel symbolisiert er, glaube ich, Frieden.»

Die beiden Königinnen gingen den sanften Hang hinunter, der zum Obsthain führte. Wie zart, fast zerbrechlich Nagsara doch wirkte! Die Sabäerin schlug der Ägypterin vor, Umhang und Diadem abzulegen. Doch die weigerte sich knapp. Balkis setzte sich zu Füßen eines Baums, Nagsara blieb stehen.

«Kehre nach Hause zurück», forderte sie. «Deine Anwesenheit richtet Schaden an.»

«Deine Stimme zittert», meinte Balkis. «Du bist erschöpft. Warum ruhst du dich nicht neben mir aus?»

«Weil ich dich verabscheue!»

«Das glaube ich nicht. Du leidest, du bist unglücklich. Und du weißt, daß ich nicht dafür verantwortlich bin.»

Kummer bemächtigte sich Nagsaras Seele. Sie hatte sich auf eine heftige Auseinandersetzung, einen so lebhaften Streit gefaßt gemacht, bei dem sie ihre ganze Kraft gebraucht hätte, um die Gegnerin zu vernichten. Sie hätten sich geschlagen, Nagsara hätte Balkis die Kehle zugedrückt und gedrückt, gedrückt… Doch die Königin von Saba empfing sie gütig wie eine Schwester und überhaupt nicht feindselig. Ihr Lächeln entwaffnete Nagsara, ihre Sanftheit bezauberte sie.

«Ich werde Salomo nicht heiraten», erklärte Balkis. «Er hat mich geliebt, ja, das ist wahr, aber wie eine seiner Nebenfrauen. Was kann dir diese flüchtige Leidenschaft ausmachen, dir, Israels Königin, die den Frieden zwischen Ägypten und deinem Land gewährleistet? Zeige dich deiner selbst würdig, Nagsara. Du spielst eine ungemein wichtige Rolle.»

Jetzt weinte die Ägypterin und verbarg ihr Gesicht im Umhang. Balkis erhob sich und ergriff sie sanft bei den Schultern.

«Setz dich heben mich.»

Gebrochen gehorchte Nagsara. Balkis nahm ihr das Diadem ab, trocknete ihre Tränen und teilte eine Feige mit ihr.

«Wir sind Frauen und Königinnen. Und es gibt nur eine Wahrheit: Salomo gehört dem Herrn in der Wolke. Keine irdische Liebe wird sein Herz in Bann schlagen. Bewahre die Augenblicke des Glücks in deinem Herzen, die du mit ihm gelebt hast. Ich werde es auch so halten. Salomo ist mehr als diese Zeit und dieses Land, Nagsara; er lebt in Räumen, die wir nicht kennen, in Gesellschaft von Engeln und Dämonen, die ihm helfen, seine Nation zu schaffen.»

«Ich halte es nicht aus, daß er mich nicht liebt.»

«Wer hält das schon aus? Jede Frau, und du vor allen anderen, möchte ihn im Netz seiner Leidenschaft halten. Aber das gelingt keiner.»

«Du… du verzichtest?»

Nagsara weinte vor Erleichterung. Israels Königin war jetzt nichts weiter als ein kleines Mädchen, das sich im Irrgarten seiner Torheit verlaufen hatte. Balkis merkte, daß man nicht vernünftig mit ihr reden konnte. Sie hatte nur einen Grund zum Überleben, nämlich ihren Glauben daran, daß sie Salomos Liebe zurückerobern könnte.

«Ja, ich verzichte», sagte Balkis ernst. «Sieh bitte in mir keine Rivalin mehr.»

«Bleibst du noch lange in Jerusalem?»

«Einen Monat vielleicht. Ich muß den König noch empfangen, damit wir unsere diplomatischen und wirtschaftlichen Vereinbarungen abschließen können.»

Nagsara sorgte sich schon wieder.

«Du… du verführst ihn nicht mehr?»

«Hab keine Angst.»

Die Ägypterin hatte das Gefühl, in einen Wirbelwind geraten zu sein. Sie empfand Verehrung für die Frau, die sie eigentlich hassen sollte. Doch Balkis gab ihr das gestohlene Glück zurück. So hatte die Flamme gesiegt. Nagsara hatte ihr ihr Leben und ihre Jugend angeboten und dadurch die Königin von Saba kaltgestellt. Was machte es da aus, daß ihre Tage dahinflohen wie die Wüstengazelle, wenn niemand sie mehr daran hinderte, Salomo zurückzuerobern?

Kapitel 52

Die letzten Regenfälle des Winters hatten die Wasserläufe anschwellen und die Wiesen ergrünen lassen. Judäa, Samaria und Galiläa bedeckten sich mit Blumen, die sich blau, rosig, rot, gelb und weiß wiegten. Der Duft der Wildblumen verbreitete sich in der klaren Luft und meldete die Wiedergeburt der Erde.

Israel schmückte sich. Das Land genoß ein ruhiges Glück, wie es das in der Vergangenheit noch nie gekannt hatte. Jeder pries Salomos Weisheit. Jeder bewunderte die verbissene Arbeit von Meister Hirams Bruderschaft, der weiterhin von Dorf zu Dorf reiste und unaufhörlich neue Baustellen einrichtete. Mit seinem Beirat aus neun Meistern leitete er ein friedliches Heer, das Häuser, Gehöfte, Gießereien, Schiffe und Karren baute, Steinbrüche öffnete und die Städte bewohnbarer machte. Ein Schöpfungswahn hatte den Oberbaumeister ergriffen, denn der gewaltige Schwung des Tempelbaus trug noch immer.

Jerusalem, die Prächtige, erregte den Neid der Völker. Auf dem Felsen über den Provinzen thronend, zeugten Tempel und Königspalast für die Größe des hebräischen Staates.

Salomo trat aus seinen Gemächern, überquerte den nach oben offenen Hof und schlug den Durchgang ein, der zum Vorhof führte, auf dem die Priester gerade das Morgenopfer dargebracht hatten und nun gingen. Die Steine hatten sich mit Weihrauchduft gesättigt. Auf den Stufen zum Tempel saß Meister Hiram und folgte damit einer Aufforderung des Königs.

«Es ist lange her, daß wir uns unterhalten haben.»

«Ich bin selten in Jerusalem, Majestät.»

«Reicht dir meine Hauptstadt nicht mehr?»

«Ich habe dir Projekte vorzuschlagen. Die Unterstadt sollte umgestaltet werden, man muß die ungesunden Gassen beseitigen und mehr schattige Plätze schaffen.»

Die Sonne war feurig wie ein Widder und schien bereits heiß.

«Laß uns in die Vorhalle des Tempels gehen.»

Hiram wollte nicht so recht.

«Wird meine Anwesenheit die Priester nicht aufbringen?»

«Du hast sie erbaut, oder etwa nicht? Noch bin ich Herr in diesem Land, und alle meine Untertanen schulden mir Gehorsam.»

Salomo war nicht gehässig. Die Worte waren mit jener lächelnden Selbstverständlichkeit gesagt worden, die seine Gegner entwaffnete. Der Baumeister spürte, daß der Herrscher ihn auf eine harte Probe stellen wollte. Unterschwellig war seiner Stimme ein Vorwurf anzuhören.

Unter den entrüsteten Blicken einiger Geistlicher stiegen die beiden Männer die Stufen hoch und strebten den beiden Säulenreihen zu. Hiram bewunderte die Granatäpfel, die die Kapitelle bekrönten. Er hatte fast vergessen gehabt, wie schön sie waren.

Als er zwischen Jakin und Booz hindurchging, verspürte der Baumeister einen gewissen Stolz. Diesen Steinen hatte er einen Teil seines Wesens anvertraut. Diesem Tempel hatte er als Künstler sein Bestes gegeben.

In der Vorhalle des Tempels war es kühl und still. Hier, in diesem leeren Raum, legte man alle menschlichen Leidenschaften ab. Salomo hatte gehofft, daß dieser Ort beruhigend wirken und ihm das Verlangen nehmen würde, mit Hiram zu reden. Doch diese Gnade gewährte Jahwe ihm nicht. Was das Herz des Königs bewegte, das mußte seine Zunge aussprechen.

«Mein Volk ist glücklich, Meister Hiram. Israel genießt den Frieden des HERRN. Dennoch habe ich das Heer verstärkt.

Siamun liegt im Sterben. Ich befürchte, daß nach ihm ein Libyer auf den Thron kommt. Diese Gefahr von außen kann ich abwenden. Aber es gibt eine ernstere, gegen die ich machtlos bin: dich, den Baumeister des Tempels.»

Hiram stand mit verschränkten Armen da und musterte die vollendet eingepaßten Platten der Decke, die es an Schönheit mit denen von Karnak aufnehmen konnten.

«Und welche Bedrohung stelle ich dar?»

«Deine Bruderschaft und ihre Geheimniskrämerei schaden mir.»

«Auf welche Weise?»

«Ich kontrolliere sie nicht. Du bist ihr einziger Gebieter. Bist du damit einverstanden, sie mir zu übergeben und sie meinem Befehl zu unterstellen?»

Hiram ging an der Wand der Vorhalle entlang. Die Handwerker hatten den Bauplan aufs genaueste eingehalten. Der Tempel lebte, atmete. Die Kunst des Bauzeichnens hatte aus leblosen Blöcken eine lebendige Masse gemacht.

«Nein, Majestät.»

«In diesem Fall mußt du sie auflösen.»

Hiram drehte sich zu Salomo um.

«Wie arglos ich doch gewesen bin! Ich hatte mir eingebildet, du würdest Freundschaft für mich empfinden.»

«Darin täuschst du dich nicht. Aber ein König darf nicht zulassen, daß ihm im Inneren seines eigenen Landes eine andere Macht entgegensteht.»

«Das ist nicht meine Absicht», wehrte sich Hiram.

«Das zählt nicht, nur die Wirklichkeit zählt.»

«Begreifst du denn nicht, daß ich dieses Land nach dem Abbild Ägyptens erbaut habe? Durch dieses Werk, das dem Ende entgegengeht, wirst du dank meiner Bruderschaft zum Pharao Israels.»

«Das ist mir klar, aber du hast gehandelt, ohne mich zu fragen. Deine Bruderschaft ist ohne mein Wissen gewachsen.

Demnächst ergreift dich ein Machtrausch, und dem kannst du dann nicht widerstehen.»

«Da kennst du mich schlecht, Majestät.»

«Ich muß dich vor dir selbst schützen.»

«Wenn du nicht König wärst…»

«Hättest du Lust, mich zu schlagen, um deine Wut zu stillen? Denk nach, Meister Hiram. Du weißt, daß ich recht habe. Falls du für die Größe meines Reiches gearbeitet hast, dann übergib mir jetzt die Schlüssel deiner Bruderschaft.»

«Niemals.»

Hiram verließ den Tempel, denn er konnte sich nicht länger beherrschen. Diese Reaktion hatte Salomo vorausgesehen. Es war unumgänglich, noch einen Nachstoß zu führen. Der König mußte sich gegen den Mann stellen, den er am meisten bewunderte, und dadurch Israel retten.

Hiram blieb nur noch ein Ausweg: Er mußte das Land verlassen und unverzüglich nach Ägypten zurückkehren. Das Blut rann ihm hitzig in den Adern. So kurz vor dem Ziel noch zu scheitern, weil sich ein König in einen Gewaltherrscher verwandelte… Vor allem aber mußte er die Meister, Gesellen und Lehrlinge entlassen, denn sie sollten Salomos Rache entgehen.

Vor dem Eingang zur Höhle stand ein weiß-rotes Zelt. Eine der Zeltklappen war hochgeschlagen. Ein Abgesandter des Pharaos saß auf einem Klappstuhl.

«Dein Hund wollte nicht aufhören zu bellen, als ich mich hier niedergelassen habe.»

«Wo ist er?»

«Hinter mir. Er schläft. Er hat begriffen, daß ich als Freund komme.»

«Welchen Auftrag hat man dir mitgegeben?»

«Keinen. Ich handele in eigenem Auftrag. Siamun liegt im Sterben. Der Pharao kann dich nicht mehr schützen.»

Anup kam aus dem Zelt und wollte gestreichelt werden.

«Mich beschützen?»

«Der Wesir und die höhere Verwaltung halten dich für einen Verräter. Kehre nicht nach Ägypten zurück. Man würde dich dort verhaften und aburteilen. Wir werden uns nie mehr wiedersehen. Ich möchte nicht über dich richten, denn ich achte dich.»

Benommen sah Hiram zu, wie der ägyptische Abgesandte sein Zelt abbaute, es zusammenfaltete, auf dem Rücken seines Dromedars verstaute und sich entfernte.

Ein Ausgestoßener… So weit war es mit dem Baumeister von Jahwes Tempel gekommen. In Israel wurde er gejagt, Ägypten wollte ihn nicht mehr haben. Sein Land und sein zweites Heimatland wiesen ihn gleichermaßen aus. Das Verlangen, das er bislang unterdrückt hatte, packte ihn wie ein Sommergewitter, das ausgetrocknete Wadis mit rauschendem Wasser füllt.

Hiram und Balkis spazierten durch die berühmten Gärten von Jericho unweit der Mündung des Jordan. Wenn der Winter Israel zu Eis erstarren ließ, war es in diesem Teil des Landes noch immer angenehm mild. Hier kam der Frühling eher als anderswo. Hier reifte das Obst rascher, wurde dick und saftig. In dieser Stadt der Palmen, an deren Stämmen der Saft herunterrann, eröffnete sich der Oberbaumeister, der den ganzen Weg von Jerusalem geschwiegen hatte, endlich der Königin von Saba.

«Dieses Land ist eine Pracht.»

«Dank dir, Hiram, konnte ich es kennenlernen.»

«Es ist das Abbild einer glücklichen und verheißungsvollen Liebe.»

Balkis dachte daran, wie Hiram in aller Morgenfrühe auf einem braunen, temperamentvollen Hengst bei ihr aufgetaucht war. Wortlos hatte er der Königin ein schwarzes Pferd angeboten. Sie war, ohne zu zögern, aufgestiegen und im Galopp hinter dem Baumeister hergeritten. Gemeinsam hatten sie sich an der Schnelligkeit und der lieblichen Luft berauscht. Gemeinsam hatten sie diesen Garten Eden erreicht.

«Bleiben wir hier?» fragte die Königin.

«In meinem Alter träumt man nicht mehr. Laß uns weiterreiten.»

Die Pferde liefen in Richtung des Toten Meeres. Als sie eine Erlenreihe hinter sich gelassen hatten, gelangten die Königin und der Baumeister in eine drückende Luft, die das Atmen schwermachte; sie hatten eine beinahe leblose, trostlose Landschaft erreicht. Unerträglich gleißendes Licht prallte auf nackte Felsen, die eine riesige Weite säumten, in der sich die jämmerlichen Wadis fast verloren. Hier und da sah man Salzkrusten und Kristallkegel.

«In dieser Trostlosigkeit kann niemand mehr atmen», meinte Hiram. «Weder Tier noch Pflanze… nur die abertausend Mücken, die uns stechen.»

Balkis stieg ab. Sie schritt in das türkisfarbene Wasser, das ihr fast ölig vorkam. Sie wollte baden trotz des mineralischen Zersetzungsgeruchs, der ihr beißend in die Nase stieg. Doch ihr Körper wurde hochgetrieben, Schwimmen erwies sich als unmöglich.

«Dieses Meer dringt bis tief in die Erde», sagte Hiram. «Genau wie die Berge, die es abschirmen, wehrt es sich gegen die Anwesenheit des Menschen. Eine Pforte zur Hölle…»

«Warum hast du mich hierhergeführt?»

«Das muß ich seit Monaten aushalten, Majestät. Heute bin ich zu einem Entschluß gekommen. Ich will die Gärten des Paradieses kennenlernen.»

«Wie hast du gewählt?»

«Ich möchte nach Saba aufbrechen und weitere Tempel, weitere Paläste bauen. Das wünsche ich mir.»

Glücklich betrachtete Balkis die trostlose Gegend. In dem Türkis des Toten Meeres erblickte sie die grünen Hügel von Saba, seine Berge aus Gold, die blumenbedeckten Teiche ihrer Hauptstadt. Dann hatte ihre Beharrlichkeit also doch gesiegt. Es war ihr gelungen, Hiram anzulocken, diesen unzugänglichen Mann, der so stolz war, daß er sich der Liebe verweigerte. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl versetzte die Königin von Saba an die mit Tamarisken bepflanzten Ufer ihres Kindheitsflusses, an dem das Verlangen einer Frau in ihr erwacht war. Der Oberbaumeister riß sie aus der Vergangenheit, aus der Zeit, die die Seelen abnutzte, und machte sie sorglos und glücklich.

Doch da waren noch Schatten, die sie an diesem Wunder zweifeln ließen.

«Willst du deine Bruderschaft aufgeben?»

«Das wäre unwürdig und verachtenswert. Viele Gesellen wollen mir folgen. Was die Meister angeht, so will ich ihnen zeigen, wie sie ohne mich weitermachen können; sie sollen sich im Land verteilen. Ich habe die Kunst des Bauzeichnens weitergegeben.»

Balkis trat näher.

«Und meinetwegen riskierst du das Verschwinden deines Meisterwerks…»

«Dieser Tempel ist nur ein Tempel. Was meine Hände gebaut haben, werden andere Hände zerstören. Nur das künftige Werk zählt.»

«Ist deine Freundschaft mit Salomo zerbrochen?»

«Ich habe dieses Land bereits verlassen.»

Die Lippen der Königin berührten Hirams. Ihre Brüste drückten sich an ihn. In ihren Augen standen leidenschaftliche Tränen.

«Nicht hier und nicht heute», bat Hiram. «In Saba, meine Königin.»

Nachdem Meister Hiram fortgeritten war, verweilte Balkis noch lange am Ufer des Toten Meeres. Sie prägte sich diese mineralische und feindselige Welt ein, in der ihr Leben aufs neue Hoffnung und Wunder erfahren hatte. Hiram opferte ihr das Höchste, denn er überließ sein Meisterwerk einem König, der nicht gemerkt hatte, welchen herausragenden Baumeister er an ihm hatte. Wenn das nicht der eindeutigste Beweis für eine leidenschaftliche Liebe war?

Schon bald würden sich die Königin und Hiram in Saba vereinen.

Kapitel 53

Hiram rief die neun Meister, die er an die Spitze der Handwerkerschaft gestellt hatte, in der Höhle zusammen, in der er sie eingeführt hatte. Auf einem aufgerollten Papyrus sammelte er die Unterschriften, die diese Männer für immer verpflichteten, die Geheimnisse zu wahren, die nur ihnen allein bekannt waren. Dem Klügsten vertraute er sein Zeichendreieck an und lehrte ihn das Geheimnis des Ellenbogenmaßes und der Beziehungen zwischen den Proportionen, die es ihm über die Berechnungen hinaus erlauben würden, die ehrgeizigsten Bauwerke zu verwirklichen.

Hiram entblößte den rechten Arm seines auserkorenen Nachfolgers und drückte ihm ein Siegel in die Ellenbogenbeuge, auf dem ein Zeichendreieck mit unregelmäßigen Seiten und die Regel der Oberbaumeister standen.

«In dir verkörpert sich die Wahrheit des Bauzeichnens. Von nun an ist dein Unterarm das Maß, aus dem sich die Schlüssel zum Werk herleiten, doch das dürfen nur Meister wissen.»

Sodann vereidigte Hiram seine Jünger auf eine Urkunde mit ihren Pflichten. Erneut forderte er einen Schwur von ihnen und verpflichtete sie, in ihre Reihen nur Gesellen aufzunehmen, die die härtesten Proben bestanden hatten. Und er verlangte, daß sie Israel mit den besten Handwerkern verlassen sollten, wenn sich die ersten Anzeichen einer Unterdrückung zeigten.

«Niemand unter uns ist fähig, deine Nachfolge anzutreten», wehrte sich ein Meister. «Jeder weiß das, und du am allerbesten. Warum sollten wir uns etwas vormachen?»

«Fahrt fort, nach den Gesetzen zu arbeiten, die ihr gelernt habt. Ihr dürft gewiß sein, daß ich euch nie verlasse, auch wenn uns große Entfernungen zu trennen scheinen.»

Etliche dieser rauhen Gesellen weinten, obwohl sie Leid und Schmerz gewohnt waren. Einer von ihnen nahm ihm das Versprechen ab zurückzukehren. Wie könnte die Bruderschaft einig bleiben, wenn der, der ihr Leben eingehaucht hatte, nicht mehr da war?

«Weisheit ist nicht der Besitz eines einzigen Menschen», erwiderte Hiram. «Die Ausübung unserer Kunst macht aus euch und euren Brüdern ganze Menschen. Vergeßt euch selbst und denkt nur daran, wie ihr eure Erfahrung weitergeben könnt. Ich für mein Teil habe beschlossen, eine neue Welt zu erobern. Wenn in den größten Ländern der Erde erst Tempel errichtet sind, gibt es keine Grenzen mehr zwischen erleuchteten Seelen.»

Die Meister wußten, daß sie zum Scheitern verurteilt waren, ließen aber davon ab, Hiram zurückzuhalten. Sie kamen überein, daß der Oberbaumeister zunächst einmal dem Zorn Salomos entrinnen mußte, der sich über die wachsende Macht der Bruderschaft ärgerte. Man würde die Ankunft des Baumeisters in einem östlichen Land vorbereiten, wo er aufs neue Leiter aller Handwerker und Arbeiter werden würde.

Das Erntedankfest hatte die ganze Nation vereint, man hatte Jahwe und Salomo zusammen angebetet. Das Volk war bis zum heiligen Felsen hochgestiegen, Priester an der Spitze, die Psalmen beteten und vom König verfaßte Gesänge sangen. Den Glückskindern und den Pfiffigsten war es gelungen, den Vorhof zu erreichen, auf dem sich Tausende von Gläubigen drängten.

Bei dem Festmahl im Palast erlebten die Würdenträger eine Überraschung: Königin Nagsara war anwesend und saß neben Salomo. Geschmückt mit den prächtigsten Kleinodien, sorgfältig geschminkt, damit man nicht sah, wie mager sie war, blendete die Ägypterin alle. Während des Mahls lächelte sie und unterhielt sich so munter wie seit einigen Jahren nicht mehr. Zufrieden lauschte sie den Lobpreisungen an die Adresse des Herrschers, interessierte sich für Gerüchte einer möglichen Absetzung Meister Hirams, bestätigte, daß sie nichts dagegen hätte, wenn die Königin von Saba abreiste, die man nicht zu diesem Fest geladen hatte.

Am Ende des Festmahls bat Nagsara Salomo, sie zu ihren Gemächern zu geleiten. Auf der Schwelle zu ihrem Schlafgemach bat sie ihn hinein. Der König weigerte sich. Lebten sie denn nicht seit vielen Monaten getrennt? Doch die Ägypterin beharrte, und er gab nach. Als sie zurücktrat, damit er vorbeigehen konnte, verwunderte er sich über den Teppich aus Lilien und Jasmin.

«Das hier ist der Garten, in dem ich erneut deine Liebe genießen möchte.»

Nagsara legte ihr Diadem ab, fiel vor Salomo auf die Knie und küßte ihm die Hände. Am Vorabend hatte sie in die Flamme gesehen, bis die in ihre Pupille eindrang und die Qualen von einst verbrannte. Die junge Frau war von einer alles verschlingenden Gewalt besessen, die ihr jegliche Freiheit raubte. Nur Salomos Liebe konnte sie davon erlösen.

Langsam schoben die Finger mit den lackierten Fingernägeln die Träger des Leinenkleides von den fröstelnden Schultern. Zärtlich unterbrach Salomo die Ägypterin.

«Bitte… ich möchte mich dir anbieten!»

Salomo bemerkte den Dämon, der seine Gemahlin quälte.

«Nagsara, du bist auf dem Weg der Finsternis zu weit gegangen.»

«Nein, mein Gebieter! Gewiß nicht… Deine Zärtlichkeiten vertreiben sie, deine Küsse vernichten sie!»

«Du irrst. Meine Liebe ist tot. Auch wenn sie so ausgedehnt wie die Überschwemmung des Nils wäre, sie hätte dir die Qualen nicht erspart, die du selbst gewählt hast.»

Der König betete zum Herrn in der Wolke. Warum konnte Jahwe kein erneutes Verlangen nach dieser ihn vergötternden Gemahlin wecken, ein erneutes Feuer für diese anrührende Frau? Doch Jahwe blieb stumm. Salomo sah Nagsara mitleidig an. Als seine Hände die Stirn der Ägypterin berührten, spürte er eine Hitze, wie sie am Ende der schlimmsten Krankheiten auftrat.

«Liebe mich…»

«Ich liebe dich, Nagsara, aber wie ein Vater seine Tochter liebt.»

In einem Vorort Jerusalems unterhielten sich hinten in einer Schenke drei Männer mit leiser Stimme. Der syrische Maurer, bärtig und schmerbäuchig, machte mit seiner Redseligkeit Eindruck auf den phönizischen Tischler, einen kleinen, verschlagenen Mann mit schmalem, schwarzem Schnurrbart, und auf den hebräischen Schmied, einen alten Handwerker mit weißem Haar und stockender Rede. Die Gesellen in Hirams Bruderschaft beklagten sich über die zu strenge Hierarchie, die Hochnäsigkeit und daß die Meister sie zu hart arbeiten ließen.

«Wir hätten schon seit langem Meister sein müssen», meinte der Maurer. «Ich kenne mich in meinem Beruf bestens aus. Ich könnte jeden Bruder darin anlernen. Es ist eine Unverschämtheit von Hiram.»

«Bislang habe ich noch nie aufbegehrt», machte der Tischler weiter, «aber irgendwann ist das Maß voll.»

«Ganz meine Meinung», schloß der Schmied. «Bislang habe ich geglaubt, daß Hiram ein außergewöhnlicher Baumeister ist. Aber weil er unsere Verdienste nicht zu würdigen weiß, ist das Gegenteil der Fall. Er ist ein vaterlandsloser Geselle.»

«Stammt er nicht aus Tyros?»

«Dafür weiß er zuviel… seine Methoden und seine Lehren gleichen denen eines ägyptischen Baumeisters.»

«So einen hätte Salomo nicht genommen!»

«Ist doch einerlei», fiel ihm der syrische Maurer ins Wort. «Hiram besitzt uralte Geheimnisse, die den Meistern Macht und Geld eintragen. Wir haben ihm nun mehrere Jahre gehorcht, er schuldet es uns, daß er uns zu Meistern macht.»

«Stimmt», meinte auch der Schmied. «Und wie bringen wir ihn dazu, daß er es tut?»

«Wir müssen mit ihm reden. Wir müssen ihn überzeugen.»

«Und wenn er sich weigert, uns anzuhören?»

«Dann wenden wir Gewalt an. Hiram ist auch nur ein Mensch. Er wird schon nachgeben.»

«Der nicht», hielt der Tischler dagegen. «Salomo wird uns hart bestrafen.»

Der Syrer lächelte.

«Aber nicht doch. Ich habe mich lange mit dem Hohenpriester Zadok unterhalten. Der hat mir erzählt, daß die Freundschaft zwischen dem König und dem Baumeister allmählich zerbricht. Salomo möchte die Kontrolle über die Bruderschaft übernehmen. Es wird ihm Genugtuung bereiten, wenn Hiram Schwierigkeiten bekommt. Wenn wir erst Meister sind, schaffen wir es vielleicht, die anderen Meister dazu herumzubekommen, diesen hochnäsigen Baumeister loszuwerden und uns dem Befehl von Israels König zu unterstellen.»

Der Maurer hatte den Phönizier und den Hebräer mit seinen Worten überzeugt. Ihre Zukunft war vorgezeichnet.

Am Ende der Herbstfeierlichkeiten verließen die Gläubigen Jerusalem und zogen in ihre Provinzen zurück. Meister Hiram rief die gesamte Bruderschaft am Jordanufer mitten in der Einsamkeit einer wilden Natur zusammen. Mehrere tausend Arbeiter versammelten sich. Ihre Zahl war überraschend und zugleich beunruhigend schnell gewachsen.

Die meisten unter ihnen waren nur Handlanger, die von den Lehrlingen an ganz bestimmte Aufgaben gesetzt wurden. In einer kurzen Rede forderte der Baumeister Geduld und Mut von ihnen. Wenn sie sich bescheiden und ehrerbietig erwiesen, würde man sie in die ersten Geheimnisse der Bruderschaft einweihen.

Diese jungen Männer klatschten dem Oberbaumeister sofort Beifall. Viele unter ihnen würden trotzdem durchfallen. Doch Hirams Stimme machte jedem Lust auf Erfolg.

Nachdem die Handlanger gegangen waren, teilte der Baumeister das Brot mit den Meistern, den Gesellen und den Lehrlingen. Man schenkte Wein in Becher und trank gemeinsam auf die ruhmreiche Kunst des Bauzeichnens. Der syrische Maurer, der phönizische Tischler und der hebräische Schmied bedeuteten sich, daß sie den Meistern und insbesondere Hiram beflissen aufwarten mußten, damit es dem Leiter der Bruderschaft beim Festmahl nicht an gebratenem Fleisch und Honigkuchen fehlte.

Gegen Ende des Festmahls ergriff der Baumeister das Wort. Er zählte die von der Bruderschaft vollendeten Bauwerke auf und begann mit Jahwes Tempel und Salomos Palast, alsdann erinnerte er an die Baustellen, die Gießereien, die Werkstätten, in denen seine Brüder gelernt hatten, die Materie in den Griff zu bekommen, um aus ihr auch die verborgenste Schönheit herauszuholen. Gemeinsam hatten sie Israel mit den ersten Gebäuden verschönt. Weitere Erfolge zeichneten sich ab.

Der beschauliche Herbstabend trug dazu bei, daß Hirams Worte noch ernster klangen. Er kündigte an, daß er den neun Meistern neue Aufgaben übertragen hatte. Einstimmig würden sie die Gesellen auswählen, die beim Frühlingsneumond in die großen Geheimnisse eingeweiht werden würden.

Das Fest der Bruderschaft ging zu Ende. Meister Hiram gab jedem Mitglied den Friedenskuß. Als der syrische Maurer vor dem Oberbaumeister stand, konnte er nicht widerstehen und stellte ihm die Frage, die ihn so sehr beschäftigte.

«Zähle auch ich zu den erwählten Gesellen?»

Im Blick des Oberbaumeisters lag so viel Zorn, daß der Syrer Angst bekam und einen Schritt zurückwich.

«Diese Worte schließen dich für lange Zeit aus dem kleinen Kreis der künftigen Meister aus. Gib dich damit zufrieden, dein Handwerk rechtschaffen auszuüben. Die Meister werden es schon merken, wann du der größten Geheimnisse unserer Bruderschaft würdig bist. Vergiß deinen Ehrgeiz. Er führt dich nur ins Verderben.»

Wie seine Brüder verbeugte sich der Syrer und wurde von Meister Hiram umarmt.

Kapitel 54

Salomo schritt hinter den Soldaten seiner Leibwache von seinem Palast in das Lager der Königin von Saba hinunter. Ein Gaffer hatte auf ihn aufmerksam gemacht, und schon scharte sich eine Menge an dem langen Weg, den der König eingeschlagen hatte. Sie jubelte ihm begeistert zu, doch er blieb ungerührt. Balkis’ Einladung beunruhigte ihn. Ihr Haushofmeister hatte ihn zu einem Festmahl geladen, bei dem sie ihm einen der seltensten Schätze schenken wollte. Was verbarg sich hinter diesem ungewohnten Ritual?

Im Inneren des königlichen Zeltes lagen rote und grüne Seidenpolster verstreut. Lässig und fast verlassen verspeiste Balkis die roten Beeren einer Weintraube. Es waren zahlreiche Plätze für weitere Festgäste vorgesehen, doch alle waren leer.

Der Haushofmeister ließ die Tür aus Zeltleinwand herunter.

«Mach es dir bequem, König von Israel, und teile dieses Essen mit mir.»

Auf dem Tisch in der Mitte standen gebratenes und gewürztes Fleisch, in Tongefäßen über Dampf gegartes Gemüse, Berge von Kuchen und Obst.

«Der Wein aus Judäa ist köstlich, doch er ist nicht so fruchtig wie der aus Saba, von dem ich noch mehrere Krüge habe. Möchtest du ihn kosten?»

«Hast du mich zum Vorkoster erkoren?»

«Du bist heute aber streng. Früher warst du liebenswürdiger.»

«Welchen märchenhaften Schatz möchtest du mir hinterlassen?»

Balkis erhob sich anmutig und legte die Traube auf einen Silberteller. In ihren Augen las er, daß sie halb belustigt war, weil sie einen Herrscher mit so großer Macht herausfordern konnte, und halb verzweifelt, weil sie gescheitert war.

«Meine Abreise, Salomo. Ihr Wert ist unschätzbar. Sie wird dir wieder die Heiterkeit und Liebe deiner Gemahlin schenken.»

Eine kleine Falte erschien auf der Stirn des Königs.

«Glaubst du, daß du eine Leidenschaft durch Entfernung töten kannst?»

«Du liebst in mir doch nicht die Frau, sondern die Königin. Und von der erwartest du einen Friedensvertrag, der den Frieden festigt, dem du dein Leben geweiht hast. Ich werde diesen Vertrag unterzeichnen. Diesen Sieg lasse ich dir.»

Salomo schenkte Wein in zwei Goldpokale. Balkis nahm den, den er ihr reichte.

«Wenn du Israels Herrscherin würdest, wir könnten zusammen ein Riesenreich regieren.»

«Du würdest regieren, Salomo. Du und nur du allein. Ich wäre gezwungen, mich deinen Entscheidungen zu beugen und dir zu gehorchen. Ich mag aber weder eure Gebräuche noch eure Religion annehmen. Die meinen reichen mir. Bündnis, ja, Abhängigkeit, nein. Für immer von dir geliebt zu werden, ja. An deiner Seite als Sklavin alt zu werden, nein.»

Balkis setzte sich. Salomo tat es ihr nach und ergriff ihre Hände.

«Hast du denn kein Vertrauen zu mir?»

«Wäre ich meines Amtes würdig, wenn ich einer solchen Schwäche nachgeben würde? Trink, Salomo. Trink auf unsere letzte Begegnung. Fern voneinander können wir eine harmonische Verbindung pflegen. Zusammenleben würde uns zerstören.»

«Ich weigere mich. In meinem Palast erwartet dich ein Becher. Damit trinkst du auf unsere Liebe! Wenn die Sterne am Himmel stehen und die Fackeln angezündet sind, die unser mit Seide ausgeschlagenes Gemach erhellen, wird sich dein Herz öffnen.»

Salomo meinte, die Königin schwanken zu sehen. Doch ihre Stimme blieb gelassen.

«Es gibt eine Zeit zu lachen», sagte sie, «und eine Zeit zu weinen, eine Zeit zu lieben und eine Zeit, sich zu erinnern, eine Zeit zu leben und eine Zeit zu sterben. Wenn du das Morgenopfer feierst, bin ich für alle Zeiten fort.»

Salomo war sich sicher, daß Balkis ihn liebte. Doch er wußte auch, daß sie ihren Entschluß nicht ändern würde.

«Sag mir die Wahrheit. Erweise mir wenigstens die Gnade, dein Geheimnis mit mir zu teilen.»

Die Königin zögerte.

«Du wirst leiden.»

«Leiden ist mir lieber als zweifeln.»

Balkis wandte sich ab. Sie hatte nicht mehr die Kraft, diesen König anzusehen, der eine so beruhigende Kraft ausstrahlte.

«Ich erwarte ein Kind von dir, einen Sohn. Den werde ich Menelik nennen, und er wird einer der geheiligten Ahnen meiner Rasse werden. Lebe wohl, Salomo.»

Der verlassene Gerichtssaal lag in schlummerndem Halbdunkel. Als Zadok mit einer Fackel in der Hand eintrat, machte er als erstes die Täfelungen aus Zedernholz aus, dann Salomo auf seinem Thron. Flüchtig hatte er den Eindruck, der König hätte sich in eine Statue verwandelt.

«Majestät… ich habe dich überall gesucht.»

«Störe mich nicht, Hoherpriester.»

«Verzeih, wenn ich beharre… eine Sache von größter Wichtigkeit.»

Gab es etwas Wichtigeres als den Verlust einer geliebten Frau, die den innig ersehnten Sohn im Schoß trug? Salomo hatte Jahwe angefleht, ihn langsam ins Nichts und dann ins Vergessen sinken zu lassen. Er hatte davon geträumt, er könne mit dem Thron der Gerechtigkeit verschmelzen, zu Stein werden und nicht länger für Freude und Schmerz erreichbar sein.

«Erlaubst du mir zu sprechen, Majestät?» fragte Zadok überrascht über die tiefe Niedergeschlagenheit des Königs.

Lässig und gleichgültig hob Salomo die rechte Hand. Der Hohepriester deutete das als Zustimmung.

«Dein Oberbaumeister hat dich verraten.»

Salomos Blick verfinsterte sich.

«Und wie?»

«Die von vertrauenswürdigen Priestern durchgeführte Nachforschung ist noch nicht zu eindeutigen Ergebnissen gekommen, aber es hat den Anschein, als ob der Baumeister die Geheimnisse seiner Bruderschaft an Israels Feinde verkaufen will.»

Niedergeschlagen zog sich Salomo in die Tiefen des Throns zurück.

«Und mir wollte er sie nicht geben… Was kann ich machen? Hiram wird gehen.»

«Man munkelt, daß er nicht allein geht.»

Jetzt merkte Salomo auf und rutschte wieder nach vorn.

«Was ist das für ein Gerücht?»

«Es gibt Leute, die meinen zu wissen, daß die Königin von Saba ihn eingestellt hat.»

Balkis und Hiram… Wie konnte Jahwe einen so unerhörten Bund zulassen? Warum verletzte er Israels König, seinen treuen Diener, auf diese Weise? Für welchen Fehler grollte er ihm?

«Majestät, ich habe mir gedacht, es wäre gut, wenn man den Oberbaumeister zur Ordnung riefe und ihm einen strengen Verweis zukommen ließe. Schließlich verdankt er sein Glück und seinen Ruhm dir. Schließlich schuldet er Israel Treue. Der Mann ist stolz, aufmüpfig, doch vor deiner Autorität wird er sich beugen. Gestattest du mir, daß ich die notwendigen Maßnahmen ergreife?»

Salomo konnte nicht mehr offen vorgehen. Die Königin von Saba vor Zadok zu erwähnen hieße, sich zu erniedrigen. Daß Zadok jetzt endlich seinen Haß befriedigte, entging dem König durchaus nicht. Aber hatte sich der Baumeister den Verweis durch sein unwürdiges Benehmen nicht selbst zuzuschreiben? Müde, gekränkt, erschöpft durch ungerechtes Leid, das ihm die Weisheit raubte, ging der König auf den Vorschlag seines Hohenpriesters ein, denn dieses Mal diente er den Interessen und der Größe des Reiches.

Hiram höchstpersönlich entlohnte die Gesellen und Lehrlinge vor der Höhle. Zum letzten Mal gab er diesen Männern den Lohn, der ihrer geleisteten Arbeit entsprach. Er kannte sie alle, wußte ihre Verdienste zu schätzen und hatte sich ihre Achtung erworben. Wie gewöhnlich ging das schweigend vonstatten.

Als der letzte Lehrling gegangen war, gab der Oberbaumeister seinem Hund zu fressen. Und als der gefressen hatte, schlief er ein. Hiram stieg zum Tempel hinauf. Er wollte dieses Werk noch einmal sehen, dem er so viele Lebensjahre geschenkt hatte, diese Steine, in denen er seinem Auftrag gemäß Ägyptens Weisheit in neue Form gegossen hatte.

Balkis würde bei Tagesanbruch nach Saba aufbrechen. Und Hiram würde ihr ein paar Tage später folgen, nachdem er seinem Nachfolger letzte Anweisungen erteilt hatte. Im fernen Süden würden sie sich im Schutz der Goldberge lieben. Im Geist schuf der Baumeister bereits einen Palast mit tausend Fenstern, Dachgärten mit Blumen, Lustseen und einen sonnendurchfluteten Tempel. In Saba würde er in strahlendem Licht bauen und diese Denkmäler seinen am Jordanufer umgekommenen Brüdern widmen, die Opfer von Jerobeams Verrat und seiner eigenen Kurzsichtigkeit geworden waren. Wie konnte er diesen Fehler sühnen, der ihn verfolgte, wenn er nicht immer weiter baute und baute?

Der Vorhof lag verlassen. Die Priester ruhten. Die schmale Sichel des Neumonds spendete nur wenig Licht. Der Oberbaumeister dachte an die Baustelle, die Zeichenwerkstatt, die richtigen Handbewegungen im richtigen Augenblick, die Begeisterung der Handwerker, das Feuer, das Hände und Herzen beseelt hatte, an die Gemeinschaft, die Müdigkeit und Enttäuschungen vergessen ließ. Vielleicht waren ihm ja diese Stunden der Bangigkeit und Erwartung lieber als das fertige Werk, die Lust am Unbekannten lieber als die erdichteten Mauern und fertigen Säle. Doch was ihm lieber war, zählte nicht. Seine Rolle bestand darin, die Arbeit ihrem Ende zuzuführen, ohne daß er die Früchte seiner Bemühungen erntete.

Hiram bemerkte gen Westen, am Berghang des Tiropeon-Tals, ein Licht. Jemand hatte gerade überstürzt eine Fackel gelöscht. Neugierig geworden ging der Baumeister zu der Stelle, wo er die Flamme gesehen hatte.

Ein Mann stand im Dunkel.

«Wer bist du?»

«Ein Geselle der Bruderschaft.»

Hiram, der das Dunkel gewöhnt war, erkannte den hebräischen Schmied. Sein weißes Haar leuchtete in der Nacht.

«Was tust du hier?»

«Ich möchte dich sprechen.»

«Wende dich an den Meister, der mit deiner Unterweisung beauftragt ist.»

«Ich brauche seine Unterweisung nicht mehr. Ich bin würdig, in die großen Geheimnisse eingeweiht zu werden. Gib mir das Kennwort der Meister und verleihe mir ihre Macht.»

«Hast du den Verstand verloren? Nie im Leben gebe ich einer solchen Forderung nach.»

«Auch nicht auf Kosten deines eigenen?»

Der Schmied schwang einen Hammer. Der Baumeister wich nicht zurück.

«Gib mir das Werkzeug», forderte Hiram. «Geh zurück ans Jordanufer, mache dich wieder an die Arbeit, und ich vergesse diese Narretei.»

Der Hebräer hatte zwar kein flinkes Mundwerk, ließ aber dennoch seinem Haß freien Lauf.

«Das Erkennungswort.»

Hiram streckte die Hand aus. Der Geselle hieb nach seinem Kopf. Das Blut spritzte. Blind wandte sich Hiram nach Norden und stieß dort auf den syrischen Maurer.

«Auch ich bin Geselle. Gib uns das Erkennungswort.»

«Niemals!» rief Hiram. «Welche Dämonen sind nur in euch gefahren…»

«Schnell, Meister Hiram, meine Geduld ist zu Ende.»

Der Oberbaumeister wollte fort, doch sein Angreifer, der Bärtige und Schmerbäuchige, stieß ihm einen Stechbeitel in die linke Seite.

Schmied und Maurer staunten über ihren eigenen Mut und machten vereint weiter, wagten jedoch nicht, ihr Opfer zu verfolgen. Hiram gelang es, sich trotz seiner Wunden in Richtung Osten zu flüchten. Doch da kam der phönizische Tischler aus dem Dunkel und vertrat ihm den Weg.

«Beharre nicht länger. Gib uns das Erkennungswort und schwöre, daß du nichts gegen uns unternimmst.»

Drohend umklammerte der kleine Mann mit dem schmalen, schwarzen Schnurrbart einen schweren Eisenzirkel.

«Geh weg», befahl Hiram mit schwacher Stimme.

«Genug Widerworte!» brauste der Phönizier auf. «Das Kennwort!»

«Lieber den Tod.»

«Wie du willst.»

Wutentbrannt stieß der Tischler dem Oberbaumeister die Spitze des Zirkels ins Herz.

«Warum, Salomo, warum?» flüsterte Hiram, ehe er rücklings zusammenbrach.

Sein Leichnam bedeckte drei Platten des Vorhofes. Die Mörder betrachteten ihn lange, und jeder schob den beiden anderen die Schuld an diesem Verbrechen zu.

«Hier können wir ihn nicht liegenlassen.»

Sie zogen ihre Lederschürzen aus, banden sie zusammen und stellten so ein Leichentuch her, in das sie den Leib des Baumeisters hüllten.

«Ist der aber schwer», beklagte sich der Phönizier.

«Laßt uns den Pfad nehmen. Aber schnell, ehe uns jemand überrascht.»

Balkis hatte die Stunde ihres Aufbruchs vorverlegt. Als sie den Goldspiegel befragt hatte, in dem sich die Strahlen der großen Göttin von Saba verbargen, hatte sie die Stimme des Orakels gehört, das ihr einschärfte, Israel noch mitten in der Nacht zu verlassen.

Ein Gewitter brach los, als der weiße Elefant der Königin das Zeltlager verließ. Balkis gelang es, das Tier zu beruhigen, das von einer Abfolge von Blitzen und einem Platzregen erschreckt worden war. Dann zog der Dickhäuter trotz des heftigen Windes ruhig und rhythmisch an der Spitze einer Karawane von Sabäern dahin, und die Königin verspürte Erleichterung. Endlich entkam sie Salomos Einfluß. Am Ende dieser langen Reise würde sie das höchste Flachdach ihres Palastes besteigen und unaufhörlich nach Hiram Ausschau halten, nach dem Mann, mit dem zusammen sie leben wollte.

Es goß in Strömen, und der Kidron stieg bereits an. Der Elefant durchschritt die reißende Schlammflut. Als der letzte Sabäer das andere Ufer erreichte, hatten die Fluten die Furt verschlungen.

Die Nacht war zu schwarz und windig, als daß Balkis bemerkte hätte, daß drei Männer auf dem Hang des Kidron-Tals einem kleinen Gipfel zu strebten, vor dem sie ihre Last ablegten. Dort hoben sie hastig eine Grube aus, in die sie die Leiche des Oberbaumeisters warfen. Der Syrer und der Phönizier nahmen Reißaus. Der von Gewissensbissen geplagte Hebräer wollte den Verstorbenen ehren, brach einen niedrigen Ast von einer Akazie ab und pflanzte ihn auf das Grab, dessen Erde er mit Geröll bedeckte.

Auf ihrem Weg nach Saba, dem Land des Goldes und des Glücks, war Balkis ganz nahe an dem zu Tode gemarterten Leichnam des Oberbaumeister vorbeigekommen.

Kapitel 55

Salomo galoppierte über die Ebene von Jerusalem. Das Pferd, das den Boden kaum mit seinen Hufen berührte, schien zu fliegen. Er war vor seinem Palast und dem Becher Wein geflohen, den er nun niemals mehr mit der Königin von Saba trinken würde, und ritt seit Tagen durchs Land in der Hoffnung, dem Schmerz zu entfliehen, der ihn niederdrückte.

Er ertrug Balkis’ Abwesenheit nicht. Mit ihrem Aufbruch hatte sich die Verheißung eines Glücks verflüchtigt, das warm war wie ein sommerlicher See. Diese Frau hätte ihm einen neuen Weg zur Weisheit aufzeigen können. Zusammen wären sie ein Paar gewesen, das auf der ganzen Welt Frieden hätte schaffen können.

Als die Mittagssonne einen schwarzen Heiligenschein bekam, glaubte Salomo, seine Augen trögen ihn. Das Phänomen war jedoch flüchtig. Der König wußte, daß ein ihm teures Wesen gestorben war. Das Gestirn strahlte zwar wieder, aber er gab seinem Pferd die Sporen und ritt rasch in seine Hauptstadt zurück.

Auf der Schwelle des Palastes empfing ihn der Hohepriester.

«Deine Gemahlin ist tot», teilte ihm Zadok mit. «Sie hat unaufhörlich bis zum letzten Atemzug nach dir gerufen.»

Nagsara war auf Jasmin und Lilien aufgebahrt, ihre Hände umklammerten den Hals, wo der Name Hiram eingebrannt gestanden hatte, der jetzt gelöscht war.

Salomo küßte die Pharaonentochter auf die Stirn.

«Holt meinen Oberbaumeister», befahl Salomo. «Wieviel Mal soll ich es noch sagen.»

«Er ist verschwunden», gestand Elihap.

«Bitte General Banajas, daß er dir hilft.»

«Wir haben seinen Hund Anup gefunden. Er hat nicht mehr gefressen und ist in der Höhle verhungert.»

«Beeilt euch, ich will Hiram auf der Stelle sehen.»

Der Schreiber verbeugte sich und verließ eiligen Schritts Salomos Arbeitszimmer. Noch am selben Abend brachte er Bauern in den Palast, die in der Nähe des Kidron-Tals wohnten. Einer von ihnen bestätigte, in der Nacht des Gewitters, das Felder und Häuser zerstört hatte, drei Mitglieder von Hirams Bruderschaft gesehen zu haben, die eine schwere Last schleppten. Als Salomo ihn befragte, widerrief er und verlangte nach einem Becher Wasser. Er und seine Gefährten wuschen sich die Hände und wiederholten den gleichen Satz: «Unsere Hände haben kein Blut vergossen, und unsere Augen haben nichts gesehen.» So reinigten sie sich rituell von einem möglichen Verbrechen.

Am nächsten Tag empfing der König die neun Meister, die die Bruderschaft leiteten. Die erzählten ihm, daß sich drei Gesellen vor ihnen mit ihrer abscheulichen Missetat gebrüstet hätten in der Hoffnung, Hirams Nachfolger würde ihnen dankbar für die Befreiung von einem Gewaltherrscher sein. Hatten sie nicht unter dem Schutz Salomos gehandelt?

«Das ist schändlich!» wehrte sich der Herrscher. «Wo sind diese Männer?»

«Sie waren enttäuscht, daß wir sie nicht zu Meistern gemacht haben», sagte der Wortführer der neun Meister, «und sind geflohen. Hiram ist ermordet worden. Wir wollen seinen Leichnam finden.»

«Ich kann euch helfen.»

«Majestät, du bist nicht Mitglied unserer Bruderschaft.»

«Zwingt einen König nicht zum Betteln. Diese Ehre schulde ich einem Genie, das mein Freund war.»

Die neun Meister folgten Salomo, der beim Ausgang des heiligen Bezirks den steilen Pfad einschlug, der zum Kidron-Tal führte. Das Bild seines Oberbaumeisters im Purpurumhang bei der Einweihung des Tempels verfolgte ihn. Die Vibrationen des Zepters, das der König ausgestreckt hielt, zeigten ihm an, welchem Weg er folgen mußte.

Was für ein Verbrechen habe ich begangen, dachte Salomo, ich, der Zadok das Recht zugestanden hat, Hiram zu bestrafen? Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, aber er hatte den Baumeister verraten, oder? Hatte er nicht den einzigen Menschen zum Tode verurteilt, den er beneidet hatte?

Als sie sich der Anhöhe näherten, wurde das Zepter glühend heiß.

«Hier ist es», meinte einer der Meister. «Seht ihr die aufgewühlte Erde und die Akazie?»

Hirams Brüder gruben und legten den Leichnam frei. Das Gesicht des Oberbaumeisters war friedlich, fast schien er zu lächeln. Sein eigenes Blut diente ihm als Purpurumhang. Die Meister bildeten einen Kreis um den Toten und gedachten schweigend des Leiters ihrer Bruderschaft.

«Meister Hiram soll in den Grundmauern seines Tempels ruhen», entschied Salomo, «unter dem Allerheiligsten.»

Die weißlichen Flecken auf der Haut der Kranken ließen keinen Zweifel zu. In der Unterstadt von Jerusalem breitete sich die Lepra aus und zerfraß unerbittlich die Gesichter.

Die meisten Mitglieder der Bruderschaft waren auf Befehl ihrer neun Meister in ihre Heimatländer geflohen.

In Dörfern und Kleinstädten löste man die von Hiram aufgebaute Organisation auf. Die letzten Lehrlinge wurden verjagt. Unkundige Handwerker übernahmen die Werkstätten und ersetzten sie durch Baubuden. Zu was war eine Bruderschaft von Bauhandwerkern noch in einem Land nutze, in dem die großen Bauten fertiggestellt waren?

Salomo widersetzte sich der Vernichtung der von Hiram geschaffenen Gemeinschaft nicht. Wer hätte sie auch schon leiten können?

Während das Volk betete, benutzte Salomo den Ring der Macht, um die Winde zu besänftigen, die die Pest herbeiwehten. Nachdem er sie beschworen hatte, fiel der kostbare Gegenstand auf die Fliesen des Vorhofes und zerbrach. Dennoch war die Epidemie eingedämmt.

Der Winter, der auf die Ermordung des Oberbaumeisters folgte, war der härteste seit Menschengedenken. Es schneite tagelang, und selbst die Ebenen Samarias und Judäas waren zugeschneit. Die Berghänge waren zu Gletschern geworden. Die Gottesdienste für Jahwe waren nur noch kurz, denn der stürmische Wind, der auf dem Felsen von Jerusalem blies, hinderte die Priester daran, die Opferfeuer zu entzünden. Hagelkörner peitschten die Gesichter, eisiger Regen prasselte auf die Altäre. In der Stadt war kein Vorankommen mehr. Die Einwohner dachten nur noch daran, wie sie sich in ihren Wohnungen um einen Ofen oder ein Kohlebecken zusammendrängen konnten. Der qadim aus dem Osten jagte Schneegestöber durch die Stadt Salomos und tobte in Schneewirbeln über dem See Genezareth.

Zadok versuchte, Jahwe zu ehren, und starb zu Füßen des großen Altars an einem Blutgerinnsel. Er wurde heimlich beerdigt. Der König ernannte keinen neuen Hohenpriester. Als auch General Banajas ins Jenseits abberufen wurde, begnügte sich der Herrscher, der bereits oberster Heeresführer war, mit einem verkleinerten Führungsstab.

Balkis abgereist, Hiram ermordet, Nagsara von Verzweiflung dahingerafft, wem konnte Salomo da noch vertrauen? Die drei Menschen, die er geliebt hatte, waren aus Israel geflohen, als hätte der vom König geschaffene Frieden weder ihr Herz noch ihre Seele berührt, als lastete ein Fluch auf dem Schicksal des Gelobten Landes.

Auch die Weisheit hatte den König verlassen. Er hatte es nicht geschafft, die Pharaonentochter zu lieben. Mit dem Verrat an Hiram hatte er sich um den einzigen Menschen gebracht, der ihn niemals verraten hatte. Es war ihm nicht gelungen, die Königin von Saba zurückzuhalten, und das hatte seine Ohnmacht bewiesen, sich von jemandem lieben zu lassen, der größer war als er.

Salomo berauschte sich an der Welt und ihrer Kurzweil.

Jeden Abend gab er ein Fest, und im ganzen Palast wurde getanzt, gesungen und weinselig gescherzt. Die Gäste stopften sich mit gebratenem Fleisch voll, und der Wein floß in Strömen. Fremdländische Diplomaten sangen Loblieder auf die Gastfreundschaft des Königs und die Pracht seines Hofes.

Der Herrscher bot nur die besten Jahrgänge aus Weinbergen des ganzen Morgenlandes an. Junge, vollendet gebaute Frauen weckten auch im Abgestumpftesten noch Verlangen. Sie setzten sich auf die Knie lasterhafter Männer, entkleideten sich nach und nach auf den Gastmählern, die sich zu Orgien auswuchsen, bei denen Liebkosungen und Küsse die Gerichte würzten. Junge, unberührte Mädchen gesellten sich zu den erfahrensten Höflingen, erregten Begehrlichkeit und trugen noch zum Ruf von Salomos Festen bei.

So vergingen einige Jahre, ohne daß der König zu Gericht saß. Die Regierung des Königreiches hatte er einer Schar Beamter unter Elihaps Leitung überlassen. Der ernste und arbeitsame Schreiber des Königs ersetzte mittels seiner Begabung den Herrscher und fragte nur in äußerst heiklen Angelegenheiten um Rat. Mit seiner Zustimmung erhöhte Elihap die Zahl der Soldaten, nachdem der Libyer Seschonq nach Siamuns Tod den ägyptischen Thron bestiegen hatte. Und der neue Pharao hatte Jerobeam unverzüglich ermutigt, einen Krieg gegen Israel vorzubereiten. Doch der Libyer ließ Vorsicht walten, er fürchtete, einen schweren Rückschlag hinnehmen zu müssen. Daher beließ er denn doch lieber alles beim alten.

Die zahlreichen Ehefrauen des Königs, die aus den unterschiedlichsten Ländern stammten, forderten Tempel und Altäre, damit sie zu ihren Lieblingsgottheiten beten konnten, und zunächst weigerte sich Salomo. Als sie sich zusammenschlossen und sich ihm allesamt verweigerten, gab er nach. Auf Hügeln, auf Berggipfeln, in Tälern, in Städten wie in Dörfern erhoben sich heidnische Heiligtümer, zu denen Salomos Ehefrauen zum Beten kamen. Selbst die abgeschiedensten Orte blieben nicht verschont, selbst dort, wo die Bundeslade gestanden hatte, wo die Patriarchen Jahwes Stimme gehört hatten. An den Quellen der Flüsse, an den Ufern des Meeres, am Rand der Wüste wurden unbekannte Götzen verehrt, die in Erdhütten hausten, im Vorbau von Holzgebäuden oder in Alleen aus gräßlichen Tieren thronten.

Salomo glaubte nicht mehr an Jahwe. Er betete zu jeder dieser fremdländischen Gottheiten in der Hoffnung, sie könnte ihm die Ruhe geben, die er nicht mehr in Lustbarkeiten und im Rausch fand. Das Volk wehrte sich stumm. Salomo verging sich gegen das Gesetz des Einen Gottes, doch das Land blieb reich und blühend und genoß einen dauerhaften Frieden, die Quelle allen Glücks. Befahl der König nicht den Geistern? Besaß er nicht mehr Wissen als irgendein anderer Mensch auf Erden? Verfaßte er nicht die schönsten Gedichte, die von den berühmtesten Sängern an den prächtigsten Höfen zur Lyra vorgetragen wurden? Wurde Salomos Weisheit nicht von den Mächtigsten bewundert, und sicherte sie Israel nicht das Glück?

Als er alt wurde, übernahm Salomo wieder die Zügel der Regierung. Nach all den Lustbarkeiten betäubte er sich nun mit Arbeit. Elihap wurde eine niedrigere Stellung zugewiesen, und der Herrscher prüfte jedes Dokument, empfing jeden Beamten, regelte jede Einzelheit der Verwaltung. Seine Klarsicht und Klugheit führten zu zahlreichen Verbesserungen in der Verwaltung der Provinzen und im Handel mit fremden Ländern. Die Schatzkammer füllte sich. Jeder Hebräer hatte genug zu essen.

Jede Geburt wurde von den Familien als Segen aufgefaßt und begeistert gefeiert, und man dankte dem HERRN, daß man unter der Herrschaft des gütigsten aller Herrscher leben durfte.

Der alterslose König war alt geworden, doch das hatte seiner Schönheit keinen Abbruch getan. Auf seinem vollendeten Antlitz gab es nur eine einzige, kaum sichtbare Runzel. Es herrschte Frieden, das Volk war glücklich, das Land angesehen… In seiner Rolle als Herrscher hatte Salomo nie Schiffbruch erlitten. Wenn er seine Urteile sprach, so nie zum Schaden eines seiner Untertanen.

Salomo war allein. Er hatte keinen legitimen Sohn, keinen Freund, keinen Ratgeber. Niemand verstand ihn. Niemand versuchte in die Geheimnisse seines Herzens einzudringen. Der König begehrte nicht mehr gegen Jahwe auf, er betete zu keiner Gottheit mehr. Seine tägliche Nahrung war die Verzweiflung. Gerechte wie Bösewichter, Mensch wie Tier, alles strebte dem gleichen Nichts zu? Alle kamen aus dem Sternenstaub und kehrten in den Staub der Erde zurück.

Der, dessen Weisheit so gepriesen wurde, stieß sich an einer undurchdringlichen Mauer: Gottes Werk. Er hatte keines seiner Rätsel lösen können und wußte seit langem, daß das auch keiner schaffen würde. Alles war eitel.

Als der Frühling mit Blüten kam, erkannte Salomo, daß es sein letzter war. Er verließ den Palast und ging zum Tempel, den er seit so vielen Jahren nicht mehr betreten hatte. Allein im Allerheiligsten hörte er zwar nicht Gottes Stimme, doch er sah in die Zukunft.

Eine Zukunft, in der der Frieden zerbrach, in der sich die Stämme Israels aufs neue zerfleischten, in der blutlüsterne Heere in das Land einfielen, in der Jahwes Heiligtum geplündert und zerstört wurde. Eine Zukunft, in der das Gelobte Land von schwachen Männern regiert wurde, die eine erbärmliche Politik betrieben und nur danach trachteten, ihre niedrigsten Instinkte zu befriedigen. Eine Zukunft, in der sich das Volk nicht unter Feigen- und Ölbäumen ausruhte und freie Zeit hatte. Salomo erkannte, daß sein Werk seinen Tod nicht überleben würde. Nichts würde ihn überleben.

Der König legte Krone und Zepter und seinen goldbestickten Umhang ab. Er stieg den Pfad hinunter, der zum Kidron-Tal führte, und schlug den Weg in Richtung Wüste ein. Unterwegs brach er einen Ast ab, der ihm als Wanderstab diente. Die Frühlingssonne brannte heiß auf seiner Stirn, und schon bald taten ihm die Füße weh. Doch er ging weiter, immer weiter wie der demütigste aller Pilger.

Salomo hatte beschlossen, in die Einsamkeit zu gehen, bis Gott ihm ein Zeichen schickte. Schließlich wußte er seit kurzem, daß Erfolg und Mißerfolg genauso eitel waren wie Freude und Schmerz. Für ihn gab es nur noch die Vergangenheit, die sich bereits an einem zerstörten Horizont verflüchtigte. Für sein Volk würde es noch Jahre der Fülle und des Friedens geben, die eine Spur in der Geschichte Israels hinterlassen würden. Vielleicht waren die ja Grund zu einer neuen Friedensära, die ferner war, als es sich der König vorstellen konnte.

Jerusalems Höhen waren nicht mehr zu sehen, der Tempel war verschwunden. Salomo war zwar fast am Ende seiner Kraft, doch er schritt weiter aus. Er hatte kein Ziel, keinen Grund mehr zu kämpfen, er war nur verzweifelt auf der Suche nach einer unerreichbaren Weisheit, die er so gern durchschaut, ja sogar errungen hätte.

Als sein Herz nicht mehr mitmachte, blieb der alte König unter einer blühenden Akazie stehen. Gott hatte nicht zu ihm gesprochen, doch in der klaren Frühlingsluft erkannte er die Umrisse eines riesigen Gesichtes, das so groß war wie die Erde und so hoch wie der Himmel, das Gesicht Meister Hirams, ernst und lächelnd und geprägt von einer friedlichen Weisheit.

Der Oberbaumeister vergab ihm seinen Verrat. Er wartete auf der anderen Seite des Todes. Salomo lehnte sich an die Akazie und entschlummerte im Licht.