37758.fb2
Paul Fabrici liebte es von jeher, am Frühstückstisch neben den Fachblättern für Groß- und Einzelhandel und selbstverständlich der Tageszeitung auch die jeden Donnerstag neuerscheinende größte bundesdeutsche Illustrierte vorzufinden. Es hatte sich so eingebürgert, daß Fabrici das Frühstück erst beendete, wenn er alles durchgeblättert hatte, um dann in der Firma mit den soeben gesammelten Informationen, Kenntnissen und Weisheiten glänzen zu können. Jedem seiner Angestellten sollte dadurch ständig klar werden, daß er, Paul Fabrici, nicht nur der Chef mit dem meisten Geld, sondern auch mit dem größten Verstand war. Die Angestellten selbst, deren Dienst spätestens um acht Uhr morgens begann, hatten vorher keine Zeit, am Frühstückstisch groß zu lesen.
Mimmi Fabrici war gegen diese Unsitte des Lesens beim Essen jahrelang vergeblich Sturm gelaufen, hatte unentwegt darauf hingewiesen, daß Lesen beim Essen ungehörig sei, eine Beleidigung der Ehefrau, eine Nichtachtung der Tafel, eine Verletzung des primitivsten Anstands. und so weiter und so fort. Alles umsonst. Ehemann Paul hatte die Angriffe damit beantwortet, daß er seiner Gattin die Welt der Frau< abonniert und ihr diese Zeitschrift als Gegengewicht neben ihre Tasse gelegt hatte. Von diesem Tage an hatte Mimmi Fa-brici es aufgegeben, Paul in der Ehe zu erziehen, und sie tat nun das, was Gattinnen aller Art nur herzlich ungern tun: ihren Mann in Ruhe zu lassen.
Heute nun saß Paul Fabrici wieder am Kaffeetisch und blätterte in der soeben erschienenen Illustrierten. Er hatte gut geschlafen. Im Geschäft kündigte sich in diesem Monat ein Rekordumsatz an. Paul befand sich dadurch in bester Stimmung. Dies war schon zum Ausdruck gekommen, ehe er Platz nahm, indem er Mimmi in den Hintern gekniffen hatte. Mimmi pflegte solches Tun ihres Gatten mit eisigem Schweigen zu quittieren, da sie es als das Ordinärste schlechthin betrachtete. Dazu kam auch noch das laute Schlürfen Pauls am Kaffeetisch, und daß er, wenn er den Brötchen zu Leibe rückte, mit vollem Mund sprach. Mimmi Fabrici hatte es wirklich nicht leicht.
«Das Pandabärenpaar im Londoner Zoo«, sagte Paul, mit dem Kopf in der Illustrierten,»spannt die Engländer immer noch auf die Folter.«
Mimmi schwieg, sie konnte den Gedanken an ihr beleidigtes Gesäß noch nicht verdrängen.
«Fachleute glauben, er habe keine Lust«, fuhr Paul fort.»Andere meinen, sie könne ihn nicht genug reizen.«
Mimmi blieb still.
«Was denkst du davon?«fragte Paul sie direkt.
Als ihm keine Antwort zuteil wurde, kam sein Kopf zum Vorschein, da er die Illustrierte herunterklappte.
«Ich habe Sie etwas gefragt, Frau Fabrici.«
Mimmi seufzte.
«Was?«
«Sie haben mir wieder einmal nicht zugehört, Frau Fabrici.«
Wenn Paul ihr so kam, fühlte sich Mimmi ganz besonders strapaziert. Diese Form seiner Ironie betrachtete sie als Gipfelpunkt der Blödheit, aber gerade deshalb bediente sich Paul dieser nicht ungern, weil er wußte, daß Mimmi darunter litt. Die beiden führten also eine recht normale Ehe.
«Ich war in Gedanken, Paul. Du wirst nichts dagegen haben.«
«Das bist du immer. Und ich habe etwas dagegen.«
«Ich dachte an unsere Tochter.«
«An Karin?«
Diese Gelegenheit, ihm seine Ironie ein bißchen heimzuzahlen, ließ sie sich nicht entgehen.
«Ja«, antwortete sie.»Oder wüßtest du noch von weiteren Töchtern unseres Blutes?«
Paul biß in ein Brötchen, kaute, sagte dabei:»Mit dem Wetter scheint sie Glück zu haben.«
«Woher willst du das wissen?«»Vom amtlichen Wetterbericht. Den läßt du dir wohl auch entgehen?«
Mit skeptischer Miene entgegnete Mimmi:»Ein Brief von Karin erschiene mir zuverlässiger, aber sie schreibt ja nicht.«
«Sie ist doch noch kaum weg.«
Obwohl Paul Fabrici dies sagte, war er trotzdem insgeheim auch der Meinung, daß Karin schon etwas von sich hätte hören lassen können.
Er kehrte zu seiner Illustrierten und den Pandabären zurück. Mim-mi konnte dem Thema nicht länger ausweichen. Dumpf drang hinter dem papierenen Vorhang zwischen ihr und Paul dessen Stimme hervor. Die Engländer seien, erfuhr Mimmi, ein verrücktes Volk. Eine Zeitung habe schon von der Hochzeit des Jahres< im Londoner Zoo geschrieben. Die Geduld der Nation werde aber auf eine harte Probe gestellt.
«Warum?«fragte Mimmi endlich.
«Das ist eben das Problem«, erwiderte Paul.»Liegt's an ihm oder an ihr? Entweder hat er keine Lust, oder sie kann ihn nicht reizen.«
«Ich tippe auf ihn«, sagte Mimmi.
«Und ich auf sie«, meinte Paul.
Das klang nach einem Spiegelbild der Vorgänge im ehelichen Schlafzimmer der beiden.
Paul blätterte um, dabei sagte er:»Die Englän. — «
Jäh brach er ab, als sei ihm das Wort im Hals steckengeblieben. Stille herrschte. Dann ächzte Paul schwer.
«Was ist?«fragte Mimmi ihn.
Keine Antwort. Wieder Stille.
«Ist deine Bank pleite, Paul?«
Der Scherz mißlang.
«Mimmi«, sagte Paul mit heiserer Stimme,»hast du deine Herztropfen bei der Hand?«
Mimmi Fabrici nahm, wenn sie sich aufregte, ein Herzstärkungsmittel, um dieses Feld nicht den Damen der Gesellschaft allein zu überlassen. Ihr Herz war zwar durchaus gesund, aber das zu glau-ben, lehnte sie ab, und sie hatte deshalb Dr. Bachern, den Hausarzt, entsprechend unter Druck gesetzt. Nach anfänglichem Widerstand hatte er ihr schließlich ein leichtes Mittel verschrieben, das ihr nicht schaden konnte.
«Meine Tropfen?«antwortete sie.»Warum? Ich wüßte nicht, wozu ich sie im Moment brauchen sollte. Ich fühle mich gut.«
«Nicht mehr lange«, sagte Paul, wobei er die Illustrierte sinken ließ.
Mimmi erschrak nun doch unwillkürlich. Pauls ganzer Kopf war hochrot zum Vorschein gekommen.
Urplötzlich erfolgte die Explosion. Paul haute mit der Faust auf den Tisch, daß die Tassen, die Butterschale, das Marmeladenglas, daß einfach alles, was sich auf dem Tisch befand, hochsprang.
«Sieh dir dat an!«schrie er, die Illustrierte seiner Frau vor die Nase haltend.»Sieh dir dat an, wat se jeworde is!«
«Wer?«fragte Mimmi.
«Deine Tochter!«
Mimmi warf verwirrte Blicke auf die Illustriertenseite, betrachtete die Fotos, auf die Pauls Zeigefinger wies. Ihre Augen wurden groß wie Wagenräder.
«Miß Nickeroog is se jeworde!«fuhr Paul schreiend fort.»Da, da steit se! Jroß im Bild, splitternackt! Ich fahre nach Nickeroog und haue ihr die >Miß Nickeroog< us de Locke!«
Er sprang auf und rannte wütend im Zimmer auf und ab. Mim-mi Fabrici nahm geschockt die Illustrierte zur Hand und betrachtete die Bildreportage über die Wahl der neuen Schönheitskönigin auf Nickeroog. Da war Karin abgelichtet, über eine Seite hinweg, wie sie über einen Laufsteg schritt, wie sie die Krone aufgedrückt bekam, wie sie lächelte und mit dem Veranstalter sprach, wie ihr ein alter Lebemann die Hand küßte und sie sich von einem Filmregisseur eine Karriere in Aussicht stellen ließ.
Mimmi Fabrici hatte Tränen in den Augen, als sie zu Ende gelesen hatte, und legte die Zeitschrift beiseite. Mit vor Rührung zitternder Stimme sagte sie leise:»Wundervoll.«
«Wundervoll?!«brüllte Paul Fabrici, vor ihr stehenbleibend.»Ich werde dem Balg dat ustrieve! Himmel, Arsch und Wolkenbruch! Da hört sich doch de Welt op! Du nennst dat wundervoll, wenn ding Kind sich splitternackt vor alle Männer hinstellt, von denen einer der Bock jeiler is als der andere!«
«Paul, ich bitte dich, mäßige dich«, sagte Mimmi erregt.»Ich kann dich nicht mehr hören. Was ist denn passiert? Unsere Tochter ist über Nacht eine Berühmtheit geworden. Ihre Fotos sind in der größten Illustrierten. Sie wurde gefilmt — hier steht es — man sagt ihr eine Zukunft voraus. Unserer Tochter, verstehst du? Andere würden sich die Finger ablecken. Aber was machst du? Du brüllst hier herum und startest einen Amoklauf, siehst mich an mit Augen, als ob du mich fressen wolltest.«
Großen Erfolg erzielte Mimmi damit nicht, lediglich den, daß Paul vom Dialekt abließ. Seine Lautstärke minderte er jedoch keinesfalls.
«Wer würde sich die Finger ablecken?«schrie er.»Deine sogenannte feine Gesellschaft^ das glaube ich, die ja!«Er tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust.»Aber nicht ich!«
Er rannte wieder auf und ab, fuhr fort:»Ich hole Karin sofort nach Hause zurück!«
«Du bist und bleibst ein Prolet«, sagte Mimmi giftig.
«So?!«brüllte Paul außer sich vor Wut.»Dann verstehe ich nicht, warum du dich an meinem Schweinstrog immer noch so gern satt frißt. Wohl weil dein Schweinskopp nach wie vor gut dazu paßt.«
«Paul!!!«
Mimmi Fabrici wankte im Sitzen und hielt sich an der Tischkante fest.
«Das ist zuviel«, stöhnte sie.»Womit habe ich das verdient? Mein Herz! Meine Tropfen!«
«Such sie dir, ja!«tobte Paul und riß die Illustrierte wieder an sich.»Da — deine Flausen sind das! Deine Flöhe, die du ihr ins Ohr gesetzt hast! Handkuß! >Königin der Insel< steht hier! Filmkarriere!«Er holte Atem.»Schluß jetzt damit! Aus! Sie kommt sofort zurück! Ich rufe sie an, und wenn sie nicht funktioniert, erscheine ich, wie gesagt, persönlich auf dieser Scheißinsel und sorge für Ordnung! Die ersten, aus denen ich Hackfleisch mache, sind dieser Veranstalter und dieser schleimscheißerische Kurdirektor!«
Mimmi Fabrici saß auf ihrem Stuhl und zitterte am ganzen Körper. Daß Paul wütend werden konnte, das kannte sie, aber was er sich jetzt geleistet hatte, übertraf jedes erträgliche Maß. Was war denn geschehen? Karin war ins Rampenlicht getreten, hatte sich zur Wahl gestellt und hatte gewonnen, weil sie hübsch war, hübscher als ihre Konkurrentinnen. Das ließ Mimmis Mutterstolz anschwellen, und sie war bereit, sich schützend vor ihre Tochter zu stellen, gleich einer Tigerin, die ihr Junges verteidigte, auch wenn der böse Feind, von dem Gefahr drohte, der Tigervater selbst war.
Paul Fabrici verließ das Zimmer. Er wollte rauchen, um sich wieder etwas zu beruhigen, und wußte, daß sich die Zigarrenkiste in einem anderen Raum befand.
Mimmi atmete auf, als der Wüterich verschwunden war. Sie begann zu träumen. Karins Leben wird sich ändern. Karin hatte zum Sprung angesetzt. Alle Chancen winkten ihr. Umschwärmt von Männern — nein, von Herren! — , konnte sie sich den Richtigen aussuchen. Karins Erfolg, ihr Ruhm, dachte Mimmi, wird schließlich auch ihren Vater mit dem, was geschehen ist und noch geschehen wird, wieder aussöhnen.
Draußen schellte es. Mimmi schreckte auf und wurde noch blasser, als an der Seite ihres Gatten ein großer junger Mann ins Zimmer trat, mit einem Exemplar der neuerschienenen Illustrierten in der Hand. Er wirkte etwas verlegen, kaute auf seiner Unterlippe.
«Guten Morgen, Frau Fabrici«, grüßte er.
«Guten Morgen, Herr Krahn«, erwiderte Mimmi nervös.
«Setz dich, Peter«, forderte Paul Fabrici den jungen Mann auf, mit der brennenden Zigarre auf einen leeren Stuhl zeigend.»Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
«Ja, gerne«, antwortete der junge Mann, obwohl ihm viel eher nach einem Schnaps zumute gewesen wäre.
Mimmi rührte sich nicht.
«Mimmi«, sagte Paul ganz ruhig, aber mit einem gefährlichen Ausdruck in den Augen.
«Ja?«
«Hast du nicht gehört, was unser Gast möchte?«
«Nein.«
«Kaffee«, sagte Paul noch leiser, aber mit einem noch gefährlicheren Ausdruck in den Augen.
Mimmi Fabrici spürte, daß sie auf einem Pulverfaß saß; daß es nur noch des kleinsten Funkens bedurfte, um sie in die Luft fliegen zu lassen; daß dann nichts mehr sie dazu in die Lage versetzen würde, ihrer Tochter irgendwie förderlich zu sein.
Mimmi Fabrici erhob sich rasch, brachte Geschirr herbei und füllte ihrem unerwünschten Gast eine Tasse mit Kaffee. Sie konnte dabei ein leises Zittern ihrer Hand nicht unterdrücken.
«Danke, Frau Fabrici«, sagte der junge Mann.
«Bitte.«
«Möchtest du einen Schuß Cognac reinhaben, Peter?«fragte Paul Fabrici.
«Ja, gerne.«
Mimmi fühlte sich davon nicht angesprochen, eigentlich mit Recht nicht, und reagierte deshalb auch nicht.
«Mimmi«, sagte Paul.
«Ja?«
«Hörst du nicht?«
«Was denn?«
«Du sollst Cognac bringen.«
«Ich? — Ich dachte, du.«
«Nein, du, verdammt noch mal!«sagte Paul mit anschwellender Stimme.
Nachdem Mimmi auch diese Kreuzwegstation hinter sich hatte, faltete sie die Hände in ihrem Schoß und wartete auf ihre Geißelung. Daß ihr etwas Ähnliches drohte, wußte sie, seit der junge Mann das Zimmer betreten und sie die Illustrierte in seiner Hand wahrgenommen hatte. Sie wollte aber das Ganze nicht ohne weiteres seinen Lauf nehmen lassen, dazu fühlte sie sich Karin gegenüber verpflichtet. Sie sah darin eine erste Probe.
«Ist der Kaffee noch warm genug, Peter?«fragte Paul Fabrici.
«Doch, ja.«
«Ihr habt in der Graf Adolf Straße eine neue Filiale eröffnet, höre ich.«
«Seit ein paar Tagen, ja.«
«Läuft's?«
«Das kann man noch nicht sagen, aber wir haben keine Sorge, daß es das nicht tun wird.«
«Der Meinung bin ich auch. «Paul wandte sich seiner Frau zu.»Und du, was denkst du?«
«Worüber?«
«Über diese Filiale.«
Mimmi zuckte die Achseln.
«Was soll ich darüber denken?«
Das klang so gleichgültig, daß sie gleich hätte sagen können, daß ihr diese Filiale nicht minder schnuppe wäre als die Erstellung einer Straßenampel in Brazzaville.
Gatte Paul lächelte grimmig.
«Siehst du«, sagte er,»wortwörtlich die gleiche Frage stellt sich auch Peter, allerdings in einem anderen Zusammenhang, Mimmi. Stimmt doch, Peter, nicht?«
Krahn räusperte sich.
«Ich wollte nur wissen.«
Dann verstummte er. Mit einem Mann, mit Paul Fabrici, hätte es sich draußen im Flur leichter geredet, als in Anwesenheit seiner Frau hier.
«Du wolltest wissen«, sprang ihm Paul bei,»was du über diese Veröffentlichung in der Illustrierten, die dir heute morgen in die Hände fiel, denken sollst.«
Krahn nickte und blickte Mimmi Fabrici an.
«Eine Karriere beim Film ist natürlich etwas sehr Verlockendes, Frau Fabrici«, meinte er dann, nachdem er sich noch einmal geräuspert hatte, und es war ganz offensichtlich, daß er von ihr Widerspruch erwartete, als er dies sagte. Doch ein solcher kam nicht.
«Ich könnte es von einem Mädchen verstehen, wenn es dem gegenüber alles andere zurückstellen würde «unternahm er einen zweiten Anlauf, der jedoch auch zum Scheitern verurteilt war.
«Sprechen Sie von meiner Tochter?«antwortete Mimmi kühl.
«Natürlich, Frau Fabrici, von Karin.«
«Dann ist es ja gut.«
«Was ist gut?«
«Das sie das von ihr verstehen werden.«
Geschlagen verstummte Peter Krahn, der tüchtige junge Metzger, der eine Schweineschulter von einem Schlegel zu unterscheiden wußte, aber Tolstoi nicht von Dostojewski, und dadurch nicht den Ansprüchen Mimmis genügte. Sein Blick wanderte hilfesuchend zu Paul Fabrici, dessen Zigarre dicke, drohende Wolken aussandte, wenn er an ihr zog.
In diesem Augenblick schellte das Telefon im Arbeitszimmer. Man hörte es durch zwei Türen. Automatisch erhob sich Paul Fabrici, der immer dazu neigte, auf einen geschäftlichen Anruf zu schließen, den er nicht versäumen wollte. Auch Peter Krahn wollte aufstehen, um mit Fabrici das Zimmer zu verlassen, wurde jedoch von diesem daran gehindert.
«Du bleibst sitzen«, sagte Paul zu ihm.»Ich bin gleich wieder da.«
Die Gelegenheit schien Mimmi günstig, dem jungen Mann die Illusionen, die er immer noch hegen mochte, zu zerstören.
«Herr Krahn«, sagte sie frei heraus,»Karin ist keine Frau für Sie. Es ist wirklich das beste, wenn Sie das möglichst rasch einsehen.«
Stumm blickte er sie an.
«Sie können so viele Mädchen haben«, fuhr sie fort.»Sie sind jung, gesund, tüchtig, sehen gut aus, haben Geld, ihnen steht die Welt offen, Sie gehören zu den begehrtesten Junggesellen Düsseldorfs — also greifen Sie doch zu, wählen Sie!«
«Das will ich ja, Frau Fabrici«, sagte Peter errötend.
«So?«Mimmi freute sich, weiterer Bemühungen enthoben zu sein.»Wen denn?«
«Karin.«
Mimmis Miene verschattete sich wieder.
«Aber ich sage Ihnen doch, daß das nicht in Frage kommt.«
«Warum nicht? Ihren eigenen Worten nach bin ich doch eine Partie, die — «
«Herr Krahn«, unterbrach ihn Mimmi,»zwingen Sie mich nicht zu einer Deutlichkeit, die ich gerne vermieden hätte.«
Langsam schwoll auch ihm der Kamm. Er hatte es nicht nötig, sich hier so behandeln zu lassen.
«Nur raus mit der Sprache, Frau Fabrici!«stieß er hervor.
«Lieber nicht.«
«Doch, doch, ich kann mir ja denken, was Ihnen auf der Zunge schwebt.«
Mimmi zögerte nur kurz, ehe sie erwiderte:»Also gut, ich habe Ihnen gesagt, daß Karin keine Frau für Sie ist. Ich hätte aber besser sagen sollen, daß Sie kein Mann für Karin sind. Der Maßstab, den meine Tochter anlegen kann, ist einfach… für den sind Sie einfach… sind Sie einfach.«
Das Wort wollte ihr nun doch nicht über die Lippen, aber er half ihr, indem er einfiel:». zu primitiv, nicht?«
Getreu dem Sprichwort, daß keine Antwort auch eine Antwort sei, blickte sie ihn schweigend an.
«Aber Ihrem Mann, Frau Fabrici«, sagte er nach einer Weile,»bin ich das nicht.«
«Was sind Sie dem nicht?«
«Zu primitiv.«
«Bei meinem Mann«, scheute sich Mimmi nicht zu sagen,»ist das kein Wunder. Wenn er nicht ständig zwischen Ihnen und Karin sozusagen am Einfädeln wäre, säßen Sie ja gar nicht hier. Dann wären Sie überhaupt noch nie auf die Idee gekommen, sich meine Tochter in den Kopf zu setzen.«
Ein Wasserfall löste sich in Mimmi. Sie sprudelte los:»Sind Sie sich denn im klaren, was das heißt? Die größte deutsche Illustrierte bringt eine solche Veröffentlichung. Millionen sehen die Fotos von Karin, lesen, was sich ereignet hat. Sie sind entzückt. Der Nachweis ist geliefert, daß Karin eines der schönsten Mädchen ist, die's überhaupt gibt. Daß sie daneben auch ein intelligentes, gebildetes Mädchen mit Abitur ist, erfährt die Öffentlichkeit ebenfalls. Jederzeit, wenn sie will, kann sie ihr Studium fortsetzen. Ich bin so stolz auf sie, und ich weiß, daß es jetzt darauf ankommt, aufzupassen, daß sie ihren Weg macht, einen anderen, als es der meine war. Erst stand ich jahrelang hinter dem Ladentisch, dann verlangte mein Mann sogar auch noch, daß ich Buchhaltung nachlernte, damit eine Kraft eingespart werden kann. Dasselbe Schicksal würde Karin bei Ihnen blühen, Herr Krahn — «
«Wer sagt denn das?«unterbrach er sie.
«Ich sage das, Herr Krahn, ich! Sie haben doch die gleiche Mentalität wie mein Mann, deshalb sind Sie ihm ja auch so sympathisch, darum ersehnt er Sie als Schwiegersohn. Aber schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Soll ich Ihnen die einzige Möglichkeit, wie das zustande kommen könnte, verraten? Soll ich das?«
«Ja.«
«Nur über meine Leiche!«
Erschöpft schwieg nun Mimmi. Sie hatte sich völlig verausgabt. Dieser ganze Morgen war eine außerordentliche Strapaze für sie; er hatte ihr zugesetzt, wie schon lange keiner mehr.
«Über Ihre Leiche«, sagte Peter Krahn erbittert,»nein, das möchte ich nicht.«
Er erhob sich, um zur Tür zu gehen.
«Nachdem das so ist«, fuhr er dabei fort,»habe ich hier nichts mehr verloren.«
Er streckte die Hand nach der Klinke aus, da wurde die Tür von der anderen Seite her geöffnet. Paul Fabrici kam zurück und fragte:»Wohin, Peter?«
«Ich habe hier nichts mehr verloren«, wiederholte der junge Mann.
Ein rascher Blick Pauls, der nichts Gutes verhieß, streifte Mim-mi und kehrte zu Krahn zurück.
«Setz dich!«
«Wozu das? Nicht mehr nötig.«
«Setz dich, Peter.«
Widerstrebend kam Krahn der Aufforderung nach und nahm wieder seinen alten Platz ein.
Paul Fabrici selbst blieb stehen. Die Frage, die er dann an den jungen Mann richtete, konnte dieser natürlich nicht beantworten.
«Weißt du, wer am Apparat war, Peter?«
«Nein.«
«Dein Vater.«
Überrascht stieß Peter hervor:»Wieso? Was wollte er?«
«Mich fragen, ob du schon hier seist. Wenn ja, sollte ich dich umgehend zurückschicken. Er habe es sich anders überlegt und gebe dir den Rat, daß du dir hier jedes Wort sparen solltest.«
«Das wäre auch das Gescheiteste gewesen«, erklärte Peter Krahn mit gepreßter Stimme.
«Er hat sich, offen gestanden, etwas anders ausgedrückt, etwas derber, weißt du — nicht so, daß du dir hier jedes Wort sparen sollst, sondern.«
Paul Fabrici stockte, wandte sich seiner Frau zu, flocht ein:». und das galt einwandfrei dir.«
Daraufhin setzte er, wieder mit Peter sprechend, den unterbrochenen Satz fort:». sondern daß du dich hier am Arsch lecken lassen sollst.«
Ein erstickter Laut drang aus dem Mund Mimmis. Paul, dessen Zigarre nur noch ein kurzer Stummel war, zog zweimal kräftig an ihr.
«Und daran, Peter, habe ich deinen Vater erkannt, deshalb war ich sicher, daß kein anderer am Apparat war, als der alte Jupp Krahn. So, hat er dann gesagt, und jetzt kannst du mich anzeigen wegen Beleidigung, diese Strafe zahle ich gerne. Bist du verrückt? war meine Antwort. Ich dich dafür anzeigen? Beglückwünschen tu' ich dich dafür, beglückwünschen, hörst du! Was glaubst du denn, was ich an deiner Stelle gesagt hätte? Kein Vergleich mit dem von dir, dessen darfst du sicher sein.«
Neuerlich entrang sich Mimmis Innerem ein ähnlicher Laut wie soeben, und wieder streifte sie ein Blick ihres Gatten, der Unheil ankündigte.
«Ich möchte jetzt doch gehen«, sagte Peter Krahn, seinen Stuhl zurückrückend.
Paul Fabrici hob die Hand.
«Du weißt ja noch gar nicht, was dein Vater und ich vereinbart haben.«
«Was denn?«
«Du fährst nach Nickeroog.«
«Ich?!«stieß Peter Krahn perplex hervor.
«Ja, du.«
«Was soll ich denn dort?«
«Die Karin holen.«
«Aber.«
Mimmi Fabrici wurde lebendig, ohne Rücksicht auf die Gefahr, in die sie sich dadurch brachte.
«Das wird er nicht tun, Paul!«sagte sie mit dem Löwenmut einer Mutter.
Ihr Gatte schien überrascht. Erstaunt drehte er sein Gesicht zu ihr herum, als habe er ihre Anwesenheit völlig vergessen gehabt und nehme sie jetzt erst wieder wahr. Er musterte sie und fragte:»Wer wird was nicht tun?«
«Er«- sie zeigte auf Peter Krahn —»wird nicht nach Nickeroog fahren.«
«Und wer will ihm das verbieten?«
«Ich.«
«So, du?«Pauls Stimme wurde etwas härter.»Als erwachsener Mensch kann er fahren, wohin immer er will.«
«Aber nicht, um Karin zu holen.«
«Doch, gerade dazu.«
«Dann werde ich vor ihm dort sein, um das zu verhindern.«
Die Explosion, die schon längst wieder in der Luft hing, war zum zweitenmal heute fällig.
«Was wirst du?!«brüllte Paul auf, wobei ihm die geschwollenen Adern am Hals zu platzen drohten.»In Nickeroog wirst du sein?!«Er näherte sich ihr drohend.»Ich werde dir sagen, wo du sein wirst!«Er hob die Hand.»Im Krankenhaus wirst du sein, hörst du, wenn du glaubst, dich hier aufspielen zu können!«
Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte in der Tat zugeschlagen. Peter Krahn glaubte schon, dazwischengehen zu müssen, aber das wurde dann doch nicht notwendig. Schweratmend ließ Paul Fabrici die Faust, auf die seine Frau mit entsetzt aufgerissenen Augen gestarrt hatte, sinken. So etwas hatte Mimmi von ihm noch nie erlebt. In einem Trivialroman hatte sie einmal von einem menschlichen Vul-kanausbruch< gelesen und sich nicht das Richtige darunter vorstellen können. Nun war ihr einer vorgeführt worden.
Paul Fabrici wischte sich über die Stirn.
«Komm«, sagte er kurz zu Peter Krahn, nahm ihn am Oberarm und zog ihn mit sich aus dem Zimmer, ging hinüber in seinen Arbeitsraum und steckte sich dort erst einmal wieder eine gute Zigarre an.
Peter war Nichtraucher.
Dann tranken beide einen Schnaps. So glättete vor allem Paul Fa-brici die Wogen in seinem Inneren, aber auch das seelische Gleichgewicht Krahns verlangte und fand dadurch die nötige Wiederherstellung.
Schließlich sagte Fabrici:»Du fährst also?«
Zögernd antwortete Krahn:»Ich weiß nicht.«
«Du fährst, basta.«
«Und wann?«
«Das liegt bei dir. Möglichst rasch, würde ich sagen. Was ist dir lieber — Eisenbahn oder Auto?«
«Ich fahre eigentlich ganz gern mit der Bahn.«
«Recht hast du, ich auch. Da ist man am Ziel viel besser ausgeruht. Dann laß uns gleich mal nachsehen.«
Paul Fabrici war ein Mann, der Nägel mit Köpfen machte. Rasch nahm er einen Fahrplan aus der Schreibtischschublade und suchte mit seinen dicken Fingern den besten Zug heraus.
«Dat is er, Peter«, sagte er.»Sieh her. Zwölf Uhr ab Hauptbahnhof. Biste um sechzehn Uhr in Norddeich. Mit dem Schiff um zwanzig Uhr auf Nickeroog. Dat schaffste janz jemütlich.«
Der Dialekt bewies, daß Fabricis Zorn schon wieder ziemlich verraucht war.
«Und was mache ich, wenn Karin mich zum Teufel jagt?«fragte Peter Krahn.
«Wat sääste?«
«Wenn Karin mich zum Teufel jagt, was mache ich dann?«
«Biste jeck? Bloß nichts jefallen lassen! Wer nur einmal einer nachgibt, die er heiraten will, der bleibt sein Leben lang ein Sklave. Von Anfang an Zunder geben, dat et knallt! Dat sind die besten Ehen, in denen die Schränke rappeln. Hast du mich vorhin nit jehört? Hast du nit jesehen, wie sie zitterte?«
«Ich möchte nicht, daß Karin zittert.«
«Dat wirst du ja sehen. «Paul legte dem jungen Mann den Arm um die Schulter.»Du sollst nur wissen, daß ich op ding Linie steh'. Mer müsse zosammehalte. Wenn uns de Frauen wat wollen, immer kontra! Peter, ich habe bald drei Jahrzehnte Ehe auf'm Buckel — mich erschüttert kein Kriech mehr. Mein Fell is hart jeworden wie Nilpferdhaut. Dat lernste ooch noch. Mer Männer müssen uns alle einig sein. Sobald die Frau kütt und uns erziehen will — sofort Zunder jeben, wiederhole ich. Merk dir dat.«
Peter Krahn nickte. Er kam sich in seiner Haut aber überhaupt nicht kriegerisch vor, wenn er an Karin dachte, und wünschte sich, gar nicht hierhergekommen zu sein, wo ihn die Entwicklung überrollt hatte. Doch nun gab es kein Zurück mehr, jetzt mußte er fahren. Unsicher schaute er Paul Fabrici an.
«Nimm den Fahrplan mit, steck ihn ein«, sagte Paul Fabrici und schob ihm selbst das Kursbuch in die Jackettasche.
Peter ließ auch das mit sich geschehen. Das Buch war gar nicht besonders dick und schwer und schien dennoch einen Zentner in Peters Tasche zu wiegen. Er zog seinen Körper nach vorn. Wie ein gebrochener Mann schlich er aus dem Arbeitszimmer Fabricis und holte draußen auf der sonnigen Straße tief Luft.
Heiß brannte die Sommersonne schon am Morgen vom Himmel herunter. An einigen Stellen war der Asphalt noch vom Vortag in großen Placken geschmolzen und aufgetreten.
Nickeroog, dachte Peter Krahn. Karin! Ich habe mich doch ihr gegenüber noch gar nicht ausgesprochen. Ich habe ihr immer nur gesagt: >Du bist ein nettes Mädchen.< Und jetzt soll ich sie einfach wegholen und ihr erklären: >Los, komm mit, keinen Widerspruch, ab nach Düsseldorf, du sprichst mit deinem zukünftigen Mann, der bin ich, ich brauche eine Frau fürs Geschäft und keine Schönheitskönigin oder eine Filmdiva, verstanden!<
Die tritt mir ja in den Hintern, dachte Peter Krahn.
In seinem Auto fing er an zu schwitzen. Bis er die Firmenzentrale, wo er von seinem Vater schon erwartet wurde, erreicht hatte, war er ganz naß.
Jupp Krahn, der Alte, blickte düster.
«Na?«fragte er.
«Ich soll die holen, Vater«, antwortete der Junge deprimierten Tones.
«Das weiß ich. Der Fabrici hat mich inzwischen schon angerufen. Was mich interessiert, ist, ob es stimmt, daß du darauf eingegangen bist.«
«In gewisser Weise schon, Vater.«
«In gewisser Weise?«
Peter nickte.
«Mensch«, regte sich der Alte auf,»was heißt das? Ich will's klipp und klar wissen — ja oder nein?«
«Ja.«
«Na also.«
«Aber das bedeutet nichts, Vater«, sagte der Junge rasch.
«Warum bedeutet das nichts?«
«Ich habe ja noch nicht einmal die Adresse von der. Der Fabri-ci hat vergessen, sie mir zu geben, und ich werde ihn nicht mehr danach fragen.«
«Das rettet dich nicht, Junge.«
«Wieso nicht?«
«Die Adresse hast du schon. Er hat sie mir am Telefon durchgegeben, eben weil er vergessen hatte, sie dir zu nennen.«
Es stimmte also das, was Jupp Krahn gesagt hatte — >Das rettet dich nicht, Junge.<
Der Kelch >Nickeroog< würde an seinem Sohn nicht vorübergehen, das stand fest.