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Kapitel 7

Peter Krahn fühlte sich gar nicht wohl, als er an der Mole von Nik-keroog den Bäderdampfer verließ und zusammen mit einem Schwarm von Sommergästen den weißen Strand betrat, der, geschmückt mit Fahnen und Girlanden, die Neuankommenden empfing. Kleine Pferdekutschen standen bereit, welche die Gäste zu dem zwei Kilometer entfernten Hotelort bringen sollten. Ein Schwarm von Eisverkäufern fiel mit Rufen und Anpreisungen über die neue Kundschaft her. Da auf diesem Dampfer eine Reisegesellschaft, die angekündigt worden war, eintraf und mit einem großen Transparent über ihren Häuptern (>Immer fröhlich, immer froh — mit Reisedienst Franz Om-merloh<) von Schiff marschierte, hatte sich am Ufer auch eine Blaskapelle eingefunden und spielte einen flotten Marsch aus guter alter Preußenzeit. Bekannte schüttelten sich die Hände, Verwandte lagen sich in den Armen, eine Gruppe von Studenten empfing einige Kommilitonen mit einem dröhnenden Gaudeamus igitur<, und zwei Frauen mittleren Alters sahen so aus, als landeten sie auf der Insel, um ihre Ehemänner aus einem Sündenbabel herauszuholen.

Peter Krahn stand am Strand, fühlte, wie der feine weiße Sand in seine offenen Schuhe drang, und sah sich ratlos um. An einem Mast entdecke er ein Spruchband, dessen Text ihn zusammenzucken ließ: Miss Nickeroog heißt auch Sie willkommen.< Und an einer Kioskwand hieß es: Wollen Sie Miß Nickeroog sehen, kommen Sie abends ins Kurhotel<.

Peter Krahn erlitt dadurch einen kleinen Schock, der ihn plötzlich erkennen ließ, daß er sich in Düsseldorf vom alten Fabrici eine Aufgabe hatte aufbürden lassen, der er hier — das wußte er jetzt — nie und nimmer gewachsen war.

In einem Anfall von Reue über sein wahnwitziges Unternehmen ging er zu dem Häuschen der Schiffahrtsgesellschaft und studierte den Fahrplan der Rückfahrten. Aber er hatte ausgesprochenes Pech, denn dieses Schiff war das letzte, blieb in Nickeroog liegen und nahm erst am nächsten Morgen um 7.30 Uhr wieder Kurs auf Norddeich.

Unschlüssig sah sich Peter Krahn um. Dann zuckte er, in sein Schicksal ergeben, die Achseln und bestieg mit einigen anderen Nachzüglern eine der kleinen Pferdekutschen. Gemächlich rollte das Gefährt den Strand entlang, an den die langen Wellen der Flut klatsch-ten, die kurz zuvor eingesetzt hatte. Überall sah man lustige Menschen, die den Kutschen zuwinkten, >Neger<, welche die >Weißen< mit spöttischen Zurufen bedachten, junge Pärchen, die zwischen den Dünen nicht ihr Heil, aber ihr Glück suchten. Sogar auch einige flotte Reiter, die ihren Abendritt machten, ließen sich bewundern.

Die Neger<, das waren die Braungebrannten, die schon länger auf der Insel weilten und ihre Luxuskörper der Sonne ausgesetzt hatten; die >Weißen<, das waren jene, deren Urlaub erst begann.

Peter Krahn fuhr sich mit dem Finger zwischen Hals und Kragen. Er fühlte sich unbehaglich. Die Miß Nickeroog-Transparente< hatten ihn sozusagen aus der Bahn geworfen.

«Gestatten«, sagte er zu dem Mann, der neben ihm saß,»Peter Krahn.«

Damit hatte der andere, der einen Stumpen paffte, wohl nicht gerechnet. Er schien überrascht.

«Angenehm«, erwiderte er notgedrungen.»Franz Joseph Biechler.«

Aus Potsdam stammt der nicht, erkannte Krahn sehr wohl und sagte:»Ich habe gesehen, daß Sie nicht mit unserem Schiff ankamen.«

«Nein.«

«Sie haben jemanden erwartet?«

«Ja.«

«Aber der kam nicht?«

«Nein.«

Kein gesprächiger Typ, dachte Peter Krahn und wollte auch wieder in Schweigen versinken, um den anderen in Ruhe zu lassen. Doch nun sagte dieser:»Sie sind Rheinländer?«

«Ja. Hört man das?«

«Sehr gut. Ich bin Bayer.«

«Mit einem Berliner hätte ich Sie auch nicht verwechselt.«

Das Eis war gebrochen. Beide grinsten.

«Wie war Ihr Name?«fragte der Münchner.

«Peter Krahn.«

«Der meine Biechler. Franz Joseph Biechler.«»Den Vornamen hätten Sie nicht wiederholen müssen. Der prägt sich einem schon beim erstenmal ein, so markant ist er.«

«Denken Sie jetzt an den österreichischen Kaiser oder an unseren bayerischen?«

«An den bayerischen — aber ich höre von Ihnen zum erstenmal, daß der schon zum Kaiser ausgerufen worden ist.«

«Wer?«

«Euer Franz Joseph.«

«Der nicht, nein, aber von dem rede ich ja auch gar nicht.«

«Von wem dann?«

«Vom Franz«, fuhr Biechler fort zu blödeln.

Krahn guckte dumm.

«Vom Kaiser Franz«, half ihm Biechler auf die Sprünge.

«Ach«, leuchtete es im Gesicht Krahns auf,»vom Beckenbauer. Ja, der sticht jedes gekrönte Haupt aus, für den schlägt jedes bayerische Herz, das glaube ich. Oder hat es ihm geschadet, daß er München verlassen hat?«

«Nach Amerika?«

«Und anschließend sogar nach Hamburg.«

«Überhaupt nicht«, sagte Biechler mit der Hand winkend.»Von gekrönten Häuptern — um auf Ihren Ausdruck zurückzukommen — ist man es heutzutage ja gewöhnt, daß sie ins Exil gehen. Nur war es früher so, daß sie von ihren Völkern vertrieben wurden.«

«Und heute?«

«Vom Finanzamt.«

«War es das allein, daß bei Beckenbauer der Fall zutraf?«

«Nein, nicht ganz, aber das andere, was noch hinzukam, hätte er verkraften können, ohne zu emigrieren.«

Die großen, weißen Hotels tauchten vor ihnen auf. Die Kutsche fuhr unter einem Transparent hindurch, auf dem die Gäste noch einmal willkommen geheißen wurden. Peter Krahn fühlte sich wieder an Karin erinnert, und das alte Unbehagen stellte sich ein.

«Ihnen ist aufgefallen«, sagte Biechler,»daß ich am Strand quasi versetzt wurde.«»Ja. Auf wen haben Sie denn gewartet?«

«Auf meinen Freund mit seiner Frau. Gott sei Dank kamen sie nicht«, erwiderte Biechler.»Dazu kann ich die beiden nur beglückwünschen.«

«Beglückwünschen? Wieso?«

«Ich kenne den, wissen Sie. Den hätte hier sehr rasch keiner mehr aushalten können. Der lebt nämlich in der Ramsau bei Berchtesgaden. Einen größeren Unterschied können Sie sich gar nicht vorstellen. Daher bin ich für ihn froh, daß er es sich anscheinend im letzten Moment wieder anders überlegt hat.«

«Ist es denn hier so schlimm?«

«Na ja«, seufzte Franz Joseph Biechler, zwei gewaltige Wolken aus seinem Stumpen holend.

«Haben Sie Langeweile?«

«Wenn wenigstens das Bier besser wäre«, lautete Biechlers Antwort,»dann ließe sich alles andere ertragen, das Salzwasser, der ewige Wind, das Geschrei der Möwen, der Sand zwischen den Zehen, die Sprache der Fischer, die kein Mensch versteht. und so weiter und so fort. Sie werden das alles selbst erleben.«

«Ich frage mich nur, warum Sie dann hierhergefahren sind.«

«Man hat mich dazu gezwungen.«

«Wer?«

«Meine Frau«, sagte Biechler düster, Krahn seinen Ringfinger mit dem Ehereif vor Augen haltend. Und er fuhr, nachdem der Düsseldorfer gelacht hatte, fort:»Warten Sie nur, bis Sie selbst auch soweit sind, dann werden Sie erfahren, was mit einem Mann alles geschehen kann, wenn er sich einer Frau ausliefert. Sie sind noch jung, und trotzdem hat es keinen Zweck, Ihnen zu raten, sich vor solchem Wahnsinn zu bewahren. Den Fehler, zu heiraten, macht fast jeder; diesbezüglich scheint es sich um eine Besessenheit unter den Männern zu handeln.«

Als die Strandpromenade unter der Kutsche wegrollte und ihnen die eleganten Damen und Herren zulächelten, als die vornehmen Lokale und Bars mit den Neonreklamen und den Spiegelwänden in Marmoreinfassungen vor ihnen auftauchten, wäre Peter Krahn am liebsten ausgestiegen und zu Fuß zum Anlegeplatz des Schiffes zurückgegangen. In Düsseldorf war er ein selbstbewußter junger Mann mit einem vermögenden Elternhaus im Rücken, hier fühlte er sich unsicher, völlig fehl am Platze und schon von vornherein blamiert.

Hier kann doch jeden Augenblick Karin auftauchen, sagte er sich. Was mache ich dann? Was sage ich ihr?

«Herr Krahn«, faßte der erfahrene, doppelt so alte Franz Joseph Biechler aus München das, was er gesagt hatte, zusammen,»ich empfehle Ihnen nur eines: Lassen Sie sich im Urlaub hier von keiner einfangen; fahren Sie so in Ihre Heimat zurück, wie Sie hierhergekommen sind — allein.«

Vor dem Kurhaus hielt man an und überließ es den Gästen, sich zu ihren Hotels und Pensionen zu begeben. Bedienstete aller Häuser mit Schildern oder beschrifteten Mützen holten ihre Schutzbefohlenen ab, und bald stand Peter Krahn allein und verlassen vor dem Kurhaus, eine Reisetasche neben sich und ein Gefühl der Beklemmung in der Brust.

Franz Joseph Biechler hatte ihm die Hand geschüttelt und sich mit einem» Alles Gute, vielleicht sehen wir uns noch einmal. «verabschiedet und rasch entfernt.

Ein freundlicher älterer Mann trat auf ihn zu und grüßte.

«Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Suchen Sie etwas? Ein Zimmer?«

«Ja.«

«Mit oder ohne Dusche und WC?«

«Mit.«

«Der Preis?«

«Spielt keine Rolle.«

Das hört man gerne, dachte der ältere Herr und wurde noch freundlicher.

«Dann wüßte ich das Richtige für Sie.«

«Wo?«

«Bei mir.«

Es stellte sich heraus, daß Peter Krahn mit einem ehemaligen Hotelportier namens Karl Feddersen sprach, der sich nach einem arbeitsreichen, sparsamen Leben eine eigene kleine, aber elegante Pension zugelegt hatte. Sie sollte ihm erstens seinen Ruhestand sichern und ihm zweitens die Möglichkeit bieten, die Hände nicht völlig in den Schoß legen zu müssen. Feddersen vertrat nämlich den Standpunkt vieler, daß der Mensch etwas zu tun haben müsse, solange er sich noch außerhalb des Grabes bewegen könne. Und was hätte sich dazu für einen ehemaligen Hotelportier besser geeignet als eine eigene Pension, die in Betrieb zu halten war? Stützen konnte sich Feddersen dabei auf eine wesentlich jüngere Gattin und eine noch viel, viel jüngere Tochter, die er erst als guter Vierziger gezeugt hatte. Zuvor in seinem Leben hatte er zu solchen Dingen — wie Heirat und Vaterschaft — keine Zeit gehabt.

«Wohin müssen wir?«fragte Krahn.

Feddersen zeigte ihm die Richtung, dabei sagte er:»Fahren wir oder gehen wir zu Fuß?«

«Wie weit ist es denn?«

«Sieben Minuten.«

«Dann gehen wir. Vom Sitzen tut mir heute schon der Hintern weh.«

«Woher kommen Sie denn?«

«Aus Düsseldorf.«

«In Düsseldorf«, sagte Feddersen erfreut,»habe ich auch ein paar berufliche Jahre verbracht. War eine schöne Zeit. Leckere Mädchen.«

«Sind die nicht überall lecker?«

«Doch«, lachte Feddersen.

Er war noch sehr rüstig. Wie zum Beweis dafür sagte er schon nach wenigen Schritten:»Geben Sie mir Ihre Reisetasche.«

«Was?«antwortete Peter Krahn.»Ich Ihnen? Soll das ein Witz sein?«

«Sie sind der Gast und haben Anspruch darauf, Ihr Gepäck nicht selbst schleppen zu müssen.«

«Nee, nee«, grinste Peter.»Keine Sorge, dazu reichen meine Kräfte schon noch aus.«

Feddersen warf von der Seite her einen prüfenden Blick auf die ganze Gestalt Krahns.

«Gut bei Kräften scheinen Sie ja zu sein.«

Mit verstärktem Grinsen entgegnete der junge Düsseldorfer:»Das macht mein Beruf.«

«Was sind Sie denn?«

«Gelernter Metzger.«

«Im Angestelltenverhältnis?«

Anscheinend war Karl Feddersen ein Mann, der den Dingen gern auf den Grund ging.

«Nein«, erwiderte Peter Krahn.»Bei meinem Vater.«

Die Pension, der sich die beiden bald näherten, war erst vor zwei Jahren erbaut worden und zeigte in der Abendsonne ihr bestes Gesicht. Alles an ihr war neu und solide und ließ ahnen, daß keineswegs schon alle Bindungen an eine Bank gekappt waren. Am Eingang standen zwei Damen — Mutter und Tochter, wie eine große Ähnlichkeit der beiden vermuten ließ — und blickten verschreckt. Sie hatten die zwei Männer kommen sehen.

«Margot«, sagte Karl Feddersen zur Älteren, die seine Frau war,»ich bringe dir einen neuen Gast.«

Margots Reaktion war kein Jubelruf.

«Du liebe Zeit! Das dachte ich mir!«

«Aber.«

Er verstummte, er schien Böses zu ahnen.

«Wir sind voll, Karl.«

Seine Befürchtung hatte sich also bestätigt.

«Aber als ich wegging, Margot.«

«.hatten wir noch ein Zimmer frei, ja. Inzwischen rief jedoch Frau Seeler aus Bremen an, und ich habe es an die vergeben.«

«Wann kommt sie?«

«Morgen.«

Die Panne war sowohl Herrn als auch Frau Feddersen sichtlich unangenehm.

«Ich kann Sie nur um Entschuldigung bitten«, sagte der Pensionsbesitzer zu Krahn.»Mir ist das sehr peinlich.«

«Aber ich bitte Sie«, antwortete Peter Krahn,»Sie haben es doch nur gut gemeint.«

Dann fiel sein Blick wieder auf die jüngere der Feddersen-Damen, die ihn überhaupt mehr zu interessieren schien als jede andere Person hier.

«Ich hätte Sie nicht herlocken dürfen«, meinte der Pensionsinhaber.

Zu ihm sagte seine Frau:»Du mußt dem Herrn morgen ein Zimmer besorgen. Heute nacht kann er ja noch bei uns bleiben.«

«Selbstverständlich«, nickte Feddersen und fragte Krahn:»Wären Sie damit einverstanden?«

«Mit was?«erwiderte Krahn, dessen Aufmerksamkeit irgendwie gestört war.

«Daß Sie heute bei uns bleiben und ich Ihnen morgen ein Zimmer in einem anderen Haus besorge.«

«Aber das macht Ihnen doch mehr Umstände als mir. Es wird sich doch auch heute schon etwas Geeignetes für mich finden lassen.«

Herr und Frau Feddersen blickten einander an. Plötzlich meldete sich ihre Tochter zu Wort.

«Wollen Sie denn nicht die eine Nacht bei uns bleiben?«fragte sie Krahn.

«Doch«, nickte der eifrig,»das möchte ich schon, sehr gern sogar, aber«- er zuckte die Schultern —»man hört doch immer, daß das keine Begeisterung erregt.«

«Daß was keine Begeisterung erregt?«

«Na, die Bettwäsche für eine Nacht und so, meine ich… und.«

Das Feddersen-Trio lachte.

Kurze Zeit später stand Peter Krahn in einem sehr hübschen Zimmer, sah sich um und sagte zur Tochter, die es ihm gezeigt hatte:»Aus dem so rasch wieder auszuziehen, wird mir in der Tat nicht leichtfallen.«

Ohne zu zögern, erwiderte sie:»Eventuell findet sich eine Lösung.«

«Ja?«meinte er hoffnungsvoll.

«Ich finde, das sind wir Ihnen schuldig, Herr.«

«Krahn. Peter Krahn. Aus Düsseldorf.«

«Freut mich«, lächelte sie.»Heidrun Feddersen. Aus Nickeroog.«

Das brachte natürlich beide zum Lachen. Mit dem Auspacken eilte es Peter nicht so sehr, deshalb hätte er sich noch gerne mit Hei-drun ein bißchen länger unterhalten, doch das ging nicht, denn das Mädchen wurde von ihrer Mutter nach unten gerufen.

«Wenn Sie etwas brauchen«, sagte sie auf der Schwelle,»lassen Sie es mich wissen, ja?«

«Wahrscheinlich brauche ich viel«, rutschte es Peter heraus.

Die Tür klappte zu. Hurtige Schritte, welche die Treppe hinabliefen, wurden vernehmbar. Peter sah die Beine, die dieses Geräusch verursachten, deutlich vor sich. Versonnen war sein Blick, der durch die Tür hindurchging.

Verdammt hübsches Mädchen, dachte er und erschrak. Karin fiel ihm ein, Karin, die eindeutig noch hübscher war und wegen der er die Reise nach Nickeroog angetreten hatte.

Das Zimmer hatte nicht nur Dusche und WC, sondern auch Radio und Telefon. Was fehlte, war lediglich ein Fernseher. Das Telefon erinnerte Peter an die Bitte seiner Mutter, nach der Ankunft auf Nickeroog anzurufen und Bescheid zu geben, daß alles in Ordnung sei. Er erledigte dies.

«Wann kommt ihr zurück?«fragte ihn Mutter.

«Wer >ihr<, Mama?«

«Du und Karin.«

«Kann ich nicht sagen. Die habe ich ja noch gar nicht getroffen.«

«Sag uns aber gleich Bescheid, wenn das der Fall war.«

«Ja, mache ich.«

«Paß auf dich auf, fall mir nicht ins Meer.«

«Keine Sorge. Grüße an Papa. Wiedersehen, Mama.«

«Wiedersehen, Junge.«

Nach diesem Telefonat packte Peter die Reisetasche aus, hing seine Sachen in den Schrank und wechselte, nachdem er sich geduscht hatte, das Hemd. Dann ging er hinunter, in der Hoffnung, Heidrun zu treffen. Er hatte Glück. Im Flur begegnete sie ihm, einen Staublappen in der Hand. Sie hatte schwarzes Haar, schwarze Augen und einen schwarzen Humor.

«Wenn ich einmal tot bin«, sagte sie zu Peter,»lasse ich mir Besen, Staubsauger und Staublappen in den Sarg legen. Sie sind meine treuesten Begleiter.«

Da heißt es bei uns immer, daß die an der Küste alle blond und blauäugig sind, dachte Peter. Blödsinn!

«Ich habe telefoniert, Fräulein Feddersen«, erklärte er.

«Sagen Sie Heidrun zu mir.«

«Gerne — wenn Sie Peter zu mir sagen.«

«Ist gut, Peter. Telefongespräche werden automatisch registriert. Das Problem mit Ihrem Zimmer ist gelöst. Sie können drin wohnen bleiben.«

«Und die Dame aus Bremen?«

«Bekommt ein anderes.«

«Hat jemand abgesagt?«

«Ja«, nickte Heidrun. Das war aber eine Lüge.

Ein wenig verlegen fragte Peter, ob ihn diese Regelung irgendwie binde.

«Wieso binde?«antwortete Heidrun.»Was meinen Sie damit?«

«Es könnte sein, daß ich das Zimmer morgen gar nicht mehr brauche. Ich hätte Ihnen das schon eher sagen müssen. Vielleicht reise ich nämlich von Nickeroog schon wieder ab.«

Was heißt vielleicht? dachte er dabei. Wenn ich Karin begegne — und warum sollte ich ihr nicht begegnen? — , ist das mit Sicherheit der Fall. Entweder sie erklärt sich bereit, mit mir zu kommen, und wir fahren gemeinsam — oder sie läßt mich abblitzen, meine Mission hier ist damit auch beendet, und ich verschwinde allein; auf jeden Fall schüttle ich den Staub bzw. den Sand Nickeroogs von meinen Füßen; so ist's vorgesehen.

«Das kann ich fast nicht glauben«, erklärte Heidrun.

«Was können Sie fast nicht glauben?«entgegnete Peter.

«Das jemand nur für einen Tag nach Nickeroog kommt.«»Doch«, stieß Peter hervor und wiederholte:»Ich hätte Ihnen das wirklich schon eher sagen müssen.«

Heidrun konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.

«Und warum haben Sie es mir nicht schon eher gesagt?«

Peter sah sie voll an. Den Blick wieder senkend, erwiderte er dann:»Weil mein Wunsch, hier länger zu wohnen, so groß war — und noch ist«, setzte er hinzu.

«Dann tun Sie's doch«, sagte Heidrun spontan.

Peter hob seinen Blick wieder. Beide schauten einander an. Es war ein stummes Frage- und Antwortspiel.

Ist denn das die Möglichkeit? dachte Peter Krahn. Gibt's denn das? Wer bin ich denn plötzlich? Ein ganz anderer? Noch vor einer halben Stunde, wenn mir einer erzählt hätte, daß das möglich ist, was mit mir hier vorzugehen scheint, hätte ich ihn nur ausgelacht. Und jetzt.?

Ganz Ähnliches ging Heidrun durch den Kopf. (Oder sollte man hier nicht besser sagen: durch das Herz?)

Aus einem der unteren Räume drang eine Stimme und schreckte die beiden auf:»Heidrun!«

«Ja, Mutti?«

«Du wolltest doch morgen dein Zimmer räumen. Fang damit am besten heute schon an. Deine Sachen müssen doch alle raus.«

Karin gab darauf keine Antwort. Unter Peters Blick errötete sie rasch und heftig. Mutter Feddersen glaubte anscheinend, ihren Vorschlag dringlich genug gemacht zu haben, denn man hörte von ihr nichts mehr.

«Sie wollten also Ihr Zimmer räumen?«sagte Peter zu Heidrun.

«Nicht für Sie«, erklärte Heidrun wahrheitsgemäß.

«Nein, nicht für mich«, nickte Peter.»Für die Dame aus Bremen, nehme ich an.«

«Ja.«

«Damit deren Zimmer ich behalten kann.«

«Das Ganze ist ja nun gar nicht mehr notwendig.«

«Warum nicht?«»Weil Sie doch abreisen.«

«Nein.«

«Nein?«Das war ein kleiner Jubelruf aus Heidruns Mund.

«Das heißt. ich weiß es noch nicht. es besteht die Möglichkeit.«

Er unterbrach sich:»Sagten Sie nicht, daß jemand seine Zimmerbestellung abgesagt hat?«

«Sagte ich das?«

«Ja, ich glaube mich daran zu erinnern, daß Sie das sagten.«

«Ich kann mich aber nicht daran erinnern.«

Das Telefon läutete. Man hörte es aus dem Zimmer, aus welchem auch die Stimme von Frau Feddersen gekommen war. Frau Feddersen hob ab und sagte in Abständen:»Guten Tag, Herr Harder. Danke, und Ihnen?… Wir sehen uns ja morgen, nicht?… Nein? Warum nicht?. Ach Gott, das tut mir aber leid, Sie sind mit dem Fahrrad gestürzt, dabei soll Radfahren jetzt so gesund sein, sagen Sie und alle Leute. Da kann man mal wieder sehen, nicht?… Lassen Sie sich deshalb keine grauen Haare wachsen, Herr Harder, wir sind voll, Ihr Zimmer steht Ihnen dann später zur Verfügung. Ja. Ja. Ganz bestimmt, ja. Rufen Sie uns an, wenn Sie wieder auf dem Damm sind, ja?… Wiedersehen, Herr Harder, gute Besserung.«

Man hörte, wie Frau Feddersen auflegte. Nun konnten Heidrun und Peter auf dem Flur ihr Gespräch wieder ungestört fortsetzen.

«Jetzt erinnere ich mich«, sagte Heidrun.

«An was?«fragte Peter.

«Daran, daß jemand seine Zimmerbestellung rückgängig gemacht hat.«

«Heidrun!«rief Frau Feddersen.

«Ja?«

«Du kannst deine Sachen lassen, wo sie sind. Der Herr Harder aus Hannover kommt nicht.«

«Ist gut, Mutti.«

«Wo steckst du eigentlich? Ich brauche dich.«

«Gleich komme ich.«

Heidrun blickte Peter an, der den Kopf schüttelte.

«Alles klar«, meinte sie.»Sie hörten es selbst: Es hat jemand abgesagt, wie ich es Ihnen mitteilte. Nur mein Erinnerungsvermögen war ganz kurz gestört.«

Peter schüttelte den Kopf noch stärker.

«Darüber sprechen wir noch«, entgegnete er mit gespielter Strenge.»Jetzt müssen Sie zu Ihrer Mutter, das rettet Sie im Moment.«