37802.fb2 Die linke Hand - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 21

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Kapitel 20

Schwester Agnes stand am Tor, als hätte sie sie erwartet. Sie klopfte eine Bettpfanne nach der anderen an der Mauer des Gebäudes aus und schob mit dem Fuß Erde über den Unrat. Sie sah müde aus, als arbeitete sie ohne Unterbrechung.

Als der Wagen vorführ, stellte Ren fest, dass Schwester Agnes zwischen ihnen und dem Kellereingang stand. Er zauderte kurz, dann beschloss er, sich so zu verhalten, wie Benjamin es getan hätte. Er lächelte und winkte ihr zu. Dann übergab er Dolly die Zügel und zog die Bremse an. »Unsere Hauswirtin ist krank.«

Schwester Agnes stellte die Bettpfanne, die sie gerade leeren wollte, ab und öffnete das Tor. »Wenn es ansteckend ist, müsst ihr wieder weg.« Sie trocknete sich die Hände an ihrer grauen Schürze ab, ging zur Rückseite des Wagens, und noch ehe Ren sie daran hindern konnte, schlug sie die Decken zurück.

Ren rechnete damit, dass sie schreien würde. Oder in Tränen ausbrechen. Doch nach einem flüchtigen Blick auf die toten Männer widmete sich Schwester Agnes einfach dem Körper in der Mitte und befühlte Mrs. Sands’ Stirn.

»Sie hat Fieber«, sagte Schwester Agnes. Sie schob Mrs. Sands’ Augenlider hoch. »Erweiterte Pupillen.« Sie tastete den Hals ab. »Geschwollen.« Sie schob Mrs. Sands’ Lippen auseinander und schaute ihr in den Mund. »Entzündet.« Während der ganzen Zeit versuchte Mrs. Sands, sie mit der Hand wegzustoßen, aber Schwester Agnes wich ihr geschickt aus. Sie hielt sie an beiden Handgelenken fest und legte ihr einen Moment lang das Ohr auf die Brust.

»Wird sie wieder gesund?«

»Still!«

»Mörder!«, schrie Mrs. Sands.

Ren spürte, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich. Aber die Ordensschwester achtete gar nicht auf Mrs. Sands. Sie horchte noch eine Minute, richtete sich dann auf und zog die Decke wieder zurecht. »Sie hat Influenza.«

»Ist das schlimm?«

»Möglicherweise schon. Das kommt vom feuchten Wetter. Und es ist ansteckend. Sie wird die Krankheit auf die anderen Patienten auf der Station übertragen. Wir können sie nicht aufnehmen.« Mit geübtem Griff stopfte sie die Decke unter Mrs. Sands’ Körper. »Es sei denn, ihr habt ausreichend Mittel für ein Privatzimmer.«

Ren grub in seinen Taschen und holte das Geld aus dem Bettpfosten hervor. Schwester Agnes nahm ihm die Scheine aus der Hand, und Ren fragte sich beunruhigt, ob es wohl reichen würde. Wortlos zählte die Nonne das Geld ab, dann richtete sie ihre schwarzen Augen auf Dolly, der noch immer auf dem Kutschbock saß. Er hatte die Schultern hochgezogen und blickte starr vor sich hin. Er hatte weder sie noch Ren, noch sonst etwas auf den letzten drei Meilen wahrgenommen.

»Bruder?«

Dolly schaute zu Schwester Agnes hinunter.

»Kommt Ihr aus Saint Anthony?«, fragte sie.

»Ja«, sagte Ren, »so ist es.«

Dolly machte ein Kreuzzeichen, und Schwester Agnes beobachtete ihn aufmerksam.

»Woher kommen diese Männer?«

Die Frage klang vorwurfsvoll, und Dollys Gesicht verdüsterte sich. Ren merkte genau, dass er sie taxierte, um das Risiko einzuschätzen. Ren sprang in die Bresche.

»Die haben wir auf der Straße gefunden.«

Er sah der Nonne an, dass sie misstrauisch wurde, als sie Dollys Verkleidung genauer betrachtete. Dann presste sie die Lippen aufeinander, als hätten sich ihre Zweifel bestätigt. Sie schob beide Hände in die Ärmel und deutete mit dem Kopf auf den Wagen.

»Die anderen könnt ihr da drüben in die Schütte geben. Der Doktor macht gerade Morgenvisite, aber ich bin sicher, ihr bekommt eine angemessene Vergütung.«

Sie stand daneben, während Dolly und Ren die Leichen in die Decken einwickelten und zur Kellertür hinübertrugen. In der unteren Hälfte befand sich eine Klappe. Ren hob sie am Griff hoch und schaute hinein. Dahinter führte eine lange Blechrutsche nach unten. Nacheinander schob Dolly die beiden Leichen hindurch, und Ren hörte sie in die Dunkelheit hinabgleiten.

Der Morgen träufelte die erste Farbe in den Himmel, als Schwester Agnes sie die Treppe hinauf zur Privatstation führte. Dolly, der Mrs. Sands trug, setzte vorsichtig jeden seiner Schritte. Ren ging hinter den beiden her. Er konnte hören, wie sich die Patienten auf den Allgemeinstationen in ihren Betten umdrehten, hörte ihr Flüstern durch die Gänge hallen.

Im zweiten Stock nahm Schwester Agnes einen Schlüssel vom Schlüsselring an ihrer Taille. Sie schloss einen Durchgang auf, der in einen langen Korridor mit Zimmern auf beiden Seiten führte. Vor jeder zweiten Tür war eine Barmherzige Schwester postiert. Die meisten von ihnen waren mit einer Näharbeit beschäftigt, doch Ren bemerkte, dass ein paar auch vor sich hin dösten. Schwester Agnes stupste sie im Vorübergehen an, und sie sackten noch tiefer auf ihren Stühlen zusammen, ehe sie aufschreckten.

»Jede Schwester ist mit der Pflege von zwei Patienten betraut. Sie steht ihnen Tag und Nacht zur Verfügung und ist dafür verantwortlich, ihnen die Mahlzeiten zu bringen und die Bettwäsche zu waschen. Wenn eure Wirtin irgendetwas braucht, kann sie läuten, und dann kommt Schwester Josephine.« Eine alte sommersprossige Nonne mit bedenklich schief sitzender Tracht lehnte mit offenem Mund an der Wand vor dem leeren Zimmer.

»Eine neue Patientin«, sagte Schwester Agnes.

Die Nonne schlug die Augen auf. Sie war bestimmt fast siebzig, und unter ihrer Haube lugten ein paar graue Haarsträhnen hervor; trotz ihres Alters war sie eine robuste Frau.

»Hol den Bottich und Wasser«, sagte Schwester Agnes. »Man wird sie entlausen müssen.«

Schwester Josephine schlurfte den Gang hinunter und krempelte die Ärmel über ihren ansehnlichen Armen hoch. Dolly legte Mrs. Sands aufs Bett, während Ren sich im Zimmer umsah. Es war ein freundlicher Raum, mit sauber geschrubbtem Boden, einer geblümten Tapete und spitzenbesetzten Gardinen mit Lochstickerei.

»Ich bin keine Laus«, schrie Mrs. Sands.

»Leise!«, sagte Schwester Agnes. »Sonst weckt sie noch die anderen Patienten auf.«

»Sie kann nicht anders«, versuchte Ren zu erklären.

»Junge!«

»Schsch.« Ren ergriff Mrs. Sands’Hand und drückte sie.

»Du musst ihm sein Abendessen richten. Du musst ihm seine Socken bringen.«

Ren versuchte, Mrs. Sands die Hand auf den Mund zu legen, aber sie ergriff seine Finger.

»Leg sie neben die Feuerstelle.«

Und dann begriff er. Es ging um den Zwerg im Schornstein.

Mrs. Sands wusste, dass Ren ihn gesehen hatte. Sie wusste, dass er das Holzpferdchen an sich genommen hatte.

Schwester Agnes zog ein braunes Fläschchen aus ihrem Ärmel. Sie hielt es Mrs. Sands unter die Nase, die sofort zu niesen begann. »Du hast sie ganz durcheinandergebracht.«

Die Tür schwang auf, und Schwester Josephine brachte eine Schüssel mit Wasser herein. »Aus dem Weg!«, sagte sie zu Dolly, der an die Wand zurückwich und sich die Stelle hielt, wo ihn die Nonne mit dem Ellbogen gestoßen hatte.

»Sie muss jetzt schlafen«, sagte Schwester Agnes. »Ihr solltet gehen. Sie ist hier in guten Händen. Gott sei gelobt.«

Ren beugte sich über das Bett. Mrs. Sands’ Blick war verschwommen. Ihre Hände lagen schlaff auf der Decke. Ren konnte in ihren Mund sehen. Ein Backenzahn auf der rechten Seite war mit Gold gefüllt. Schwester Josephine fing an, Mrs. Sands die Nadeln aus dem Haar zu ziehen.

»Wie lange wird es dauern, bis es ihr besser geht?«

»Das lässt sich unmöglich sagen«, antwortete Schwester Agnes.

»Ich komme bald wieder«, sagte Ren zu Mrs. Sands. Sie schlug nach den Nonnen, die sie auskleiden wollten, und Schwester Agnes schob Ren und Dolly aus dem Zimmer.

»Ich finde es schrecklich hier«, sagte Dolly, als sie durch die Türen im Flur gingen.

»Bist du noch nie krank gewesen?«, fragte Ren.

Dolly setzte sich auf die Treppe und hob sein Gewand hoch. Er zeigte Ren ein zugewachsenes Loch im Oberschenkel, so groß wie ein Vierteldollar.

»Wo hast du dir denn das geholt?«

»Jemand hat auf mich geschossen«, sagte Dolly. Er fuhr die Umrisse des Lochs mit dem Finger nach.

»Und wieso?«

»Weil ich ihn erwürgt habe.« Dolly schob die Zunge in die Backe, und Ren merkte, dass er wieder einmal prahlte. Er zeigte Ren die Stelle auf der Rückseite des Beins, wo die Kugel ausgetreten war.

»Hat nur knapp den Knochen verfehlt«, sagte Doktor Milton. Er stand unterhalb auf dem Treppenabsatz und beobachtete sie durch die Geländersprossen. Sein Anzug war maßgeschneidert, der Bart getrimmt, die Fingernägel gründlich gesäubert. »Welch unerwarteter Besuch.«

»Es ist wegen unserer Hauswirtin«, sagte Ren. »Sie ist krank.«

»Hat sie Fieber?«, fragte Doktor Milton. »Wir hatten ein paar interessante Fälle. Einer ist letzte Nacht daran gestorben.« Er kam die Treppe herauf, beugte sich über Dollys alte Verletzung und betastete sie. »Das muss äußerst schmerzhaft gewesen sein.«

Dolly schaute verlegen beiseite.

Doktor Milton betrachtete Dollys riesengroße Hände, seinen Brustkorb, den kantigen kahlen Schädel. Er nahm seinen Finger von der Schusswunde. »Ihr führt bestimmt ein sehr spannendes Leben.«

Dolly stierte ihn nur an.

»Ja«, sagte Ren. »Das tut er.«

Er bemerkte, wie das Krankenhaus allmählich zum Leben erwachte und für die Arzte, die Studenten und die Patienten der Tag begann. Eine Barmherzige Schwester mit einem Tablett voller Verbandszeug ging an ihnen vorbei. Zwei junge Studenten kamen die Treppe herauf und nickten Doktor Milton zu. Bestürzt sahen sie Dolly an, dessen blutbeflecktes Gewand bis über die Knie hochgeschoben war.

»Ich möchte mit euch reden«, sagte Doktor Milton. »Im großen Hörsaal, wenn’s recht ist.« Er führte Ren und Dolly den Flur entlang, vorbei an den Reihen von Gemälden und seinem eigenen hungrig aussehenden Konterfei. Der Operationssaal war leer. Das Podest sauber geschrubbt und mit frischem Sägemehl bestreut. Die Morgensonne schien durch die Oberlichte und beleuchtete die Bankreihen. Doktor Milton schloss die Tür.

»Ich habe eure Lieferung erhalten. Allerdings gibt es da ein Problem.«

»Was denn für eines?«, fragte Ren.

»Sie sind ermordet worden.« Der Doktor zeigte auf seinen Augenwinkel. »Hier«, sagte er. »Und da.« Er berührte seinen Hinterkopf. »Das Blut ist noch kaum getrocknet. Sie sind erst seit ein paar Stunden tot. Wenn eine Leiche in diesem Zustand hereinkommt, muss ich das melden.«

Ren spürte, dass seine Narbe zu jucken begann. »Es war ein Unfall.«

»Für mich macht das keinen Unterschied.«

Im Raum wurde es still. Ren bemerkte, dass Dolly, der in der Nähe der Tür stand, die Stirn runzelte und seine Fäuste öffnete und schloss, als kämpfte er gegen ein inneres Gefühl an. Wenn doch nur Benjamin hier wäre, dachte Ren. Sie brauchten eine Geschichte, um aus der Sache rauszukommen. Ren versuchte sich irgendeine Erklärung einfallen zu lassen. Doch da ging Dolly auf den Arzt zu und klopfte ihm auf die Schulter.

»Ich habe sie umgebracht.«

»Wie bitte?«, sagte Doktor Milton.

»Ich habe sie umgebracht, und es tut mir nicht leid«, sagte Dolly und wandte sich Ren zu, als hätte er soeben etwas Großartiges getan.

»Tja«, sagte Doktor Milton und holte tief Luft. »Das ist ja hochinteressant.«

Die Predigt, die Ren ihm unterwegs gehalten hatte, hatte die Wahrheit zutage gefördert. Dolly hatte gebeichtet, nur leider dem Falschen. Ren seufzte. Das war’s dann wohl, dachte er. Wir sind erledigt. Es überraschte ihn, als er feststellte, dass er eher Erleichterung als Angst verspürte. Er setzte sich auf die Stufen, ließ den Kopf sinken und wartete darauf, dass Doktor Milton die Polizei rief. Aber statt Alarm zu schlagen, zog der Arzt ein kleines Notizbuch aus der Tasche und begann eifrig zu schreiben.

»Ich würde Euch gern untersuchen«, sagte er zu Dolly. »Wenn Ihr erlaubt?« Er deutete auf den Operationstisch in der Mitte des Podests. Dolly warf Ren einen Blick zu, und als der mit den Achseln zuckte, folgte er dem Arzt die Stufen hinunter. Doktor Milton wischte etwas Sägemehl vom Tisch, und Dolly setzte sich und streckte sich dann der Länge nach aus, als wollte er ein Schläfchen halten.

Nachdem sich der Arzt noch ein paar Notizen gemacht hatte, beugte er sich über Dollys Gesicht. »Ich werde jetzt Euren Kopf berühren.«

»Wieso?«

»Um ein paar Maße zu nehmen.« Doktor Milton legte die Fingerspitzen rechts und links an Dollys Schläfen. Dann ließ er sie langsam über den Schädel gleiten, hielt bei jeder Erhebung inne, fuhr mit dem Daumen über die Kopfmitte, als würde die Naht dort den Mann zusammenhalten. Die Morgensonne schien durch die Dachfenster und beleuchtete das Gesicht des Arztes.

»Mir ist einmal ein Riese begegnet«, sagte Doktor Milton, »der die gleiche Kopfform hatte. Als ich hörte, dass er krank ist, wollte ich Vorkehrungen treffen, aber er hat sich geweigert, mir seinen Körper zu verkaufen. Er nahm seinen Freunden das Versprechen ab, ihn in einem versiegelten Bleisarg ins Meer zu werfen. Aber ich habe den Leichenbestatter bestochen, und der Sarg wurde mit Steinen gefüllt. Er ist eine wunderbare Ergänzung für meine Sammlung.« Doktor Milton strich mit den Fingern über Dollys Unterkiefer. »Einen Mörder habe ich bisher noch nicht. Vielleicht könnte ich Euch ja dazu überreden, meine phrenologischen Studien zu fördern?«

Dolly blinzelte den Doktor verständnislos an. Und dann begriff er. Der dunkle Nebel kehrte in seine Augen zurück, und mit einer raschen Bewegung packte er den Arm des Arztes und drehte ihn auf den Rücken. Doktor Milton schrie auf und versuchte sich loszumachen; mit der freien Hand schlug er um sich. Dolly setzte sich auf dem Operationstisch auf und steckte die Schläge ein, als spürte er sie gar nicht.

Der Arzt begann zu schreien, und Dolly hielt ihm den Mund zu, erstickte die Schreie mit seinen gewaltigen Fingern, genau wie bei Mrs. Sands. Doktor Milton drosch wild um sich, und Ren musste daran denken, welche Angst er bei seinem ersten Besuch hier gehabt hatte, als er auf der Kante ebendieses Tisches gesessen hatte. Er wartete noch ein bisschen, bevor er sagte: »Das reicht.«

Dolly ließ den Arzt los. Doktor Milton taumelte vom Podest herunter und hielt sich fluchend den Arm. »Wahrscheinlich hat er ihn gebrochen.«

»Ihr habt ihm Angst eingejagt.«

»Ich habe ihm Angst eingejagt?«

»Es tut ihm leid. Stimmt’s, Dolly?«

»Nein.«

Langsam beugte Doktor Milton seinen Arm und jaulte dabei vor Schmerz. Er schob seinen Ärmel hoch und betastete den Knochen. »Gebrochen ist er nicht. Aber verstaucht. Damit kann ich mindestens eine Woche lang nicht operieren. Möchtest du das vielleicht Mrs. Fitzpatrick und ihrem Kropf erklären?«

»Eigentlich nicht«, sagte Ren.

»Es ist hilfreich, wenn man über die Hintergründe Bescheid weiß«, sagte Doktor Milton. »Nur das wollte ich sagen. Wenn ich die Profession eines Mannes oder seine Gemütsverfassung kenne, kann ich feststellen, wie sich das auf sein Körperwachstum ausgewirkt hat. Ob seine Leber krank ist oder sein Herz zu klein. Eine Anomalie öffnet mir die Tür.« Doktor Milton stand nervös neben seinem Kasten mit chirurgischen Instrumenten, als böten sie ihm Schutz. Mit den Fingerspitzen zog er eine Binde heraus und wickelte sie sich um den verletzten Arm, bis hinunter zum Handgelenk.

»Ich bin nicht anders als alle anderen«, sagte Dolly.

»Doch, das seid Ihr«, sagte Doktor Milton, während er mit einer Schere herumfuchtelte. Ren sah ihm an, dass er noch immer Angst hatte. »Ihr seid ein Mörder. Eine Abscheulichkeit.«

Die Schere blinkte wie ein Signal.

»Die Männer, die wir gebracht haben, waren auch Mörder«, sagte Ren.

Doktor Milton war zwar nicht völlig beruhigt, wurde aber doch neugierig. »Haben sie Familie? Jemanden, der womöglich nach ihnen sucht?«

Ren schaute dem Arzt direkt in die Augen. »Nein.«

»Ich werde nicht den regulären Preis bezahlen«, sagte Doktor Milton. »Aber erst muss dieser Mann von hier verschwinden.«

»Ich lasse Ren nicht allein hier«, sagte Dolly.

Ren legte ihm die Hand auf den Arm. »Es ist nur für ein paar Minuten«, sagte er. »Warte draußen auf mich.«

Dolly ließ seine wuchtigen Knöchel knacken, so laut, dass es von der Decke widerhallte. Er warf Doktor Milton einen drohenden Blick zu, dann wuchtete er seinen Körper nach vorn und vom Operationstisch herunter. Ren schaute seinem Freund nach, und als er sich umdrehte, hatte Doktor Milton bereits eine Schlinge für seinen Arm geknüpft. Umständlich kramte er seine Geldbörse hervor und drückte Ren das Geld in die Hand. Es war weniger als ein Drittel dessen, was sie beim letzten Mal bekommen hatten.

»Du bist ein aufgeweckter Junge«, sagte er. »Ich weiß nicht, was du mit einem Mann wie dem da willst.«

»Er ist mein Freund«, sagte Ren.

»Du solltest zur Schule gehen. Du könntest Naturwissenschaften studieren. Oder dir eine Arbeit suchen. Etwas Anständiges.«

Die Möglichkeiten fächerten sich vor Ren auf wie Karten auf einem Spieltisch, dann schoben sie sich wieder zusammen, bis nur eine Alternative übrig blieb. Er würde nie Naturwissenschaften studieren; er würde nie ein anständiges Leben führen. Im günstigsten Fall konnte er den Weg einschlagen, den Benjamin ihm gezeigt hatte. Da gehörte er hin. Und er hatte es satt, sich Mühe zu geben, brav zu sein.

»Ich möchte nicht, dass er noch mal hierherkommt«, sagte Doktor Milton. »Es sei denn, du lieferst seinen Leichnam hier ab. Dafür würde ich extra bezahlen.«

Ren versuchte sich vorzustellen, wie Dollys Skelett neben dem des Riesen hing. »Das würde ihm bestimmt nicht gefallen.«

»Braucht es auch nicht«, sagte der Arzt. »Er braucht nur zu sterben.«