37813.fb2 Die Tennisspielerin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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Nach dem French Open fanden in England zwei Vorberei­tungsturniere auf Rasen statt. Carmen ließ immer das erste aus und trainierte statt dessen lieber auf dem privaten Rasenplatz englischer Freunde.

Miguel, Harriet und Carmen schlichen sich auf dem letz­ten Tragflächenboot nach England ein. Die am Flughafen her­umhängenden Reporter waren ausgetrickst, aber sobald das Eastbourne-Turnier begann, würde es kein Entrinnen mehr geben.

Das Wetter, kalt und klamm, verlockte Carmen nicht zum Training, aber sie wußte, es mußte sein. Miguel nahm sie beson­ders hart ran, wenn er sie auf dem Platz drillte. Sein analytischer Verstand machte ihn zu einem guten Trainer.

Ehe sie zum Haus zurückkehrten, wickelte Miguel ihr ein Handtuch um den Hals und legte ihr die Trainingsjacke um. «Migueletta, du mußt Harriet heimschicken oder sie dazu brin­gen, mich noch diese Woche zu heiraten.»

«Ich will nicht darüber reden.»

«Wir müssen aber darüber reden. Lavinia ruft mich jeden Tag an.» Er erwähnte nicht, daß auch Seth, dieser Scheißer, einmal angerufen hatte, um seine Häme abzulassen.

«Lavinia lanciert einen Artikel über meine Heirat.»

«Was für eine Heirat?» Miguel war wie vom Donner gerührt.

«Sie hat in Los Angeles für mich einen Mann zum Heiraten aufgetan.»

Miguel mäßigte seine Stimme. «Wer ist dieser Mann? Was für ein Mann würde dich heiraten, ohne dich zu kennen? Ein Mann, der selbst eine Tarnung braucht! Und Geld!»

«Lavinia hat eine vernünftige Summe vereinbart.»

«Ohne mich um Rat zu fragen? Das verbiete ich!» Er be­herrschte seine Wut nicht länger.

«Du verbietest überhaupt nichts. Du hast einen Jaguar ange­nommen als Gegenleistung für meinen Auftritt bei einer Wohl­tätigkeitsveranstaltung, wovon ich nichts wußte und der Auto­händler ebensowenig. Ich habe die Vereinbarung nie getroffen, Miguel. Du hast sie gefälscht!»

Er wand sich. Sie bekam besser nie heraus, was er sonst noch gefälscht hatte. «Du darfst nie eine geschäftliche Entscheidung ohne mich treffen, nie», sagte er.

«Es ist ein guter Handel.»

«Das werde ich entscheiden, nachdem ich mir deinen Ehe­mann auf Bestellung angesehen habe.»

Carmen erklärte ihm, warum Lavinia glaubte, es könne funk­tionieren. Miguel hörte ausdruckslos zu. Er sah zwar den Sinn der Sache ein, aber es ging ihm völlig gegen den Strich, diesem Kerl ein jährliches Gehalt zu zahlen. Immerhin, besser das, als sämtliche Verträge einzubüßen. Der Plan hatte auch sein Gutes.

«Trotzdem will ich das prüfen. Mag sein, daß es eine Lösung ist, aber laß dich nie wieder auf etwas ein, ohne vorher zu mir zu kommen. Du hast doch wohl nichts unterschrieben, oder?»

«Nein.»

«Das Ganze ist der reine Wahnsinn.»

«Harriet kann mit dir zusammenstecken, oder mit Jane und Ricky. Wir werden in einem Privathaus wohnen, wer weiß also schon, in welchem Zimmer sie schläft. Und ich will sie bei mir haben.»

«Nein.»

«Der Artikel über meine Heirat wird die Leute von der Fährte abbringen.»

«Oh, Migueletta.» Er warf angewidert die Hände hoch.

«Ich liebe sie, und ich will sie bei mir haben. Ich brauche sie. Mach mir bloß in Wimbledon keinen Tanz.»

Sein Gesicht wurde nachgiebig. «Ich versuche nur, dich zu beschützen. Du hängst eine Menge Hoffnung an diesen Heirats­artikel.»

«Lavinia wird mich unterstützen, und die Sponsoren auch.»

«Im Augenblick vielleicht.» Er strich sich das Kinn. «Aber wir sind in Europa, und dies ist Wimbledon. Die Sponsoren haben in Wimbledon nichts zu melden.»

«Ich liebe Harriet.»

«Das weiß ich, aber du solltest sie heimschicken.»

«Das tue ich nicht.» Carmen war hin und her gerissen. Sie wollte nicht allein sein. Sie brauchte Harriet. Sie konnte sich selbst nicht eingestehen, daß sie nicht länger als eine Woche allein sein konnte. Wenn sie Harriet nach Hause verfrachtete, was sollte sie dann tun? Wie andere Entertainer sind auch viele Sportler auf Reaktionen angewiesen. Ohne ein Publikum, und sei es ein Ein-Personen-Publikum, bekommen sie Angst. Sie brauchen andere Menschen, die sie bestätigen, die ihnen sagen, wer sie sind.

Carmen hatte Harriet vor drei Jahren kennengelernt. Sie hatte an der Universität von Syracuse einen Sportmediziner wegen ihres steifen Ellbogens konsultiert. Harriet war dort Gastdozen­tin, sie spazierte in die Halle, und das war's.

Carmen war in der Liebe impulsiv. Sie glaubte, jede Geliebte sei die für alle Ewigkeit. Sie trennte sich rasch von ihrer dama­ligen Geliebten, einem hübschen Mädchen in ihrem Alter. Und als sie das hübsche Mädchen kennenlernte, hatte sie eine ältere Rechtsanwältin verlassen, der sehr an ihr lag. Nachdem Susan Reilly sie fallenließ, schwor sich Carmen, daß ihr nie wieder jemand den Laufpaß geben würde. Ihre Affäre mit Harriet dauerte jetzt drei Jahre, und Carmen war ihrer nicht überdrüs­sig, wenngleich sie sich langsam diesem Punkt näherte. Die Anspannung im Profitennis, der Druck von Kuzirians Artikel taten allmählich ihre Wirkung. Als Dozentin war Harriet aufre­gend gewesen, aber sobald sie Carmen folgte, verlor sie ein wenig an Reiz. Carmen war dies nicht ganz klar, aber sie wußte, daß es nicht mehr so intensiv und leidenschaftlich war wie damals, als sie sich gerade ineinander verliebt hatten. Allerdings war sie nicht bereit, Harriet gerade jetzt aufzugeben.

In England sind die Männer sehr maskulin, die Frauen freilich ebenfalls. Harriet mochte die Leute, aber sie fand sie pervers. Die Engländer haben einen natürlichen Impuls, freundlich zu sein, und verbringen ihr Leben damit, ihn brutal zu unter­drücken.

Devonshire Park in Eastbourne glänzte in einladendem Grün. Die Rasenflächen dieses Vorbereitungsturniers stellten selbst das große Wimbledon in den Schatten. Gelbe, rote und rosa Blumen betörten die Spaziergänger. Ulmen säumten den Tennisplatz. Die Begierde unter diesen Ulmen war allerdings rein sportlicher Natur.

Eastbourne, von den Spielerinnen und Spielern hochge­schätzt, war auch ein hochgeschätztes Turnier der Gurkensand­wich-Freunde. Sie schwärmten in ihren feinen Kleidern und vernünftigen Schuhen aus, am Arm das allgegenwärtige Symbol britischen Lebens, der Regenschirm.

Wenn die größten Geister des 19. Jahrhunderts den Rasenten­nis- und Kricketclub von Wimbledon beherrschten, dann mußte man den Veranstaltern von Eastbourne gratulieren - oder sie tadeln, je nach Einstellung -, weil für sie das 20. Jahrhundert bereits begonnen hatte.

In Eastbourne wurde Carmen immer vom Pech verfolgt. Oft verlor sie in den ersten Runden, obwohl sie es ein paarmal auch bis zum Finale schaffte. Statt dies für ein Omen zu halten, begann sie zu glauben, daß sie nur in Eastbourne verlieren brauchte, um in Wimbledon zu siegen. Jedenfalls war es nur ein Vorbereitungsturnier, warum sich da überanstrengen?

Auch die britische Presse lief sich in Eastbourne warm. Har­riet, die ständig von Miguel begleitet wurde, sobald sie sich in die Öffentlichkeit begab, entwickelte Geschick darin, sich un­sichtbar zu machen. Beide Frauen wußten, daß die Reporter sich ihre schärfste Munition und ihren Giftvorrat für Wimbledon aufhoben.

Die Reporter schrieben gemeine kleine Artikel über die «un­erwünschten Elemente im Tennis», nämlich Harriet, doch ei­gentlich war Carmen gemeint. Fotos von ihrem Haus in Gazenovia tauchten in den Zeitungen auf, in die man bald darauf Fisch und Chips einwickelte, für Harriet freilich nicht schnell genug. Gleich daneben standen schmeichelhafte Artikel, in de­nen Page Bartlett Campbell als «Zierde ihres Geschlechts» be­zeichnet wurde. Page haßte das. Wenn man schon gelobt wird, würde man gern für etwas gelobt, das man geleistet hat. Page war als Frau geboren. Warum sie dafür loben? Sie mochte Carmen und fand es widerlich, gegen sie ausgespielt zu werden. Lavinia lancierte tatsächlich die Hochzeitsnachricht. Sie war­tete ungeduldig darauf, daß sie veröffentlicht wurde, und der Reporter versprach ihr, sie werde erscheinen, noch bevor Wim­bledon zu Ende sei.

«Wollt ihr bei uns wohnen?» fragte Jane, am Steuer des Rolls­Royce, den sie und Ricky gemietet hatten. Ricky, Harriet und Jane verband eine Schwäche für englische Wagen. In den Ver­einigten Staaten konnten sie sich keinen Rolls leisten, also machte es ihnen großen Spaß, in England einen zu mieten.

«Ich glaube nicht.»

«Wir haben viel Platz.»

«Danke für das Angebot, aber wir werden weiter außerhalb von London wohnen. Carmen dreht in Wimbledon total durch. Ich bin jetzt das dritte Mal dabei, und es sieht so aus, als würde es mörderisch. Bei all dem Gedruckten einerseits und anderer­seits dem Druck, die Nummer zwei für den Slam zu schaffen, wird sie an die Decke gehen, glaube ich.»

«Sie ist ungewöhnlich nervös, aber sie pendelt hin und her. Entweder ist sie völlig aus dem Häuschen oder sie ist nicht ganz da.»

«Ich habe sie in letzter Zeit oft <nicht ganz da> erlebt.»

Sie kamen an einem glatten Teich mit zwei majestätischen schwarzen Schwänen vorbei, die über die Oberfläche glitten.

«Übrigens, es gibt pikanten Klatsch.» Harriets Gesicht hellte sich auf. «Ratet mal.»

Jane schnitt eine Kurve. «Sex in der Turnierrunde?»

«Hm, hm.»

«Eine der Spielerinnen?»

«Natürlich.»

«Rainey Rogers' Trainer?»

«Richtig. Gary Shorter, und jetzt mal weiter.»

«Harriet, ich halt's nicht aus. Erzähl's auf der Stelle.»

«Alicia Brinker wurde gesehen, als sie spät, sehr spät gestern nacht aus dem Zimmer dieses Kolosses kam.»

«Nein!» Dieser Skandal war zu toll, um wahr zu sein.

«Wie bist du dahintergekommen?»

«Durch Happy Straker.»

«Happy Straker redet nicht mit dir. Sie haßt dich.»

«Na, das weiß ich, aber sie redet mit Susan Reilly, und Happy beging den Fehler, Susan zu erzählen, was sie letzte Nacht gesehen hat, während sich eine dritte Person gerade zum Trai­ning umzog.»

«Wer hat es mitangehört?»

«Carmen, meine teure Pfirsichblüte.»

«Was?» Jane schnitt die nächste Haarnadelkurve.

«Sie war auf dem Klo, hörte sie in den Umkleideraum kom­men und zog die Füße auf den Sitz. Sie sagt, sie wüßte auch nicht, warum sie das machte, jedenfalls tat sie es. Carmen hörte jede Silbe.»

«Alicia Brinker! Daß sie in seinem Zimmer war, heißt noch nicht, daß sie mit ihm geschlafen hat!»

«Ha. Der würde es auch mit einem Hund treiben, wenn er nur richtig mit dem Arsch wackelt. Wenn sie sein Zimmer betreten hat, ist sie nicht unberührt da rausgekommen.»

«Was hat sie bloß vor? Susan wird sie umbringen.»

«Ich habe Alicia immer für eine Klette gehalten. Womöglich ändere ich noch meine Ansicht.»

Jane fuhr langsamer. «Bevor dieses Jahr um ist, werden wir wohl alle unsere Ansichten geändert haben.»

Bonnie Marie Bishop war im College in den höheren Semestern. Mit einer Gruppe amerikanischer Studentinnen reisten sie den Sommer über durch Europa. Bonnie Marie war groß, dünn und nichtssagend. Sie hatte selbst keine sportliche Begabung, schätzte sie aber bei anderen sehr.

Trotz empörter Behauptungen des Gegenteils nehmen die meisten talentierten Sportler allenfalls an Korbflechtkursen teil, werden durch das Studium geschleust und dann in die Welt entlassen, ohne irgendwelche Kenntnisse außer im Dribbeln, Schlagen oder Laufen. Bonnie Marie war das erspart geblieben. Sie wollte eine gute Ausbildung in Betriebswirtschaft. Sie brannte darauf, gleich nach dem Studium ihre eigene Firma zu gründen. Natürlich sollte es etwas mit Sportlerinnen zu tun haben, bloß was, das wußte sie noch nicht genau. Ganz genau wußte sie jedoch, daß sie reich werden wollte. Sie war also eine echte Vertreterin ihrer Generation.

Außerdem war sie Lesbierin. Und wenn Frauen im Geschäfts­leben benachteiligt sind, dann ist eine Lesbe gleich doppelt benachteiligt. Darum fürchtete sie sich sehr vor einer Enttar­nung, die arme Bonnie Marie. Dabei genügte ein Blick, um sie als kessen Vater zu identifizieren - wie aus dem Bilderbuch. Mannhaft bemühte sie sich, wie eine Dame zu wirken, doch Weiblichkeit und gutes Aussehen waren nicht ihre Stärken. Allerdings besaß sie ein gefälliges Wesen. In der Öffentlichkeit hängte sie sich bei jedem Mann ein, den sie zu fassen bekam, und verbal war sie beruhigend heterosexuell. Nicht daß ihr irgend­wer glaubte, aber die Leute gingen darauf ein, damit sie sich wohler fühlte.

Bonnie Marie tauchte mit ein paar anderen Mädchen in East­bourne auf. Sie fielen durch ihre amerikanischen T-Shirts und ihre Turnschuhe auf. Englische Damen trugen keine Turn­schuhe. Englische, kesse Väter vielleicht, aber englische Damen nicht. Auf dieser Welt gibt es Lesbierinnen und kesse Väter. Die beiden haben nichts miteinander gemeinsam. Lesbierinnen sind Frauen, die Frauen lieben. Kesse Väter sind Frauen, die Männer imitieren.

Harriet und Miguel kamen an dem Rudel vorbei, als sie von Carmens Match heimschlichen. Carmen war jetzt im Viertelfi­nale und verschärfte ihr Rasenspiel mit jedem Schlag. Harriet seufzte innerlich auf, huschte an ihnen vorbei und sah kein zweites Mal hin. Traurig für Harriet, aber Carmen sah sehr wohl ein zweites Mal hin.

Wie zu erwarten, schmiß Carmen Eastbourne. Sie gewann im Doppel, eine erfreuliche Sensation, aber das Einzel bringt die Werbeverträge, nicht das Doppel, und ihre Verträge waren schon gefährdet genug. Niemand bemerkte, daß Carmen eine bessere Doppelspielerin als Einzelspielerin war. Ihr gefiel das Teamwork. Einzel waren für den Stolz, Doppel für die Liebe zum Spiel.

Die beiden verstauten ihre Sachen in einem gemieteten Häus­chen am Rande von London. Das Dekor entsprach englischer Behaglichkeit - alte Möbel und höllisch feucht. Harriet zog die getönten Jalousien, imitierten Bauhausmöbeln und Teppichbo­den vor. Harriet erklärte, sie könne nie eine Frau lieben, die Teppichboden für ideal hielt.

Wimbledon begann wie üblich mit einem Terminchaos, noch ehe der erste Tag halb vorbei war, und Streitereien zwischen Spielerinnen und Spielern, Trainern und Gefolge. Die Leute, die in Wimbledon das Sagen hatten, gaben sich mit solchen trivialen Dingen selten ab, denn sie hielten sich für göttergleich. Da sie tot und nur zu dumm waren, um umzufallen, war diese Einstel­lung nicht allzu verkehrt.

Wimbledon ist nur beeindruckend, wenn man sich beein­drucken lassen möchte. Es ist nicht das Heiligtum des Tennis, sondern ein recht ordentlicher englischer Tennisclub, der den Tagen des britischen Empires verhaftet ist und am Leben erhal­ten wird, weil jeder Ausländer in der Welt dort spielen und gewinnen will. Offensichtlich wollen die Engländer dort nicht gewinnen. Sie haben sich seit Jahrzehnten nicht ums Tennis geschert, von Virginia Wade einmal abgesehen. Uganda hat ein besseres Tennisförderungsprogramm als England; aber da sich mittlerweile die halbe Bevölkerung von Uganda in England befindet, bessert sich vielleicht einmal etwas.

Fans stehen stundenlang Schlange, nicht weil sie glühende Tennisfanatiker sind - das sind nur einige -, sondern weil es nicht so viele Turniere im Land gibt, und dieses ist ihr National­turnier.

Die Anlage als solche ist nicht beeindruckend. Der Rasen ändert sich von Jahr zu Jahr, und das ist nicht die Schuld der Platzwarte. Das Wetter würde auch die Geduld von Heiligen auf die Probe stellen.

Wäre Wimbledon nicht Wimbledon, würde man es als recht angenehmes Turnier betrachten, zwar schlecht organisiert und überfüllt, aber mit unbestreitbarem Charme. Doch es wird ewig Wimbledon bleiben, also macht jeder Sportjournalist in der Branche seinen jährlichen Kniefall, Nachrichtenredakteure fa­bulieren sich Geschichten zusammen, Verknöcherung tarnt sich als Tradition, und die Spieler und Spielerinnen kämpfen mit Zähnen und Klauen, um das Große W zu gewinnen.

Für den Eröffnungstag zog Carmen ein Freilos. Sie brauchte erst am Dienstag zu spielen. Der Dienstag kam und ging mit einem Semana-Sieg, einem wackligen übrigens. Sie mußte nur durch die ersten Runden kommen.

Mit der Gnadenfrist der Presse war es nach dem nächsten Match urplötzlich vorbei. Carmen, Harriet und Miguel trafen aus verschiedenen Richtungen bei Carmens Auto ein. Miguel hatte Schmettie Kittredge seinen Wagen geliehen. Eine graue Wachsmasse auf zwei Beinen folgte der heißen Spur, und hinter ihr kamen weitere ähnliche Gestalten. Die Reporter.

«Scheiße, los ins Auto», kommandierte Miguel.

Dummerweise stand Harriet auf der Fahrerseite. Sie hatte vergessen, daß das Steuer hier auf der anderen Seite war, ein weiteres Beispiel für englische Perversität. Carmen bekam die Tür auf, sprang hinein und sah dann, daß Harriet noch immer draußen stand. «Steig auf der anderen Seite ein!» Miguel stieß sie ins Auto.

In Amerika wird Geschwindigkeit mit Leistung verwechselt. Carmen fuhr, als sei Geschwindigkeit eine Leistung. In England kam sie damit durch. Die Vororte von Wimbledon flogen vor­bei. Angespannt zischte sie: «Warum mußtest du's auch Martin Kuzirian sagen? Gar nichts wäre passiert. Alles wäre in bester Ordnung.»

Verdattert, besorgt, reckte Harriet den Kopf. «Wenn du dich schämst, Lesbierin zu sein, schämst du dich, daß du eine Frau bist.»

Carmen fuhr in wütendem Schweigen nach Hause.

Miguel dachte über das nach, was Harriet gesagt hatte. Trotz all seiner schlüpfrigen Geschäfte war er doch nicht völlig unsen­sibel. Harriet hatte irgendwo recht. Er hoffte, daß andere Frauen nicht ihrer Meinung waren.

Ebenfalls in wütendem Schweigen bereitete sich Susan, von Ehemann und Tochter flankiert, auf Wimbledon vor. Schlief Alicia wirklich mit Rainey Rogers' Trainer, Gary Shorter? Was, zum Teufel, hatte sie sich bloß gedacht, als sie aus seinem Zimmer kam und sich wieder in ihr eigenes schlich? Bei gro­ßen Turnieren waren Susan und Alicia noch mehr auf der Hut als sonst. Susan wollte sich Alicia vorknöpfen, aber sie wollte die Antwort erst nach Wimbledon wissen. Nichts durfte ihre Konzentration stören, den Mantra-Gesang: «Siegen, siegen, siegen.»

Wäre Susan für irgendwen anders als sich selbst sensibel gewesen, hätte sie vielleicht bemerkt, daß Alicia Qualen aus­stand, weil sie lesbisch war. Sex mit Männern war schon schlimm genug. Die junge Frau war absolute Puritanerin. Ihr Körper tat eine Sache; ihr Kopf schrie dagegen an. Was sie brauchte, war Mitgefühl, Angenommenwerden und, nötigen­falls, Beratung. Alicia wäre nie zu einem Psychiater gegangen, aber sie hätte mit einem Pfarrer geredet; viele Pfarrer sind kompetent als Berater und wissen mit Menschen in Krisen umzugehen. Hätte Susan überhaupt ein Herz gehabt, hätte sie Alicia dazu verholfen, sich selbst zu helfen. Statt dessen sann Susan darauf, wie sie die Wahrheit aus Alicia herausprügeln könnte. Sie kam gar nicht auf den Gedanken, Alicia schlicht zu fragen, was sie in Gary Shorters Zimmer zu tun hatte. Im Gegensatz zu Susan sagte Alicia im allgemeinen die Wahrheit.

Der Klatsch über Carmens Hochzeit war für die Zeitungen das gefundene Fressen. Harriet bekam es nicht zu Gesicht, weil sie aus dem Verkehr gezogen war. In das gemietete Haus wurden keine Zeitungen geliefert. Sie verbrachte ihre Zeit im Garten oder lesend in der Bibliothek. Sie fühlte sich elend. Sie sollte sich bald noch elender fühlen.

Jane bog in die Auffahrt ein, hupte und ging um das Haus herum. «Ju-hu.»

Die Tür flog auf. «Hallo! Komm rein.»

«Ich mußte weg von diesem Zoo. Jedenfalls habe ich meine Arbeit für heute erledigt. Ich bin Valerie die Tugendhafte.»

«Kaffee?»

«Nein, danke.» Jane ließ sich auf den Küchenstuhl plumpsen. «Sommer nennen sie das. Vielleicht möchte ich deinen Kaffee doch.»

Harriet machte sich am Herd zu schaffen. «Irgendwas Aufre­gendes im Job heute?»

«Teufel, nein. Alles läuft wie geschmiert. Bis jetzt ist alles absehbar. Ein paar Spiele der Herren waren gut.»

«Sie haben soviel Intensität.»

«Ja, ich weiß. Ich bat um einen Kaffee, Harriet, nicht um ein Menü mit zwölf Gängen.»

«Ich bin doch nicht die Küchenmamsell.»

«Hier.» Jane maß die richtige Menge Kaffeepulver ab. Lang­sam füllte das Aroma des durch den Filter sickernden Kaffees die winzige Küche. «Du siehst deprimiert aus. Lavinia steckt wieder dahinter.»

«Sie hat sich für Carmen starkgemacht. Ihren Normen ent­sprechend tut sie das Richtige.»

«Wie edel von dir. Falsche Hochzeitsgeschichten sind nicht das Richtige.»

«Was redest du da?»

«Hast du die Zeitung denn nicht gelesen?»

«Nein.»

«Oh.» Jane hielt sich die Hand vor den Mund.

«Der Kaffee ist fertig.»

Harriet goß eine Tasse ein, während Jane wiederholte, was in der Zeitung stand.

«Ich verstehe. Das wird sie im Augenblick wohl retten. Wenn ich mich verdrücke, dürfte sich die Lage bessern. Vielleicht sollte ich jetzt heim nach Cazenovia fahren.»

«Es steht mir nicht zu, dir zu raten. Auf deine Weise arbeitest du auch für Wimbledon.» Sie stellte ein Bein auf einen freien Stuhl. «Manchmal halte ich das alles für einen Sturm im Wasser­glas. Es gibt ein paar Lesben im Damentennis - wen kümmert das schon.» Jane rollte die Augen.

«Lavinia kümmert es.»

«Wenn jemand im Umkleideraum einen Pups läßt, kümmert es Lavinia. Erinnerst du dich an dieses Ferkel, Claire Schick, und wie sie in Seattle am Tennisplatz in die Kübelpalmen kotzte?»

«O ja.» Harriet lachte.

«Lavinia ist noch immer nicht drüber weg.»

«Da sind noch Tomahawk und die örtlichen Sponsoren. Die kümmert es auch.»

«Scheiß drauf.» Jane trank einen Schluck Kaffee. «Der Sport ist ohnehin zu kommerziell.»

Überrascht sagte Harriet: «Was ist denn in dich gefahren?»

«Ich weiß nicht. Ich hab wohl heute meinen Waffeleisen-Tag.»

«Nie mehr daran denken!» Harriet lachte, denn sie erinnerte sich an den Tag in Princeton, als Janes Waffeleisen nicht funk­tionierte. Jane bastelte lange daran herum. Schließlich wurde sie so wütend, daß sie den verdammten Apparat durch die Küche feuerte.

«Du mußt ja durchdrehen hier draußen im Vorort ohne Auto. Willst du dir denn nicht die Spiele ansehen?»

«Ich sehe Carmen im Fernsehen.»

«Ich schmuggle dich morgen ein. Der letzte Ort, wo dich irgendwer sucht, ist die Fernsehkabine; dein Gesicht ist nicht gerade auf jeder Plakatwand zu sehen.»

«Ein Verlust für England.»

«Dir geht's ziemlich beschissen, nicht?»

Harriet spielte mit ihrem Löffel. «Merkt man mir das so sehr an?»

«Nein, aber ich bin ja nicht blöd. Ich möchte nicht in deinen Schuhen stecken.» Sie blickte unter den Tisch. «Selbst wenn sie die richtige Größe haben.»

«Jane, glaubst du, Carmen weiß etwas von dieser Hochzeits­geschichte?»

«Keine Ahnung.»

«Lavinia muß das ausgebrütet haben. Carmen würde es mir erzählen.»

«Ich möchte doch hoffen, daß sie es dir erzählen würde, aber in Wimbledon sind die Leute komisch.»

«So komisch nun auch wieder nicht.»

«Ich würde keine Fragen stellen, bis das Finale gelaufen ist. Sie aufzuregen bringt nichts.»

In einem kleinen, aber sauberen Zimmer eines Hotels mittlerer Preislage bumste Carmen Bonnie Marie Bishop wie ein Weltmei­ster. Carmen hatte ihre Termine sorgfältig koordiniert. Harriet stellte selten sexuelle Ansprüche während eines großen Tur­niers, also hatte Carmen genug Energie. Bonnie Marie schmolz in ihren Armen dahin, und da gab es viel zu schmelzen. Bonnie Marie würde nie bekennen, daß sie lesbisch war. Sie war neu. Keine Vergangenheit. Keine Probleme. Sie war wunderbar.

Wenn die Direktoren des Rasentennis- und Krocketclubs von England ein Greuel waren, war das englische Publikum eine Pracht, vor allem die älteren Bürger. Noch auf den hintersten Sitzen konnten sie einen Vorhand-Topspin von einer flachen Vorhand unterscheiden. Und wenn sie sich ein Match ansahen, war es für sie nicht ein vereinzeltes Ereignis, sondern fügte sich in eine fortlaufende Kette, die ihr ganzes Leben durchzog. Sie erinnerten sich an Lew Hoad gegen Ken Rosewall, und wenn nicht sie selbst, dann hatten ihre Mütter und Väter 1912 An­thony F. Wilding gegen Arthur Gore gesehen. Wimbledon war eine von den klangvollen Noten in der Symphonie des engli- sehen Lebens. Balljungen in Lila und Grün, die wie ins falsche Jahrhundert versetzte Pagen aussahen, begaben sich auf den Platz. Gestern hatte einer der Balljungen Carmen zugezwinkert. Ganz schön frech, aber nett.

«Was meinst du?» Die etwas weitsichtige Jane hielt das Aus­losungsblatt auf Armlänge.

«Carmen wird es in zwei Sätzen gewinnen. Rainey Rogers im Halbfinale wird ein Aas sein. Das Viertelfinale gegen Justine Haverford müßte sie eigentlich hinkriegen», prophezeite Ricky.

«Allerdings wird das ganze Land Justine die Daumen drücken.»

«O Gott, seht euch Lavinia an», rief Jane.

Lavinia Sibley Archer, erst durch einen Wodkacocktail ge­stärkt, schwebte durch die Menge. In Gelb gehüllt, bewegte sie sich in einer Feierlichkeit, als würde sie zu «Pomp and Circum­stance» marschieren. Ältere Zuschauer erkannten sie, was sie in Entzücken versetzte. Mit zusammengesteckten Köpfen infor­mierten die Leute einander, wer wer war. Lavinia strahlte heute. Sie war erleichtert gewesen, als sie in der Morgenzeitung die Klatschnotiz über Gerüchte einer bevorstehenden Hochzeit Carmen Semanas fand. Sie hoffte von ganzem Herzen, nichts von dem, was in England passieren würde, möge für ihr Baby, die Tomahawk-Turnierrunde, Folgen haben. Sie würde nach Kräften dafür sorgen, daß es ohne Folgen blieb. Als sie sich schließlich setzte, tat sie, als wäre sie von den beiden Frauen gefesselt, die Position auf dem Platz bezogen. In Wahrheit hörte sie auf das Tuscheln hinter ihr. Ja, sie erinnerten sich an sie.

«Ein alter Feuerwehrgaul.» Ricky schüttelte den Kopf.

«Sie hat es verdient.» Jane war fair.

«Erfolg, an den man sich erinnert, kann genauso süß sein wie gerade errungener Erfolg.»

Außerhalb der Reichweite von Kameras machte sich Harriet hinter ihnen klein und griff nach dem beiseite gelegten Aus­losungsblatt. Da Carmen gegen Rainey Rogers antrat, traf Page Bartlett Campbell auf Hilda Stambach, falls die Spielerinnen wie erwartet gewannen, aber da Susan und Page auf derselben Seite der Auslosung standen, gab es da ein Fragezeichen. Susan war unberechenbar. Auf Rasen war Hilda tückisch. Ihr Vorhand­Topspin glich Björn Borgs Vorhand. Auf Rasen war sie als Gegnerin ein Maschinengewehr.

«Wenige Frauen haben den Mut, ganz und gar auf Leistung zu setzen. Das ist eine Sache, die mir an der Tenniswelt gefällt. Die Frauen an der Spitze haben keine Angst, ihr Können zu zeigen.» Ricky rieb sich die Hände.

Carmen gewann das Match 6:3, 6:4. Jane bemerkte, daß Carmen zu den Tribünen hinaufblickte. So hielt Carmen immer nach Harriet Ausschau. Jane beobachtete sie eine Weile. Carmen hatte mit Sicherheit jemand im Visier. Jane hoffte, daß Harriet es nicht bemerkte, aber Harriet hatte es schon bemerkt, noch ehe der erste Satz 2 : 1 stand.

Miguel war drauf und dran, seine Kartoffelchips durch Valium zu ersetzen. Sein Partner in Hongkong kam für Wimbledon herübergeflogen. Die neuesten Meldungen waren zwar nicht katastrophal, aber doch deprimierend. Der Umsatz war abge­sackt. Miguel hatte die letzte Kreditrate pünktlich gezahlt, aber die nächste stand ihm in drei Monaten bevor.

Miguel betrog Carmen nicht. Er hatte vor, 10 Prozent des Profits beiseite zu legen und Carmens Konto gutschreiben zu lassen. Noch war er dazu nicht gekommen, aber er sagte sich, daß er einen Gewinn schließlich erst aufteilen könne, wenn der Kredit zurückgezahlt sei.

Er haßte es, Lavinia gegenüber an Boden zu verlieren, aber vielleicht rettete ihr Plan sie allesamt. Auf keinen Fall wollte er Carmen erzählen, was er getan hatte.

Als er von einem abgelegenen Tennisplatz zurückkam, er­spähte er Ronnie Baldwin. Flink wie eine Katze packte er Baldwin am Arm und zog ihn aus dem Verkehr.

«Miguel.» Der Tennisspieler hatte Angst.

«Verdammt, warum hast du Seth Quintard von dem Koks erzählt?»

«He, Mann, ich hab's ihm nicht erzählt.»

Miguel, ein starker Bursche, packte fester zu. «Natürlich hast du es ihm erzählt.»

«Laß mich los.»

Miguel ging ihm an die Kehle. «Warum?» Dann ließ er den erschrockenen Spieler los.

«Mein Spiel war beschissen, und er rückte mir auf die Pelle. Also hab ich's ihm schließlich erzählt - hatte zuviel Koks genommen. Es ist einfach passiert, weißt du.»

«Baldwin, ich breche dir jeden Knochen im Leib, wenn du nicht das Maul hältst.»

«Er war der einzige, dem ich's erzählt habe. Ehrlich.»

«Das reicht ja wohl. Ich hab für dich was riskiert, du Scheißkerl.»

«Das weiß ich. Das weiß ich, Miguel, und ich werd's wieder­gutmachen. Echt. Ich schwör's dir.»

Angewidert kehrte ihm Miguel den Rücken zu und ging davon.

Das emotionale Wechselgeld, die kleinen Münzen der Liebe, die Küsse auf die Wange, das Vorlesen aus den Zeitungen, gab es ungehindert weiter. Carmen wachte jeden Morgen auf, tastete nach Harriet, umarmte sie, stand auf, putzte sich die Zähne, duschte und machte sich dann in der Küche ein riesiges Schin­kensandwich. Sie machte auch eines für Harriet. Sie plauderten, wenn Carmen die Zeitung gelesen hatte. Harriet erfand Liebes­briefe von Baby Jesus und las sie vor. Carmen lachte.

Aber Harriet spürte, daß auf ihrem Paradiesweg Unkraut sproß. Wäre Carmen älter gewesen oder emotional weniger sprunghaft, hätte sie diese Affäre vielleicht mit der Würde fortgesetzt, die sie beide verdienten. Harriet war nicht so dumm zu glauben, daß Carmen ihr körperlich treu bleiben würde, bis daß der Tod uns scheidet. Allerdings glaubte sie, ihre Freund­schaft und die gemeinsamen Ziele würden sie lebenslang fest aneinander binden. Einmal hatte Carmen auf den Knien gelegen und geschluchzt, sie werde Harriet lieben, bis eine von ihnen stürbe. Harriet hatte ihr geglaubt.

Eine wahre Partnerschaft bedeutete für sie gute Zeiten, schlechte Zeiten und Zwischenzeiten. Wenn eine der anderen eine Verletzung zufügte, heilt sie wieder. Es machte wenig Unterschied, ob jemand einen Mann oder eine Frau heiratete. Was den Unterschied ausmachte, war die Fähigkeit, eine Person zu lieben, wenn sie nicht liebenswert war. Die Ehe unterwirft letztlich jede Partnerschaft dieser harten Prüfung. Die meisten bestehen sie nicht.

Carmen hatte Heimlichkeiten vor ihr. Harriet haßte das. Sie wußte, daß alle ihre Instinkte hellwach waren. Wenn Carmen mit einer anderen schlief, lebte sie. Aber sie spürte, wie Carmen ausbrach, ihr entglitt und sich von ihr zurückzog. Sie wußte nicht, ob sie ohne Carmen leben konnte. Da Harriet selbst die geringste Abhängigkeit fremd war, durchfuhr sie dieser Ge­danke wie ein Bajonett. Und dabei hatte sie früher über Leute gelacht, die das Gefühl hatten, sie müßten sterben, wenn ihre Ehegefährten oder Geliebten sie verließen.

«Wie toll, daß du vor Rainey noch einen Tag spielfrei hast.» Harriet studierte die Buchrezensionen in derTimes.

«Ich denke, ich werde heute zweimal trainieren. Heute nach­mittag im Doppel. Vielleicht bleibe ich auch gleich draußen.»

Carmen zog ihr Leben in einer Weise durch, daß es aussah, als verhielte sie sich wie immer, dabei schworen sie und Bonnie sich bereits, sie hätten einander vom ersten Augenblick an geliebt. Nachdem sie zwei Wochen in Wimbledon zusammenwaren, hatten sie in der Phantasie bereits ein Haus gekauft, Möbel dafür ausgesucht und die Freundinnen der anderen kennengelernt. Niemand verstand Carmen so wie diese neue Frau. Carmen vergaß völlig, daß sie vor drei Jahren dasselbe zu Harriet gesagt hatte.

Am nächsten Tag streckte sich Jane in Harriets und Carmens Haus auf dem ramponierten Sofa aus. Carmen hatte einen spielfreien Tag, ehe sie auf Hilda Stambach traf, die Page Bartlett Campbell zu Fall gebracht hatte. Page litt unter einer Sehnenentzündung im Knie, sagte der Presse aber nichts davon. Hilda war gut, und Rasen war nicht ideal für Page. Allerdings konnte Page auf allem gewin­nen. Nun mußte sie ein weiteres Jahr auf Wimbledon warten, und das bedeutete, sich ein weiteres Jahr eine Familie aus dem Kopf zu schlagen. Sie fragte sich, ob es das wert sei.

Jane hatte Page kurz interviewt und erzählte Carmen und Harriet, daß Page nach dem Finale noch einige Tage dabliebe.

«Jane, möchtest du einen Drink? Wein, Bier oder scharfe Sachen?»

«Weißwein. Es ist noch zu früh am Tag, um ernsthaft zu trinken.»

Carmen schenkte Jane Weißwein ein. Jane spürte die Span­nung. Sie kannte Carmen; ihre Sorge galt Harriet. Seit Susan Reilly ihr damals den Laufpaß gab, sorgte Carmen dafür, daß keine andere Frau ihr je das gleiche antat. Jane hielt Carmen für einen in vieler Hinsicht reizenden Menschen, aber auch für den Modellfall einer Liebessüchtigen.

Jane dachte auch ein wenig über sich selbst nach. Verände­rung. Das Leben bestand anscheinend nur aus Veränderungen, selbst wenn sich an der Oberfläche absolut nichts regte.

Als Carmen ihr das Weinglas reichte, fragte Jane: «Wofür würdest du sterben?»

«Ich denke nicht ans Sterben.»

«Nicht in Wimbledon.» Harriet nippte an einer Coca-Cola.

Jane sagte: «Aber ich frage mich, ob das Leben lebenswert ist, wenn es nichts oder niemanden gibt, wofür man sterben würde?»

«Nein», antwortete Harriet.

«Nein, was? Gibt's da was, wofür du sterben würdest?» fragte Carmen.

«Ich hoffe, ich würde für dich sterben oder für eine Freundin; für ein Kind, wenn ich eines hätte; für mein Land, je nach den Umständen; für eine Idee, wenn sie großartig genug wäre, obwohl es leichter ist, für Fleisch und Blut zu sterben.»

Carmen sagte nichts darauf.

«Manchmal glaube ich, daß wir morgens aufstehen, bloß weil wir es nicht geschafft haben, mitten in der Nacht zu sterben.»

Jane schüttelte ein Kissen auf.

«Es ist leichter zu leben, wenn du ein Ziel hast.»

«Der Grand Slam», sagte Carmen.

Jane, die jetzt bequem lag, antwortete: «Äußere Ziele lassen einen im Stich. Nicht daß sie nicht wunderbar wären, sie geben uns ein Gefühl von Leistung, aber das ist nicht genug.»

«Der Grand Slam wird für mich genug sein.» Carmen blen­dete Janes Gedankengang aus.

«Ich meine nicht, daß es nicht wichtig ist», sagte Harriet. «Sport gibt uns wirklich ein Beispiel von Mut. Wahrscheinlich hoffte ich, es gebe einen Sinn hinter den Dingen, ganz sicher aber außerhalb meiner Fähigkeit, ihnzu beschreiben. Vielleicht suche ich nach dem Geist, dem kollektiven Bewußtsein.»

«Wäre das etwa nichts?» Jane trank ihren Wein.

«Ein Planet miteinem Herzschlag.» Harriet stieß mit Jane an. Carmen ließ ihr Perrierglas gegen Janes Glas klicken und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sich davor gedrückt hatte, Harriet von Lavinias Plan zu erzählen.

«Auf Carmens Grand Slam und auf die Offenbarung», sagte Jane und hob ihr Glas.

«Eine Offenbarung ist mir willkommen», sagte Harriet. «Die Logik ist zu zeitraubend.»

Hilda Stambach, eine von Seth Quintards Klientinnen, kam ins Finale. Eigentlich waren sie beide Klientinnen von Athletes Unlimited, nur hatte Miguel da reingepfuscht. Aber Seth bekam seine Rache.

Am Tag vor dem Finale, üblicherweise ein Ruhetag für beide Finalistinnen, wartete er geduldig auf Carmen, während sie trainierte. Ein angeblicher englischer Wollfabrikant half Seth dafür sorgen, daß Miguel garantiert außer Sichtweite war. Mi­guel und der falsche Fabrikant besprachen gerade Carmens künftige Sockenwerbung.

Seth überfiel sie, sobald sie vom Training kam. Er hatte die imitierte Kleidung aus Hongkong bei sich. Als Seth ihr haar­klein auseinanderlegte, was da vor sich ging, fiel sie fast in Ohnmacht. Seth wußte zwar nichts von der gefälschten Unter­schrift für den Kredit der Amalgamated-Bank, aber er war schlau genug, um zu wissen, daß Miguel das Geld irgendwoher gekriegt haben mußte.

Carmen nahm die Sachen ungläubig in Augenschein. Seth erinnerte sie daran, daß ihr Name für ein Schundprodukt miß­braucht wurde, und ging dann triumphierend davon.

«Miguel!» Carmen platzte in seine Sitzung hinein.

«Migueletta, wie war das Training?»

«Entschuldigen Sie uns.» Sie schob ihrem Bruder die Hand unter die Achsel und zog ihn aus dem Sessel.

Unter Protest, aber in Sorge, ließ er sich von ihr zum Auto schleifen und hineinstoßen. Sie preschte aus der Parklücke, vergaß beinahe, auf der linken Straßenseite zu fahren, korri­gierte sich und raste dann zur Themse. Sie parkte den Wagen so nahe am Fluß wie möglich, donnerte die Tür zu und zog ihn heraus. Aus ihrer Reisetasche auf dem Sitz zerrte sie ein Hemd und eine Bluse hervor.

«Was ist das?»

«Du weißt genau, was das ist.»

Miguel griff nach den Kleidungsstücken. Er sagte kein Wort.

«Miguel, verdammt, lüg mich nicht an!»

«Ich habe ein Geschäft gemacht.» Er holte tief Luft und erzählte ihr dann von Hongkong, dem Vertriebsnetz, dem ge­nialen Plan und, vor allem, daß er 10 Prozent des Profits auf ihr Konto überweise.

«Was noch?»

«Das ist alles.»

Sie hatte eine Karte, aber die spielte sie klug aus. «Seth Quintard hat mir gesagt, du hättest das Geld gepumpt.»

Miguel nahm an, daß sie von der gefälschten Unterschrift wußte. «Ich werde das Miststück umbringen. Wie hat er das mit Dennis Parry rausgefunden?»

«Athletes Unlimited hat überall Freunde.»

Miguel nahm ihre Hand. Sie entzog sich seinem Griff. «Nun gut, ich habe deine Unterschrift gefälscht - ist doch nichts dabei. Es war ein gutes Geschäft. Ich habe Parry, den Kreditbearbeiter, geschmiert. Er ist zwar ein Wiesel, aber er hat mir den Kredit beschafft. Wer wird schon glauben, daß du hiervon nichts wuß­test?»

«Also wieviel Schulden hast du?»

«Wir schulden etwa 500000 Dollar plus Zinsen. Ich habe bereits einige Raten gezahlt, sonst wäre es schlimmer.»

«Du weißt, daß Seth Quintard sich wahrscheinlich mit den amerikanischen Fabrikanten zusammensetzt. Wenn er mir die gefälschten Sachen gegeben hat, wird er sie ihnen auch geben.»

«Ich bringe ihn um.»

«Jedenfalls werden sie alles erfahren. Es gibt keine Möglich­keit, dieses Zeug zu verkaufen, jetzt nicht mehr.»

«Nicht in Amerika.» Miguels Gesicht war kalkweiß. «Es wird in Südostasien verkauft.»

«Bringt das genug, um die Schulden zu zahlen?»

«Ich weiß nicht. Ich bezweifle es. Wenn du nicht augenblick­lich zur Ehefrau wirst, wird sich das Zeug wahrscheinlich auch dort nicht verkaufen.»

«Himmel, Miguel, wie konntest du mir das antun?»

«Alles wäre ganz prima gelaufen, Migueletta. Du hättest noch mehr Geld auf der Bank gehabt, und ich wäre aus eigener Kraft ein reicher Mann geworden. Wie hätte ich auch wissen können, daß du Lesbierin bist?»

«Was hat denn das damit zu tun?»

«Deine geile Möse wird uns ein Vermögen kosten.»

Carmen schlug ihm in den Magen. Er krümmte sich. «Schlei­mer! Papa hat immer gesagt, daß du ein Aal bist. Du hast meinen Namen gefälscht und mich benutzt.»

Er richtete sich auf und preßte ihr die Arme zur Seite. «Mag sein, daß du ein halber Mann bist, Schwester, aber ich bin ein ganzer Mann und kann dich noch immer grün und blau prü­geln.»

«Laß mich los.»

«Erst wenn du zuhörst.»

Sie spuckte ihm ins Gesicht und stieß ihm ihr Knie zwischen die Beine. Er heulte auf.

«Ich kann dir ordentlich weh tun, während du mich schlägst, Trottel.»

«Was hilft uns das denn? Wir sitzen beide in der Klemme. Wir müssen zusammenhalten.»

Sie stand über ihm. «Warum?»

«Weil ich dein Bruder bin. Ja, ich habe dir einen Mist einge­brockt, aber es hätte auch toll laufen können. Was nützt es dir oder dem Damentennis, wenn ein Marketingskandal losbricht? Seth Quintard hat seine Rache gehabt. Er wird es nicht an die Öffentlichkeit bringen. Das letzte, was Athletes Unlimited will, ist noch mehr Ärger im Damentennis. Also wirst du den Kredit zurückzahlen und niemand wird irgendeinen Verdacht schöp­fen. Wir werden zusammenhalten. Nicht alle meine Investitio­nen waren schlecht.»

Sie hörte ungerührt zu. «Okay, Miguel. Aber du machst keine Geschäfte mehr. Nie wieder. Sobald ich aus der Sache raus bin, fährst du nach Hause.»

Miguel kamen die Tränen. «Verzeih mir. Bitte, verzeih mir.» «Halt den Mund und geh nach Hause. Morgen muß ich wirklich gewinnen.»

Der Morgen des Damenfinales in Wimbledon war klar, ein unerwarteter Segen. Carmen, geladen wie eine Con Edison- Turbine, streute Pfeffer auf ihr Frühstück.

Harriet brühte den Tee auf. «Ein Telegramm von Baby Jesus kam, während du unter der Dusche warst.»

«Laß sehen.»

Letzte Nacht, als Carmen schlief, war Harriet aus dem Bett geschlüpft und hatte sämtliche Telegramme zusammenge­schnippelt, die Carmen bekommen hatte, selbst ein paar Buch­staben eingefügt und ein Telegramm von der Katze fabriziert. Sie reichte es Carmen.

Carmen lächelte und las laut vor. «CARMEN. KATASTROPHE FÜR HILDA STAMBACH. STOP. GEWINNE. STOP. WÜNSCHE MIR BÜCKLINGE ZUR FEIER DES TAGES. STOP. KOMM HEIM. STOP. PIESELTE IN DEINE WANNE. STOP NIE. BABY JESUS.» Sie faltete das Telegramm und schob es in ihre Schlägerhülle.

«Sogar die Tiere sind auf deiner Seite.» Viel mehr gab es nicht zu sagen, denn beide waren im Geist auf dem Centre Court.

Harriets Prophezeiung traf exakt zu. Das Finale war enttäu­schend für alle außer Carmen, Harriet und Bonnie Marie, die auf den Tribünen verborgen war. Carmen reihte die Punkte wie Perlen aneinander. Hildas erster Auftritt auf dem Centre Court mochte an ihren Nerven gezerrt haben, aber selbst wenn sie Wimbledon-erprobt gewesen wäre, hätte sie Carmen Semana nicht drosseln können.

Carmen war high. Sie war frei. Ihr Körper war locker. Sie dachte sich weniger zu den Punkten, als daß sie sie spürte. Ihr Spiel war instinktiv, fließend, magisch.

Nach dem Match hielt sie den Silberteller hoch über den Kopf und wandte sich der Menge zu. Jetzt nahmen die Leute ihren Anlauf auf den Grand Slam ernst. Wenn es ihr gelang, ihr Tempo beizubehalten und unverletzt zu bleiben, konnte Carmen Semana es schaffen.

Als Jane und Harriet Wimbledon eilig hinter sich ließen, unbe­merkt bei all der Feststimmung und dem Trubel, sagte Harriet: «Carmen hat eine Affäre. Ich weiß es.»

«Woher weißt du das?»

«Ich weiß es einfach. Jane, was mache ich bloß?»

«Kannst du es aushalten? Daß sie eine andere Geliebte hat?»

Harriet schwieg.

Jane hielt vor einem Juweliergeschäft. «Wenn dir das Herz bricht, darfst du ruhig losheulen und auf allen vieren kriechen, während du dein Leben wieder zusammenbastelst. Gott weiß, ich hab's getan.»

«Was, du?»

«Als meine erste Ehe aus den Fugen ging, wußte ich vorn und hinten nicht weiter. Ich hatte mein ganzes Leben um dieses Ekel herumgebaut. Oh, er ist nicht wirklich ein Ekel. Wir waren zwei unglückliche Kinder, die einen Augenblick des Glücks fanden, eine Illusion, die Zukunft genannt.»

«Vielleicht ist es das gleiche für Carmen und diese - wie heißt sie gleich?»

«Bonnie Marie Bishop. Soweit ich weiß, ist sie im College in den oberen Semestern.»

Jane strich Harriet durchs Haar, eine große Schwester, die die kleine aufmöbelt. «Dies kann noch viel schlimmer werden, bevor es besser wird. Sei nichtzu stolz, zu deinen Freundinnen und Freunden zu kommen. Und denk an den alten Satz: <Über­laß sie dem Himmel.)»

Harriets Augen wurden feucht. Sie haßte es zu weinen, und sie brachte es nicht über sich, auf einer öffentlichen Straße zu heulen. «Vielleicht sind Liebende wie Rundfunksender. Wenn du über Land fährst, empfängt man sie erst immer klarer und dann verschwimmen sie.»