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Flushing Meadows, Austragungsstätte des US Open, trägt seinen Namen zu Recht. In den ersten beiden Septemberwochen ergießt sich eine Flut von Menschen durch die Drehkreuze, die bombastische Tennisstars erleben möchten und Schiedsrichter, die besser in die Met-Aufführung der<Aida> paßten.
Das US Open ist ein lautes, wildes Turnier, das dazu neigt, jede Tradition zu zerstören, solange es die Gewinne steigert. Sponsoren kämpften um die günstigsten Stellen für ihre Werbung. Die Firma Tomahawk, ein abspringender Sponsor, der bis zum Ende der Saison noch gebunden war, löste das Problem, indem sie den Namen des neuesten Parfüms «Moccasin» auf die Rückwände der Toiletten pinseln ließ.
Die Zuschauer waren dieses Jahr zahlreich. Die Reichen hingen noch immer in Bar Harbor herum oder segelten bei Newport. Das US Open zog die Mittelklasse an, die aus den Sommerferien heimkehren mußte, wollte sie ihre Arbeitsplätze behalten. Auch manche Amerikaner der Unterschicht fanden sich ein, aber in Wahrheit würde Tennis nie ihr Sport werden.
Lavinia wieselte überall herum. Der einzige Ort, wo ihr knallgelbes Kleid nie auftauchte, war auf der obersten Tribüne des Louis Armstrong Memorials Stadiums, eine Arena mit 20000 Sitzplätzen. Sie wollte schließlich nicht wegen Sauerstoffmangels in Ohnmacht fallen.
Carmen war an zwei, Page Bartlett Campbell an eins gesetzt; sie hatte das US Open die letzten vier Jahre hintereinander gewonnen. Carmen giftete sich über die Wertung. Sie hatte sich zwei der Grand Slam-Turniere unter den Nagel gerissen und noch immer steckte das Komitee hinter Page.
Siggy Wayne und Seth Quintard latschten täglich ein Paar Schuhe durch, rasten von Spielerinnen zu Firmenbossen. Das US Open, ein fruchtbarer Boden für Geschäfte, machte beide Männer glücklich.
Bonnie Marie schlenderte im Umkleideraum ein und aus, was Außenstehenden im allgemeinen untersagt war. Sie war in den Umkleideräumen zu Hause. Die Torwärterinnen hielten sie wohl für eine Spielerin. Und das war sie auch, auf ihre Art.
Die Spielerinnen hetzten durch die Menge, um zu ihrem Platz zu gelangen, wenn außerhalb des Stadions gespielt wurde. Die sengende Hitze, die der Kunstbelag der Plätze speicherte, brannte an ihren Beinen wie Napalm. Die Fahrwerke der Flugzeuge, die La Guardia Airport anflogen, drohten mehr als eine große Spielerin zu skalpieren. Die U-Bahn-Geräusche von Forest Hills wirkten wie Wiegenlieder verglichen mit dem Dröhnen der Flugzeuge.
Harriet wollte nicht zum US Open fahren, aber Jane bat sie, für ein paar Tage herüberzukommen. Sie könne in Princeton wohnen und alte Freunde besuchen. Einsam wie sie war, sagte Harriet zu.
Am ersten Abend bei Jane und Ricky erhielt sie einen merkwürdigen Anruf. «Alicia! Woher weißt du, daß ich hier bin?»
«Pure Vermutung. Ich wette, du fragst dich, wieso ich dich anrufe.»
«Ja.»
«Ich habe Susan verlassen, weißt du.»
«Fünf zu eins, daß Susan es anders darstellt.» Harriet hatte zwar keinen Streit mit Alicia, fragte sich aber, was das sollte.
«Der Hitler der Tenniswelt.»
«Ach, so schlimm ist sie nun auch wieder nicht. Vielleicht Iwan der Schreckliche?»
Alicia kicherte. «Ich bekomme ein Baby. Aber ich werde nicht heiraten. Ich bekomme dieses Baby ganz allein.»
«Das erfordert Mut. Warum erzählst du mir das, Alicia? Schließlich sind wir ja nicht gerade Busenfreundinnen.»
In die nervöse Stimme kam ein Zögern. «Nein, aber ich habe nie offen Partei ergriffen. Ich hatte nie etwas gegen dich, aber Susan schon. Weißt du, seit du das damals in Hilton Head gesagt hast, kam ich zu dem Schluß, daß ich dich mochte. Zumindest hattest du keine Angst zu lieben. Susan hatte immer Angst.» Sie unterbrach sich. «Was hältst du davon, daß ich ein Baby bekomme?»
«Ich wünsche dir alles Gute, Alicia.»
«Ich muß dir etwas sagen. Ich weiß nicht warum. Ich kann's halt nicht ändern.»
Harriet schüttelte im Bett ein Kissen auf, Wenn sie schon Bekenntnisse zu hören bekam, konnte sie es sich auch bequem machen. «Schieß los.»
«Susan Reilly hat Martin Kuzirian auf dich und Carmen ingesetzt. Sie hat euch eine Falle gestellt. In dieser Hinsicht ist sie gerissen. Ihr seid glatt reingeschlittert.»
«Carmen ist glatt rausgeschlittert.»
Alicia sagte unverblümt: «Das hätte sie irgendwann sowieso getan. Sie schickt ihre Liebhaberinnen in die Wüste, wenn sie sie satt hat.»
«Wenn sie einen Ölwechsel braucht?»
Alicia kicherte wieder.
«So ungefähr. Harriet, ich wünschte, du wärst keine Lesbe. Diese Beziehungen haben einfach keine Stabilität. Du würdest eine gute Ehefrau und liebevolle Mutter abgeben. Du brauchst einen Mann, der sich um dich kümmert.»
«Im Augenblick brauchst du, glaube ich, einen Mann mehr als ich.» Ihr Leben lang hatte Harriet dieses Argument zu hören bekommen. Sie wußte, daß es nur gut gemeint war. Jetzt sollte es wohl Alicia ebenso überzeugen wie Harriet.
«Denk drüber nach.»
Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, warf Harriet ihren Morgenrock über und ging auf Zehenspitzen zu Rickys und Janes Schlafzimmer. Die Tür stand offen, und sie schliefen noch nicht.
«Ihr würdet nie raten, was Alicia mir erzählt hat!» Harriet wiederholte ihnen jedes Wort.
«Das haut mich um.»
«Ich wußte es.» Jane schlug sich auf den Schenkel.
«Sinnlos, es Carmen zu erzählen.» Harriet saß am Fußende ihres Bettes. «Du siehst müde aus, Jane.»
«Das Alter.»
Harriet sah sie an. «Nicht bei dir.» Aber sie konnte nicht umhin, die dunklen Ränder unter Janes Augen zu bemerken.
«Na, jedenfalls bestätigt das meine Theorie.» Ricky schob seine Hand unter den Kopf.
«Also los, Einstein.» Jane wartete ab.
«Liebe läßt sich nicht nach dem beurteilen, was am Ende dabei rauskommt.»
Susan Reilly schlug Page Bartlett Campbell in einem mitreißenden Halbfinale. Susan stand jetzt Carmen im Finale gegenüber. Carmen hatte es in ihrem Halbfinale etwas leichter, da Rainey Rogers sich eine Leistenzerrung zuzog.
Es war ein drückender Septembertag. Schon vor dem ersten Aufschlag waren beide Frauen schweißgebadet.
Susan, die stark spielte, gewann den ersten Satz 6 : 4. Carmen kämpfte im zweiten Satz ein 7 : 5 heraus. Hätten sie vor dem dritten Satz ihre verschwitzte Kleidung wechseln können, hätte sich jede Frau besser gefühlt. Die Männer können ihre Hemden zwischen den Sätzen ausziehen, sich abtrocknen, ein frisches Hemd überstreifen und dann wieder hinausstürmen. Nicht so die Frauen. Ihre Kleider hingen wie Kletten an ihnen. Ihre Stimmungen waren ebenso auf dem Siedepunkt wie ihre Körper. Daß eine ausflippte, war nur eine Frage der Zeit.
Timothy thronte hoheitsvoll auf einem der reservierten Stühle hinter der Grundlinie. Bonnie Marie verkrümelte sich auf einen viel weniger auffälligen Sitz. Miguel saß neben Timothy und ignorierte ihn.
Bei 3:2 nach einem besonders tückischen Ballwechsel, stürmte Susan ans Netz. Sie hatte Carmen bei vierzig zu dreißig, und Susan hatte Aufschlag. Sie strotzte vor Selbstvertrauen. Carmen schmetterte einen Passierball zur Seitenlinie. Susan erwischte ihn, und er flog zurück auf die Grundlinie. Der Ball war eindeutig auf der Linie.
«Aus», rief der Linienrichter.
Carmen ging zur Linie und prüfte es nach. Wohlweislich hielt sie den Mund. Miranda Mexata, von der Sonne geblendet, konnte diesen Ball nicht gesehen haben, und Carmen wußte, daß Miranda sich nicht gutgläubig über den Linienrichter hinwegsetzen konnte.
Susan ereiferte sich am Netz. «Der Ball war kilometerweit drin.»
Die Fernsehkameras für die Zuschauer zu Hause zeigten ebenfalls, daß der Ball genau auf die Linie ging. Aber Video hatte auf dem Platz keine Bedeutung. Die Situation war enervierend.
Susan brüllte, und die Fans brüllten mit. Der Linienrichter war hartnäckig. Die Hitze ließ auch ihn hochgehen.
«Carmen, willst du etwa das Match auf diese Weise gewinnen?» appellierte Susan.
Carmen antwortete nicht.
«Seit Jahren spielen wir jetzt zusammen. Wir haben einander noch nie verladen.» Susan nahm es hier nicht allzu genau.
Carmen schwankte.
«Sag ihm schon, was du gesehen hast.»
Miranda sagte: «Meine Damen, den nächsten Punkt bitte.»
«Sag's ihm.»
«Ich hab den Ball drin gesehen», sagte Carmen heiser zu dem verlegenen Linienrichter.
«Miss Semana, ich sah ihn im Aus.»
«Hören Sie, selbst meine Gegnerin weiß, daß er drin war.»
«Susan, wenn Sie nicht den nächsten Aufschlag machen, bekommen Sie einen Strafpunkt, womit es Vorteil für Miss Semana steht.»
Etwas schnappte über. Zuviel Spannung. Zuviel Hitze. Zuviel Unausgesprochenes zwischen den beiden ehemaligen Liebhaberinnen, die auf ein unheilvolles Ende zusteuerten. Susan hechtete übers Netz. Tobend stand sie vor dem Linienrichter. Carmen wechselte vernünftigerweise auf die Einstandsseite hinüber.
Die Menge schäumte. Alle waren wütend. Susan stieß den Linienrichter von seinem Stuhl.
«Wächter, entfernen Sie Mrs. Reilly vom Platz. Dieses Match ist vorbei, meine Damen und Herren. Carmen Semana gewinnt durch Abbruch.» Miranda Mexata hatte schon miterlebt, wie beim US Open aus Funktionären Hackfleisch gemacht wurde. Hier konnten die Veranstalter ihre Autorität nicht untergraben. Die Situation war klar. Keine Spielerin ist größer als das Spiel selbst. Susan Reilly hatte einen abscheulichen Verstoß gegen den Linienrichter, ihre Gegnerin, das Publikum und den Tennissport selbst verübt. Aus!
Vier Wächter waren notwendig, um Susan Reilly vom Platz zu schaffen. Einer der Veranstalter tauchte wunderbarerweise am Fuß von Mirandas Hochsitz auf. Sie beugte sich hinunter und sagte ihm, er solle seinen Scheiß wegpacken. Auf gar keinen Fall würde dieses Spiel fortgesetzt, sobald sich Susan gefangen hätte. Verdammt, man müsse sie mit Thorazin vollpumpen. Trotz seiner Panik wußte der Veranstalter doch, daß er Miranda Mexata den Rücken stärken mußte.
Am nächsten Tag zogen die Journalisten eine Orgie der Empörung über Susans Attacke ab. Merkwürdigerweise hielt sich Martin Kuzirian bedeckt.
Also hatte Carmen das US Open gewonnen. Eine Wolke hing über diesem Sieg, und dafür würde sie Susan bis an ihr Lebensende verfluchen ... aber sie hatte es gewonnen. Ein Turnier lag noch vor ihr. Nur eines.