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Das Sportstadion abseits vom Capitol Beltway war das Hohe­lied auf die Tatsache, daß ländliche Bauplaner außerstande sind, Scheiße von Schuhcreme zu unterscheiden. Für Einwohner von Washington nicht minder unbequem wie für die von Baltimore, Maryland, lag das Sportstadion als nackter Koloß in die Land­schaft geklotzt.

Jeden Januar sponserte Tomahawk eine Meisterschaft. Die acht Spitzenspielerinnen des Hallentennis traten gegeneinander an. Das Schöne an diesem Reglement war, daß niemand es begriff. Trotz reichlicher Diagramme und Erklärungen über Mikrofon von Lavinia unten auf dem Platz blieb die Struktur undurchsichtig. Den Fans war's egal, solange das Finale das Chaos aufklärte. Die Siegprämie belief sich auf bombige 250 000 Dollar - nicht schlecht, verglichen mit den üblichen 150 000 Dollar für ein reguläres Turnier in einer Stadt wie Minneapolis.

Miguel staunte über die Miniatur-Wigwams, vollgestopft mit Tomahawk-Produkten. Es war zehn Jahre her, seit er zuletzt seine Schwester begleitet hatte, und in diesen zehn Jahren hatte eine Explosion des kommerziellen Elements stattgefunden. Er sah beim Training zu und beobachtete die Spielerinnen. Die Spannung des Spiels packte ihn wieder. Er liebte Tennis, auch wenn er nicht gerade traurig darüber war, daß er die juristische Fakultät besucht hatte. Er wußte, er wollte nicht mit 35 ein abgehalfterter Typ sein; ein Dasein als Rechtsanwalt fand er freilich auch nicht allzu begeisternd. Das beruhigende Geräusch des Balles gegen gespannte Darmsaiten hob seine Lebensgeister. Der Winter von Cazenovia hatte ihnen bereits einen Dämpfer versetzt.

Carmen gewann den ersten Satz in ihrem ersten Match. Sie putzte Michele Kittredge vom Platz, eine Australierin mit töd­licher Vorhand, annehmbarer Rückhand, solidem ersten Auf­schlag und Spatzenhirn. Michele spielte; sie dachte nicht. Außerhalb des Tennisplatzes war sie genauso, was ihr eine Beständigkeit gab, die Leute beruhigend fanden. Neben ihrer nicht gerade überragenden Intelligenz hatte Michele ein gutes Herz und einen ausgeprägten Sinn für Fairneß. Ihre Kumpel nannten sie Schmettie wegen ihrer Schmetterbälle; im allgemei­nen schlug sie ihre Gegnerin mindestens einmal pro Match, denn ihre mächtige Vorhand hatte unberechenbare Momente. Heute abend spielte sie gut, aber Carmen schlug sie im ersten Satz 6:4.

Im zweiten Satz, zwei beide, visierte Schmettie die Ecken an. Der Belag bestand aus über Holzplatten gespanntem Teppich; unter den Holzplatten befand sich das Eishockeyfeld. Der Belag war schnell, was sowohl für Schmettie als auch Carmen ein Vorteil war, da sie das «große Spiel» machten, Aufschlag und Volley.

Schmettie ging zum Angriff über. Ihr Aufschlag kam stark angeschnitten zu Carmen, die schwach retournierte. Schmettie lief ans Netz und schlug den Ball zurück. Während das Match für die Zuschauer spannender wurde, ging Harriets Interesse in Besorgnis über. Zwar war sie äußerlich ruhig, doch jedesmal, wenn der Ball mit einem Surren auf Carmens Schläger traf, spürte Harriet die Vibrationen im eigenen Arm. Schmettie führte ein mörderisches Duell.

Auch Howard Dominick, der von der Kontrollkabine aus zusah, machte sich Sorgen. Er wollte ein gutes Match, da Car­men aber als Nummer eins gesetzt war, sollte sie lieber zusehen, daß sie in dieses verdammte Finale kam. Carmen war ein Kas­senschlager. Wenn sie teilnahm, gab's für den Veranstalter kaum ein Verlustgeschäft, und um so mehr Fans wurden mit einem Hagel von Tomahawk-Produkten attacktiert. Wenn ihnen das kein Licht aufsteckte, sorgte das mit Spruchbändern gepfla­sterte Stadion schon dafür.

Carmen unterschnitt ihre Rückhand-Returns. Sie wollte das Tempo drosseln. Ihre Rückhand war stark, freilich nicht über­wältigend. Ab und zu streute sie einen Angriffsball ein, doch ihre volle Konzentration lag jetzt darin, Schmetties Angriff zu brechen. Zwar konnte Schmettie im allgemeinen dieses Spielni­veau nicht mehr als einen Satz lang durchstehen, aber Carmen wollte keinen Satzgleichstand.

Bei sechs beide verkündete Miranda Mexata, die beste Schiedsrichterin im Tennis, dem Publikum, daß jetzt ein Tie- Break erfolge, der den Ausgang des Satzes entschied. Bis 1971 mußten die Tennissätze mit einem Vorsprung von zwei Spielen gewonnen werden. Wenn du nicht den Aufschlag der Gegnerin durchbrechen konntest und sie deinen auch nicht, hättet ihr womöglich bis zum jüngsten Tag auf dem Platz sein können. 1963 brauchte Billie Jean King 36 Spiele, um Christine Truman beim Wightman Cup Competition zu schlagen: 6:4, 19:17. 1968 schlug der Australier John Brown nach 70 Spielen Bill Brown aus Omaha. Der erste Satz endete 36:34. Zweifellos war Nach­sicht angesagt. Vielleicht konnten die Spieler das aushalten, nicht aber die Zuschauer. Es ging das Gerücht, während des Spiels Brown gegen Brown sei tatsächlich einigen der Hintern abgestorben. Nach vielen Diskussionen zwischen der Alten Garde und den jungen Profis wurde der Tie-Break eingeführt.

Der Tie-Break kam zur Anwendung: Plötzlicher Tod. Car­men hatte den ersten Aufschlag. Sie bekam einen Aufschlag, Schmettie zwei Aufschläge, Carmen ebenfalls zwei und so wei­ter nach dem Zwei-Aufschläge-Prinzip, nur wechselten die Gegnerinnen nach sechs Punkten die Seiten. Selbst beim Hallen­tennis ist der Seitenwechsel fair und wird beibehalten. Sonne und Wind sind offensichtliche und hinreichende Gründe für den Seitenwechsel beim Freiluftspiel, doch ist in der Halle das Flut­licht oft an einer Stelle des Platzes besser als an einer anderen. Der Tie-Break war die simple Lösung eines verzwickten Pro­blems. Wer zuerst sieben Punkte erreichte, hatte den Satz ge­wonnen. Wer zwei von drei Sätzen gewann, hatte das Match für sich entschieden. Falls die Gegnerinnen so gleich gut waren, daß sie selbst im Tie-Break einen Gleichstand von sechs beide er­reichten, wurde so lange gespielt, bis eine Spielerin zwei Punkte Vorsprung hatte.

Ein Tie-Break brachte Spannung in den Sport und entzückte die Fans. Jetzt waren sie begeistert, denn Schmettie schlug sich mit 5:4 nach vorn. Sie nahm Carmen den Aufschlag ab.

Miguel steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie aber nicht an. Oben in der Pressekabine hielten Jane und Ricky den Atem an. Zuviel Kommentar beim Tie- Break kommt beim Fernsehpublikum nicht an. Harriet sah stur geradeaus.

Carmen, ein Vollprofi, wurde kämpferischer, je mehr es hart auf hart ging. Sie konzentrierte ihre ganze Energie auf jeden einzelnen Schlag und riß die nächsten drei Punkte an sich, noch ehe Schmettie und die Menge sich's versahen. Sie hatte das Match entschieden.

Später im Umkleideraum, während sie nach Interviews und einer Massage ihr Knie kühlte, sagte sie zu Harriet: «Drei Sätze mit Schmettie kamen für mich überhaupt nicht in Frage.»

Auf ihrem Weg zur Bar steckte Lavinia die Nase durch die Tür des Umkleideraums. «Gute Arbeit, Carmen.» Lavinia Sibley Archer konnte einenganzen Wodkasee aussaufen, ohne die Fasson zu verlieren. Ihr Wimbledon-Sieg verblaßte neben dieser Demonstration körperlicher Leistungsfähigkeit zumal in ihrem Alter. Harriet meinte, das sei nichts Besonderes. Lavinia hätte schon vor ihrer Geburt in Alkohol geschwommen.

Als Harriet und Miguel durch die Flure düsten, prallten sie an einer Kurve fast mit Susan Reilly zusammen, die ein ebensolches Tempo draufhatte. Susan trug ihre Sporttasche über der Schul­ter. Harnet fixierte Susan, Susan fixierte Harriet. Jede ging der anderen aus dem Weg.

«Buenos noches, Susan.» Miguel kannte sie seit Jahren.

Nachdem Billie Jean King und das erste Team der Profis zusammen mit Lavinia die Turnierrunde ins Leben gerufen hatten, kam Susan daher und sahnte ab. Sie war einsachtzig groß, was ihr am Netz unglaubliche Reichweite verschaffte, und sie war überraschend schnell für eine so große Frau. Ihre Gegen­wart auf dem Tennisplatz wirkte elektrisierend. Sie besaß das Charisma der Führungsperson und Disziplin, allerdings man­gelte es ihr an Organisationstalent. Zum Glück hatte sie eine Menge Leute um sich, die ihre Sache in die Hand nahmen. Mit 30 war Susan noch immer eine gewaltige Gegnerin.

Auf Susans Fersen folgte Happy Straker, ihre gegenwärtige Partnerin im Doppel und frühere Partnerin im Bett. Happy strahlte Miguel ein Lächeln rüber. «Hab dich seit Wimbledon nicht gesehen. Du siehst prima aus.»

Lisa, Susans siebenjährige Tochter, holte ihre Mutter ein, des­gleichen Craig Reilly, Susans Mann. Craig war Arzt und beglei­tete seine Frau selten auf ihrer Tour. Was kein Unglück war.

«Immer noch großartig», sagte Miguel, als Susans Begleitzug sich den Korridor hinunterbewegte. Susan war eine der Größ­ten. Sie war auch groß im Lügen, doch weshalb die Illusion rauben? Harriet bezeichnete sie einmal als atemberaubend un­ehrlich, was den Nagel auf den Kopf traf.

«Warum spielt ihr beide kein Doppel mehr?» fragte Miguel.

Carmen zuckte die Achseln. «Susan liebt Partnerwechsel. Hält sie frisch.»

Miguel warf seiner Schwester einen Blick zu. Carmen und Susan hatten jedes Turnier im Doppel gewonnen, das es zu gewinnen gab. Wechseln um des Wechsels willen hörte sich merkwürdig an.

Carmen erwiderte seinen Blick. «So ist sie eben. Zickig.»

«Vielleicht ist die Partnerschaft im Doppel so was wie eine Ehe, nur braucht's zur Auflösung keinen Priester.» Miguel traf einen Nerv, ohne es mitzukriegen.

Er wußte ja nicht, daß Susan Reilly die erste Frau war, die mit seiner Schwester geschlafen hatte. Carmen war damals sechs­zehn und sehr leicht zu beeindrucken gewesen. Mit 24 war sie noch immer reichlich leicht zu beeindrucken, aber mit sechzehn war sie so emotional, daß es an Hilflosigkeit grenzte. Susan zog sie herab in ihr Bett: ein ehrgeiziges argentinisches Mädchen auf dem Weg nach oben, falls sie je ihr Temperament würde zügeln können. Susan sagte Carmen, sie liebe Craig, aber sie hätten eine Übereinkunft getroffen. Er gehe seiner Wege und sie ihrer. Sie versäumte es, Carmen zu erzählen, daß sie auch noch einer kostspieligen schönen Dame hoch droben auf Nob Hill zu Diensten war. Was auch immer sie sonst noch sagte, es reichte, ein Mädchen in ihren ersten Liebesqualen - von einer ersten lesbischen Affäre ganz zu schweigen - davon zu überzeugen, daß sie mit Susan leben mußte. Carmen hatte gar das Gefühl, sie könne ohne Susan nicht leben. Also packte sie ihre Sachen und kam in die Vereinigten Staaten.

Carmen hatte dies nicht mit Susan besprochen. Sie nahm an, Mrs. Reilly wäre hingerissen, sie zu sehen und mit ihr zu leben. Sie würde Argentinien periodische Besuche abstatten, um ihre Staatsbürgerschaft aufrechtzuerhalten und den bürokratischen Erfordernissen der USA Genüge zu tun, die für ausländische Einwohner bekanntlich streng sind. Als sie unangemeldet vor Susans Haus stand, blickte Susan glatt an ihr vorbei, sagte, sie ticke nicht richtig, und warf die Tür zu. Sie ignorierte Carmens Anrufe und Bitten. Carmen, gestrandet, lebte bei einer Tennis­spielerin und ihrer Familie in Palo Alto, bis sie sich wieder in den Griff bekam.

Harriet fragte sich, ob Carmen die Sache je klargekriegt hatte, wenn schon die Rechnung nicht beglichen war. Carmen zog es vor, Konflikte zu vermeiden. Wenn etwas faul ist, ignoriere es. Wenn es ärger wird, trink einen, rauch eine Zigarette oder paff ein Zauberkraut, aber stell dich unter keinen Umständen dem Schmerz.

Schließlich verpflichtete sich Carmen als Susans Partnerin im Doppel. Dies währte drei Jahre, bis Susan sie ohne Vorwarnung wegen Happy Straker fallenließ, ihrer nächsten Augenblicks­grille, aber einer grandiosen Partnerin im Doppel. Nie wieder schlief Susan je mit Carmen oder erwähnte die Affäre, die Carmens Erscheinen auf ihrer Türschwelle vorausgegangen war. Susan hatte moralischen Gedächtnisschwund. Warum Car­men zu Susan freundlich blieb, war Harriet ein Rätsel, denn sie spürte - wie ein tiefer Unterton jenseits menschlichen Hörver­mögens -, daß der andere Groschen erst noch fallen mußte.

Miguel bestellte zum Nachtisch flambierte Kirschen. All die Flammen am Tisch gaben dem Essen einen Anflug von Vernich­tung. Miguel und Ricky redeten über die Erweiterung des Kabelfernsehens. Die Frauen redeten untereinander.

«Ich habe keine flambierten Kirschen mehr gegessen seit gebackene Alaska, und gebackene Alaska habe ich seit meinem letzten Jahr im Smith College nicht mehr gegessen.» Jane löf­felte die tröpfelnde Flüssigkeit in sich hinein.

«Hast du dein Smithie-T-Shirt dabei?» Carmen war schon mit ihrem Nachtisch fertig. «Das mit dem Aufdruck: Smith College. Seit einem Jahrhundert sind Frauen oben.» Carmen war auf dieses T-Shirt scharf.

Miguel drehte sich zu seiner Schwester um. «Hat jemand <Frauen oben> gesagt?»

«Vergiß es, Miguel, du bist ein Chauvi. Du kapierst es nie.» Carmen wandte sich wieder Jane zu.

«Sie reden über Janes College», erklärte Ricky,

«Oh, einen Moment lang dachte ich, die Damen brächten uns in eine peinliche Lage.» Miguels Zähne wirkten in dieser Be­leuchtung fast silbern.

«Nichts gegen eine peinliche Lage, aber nicht heute abend.» Die beiden setzten ihre Diskussion fort.

«Jane, was muß ich tun, um an dieses T-Shirt zu kommen?» bohrte Carmen weiter.

«Den Mount Everest kannst du jedenfalls nicht besteigen, der ist mittlerweile zu abgelatscht. Laß mal sehen; du könntest mir ein Foto vom Monster von Loch Ness beschaffen, oder du könntest den Grand Slam gewinnen - oder du könntest mich einfach mal darum bitten.»

«Bitte, besorg mir so ein T-Shirt, und für meinen Bruder auch eins.»

«Ich werde mal an meine Alma mater schreiben und sehen, was ich tun kann.»

Harriet sah sich prüfend um. «Voll von Republikanern.»

«Woran siehst du das?» Jane überflog den Raum.

«An den verkniffenen Lippen.»

«Garstig bist du wohl gar nicht?» Jane spielte mit ihrem Dessert.

«Jane, ich esse das für dich auf.» Carmen langte hinüber und griff nach dem Teller. Jane machte einen perplexen Eindruck. «Ach komm, ich weiß, daß du für Schokolade glatt einen Mord begehst. Ober, einmal Mousse au chocolat.»

«Bin ich denn so durchschaubar?»

«Carmen, ich muß ein paar Verträge mit dir durchsprechen.»

«Was?» Überrascht wirbelte Carmen herum und sah Seth Quintard hinter ihr stehen. Entweder hatte er sich aus der Topfpalme hochgebuddelt oder war auf Mokassins hereinge­schlichen, denn niemand hatte ihn kommen gehört.

«Ja. Können wir das nicht später?»

Miguel erhob sich gewichtig. «Wenn's Ihnen nichts aus­macht, wäre ich gern dabei. Meine Schwester hat mich gebeten, ihre geschäftlichen Angelegenheiten zu prüfen.»

Rasch sagte Seth: «Sicher.»

«Ich rufe dich in einer Stunde in deinem Zimmer an», sagte Carmen.

Athletes Unlimited überwucherte die Sportwelt wie wilder Wein. Die Firma, einst nur kleiner Sprößling, drohte, vom ganzen Wald Besitz zu ergreifen. Football, Tennis, Baseball, Basketball, Fußball, Leichtathletik - Athletes Unlimited reprä­sentierte die Besten in jeder Sportart. Ihre einzige Konkurrenz war eine kleine Firma, geleitet von einem ehemaligen Basket­ballstar, der Macht nicht delegieren konnte. Eine echte Konkur­renz war das nicht. Seth leitete den Tennisbereich. In seiner Fähigkeit, Geschäfte aufzureißen, erwies er sich als ungeheuer produktiv. Er hatte in seiner Brieftasche für Carmen einen Vertrag für Sockenwerbung in Japan und ein Angebot als Profilehrerin im finstersten New Mexico. Für eine Woche im Jahr bekäme sie 140 000 Dollar und obendrein ein Eigentums­apartment.

In all diese Verträge waren noch Bonbons eingebaut. Ge­wänne sie Wimbledon, bekäme sie ein Sümmchen extra. Ge­wänne sie den Grand Slam, trüge ihr das sowohl Unsterblichkeit als auch einen Riesenbonus ein. Dank ihres phänomenalen sportlichen Talents und ihres guten Platzgefühls konnte man sie als Anwärterin auf den Grand Slam nicht außer acht lassen, obwohl die Chancen für jede Spielerin schlecht standen, egal wie bemerkenswert sie war.

Seth verließ den Tisch und baute sich über Rainey Rogers, einer weiteren Klientin auf. Raineys Mutter fungierte als Flak­zerstörer. Er bat um ihre Aufmerksamkeit für das Geschäft, das er Rainey zu offerieren hatte. Wäre Rainey - und ihre Mama natürlich - bereit, an einem Mittelklasseturnier in West­deutschland teilzunehmen, so würde der Veranstalter mit dem schönsten BMW rüberkommen - unter der Hand, versteht sich -, den sie je gesehen hätte. Frau Mama widmete sich zäh und unerbittlich dem Erfolg ihres Sprößlings, und sie war aus­gefuchst.

«Ich war noch nie in Deutschland, Mutter.» Rainey und ihre Mama waren aufeinander eingespielt. Sie wußten nun beide, daß Seth dem Veranstalter berichten würde, es gäbe ernsthaftes Interesse.

Carmen beobachtete Rainey, als Seth mit Mrs. Rogers sprach. Ohne ihre Mutter war Rainey ganz in Ordnung, aber wenn sie mit ihrer Mutter aufkreuzte, war Vorsicht geboten. Raineys grimmige Entschlossenheit zermürbte jede Gegnerin. Raineys und Carmens Gewinn- und Verlustpunkte hielten sich ungefähr die Waage. Der Versuch, Rainey gern zu haben, war Carmen nie in den Sinn gekommen, denn sie näherte sich ihrer Konkurrenz nie emotional. Susan hatte sie das gelehrt.

«Was hältst du von Seth und seiner Firma?» fragte Miguel Ricky.

«Ach, ich weiß nicht recht, Miguel.» Ricky machte eine Pause. «Das Geld, das ins Tennis fließt, hat in vieler Hinsicht sein Gutes, aber ich habe so einige Vorbehalte. Wohl deshalb, weil ich mit Tennis als ländlichem Clubsport aufgewachsen bin. So halte ich zwar die Verbreitung für gesund, werde allerdings manchmal etwas nervös bei all der Propaganda.»

«Ich bin auch so aufgewachsen. Vater Perez, mein Jugendtrai­ner, sagte immer, Sport sei ein Test von Mann gegen Mann. Vater Perez meinte auch, die Spiele sollten der Ehre Gottes gewidmet sein. Das ist ja alles schön und gut, Rick, aber eine solche Anschauung muß man sich leisten können.»

«Sicher. Das war schon immer das Problem mit dem Tennis.»

«Dein Tennisschläger-Vertrag läuft am 1. Januar aus.» Seths Papiere stapelten sich säuberlich auf dem Kaffeetisch. Miguel saß seiner Schwester schräg gegenüber und hörte zu, wobei er Seth ansah.

«Das ist noch ein Jahr hin.»

«Wir sollten jetzt anfangen, darüber nachzudenken. Ich schätze, sie werden mit 200 000 Dollar für einen Drei-Jahres­Vertrag rüberkommen plus kräftiger Prämien, wenn du eins der Grand Slam-Turniere gewinnst; falls du den Grand Slam ge­winnst, beliefe sich das auf 750 000 Dollar.»

«Klingt nicht schlecht.» Carmen hörte gern von Geld reden.

«Allerdings ist da noch eine westdeutsche Sportartikelfirma namens Mach, die den amerikanischen Markt knacken will. Ich denke, von denen kriegen wir möglicherweise noch mehr, wenn du bei ein paar europäischen Showturnieren mitspielst.»

«Wirklich?»

«Ich arbeite an der Sache.» Seth lächelte, wie höchstens ein Krokodil lächeln kann. Da Athletes Unlimited 25 Prozent Pro­vision auf alle Verträge und Turnierprämien kassierte, lag es im eigenen Interesse, soviel Geld wie möglich herauszuschlagen. Ob die Artikel gut waren oder nicht, spielte kaum eine Rolle. Oft statteten die Hersteller ihre bezahlten Stützen, die Stars, mit speziell angefertigten Schlägern oder Schuhen aus und verkauf­ten dann ein minderwertiges Produkt unter dem Namen des Stars. Das Produkt auf dem Markt sah ganz genauso aus, war es aber nicht. Der Trick funktionierte häufig. Banausen erkannten den Unterschied zwischen einem erstklassigen Schläger und einem aus billigem Metall ohnehin nicht. Seth klärte Carmen darüber nie auf. Er setzte voraus, daß sie das Spiel, sein Spiel verstand. Miguel begriff das System auf der Stelle.

«Was ist mit dem Eigentumsapartment in Savanna? Sie wol­len dich wirklich dort für ihren neuen Club.»

«Ich weiß nicht.» Carmen drückte die Mine ihres Gucci- Kugelschreibers raus und wieder rein. «Zwei Wochen im Jahr sind ja auf den ersten Blick nicht viel, aber ich kann schon jetzt nicht genug Zeit zu Hause verbringen.»

«Carmen, überleg dir das. Was sind schon zwei Wochen für so ein Geschäft? 150 000 Dollar pro Jahr plus Apartment gratis, wenn du deinen Fünfjahres-Vertrag einhältst.»

«Ich weiß nicht.»

«Du kannst noch den Rest deines Lebens in Cazenovia sitzen. Schmiede das Eisen, solange es heiß ist.»

«Ich hasse es, Kurse zu geben.» Carmen, wie die meisten talentierten Leute, unterrichtete gern andere talentierte Leute. Sie haßte die Kurse voll mittelalterlicher Damen, die vergebens versuchten, die Aufschlagslinie zu finden.

«Ein kleines Opfer.» Seth packte zusammen. «Überleg es dir.»

Was Seth nicht sagte, war, daß solche Geschäfte nur für die drei oder vier Spitzenspielerinnen der Welt in Frage kamen. Und die drei oder vier weltbesten männlichen Spieler bekamen eine Menge mehr als die Frauen. Je weniger die Mädchen über die finanziellen Transaktionen der Spieler wußten, desto besser. Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Auf Grund der Zu­rückhaltung der Leute, über Geld zu reden, würden die Frauen auch nicht dahinterkommen. Zudem zerbrachen sich Tennis­spielerinnen über langfristige Pläne nicht den Kopf, das war sein Job. Solange die Spieler und Spielerinnen aufs Feld gingen und die Spiele gewannen, zählte nur das. Und Athletes Unlimited spekulierte inzwischen mit dem Geld. Wer tat das nicht? Alle bekamen die vertraglich vereinbarte Summe. Was waren schon drei Monate Wartezeit?

Seth behielt eine Menge für sich. Er redete nicht über Schmiergelder, besonders nicht Athletes Unlimited gegenüber. Worauf es ankam, war Verschwiegenheit. Einer Spielerin wie Carmen käme nie der Verdacht, daß Seth beim Hersteller in die eigene Tasche wirtschaftete. Nun ja, es fiel halt ein bißchen was für ihn ab, wenn er sie unter Vertrag brachte. Wer wollte ihm das zum Vorwurf machen und wem schadete es? Außerdem sollte Carmen das wissen, sagte sich Seth. Amerikaner waren da nichts im Vergleich zu Südamerikanern. Die waren die echten Gauner.

Ginge Carmen mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe ihres Sportwagens, wären Seths Pläne zunichte und ihre auch. Es gab keine Vertragsklauseln zum Schutz der Spielerin, sollte sie sich eine Verletzung zuziehen, die ihrer Karriere ein Ende setzte. Überdies konnte man einen Spieler mit Hilfe gewisser Klauseln im Falle eines Skandals augenblicklich fallen lassen. Normalerweise konnte Seth Skandale vertuschen, manchmal freilich machte eine Firma Schwierigkeiten, und er mußte den Vertrag abschreiben.

«Bleib sauber, Nummer eins.» Seth verabschiedete sich lä­chelnd. Mit diesem Satz verabschiedete er sich von all seinen Spielern.

Miguel schloß die Tür zum Schlafzimmer, in dem Harriet saß und las. Er wollte mit Carmen allein reden. «Carmen, hast du mal die Bücher von Athletes Unlimited geprüft?»

«Nein.»

«Woher weißt du, daß sie dich nicht linken?»

«Das täten sie nicht.»

«Du solltest die Bücher prüfen.»

«Miguel, ich hab nicht die Zeit dazu. Außerdem würde es Tausende von Dollar kosten.»

«Du vertraust bei solchen Entscheidungen Fremden? Du zahlst ihnen ein Vermögen an Provision, Täubchen. Du bist ein so großer Star, daß die Hersteller mit oder ohne Athletes Un­limited zu dir kämen, weißt du das nicht?»

«Ich spiele Tennis. Ich bezahle die Leute, damit sie sich um meine Geschäfte kümmern. Ich kann nicht alles machen.»

«Ich bin dein Anwalt. Ich verstehe was von diesen Din­gen.»

«Ich brauche jemanden in Amerika. Das Geld ist hier, von einigen großen Turnieren abgesehen. Ich brauche Amerikaner, wenn ich Geschäfte mit Amerikanern mache.»

«Das glaube ich nicht, Migueletta. Du darfst diese Dinge nicht in die Hände von Außenseitern legen. Die werden reich an deiner Arbeit.»

«Miguel, ich mag nicht über diese Dinge reden, wenn ich spielen muß.»

Er zog seine breiten Schultern hoch und ließ sie fallen. «Dann eben später.»

Nachdem Miguel gegangen war, kam Carmen herein und setzte sich auf die Bettkante.

«Seth sagte etwas von Showturnieren in Europa für eine Woche.»

«Wann wäre das?«

«Irgendwann zwischen Wimbledon und dem US Open. Im August wahrscheinlich.«

«Oh.»

«Kommst du mit?»

«Ich soll dieses dreiwöchige Sommerseminar geben.»

«Das ist Taschengeld.»

«Ich weiß, aber ich unterrichte gern, und es ist nur ein Seminar.»

«Du kannst unterrichten, wenn ich nicht mehr aktiv bin. Wieviel habe ich noch vor mir, vielleicht fünf Jahre?»

«Und was willst du damit sagen?» Harriet drehte sich auf dem Bett um.

«Du hast deinen Job am Cazenovia College aufgesteckt. Warum also diese kleinen Sachen?»

«Süße, mir gefällt meine Arbeit, und unterrichten erfordert Fähigkeiten wie jede andere Sache. Ich roste langsam ein.»

«Ja», Carmens Stimme hob sich um eine Nuance, «aber du kannst arbeiten, wenn ich mich zur Ruhe setze, und dann kannst du bis in alle Ewigkeit unterrichten.»

Harriet sagte nichts. Sie ging ins Bad und wusch sich.

Carmen kam ihr nach und schlang die Arme um Harriets Taille. «Ich hasse es, ohne dich zu sein. Bitte, komm mit. Wenn ich mit 30 aus dem Leistungssport aussteige, verspreche ich dir, daß ich all deine Seminare besuche, Professor Rawls.»

«Ich hasse es auch, nicht bei dir zu sein, Schatz. Wirklich. Ich ...»

«Bitte.»

«Du redest von fünf oder sechs Jahren, als wäre das gar nichts.»

«Ich liebe dich.»

«Ich weiß.» Sie trocknete sich ab. Carmen hatte absolut recht, wenn man allein das Geld in Betracht zog. Harriet fühlte sich jedesmal mies, sobald dieses Thema auftauchte. Sie sehnte diese wenigen Wochen im Jahr herbei, die sie unterrichtete. Sie wollte den Kontakt zu ihren Kollegen und ihren Studenten behalten. Das intensive dreiwöchige Sommerseminar in okzidentaler Re­ligion - Harriets Spezialgebiet war altgriechische Religion - hielt sie auf Draht. Carmen sagte zwar nicht: Halt dich zehn Schritte hinter mir, aber sie begriff anscheinend nie, daß Harriet an ihrer Arbeit wirklich hing und das Gehalt für sie keine Rolle spielte.

«Warum kannst du dich nicht einfach mir überlassen?» for­derte Carmen.

«Na komm, Süße, ich will ja nur etwas Zeit für mich selbst.»

«Ich habe nie das Gefühl, daß du mich brauchst.»

«Das Thema hatten wir schon öfter. Ich meine nicht, daß Brauchen und Lieben unbedingt ein und dasselbe sind. Ich hänge an meiner Arbeit. Ich habe mich jahrelang durchs Stu­dium gebissen, wie du dich jahrelang durchs Training gebissen hast. Ich will von meinem Zeug ein bißchen Gebrauch machen.»

«Mach später davon Gebrauch. Ich kann's nicht ertragen, von dir getrennt zu sein. Ich hasse es, wenn ich zur Tribüne hoch­schaue und dein Gesicht nicht sehe. Ich spiele für dich.»

Dieses Argument verfehlte nie seine Wirkung und ergoß einen Haufen Schuldgefühle auf Harriets Haupt. Hier stand diese junge Frau, eingepfercht in eine sehr kurze Karriere, überall in der Welt herumgescheucht. Sie wollte nichts als einen einzigen echten Fan. Wenn sie getrennt waren, rief Carmen sie bis zu achtmal am Tag an, egal, wo in der Welt sie war. Und sie weinte. Carmen war vom Glück gesegnet, wurde verhätschelt und als Star behandelt, seit sie fünfzehn war. Sie besaß keinen Sinn für Proportionen und keinen Sinn für ein Leben außerhalb des Sports. Sie konnte das Leben einer Baseballspielerin begrei­fen, aber nicht das einer Dozentin.

Carmen hatte obendrein gelernt, die Dinge nach ihrem finan­ziellen Wert zu bemessen. Wenn sie Millionen machte, mußte sie mehr Wert sein als eine, die weniger verdiente. Sie hielt sich eigentlich nicht für besser als Harriet, doch der Gedanke, daß Harriet ein kleines Gehalt zu verdienen wünschte, während sie doch mit Carmen Zusammensein konnte, erschien ihr lächerlich und beleidigend. Carmen machte es nichts aus, die Rechnungen zu bezahlen. Sie hatte für alle ihre Geliebten bezahlt, wenn sie auch nicht daran dachte. Jede Geliebte war für Carmen die Geliebte für alle Ewigkeit.

«Ich liebe es, wenn du zu mir rüberschaust. Ich will, daß du glücklich bist, das weißt du, und wenn du gewinnst, macht dich das glücklich.» Harriet achtete sehr darauf, den Sieg nie überzu­betonen. Carmen hatte sich immer über eine frühere Geliebte beklagt, die so total in Carmens Spiel aufging, daß sie schimpfte, wenn Carmen verlor. Harriet machte sich eigentlich nichts aus Tennis. Wenn der Sieg Carmen glücklich machte, wollte sie, daß Carmen siegte. Wäre Carmen Börsenmaklerin oder eine Ange­stellte im Supermarkt gewesen, hätte Harriet sie genauso ge­liebt.

«Wie kann ich gewinnen, wenn du nicht da bist?»

«Oh, Carmen, du kannst überall und jederzeit gewinnen. Du bist die Beste.»

«Ich will mit dir die Beste sein, nicht ohne dich. Bitte, komm mit mir auf diese Showtournee. Du wirst Europa sehen.»

«Süße, daraus wird nichts.» Harriet lachte. «Wir sehen nichts als Hotelzimmer und Stadien.»

Carmen seufzte. «Bitte, bitte. Ich will nicht allein sein. Ich brauche dich wirklich. Ich liebe dich. Ich werde nie eine andere lieben als dich.»

Harriet drehte sich um und strich Carmen mit den Fingern durchs Haar. «Ja», sagte sie. «Ich komme mit.» Carmen spürte zum erstenmal, daß Harriet ihr gehörte, hundertprozentig ihr. Diese emotionale und sexuelle Nähe war die tiefste, die jede von ihnen je empfunden hatte. Danach schlummerte Carmen ein, glücklicher, als sie je im Leben gewesen war.

Eine Entscheidung war getroffen. Jeder Entscheidung, selbst einer falschen, folgt Friede. Harriet schmiegte sich hinter Car­men, schob einen Arm unter den langen, graziösen Hals und glitt in einen glitzernden Nebel von Liebe hinein. Sie schlief, wie es alle Liebenden tun, mit einem einzigen synchronen Herz­schlag ein, denn sie war eins mit einem anderen Wesen und auch mit dem Universum.

«Cross, Cross, Cross!» schrie Miguel von der Seitenlinie.

Schmettie, die mit Carmen trainierte, bezwang den Drang, ihm mit einem gelben Ball das Maul zu stopfen. Nur daß sie ihn schrecklich attraktiv fand, hielt sie davon ab. Carmen war irri­tiert, aber brauste nicht offen gegen ihren Bruder auf. Wenn sie aufbrauste, dann nur gegen Linienrichter, Kellner oder Taxifah­rer. Zorn richtete man nach unten, nicht nach oben oder gegen Gleichrangige. Sie biß die Zähne zusammen, trollte sich zur Grundlinie und hieb tief auf Schmetties Vorhandseite.

«Was für 'n Winkel? Wo bleibt der Winkel?» Miguel machte weiter.

«Ich muß noch ein paar Bälle mehr schlagen.»

«Du kriegst aber im Match keine paar Bälle mehr.» Als er so auf sie einbrüllte, donnerte Schmettie eine Rückhand zur Grundlinie.

Die Grundlinien- und Crosspassagen langweilten Carmen. Manche Spieler trainierten gern. Carmen stand es durch. Unter dem Druck der Konkurrenz blühte sie auf. Training war so was wie ein trockener Fick. Schmettie schlug eine Rückhand zur Grundlinie, und Carmen, die Linkshänderin, schickte den Return Cross-Rückhand. Dann wechselten sie die Prozedur: Carmens Grundlinieneinschlag Vorhand, Schmetties Cross- Vorhand. Endlose Passagen lang, jede davon zweckdienlich und, was Carmen anging, jede davon langweilig.

Miguel griff in seine Jackentasche, zog ein Taschentuch her­aus und marschierte mitten im Ballwechsel auf den Platz. Schmettie stemmte die Hände in die Seiten.

«Hier!» Er breitete das Taschentuch in die Grundlinienecke, Carmens Rückhandfeld. «Triff das.»

Die Adern an ihrem Hals traten hervor. Carmen nahm drei Bälle auf, stopfte zwei in ihre Shorts und begann noch einmal.

«Triff es.»

Sie konzentrierte sich und traf es mit einem mächtigen Hieb. Beim zweitenmal schlug sie daneben, war aber beim drittenmal nahe dran.

«Das nennst du unter Kontrolle?»

Wütend legte sie ihr ganzes Körpergewicht in den Schlag, placierte ihn genau und putzte das Taschentuch hinter die Grundlinie. Miguel strahlte, und ihr Training ging fünfzehn Minuten lang weiter.

Schmettie und Carmen schlurften in den Umkleideraum, der in gräßlichem Gelb gestrichen war.

Schmettie sagte: «Himmel, ist das ein Kameltreiber. War er schon so, als du klein warst?»

«So ziemlich.» Carmen setzte sich lahm auf eine Bank.

«Ich hätt ihn 'nen Kopf kürzer gemacht. Mein Dad und ich hatten's vielleicht drauf, mit Klauen und Zähnen. Du hättst geglaubt, es war sein Match, nicht meins.»

«Er will ja nur mein Bestes.»

Das Geräusch des Spielautomaten im Clubraum der Spieler unterbrach ihre Bemerkungen.

«Gehst du nach Kansas City?»

«Ich lasse die Woche Cincinnati aus. Und du?»

«Spiel dies Jahr beides.» Schmettie zog eine Flasche Nicht- Tomahawk-Shampoo hervor, verbarg sie unter ihrem Arm und sauste zu den Duschen. Schmettie hatte ihr Lieblingsshampoo, und keine Sponsorfirma konnte sie von diesem alles durchdrin­genden Schaum abbringen.

Die Menge füllte schon früh das Stadion. Heute war das Finale. Keine Überraschungen. Rainey Rogers gegen Carmen Semana. Bis jetzt war das Tennis gut gewesen, umwerfend freilich nicht. Lavinia, in auberginefarbener Jacke und zitronengelber Hose, erteilte Instruktionen. Harriet und Miguel okkupierten die Eh­renplätze, die Tomahawk widerwillig Freunden und Familie überließ. Die Sponsoren sahen Miguel gern unter den Zuschau­ern. Seine Anwesenheit ließ sich für eine zugkräftige Schlagzeile ausschlachten - liebender Bruder opfert Anwaltskarriere, um geliebte Schwester zu trainieren.

Lavinia ergriff das Mikro und marschierte zu den Klängen einer traditionellen Version der Nationalhymne in die Platz­mitte. Linienrichter in waldgrünen Jacketts, der Tomahawk­Farbe, bezogen Aufstellung. Dann folgte ein Bataillon von Balljungen und Ballmädchen in waldgrünen T-Shirts und mit Federn im Haar, und ihnen allen wurde für die einwöchige Unterstützung gedankt. Lavinia am Mikro brachte Tomahawk an den Rand einer Herzattacke. Sie schwafelte gern. Nach einer zehnminütigen Rede über die Geschichte und Entwicklung des Damenhallentennis, gesponsert von Tomahawk, war das Publi­kum abgrundtief gelangweilt. Hätte sie ihren Komplimenten für Howard Dominick noch weitere zugefügt, hätte man von ihm einen Spaziergang über das Wasser erwartet.

«Und nun, meine Damen und Herren, ist es mir eine Freude, Ihnen Carmen Semanas ersten Trainer, ihren Bruder Miguel, vorzustellen.»

Ein Scheinwerfer richtete sich auf Miguel, der sich erhoben hatte. Die Menge klatschte.

Lavinia erging sich in einer Darstellung der charakteristi­schen Spielweise der beiden Finalistinnen - die Angriffsspiele­rin Carmen gegen die Rückhandspezialistin Rainey. Rainey Ro­gers wartete kochend vor Wut im Gang auf ihren Auftritt. Billige Publicity, dieser Bruder-Quatsch.

Mrs. Rogers war wie stets in der Nähe und kochte ebenfalls. Miguel Semana konnte nicht mehr Opfer gebracht haben als sie und Bill, Raineys Vater. Warum schenkte die Presse nicht Ame­rikanern mehr Aufmerksamkeit? Rainey war ein einheimisches Produkt. Sie hatte die Titelseite vonSeventeen geschmückt. Was sind schon ein paar Argentinier mit ihrem Gestrahle gegen das Titelbild vonSeventeen? Nun ja, dachte sie, bald wird man Mi­guel genauso links liegenlassen wie jeden anderen auf der Welt, der keinen Tennisschläger schwingt. Mrs. Rogers Schuhe drückten. Sie wackelte mit dem Zeh in der vergeblichen Hoff­nung, sie auch nur ein bißchen zu dehnen. Sie versuchte sich abzulenken, bis das Match tatsächlich anfing. Dann würde ihr Adrenalinpegel genauso steigen wie der von Rainey.

Lavinia legte widerstrebend das Mikrofon aus der Hand. Miranda Mexata nahm ihren Platz ein, und zur allgemeinen Erleichterung begann das Match.

Zur allgemeinen Überraschung war es ein sehr knappes Spiel, wenn auch kein farbiges. Der Teppich war Carmens Belag. Rainey hätte ihr fast einen dritten Satz aufgedrückt, aber Car­men erreichte den Tie-Break mit einem Lob. Es war für Rainey der plötzliche Tod.

Die Zeremonien im Anschluß ans Match übertrafen die dem Kampf vorausgegangenen noch an orchestrierter Langeweile. Jeder Sponsor hatte seinen Auftritt und rückte mit einer Hals­kette oder einem Gutschein für den lebenslänglichen Bedarf an Schmerzpillen heraus. Jeder lobte die Siegerin und tätschelte die Besiegte mit der Versicherung, sie hätte einen großen Kampf geführt - das nächste Mal mehr Glück. Als man Rainey das Mikrofon übergab, zollte sie ihr ebenfalls geistreich Lob. Eine solche Szene kam bei der Menge immer an. Da dies der Höhe­punkt des Tomahawk-Turniers war, der Abschluß der Hallen­saison des Vorjahres, überreichte Howard Dominick den Sie­gesscheck.

Das Mikro in der Hand, dankte Carmen versiert den Ballmäd­chen, Balljungen und Sponsoren - vor allem Tomahawk. «Und ich danke allen Fans, die diese Woche gekommen sind. Ohne sie wäre das Tennis der Damen nicht das, was es heute ist. Ich danke Ihnen.» Die Fans waren begeistert. Auch wenn die Dankesreden Routine waren, liebte Carmen die Fans wirklich. Sie war ein Showtalent. Das Publikum hatte auf sie einen größeren Einfluß als auf eine Spielerin wie Rainey, die auf eine einzige Frequenz schaltete und den Rest der Welt, die Fans eingeschlossen, aus­blendete.

Ricky stand am Feld und interviewte Carmen. «Was für ein toller Jahresanfang.»

«Stimmt.» Carmen lächelte.

«Rainey kam mit ihrem kurzen Cross-Rückhand nicht zum Zug. Mit diesem Schlag hattest du heute keine Schwierigkei­ten.»

«Damit schlägt Rainey weite Passagen und verwandelt weich­geschlagene Returns. Heute war der Belag für mich etwas vor­teilhafter, und ich war schnell.»

«Hast du irgendwelche Vorsätze für das neue Jahr?» Ricky verknüpfte technische Informationen mit persönlichen.

«Na ja, Sahneeisbecher werde ich mir wohl abschminken müssen.»

«Noch was?»

Carmen schwieg einen Moment, dann sagte sie: «Ja, ich hab es dieses Jahr auf den Grand Slam abgesehen.»

«Da wünsche ich dir viel Glück.»

«Danke, Ricky, das werde ich brauchen.»

Susan Reilly, die im Halbfinale der Turnierrunde von Rainey Rogers geschlagen worden war, sah sich Carmen im Fernsehen an. Susans Koffer für den Flug nach Kansas City in etwa drei Stunden waren gepackt. Außer in die Glotze zu sehen, gab es nichts zu tun. Craig und Lisa waren gestern abend nach San Francisco abgeflogen. Neben ihr im Doppelbett saß Alicia Brin­ker, ihre neueste Errungenschaft. Happy Straker hatte den Ver­such gemacht, Alicia vor Susans Erst-küssen-dann-wegschmei­ßen-Taktik zu warnen, aber Alicia war sicher, all das ändern zu können; Liebe war die Antwort darauf. Womöglich war Liebe die Antwort, doch die keimte besser im verborgenen. Alicia war eine solche Dunkellesbe, daß sie Gefahr lief, tagblind zu werden. Sie rangierte immerhin so weit vorn, so daß sie nicht allzu viele Qualifikationsturniere spielen mußte, um in die «A»-Klasse beim Tennis zu kommen. Aber wenn sie im selben Turnier spielten, nahmen sich Alicia und Susan verschiedene Zimmer auf verschiedenen Etagen, und die Spielerinnen witzelten über Alicia, die sich die Gänge runterschlich, damit niemand sie in Susans Zimmer verschwinden sah. Die Spielerinnen lachten zwar über Alicias Verfolgungsangst, doch ansonsten ignorier­ten sie die Affäre. Die Strände sämtlicher Kontinente waren mit Susans abgelegten Geliebten gepflastert.

In diesem Moment lief Alicia allerdings keine Gefahr, fallen­gelassen zu werden. Sie und Susan starrten gespannt auf den Bildschirm, als Carmen Ricky erzählte, daß sie dieses Jahr um den Grand Slam kämpfen wolle. «Da kann sie lange kämpfen», sagte Susan und drückte auf ein anderes Programm.

Susan hatte alles erreicht, was im Tennis zu erreichen war. Sie hatte jeden Titel im Einzel und Doppel gewonnen, aber niemals hatte sie das French Open, Wimbledon, das US Open und das Australian Open im selben Jahr geschafft. Jetzt, mit dreißig, hätte sie klüger sein müssen. Die jahrelangen wiederholten Wettkämpfe waren an ihrem Körper nicht spurlos vorüberge­gangen, doch sie war von fanatischer Entschlossenheit in bezug auf das eine Ziel besessen, das unerreichte - der Grand Slam. Sie wollte ihn gewinnen, wenn sie ihn aber nicht gewinnen konnte, würde sie dafür sorgen, daß keine andere es tat. Nicht solange sie lebte.