37813.fb2 Die Tennisspielerin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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Los Angeles, dem Pazifik verhaftet, hat eine eigentümliche erotische Macht über all jene ausgeübt, die in seinem riesigen Gebiet lebten. Sir Francis Drake landete am 17. Juni 1579 an der kalifornischen Küste. Seitdem machte eine Flut von Menschen die gleiche erhebende Entdeckung.

Das Tennisturnier war eine große Sache. Die Sponsoren, Spielerinnen und Funktionäre sahen der ersten Märzwoche freudig entgegen; man konnte rechtzeitig an- und abreisen, bevor der Smog einem Augen, Nase und Kehle verätzte.

Mit Ausnahme von Page Bartlett Campbell, die erst beim French Open zur Turnierrunde stoßen würde, ließen sich alle in LA blicken. Susan Reilly wäre lieber gestorben, als es zu verpas­sen. Rainey Rogers war da, und ihre Mutter war allgegenwärtig. Ihre überdimensionale Handtasche stand auf dem Kaffeetisch im Clubraum der Spielerinnen, ihre konservativ geschnittene Leinenjacke war ordentlich über eine Stuhllehne gehängt und ihre Spieltabellen stapelten sich auf dem Sitz. Sie und ihr Mann hatten Raineys Karriere gelenkt, seit Raineys Talent erkennbar wurde. Die Kleine war damals acht. Die Rogers hatten alles für ihre mittlere Tochter geopfert. Ihr Talent hatten sie genau rich­tig eingeschätzt, zu ihrer bereits damals ausgeprägten Disziplin immens beigetragen. Die Rogers setzten ihr nie zu. Sie dirigier­ten Rainey an all jenen unsichtbaren Fäden, die Eltern der Mittelklasse in ihren Kindern zu verankern wissen. Schwer zu sagen, wer die Spinne und wer die Fliege war; Rainey oder ihre Mutter. Augenblicklich spielte das keine Rolle. Dieses Problem würde erst viele Turniere später, in vielen Jahren auftauchen. Im Augenblick war das Problem, wie Rainey LA gewinnen konnte, wie sie Susan, Carmen und der stärker werdenden Hilda zeigen würde, daß sie bald die Spitze übernähme. Die Sportjournalisten ritten bis zum Erbrechen darauf herum.

«Auf nach Hollywood?» fragte Harriet. Jane Fulton trug ein glitzerndes T-Shirt, Donald Duck-Sonnenbrille und Plastiksanda­len. «Hast du dir die Aufmachung tatsächlich selbst ausgedacht?»

«Ricky hat mitgeholfen. Er trägt eine Fahrradkette als Hals­schmuck. Hast du die Auslosung gesehen?»

«Ja, Carmen und Susan sind bei der Auslosung in der gleichen Gruppe.»

«Susan beunruhigt mich mehr, wenn sie nicht auf dem Platz ist als drauf.» Jane nahm ihre Sonnenbrille ab.

«Was kann sie schon unternehmen?»

«Nenn es weiblichen Instinkt. Sie wird Carmens Archilles­ferse aufspüren.»

«Ich sehe noch immer nicht, was sie unternehmen kann.»

Jane zuckte die Achseln. «Verdammt, wenn ich's wüßte. Es ist bloß so ein Gefühl. Wenn Carmen sich die ersten beiden Turniere vom Grand Slam nicht unter den Nagel reißt, wird's keine Krise geben. Aber wenn sie nahe an diesen Slam kommt, spielt Susan verrückt, das sage ich dir.»

«Hoffentlich irrst du dich.» Harriet spielte mit Janes Sonnen­brille. «Wie steht sie mir?»

«Mir stand sie besser. Hier, nimm Mickymaus.» Jane reichte ihr eine blaue Kindersonnenbrille.

«Danke.»

«Susan weiß eines.»

«Was, Miz Jane?»

«Sie weiß, daß Carmen damit klarkommt, wenn es auf dem Platz Zunder gibt, aber nicht in ihrem Leben.»

«Carmen hat allerdings die Neigung, den Kopf in den Sand zu stecken.»

«Oder davonzulaufen.» Jane spähte durch ihre Brille. «Du weißt, sie lebt in einer Welt, die Konflikte formalisiert und sie vor allem abschirmt, außer Tennis. Das ist wahrhaftig die ideale Vorbereitung auf die ständigen Angriffe des Lebens gegen den eigenen Narzismus.»

Behängt wie das goldene Kalb, hielt Lavinia Sibley Archer in Los Angeles Hof, an Geschmacklosigkeit kaum noch zu übertreffen. Obwohl sie sich einbildete, über solchem Firlefanz zu stehen, mischte sie sich mit Vorliebe unter die Filmstars. Filmstars zeigten sich gern bei sportlichen Anlässen. Filmstars zeigten sich einfach überall gern. Alle bekamen, was sie wollten: Aufmerksamkeit. La­vinia umflatterte einen alternden männlichen Star, an dem so gut wie jeder Körperteil künstlich war. Er hatte gerade einen neuen Spionagefilm abgedreht. Er lehnte in der Ehrenloge, und sogleich plumpste Lavinia neben ihn und lauschte mit übertriebener Faszi­nation den Geschichten seiner mageren Tenniskünste. Ihre fal­schen Wimpern senkten sich wie vor einem König.

Der Star erkundigte sich huldvoll nach dem bevorstehenden Match. Stimmte es wirklich, daß Carmen Semana und Susan Reilly sich haßten?

«Hassen? Sagen wir, sie sind sich nicht sonderlich gewogen.»

«Waren sie nicht mal Partnerinnen im Doppel? Ich weiß zwar, ich hatte bei jedem großen Turnier in den letzten zehn Jahren Außenaufnahmen, aber ich glaube mich zu erinnern, daß sie vor Jahren mal Partnerinnen im Doppel waren.»

«Es geht hier ständig zu wie im Mädchenpensionat. Da gibt's Cliquen, Freundschaften, verkrachte Freundschaften. Ein Sturm im Wasserglas.»

«Wir leben im gleichen Wasserglas, da drüben bei Warner Brothers.»

«Hab Ihren letzten Film gesehen.» Sie verbuchte entsprechen­den Enthusiasmus. «Absolut himmlisch.»

«Danke, aber man braucht mehr als eine Person, um einen Film zu machen, Mrs. Archer.»

«Bitte, nennen Sie mich Lavinia. Man braucht zwar mehr als eine Person, um einen Film zu machen, aber man braucht einen Star, um das Publikum anzuziehen.»

Er zuckte männlich-nonchalant die Achseln; sie hatte schließ­lich die reine Wahrheit gesagt. Die Unterhaltung wurde durch den üblichen Aufmarsch der Funktionäre, Balljungen und Ball­mädchen in obligatem Waldgrün unterbrochen.

«Entschuldigen Sie mich, Mr. Ridgeback, ich muß mal für einen Moment auf den Platz.»

«Ich erwarte Ihre Rückkehr mit Ungeduld.» Er erhob sich und geleitete sie aus der Loge.

Einmal am Mikrofon, offenbarte Lavinia ihre Beredtheit. Während ihres Monologs nahmen Harriet und Miguel in einer Loge der einheimischen Sponsoren Platz. Wieder einmal wurde Miguel gebeten, sich neben eine scheinbar überglückliche Car­men zu stellen. Miguel wurde langsam zu einem Star zweiter Hand. Nach diesem Auftritt inszenierter Geschwisterliebe kehrte Lavinia zu ihrem eigentlichen Thema zurück, den alten Zeiten.

Schließlich begann das Match. Miranda Mexata richtete sich in ihrem Stuhl auf. Aus welcher Richtung der Wind wohl heute blies?

Susan schlug hart auf und folgte dem Aufschlag ans Netz. Ihre Schläge kamen flexibel und solide. Susan war nie eine graziöse Spielerin, aber sie war aufregend. Ihre Bewegungen waren rund.

Carmen war weitaus graziöser. Sie spurtete nur bei weitge­schlagenen Bällen oder wenn sie schlecht zum Ball stand. Susan konnte eine Spielerin aus dem Rhythmus bringen, aber Carmen war heute gelöst. Sie hatte ihr übliches Frühstück verzehrt und Harriet mit einem neuen Katzenroman aus der unermüdlichen Feder von Baby Jesus aufgezogen:<Catnap>, Große Entführun­gen in der Miezenwelt. Beide Frauen ignorierten Miguel, die Anspannung vor dem Spiel und ihre Gefühle Susan gegenüber.

Carmen hatte Augenblicke, in denen sie in das eintauchte, was Harriet «Die Zone» nannte. Carmen, die Zonen-Verrückte, konnte in ihre eigene Welt driften. Das tat sie, wenn sie sich wirklich Sorgen machte oder wenn sie müde war. Je besser Carmens Stimmung erschien, desto beunruhigter war sie oft auf einer unterbewußten Ebene.

Heute gelang ihr die Flucht. Sie spielte aus dem Kopf heraus. Susan spielte gut, aber Carmen war buchstäblich in einer ande­ren Welt. Jeder Schlag war, als schneide ein heißes Messer durch Butter. Bei jedem Aufschlag lief ein Beben durch ihren Unter­arm, ein Schub von Koordination. Sie konnte den Ball sogar spüren, wenn er auf der gegnerischen Seite des Feldes war. So schwer das Spiel auch war - Susan verschenkte nie etwas -, Carmen besaß Magie. Während sie sich bewegte wie eine Balle­rina zu herrlicher Musik, machte sie einen Punkt nach dem anderen.

Susan kämpfte mit Klauen und Zähnen. Wie eine Irre jagte sie jedem Ball nach. Sie stürmte, sprang und schmetterte. Sie machte unmögliche Returns. Aber Carmen ließ ihr göttliches Handgelenk schnippen und schlug den Ball wie eine lästige Mücke weg. Es war eine ehrfurchterregende Darstellung ihres Talents.

Carmen besiegte Susan mit 6:4, 6:4. Die Menge war von Carmens lyrischer Sportlichkeit hingerissen und von Susans konzentriertem Willen überrascht. Als sie ans Netz gingen, um sich die Hände zu schütteln, hielt jeder den Atem an. Susan reichte hinüber und drückte ihrer Gegnerin die Hand. Erleich­tert erwiderte Carmen den Händedruck. Susan lächelte mit durchdringendem, beunruhigendem Blick.

Susan saß in ihrem Zimmer und trank Perrier mit Limone. Alicia saß stumm auf dem Sofa. Nach einer Niederlage mit Susan reden zu wollen war keine gute Idee. Susan spielte jeden Punkt wieder und wieder durch. Sie konnte sich an Punkte erinnern, die sie in ihrer Schulzeit gespielt hatte. Hätte sie je intellektuelle Disziplin gezeigt, wäre Susan eine erstklas­sige Wissenschaftlerin geworden. Jetzt schmiedete sie ihr Eisen.

«Woran denkst du?» fragte Susan Alicia.

«An nichts.»

«Was hältst du von dem Match?»

«Niemand hätte Carmen heute schlagen können.»

«Jeder Blinde trifft mal einen Nagel?» fragte Susan rhetorisch.

«So ähnlich, ja.»

«Das ist das Glücksrad. Hast du mal Tarockkarten gesehen?»

«Nein.» Alicia hielt sich an die Bibel. Alles Okkulte war heidnisch.

«Sie sind interessant, die Tarockkarten.» Susans Augen glüh­ten wie kleine Laserstrahlen. «Es ist eine andere Möglichkeit, die Welt zu betrachten. Vielleicht ist es eine Form von verlorenem Wissen. Jedenfalls ist das Glücksrad eine Karte, auf der ein sich drehendes Rad abgebildet ist. Eine Person ist oben, eine andere Person ist unten. Das Rad hört nie auf, sich zu drehen.»

«Du wirst oben sein.»

«Ja.»

«Wenn Carmen morgen so spielt, wird Rainey Rogers einge­macht.»

«Vielleicht. Carmen hat eine merkwürdige Angewohnheit, ihre Gegnerinnen zu unterschätzen, wenn sie in Höchstform ist. Es wird aufwärts gehen.»

«Das Glücksrad?»

«Manchmal muß man dem Rad einen Schubs geben, denke ich.» Susan schwang ihre Beine übers Bett. Sie war in die Gegenwart zurückgekehrt. Alicia konnte wieder aufatmen.

Gary Shorter, der Trainer von Rainey Rogers, hatte nie eine Idee oberhalb der Gürtellinie. Er spielte an Raineys vielen Schlägern herum; er prüfte die Spannung der Saiten, das Gewicht, den Griff. Mrs. Rogers versank in ihre übliche Vorspiel-Trance. Sie holte, was immer ihre Tochter brauchte, aber sie schaltete ihre Energie um und bereitete sich genau wie Rainey auf das Match vor.

Rainey bemalte ihre Nägel mit Tomahawks «Hot and Wild Pink». Sie pinselte eine dünne Perlmuttschicht darüber. Ihr Tenniskleid war blaßrosa und straßgesäumt, um das Licht ein­zufangen.

Rainey dachte über ihre Spieltaktik nach. Carmen in Höchst­form war unschlagbar, doch wenn Rainey auch nur einen haar­feinen Riß in dieses Selbstvertrauen bringen konnte, dann war Carmen zu schlagen. Noch zwei Jahre, und Carmen würde Mühe haben, ins Finale zu kommen. Rainey widerstand Car­mens Angriffen wie ein Graf, der sein Schloß verteidigt. Für sie war es ein Krieg zwischen Angreifern und Verteidigern. Sie blieb an der Grundlinie, ihren Schloßmauern, während Carmen eine Angriffswelle nach der anderen abfeuerte. Raineys nüchter­ner Schlag kam als scharfer, kurzer Cross auf Carmens Rück­hand. Auf Dauer wirkte dieser Schlag wie der linke Haken eines Boxers. Schnipp, schnipp - es sieht aus, als richte er keinen Schaden an. Im Laufe der Zeit macht dieses Schnippen den Gegner fertig, tötet seinen Schwung, und er ist für das vernich­tende Ende offen. Rainey führte kein Match länger, als sie mußte. Mit achtzehn hatte sie gelernt: wenn du deine Gegnerin in den Seilen hast, mach sie fertig. Das ist letztlich barmherziger.

«Was macht deine Blase?» fragte Mrs. Rogers. Die Blase war lediglich eine kleine rote Scheuerstelle an ihrer Ferse, aber alle Athleten sind Hypochonder.

«Ich klebe ein dickes Pflaster drauf.»

«Gut.» Mrs. Rogers hob den Schuh auf und knetete die Hacke mit ihren Daumen. «Diese Schuhfirma! Wie oft haben wir denen haargenau erzählt, was wir haben wollen? Der hier ist etwas zu eng.» Sie knetete weiter. «So, jetzt ist es hoffentlich besser.»

Am Morgen des LA-Finales trieb Carmen den Hotelboy an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Sie fauchte den Garagen­mann an, der den Mietwagen heraufholte. Sie funkelte ihren Bruder an, der zum erstenmal in seinem Leben den Mund hielt, und sie brauste zum Stadion, als befände sie sich bei einem Seifenkistenrennen. Harriet auf dem Vordersitz versuchte, die verschwommen vorbeiflitzenden Gebäude zu ignorieren. Für Carmen bedeutete Geschwindigkeit Entspannung und Macht­gefühl.

Als sie bei den Tennisplätzen ankamen, ging Harriet auf die Tribüne. Für Carmen ließ sich wenig tun, wenn sie in dieser Laune war, und nach Harriets Ansicht hatte Carmen ein Recht auf ihre Launen. Allerdings fand Harriet auch, daß sie das Recht hatte, sich abzuseilen. Wenn Carmen schäumte, um sich psy­chisch aufzubauen, spie sie Gift und Galle auf jeden, der ihr in die Quere kam. Rainey war eine starke Gegnerin. Ihr Tennisstil brachte Carmen in Rage, sie haßte es, gegen sie zu spielen, und ihre wachsende Unzufriedenheit ließ sich nicht unterdrücken.

Der Hallenboden bei Damenturnieren bestand meist aus ei­nem über Holz gespannten Teppichbelag. Dieser schnelle Belag war für Carmen vorteilhaft. Wenn sie nicht gerade an Grippe, Krämpfen oder Desinteresse litt, gewann Carmen auf Teppich gewöhnlich. Vermasselte sie ihren ersten Aufschlag, konnte ihr das das Leben sauer machen, denn sie mußte ihren ersten Auf­schlag herunterziehen, damit sie ans Netz laufen konnte. Gegen eine Grundlinienspielerin von Raineys Kaliber war der erste Aufschlag entscheidend. Kam Carmen nicht ans Netz, würde sie nicht gewinnen.

Ihr Aufschlag glich einer Rakete. Carmen hatte einen so guten Tag, daß sie Rainey in zwei Sätzen niederwalzte.

Nach dem Match analysierten Rainey, ihr Trainer und ihre Mutter die Niederlage. Mrs. Rogers verzeichnete jeden Punkt in der Tabelle, damit Rainey ihn nachher studieren konnte.

Rainey nutzte jede Niederlage. Sie trainierte stundenlang, um den Winkel ihres Rückhand-Cross zu verbessern. Sie würde nie einen vernichtenden Aufschlag haben, versuchte aber, sich den mit der größten Präzision anzueignen, der auf Dauer ohnehin tödlicher war. Rainey glaubte, daß die Zeit für sie arbeitete. Mit ihrer disziplinierten Persönlichkeit und ihrer Spielweise würde sie die Carmens der Welt schon aushungern, wenn nicht in diesem Jahr, dann im nächsten.

Triumphierend trank Carmen ein wohlverdientes Bier. Ein trag­bares Tonbandgerät plärrte im Hintergrund. Sie hob die Bier­flasche.

«Auf Dallas.»

«Auf die ordinärste aller Städte», prostete Harriet zurück.

«Ich weiß nicht warum, aber da fällt mir wieder ein, was du mal zu mir gesagt hast, als ich diesen Gucci-Sessel kaufen wollte.»

«Dieses gräßliche Ding.»

«Du hast gesagt: <Geld ohne Geschmack ist wie Sex ohne Liebe.>»

«Wie gescheit von mir.» Harriet küßte Carmen auf die Wange. Jemand klopfte an die Tür.

«Wer ist da?»

«Miguel.»

Carmen grummelte und stand auf, um ihren Bruder hereinzu­lassen.

«Migueletta, mein Tiger.»

«Wo warst du? Ich dachte, du kämst zur Pressekonferenz.»

«Geschäfte.»

«Ich war stinksauer auf Martin Kuzirian. Ich hätte dich gern dabeigehabt. Er hat die blödesten Fragen gestellt.» Martin Ku­zirian, Sportreporter für eine große Zeitung auf Long Island, schrieb eine im ganzen Land nachgedruckte Kolumne. Also ein ganz großer Typ in der Welt des Sports.

«Sportreporter bilden die niedrigste Stufe im Journalismus», kommentierte Miguel und nahm einen Schluck aus der Bier­flasche. «Wenn sie Sportler sein könnten, wären sie's. Wenn sie schreiben könnten, täten sie's. Kurz, sie können nichts von beidem.»

Carmen boxte ihren Bruder auf den Bizep. «Stimmt!»

Miguel warf einen Blick auf Carmens Kommode. «Was, du läßt deinen Schmuck so offen herumliegen?» Er drehte sich zu Harriet um. «Wie kannst du das zulassen?»

«Miguel», entgegnete Harriet kühl, «ich bin nicht ihre Mut­ter.»

Mit seiner rechten fegte er die Armreifen, Halsketten, Ringe und Ohrringe in seine linke Hand. «Von jetzt an halte ich den Schmuck unter Verschluß. Bei jedem Turnier deponiere ich ihn in einem Hotelsafe. Wenn du ein Stück tragen willst, dann fragst du danach.»

«Das ist zu umständlich.»

«Weniger Umstand, als beklaut zu werden.»

«Ich bin versichert.»

Er schüttelte den Kopf. «Kleine Schwester, warum sich Ärger einhandeln? Und wann hat eine Versicherung je ihre Verpflichtung voll erfüllt?»

«Da hat er recht», pflichtete Harriet ihm bei, obwohl sie diese Situation merkwürdigerweise abstoßend fand.

«Da, siehst du's? Die hübsche Senorita Rawls hat gesunden Menschenverstand.»

«Und ich nicht?» brauste Carmen auf.

«Im Tennis bist ein Geschenk Gottes. Du hast nichts weiter zu tun, als zu spielen. Den Rest machen wir schon.» Seine Geste bezog Harriet mit ein, und das fand sie nun nicht mehr nur merkwürdig abstoßend, sondern absolut widerwärtig.

Falls Miguels Einmischung in ihr Geschäftsleben Carmen Sor­gen machte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Solange sie Geld hatte, wenn sie es wollte, kümmerte sie sich nicht viel um die Details. Die Macht, Dinge zu kaufen, faszinierte sie. Geld er­setzte ihr den Verlust von Heimatgefühl und sozialer Stabilität. Was waren schon Wurzeln im Vergleich zu diesem besten aller Volkswagen, dem Porsche? Der Dollar war wichtiger als die Tat.

Der moderne Profisport entlohnt Spieler für ihre Funktion, nicht für Charakter. Verantwortung wird da eng definiert: eine Sache besser machen als irgendwer sonst. An emotionale, so­ziale oder politische Verantwortung wird nicht im Traum ge­dacht. Den Sport trifft hier kein Tadel. Sport ist nur ein Symbol für die Spaltung des Lebens, eine Spaltung, die mit der indu­striellen Revolution begann, die im Kampf um materielle Güter offenbar jeden gegen jeden ausspielt. Geistige, emotionale und politische Belange bleiben bei dieser gewalttätigen Jagd nach Dingen auf der Strecke.

Gewinne und werde ein Gott. Verliere und werde vergessen. Carmen und Miguel besaßen keine Widerstandskraft gegen die Versuchungen von Geld und Ruhm. Woher auch? Sie hatten nie eine Alternative erfahren. So sehr Theresa und Arturo Semana ihre Kinder auch liebten, hatten sie sich doch nie darum bemüht, ihnen andere Werte mitzugeben als die des äußerlichen Aufstiegs. Vielleicht weil sie in den dreißiger Jahren jung gewesen waren und sich nur zu gut an die Depression in Buenos Aires erinnerten, gelangten sie selbst über materielle Ziele nie hinaus. Wie der Mond, so hat jede Generation ihre dunkle Seite. Man ist zwar in eine Zeit hineingeboren und macht eigene Erfahrun­gen, trägt aber auch die Essenz der Erfahrungen seiner Eltern in sich. Carmen und Miguel waren eindeutig Sprößlinge ihrer Eltern. Gewinnen war alles, was zählte.

Welche Fehler Lavinia auch haben mochte, arbeitsscheu war sie nicht. Sie bombardierte ihre Leute mit Anweisungen und erwar­tete Gehorsam. Hätten ihre Leute einmal genau hingeschaut, wären sie dahintergekommen, daß Lavinia sich selbst härter antrieb als alle anderen. Wie einst als Spielerin verlangte Lavinia jetzt als Geschäftsfrau Perfektion.

Lavinia rief Betty Bainbridge an, die Frau von Jensen Bain­bridge, Chef des Pharmakonzerns Clark & Clark. Obwohl nun Anfang Sechzig, war Betty noch immer eine gute Clubspielerin. Die beiden Frauen kannten das Tennis noch aus der Zeit, als Männer in weißen Flanellhosen spielten.

«Hallo», antwortete eine Stimme aus dem fernen Westchester im Staate New York.

«Betty, hier ist Lavinia.»

«Vinnie! In welchem Rattenloch steckst du denn gerade?»

«In Dallas.»

«Armes Schätzchen. Ich hatte zwei Schwestern, wie du weißt. Eine ist tot, und die andere lebt in Dallas. Wie schön, deine Stimme zu hören.»

«Was macht deine Gesundheit?»

«Gerade vergangene Woche habe ich mich gründlich unter­suchen lassen. Keine weiteren Probleme. Ich hasse diese ver­dammten Untersuchungen noch immer, Vinnie. Ich war öfter in den Steigbügeln als Prinzessin Anne.»

Lavinia lachte. «Und was macht Jensens Gesundheit?»

«Es geht ihm gut.»

«Ich hörte so ein Gerücht, daß er sich zur Ruhe setzen will.»

«Gewinnen war alles ... was zählte.» Wer vorwärtskommen will, der muß eben am Ball bleiben. Und das nicht nur beim Tennis.Schweigend atmete Betty tief ein. Sie antwortete in gemesse­nem Tempo.

«Weißt du, er liebt die Macht.»

«Wer tut das nicht?» fragte Lavinia.

Betty wartete, dann sagte sie: «Lavinia, wir werden alle nicht jünger. Er ist acht Jahre älter als ich. Wir haben in diesen letzten Jahren zu viele Freunde sterben sehen. Ich möchte, daß er kürzer tritt.»

«Ja, er arbeitet zuviel.»

«Du solltest selbst kürzer treten. In einem Sonnenuntergang liegt mehr Schönheit als in der Macht, Vin.»

«So weit bin ich noch nicht.»

«Ich gebe während der Meisterschaft eine Party.» Betty wech­selte das Thema. «27. März? Abendkleidung.»

«Trage ich sowieso am liebsten.»

«Dummchen. Danke für deinen Anruf. Ich freue mich darauf, dich zu sehen.»

«Am 27. Tschüs.»

«Tschüs.» Betty legte den Hörer auf.

Lavinia kritzelte geistesabwesend auf ihrem Notizblock. Betty hatte ihr alles erzählt, was sie wissen mußte, ohne ein Firmengeheimnis zu verraten. Das Beziehungsnetz der alten Mädchen hatte sich wieder mal bewährt.

Susan Reillys Haus in Pacific Heights, San Francisco, war das Ergebnis jahrelanger Arbeit, doch da sie wenig Zeit hier ver­brachte, war es ihr fremd geworden. Die Zimmer waren ange­messen möbliert. Es war ihr ständiger Ruheplatz, aber noch kein wirkliches Heim. Susan nahm sich diese Woche frei, während die Tour nach Texas ging.

Craig und Lisa Reilly wohnten in Marin County. Susan sah ihre Tochter so viel und ihren Mann so wenig wie möglich. Wann immer sie von Regenbogenblättern interviewt wurde, wurden die Fotos im Haus in Marin County aufgenommen.

Sie preßte den Hörer ans Ohr. «Das ist kalifornisches Gesetz. Hmhm.» Pause. «Finde das heraus. Ich bin bis zum 22. März hier, danach bin ich bei den Meisterschaften in New York.» Pause. «Gut, Jerry, bis später, danke.»

Alicia platzte ins Schlafzimmer. «Wer war das?»

«Ach, niemand.» Ein Anflug von Gereiztheit zeichnete sich auf Susans Gesicht ab. «Telefonitis. Das kennst du doch an mir.»

Alicia wußte freilich, daß Susan imstande war, zu jeder Tages­und Nachtzeit in alle Welt zu telefonieren. Dieser Anruf roch nicht nach Telefonitis. «Es war doch nicht Happy Straker, oder?»

«Nein. Ich habe Happy heute morgen nichts zu sagen.» Sie rieb ihre Hände. Die Druckerschwärze der Morgenzeitung be­schmierte ihre Finger.

«Ich glaube, Harry liebt dich noch immer.»

«Nach all diesen Jahren? Ach was.» Sie zog die Sportseite hervor.

«Warum hat sie wohl nicht eine andere gefunden?»

«Sieh sie dir doch an.»

«Susan, das ist herzlos. Du hast sie geliebt.»

«Ich habe Happy nie geliebt. Daß ich mit ihr zusammen war, war ein Gnadenakt meinerseits. Ich konnte nicht in diese trau­rigen Hundeaugen sehen. Sie hat mir leid getan. Es war ein Fehler.»

«Hm-m-m.» Alicia starrte aus dem Fenster. Sie hatten einen umwerfenden Blick auf die Bucht und Alcatraz.

«Bringst du mir bitte noch eine Kanne Kaffee?« Susan sah nicht von der Zeitung hoch.

Alicia eilte in die Küche und zur Kaffeemaschine. Sie hatte viele Plexiglasdosen mit den verschiedensten exotischen Kaffee­bohnen gefüllt und war stolz auf ihr Gebräu. In einem Netz von Bedürfnissen gefangen, den eigenen und denen von Susan, nahm Alicia kaum wahr, wie eng ihr Leben wurde. Sie konzen­trierte sich immer weniger auf das eigene Tennisspiel und immer mehr auf Susans Bedürfnisse.

Susan akzeptierte die amerikanische Definition von Arbeit. Das hieß, daß Susans Arbeit von Bedeutung war und Alicias Arbeit, die Versorgung von Susan nicht. Ein verheirateter Mann nimmt seine Frau vielleicht als selbstverständlich hin, allerdings weiß er irgendwo, daß sie einen Beitrag leistet. Für Susan jedoch war Frauenarbeit etwas so Fremdes, daß sie ihr nicht den geringsten Wert beimaß. Sie verbrachte ihr Leben damit, eine einzige isolierte Begabung zu perfektionieren. Ihre Eltern hatten sie weder zur Hausarbeit angehalten noch beige­bracht, daß sie von Wichtigkeit war.

Vor lauter aufgehalster Schweißarbeit wurde Alicia unsicht­bar. Wäre sie für sich eingetreten und hätte gesagt: Was ich für dich und für uns beide tue, ist wichtig, auch wenn ich keine Turniere gewinne, hätte Susan sie aus dem Zimmer geputzt. Warum tat Alicia diese Dinge denn? Hatte Susan etwa um eine Ehefrau gebeten? Alicia tat sie aus Liebe. Susan bestimmte, also brauchte sie nie zu begreifen, was jemand für sie tat. Forderte eine Person Gleichberechtigung, vor allem eine Geliebte, setzte Susan der Beziehung ein Ende, ohne lange zu fackeln. Sie konnte niemand den gleichen Status zugestehen. In dieser Hin­sicht hatte sie mit vielen Männern Ähnlichkeit. Wenn eine Ehe in die Brüche ging, konnte die Frau fordern, daß ihr früherer Mann für sie verantwortlich war. Wenn Alicia den Laufpaß erhielt, würde sie leer ausgehen, bis auf ihren Schmuck und die Kleidung, die Susan ihr in Momenten wohlüberlegter Großzü­gigkeit gekauft hatte. Das Haus, das sie geputzt, die Sekretärin, die sie angeheuert, und die Haushilfe, die sie angeleitet hatte, würden in Susans Besitz bleiben. Alicia gab mit jedem Atemzug ein Stück Leben weg und wußte es nicht. Susan bezahlte die Rechnungen und wollte kein Geld zurück, nicht weil sie groß­zügig war, sondern weil sie wollte, daß alles nach ihrer Nase ging. Solange sie ihr Konto prüfen konnte und wußte, daß es fetter war als das von Alicia, fühlte sie sich mächtig.

Alicia summte vor sich hin, als das Kaffeearoma die Küche erfüllte. Wenn sie spürte, daß Susan Schwielen auf der Seele hatte, verriet sie es nie, aber Alicia verriet überhaupt sehr wenig. Der einzige Hinweis auf ihr heimliches Leben war ihr inbrünsti­ges Lesen im Neuen Testament.