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Eine Woche später erschien unvermutet der Bäcker mit seinem Ford auf unserm Hof.»Geh mal 'raus, Robby«, sagte Lenz mit einem giftigen Blick durchs Fenster,»der Topfkuchen-Casanova will sicher was reklamieren.«
Der Bäcker sah ziemlich verdrossen aus.»Ist was an dem Wagen?«fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.»Im Gegenteil. Er läuft großartig. Ist ja jetzt auch wieder so gut wie neu.«
»Das ist er«, bestätigte ich und sah ihn mit mehr Interesse an.
»Es ist -«, sagte er -»also – ich möchte einen anderen Wagen haben. Größer…«Er blickte sich um.»Hatten Sie nicht damals einen Cadillac?«
Ich begriff im Augenblick, was los war. Die schwarze Person, mit der er zusammen lebte, hatte ihn mürbe gemacht.»Ja, der Cadillac«, sagte ich schwärmerisch,»da hätten Sie damals zufassen sollen! Das war ein Prachtstück! Für siebentausend Mark ist er weggegangen. Halb verschenkt!«
»Na, verschenkt…«
»Verschenkt!«wiederholte ich nachdrücklich und überlegte, was zu machen wäre.»Ich kann mal nachfragen«, sagte ich dann,»vielleicht braucht der Mann, der ihn damals gekauft hat, Geld. So was geht ja schnell heutzutage. Einen Moment.«
Ich ging in die Werkstatt und erzählte rasch, was geschehen war. Gottfried sprang auf.»Kinder, wo kriegen wir nur im Galopp einen alten Cadillac her?«
»Laß das meine Sorge sein«, sagte ich,»paß du lieber auf, daß der Bäcker inzwischen nicht wegläuft.«
»Gemacht!«Gottfried verschwand.
Ich rief Blumenthal an. Viel Hoffnung hatte ich nicht, aber man konnte es ja mal versuchen. Er war im Büro.»Wollen Sie Ihren Cadillac verkaufen?«fragte ich geradezu.
Blumenthal lachte.
»Ich habe jemand dafür«, fuhr ich fort,»mit Barzahlung auf den Tisch.«
»Barzahlung -«, erwiderte Blumenthal nach einer Weile Nachdenken,»das ist in diesen Zeiten ein Wort von reinster Poesie…«
»Das meine ich auch«, sagte ich und wurde plötzlich munter.»Also wie ist es, können wir mal darüber reden?«
»Reden kann man immer«, meinte Blumenthal.
»Schön. Wann kann ich Sie treffen?«
»Heute mittag nach dem Essen habe ich Zeit. Sagen wir um zwei hier im Büro.«
»Gut.«
Ich hängte auf.»Otto«, sagte ich ziemlich aufgeregt zu Köster,»ich hätte es nie erwartet, aber ich glaube, unser Cadillac kehrt zurück!«
Köster ließ seine Papiere liegen.»Tatsächlich? Will er verkaufen?«Ich nickte und blickte durchs Fenster, wo Lenz lebhaft auf den Bäcker einsprach.»Er macht das falsch«, sagte ich beunruhigt,»er redet zuviel. Der Bäcker ist ein Turm von Mißtrauen; man muß ihn durch Schweigen überreden. Ich will Gottfried mal rasch wieder ablösen.«
Köster lachte.»Hals- und Beinbruch, Robby.«
Ich blinzelte ihm zu und ging hinaus. Aber ich traute meinen Ohren nicht – Gottfried dachte nicht daran, vorzeitige Hymnen auf den Cadillac zu singen -, er erklärte dem Bäcker lediglich mit großem Eifer, wie die Indianer in Südamerika ihr Maisbrot backen. Ich warf ihm einen anerkennenden Blick zu und wandte mich dann an den Bäcker.»Leider will der Mann nicht verkaufen…«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte Lenz prompt, als hätten wir es verabredet.
Ich zuckte die Achseln.»Schade – aber ich kann es verstehen…«Der Bäcker stand unschlüssig da. Ich sah Lenz an.
»Kannst du es nicht doch noch mal versuchen?«fragte er sofort.
»Das auf jeden Fall«, erwiderte ich.»Ich habe ohnehin wenigstens abmachen können, daß wir uns heute mittag treffen. Wo kann ich Sie nachher erreichen?«fragte ich den Bäcker.
»Ich bin um vier in der Gegend hier. Da komme ich dann noch mal vorbei…«
»Gut – dann weiß ich auch bestimmt Bescheid. Ich hoffe, daß die Sache doch noch klappt.«
Der Bäcker nickte. Dann bestieg er seinen Ford und dampfte ab.
»Du bist wohl ganz von Gott verlassen«, brach Lenz los, als er um die Ecke war.»Erst soll ich den Knaben mit Gewalt festhalten, und dann läßt du ihn ohne weiteres laufen!«
»Logik und Psychologie, mein guter Gottfried!«erwiderte ich und klopfte ihm auf die Schulter.»Das verstehst du noch nicht so…«
Er schüttelte meine Hand ab.»Psychologie«, erklärte er wegwerfend.»Die beste Psychologie ist ein guter Zufall! Und der war da! Der Mann kommt niemals wieder…«
»Um vier Uhr kommt er wieder…«
Gottfried sah mich mitleidig an.»Wetten?«fragte er.
»Gern«, erwiderte ich,»aber du fällst 'rein. Den Mann kenne ich besser als du! Der muß mehrmals aufs Feuer. Außerdem kann ich ihm doch nicht etwas verkaufen, was wir selbst noch nicht haben…«
»Ach, du lieber Gott, wenn's das nur ist«, sagte Gottfried kopfschüttelnd,»dann wird aus dir im Leben nichts, Baby! Das sind doch gerade erst die wahren Geschäfte! Komm, ich will dir einen Gratiskurs über modernes Wirtschaftsleben geben…«
Mittags ging ich zu Blumenthal. Unterwegs hatte ich das Gefühl eines jüngeren Ziegenbocks, der einen alten Wolf besuchen muß. Die Sonne brannte auf den Asphalt, und ich spürte bei jedem Schritt weniger Lust, von Blumenthal auf dem Rost gebraten zu werden. Es war am besten, kurzen Prozeß zu machen.»Herr Blumenthal«, sagte ich deshalb rasch, als ich eintrat, ehe er beginnen konnte,»einen anständigen Vorschlag unter der Tür! Fünftausendfünfhundert Mark haben Sie für den Cadillac bezahlt – ich biete Ihnen sechs wieder -, unter der Bedingung, daß ich ihn wirklich loswerde. Das entscheidet sich heute abend…«
Blumenthal thronte hinter seinem Schreibtisch und aß gerade einen Apfel. Er hörte auf zu essen und sah mich einen Augenblick an.
»Gut«, schnaubte er dann und aß weiter.
Ich wartete, bis er das Kerngehäuse in den Papierkorb warf.
»Sie sind also einverstanden?«fragte ich dann.
»Moment!«Er holte einen neuen Apfel aus der Schreibtischschublade.
»Wollen Sie auch einen?«
»Danke, nicht gerade jetzt…«
Er biß krachend hinein.»Viel Äpfel essen, Herr Lohkamp! Äpfel verlängern das Leben! Jeden Tag ein paar Äpfel – und Sie brauchen nie einen Arzt!«
»Auch nicht, wenn ich mir den Arm breche?«
Er grinste, warf das zweite Kerngehäuse weg und stand auf.»Sie brechen sich dann eben keinen Arm!«
»Das ist praktisch«, sagte ich und wartete ab, was jetzt kommen würde. Dieses Apfelgespräch war mir zu verdächtig.
Blumenthal holte eine Zigarrenkiste aus einem kleinen Schrank und bot sie mir an. Es waren die Coronas, die ich schon kannte.»Verlängern die auch das Leben?«fragte ich.
»Nein, die verkürzen es. Das gleicht sich dann aus mit den Äpfeln.«
Er blies eine Wolke Rauch aus und sah mich mit schiefem Kopf wie ein nachdenklicher Vogel von unten herauf an.»Ausgleichen, Herr Lohkamp, immer ausgleichen – das ist das ganze Geheimnis im Leben…«
»Wenn man's kann…«
Er blinzelte.»Ja, können, das ist das Geheimnis. Wir wissen zuviel und können zuwenig. Weil wir zuviel wissen.«
Er lachte.»Entschuldigen Sie – nach Tisch werde ich immer etwas philosophisch…«
»Das ist auch die beste Zeit«, sagte ich.»Also mit dem Cadillac sind wir dann auch ausgeglichen, nicht wahr?«
Er hob die Hand.»Sekunde…«
Ich senkte ergeben den Kopf. Blumenthal sah es und lachte.»Nicht, wie Sie meinen! Ich wollte Ihnen nur ein Kompliment machen. Überrumpelung von der Tür aus, mit offenen Karten!
Das war gut berechnet auf den alten Blumenthal. Wissen Sie, was ich erwartet habe?«-»Daß ich mit viertausendfünfhundert anfangen würde zu bieten…«
»Genau das! Aber es wäre Ihnen schlecht bekommen. Sie wollen doch mit sieben verkaufen, nicht wahr?«
Ich zuckte vorsichtigerweise die Achseln.»Warum gerade sieben?«
»Weil das damals Ihre erste Forderung bei mir war…«
»Sie haben ein glänzendes Gedächtnis«, sagte ich.
»Für Zahlen. Nur für Zahlen. Leider. Also um zum Schluß zu kommen: Sie können den Wagen für den Preis haben.«
Er hielt mir die Hand hin und ich schlug ein.»Gott sei Dank«, sagte ich aufatmend,»das erste Geschäft seit langer Zeit. Der Cadillac scheint uns Glück zu bringen.«
»Mir auch«, sagte Blumenthal.»Ich habe ja auch fünfhundert Mark dran verdient.«
»Das schon. Aber weshalb haben Sie ihn eigentlich so bald wieder verkauft? Gefällt er Ihnen nicht?«
»Einfacher Aberglaube«, erklärte Blumenthal.»Ich mache jedes Geschäft, bei dem ich verdiene…«
»Fabelhafter Aberglaube«, erwiderte ich.
Er wiegte den glänzenden Schädel.»Sie glauben es nicht – aber es stimmt. Damit mir nichts schiefgeht – bei anderen Sachen. Heute ein Geschäft auslassen, ist eine Herausforderung des Schicksals. Und das kann sich keiner mehr leisten.«
Um halb fünf Uhr nachmittags stellte Gottfried Lenz mit ausdrucksvollem Gesicht eine leere Ginflasche vor mich auf den Tisch.»Die möchte ich gerne von dir gefüllt haben, Baby! Kostenlos! Du erinnerst dich an unsere Wette?«
»Ich erinnere mich«, sagte ich,»aber du kommst zu früh.«
Gottfried hielt mir wortlos seine Uhr vor die Nase.
»Halb fünf«, sagte ich,»Sternwartezeit sogar wahrscheinlich. Verspäten kann sich jeder mal. Ich biete dir übrigens die Wette doppelt, zwei zu eins an…«
»Angenommen«, erklärte Gottfried feierlich.»Macht vier Flaschen Gratis-Gin für mich. So was nennt man Heldenmut auf verlorenem Posten. Ehrenvoll, Baby, aber falsch…«
»Abwarten…«
Ich war längst nicht so sicher, wie ich tat. Im Gegenteil, ich nahm schon ziemlich bestimmt an, daß der Bäcker nicht mehr kommen würde. Ich hätte ihn vormittags festhalten müssen. Er war zu unzuverlässig.
Als die Sirene von der Bettfedernfabrik gegenüber fünf Uhr tutete, stellte Gottfried schweigend drei weitere leere Ginflaschen vor mich auf den Tisch. Dann lehnte er sich ans Fenster und starrte mich an.
»Ich bin durstig«, sagte er nach einer Weile mit Betonung.
In diesem Augenblick hörte ich das unverkennbare Rasseln eines Fordmotors auf der Straße, und gleich darauf bog der Wagen des Bäckers in unsere Einfahrt ein.»Wenn du durstig bist, lieber Gottfried«, erwiderte ich mit großer Würde,»so lauf schnell, die beiden Flaschen Rum einkaufen, die ich mit meiner Wette gewonnen habe. Du darfst einen Gratisschluck daraus nehmen. Siehst du draußen den Bäckermeister? Psychologie, mein Junge! Und nun räume die leeren Ginflaschen hier weg! Nachher kannst du dann mit dem Taxi losfahren. Für das feinere Geschäft bist du noch zu jung. Servus, mein Sohn!«
Ich ging hinaus und erzählte dem Bäcker, daß der Wagen wahrscheinlich zu haben sein werde. Der Kunde verlange allerdings noch siebentausendfünfhundert Mark, aber wenn er Bargeld sehe, werde er schon auf siebentausend heruntergehen.
Der Bäcker hörte so zerstreut zu, daß ich stutzte.»Um sechs Uhr werde ich den Mann noch mal anrufen«, sagte ich schließlich.
»Um sechs?«Der Bäcker wachte aus seiner Abwesenheit auf.»Um sechs muß ich…«Er wandte sich mir plötzlich zu.»Wollen Sie mitgehen?«
»Wohin?«fragte ich erstaunt.
»Zu Ihrem Freund, dem Maler. Das Bild ist fertig.«
»Ach so, zu Ferdinand Grau…«
Er nickte.»Kommen Sie doch mit. Wir können dann nachher auch über den Wagen sprechen.«
Es schien ihm etwas daran zu liegen, nicht allein zu gehen. Mir dagegen lag ebensoviel daran, ihn nicht mehr allein zu lassen.»Gut«, sagte ich deshalb,»es ist ja ziemlich weit – wir fahren am besten gleich los.«
Ferdinand Grau sah schlecht aus. Sein Gesicht war graugrün, verschattet und verquollen. Er begrüßte uns an der Tür zum Atelier. Der Bäcker sah ihn kaum an. Er war merkwürdig unsicher und aufgeregt.»Wo ist es?«fragte er sofort.
Ferdinand zeigte mit der Hand zum Fenster. Das Bild lehnte dort auf einer Staffelei. Der Bäcker ging rasch hinein und blieb dann ohne Bewegung dicht vor dem Bilde stehen. Nach einer Weile nahm er den Hut ab. Er war so eilig gewesen, daß er das vorher ganz vergessen hatte.
Ferdinand und ich blieben an der Tür stehen.»Wie geht es, Ferdinand?«fragte ich.
Er machte eine vage Handbewegung.
»Ist was los?«-»Was soll los sein?«
»Du siehst schlecht aus…«
»Weiter nichts?«
»Nein«, sagte ich,»weiter nichts…«
Er legte mir seine große Hand auf die Schulter und lächelte mit einem Gesicht wie ein alter Bernhardiner.
Wir warteten noch eine Zeitlang. Dann gingen wir zu dem Bäcker hinüber. Ich war überrascht, als ich das Bild sah. Der Kopf war sehr gut geworden. Ferdinand hatte nach dem Foto von der Hochzeit und der zweiten, sehr verhärmten Aufnahme eine noch junge Frau gemalt, die mit ernsten, etwas ratlosen Augen vor sich hin schaute.
»Ja«, sagte der Bäcker, ohne sich umzudrehen,»das ist sie.«Er sagte das mehr für sich, und es schien mir, als wüßte er nicht einmal, daß er es sagte.
»Haben Sie genug Licht?«fragte Ferdinand.
Der Bäcker antwortete nicht.
Ferdinand ging heran, um die Staffelei etwas herumzurücken. Dann trat er zurück und nickte mir zu, mit in das kleine Zimmer neben dem Atelier zu kommen.»Das hätte ich nie gedacht«, sagte er verwundert,»die Rabattmaschine hat's erwischt! Er heult…«
»Einmal erwischt es jeden«, erwiderte ich.»Für den da ist es nur zu spät…«
»Zu spät«, sagte Ferdinand,»immer zu spät. Das ist nun mal so im Leben, Robby.«
Er ging langsam hin und her.»Wir wollen ihn ruhig eine Zeitlang da drüben für sich lassen. Könnten inzwischen eine Partie Schach spielen.«
»Du hast ein goldenes Gemüt«, sagte ich.
Er blieb stehen.»Wieso? Nützt dem nicht und schadet ihm nicht. Wenn man immer an so was denken wollte, dürfte kein Mensch auf der Welt jemals mehr lachen, Robby…«
»Da hast du wieder recht«, sagte ich,»also machen wir rasch eine Partie.«
Wir stellten die Figuren auf und begannen. Ferdinand gewann ziemlich mühelos. Er setzte mich mit Turm und Läufer matt, ohne die Dame zu gebrauchen.»Allerhand«, sagte ich,»du siehst aus, als ob du drei Tage nicht geschlafen hättest. Dabei spielst du wie ein Seeräuber.«
»Ich spiele immer gut, wenn ich melancholisch bin«, erwiderte Ferdinand.
»Weshalb bist du denn melancholisch?«
»Ach, nur so. Weil es dunkel wird. Ein ordentlicher Mensch ist immer melancholisch, wenn es Abend wird.
Nicht aus irgendeinem Grunde. Einfach nur so ganz allgemein…«
»Aber nur, wenn er allein ist«, sagte ich.
»Natürlich. Die Stunde der Schatten. Die Stunde der Einsamkeit. Die Stunde, wo der Kognak am besten schmeckt.«
Er holte eine Flasche und zwei Gläser.»Müssen wir nicht zu dem Bäcker 'rein?«fragte ich.
»Gleich.«Er schenkte ein.»Prost, Robby! Weil wir alle mal krepieren müssen!«
»Prost, Ferdinand! Weil wir einstweilen noch da sind!«
»Na«, sagte er,»manchmal hätte nicht viel gefehlt. Wollen auch darauf noch einen nehmen!«
»Gut.«
Wir gingen zurück ins Atelier. Es war dunkler geworden. Der Bäcker stand immer noch mit eingezogenen Schultern vor dem Bilde. Er sah jämmerlich verloren aus in dem großen, kahlen Raum, und es kam mir vor, als wäre er kleiner geworden.
»Soll ich Ihnen das Bild einpacken?«fragte Ferdinand.
Er schreckte auf.»Nein…«
»Dann werde ich es Ihnen morgen schicken.«
»Kann es nicht noch hierbleiben?«fragte der Bäcker zögernd.
»Warum denn?«erwiderte Ferdinand erstaunt und kam näher.»Gefällt es Ihnen nicht?«
»Doch – aber ich möchte es gern noch hierlassen…«
»Das verstehe ich nicht…«
Der Bäcker sah mich hilfesuchend an. Ich begriff – er hatte Angst, das Bild zu Hause bei dem schwarzen Luder aufzuhängen. Vielleicht war es auch Scheu vor der Toten, sie dahinzubringen.»Aber Ferdinand«, sagte ich,»das Bild kann doch ruhig noch hier hängenbleiben, wenn es bezahlt ist…«
»Das natürlich…«
Der Bäcker zog erleichtert sein Scheckbuch aus der Tasche. Die beiden gingen zum Tisch.»Vierhundert Mark Rest?«fragte der Bäcker.
»Vierhundertzwanzig«, sagte Ferdinand,»einschließlich Rabatt. Wollen Sie eine Quittung?«
»Ja«, erwiderte der Bäcker,»wegen der Ordnung.«
Schweigend schrieben beide den Scheck und die Quittung aus. Ich blieb am Fenster stehen und sah mich um. Im halben Licht der Dämmerung schimmerten rings an den Wänden die Gesichter der nicht abgeholten und nicht bezahlten Porträts in ihren goldenen Rahmen. Sie sahen aus wie eine gespenstische Versammlung aus dem Jenseits, und es schien, als wären alle die starren Augen auf das Bild am Fenster gerichtet, das jetzt zu ihnen kommen sollte und über das der Abend noch einen letzten Glanz von Leben breitete. Es war eine sonderbare Stimmung – die beiden gebückten, schreibenden Gestalten am Tisch, die Schatten und die vielen stillen Bilder.
Der Bäcker kam zum Fenster zurück. Seine rotgeäderten Augen wirkten wie gläserne Kugeln, sein Mund war halb offen, die Unterlippe hing herab, und man sah die fleckigen Zähne – es war lächerlich und traurig, wie er so dastand. In der Etage über dem Atelier fing jemand an, Klavier zu spielen, irgendeine Fingerübung, immer dieselbe Tonfolge. Es klang dünn und quälend. Ferdinand Grau war am Tisch stehengeblieben. Er zündete sich eine Zigarre an. Das Licht des Streichholzes beleuchtete sein Gesicht. Der halbdunkle Raum erschien ungeheuer groß und sehr blau durch den kleinen rötlichen Schein.
»Kann man an dem Bild noch etwas ändern?«fragte der Bäcker.
»Was denn?«
Ferdinand kam heran. Der Bäcker zeigte auf den Schmuck.»Kann man das da wieder wegmachen?«
Es war die mächtige goldene Brosche, die er damals, bei der Bestellung, extra verlangt hatte.»Gewiß«, sagte Ferdinand,»sie stört sogar das Gesicht. Das Bild gewinnt, wenn sie wegkommt.«
»Das meine ich auch.«Er druckste eine Weile herum.»Was kostet es denn?«
Ferdinand und ich warfen uns einen Blick zu.»Es kostet gar nichts«, sagte Ferdinand gutmütig,»im Gegenteil, eigentlich bekämen Sie noch etwas heraus. Es ist ja dann weniger drauf.«
Der Bäcker hob überrascht den Kopf. Es sah einen Augenblick so aus, als wollte er darauf eingehen. Aber dann sagte er mit einem Entschluß:»Ach nein, das lassen Sie nur – Sie haben es doch malen müssen…«»Das ist auch wieder wahr…«Wir gingen. Auf der Treppe, als ich den gebeugten Rücken vor mir sah, war ich etwas gerührt über den Bäcker und die Tatsache, daß ihm bei dem Schwindel mit der Brosche das Gewissen geschlagen hatte. Es paßte mir nicht recht, ihm in dieser Stimmung mit dem Cadillac zu Leibe gehen zu müssen. Doch dann dachte ich daran, daß ein Teil seiner gewiß ehrlichen Trauer um die tote Frau sicher nur daher kam, weil die schwarze Person zu Hause ein solches Luder war, und ich wurde wieder ganz frisch.
»Wir können ja bei mir zu Hause die Sache besprechen«, sagte der Bäcker draußen.
Ich nickte. Es paßte mir sehr gut so. Der Bäcker glaubte zwar, er wäre in seinen vier Wänden stärker – ich aber rechnete mit der Schwarzen als Unterstützung.
Sie erwartete uns bereits an der Tür.»Gratuliere herzlichst«, sagte ich, bevor der Bäcker den Mund auftun konnte.
»Wozu?«fragte sie rasch, mit flinken Augen.
»Zu Ihrem Cadillac -«, erwiderte ich unverfroren.
»Schatzi!«Mit einem Satz hing sie dem Bäcker am Hals.
»Aber das ist ja noch gar nicht…«Er versuchte sich loszumachen und Erklärungen abzugeben. Sie aber hielt ihn fest und drehte sich zappelnd mit ihm im Kreise, damit er nicht zu Worte kam. Abwechselnd sah ich über seiner Schulter ihre schlaue, blinzelnde Fratze und über ihrer Schulter seinen vorwurfsvollen, vergeblich protestierenden Mehlwurmkopf.
Endlich gelang es ihm, sich frei zu machen.»Wir sind ja noch gar nicht soweit«, prustete er.
»Doch«, sagte ich mit großer Herzlichkeit,»wir sind so weit! Ich nehme es auf meine Kappe, die letzten fünfhundert Mark herunterzuhandeln. Sie zahlen keinen Pfennig mehr als siebentausend Mark für den Cadillac! Einverstanden?«
»Natürlich!«sagte die Schwarze rasch.»Das ist doch wirklich billig, Schatzi…«
»Halt!«Der Bäcker hob die Hand.
»Aber was hast du denn jetzt wieder?«fuhr sie auf ihn los,»erst heißt es, du kriegst den Wagen, und jetzt stehst du wieder da und willst nicht!«
»Er will ja«, warf ich ein,»wir haben ja schon alles besprochen…«
»Na, was… Schatzi… wozu denn…«Sie lehnte sich dicht an ihn. Er versuchte, sich wieder loszumachen, aber sie preßte ihre vollen Brüste gegen seinen Arm. Er machte ein ärgerliches Gesicht, aber sein Widerstand wurde schwächer.
»Der Ford…«, sagte er.
»Wird selbstverständlich in Zahlung genommen…«
»Viertausend Mark…«
»Hat er mal gekostet, wie?«fragte ich freundlich.
»Mit viertausend Mark muß er in Zahlung genommen werden«, erklärte der Bäcker fest. Er hatte jetzt den Punkt gefunden zum Gegenangriff nach der Überrumpelung.»Der Wagen ist ja so gut wie neu…«
»Neu«, sagte ich,»nach der Riesenreparatur…«
»Heute vormittag haben Sie es selbst zugegeben…«
»Heute vormittag war das auch was anderes. Neu und neu ist ein Unterschied, je nachdem, ob man kauft oder verkauft. Für viertausend Mark müßte Ihr Ford schon Stoßstangen aus Gold haben.«
»Viertausend Mark, oder es wird nichts«, sagte der Bäcker halsstarrig. Er war jetzt wieder ganz der alte und schien alle Sentimentalitäten von vorher wiedergutmachen zu wollen.
»Dann auf Wiedersehen!«erwiderte ich und wandte mich an die Schwarze.»Tut mir leid, gnädige Frau – aber Verlustgeschäfte kann ich nicht machen. An dem Cadillac verdienen wir ohnehin nichts – da können wir nicht noch einen alten Ford zu einem Riesenpreis in Zahlung nehmen.
Leben Sie wohl…«
Sie hielt mich zurück. Ihre Augen funkelten, und sie fiel jetzt über den Bäcker her, daß ihm Hören und Sehen verging.»Du hast ja selbst hundertmal gesagt, daß der Ford nichts mehr wert ist«, zischte sie zum Schluß mit Tränen in den Augen.
»Zweitausend Mark«, sagte ich,»zweitausend Mark, obschon auch das noch Selbstmord ist.«
Der Bäcker schwieg.
»Na los, sag doch was! Warum stehst du denn da herum und tust den Mund nicht auf?«fauchte die Schwarze.
»Meine Herrschaften«, sagte ich,»ich werde jetzt mal den Cadillac holen. Vielleicht besprechen Sie die Sache inzwischen noch untereinander.«
Ich hatte das Gefühl, daß ich gar nichts Besseres tun konnte, als zu verschwinden. Die Schwarze würde meine Sache schon weiterführen.
Eine Stunde später war ich mit dem Cadillac wieder da. Ich sah sofort, daß der Streit auf die einfachste Weise entschieden worden war. Der Bäcker machte einen zerknitterten Eindruck und hatte eine Bertfeder am Anzug hängen – die Schwarze dagegen funkelte, wippte mit den Brüsten und lächelte satt und verräterisch. Sie hatte sich umgezogen und trug ein dünnes, seidenes, eng anliegendes Kleid. In einem unbeobachteten Moment kniff sie mir ein Auge und nickte, alles sei in Ordnung. Wir machten eine Probefahrt. Die Schwarze kuschelte sich behaglich in den breiten Sitz und schwatzte fortwährend. Ich hätte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen, aber ich brauchte sie noch. Der Bäcker hockte ziemlich melancholisch neben mir.
Er trauerte im voraus um sein Geld – und das ist ja mit die echteste Trauer, die es gibt.
Wir kamen vor dem Hause des Bäckers an und gingen wieder in die Wohnung. Der Bäcker verließ das Zimmer, um das Geld zu holen. Er wirkte jetzt wie ein alter Mann, und ich sah, daß sein Haar gefärbt war. Die Schwarze strich über ihr Kleid.
»Das haben wir fein gemacht, was?«
»Ja«, sagte ich widerwillig.
»Hundert Mark müssen dabei für mich abfallen…«
»Ach so -«, sagte ich.
»Der alte, geizige Bock«, flüsterte sie vertraulich und kam näher,»hat Geld wie Heu! Aber bis er mal was 'rausrückt! Nicht mal ein Testament will er machen. Fällt nachher dann natürlich alles an die Kinder, und unsereins steht da! Ist doch kein Vergnügen, mit dem Kracher…«
Sie kam noch näher und wippte mit den Brüsten.»Also dann komme ich morgen wegen der hundert Mark mal 'rüber. Wann sind Sie denn da? Oder wollen Sie hier vorbeikommen?«Sie kicherte.»Morgen nachmittag bin ich allein hier…«
»Ich schicke es Ihnen dann her…«, sagte ich.
Sie kicherte weiter.»Bringen Sie es doch selbst. Oder haben Sie Angst?«Sie hielt mich wahrscheinlich für schüchtern und wollte mir handgreiflich zeigen, was los war.»Angst nicht«, sagte ich,»aber keine Zeit. Gerade morgen muß ich zum Arzt. Eine alte Syphilis, wissen Sie! So was verbittert einem das Leben…«
Sie trat so rasch einen Schritt zurück, daß sie fast über einen Plüschsessel fiel. In diesem Augenblick kam der Bäcker wieder herein. Mißtrauisch schielte er die Schwarze an. Dann zählte er mir das Geld in bar auf den Tisch. Er zählte langsam und zögernd. Sein Schatten schwankte dabei auf der Rosentapete des Zimmers hin und her und zählte mit. Während ich die Quittung ausschrieb, fiel mir ein, daß es heute schon einmal so gewesen war – nur war Ferdinand Grau an meiner Stelle gewesen. Obschon gar nichts dabei war, erschien es mir sonderbar.
Ich war froh, als ich draußen war. Die Luft war weich und sommerlich. Der Cadillac blinkte am Straßenrand.»Na, Alter, danke schön«, sagte ich und klopfte ihm auf die Kühlerhaube.»Komm bald wieder zu neuen Taten!«