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XVII

Es war zwei Wochen später. Pat hatte sich so weit erholt, daß wir zurückreisen konnten. Wir hatten unsere Sachen gepackt und warteten auf Gottfried Lenz. Er sollte den Wagen abholen. Pat und ich wollten mit der Eisenbahn fahren.

Es war ein warmer, milchiger Tag. Die Wolken standen regungslos wie Watte am Himmel, die heiße Luft zitterte über den Dünen, und das Meer lag bleiern in hellem, flimmerndem Dunst.

Gottfried kam nach dem Mittagessen an. Ich sah seinen blonden Kopf schon von weitem über die Hecken leuchten. Erst als er in den Fahrweg zur Villa Fräulein Müllers einbog, bemerkte ich, daß er nicht allein war – neben ihm tauchte eine Rennfahrerimitation in Miniaturformat auf – eine riesige karierte Mütze, die mit dem Schild nach hinten aufgesetzt war, eine mächtige Staubbrille, ein weißer Overall und ein paar gewaltige, rubinrot leuchtende Ohren.

»Mein Gott, das ist ja Jupp!«sagte ich erstaunt.

»Persönlich, Herr Lohkamp!«erwiderte Jupp grinsend.

»Und in dem Aufzug! Was ist denn bloß los mit dir?«

»Das siehst du doch«, erklärte Lenz vergnügt und schüttelte mir die Hand.»Er wird zum Rennfahrer herangebildet. Seit acht Tagen bekommt er bei mir Fahrunterricht. Da hat er mich angefleht, daß ich ihn heute mitnehmen soll. Gute Gelegenheit für ihn, seine erste Überlandtour zu machen.«

»Werde die Sache schon schmeißen, Herr Lohkamp!«bestätigte Jupp eifrig.

»Und wie er sie schmeißen wird!«Gottfried schmunzelte.

»Ich habe so was von einem Verfolgungswahnsinnigen noch nicht gesehen! Am ersten Tag seines Fahrunterrichtes hat er schon versucht, mit unserem alten, guten Taxi einen Mercedes-Kompressor zu überholen. Ein verdammter kleiner Satan!«

Jupp schwitzte vor Glück und sah Lenz anbetend an.»Dachte, ich könnte den protzigen Vogel vernaschen, Herr Lenz! Wollte ihn in der Kurve schnappen, wie Herr Köster.«

Ich mußte lachen.»Du fängst ja gut an, Jupp.«

Gottfried blickte mit väterlichem Stolz auf seinen Fahrschüler herab.

»Zunächst schnapp dir jetzt mal die Koffer und bring sie zum Bahnhof.«

»Allein?«Jupp explodierte fast vor Spannung.»Darf ich das Stück bis zum Bahnhof ganz allein fahren, Herr Lenz?«

Gottfried nickte, und Jupp raste ins Haus.

Wir gaben die Koffer auf. Dann holten wir Pat ab und fuhren zum Bahnhof. Es war noch eine Viertelstunde zu früh, als wir ankamen. Der Bahnsteig war leer. Nur ein paar Milchkannen standen herum.

»Fahrt nur los«, sagte ich.»Ihr kommt sonst zu spät nach Hause.«

Jupp am Steuer sah mich beleidigt an.

»Solche Bemerkungen gefallen dir nicht, was?«fragte Lenz ihn.

Jupp richtete sich auf.»Herr Lohkamp«, sagte er vorwurfsvoll,»ich habe mir die Sache genau durchgerechnet. Wir sind bequem um acht Uhr in der Werkstatt.«

»Sehr richtig!«Lenz klopfte ihm auf die Schulter.»Biete ihm doch eine Wette an, Jupp. Um eine Flasche Selterswasser.«»Selterswasser nicht«, erwiderte Jupp,»aber eine Schachtel Zigaretten riskiere ich sofort.«Er schaute mich herausfordernd an.»Weißt du auch, daß die Straßen ziemlich schlecht sind?«fragte ich.»Alles einkalkuliert, Herr Lohkamp!«»Und an die Kurven hast du auch gedacht?«»Kurven machen mir nichts aus. Ich habe keine Nerven.«»Gut, Jupp«, sagte ich ernsthaft.»Dann halte ich die Wette. Aber Herr Lenz darf unterwegs nicht fahren.«Jupp legte die Hand auf die Brust.»Mein Ehrenwort!«»Gut, gut. Aber sag mal, was hältst du denn da so krampfhaft in der Hand?«»Meine Stoppuhr. Ich will unterwegs die Zeit nehmen. Möchte doch mal sehen, was der Schlitten leistet.«Lenz schmunzelte.»Ja, Kinder, Jupp ist prima ausgerüstet. Ich glaube, der brave, alte Citroen zittert schon in allen Knochen vor ihm.«Jupp überhörte die Ironie. Er zerrte aufgeregt an seiner Mütze.»Dann wollen wir los, Herr Lenz, was? Wette ist Wette!«»Natürlich, du kleiner Kompressor! Auf Wiedersehen, Pat! Bis nachher, Robby!«Gottfried kletterte in den Sitz.»So, Jupp, nun zeige der Dame mal, wie ein Kavalier und künftiger Weltmeister startet!«

Jupp schob die Rennbrille vor die Augen, winkte wie ein Alter und zog schneidig im ersten Gang über das Kopfsteinpflaster der Chaussee zu.

Pat und ich saßen noch eine Weile vor dem Bahnhof auf einer Bank. Die heiße, weiße Sonne lag breit auf der hölzernen Wand, die den Bahnsteig absperrte. Es roch nach Harz und Salz. Pat lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Sie saß ganz still, das Gesicht der Sonne zugewendet.

»Bist du müde?«fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.»Nein, Robby.«

»Da kommt der Zug«, sagte ich.

Die Lokomotive stampfte heran, schwarz, klein und verloren vor der zitternden, großen Weite. Wir stiegen ein. Der Zug war wenig besetzt. Er fuhr schnaufend an. Der Rauch der Lokomotive blieb dick und schwarz in der Luft stehen. Langsam drehte sich die Landschaft vorbei, das Dorf mit den braunen Strohdächern, die Wiesen mit Kühen und Pferden, der Wald, und dann, friedlich und sehr verschlafen in der Mulde hinter den Dünen, das Haus von Fräulein Müller.

Pat stand neben mir am Fenster und schaute hinüber. Die Strecke führte in einer Kurve näher heran, und man konnte deutlich die Fenster unserer Zimmer sehen. Sie standen offen, und das weiße Bettzeug war halb herausgelegt in die Sonne.

»Da ist Fräulein Müller«, sagte Pat.

Sie stand vor der Haustür und winkte. Pat holte ihr Taschentuch hervor und ließ es zum Fenster hinausflattern.

»Das sieht sie nicht«, sagte ich,»es ist zu klein und zu dünn. Hier, nimm meines.«

Sie nahm es und winkte. Fräulein Müller winkte heftig zurück.

Der Zug gewann allmählich das freie Feld. Das Haus versank, und die Dünen blieben zurück. Hinter dem schwarzen Strich des Waldes blinkte eine Zeitlang noch ab und zu das Meer auf. Es blinkte wie ein lauerndes, müdes Auge. Dann kam das sanfte Goldgrün der Felder und dehnte sich im weichen Wind der Ähren bis zum Horizont.

Pat gab mir mein Taschentuch zurück und setzte sich in eine Ecke. Ich zog das Fenster hoch. Vorbei! dachte ich, Gott sei Dank, vorbei! Es war nichts als ein Traum! Ein verfluchter, böser Traum!

Kurz vor sechs Uhr kamen wir in der Stadt an. Ich nahm ein Taxi und verstaute die Koffer. Dann fuhren wir zu Pats Wohnung.

»Kommst du mit herauf?«fragte sie.

»Natürlich.«

Ich brachte sie hinauf, dann fuhr ich wieder herunter, um mit dem Chauffeur zusammen die Koffer zu holen. Als ich zurückkam, stand Pat noch im Vorraum. Sie sprach mit Oberstleutnant von Hake und seiner Frau.

Wir gingen in ihr Zimmer. Es war heller, früher Abend draußen. Auf dem Tisch stand eine Glasvase mit blaßroten Rosen. Pat ging ans Fenster und sah hinaus. Dann wandte sie sich um.»Wie lange waren wir eigentlich fort, Robby?«

»Genau achtzehn Tage.«

»Achtzehn Tage. Mir kommt es viel länger vor.«

»Mir auch. Das ist aber immer so, wenn man mal 'rauskommt.«

Sie schüttelte den Kopf.»Das meine ich nicht…«

Sie öffnete die Balkontür und trat hinaus. Draußen lehnte ein zusammengeklappter, weißer Liegestuhl an der Wand.

Sie schob ihn zu sich heran und sah ihn schweigend an.

Als sie wieder hereinkam, war ihr Gesicht verändert, und ihre Augen waren dunkel.

»Sieh nur die Rosen«, sagte ich.»Sie sind von Köster. Hier liegt seine Karte dabei.«

Sie nahm die Karte auf und legte sie dann wieder auf den Tisch. Sie sah die Rosen an, aber ich sah, daß sie sie kaum bemerkte. Sie war mit ihren Gedanken noch bei dem Liegestuhl. Sie hatte geglaubt, ihm schon entronnen zu sein, und nun wurde er vielleicht doch wieder ein Teil ihres Lebens.

Ich ließ sie ruhig gewähren und sagte nichts mehr. Es hatte keinen Zweck, sie abzulenken. Sie mußte damit fertig werden, und es war besser, es geschah jetzt, während ich dabei war. Man konnte es mit noch so viel Worten höchstens verschieben, aber einmal kam es dann doch, und vielleicht war es dann noch viel schwerer.

Sie stand eine Weile neben dem Tisch, das Gesicht gesenkt und die Hände aufgestützt. Dann hob sie den Kopf und blickte mich an. Ich sagte nichts. Sie ging langsam um den Tisch herum und legte mir die Hände auf die Schultern.

»Alter Bursche«, sagte ich.

Sie lehnte sich an mich. Ich hielt sie fest.»Jetzt werden wir die Sache mal angehen, was?«

Sie nickte. Dann strich sie sich das Haar zurück.»War nur so ein Augenblick, Robby.«

»Natürlich.«

Es klopfte. Das Dienstmädchen kam mit dem Teewagen.»Das ist gut«, sagte Pat.

»Willst du Tee?«fragte ich.

»Nein, Kaffee, guten, starken Kaffee.«

Ich blieb noch eine halbe Stunde. Dann wurde sie müde. Ich sah es an ihren Augen.»Du solltest etwas schlafen«, schlug ich ihr vor.

»Und du?«

»Ich gehe nach Hause und schlafe auch etwas. Dann hole ich dich in zwei Stunden zum Essen ab.«

»Du bist müde?«fragte sie zweifelnd.

»Ja, etwas. Es war heiß im Zuge. Ich muß nachher auch noch mal in die Werkstatt.«

Sie fragte nichts mehr. Sie war sehr müde und fiel nur so zusammen. Ich brachte sie zu Bett und deckte sie zu. Sie schlief sofort ein. Ich stellte die Rosen neben sie und legte auch die Karte Kösters hinzu, damit sie gleich etwas hatte, um daran zu denken, wenn sie aufwachte. Dann ging ich.

Unterwegs blieb ich vor einem Telefonautomaten stehen. Ich beschloß, Jaffé gleich jetzt anzurufen. Zu Hause war es schwierig. Da mußte ich damit rechnen, daß die ganze Pension zuhörte.

Ich nahm den Hörer ab und meldete die Nummer der Klinik an. Nach einer Weile kam Jaffé an den Apparat.»Hier ist Lohkamp«, sagte ich und räusperte mich.»Wir sind heute zurückgekommen. Seit einer Stunde sind wir wieder hier.«

»Sind Sie mit dem Wagen gefahren?«fragte Jaffé.»Nein, mit der Bahn.«

»So, und wie geht es?«

»Gut«, erwiderte ich.

Er überlegte einen Augenblick.»Ich werde Fräulein Hollmann morgen untersuchen. Morgen vormittag um elf. Wollen Sie ihr das bestellen?«

»Nein«, sagte ich.»Ich möchte nicht, daß sie weiß, daß ich Sie angerufen habe. Sie wird sicher morgen selbst telefonieren. Vielleicht sagen Sie es ihr dann.«

»Gut. Machen wir es so. Ich werde es ihr sagen.«

Ich schob mechanisch das dicke, fettige Telefonbuch beiseite. Es lag auf einem kleinen, hölzernen Pult. Darüber waren mit Bleistift Telefonnummern an die Wand gekritzelt.»Darf ich dann morgen nachmittag bei Ihnen vorbeikommen?«fragte ich.

Jaffé antwortete nicht.»Ich möchte gern wissen, wie es mit ihr steht«, sagte ich.

»Das kann ich Ihnen morgen noch nicht sagen«, erwiderte Jaffé.»Ich muß sie mindestens eine Woche lang beobachten. Aber ich werde Ihnen dann Bescheid geben.«

»Danke.«Ich starrte immer noch auf das Pult vor mir. Jemand hatte da etwas gezeichnet. Ein dickes Mädchen mit einem großen Strohhut. Ella, du Ziege! stand darunter.»Muß sie inzwischen noch etwas Besonderes tun?«fragte ich.

»Das werde ich morgen sehen. Aber ich glaube, sie ist mit der Pflege ganz gut aufgehoben in ihrer Wohnung.«

»Ich weiß nicht. Ich habe gehört, daß die Leute nächste Woche verreisen. Dann ist sie allein, nur mit dem Dienstmädchen.«

»So? Gut, dann werde ich morgen mit ihr auch darüber sprechen.«

Ich schob das Telefonbuch wieder über die Zeichnung.

»Glauben Sie, daß sie – daß sich so ein Anfall wiederholen kann?«

Jaffé zögerte eine Sekunde.»Möglich ist es natürlich«, sagte er dann,»aber es ist nicht wahrscheinlich. Ich werde Ihnen das erst sagen können, wenn ich sie genau untersucht habe. Ich rufe Sie dann an.«

»Ja, danke.«

Ich hängte den Hörer an. Draußen stand ich noch eine Weile auf der Straße herum. Es war staubig und schwül. Dann ging ich nach Hause.

An der Tür stieß ich auf Frau Zalewski. Sie kam wie eine Kanonenkugel aus dem Zimmer von Frau Bender geschossen. Als sie mich sah, stoppte sie.»Was, schon zurück?«

»Wie Sie sehen. Ist inzwischen was gewesen?«

»Für Sie nichts. Post auch nicht. Aber Frau Bender ist ausgezogen.«

»So? Warum denn?«

Frau Zalewski stemmte die Arme in die Seiten.»Weil es überall Lumpen gibt. Ins Christliche Hospiz ist sie gezogen. Mit ihrer Katze und ganzen sechsundzwanzig Mark Vermögen.«

Sie erzählte, daß das Kinderheim, in dem Frau Bender Säuglingsschwester gewesen war, inzwischen verkracht sei. Der Leiter, ein Pastor, hatte unglücklich an der Börse spekuliert. Frau Bender war entlassen worden und hatte dabei noch ihr rückständiges Gehalt für zwei Monate eingebüßt.

»Hat sie schon was Neues gefunden?«fragte ich gedankenlos.

Frau Zalewski sah mich nur an.

»Na ja, natürlich nicht«, sagte ich.

»Ich habe ihr gesagt, sie könne ruhig wohnen bleiben. Mit dem Bezahlen eile es nicht. Aber sie wollte nicht.«»Arme Leute sind meistens ehrlich«, sagte ich.»Wer zieht denn da jetzt ein?«»Hasses. Es ist billiger als das Zimmer, das Hasses bis jetzt hatten.«»Und das von Hasses?«Sie zuckte die Achseln.»Mal sehen. Viel Hoffnung habe ich nicht, daß jemand kommt.«»Wann wird es denn frei?«»Morgen. Hasses sind schon am Umziehen.«»Was soll das Zimmer eigentlich kosten?«fragte ich. Mir war plötzlich eine Idee gekommen.»Siebzig Mark.«»Viel zu teuer«, sagte ich, jetzt ganz wach.»Mit Morgenkaffee, zwei Brötchen und reichlich Butter?«»Erst recht. Den Morgenkaffee Fridas müssen Sie abziehen. Fünfzig, nicht einen Pfennig mehr.«»Wollen Sie es etwa mieten?«fragte Frau Zalewski.»Vielleicht.«Ich ging in meine Bude und betrachtete nachdenklich die Verbindungstür zu dem Hasseschen Zimmer. Pat in der Zalewskischen Pension! Nein, das war nicht gut auszudenken! Aber trotzdem ging ich nach einer Weile hinüber und klopfte an.

Frau Hasse war da. Sie saß mitten in dem halbausgeräumten Zimmer vor dem Spiegel, einen Hut auf dem Kopf, und puderte sich.

Ich begrüßte sie und schaute mir dabei den Raum an. Er war größer, als ich gedacht hatte. Jetzt, wo die Möbel zum Teil heraus waren, sah man es erst. Die Tapeten waren einfarbig, hell und ziemlich neu, die Türen und Fenster frisch gestrichen, und der Balkon war sehr groß und schön.»Was er mir jetzt zumutet, haben Sie ja wohl schon gehört«, sagte Frau Hasse.»In das Zimmer von der Person da drüben soll ich ziehen! Diese Schande!«

»Schande?«fragte ich.

»Ja, Schande!«brach sie erregt los.»Sie wissen doch, daß wir uns nicht leiden konnten, und jetzt zwingt mich Hasse, in ihr Zimmer zu ziehen, ohne Balkon und nur mit einem Fenster. Bloß weil es billiger ist. Was meinen Sie, wie die in ihrem Christlichen Hospiz triumphiert!«

»Ich glaube nicht, daß sie triumphiert.«

»Doch, die triumphiert, diese falsche Säuglingsschwester, dieses stille Wasser, die es faustdick hinter den Ohren hat! Und nebenan dazu noch diese Kokotte, diese Erna Bönig! Und der Katzengestank!«

Ich schaute verblüfft auf. Ein stilles Wasser mit Ohren? Es war merkwürdig: Wirklich neu und bildkräftig im Ausdruck wurde der Mensch nur, wenn er schimpfte. Wie ewig gleichmäßig waren die Ausdrücke der Liebe – und wie wechselvoll dagegen war die Skala der Flüche!

»Katzen sind doch sehr saubere und schöne Tiere«, sagte ich.»Ich war übrigens eben in dem Zimmer. Es riecht nicht nach Katzen.«

»So?«erwiderte Frau Hasse feindselig und schob ihren Hut zurecht,»das kommt dann ja wohl auf die Nase an.

Aber ich denke nicht daran, noch was dazu zu tun! Soll er sich selbst die Möbel 'rüberschleppen! Ich gehe aus! Wenigstens das will ich von diesem Hundeleben haben!«

Sie stand auf. Ihr schwammiges Gesicht bebte derart vor Wut, daß der Puder herunterstäubte. Ich sah, daß sie ihre Lippen sehr rot bemalt hatte und überhaupt mächtig aufgedonnert war. Sie roch wie eine ganze Parfümerie, als sie hinausrauschte.

Ich blickte ihr verdutzt nach. Dann schaute ich mir noch einmal genau das Zimmer an. Ich überlegte, wo man Pats Möbel hinstellen könnte. Aber ich hörte bald damit auf. Pat hier, immer hier, bei mir – ich konnte mir das nicht vorstellen! Ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, wenn sie gesund gewesen wäre. So aber – ich öffnete die Tür und maß den Balkon aus. Doch dann schüttelte ich den Kopf und ging in meine Bude zurück.

Sie schlief noch, als ich bei ihr eintrat. Ich setzte mich leise in einen Sessel neben das Bett, aber sie erwachte sofort.

»Schade, ich habe dich aufgeweckt«, sagte ich.

»Bist du die ganze Zeit hier gewesen?«fragte sie.

»Nein. Eben erst wiedergekommen.«

Sie dehnte sich und legte ihr Gesicht gegen meine Hand.»Das ist gut. Ich habe nicht gern, wenn man mir beim Schlafen zusieht.«

»Das kann ich verstehen. Ich habe es auch nicht gern. Ich wollte dir auch nicht zusehen. Ich wollte dich nur nicht wecken. Willst du noch ein bißchen schlafen?«

»Nein, ich bin ganz ausgeschlafen. Ich stehe gleich auf.«

Ich ging in das Zimmer nebenan, während sie sich anzog.

Es wurde draußen langsam dunkel. Aus einem offenen Fenster gegenüber quakte ein Grammophon den Hohenfriedberger Marsch. Ein Mann mit einer Glatze und mit Hosenträgern bediente den Apparat. Er ging im Zimmer hin und her und machte zu der Musik Freiübungen. Seine Glatze leuchtete aus dem Halbdunkel wie ein aufgeregter Mond. Ich sah gleichgültig zu. Ich fühlte mich stumpf und traurig.

Pat kam herein. Sie sah wunderschön aus, ganz frisch und gar nicht mehr abgespannt.»Du siehst glänzend aus«, sagte ich überrascht.

»Ich fühle mich auch gut, Robby. Als wenn ich eine ganze Nacht geschlafen hätte. So etwas wechselt rasch bei mir.«

»Ja, weiß Gott! Manchmal geht es so rasch, daß man kaum mitkommt.«

Sie lehnte sich an meine Schulter und sah mich an.»Zu rasch, Robby?«

»Nein. Höchstens bei mir zu langsam. Ich bin oft etwas langsam, Pat.«

Sie lächelte.»Langsam ist fest. Und fest ist gut.«

»Ich bin so fest wie ein Kork auf dem Wasser«, sagte ich.

Sie schüttelte den Kopf.»Du bist viel fester, als du glaubst. Du bist überhaupt ganz anders, als du denkst. Ich habe selten jemand gesehen, der so über sich selber im Irrtum ist wie du.«

Ich ließ ihre Schulter los.

»Ja, Liebling«, sagte sie und nickte,»das ist wirklich so.

Und nun komm, wir wollen jetzt essen gehen.«

»Wohin wollen wir denn gehen?«fragte ich.

»Zu Alfons. Ich muß all das wiedersehen. Ich habe das Gefühl, als wäre ich eine Ewigkeit fortgewesen.«

»Gut!«sagte ich.»Aber hast du auch den richtigen Hunger dafür? Zu Alfons kann man nicht gehen ohne Hunger. Er wirft einen sonst 'raus.«

Sie lachte.»Ich habe sogar einen furchtbaren Hunger.«

»Dann los!«Ich war plötzlich sehr froh.

Der Einzug bei Alfons war triumphal. Er begrüßte uns, verschwand gleich darauf und kam wieder, einen weißen Kragen und eine grüngepunktete Krawatte umgebunden. Das hätte er beim deutschen Kaiser nicht gemacht. Er war auch selbst etwas verlegen über dieses unerhörte Zeichen von Dekadenz.

»Also, Alfons, was gibt es Gutes?«fragte Pat und stemmte beide Hände auf den Tisch.

Alfons schmunzelte, blies die Lippen auf und machte die Augen klein.»Sie haben Glück gehabt! Es gibt heute Krebse!«

Er trat einen Schritt zurück, um die Wirkung zu beobachten. Sie war erstklassig.»Dazu ein Glas jungen Moselwein«, flüsterte er verzückt und trat noch einen Schritt zurück. Er erntete stürmischen Beifall, merkwürdigerweise auch von der Tür her. Dort erschien nämlich mit wildem gelbem Haar und sonnenverbrannter Nase gerade der grinsende Schädel des letzten Romantikers.

»Gottfried?«schrie Alfons auf,»du? Persönlich? Mensch, was für ein Tag! Komm an meine Brust!«

»Jetzt kannst du was erleben«, sagte ich zu Pat.

Die beiden stürzten sich in die Arme. Alfons klopfte Lenz auf den Rücken, daß es klang, als wäre nebenan eine Schmiede.»Hans«, schrie er dann zu dem Kellner hinüber,»bring den Napoleon!«

Er schleppte Gottfried zur Theke. Der Kellner brachte eine große, verstaubte Flasche heran. Alfons schenkte zwei Gläser voll.

»Prost, Gottfried, du verdammter Schweinebraten!«

»Prost, Alfons, alter, guter Zuchthäusler!«

Beide tranken die Gläser auf einen Zug leer.

»Erstklassig!«sagte Gottfried.»Ein Kognak für Madonnen!«

»Eine Schande, ihn so 'runterzusaufen«, bestätigte Alfons.

»Aber wie soll man langsam trinken, wenn man sich freut!

Komm, wir nehmen noch einen!«

Er schenkte ein und hob das Glas.»Verfluchte, treulose Tomate, du!«Lenz lachte.»Mein alter, geliebter Alfons!«

Alfons bekam feuchte Augen.»Noch einen, Gottfried«, sagte er bewegt.

»Immer los!«Lenz hielt ihm sein Glas hin.»Zu dem Kognak sage ich erst nein, wenn ich den Kopf nicht mehr vom Fußboden hochkriegen kann.«

»Das ist ein Wort!«Alfons schenkte das dritte Glas ein.

Etwas atemlos kam Lenz zurück an den Tisch. Er zog seine Uhr.

»Zehn Minuten vor acht mit dem Citroen in der Werkstatt angekommen. Was sagt ihr dazu?«

»Ein Rekord«, erwiderte Pat.»Jupp soll leben! Ich werde ihm ebenfalls eine Schachtel Zigaretten stiften.«

»Und du kriegst dafür eine Portion Krebse extra!«erklärte Alfons, der Gottfried auf dem Fuße gefolgt war. Dann übergab er uns eine Art von Tischtüchern.»Zieht eure Jacken mal aus und bindet das hier um! Die Dame erlaubt es doch, oder nicht?«

»Ich halte es sogar für notwendig«, sagte Pat.

Alfons nickte erfreut.»Sie sind eine vernünftige Frau, das wußte ich. Krebse muß man gemütlich essen. Ohne Angst vor Flecken.«Er schmunzelte.»Sie selbst bekommen natürlich etwas Eleganteres.«

Der Kellner Hans brachte einen schneeweißen Küchenkittel. Alfons entfaltete ihn und half ihr hinein.»Steht Ihnen gut«, lobte er.

»Heftig, heftig!«erwiderte sie und lachte.

»Freut mich, daß Sie sich das gemerkt haben«, sagte Alfons wohlwollend.»Wärmt einem das Herz.«

»Alfons!«Gottfried knotete sich sein Tischtuch im Nacken zu, daß die Zipfel weit abstanden.»Vorläufig macht das hier nur den Eindruck eines Rasiersalons.«

»Wird gleich anders. Aber erst etwas Kunst.«

Alfons ging zum Grammophon. Gleich darauf donnerte der Pilgerchor aus dem»Tannhäuser«los. Wir lauschten schweigend.

Kaum war der letzte Ton verklungen, da öffnete sich die Küchentür, und der Kellner Hans erschien mit einer Schüssel, so groß wie eine Kinderbadewanne. Sie dampfte und war voller Krebse. Er stellte sie keuchend auf den Tisch.»Bring mir auch eine Serviette«, sagte Alfons.

»Du willst mit uns essen, Goldjunge?«rief Lenz.»Welche Auszeichnung!«

»Wenn die Dame nichts dagegen hat?«

»Im Gegenteil, Alfons!«

Pat rückte ihren Stuhl beiseite, und er nahm neben ihr Platz.

»Ganz gut, wenn ich neben Ihnen sitze«, sagte er etwas verlegen.»Ich bin nämlich ziemlich flott im Zurechtmachen. Für eine Dame ist das ein bißchen langweilig.«

Er griff in die Schüssel und begann mit unheimlicher Geschwindigkeit für sie einen Krebs zu zerlegen. Er machte das mit seinen riesigen Händen so geschickt und elegant, daß sie nichts anderes zu tun hatte, als die ihr appetitlich mit der Gabel dargebotenen Bissen zu essen.

»Schmeckt's?«fragte er.

»Prachtvoll!«Sie hob ihr Glas.»Auf Ihr Wohl, Alfons.«

Alfons stieß feierlich mit ihr an und trank sein Glas langsam aus. Ich sah sie an. Es wäre mir lieber gewesen, sie hätte irgend etwas ohne Alkohol getrunken. Sie spürte meinen Blick.

»Salute, Robby«, sagte sie.

Sie war wunderschön, ganz leuchtend und froh.»Salute, Pat«, sagte ich und trank mein Glas aus.

»Ist es nicht herrlich hier?«fragte sie und sah mich immer noch an.

»Wunderbar!«Ich schenkte mir von neuem ein.»Prost, Pat!«

Ein Schein ging über ihr Gesicht.»Prost, Robby! Prost, Gottfried!«Wir tranken.»Guter Wein«, sagte Lenz.

»Graacher Abtsberg vom letzten Jahr«, erklärte Alfons.»Freut mich, daß du ihn verstehst!«

Er holte einen zweiten Krebs aus der Schüssel und hielt Pat die Schere geöffnet hin.

Sie wehrte ab.»Den müssen Sie selbst essen, Alfons. Sie bekommen ja sonst nichts.«

»Später. Ich bin dafür ja viel schneller als die andern.«

»Also gut.«Sie nahm die Schere. Alfons strahlte vor Vergnügen und versorgte sie weiter. Es sah aus, als wenn ein alter großer Uhu einen kleinen weißen Nestvogel fütterte.

Wir tranken zum Schluß alle noch einen Napoleon und verabschiedeten uns dann von Alfons. Pat war glücklich.»Es war herrlich!«sagte sie.»Ich danke Ihnen auch vielmals, Alfons. Es war wirklich herrlich!«Sie gab ihm die Hand. Alfons murmelte etwas und küßte ihr die Hand. Lenz fielen vor Erstaunen darüber fast die Augen aus dem Kopf.»Kommt bald wieder«, sagte Alfons.»Du auch, Gottfried!«

Draußen stand klein und verlassen unter der Laterne der Citroen.

»Oh«, sagte Pat und blieb stehen. Es zuckte über ihr Gesicht.

»Ich habe ihn nach seiner Leistung heute Herkules getauft!«Gottfried öffnete den Schlag.»Soll ich euch nach Hause fahren?«

»Nein«, sagte Pat.

»Das habe ich mir gedacht. Wo wollen wir denn hin?«

»In die Bar. Oder nicht, Robby?«Sie wandte sich nach mir um.

»Natürlich«, sagte ich,»natürlich gehen wir noch in die Bar.«

Wir fuhren sehr langsam durch die Straßen. Es war warm und klar. Vor den Cafes saßen die Leute. Musik wehte herüber. Pat saß neben mir. Ich begriff plötzlich nicht, daß sie wirklich krank sein sollte, es wurde mir ganz heiß dabei, aber ich konnte es einen Augenblick lang nicht begreifen.

In der Bar trafen wir Ferdinand und Valentin. Ferdinand war glänzender Laune. Er stand auf und ging Pat entgegen.

»Diana«, sagte er,»heimgekehrt aus den Wäldern…«

Sie lächelte. Er legte ihr den Arm um die Schultern.»Bräune kühne Jägerin mit dem silbernen Bogen – was wollen wir trinken?«

Gottfried schob Ferdinands Arm beiseite.»Pathetiker kennen keinen Takt«, sagte er.»Die Dame ist in Begleitung von zwei Herren, das hast du wohl noch nicht bemerkt, du braver Auerochse!«

»Romantiker sind nur ein Gefolge – nie eine Begleitung«, erklärte Grau unerschüttert.

Lenz grinste und wandte sich an Pat.»Ich werde Ihnen jetzt einmal etwas Besonderes mischen. Einen Kolibri-Cocktail. Eine Spezialität aus Brasilien.«

Er ging zur Bartheke, mischte allerlei Sachen und brachte den Cocktail dann heran.

»Wie schmeckt er?«fragte er.

»Etwas dünn, trotz Brasilien«, erwiderte Pat.

Gottfried lachte.»Dabei ist er sehr kräftig. Mit Rum und Wodka gemacht.«

Ich sah mit einem Blick, daß weder Rum noch Wodka darin war – es war Fruchtsaft, Zitrone, Tomatenmark und vielleicht noch ein Tropfen Angostura. Ein alkoholfreier Cocktail. Aber Pat merkte es gottlob nicht.

Sie bekam drei große Kolibris, und ich sah, wie wohl sie sich fühlte, weil sie nicht als Kranke behandelt wurde. Nach einer Stunde brachen wir alle auf, nur Valentin blieb sitzen.

Lenz hatte das so gemacht. Er verfrachtete Ferdinand in den Citroen und dampfte ab. Es sah so nicht so aus, als wenn Pat und ich früher gingen. Es war alles sehr rührend, aber mir wurde doch einen Augenblick hundeelend dabei.

Pat nahm meinen Arm. Sie ging mit ihren schönen geschmeidigen Schritten neben mir her, ich spürte die Wärme ihrer Hand, ich sah den Schimmer der Laternenlichter über ihr belebtes Gesicht gleiten – nein, ich konnte es nicht begreifen, daß sie krank war, ich konnte es nur tagsüber begreifen, aber abends nicht, wenn das Leben zärtlicher und wärmer und verheißungsvoller war…

»Wollen wir noch ein bißchen zu mir gehen?«fragte ich.

Sie nickte.

Der Korridor unserer Pension war hell erleuchtet.»Verdammt noch mal«, sagte ich,»was ist denn da los? Warte mal einen Moment.«

Ich schloß auf und sah nach. Der Korridor lag kahl erleuchtet da wie eine schmale Vorstadtstraße. Die Tür des Zimmers von Frau Bender stand weit offen, und auch da brannte Licht. Wie eine schwarze kleine Ameise tappte Hasse den Flur hinunter, gebückt unter einer Stehlampe mit rosa Seidenschirm. Er zog um.

»Guten Abend«, sagte ich.»So spät noch?«

Er hob sein blasses Gesicht mit dem sanften, dunklen Schnurrbart empor.»Ich bin erst vor einer Stunde aus dem Büro gekommen. Und ich habe ja nur abends Zeit für das Umräumen.«

»Ist Ihre Frau denn nicht da?«

Er schüttelte den Kopf.»Sie ist bei einer Freundin. Gott sei Dank, sie hat jetzt eine Freundin, mit der sie viel zusammen ist.«

Er lächelte arglos und zufrieden und tappte weiter.

Ich holte Pat herein.

»Ich glaube, wir machen lieber kein Licht, was?«fragte ich in meinem Zimmer.

»Doch, Liebling. Einmal ganz kurz, dann kannst du es wieder ausmachen.«

»Du bist ein unersättlicher Mensch«, sagte ich, tauchte kurz die rote Plüschherrlichkeit in grelles Licht und machte es schleunigst wieder aus.

Die Fenster standen offen, und von den Bäumen draußen hauchte die Nachtluft frisch wie aus einem Walde herein.

»Schön«, sagte Pat und kauerte sich in die Ecke der Fensterbank.

»Findest du es wirklich schön hier?«

»Ja, Robby. Wie in einem großen Park im Sommer. Es ist herrlich.«»Hast du dir im Vorbeigehen das Zimmer nebenan einmal angesehen?«fragte ich.

»Nein, warum?«

»Hier links dieser prachtvolle, große Balkon gehört dazu. Er ist ganz abgedeckt und ohne Gegenüber. Wenn du da jetzt wohntest, brauchtest du nicht einmal einen Badeanzug für deine Sonnenbäder.«

»Ja, wenn ich da wohnte…«

»Das kannst du«, sagte ich leichthin.»Du hast ja gesehen, das Zimmer wird in den nächsten Tagen frei.«

Sie sah mich an und lächelte.

»Glaubst du, daß so etwas richtig wäre für uns? Dauernd so nahe zusammen zu sein?«

»Wir wären ja gar nicht dauernd zusammen«, erwiderte ich.»Tagsüber bin ich doch überhaupt nicht da. Abends auch oft nicht. Aber wenn wir dann schon mal zusammen wären, brauchten wir nicht in Lokalen zu sitzen oder uns immer wieder so rasch zu trennen, als wären wir beieinander nur zu Besuch.«

Sie rührte sich ein wenig in ihrer Ecke.»Das klingt ja beinahe so, als hättest du es dir schon genau überlegt, Liebling.«

»Habe ich auch«, sagte ich.»Den ganzen Abend schon.«

Sie richtete sich auf.»Meinst du es wirklich im Ernst, Robby?«

»Zum Donnerwetter, ja«, sagte ich,»merkst du das immer noch nicht?«

Sie schwieg einen Augenblick.»Robby«, sagte sie dann, und ihre Stimme war tiefer als vorher,»wie kommst du gerade jetzt darauf?«

»Ich komme darauf«, erwiderte ich, heftiger als ich wollte, denn ich fühlte plötzlich, daß jetzt die Entscheidung kam über vieles mehr noch als über das Zimmer,»ich komme darauf, weil ich gesehen habe in diesen letzten Wochen, wie wunderbar es ist, ganz zusammen zu sein. Ich kann das nicht mehr ertragen, dieses stundenweise Treffen! Ich will mehr von dir haben! Ich will, daß du immer bei mir sein sollst, ich habe keine Lust mehr auf das kluge Versteckspiel der Liebe, es ist mir zuwider, ich brauche es nicht, ich will einfach dich und nochmals dich, ich werde nie genug kriegen von dir, und ich will nicht eine einzige Minute davon entbehren.«

Ich hörte ihren Atem. Sie hockte in der Fensterecke, die Hände um die Knie gelegt, und schwieg. Langsam flackerte der rote Schein der Lichtreklame von gegenüber hinter den Bäumen hoch und warf einen matten Widerschein auf ihre hellen Schuhe. Dann wanderte er über ihren Rock und ihre Hände.»Du kannst mich ruhig auslachen«, sagte ich.

»Auslachen?«erwiderte sie.

»Na ja, weil ich immer sage: Ich will. Du mußt schließlich ja auch wollen.«

Sie sah auf.»Weißt du, daß du dich verändert hast, Robby?«

»Nein.«

»Doch. Du sagst es ja selbst. Du willst. Du fragst nicht mehr so viel. Du willst einfach.«

»Das ist doch keine so große Veränderung. Du kannst ja trotzdem nein sagen, auch wenn ich noch so sehr will.«

Sie beugte sich plötzlich zu mir vor.»Warum sollte ich denn nein sagen, Robby«, sagte sie mit sehr warmer und zärtlicher Stimme,»ich will es ja auch…«

Überrascht nahm ich sie um die Schultern. Ihr Haar streifte mein Gesicht.»Ist das wahr, Pat?«

»Aber ja, Liebling.«

»Verdammt«, sagte ich,»das hatte ich mir viel schwerer vorgestellt.«

Sie schüttelte den Kopf.»Es liegt doch nur an dir, Robby…«

»Ich glaube beinahe auch«, sagte ich erstaunt.

Sie legte den Arm um meinen Nacken.»Manchmal ist es ganz gut, an nichts denken zu müssen. Nicht alles selbst tun zu brauchen. Sich anlehnen zu können. Ach, Liebling, es ist alles eigentlich ganz leicht; – man muß es sich nur nicht selber schwer machen.«

Ich mußte einen Augenblick die Zähne zusammenbeißen. Daß gerade sie mir das sagte!»Stimmt«, sagte ich dann,»stimmt, Pat.«Es stimmte gar nicht.

Wir standen noch eine Weile am Fenster.»Deine Sachen nehmen wir alle mit«, sagte ich.»Du sollst hier nichts entbehren. Sogar einen Teewagen schaffen wir uns an. Frida wird das schon lernen.«

»Wir haben ja einen, Liebling. Er gehört ja mir.«

»Um so besser. Dann werde ich morgen gleich mit Frida trainieren.«

Sie lehnte den Kopf gegen meine Schulter. Ich spürte, daß sie müde war.»Soll ich dich jetzt nach Hause bringen?«

fragte ich.

»Gleich. Ich lege mich nur noch einen Augenblick hin.«

Sie lag ruhig, ohne zu sprechen, auf dem Bert, als schliefe sie. Aber ihre Augen waren offen, und manchmal fing sich in ihnen der Reflex der Lichtreklamen, die wie bunte Nordlichter lautlos über die Wände und die Decke glitten. Es war draußen still geworden. Nebenan hörte man ab und zu Hasse rumoren unter den Resten seiner Hoffnungen, seiner Ehe und wohl auch seines Lebens.

»Du solltest gleich hierbleiben«, sagte ich.

Sie richtete sich auf.»Heute nicht, Liebling…«

»Ich hätte viel lieber, wenn du hier bliebest…«

»Morgen…«

Sie stand auf und ging leise durch das dunkle Zimmer. Ich dachte an den Tag, als sie zum erstenmal bei mir geblieben und in der grauen Dämmerung der Frühe ebenso still durch das Zimmer gegangen war, um sich anzuziehen. Ich wußte nicht, was es war, aber es hatte etwas rührend Selbstverständliches und fast Erschütterndes an sich, es war wie eine Gebärde aus sehr fernen, verschütteten Zeiten, wie der schweigende Gehorsam unter ein Gebot, das niemand mehr kennt. Sie kam zurück aus der Dunkelheit zu mir und nahm mein Gesicht in ihre Hände.»Es war schön bei dir, Liebling. Sehr schön. Es ist gut, daß du da bist.«

Ich erwiderte nichts. Ich konnte nichts erwidern.

Ich brachte sie nach Hause und ging dann zurück in die Bar. Köster war da.»Setz dich«, sagte er.»Wie geht's?«

»Nicht besonders, Otto.«

»Willst du was trinken?«

»Wenn ich tränke, müßte ich viel trinken. Das will ich nicht. Es muß auch so gehen. Aber ich könnte etwas anderes machen. Ist Gottfried mit dem Taxi unterwegs?«

»Nein.«

»Gut. Dann werde ich noch ein paar Stunden damit losfahren.«

»Ich gehe mit 'runter«, sagte Köster.

Ich holte den Wagen heraus und verabschiedete mich von Otto. Dann fuhr ich an den Stand. Vor mir parkten zwei Wagen. Nachher kamen noch Gustav und Tommy, der Schauspieler, dazu. Dann gingen die beiden vorderen Wagen ab, und kurz darauf bekam ich auch eine Fuhre. Ein junges Mädchen, das ins Vineta wollte.

Das Vineta war ein populäres Tanzbums, mit Tischtelefon, Rohrpost und ähnlichen Sachen für Provinzler. Es lag etwas abseits von den andern Lokalen in einer dunklen Straße.

Wir hielten. Das Mädchen kramte in seinem Täschchen und hielt mir einen Fünfzigmarkschein hin. Ich zuckte die Achseln.»Kann ich leider nicht wechseln.«Der Portier war herangekommen.»Wieviel macht es?«

fragte das Mädchen.

»Eins siebzig.«

Sie wandte sich an den Portier.»Wollen Sie es für mich auslegen? Kommen Sie, ich gebe es Ihnen an der Kasse zurück.«

Der Portier riß die Tür auf und ging mit ihr zur Kasse. Dann kam er zurück.»Da…«

Ich zählte nach.»Eins fünfzig sind das…«

»Quatsch keinen Käse oder bist du noch grün? Zwei Groschen Portierstaxe fürs Wiederkommen. Hau ab!«

Es gab Plätze, wo man dem Portier ein Trinkgeld gab. Aber man gab es ihm, wenn er einem eine Fuhre besorgte, nicht, wenn man eine brachte.»Dafür bin ich nicht grün genug«, sagte ich,»ich kriege eins siebzig.«

»Du kannst was in die Schnauze kriegen«, knurrte er.»Mensch, zieh bloß Leine, ich stehe hier schon länger als du.«

Es lag mir nichts an den zwei Groschen. Ich hatte nur keine Lust, mich anschmieren zu lassen.»Quatsch keine Opern und gib den Rest 'raus«, sagte ich.

Der Portier schlug so schnell zu, daß ich mich nicht decken konnte. Ausweichen konnte ich ohnehin auf meinem Bock nicht. Ich prallte mit dem Kopf gegen das Steuerrad. Benommen richtete ich mich auf. Mein Kopf dröhnte wie eine Trommel, und meine Nase tropfte. Der Portier stand vor mir.

»Willst du noch eine, du Wasserleiche?«

Ich schätzte in der Sekunde meine Chancen ab. Es war nichts zu machen. Der Kerl war stärker als ich. Um ihn zu erwischen, hätte ich ihn überraschen müssen. Vom Bock aus schlagen konnte ich nicht, das hatte keine Kraft. Und bis ich aus dem Wagen kam, hatte er mich dreimal am Boden. Ich sah ihn an. Er blies mir seinen Bieratem ins Gesicht.»Noch ein Ding, und deine Frau ist Witwe.«

Ich sah ihn an. Ich bewegte mich nicht. Ich starrte in dieses breite, gesunde Gesicht. Ich fraß es mit den Augen. Ich sah, wohin ich schlagen mußte, ich war eiskalt zusammengezogen vor Wut. Aber ich rührte mich nicht. Ich sah das Gesicht überdicht, überdeutlich, wie durch ein Vergrößerungsglas, riesig, jede Bartstoppel, die rote, rauhe porige Haut…

Ein Schupohelm blitzte.»Was ist hier los?«

Der Portier verzog servil das Gesicht.»Nichts, Herr Wachtmeister.«

Er sah mich an.»Nichts«, sagte ich.

Er blickte von dem Portier zu mir herüber.»Sie bluten ja.«

»Habe mich gestoßen.«

Der Portier trat einen Schritt zurück. In seinen Augen lag ein Grinsen. Er meinte, ich hätte Angst, ihn anzuzeigen.

»Los, weiterfahren«, sagte der Schupo.

Ich gab Gas und fuhr zum Stand zurück.

»Mensch, siehst du aus!«sagte Gustav.

»Das ist nur die Nase«, erwiderte ich und erzählte die Geschichte.

»Komm mal mit in die Kneipe«, sagte Gustav.»Ich war nicht umsonst mal Sanitätsgefreiter. Schweinerei, auf einen sitzenden Mann loszuschlagen.«

Er nahm mich mit in die Küche der Kneipe, ließ sich Eis geben und bearbeitete mich eine halbe Stunde lang.»Nicht mal 'ne Beule sollst du kriegen«, erklärte er.

Endlich hörte er auf.»Na, wie steht's mit dem Schädel? Gut, was? Dann wollen wir keine Zeit verlieren.«

Tommy kam herein.»War das der große Portier vom Vineta?

Der ist berüchtigt für sein Schlagen. Hat leider noch nie selber Dunst gekriegt.«

»Jetzt kriegt er welchen«, sagte Gustav.

»Ja, aber von mir«, erwiderte ich.

Gustav sah mich mißmutig an.»Bis du aus dem Wagen 'raus bist…«

»Habe mir schon einen Dreh ausgedacht. Wenn ich's nicht schaffe, kannst du ja immer noch losgehen.«

»Schön.«

Ich setzte Gustavs Mütze auf, und wir nahmen auch seinen Wagen, damit der Portier nicht gleich Lunte roch. Sehen konnte er ohnehin nicht viel, dazu war die Straße zu dunkel.

Wir kamen an. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Gustav sprang heraus, einen Zwanzigmarkschein in der Hand.

»Verflucht, kein Kleingeld! Portier, können Sie wechseln? Eins siebzig macht es? Legen Sie es doch eben aus.«

Er tat, als ginge er zur Kasse. Der Portier näherte sich mir hustend und schob mir eine Mark fünfzig hin. Ich hielt die Hand weiter hin.

»Schieb ab…«, knurrte er.

»Rest 'raus, dreckiger Hund!«brüllte ich.

Er stand eine Sekunde wie versteinert.»Mensch«, sagte er dann leise und leckte sich die Lippen,»das wird dir noch monatelang leid tun!«Er holte aus. Der Schlag hätte mich bewußtlos gemacht. Aber ich war vorbereitet, drehte und duckte mich, und die Faust sauste mit voller Gewalt auf die scharfe Stahlklaue meiner Andrehkurbel, die ich in der linken Hand versteckt bereitgehalten hatte. Aufheulend sprang der Portier zurück und schüttelte die Hand. Er zischte vor Schmerz wie eine Dampfmaschine und stand ganz frei, ohne Deckung.

Ich schoß aus dem Wagen.»Kennst du mich wieder?«fauchte ich und schlug ihm gegen den Magen.

Er kippte um.»Eins«, begann Gustav von der Kasse her zu zählen,»zwei – drei…«

Bei fünf kam der Portier glasig wieder hoch. Ich sah wie vorher sein Gesicht vor mir, ganz genau, dieses gesunde, breite, dumme, gemeine Gesicht, diesen ganzen gesunden, kräftigen Kerl, dieses Schwein, das nie kranke Lungen haben würde, und ich spürte plötzlich roten Qualm im Gehirn und in den Augen, ich sprang los und schlug und schlug, ich schlug alles, was sich in mir aufgespeichert hatte in diesen Tagen und Wochen hinein in dieses gesunde, breite, blökende Gesicht, bis ich zurückgerissen wurde…

»Mensch, du schlägst ihn ja tot…«, rief Gustav.

Ich sah mich um. Der Portier lehnte blutüberströmt an der Mauer. Jetzt knickte er zusammen, fiel um und begann langsam wie ein riesiges, glitzerndes Insekt in seiner Uniform auf allen vieren dem Eingang zuzukriechen.

»Der schlägt so leicht nicht wieder«, sagte Gustav.»Aber los, jetzt türmen, bevor jemand kommt! Das war schon schwere Körperverletzung.«

Wir warfen das Geld aufs Pflaster, stiegen ein und fuhren ab.

»Blute ich eigentlich auch?«fragte ich,»oder ist das der Portier?«

»Deine Nase wieder«, erklärte Gustav.»Er hat einen sehr schönen Linken darauf gelandet.«

»Habe ich gar nicht gemerkt.«

Gustav lachte.

»Weißt du«, sagte ich,»mir ist jetzt bedeutend besser.«