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»Ja, Meister.«
Er packte ihre Arme, fesselte ihre Handgelenke. »Ich werde dich so lange züchtigen, bis du gelernt hast, dich zu benehmen.«
Er schlug sie auf die Hinterbacken, mit der Hand. Maria schrie auf. Diesmal hatte es weh getan.
»Ach, du beklagst dich, was? Na, du wirst schon noch erleben, was guttut.«
Noch bevor sie reagieren konnte, steckte ein lederner Knebel in ihrem Mund. Sie hätte noch reden, hätte noch >gelb< oder >rot< sagen können, aber sie spürte, daß sie diesen Mann alles mit ihr machen lassen und daß sie nicht heil davonkommen würde. Sie war nackt, geknebelt, trug Handschellen an den Handgelenken, und statt Blut floß Wodka in ihren Adern.
Noch ein Klaps auf die Hinterbacken. »Geh auf und ab!«
Maria setzte sich in Bewegung, gehorchte den Kommandos »halt«, »dreh dich nach rechts«, »setz dich«, »mach die Beine breit«. Hin und wieder erhielt sie unvermittelt einen K laps. Sie spürte den Schmerz, fühlte die Erniedrigung, die mächtiger und stärker war als der Schmerz, und wähnte sich in einer anderen Welt, in der nichts weiter existierte als Schmerz und Erniedrigung; und diese vollkommene Selbstaufgabe, der blinde Gehorsam, die Vorstellung, das Ich zu verlieren, keine Wünsche, keinen eigenen Willen mehr zu haben, mündeten in einem geradezu religiösen Gefühl. Sie war vollkommen naß, erregt, und verstand nicht, wieso. »Knie dich wieder hin!« Da sie zum Zeichen ihres Gehorsams und ihrer Demütigung den Kopf immer gesenkt hielt, konnte Maria nicht sehen, was um sie herum geschah. Doch sie hörte den Mann heftig atmen, als wäre er es müde, mit der Peitsche zu knallen und mit der Hand auf ihr Gesäß zu schlagen, während sie selbst sich immer kräftiger und voller Energie fühlte. Sie hatte jetzt jegliches Schamgefühl verloren. Es machte ihr nichts aus, zu zeigen, daß sie Gefallen daran fand. Sie begann zu stöhnen, wollte, daß er ihr Geschlecht berührte, aber der Mann packte sie statt dessen und warf sie aufs Bett.
Gewaltsam – aber mit einer Gewalt, von der sie wußte, daß sie ihr nichts anhaben konnte – schob er ihre Beine auseinander und band sie an den Bettpfosten fest. Sie lag da, geknebelt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, mit gespreizten Beinen.
Wann würde er in sie eindringen? Sah er nicht, daß sie bereit war, daß sie ihm dienen wollte, seine Sklavin, sein Tier, sein Objekt war, daß sie alles tun würde, was er verlangte?
»Soll ich dich fertigmachen?«
Sie spürte, wie er mit dem Griff der Peitsche ihr Geschlecht berührte. Er rieb damit von oben nach unten, und in dem Augenblick, als er ihre Klitoris berührte, verlor sie die Kontrolle. Plötzlich kam der Orgasmus, ein Orgasmus, wie ihn Dutzende, Hunderte von Männern in all den Monaten nicht hatten wecken können. Ein Licht explodierte, sie spürte, wie sie in eine Art schwarzes Loch in ihrer Seele fiel. Dort vermischte sich intensiver Schmerz mit intensiver Angst zu totaler Lust und trug sie über Grenzen hinaus, die sie nicht kannte. Maria stöhnte, schrie mit vom Knebel erstickter Stimme, wälzte sich auf dem Bett hin und her, spürte, wie die Handschellen in ihre Gelenke schnitten und die Lederriemen in ihre Fußgelenke, und gerade weil sie sich nicht bewegen konnte, bewegte sie sich wie nie zuvor. Weil sie einen Knebel im Mund hatte und niemand sie würde hören können, schrie sie, wie sie noch nie zuvor geschrien hatte. Da waren Schmerz und Lust, der Peitschengriff, der immer stärker auf ihre Klitoris drückte. Und der Orgasmus drang aus ihrem Mund, aus dem Geschlecht, den Augen, aus allen Poren.
Sie verfiel in eine Art Trance, kam dann allmählich wieder zu sich: Es gab keine Peitsche mehr zwischen ihren Beinen, nur die vom reichlichen Schweiß nasse Scham, und zärtliche Hände nahmen ihr die Handschellen ab und lösten die Lederriemen von ihren Füßen.
Sie blieb liegen, verwirrt, außerstande, den Mann anzusehen, weil sie sich schämte, sich ihrer Schreie, ihres Orgasmus schämte. Terence strich ihr übers Haar und atmete ebenfalls schwer – aber die Lust war ganz allein ihr vorbehalten gewesen; er hatte keinerlei Ekstase erlebt.
Sie schmiegte sich an den vollkommen angekleideten Mann, der vom vielen Befehlen, Schreien, Kontrollieren ganz erschöpft war. Ihr fiel nichts ein, was sie sagen könnte, was sie jetzt machen sollte, aber sie fühlte sich sicher, geborgen: er hatte sie zu einem Teil ihrer selbst geführt, den sie nicht kannte, er war ihr Beschützer und ihr Meister.
Sie begann zu weinen, und er wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
»Was hast du mit mir gemacht?« fragte sie unter Tränen.
»Das, was du wolltest.«
Sie schaute ihn an und spürte, daß sie ihn verzweifelt brauchte.
»Ich habe dir keine Gewalt angetan, habe dich nicht gezwungen und habe dich nicht >gelb< sagen hören; meine Macht war nur die, die du mir gegeben hast. Es gab keinen Zwang, keine Erpressung, nur deinen Willen; obwohl du die Sklavin warst und ich der Meister, bestand meine Macht nur darin, dich in deine eigene Freiheit zu stoßen.«
Handschellen. Lederriemen an den Füßen. Knebel. Demütigung, die stärker und intensiver gewesen war als der Schmerz. Dennoch – und da hatte er recht – war sie vom Gefühl vollkommener Freiheit erfüllt gewesen. Maria fühlte sich voller Energie, Lebenskraft und war überrascht, daß der Mann so erschöpft war.
»Hattest du keinen Orgasmus?«
»Nein«, sagte er. »Die Aufgabe des Meisters ist, die Sklavin zu zwingen. In der Lust der Sklavin liegt die Freude des Meisters.«
All das war unverständlich, weil es nicht dem entsprach, was sie darüber gehört hatte, und es im realen Leben so etwas nicht gab. Aber dies hier war die Welt der Phantasie. Maria fühlte sich voller Licht, und Terence wirkte matt, erschöpft.
»Du kannst gehen, wann du willst«, sagte er. »Ich möchte nicht gehen, ich möchte verstehen.«
»Da gibt es nichts zu verstehen.« Sie erhob sich, schön und intensiv in ihrer Nacktheit, und schenkte Wein in zwei Gläser. Sie zündete zwei Zigaretten an und reichte ihm eine – die Rollen hatten sich vertauscht, sie war die Meisterin, die den Sklaven bediente, ihn für die Lust entschädigte, die er ihr gegeben hatte.
»Ich werde mich gleich anziehen und gehen. Aber vorher würde ich gern noch ein bißchen reden.«
»Da gibt es nichts zu reden. Das genau wollte ich, und du warst wunderbar. Ich bin müde, morgen früh muß ich zurück nach London.«
Er legte sich aufs Bett und schloß die Augen. Maria wußte nicht, ob er nur so tat, als ob er schliefe, aber das war ihr gleichgültig. Sie rauchte genüßlich ihre Zigarette, trank langsam ihren Wein aus und schaute dabei, die Stirn an die Fensterscheibe gelehnt, auf den Fluß und auf den See hinunter; sie wünschte sich, ein anderer Mann könnte sie jetzt so sehen nackt, erfüllt, befriedigt, selbstsicher.
Sie kleidete sich an, ging grußlos hinaus. Da sie sich nicht sicher war, ob sie wieder hierher zurückkommen wollte, kam es ihr nicht darauf an, daß Terence ihr die Tür öffnete.
Terence hörte die Tür zuschlagen, wartete aber noch eine Weile, um zu sehen, ob sie zurückkam, weil sie noch etwas vergessen hatte. Dann stand er auf und zü ndete sich eine Zigarette an.
Das Mädchen hatte Klasse, dachte er. Sie hatte die Peitsche großartig zu nehmen gewußt, die gewöhnlichste, älteste und gleichzeitig leichteste der körperlichen Züchtigungen. Er erinnerte sich daran, wie er das erste Mal diese geheimnisvolle Verbindung zweier Menschen erlebt hatte, die sich einander nähern wollen, denen dies aber nur gelingt, indem sie einander weh tun.
Dort draußen übten sich unbewußt Millionen Paare in der Kunst des Sadomasochismus. Sie gingen zur Arbeit und wieder heim, beschwerten sich über alles, wurden handgreiflich, fühlten sich elend – waren aber zutiefst an das eigene Unglück gebunden und wußten nicht, daß es nur einer Geste bedurfte, eines >Auf Nimmerwiedersehen<, um sich aus der Unterdrückung zu befreien. Terence hatte das bei seiner ersten Ehefrau erlebt, einer berühmten englischen Sängerin. Er war von Eifersucht zerfressen gewesen, hatte ihr ständig Szenen gemacht, hatte tagsüber unter Beruhigungsmitteln und nachts unter Alkohol gestanden. Sie liebte ihn, verstand nicht, warum er das tat. Er liebte sie verstand aber ebensowenig, warum er sich so verhielt. Doch das wechselseitige Leid, das sie einander zufügten, schien für ihr Leben ebenso notwendig wie wesentlich.
Einmal hatte ein Musiker, der ihm unter all den exzentrischen Menschen merkwürdig normal vorgekommen war, ein Buch im Studio vergessen. Die Venus im Pelz von Leopold von Sacher-Masoch. Terence hatte darin geblättert und dabei einiges über sich selbst erfahren:
»Die schöne Frau entkleidete sich und nahm eine lange Peitsche mit einem kleinen Griff, den sie sich am Handgelenk befestigte. >Du hast es so gewollt<, sagte sie, >also werde ich dich auspeitschen.< – >Tu es<, murmelte ihr Geliebter. >Ich flehe dich an.<«
Seine Frau befand sich auf der anderen Seite der Studioscheibe und probte. Sie hatte darum gebeten, das Mikrofon auszuschalten, das den Technikern erlaubte mitzuhören. Terence, der zwischen ihr und dem Pianisten eine Liaison vermutete, fiel es wie Schuppen von den Augen:
Seine Frau brachte ihn zum Wahnsinn, aber ihm war, als könne er ohne zu leiden nicht mehr leben, so sehr war es ihm schon zur Gewohnheit geworden.
»Ich werde dich auspeitschen«, sagte die nackte Frau in dem Roman, den er in der Hand hielt. »Tu es, ich flehe dich an«, murme lte ihr Geliebter.
Er sah gut aus, hatte Macht im Studio, warum mußte er so leben?
Weil es ihm gefiel. Es geschah ihm recht, daß er litt: das Leben war sehr gut zu ihm gewesen, und er hatte Geld, Achtung und Ruhm nicht verdient. Zudem glaubte er, daß er beruflich irgendwann an einen Punkt käme, an dem er vom Erfolg abhängig sein würde, und das erschreckte ihn, denn er hatte schon viele aus großer Höhe abstürzen sehen.
Er las das Buch ganz durch. Anschließend las er alles, was ihm über diese geheimnisvolle Verbindung zwischen Schmerz und Lust in die Hände fiel. Irgendwann entdeckte seine Frau die Videos, die er auslieh, die Bücher, die er versteckte, fragte, ob er krank sei. Terence sagte, es gehe ihm gut, dies sei nur Anschauungsmaterial für einen neuen Auftrag. Und ganz nebenbei machte er ihr den Vorschlag: »Vielleicht sollten wir das einmal ausprobieren.« Sie probierten es aus. Anfangs zaghaft, genau nach den Handbüchern, die sie in Pornoläden fanden. Allmählich entwickelten sie neue Techniken, riskierten mehr, gingen bis an ihre Grenzen – und konnten gleichzeitig spüren, wie ihre Ehe immer stabiler wurde. Sie waren Komplizen bei etwas Verborgenem, Verbotenem, Verdammtem.
Ihre Erfahrungen flossen in die Kunst ein: Sie kreierten ein spezielles Leder-Outfit mit Nieten. Seine Frau trat mit Peitsche, Strumpfhalter, Stiefeln auf und brachte das Publikum zum Rasen. Ihre neue Platte schaffte es auf den ersten Platz der englischen Hitparade und wurde in ganz Europa zu einem Riesenerfolg. Terence wunderte sich, wie selbstverständlich die Jugend seine persönlichen Phantasien aufnahm, und seine einzige Erklärung dafür war, daß sie darüber ihre latenten Wünsche nach Gewalt intensiv, aber harmlos ausleben konnten.
Die Peitsche wurde zum Markenzeichen der Band, tauchte auf T-Shirts, Aufklebern, Postkarten auf und als Tattoo. Weil er glaubte, sich dadurch besser selbst zu verstehen, machte Terence sich daran, den Ursprung dieser Phantasien zu studieren.
Am Anfang standen nicht, wie er Maria gegenüber behauptet hatte, die Flagellanten, die den schwarzen Tod abwenden wollten. Von Anbeginn der Zeit hatte der Mensch erkannt, daß Leiden, wenn es ohne Furcht angenommen wurde, zur Freiheit führen konnte.
Schon im alten Ägypten, in Rom und Persien wußten sie bereits, daß ein Mensch sein Land und die Welt rettet, wenn er sich opfert. In China wurde, wenn eine Naturkatastrophe hereinbrach, der Kaiser bestraft, weil er der Vertreter der Gottheit auf Erden war. Die besten Krieger Spartas im antiken Griechenland wurden einmal im Jahr von morgens bis abends zu Ehren der Göttin Artemis ausgepeitscht. Die Menge feuerte sie an, die Schmerzen mit Würde zu ertragen, denn sie bereiteten sie auf den Krieg vor. Am Ende des Tages untersuchten die Priester die Wunden auf dem Rücken der Krieger und lasen aus ihnen die Zukunft der Stadt.
Die Wüstenväter, eine alte christliche Klostergemeinschaft des vierten Jahrhunderts in Alexand ria, geißelten sich, um die Dämonen auszutreiben oder zu zeigen, wie nutzlos der Körper bei der spirituellen Suche war. Die Heiligenlegenden sind voll solcher Beispiele: So ging die heilige Rosa barfuß durch Dornengestrüpp, der heilige Dominik Loricatus geißelte sich regelmäßig vor dem Schlafengehen, die Märtyrer wählten freiwillig den qualvollen Tod am Kreuz oder in den Fängen wilder Tiere. Alle beteuerten, daß der Schmerz, wenn er erst einmal überwunden war, zur religiösen Ekstase führen könne. Jüngeren, unbestätigten Untersuchungen zufolge konnten sich in den Wunden bestimmte Pilze entwickeln und bei den Patienten Visionen hervo rrufen.
Die empfundene Lust schien so groß gewesen zu sein, daß Flagellation weltweit auch außerhalb der Klöster in Mode kam. 1718 wurde das Traktat über die Autoflagellation veröffentlicht, das lehrte, wie man durch Schmerz zu Lust kam, ohne daß dabei der Körper Schaden nahm. Schon zu Ende des 18. Jahrhunderts gab es in Europa Hunderte von Orten, an denen Menschen sich geißelten, um Freude zu erfahren. Als Beleg gibt es Aufzeichnungen von Königen und Prinzessinnen, die sich von ihren Sklaven auspeitschen ließen, bis sie herausfanden, daß die Lust nicht nur darin bestand, geschlagen zu werden, sondern auch dann, Schmerz zuzufügen – obwohl es mühsamer und undankbarer war.
Während er seine Zigarette zu Ende rauchte, dachte Terence mit einer gewissen Genugtuung, daß wohl die wenigsten, wenn sie es nicht selbst erlebt hatten, dies je nachvollziehen könnten. Er gehörte einer Art verschworener Gemeinschaft an, zu der nur wenige Auserwählte Zutritt hatten. Aber es war vermutlich besser so. Er brauchte nur daran zu denken, wie aus seiner qualvollen Ehe eine wunderbare Ehe geworden war. Seine Frau wußte, warum er in Genf war. Sie hatte nichts dagegen – im Gegenteil. Sie freute sich, wenn ihr Mann nach einer harten Arbeitswoche die Belohnung erhielt, die er sich wünschte.
Das Mädchen, das gerade gegangen war, hatte alles verstanden. Er fühlte, daß seine Seele ihrer Seele nah war. Doch er war nicht bereit, sich zu verlieben, denn er liebte seine Frau. Aber ihm gefiel der Gedanke, daß er frei war, von einer neuen Beziehung zu träumen.
Er mußte sie nur noch das Schwierigste erleben lassen: sich in die Venus im Pelz zu verwandeln, in die Dominatrix, die Meisterin, die imstande war, erbarmungslos zu demütigen und zu züchtigen. Bestand sie auch diese Probe, so war er bereit, sein Herz zu öffnen und sie hereinzulassen.