38087.fb2 Elf Minuten - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

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»Hallo, guten Abend«, sagte ich zu ihm.

Er zog mich an sich, zog meinen Kopf an seine Brust, streichelte mich noch eine ganze Weile, dann sagte auch er: »Hallo, guten Abend.«

»Die Nachbarn müssen alles gehört haben«, meinte ich, weil »ich liebe dich« zu sagen mir in diesem Augenblick fehl am Platze zu sein schien, weil es offensichtlich war, daß wir uns liebten.

Und Ralf antwortete: »Es zieht«, obwohl er auch lieber »es war einfach wunderbar« gesagt hätte. »Laß uns in die Küche gehen.«

Wir erhoben uns, und ich sah, daß er nicht einmal die Hose ganz ausgezogen hatte. Er zog sie hoch. Ich schlüpfte nackt in meinen Mantel Wir gingen in die Küche, er kochte Kaffee, rauchte zwei Zigaretten, während ich nur eine rauchte. Als wir am Tisch saßen, bedankten wir uns stumm beieinander.

Schließlich faßte er sich ein Herz und fragte, was die Koffer zu bedeuten hätten.

»Ich fliege morgen mittag nach Brasilien zurück.«

Eine Frau begreift, wann ein Mann für sie wichtig ist. Ob die Männer so etwas auch begreifen? Oder mußte ich »ich liebe dich«, »ich würde gern bei dir bleiben«, »bitte mich, zu bleiben« sagen?

»Geh nicht!« Ja, er hatte begriffen.

»Ich gehe. Ich habe ein Gelübde abgelegt.«

Denn sonst hätte ich womöglich geglaubt, daß dies für immer war. Aber das war es nicht, es gehörte zum Traum eines Mädchens aus dem hintersten Winkel eines fernen Kontinents, das in die große Stadt geht (so groß nun auch wieder nicht) und nach vielen Hindernissen dem Mann begegnet, den es liebt. Aber dies hier war der Schlußstrich unter alle schwierigen Augenblicke, die ich durchgemacht hatte, das Happy-End. Wenn ich mich später an mein Leben in Europa zurückerinnern würde, stünde am Ende immer die Geschichte eines Mannes, der sich in mich verliebt hatte, der immer mein sein würde, da ich seine Seele besucht hatte.

Ach, Ralf, du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe. Ich glaube, wir verlieben uns immer in dem Augenblick, in dem wir dem Mann unserer Träume zum ersten Mal begegnen, obwohl der Verstand uns weismachen will, daß wir uns irren. Wir beginnen uns halbherzig dagegen zu wehren. Bis der Augenblick kommt, in dem wir unseren Gefühlen nachgeben, und genau das ist in jener Nacht passiert, als ich barfuß und schlotternd vor Kälte und Schmerz durch den Park gegangen bin und begriff, wie sehr du mich liebtest.

Ja, ich liebe dich so, wie ich noch nie einen Mann geliebt habe, und ebendeshalb gehe ich, denn wenn ich bleibe, würde der Traum Wirklichkeit werden, und ich würde dich besitzen wollen – all das, was aus Liebe allmählich Sklaverei macht. Es ist besser, es bleibt ein Traum. Wir müssen sehr vorsichtig mit dem sein, was wir aus einem Land mitnehmen – oder aus dem Leben.

»Du hattest keinen Orgasmus«, sagte er und versuchte so, das Thema zu wechseln, vorsichtig und zuvorkommend zu sein, keinen Druck auszuüben. Er hatte Angst, mich zu verlieren, und er glaubte, noch die ganze Nacht vor sich zu haben, um mich umzustimmen.

»Ich hatte keinen Orgasmus, aber ich habe es wahnsinnig genossen.«

»Aber es wäre besser gewesen, wenn du einen gehabt hättest.«

»Ich hätte einen vortäuschen können, um dich zufriedenzustellen, aber das hast du nicht verdient. Du bist ein Mann, Ralf Hart, in allem, was dieses Wort an Schönem, Intensivem beinhaltet. Du hast mich unterstützt, mir geholfen, hast zugelassen, daß ich dich unterstütze und dir helfe, ohne dies in irgendeiner Weise als Demütigung zu verstehen. Ja, ich hätte gern einen Orgasmus gehabt, hatte aber keinen. Doch ich fand den kalten Boden, deinen heißen Körper, die Heftigkeit, mit der du mit meiner Zustimmung in mich eingedrungen bist, wunderbar.

Heute habe ich die Bücher zurückgebracht, die ich noch ausgeliehen hatte, und die Bibliothekarin hat mich gefragt, ob ich mit meinem Partner über Sex spreche. Ich hätte am liebsten gefragt: Mit welchem Partner? Und über was für Sex? Aber sie hatte es nicht verdient, sie war immer sehr lieb zu mir gewesen. Tatsächlich hatte ich, seit ich in Genf angekommen bin, nur zwei Partner: einen, der das Schlimmste in mir geweckt hat, weil ich es zugelassen, ihn sogar darum gebeten habe. Der andere bist du, der mir das Gefühl zurückgab, in die Welt zu gehören. Ich würde dir gern beibringen, wo du meinen Körper berühren mußt, wie intensiv, wie lange, und ich weiß, daß du das nicht als Kritik, sondern als Anregung auffaßt, damit unsere Seelen besser miteinander kommunizieren. Die Kunst der Liebe ist wie deine Bilder: Sie verlangt von einem Paar Technik, Geduld und vor allem viel Praxis. Man muß wagemutig sein, über das hinausgehen, was gemeinhin unter >Liebe machen< verstanden wird.«

Schluß. Da war wieder die Lehrerin, und das wollte ich nicht sein, aber Ralf rettete die Situation, indem er eine Zigarette anzündete, die dritte in weniger als einer halben Stunde.

»Erstens wirst du heute die Nacht hier verbringen.« Das war keine Bitte, das war ein Befehl. »Zweitens werden wir uns wieder lieben, aber weniger gierig, mit mehr Begehren. Und drittens möchte ich gern, daß du die Männer besser verstehen lernst.«

Die Männer besser verstehen? Ich hatte jede Nacht mit ihnen verbracht, mit Weißen, Schwarzen, Asiaten, Juden, Moslems, Buddhisten. Wußte Ralf das nicht?

Ich fühlte mich leichter; wie gut, daß das Gespräch sich zu einer Debatte entwickelte, ich war drauf und dran gewesen, Gott um Vergebung zu bitten und mein Gelübde zu brechen.

Doch die Wirklichkeit hatte mich wieder und sorgte dafür, daß ich meinen Traum nicht antastete und dem Schicksal nicht in die Falle ging.

»Ja, die Männer besser verstehen«, wiederholte Ralf, und es klang leicht ironisch. »Du redest davon, deine weibliche Sexualität auszuleben, mir helfen zu wollen, deinen Körper zu entdecken, Geduld, Zeit zu haben. In Ordnung, aber ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, daß wir verschieden sind, zumindest was die Zeit betrifft? Warum beklagst du dich nicht bei Gott?

Als wir uns begegnet sind, habe ich dich gebeten, mir etwas über Sex beizubringen, weil mein Begehren erloschen war. Weißt du, warum? Weil jede sexuelle Beziehung nach ein paar Jahren in Langeweile oder Frustration endete, da ich begriffen hatte, daß es sehr schwierig war, den Frauen, die ich geliebt hatte, ebensoviel Lust zu verschaffen wie sie mir.«

Das mit den anderen »Frauen, die ich geliebt hatte« gefiel mir nicht, doch ich überspielte meine Gekränktheit, indem ich mir eine Zigarette anzündete.

»Ich hatte nicht den Mut, sie zu bitten: >Lehre mich, deinen Körper verstehen!< Aber als ich dich getroffen habe, sah ich dein Licht, verliebte ich mich sofort in dich, dachte, daß ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens, an dem ich nichts mehr zu verlieren hatte, ehrlich mit mir selbst sein konnte – und zu der Frau, die ich an meiner Seite haben wollte.«

Meine Zigarette schmeckte großartig, und ich hätte ihn gern gebeten, mir ein bißchen Wein einzuschenken, wollte aber nicht vom Thema ablenken.

»Warum denken die Männer immer nur an Sex, anstatt das zu tun, was du mit mir getan hast, nämlich herauszufinden, wie ich mich fühle?«

»Wer sagt denn, daß wir immer nur an Sex denken? Ganz im Gegenteil: Wir bringen Jahre unseres Lebens damit zu, uns davon zu überzeugen, daß Sex für uns wichtig ist. Prostituierte oder Jungfrauen führen uns in die körperliche Liebe ein, wir erzählen unsere Abenteuer jedem, der sie hören will, und wenn wir älter sind, paradieren wir mit einer jungen Geliebten am Arm, um unseren Geschlechtsgenossen zu zeigen, daß wir genau dem Bild entsprechen, das Frauen von uns Männern haben.

Aber soll ich dir mal was sagen? Wir verstehen überhaupt nichts. Wir glauben, daß Sex und Ejakulation ein und dasselbe sind, was sie eben gerade nicht sind. Wir lernen nichts dazu, weil wir nicht den Mut haben, der Frau zu sagen: >Lehr mich, deinen Körper zu verstehen.< Wir lernen nichts dazu, weil die Frau auch nicht den Mut hat, zu sagen: >Lerne zu verstehen, wie ich bin.< Wir bleiben beim ursprünglichen Fortpflanzungstrieb stehen, und das war's dann. Weißt du, was wichtiger für einen Mann ist als Sex?«

Ich dachte, es sei vielleicht Geld oder Macht, sagte aber nichts.

»Sport. Und weißt du, warum? Weil ein Mann den Körper eines anderen Mannes versteht. Dort, beim Sport, sieht man den Dialog zwischen Körpern, die sich verstehen.«

»Du bist verrückt.«

»Mag sein. Aber hast du schon einmal überlegt, was die

Männer, mit denen du im Bett warst, fühlen?«

»Ja, das habe ich; sie waren alle unsicher. Sie hatten Angst.«

»Schlimmer noch als Angst. Sie waren verletzlich. Sie begriffen nicht recht, was sie taten. Sie wußten nur, daß die Gesellschaft, die Freunde, ihre Frauen es für wichtig hielten. >Sex, Sex, Sex, das ist das Salz des Lebens<, so heißt es überall, in der Werbung, in den Filmen, in den Büchern. Keiner weiß, wovon er redet. Nur daß der Trieb stärker ist als wir alle.«

Genug jetzt. Ich hatte versucht, Sexlektionen zu erteilen, um mich zu schützen, und er machte es genauso. Und so weise er sich dabei auch ausdrückte, um mich zu beeindrucken – so wie auch ich ihn immer beeindrucken wollte –, so dumm war es und unserer Beziehung unwürdig. Ich zog ihn an mich, denn unabhängig davon, was er mir alles noch sagen oder ich von mir denken mochte – so viel hatte ich immerhin begriffen: Am Anfang war alles Liebe und Hingabe gewesen. Aber dann war die Schlange zu Eva gekommen und hatte gesagt: »Was du gegeben hast, wirst du verlieren.« So war es mit mir gewesen ich wurde noch in der Schulzeit aus dem Paradies vertrieben, und seither habe ich stets versucht, der Schlange zu sagen, daß sie sich irrte, daß leben wichtiger sei, als etwas für sich zu behalten. Aber die Schlange hatte recht und ich unrecht.

Ich kniete nieder, zog ihn langsam aus und sah, daß sein Geschlecht ruhte, nicht reagierte. Ihn schien das nicht zu stören, und ich streichelte ihn zwischen den Beinen, kitzelte seine Füße. Sein Geschlecht begann langsam zu reagieren, und ich berührte es, dann nahm ich es in den Mund, und ohne Hast – damit er es nicht als >los, mach dich bereit zu handeln< mißverstand – küßte ich ihn zärtlich wie jemand, der nichts erwartet, und gerade deshalb gelang mir alles. Ich fühlte, daß er erregt wurde, und er begann meine Brustwarzen zu berühren, umkreiste sie wie in jener Nacht vollkommener Dunkelheit, weckte in mir den Wunsch, ihn wieder zwischen meinen Beinen oder in meinem Mund zu haben oder wie auch immer er mich besitzen wollte.

Er zog meinen Mantel nicht aus; beugte mich nach vorn auf den Tisch, bis mein Oberkörper darauf lag und meine Beine fest auf dem Boden standen. Er drang langsam in mich ein, diesmal ohne Hast, ohne Angst, mich zu verlieren – denn im Grund hatte er auch schon begriffen, daß dies ein Traum war und für immer ein Traum bleiben, niemals Wirklichkeit werden würde.

Als ich ihn in mir spürte und er meine Brüste, mein Geschlecht kundig liebkoste wie eine Frau, begriff ich, daß wir füreinander geschaffen waren, beide mit unserer weiblichen und männlichen Seite, daß die beiden Teile, die einander verloren hatten, sich wiedergefunden hatten.

Als er in mich eindrang und mich liebkoste, spürte ich, daß er nicht nur mit mir Liebe machte, sondern mit dem ganzen Universum. Wir hatten Zeit, Zärtlichkeit, und wir kannten einander. Ja, es war wunderbar gewesen, mit meinen Koffern zu erscheinen; auch dieser Augenblick, als er mich auf den Boden zog, ich erst gehen wollte, dann aber sein heftiges Eindringen genoß; aber es war auch gut, zu wissen, daß die Nacht nie aufhören würde und daß der Orgasmus hier am Küchentisch nicht das Ziel, sondern der Beginn unserer Begegnung war.

Sein Geschlecht in mir bewegte sich nicht, während seine Finger sich schnell bewegten, und ich hatte nacheinander, ein, zwei, drei Orgasmen. Ich wollte ihn wegstoßen, der Schmerz der Lust war so groß, daß er mich fast in die Knie zwang, aber ich hielt stand, nahm hin, daß es so war, daß ich noch einen Orgasmus würde ertragen können und noch einen und noch einen…

…und plötzlich explodierte eine Art Licht in mir. Ich war nicht mehr ich selbst, sondern ein Wesen, das allem, was ich kannte, unendlich überlegen war. Als seine Hand mich zum vierten Orgasmus führte, trat ich in einen Raum ein, in dem alles Frieden war, und bei meinem fünften Orgasmus trat ich aus mir heraus und gab mich ganz hin.

Ich war die Erde, die Berge, die Flüsse, die in die Seen flossen, die Seen, die zum Meer wurden. Er bewegte sich immer schneller, und der Schmerz vermischte sich mit Lust, und ich hätte sagen können »ich halte es nicht mehr aus«, aber das wäre nicht richtig gewesen, denn jetzt waren er und ich nur noch ein einziges Wesen.

Ich ließ ihn gewähren. Seine Fingernägel krallten sich in mein Gesäß, und als ich dort bäuchlings auf dem Küchentisch lag, dachte ich, es gibt keinen besseren Ort, um sich zu lieben. Die Tischbeine knirschten, sein Atem ging immer schneller, seine Fingernägel taten mir weh. Geschlecht schlug gegen Geschlecht, Fleisch gegen Fleisch, und zusammen trieben wir auf einen neuen Orgasmus zu, und keiner spielte dem anderen etwas vor.

»Komm«, sagte er.

Und ich wußte, daß der Augenblick da war, spürte, wie mein ganzer Körper erschlaffte, wie ich aufhörte, ich selbst zu sein ich hörte, sah und schmeckte nichts mehr, fühlte nur noch.

»Komm!«