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Der Marquis de La Chétardie, der früher — oder besser gesagt, bei seiner ersten Gesandtschaftsreise nach Rußland — die Gunst und das Vertrauen der Kaiserin in hohem Maße besessen hatte, sah sich bei seiner zweiten Reise in seinen Hoffnungen getäuscht. In seinen Reden zwar mäßigte er sich, seine Briefe aber waren voll der bittersten Galle. Man hatte sie geöffnet und entziffert, in ihnen die Einzelheiten seiner Unterhaltungen mit meiner Mutter und vielen andern Personen über die Zeitverhältnisse und zwar in einem der Kaiserin ungünstigen Sinne entdeckt, und es war der Befehl erteilt worden, den Marquis de La Chétardie, der so wenig Diplomatie gezeigt, des Landes zu verweisen. Man nahm ihm den St. Andreasorden und das Porträt der Kaiserin, ließ ihm indes alle sonstigen Kostbarkeiten, die er einst von ihr zum Geschenk erhalten. Ich weiß indes nicht, ob es meiner Mutter gelang, sich vor der Kaiserin zu rechtfertigen, aber aus unserer Abreise wurde nichts. Meine Mutter jedoch wurde stets mit großer Zurückhaltung und Kälte behandelt. Es ist mir unbekannt, was zwischen ihr und de La Chétardie vorgefallen war, aber ich erinnere mich, daß er sich eines Tages an mich wandte und mich beglückwünschte, mein Haar mit Bändern geschmückt zu haben. Darauf erwiderte ich ihm:»Um der Kaiserin zu gefallen, würde ich mich auf jede mögliche Art frisieren, die sie liebt. «Als er dies hörte, wandte er sich ab, entfernte sich nach einer andern Seite und sprach nicht wieder mit mir.
Mit dem Großfürsten nach Moskau zurückgekehrt, isolierte man meine Mutter und mich noch mehr als zuvor, wir erhielten weniger Besuch, und ich wurde zur Ablegung meines Glaubensbekenntnisses vorbereitet. Für diese Zeremonie setzte man den 28. Juni, und den darauffolgenden, den Peterstag, für meine Verlobung mit dem Großfürsten fest. Ich erinnere mich, daß der Marschall Brummer während dieser Zeit wiederholt Klagen über seinen Zögling bei mir vorbrachte, und mich dazu verwenden wollte, seinen Großfürsten zu bessern oder anzufeuern. Aber ich sagte ihm, das sei mir unmöglich, denn dadurch würde ich ihm ebenso verhaßt werden, wie es seine Umgebung schon wäre.
Damals schloß meine Mutter sich eng an den Prinzen und die Prinzessin von Hessen an, mehr aber noch an den Bruder der letzteren, den Kammerherrn von Retzki. Diese Freundschaft aber mißfiel der Gräfin Rumianzoff, dem Marschall Brummer, kurz, jedermann. Während sie mit ihren Freunden in ihrem Zimmer war, beschäftigten der Großfürst und ich uns damit, im Vorzimmer, in welchem uns niemand störte, umherzulärmen, denn an jugendlich-kindlicher Lebhaftigkeit fehlte es uns beiden nicht.
Im Juli feierte die Kaiserin das Fest des mit Schweden geschlossenen Friedens, bei welcher Gelegenheit für mich, als verlobte Großfürstin von Rußland, ein Hofstaat eingerichtet wurde. Gleich nach diesem Feste ließ uns die Kaiserin nach Kiew abreisen. Sie selbst folgte uns einige Tage später, wir reisten in kleinen Tagereisen; meine Mutter und ich, die Gräfin Rumianzoff und eine Ehrendame meiner Mutter in einem, der Großfürst, Brummer, Berkholz und Decken in einem andern Wagen. Eines Nachmittags wollte der Großfürst, der sich in Gesellschaft seiner Erzieher langweilte, mit meiner Mutter und mir fahren. Sowie er aber in unserm Wagen saß, weigerte er sich, ihn wieder zu verlassen. Hierauf war meine Mutter, die es langweilte, Tag für Tag mit mir und ihm zu fahren, darauf bedacht, die Gesellschaft zu vergrößern. Sie teilte ihre Absicht den jungen Herren unseres Gefolges mit, unter denen sich auch Fürst Galitzin — der nachmalige Marschall dieses Namens — und Graf Zacharias Czernitscheff befanden. Man nahm einen der Reisewagen, welche unsere Betten trugen, stellte rings herum Bänke hinein, und Tags darauf bestiegen wir ihn, der Großfürst, meine Mutter, ich, Fürst Galitzin, Graf Czernitscheff und ein bis zwei der jüngsten Herren unseres Gefolges. Auf diese Weise legte die Gesellschaft in unserm Wagen den Rest der Reise sehr vergnügt zurück. Aber alle, die nicht mit uns fuhren, empörten sich dagegen, und besonders mißfiel dies dem Oberhofmarschall Brummer, dem Oberkammerherrn Berkholz, der Gräfin Rumianzoff, der Ehrendame meiner Mutter, aufs höchste, weil sie nicht mit dabei waren. Und während wir unterwegs lachten, langweilten und ärgerten sie sich.
So kamen wir nach drei Wochen in Koselsk an, wo wir weitere drei Wochen auf die Kaiserin warteten, deren Reise unterwegs durch verschiedene Zwischenfälle verzögert worden war. Wir erfuhren in Koselsk, daß sie unterwegs mehrere Personen ihres Gefolges verbannt habe und in sehr übler Laune sei. Endlich, Mitte August, kam sie in Koselsk an, und wir blieben dort mit ihr bis Ende August. Hier spielte man vom Morgen bis zum Abend in einem großen Saale inmitten des Hauses Pharo, und zwar sehr hoch. Uebrigens wohnten wir sehr eng. Meine Mutter und ich schliefen in demselben Zimmer, die Gräfin Rumianzoff und die Ehrendame meiner Mutter im Vorzimmer, und ebenso alle andern. Eines Tages kam der Großfürst in das Zimmer meiner Mutter, als sie eben mit Schreiben beschäftigt war. Neben ihr stand ihr Geldkasten geöffnet, und er wollte aus Neugier darin herumsuchen. Meine Mutter jedoch sagte ihm, er solle ihn nicht anrühren, und er entfernte sich auch wirklich, um im Zimmer umherzuspringen. Als er aber, um mich zum Lachen zu bringen, bald nach dieser, bald nach jener Seite sprang, blieb er an dem Deckel des offenen Geldkastens hängen und warf ihn um. Nun wurde meine Mutter böse, und es entspann sich zwischen ihnen ein heftiger Wortwechsel. Meine Mutter beschuldigte ihn, den Geldkasten absichtlich umgestoßen zu haben, er wiederum beklagte sich über ihre Ungerechtigkeit, und beide wandten sich an mich, um mein Zeugnis anzurufen. Da ich die Gemütsart meiner Mutter kannte, fürchtete ich Ohrfeigen zu bekommen, wenn ich nicht ihrer Meinung wäre; ebensowenig aber wollte ich lügen, als dem Großfürsten mißfallen, und befand mich also zwischen zwei Feuern. Dennoch sagte ich meiner Mutter, ich glaubte nicht, daß Absichtlichkeit bei dem Großfürsten vorgelegen habe, sondern sein Rock wäre beim Springen an dem Deckel des Kastens hängen geblieben, der auf einem schmalen Tabourett stand. Nun wandte sich meine Mutter gegen mich, denn wenn sie erzürnt war, mußte sie irgend jemand haben, an dem sie ihre Wut auslassen konnte. Ich schwieg und fing an zu weinen. Als der Großfürst sah, wie der ganze Zorn meiner Mutter mich traf, weil ich ein Zeugnis zu seinen Gunsten abgegeben, und daß ich weinte, klagte er meine Mutter der Ungerechtigkeit an und antwortete wütend auf ihre Zornesausbrüche. Sie ihrerseits sagte ihm, er sei ein schlecht erzogener kleiner Junge; kurz, man kann einen Zank kaum weiter treiben, ohne handgreiflich zu werden, was sie schließlich aber doch nicht taten. Seitdem war der Großfürst meiner Mutter gram, und nie vergaß er ihr diesen Streit. Meine Mutter ließ es gleichfalls an Bitterkeit ihm gegenüber nicht fehlen, und ihre Art, mit einander zu verkehren, zog fortwährend Unannehmlichkeiten, Mißtrauen und gereizte Stimmung nach sich. Selbst in meiner Gegenwart wußten sie dies nicht zu verbergen. Vergebens bemühte ich mich, sie zu besänftigen, was mir indes nur in ganz seltenen Augenblicken gelang, und dann auch nur auf kurze Zeit. Immer hatten sie Sarkasmen gegen einander zur Hand. Meine Lage wurde dadurch von Tag zu Tag peinlicher; der einen suchte ich zu gehorchen, dem andern zu gefallen. Wirklich öffnete mir der Großfürst damals sein Herz mehr als allen andern, denn er sah, daß meine Mutter häufig gegen mich losfuhr, wenn sie mit ihm nicht anbinden konnte. Natürlich schadete mir das in seinen Augen nicht, weil er sich meiner dadurch versichert hielt.
Einzug in Kiew und Rückkehr nach Moskau. — Festlichkeiten. — Meine Schulden. — Meine finanzielle Lage — Die Feinde meiner Mutter. — Der Großfürst erkrankt an den Masern. — Reise nach Petersburg. — Geburtstagsfeier der Kaiserin in Twer. — Der Großfürst bekommt die Pocken. — Fürst Galitzin und Zacharias Czernitscheff. — Wir reisen miteinander nach Petersburg weiter. — Meine Beschäftigungen. — Graf Gyllenburg. — Schilderung meines eigenen Ichs. — Der Großfürst kehrt nach seiner Genesung nach Petersburg zurück. — Feier des siebzehnten Geburtstages Peters. — Die Kaiserin lobt meine Aussprache des Russischen. — Verdruß meiner Mutter. — Prinz August von Holstein, ihr Bruder. — Man gibt mir russische Kammerfrauen.
Am 29. August zogen wir endlich in Kiew ein. wir blieben zehn Tage dort und kehrten darauf nach Moskau, ganz und gar in derselben Weise wie wir gekommen waren, zurück.
In Moskau verging dann der ganze Herbst mit Theater, Ballett und Hofmaskeraden. Trotz aller Feste aber bemerkte man, daß die Kaiserin häufig verstimmt war. Eines Tages, als meine Mutter und ich mit dem Großfürsten in einer der kaiserlichen gegenüberliegenden Loge im Theater saßen, bemerkte ich, daß die Kaiserin sehr heftig und aufgebracht mit dem Grafen Lestocq sprach. Als sie zu Ende geredet, verließ Lestocq sie, kam in unsere Loge, näherte sich mir und sagte:»Haben Sie gesehen, wie die Kaiserin mit mir gesprochen hat?«Ich antwortete bejahend.»Nun, «fuhr er fort,»sie ist sehr böse auf Sie.«—»Auf mich? und weshalb?«erwiderte ich.»Weil Sie viel Schulden gemacht haben. Als sie Prinzessin gewesen, habe sie ebenfalls keine andere Einnahme gehabt und noch dazu für ein ganzes Haus sorgen müssen, doch sie habe sich gehütet, Schulden zu machen, weil sie gewußt, daß niemand dieselben für sie bezahlen werde. «Er sagte dies alles in einem ärgerlichen, trockenen Ton, wahrscheinlich, damit die Kaiserin aus ihrer Loge sehen sollte, wie er sich seines Auftrages entledigte. Die Tränen traten mir in die Augen, aber ich schwieg. Nachdem er ausgeredet, entfernte er sich. Der Großfürst, der neben mir saß und den größten Teil unserer Unterhaltung gehört hatte, fragte mich nach dem, was er nicht verstanden und gab mir dann mehr durch Mienen als durch Worte zu verstehen, daß er der Meinung seiner Frau Tante sei und es ganz recht finde, daß man mich gescholten habe. Dies entsprach durchaus seiner Art und Weise: er glaubte sich der Kaiserin angenehm zu machen, indem er auf ihre Ansichten einging, wenn sie jemand zürnte. Als meine Mutter hörte, um was es sich handele, erklärte sie, man habe ja alle möglichen Mittel angewandt, mich ihrer Autorität zu entziehen und mich in den Stand gesetzt, ohne ihren Rat zu handeln, so daß sie ihre Hände in Unschuld wasche. So nahmen sie beide gegen mich Partei.
Ich selbst wünschte nichts mehr, als meine Angelegenheiten sofort in Ordnung zu bringen und forderte am nächsten Tag meine Rechnungen. Aus diesen ersah ich, daß sich meine Ausgaben auf 17 000 Rubel beliefen. Vor der Abreise von Moskau nach Kiew hatte die Kaiserin mir 15 000 Rubel und eine große Kiste mit sehr einfachen Kleidungsstoffen gegeben, obgleich ich mich reich kleiden sollte. So betrug denn am Ende meine ganze Schuld 2000 Rubel, was mir keine unmäßige Summe schien. Uebrigens hatten mich verschiedene Umstände in Unkosten gestürzt.
Erstens war ich mit einer sehr unvollständigen Ausstattung nach Rußland gekommen. Wenn ich drei oder vier Kleider hatte, so war dies das höchste, und das an einem Hofe, wo man den Anzug täglich dreimal wechselt. Meine ganze Wäsche bestand aus einem Dutzend Hemden, und die Bettücher gebrauchte ich von meiner Mutter.
Zweitens hatte man mir gesagt, daß man in Rußland gern Geschenke empfinge, daß man sich durch Großmut Freunde erwerbe und sich gern gesehen mache.
Drittens hatte man mir die verschwenderischste Frau in ganz Rußland beigegeben, die Gräfin Rumianzoff, die immer von Kaufleuten umringt war und mir täglich eine Menge Sachen zeigte, die sie mich aufforderte, zu kaufen, und die ich häufig nur nahm, um sie ihr zu schenken, weil sie großes Verlangen danach hatte.
Dazu kostete mich der Großfürst viel, weil er ungeheuer gierig nach Geschenken war.
Auch die Verstimmung meiner Mutter war leicht gehoben, sobald man sie mit etwas erfreute, was ihr gefiel, und da sie sich damals häufig besonders gegen mich übelgelaunt zeigte, vernachlässigte ich nicht, dies von mir entdeckte Mittel in Anwendung zu bringen. Die Mißstimmung meiner Mutter rührte meist daher, daß sie bei der Kaiserin in vollkommener Ungnade stand und diese sie oft kränkte und demütigte. Außerdem sah sie nicht ohne Mißfallen, daß ich vor ihr den Vortritt hatte, was ich, so oft es möglich war, vermied; aber bei öffentlichen Gelegenheiten ließ sich nichts daran ändern. Ueberhaupt hatte ich mir zur Regel gemacht, ihr die größte Achtung und Ergebenheit zu beweisen, doch half mir dies wenig. Bei jeder Veranlassung entschlüpften ihr Ausdrücke der Bitterkeit, welche ihre Lage nicht besserten und die Menschen nicht zu ihren Gunsten einnahmen.
Unter den Personen, die meiner Mutter schadeten, war besonders die Gräfin Rumianzoff, die durch Hin- und Herreden und Klatschereien am meisten dazu beitrug, sie bei der Kaiserin in ein schlechtes Licht zu setzen. Jener achtsitzige Wagen auf der Reise nach Kiew spielte dabei eine große Rolle. Alle Alten waren davon ausgeschlossen, alle Jungen zugelassen worden. Der Himmel weiß, welche Bedeutung man diesem in Wirklichkeit so unschuldigen Vergnügen beigemessen hatte. Das wahrscheinlichste aber ist, daß alle diejenigen, die durch ihren Rang eigentlich hätten zugelassen werden sollen, sich darüber ärgerten, daß man ihnen andere, die unterhaltender waren als sie, vorzog. Im Grunde aber rührte die Sache daher, daß man Betzki und die Trubetzkois, in die meine Mutter großes Vertrauen setzte, nicht an der Reise nach Kiew hatte teilnehmen lassen. Hieran waren Brummer und die Gräfin Rumianzoff sicher schuld, und der achtsitzige Wagen, in den man sie nicht mit Platz nehmen ließ, war eine Art Rache von meiner Mutter.
Im November bekam der Großfürst in Moskau die Masern. Da ich dieselben noch nicht gehabt, wandte man Vorsichtsmaßregeln an, um mich vor Ansteckung zu bewahren. Die Umgebung des Prinzen kam nicht mehr zu uns, und alle Vergnügungen hörten mit einem Male auf. Sobald er aber genesen, reisten wir zu Anfang des Winters von Moskau nach Petersburg; meine Mutter und ich in einem, der Großfürst und Brummer in einem anderen Schlitten. Wir feierten den 18. Dezember, den Geburtstag der Kaiserin, in Twer und setzten Tags darauf unsere Reise fort. Als wir die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatten und in dem Flecken Chotilowo angekommen waren, fühlte sich der Großfürst, als er des Abends in meinem Zimmer war, plötzlich unwohl. Man brachte ihn in das seinige und legte ihn zu Bett. Während der Nacht litt er an heftigem Fieber. Den folgenden Morgen begaben wir uns, meine Mutter und ich, in sein Zimmer, um ihn zu besuchen. Allein kaum hatte ich die Türschwelle überschritten, als Graf Brummer mir entgegenkam und mir empfahl, nicht weiter zu gehen. Natürlich wollte ich die Ursache wissen, und er sagte mir, daß Pockenflecken beim Großfürsten zum Vorschein gekommen wären. Da ich die Pocken nicht gehabt hatte, führte mich meine Mutter schnell hinweg, und es wurde beschlossen, daß sie und ich noch an demselben Tag nach Petersburg abreisen sollten, während der Großfürst und seine Umgebung in Chotilowo zurückblieben. Auch die Gräfin Rumianzoff und die Ehrendame meiner Mutter blieben dort, um, wie man sagte, den Kranken zu pflegen. Man hatte sofort einen Kurier an die Kaiserin abgeschickt, die vor uns abgereist und schon in Petersburg angekommen war. Kurz vor Nowgorod trafen wir sie. Sie hatte, als man ihr die Nachricht übermittelte, daß die Pocken bei dem Großfürsten ausgebrochen seien, Petersburg sogleich verlassen, um sich zu ihm nach Chotilowo zu begeben, und hielt sich dort solange auf, als die Krankheit währte. Sowie die Kaiserin uns sah, ließ sie, obgleich es mitten in der Nacht war, ihren und unsern Schlitten halten und fragte, wie sich der Großfürst befinde. Meine Mutter sagte ihr alles, was sie wußte, worauf die Kaiserin dem Kutscher weiter zu fahren befahl und auch wir unsere Fahrt nach Nowgorod fortsetzten, wo wir gegen Morgen eintrafen.
Es war Sonntag und ich ging zur Messe. Dann dinierten wir. Als wir eben wieder abfahren wollten, kamen der Kammerherr Fürst Galitzin und der Kammerkavalier Zacharias Czernitscheff von Moskau an, die im Begriff waren, nach Petersburg zu reisen. Meine Mutter war gegen den Fürsten Galitzin sehr erzürnt, daß er mit dem Grafen Czernitscheff reiste, weil dieser ich weiß nicht welche Lüge gesagt haben sollte. Sie behauptete, man müsse ihn fliehen wie einen gefährlichen Menschen, der nach Belieben Geschichten erdichte. Sie schmollte also mit beiden. Da man sich indes bei diesem Schmollen zum Sterben langweilte, und man außerdem nicht viel Auswahl hatte, da sie ferner viel unterrichteter waren und angenehmer plauderten als die andern, so stimmte ich nicht mit meiner Mutter überein, was mir ihrerseits mehrere bittere Bemerkungen zuzog.
Endlich kamen wir in Petersburg an und wurden in einem der zum Hofe gehörenden Häuser einquartiert. Da aber das Schloß, worin die Kaiserin wohnte, nicht geräumig genug war, um auch den Großfürsten darin unterzubringen, bewohnte er ein zwischen dem Palaste und dem unsrigen liegendes Haus. Meine Zimmer befanden sich im linken, die meiner Mutter im rechten Flügel des Schlosses. Sowie meine Mutter diese Anordnung bemerkte, ärgerte sie sich darüber, erstens, weil es ihr schien, als seien meine Zimmer besser gelegen als die ihren, zweitens, weil die ihrigen von den meinigen durch einen gemeinsamen Saal getrennt waren. In Wahrheit hatte jede von uns vier Zimmer, zwei nach vorn und zwei nach dem Hofe. Sie waren ganz gleich und ohne Unterschied mit blauen und roten Möbeln ausgestattet. Was aber am meisten dazu beitrug, meine Mutter aufzubringen, war, daß mir die Gräfin Rumianzoff in Moskau den Plan des Hauses auf Befehl der Kaiserin gezeigt, mir verboten, davon zu sprechen und mich zu Rate gezogen hatte, wie man uns einlogieren sollte. Da die Zimmer aber ganz gleich waren, konnte von einer Wahl nicht die Rede sein. Ich sagte dies der Gräfin, die mir bemerkte, daß es der Kaiserin angenehmer sei, wenn ich für mich wohnte, statt, wie in Moskau, mit meiner Mutter die Wohnung zu teilen. Diese Einrichtung gefiel auch mir bei weitem besser, weil ich mich in den Zimmern meiner Mutter sehr unbehaglich fühlte und ihre Gesellschaft buchstäblich niemand zusagte. Meine Mutter mußte wohl ahnen, daß man mir jenen Plan vorgelegt, und sprach davon, worauf ich ihr ganz einfach erzählte, was vorgefallen. Sie schalt mich, daß ich ihr die Sache verheimlicht hätte, doch ich erwiderte, man habe mir verboten, davon zu reden, worin sie indes keinen Grund zum Schweigen sehen wollte. Ueberhaupt bemerkte ich, wie sie von Tag zu Tag gereizter gegen mich wurde und ziemlich mit allen in gespanntem Verhältnis lebte, so daß sie weder mehr zum Diner noch zum Souper erschien, sondern sich in ihrem Zimmer servieren ließ. Nichtsdestoweniger besuchte ich sie drei- bis viermal am Tage; den Rest meiner Zeit benutzte ich, die russische Sprache zu erlernen, Klavier zu spielen und Bücher zu lesen, die ich mir selbst gekauft. So war ich denn mit fünfzehn Jahren für mein Alter einsam und fleißig genug.
Gegen Ende unseres Aufenthaltes in Moskau kam eine schwedische Gesandtschaft, an deren Spitze der Senator Cederkreutz stand. Kurz darauf traf auch Graf Gyllenburg ein, um der Kaiserin von der Vermählung des Kronprinzen von Schweden, des Bruders meiner Mutter, mit einer schwedischen Prinzessin Anzeige zu machen. Wir kannten Graf Gyllenburg und viele andere Schweden seit der Abreise des Kronprinzen nach Schweden. Er war ein sehr geistreicher Mann, nicht mehr jung, auf den meine Mutter große Stücke hielt. Ich meinerseits war ihm einigermaßen verpflichtet, denn als er in Hamburg bemerkte, daß meine Mutter wenig oder gar nichts von mir halte, sagte er ihr, sie habe unrecht, ich sei entschieden ein über mein Alter entwickeltes Kind. In Petersburg angelangt, kam er sofort zu uns und sagte mir aufs neue, ich habe eine sehr philosophische Geistesrichtung und fragte mich dann, wie es in dem Strudel meines gegenwärtigen Lebens mit meiner Philosophie stehe. Als ich ihm erzählte, womit ich mich in meinem Zimmer beschäftigte, bemerkte er, eine fünfzehnjährige Philosophin könne sich nicht selbst kennen, und ich sei von so vielen Klippen umgeben, daß er sehr fürchte, ich werde scheitern, wenn nicht mein Geist sich über alles erhebe. Es sei notwendig, ihn durch die beste Lektüre zu nähren, und zu diesem Zweck empfahl er mir,»Plutarchs Lebensbeschreibungen berühmter Männer«, das» Leben Ciceros «und die» Ursachen der Größe der Römer und des Verfalls des römischen Reichs «von Montesquieu zu lesen. Sofort ließ ich mir diese Bücher besorgen, die damals in Petersburg nur mit Mühe aufzutreiben waren. Ihm aber versprach ich eine Schilderung meiner selbst, so wie ich mich kenne, damit er sehen möge, ob ich mich richtig beurteile oder nicht.
In der Tat entwarf ich ein Bild von mir in einem Aufsatz unter dem Titel:»Porträt der fünfzehnjährigen Philosophin«— und schickte es ihm. Viele Jahre später, 1758, habe ich dieses» Porträt «wieder gefunden und war erstaunt über die tiefe Selbstkenntnis, welche es enthielt. Unglücklicherweise habe ich es in jenem Jahre mit allen andern Papieren verbrannt, da ich fürchtete, auch nur ein einziges in meinem Zimmer zu behalten, wegen der unglücklichen Affäre mit Bestuscheff.
Graf Gyllenburg gab mir einige Tage später mein Schriftstück zurück. Ob er eine Abschrift davon genommen hat, weiß ich nicht. Er begleitete es mit einem Dutzend Seiten voller Bemerkungen, worin er versuchte, die Seelengröße und Festigkeit ebenso sehr wie die andern Eigenschaften des Herzens und des Geistes in mir zu befestigen. Immer von neuem las ich durch, was er geschrieben, vertiefte mich darein und nahm mir vor, seinen Ratschlägen zu folgen. Ich versprach es mir selbst, und wenn ich mir etwas selbst versprochen, so habe ich es, so viel ich weiß, immer gehalten. Darauf gab ich dem Grafen Gyllenburg sein Schriftstück zurück, wie er mich gebeten hatte, und ich gestehe, daß es sehr dazu beigetragen hat, meinen Geist und meine Seele zu bilden und zu stählen.
Anfang Februar kam die Kaiserin mit dem Großfürsten von Chotilowo zurück. Sobald man uns von ihrer Ankunft benachrichtigte, gingen wir ihr entgegen und trafen sie im großen Saale zwischen vier und fünf Uhr abends, in der Dämmerung. Trotzdem erschrak ich fast, als ich den Großfürsten sah, der bedeutend gewachsen, dessen Gesicht aber fast unkenntlich geworden war. Seine Züge waren grob, das ganze Gesicht noch angeschwollen, und es war unzweifelhaft, daß man ihm die Spuren seiner Krankheit immer ansehen würde. Da man ihm die Haare abgeschnitten hatte, trug er eine ungeheure Perücke, welche ihn noch mehr entstellte. Er kam auf mich zu und fragte mich, ob es mir nicht schwer werde, ihn wiederzuerkennen. Verwirrt stammelte ich einen Glückwunsch zu seiner Genesung, aber er war in der Tat abscheulich häßlich geworden.
Am 9. Februar 1745 war gerade ein Jahr seit meiner Ankunft am russischen Hofe verflossen. Am 10. feierte die Kaiserin den Geburtstag des Großfürsten, der in sein siebzehntes Jahr eintrat. Sie dinierte mit mir allein auf dem Throne, da der Großfürst noch nicht öffentlich erschien. Man beeilte sich nämlich nicht, ihn gerade in diesem Zustande, in den er durch die Pocken versetzt war, zu zeigen. Während des Diners war die Kaiserin sehr gnädig gegen mich. Sie sagte mir, daß die russischen Briefe, welche ich ihr nach Chotilowo geschrieben, ihr viel Freude gemacht hätten; sie wisse, daß ich mich sehr bemühe, die Landessprache zu erlernen. In Wirklichkeit waren sie von Abaduroff abgefaßt, von mir aber eigenhändig abgeschrieben. Dabei sprach sie immer Russisch mit mir und wollte, daß auch ich ihr in dieser Sprache antwortete, was ich denn auch tat. Sie lobte meine gute Aussprache und gab mir zu verstehen, daß ich seit meiner Krankheit in Moskau hübscher geworden sei; kurz, während des ganzen Diners war sie nur darauf bedacht, mir ihre Güte und Zuneigung zu beweisen. Sehr heiter und glücklich kam ich in mein Zimmer zurück, und jedermann beglückwünschte mich. Die Kaiserin ließ mein Porträt, welches der Maler Caravaque angefangen hatte, holen und behielt es bei sich in ihrem Zimmer; es ist dasselbe, welches der Bildhauer Falconnet mit nach Frankreich genommen hat; es war sprechend ähnlich.
Um in die Messe oder zur Kaiserin zu gehen, mußten meine Mutter und ich die Gemächer des Großfürsten durchschreiten, die neben den meinigen lagen, wir sahen ihn daher sehr oft. Manchmal brachte er auch des Abends einige Augenblicke bei mir zu, aber ohne besondere Lust; im Gegenteil, er war immer sehr vergnügt, wenn er einen Vorwand fand, um sich zu entschuldigen und in seinem Zimmer bleiben konnte, umgeben von seinem gewöhnlichen Spielzeug, wovon ich bereits gesprochen.
Kurz nach der Ankunft der Kaiserin und des Großfürsten in Petersburg hatte meine Mutter einen großen Verdruß, den sie nicht verbergen konnte. Der Sachverhalt ist folgender:
Prinz August, der Bruder meiner Mutter, hatte ihr nach Kiew geschrieben, daß er gern nach Rußland kommen möchte. Meine Mutter aber wußte, daß diese Reise nur den Zweck hatte, bei der Majorennität des Großfürsten, welche man vor der Zeit proklamieren wollte, die Verwaltung Holsteins zu erhalten, das heißt, man wünschte die Vormundschaft aus den Händen des ältesten Bruders zu nehmen, der Kronprinz von Schweden geworden war, und die Regierung Holsteins dem Prinzen August, dem jüngeren Bruder meiner Mutter, unter dem Namen eines volljährigen Großherzogs zu übertragen.
Diese Intrige war von der dem Kronprinzen von Schweden feindlichen, mit den Dänen verbundenen Partei, angesponnen, weil es die Dänen dem Kronprinzen nicht verzeihen konnten, daß er in Schweden den Sieg über den Kronprinzen von Dänemark, den die Dalekarlier zum schwedischen Thronfolger wählen wollten, davongetragen hatte. Meine Mutter antwortete ihrem Bruder, dem Prinzen August, von Koselsk aus einfach: statt sich zu Intrigen herzugeben, die ihn verführten, gegen seinen Bruder zu handeln, würde er besser tun, im holländischen Dienste, wo er sich befand, seine Pflicht zu tun und ehrenvoll zu sterben, als gegen seinen Bruder zu kabalieren und sich mit den Feinden seiner Schwester in Rußland zu verbinden. Damit meinte meine Mutter den Grafen Bestuscheff, welcher diese ganze Intrige im Gange hielt, um Brummer und allen andern Freunden des schwedischen Kronprinzen, des Vormundes des Großfürsten für Holstein, zu schaden. Dieser Brief wurde geöffnet und vom Grafen Bestuscheff und von der Kaiserin gelesen, welch letztere durchaus nicht mit meiner Mutter zufrieden und gegen den schwedischen Kronprinzen sehr erbittert war, weil er unter dem Einfluß seiner Gemahlin, einer Schwester des Königs von Preußen, sich zu den Ansichten der französischen Partei, welche denen Rußlands vollkommen entgegen war, hatte fortreißen lassen. Man warf ihm seine Undankbarkeit vor und beschuldigte meine Mutter des Mangels an Zärtlichkeit gegen ihren jüngeren Bruder, weil sie ihm geschrieben, er solle sich töten lassen, ein Ausdruck, den man hart und unmenschlich fand, während meine Mutter sich ihren Freunden gegenüber rühmte, einen festen und treffenden Ton angewendet zu haben. Das Resultat war, daß Graf Bestuscheff, ohne Rücksicht auf die Stimmung meiner Mutter, oder vielmehr, um sie zu verletzen und die ganze holsteinisch-schwedische Partei zu ärgern, für den Prinzen August von Holstein, ohne Wissen meiner Mutter, die Erlaubnis erlangte, nach Petersburg zu kommen. Als meine Mutter erfuhr, daß er unterwegs sei, war sie sehr verstimmt und aufgebracht und empfing ihn mit großer Kälte. Er jedoch, von Bestuscheff angetrieben, ließ sich nicht beirren. Man überredete auch die Kaiserin, ihn freundlich zu empfangen, was wirklich äußerlich in hohem Maße geschah; doch dauerte dies nur kurze Zeit und konnte auch nicht lange währen, da der Prinz August eine ganz unbedeutende Persönlichkeit war. Schon sein Aeußeres nahm nicht zu seinen Gunsten ein. Er war sehr klein und besaß eine schlechte Haltung, hatte dazu wenig Geist bei großem Jähzorn und wurde von den Personen seiner Umgebung geleitet, die ebenfalls alles Nullen waren. Und da es doch einmal gesagt sein muß: es war die Dummheit ihres Bruders, die meine Mutter ärgerte; mit einem Worte, seine Ankunft brachte sie fast zur Verzweiflung.
Indem Graf Bestuscheff sich vollkommen des Prinzen durch seine Umgebung bemächtigte, schlug er mehrere Fliegen mit einer Klappe. Es konnte ihm nicht entgehen, daß der Großfürst Brummer ebenso sehr haßte, wie er selbst. Auch Prinz August liebte ihn nicht, weil er dem Kronprinzen von Schweden unter dem Vorwande der Verwandtschaft und als Holsteiner ergeben war. Der Prinz schloß bald mit dem Großfürsten Freundschaft, indem er ihm beständig von Holstein erzählte und ihn von seiner künftigen Volljährigkeit unterhielt, bis er ihn endlich so weit brachte, in seine Tante und den Grafen Bestuscheff zu dringen, eine Beschleunigung seiner Mündigkeitserklärung zu bewirken. Hierzu aber war die Erlaubnis des römischen Kaisers nötig. Dies war zu jener Zeit Karl VII. aus dem Hause Bayern, der indes inzwischen starb, so daß sich die Angelegenheit bis zur Wahl Franz I. verzögerte.
Da Prinz August von meiner Mutter sehr kalt empfangen worden war und ihr selbst wenig Achtung bezeigte, verminderte er auch bei dem Großfürsten das geringe Maß von Respekt, das dieser bis dahin noch für meine Mutter bewahrt hatte. Anderseits unterhielten sowohl Prinz August als auch der alte Kammerdiener, der Günstling des Großfürsten, die offenbar meinen künftigen Einfluß fürchteten, den Großfürsten häufig über die Art und Weise, wie er seine Gemahlin behandeln müsse. Der frühere schwedische Dragoner Romberg sagte ihm, daß die seinige kaum vor ihm zu atmen, noch sich in seine Angelegenheiten zu mischen wage, und wenn sie nur den Mund öffne, er ihr zu schweigen befehle; er sei der Herr im Hause, denn für einen Mann wäre es schmachvoll, sich wie ein Einfaltspinsel von seiner Frau lenken zu lassen.
Doch der Großfürst seinerseits war diskret wie ein Kanonenschuß und hatte, wenn Herz und Geist ihm von einer Sache voll waren, nichts Eiligeres zu tun, als es denen zu erzählen, mit denen er zu sprechen gewöhnt war, ohne zu bedenken, wem er es sagte. So erzählte mir Seine kaiserliche Hoheit auch diese Gespräche ganz offen bei der ersten Gelegenheit wieder. Er nahm immer von vornherein treuherzig an, daß jedermann seiner Ansicht und nichts natürlicher sei, als dies. Ich wiederum scheute mich nicht, offen hierüber mit allen zu reden, konnte aber doch nicht umhin, über das Los, das mich erwartete, sehr ernste Gedanken zu hegen. Ich beschloß also, das Vertrauen des Großfürsten so viel als möglich zu bewahren, damit er mich wenigstens als eine ihm ergebene Person betrachte, der er ohne Scheu alles sagen konnte. Dies gelang mir denn auch lange Zeit. Uebrigens behandelte ich jedermann so gut ich irgend konnte und studierte aufs genaueste, wie ich die Freundschaft derer gewinnen oder doch wenigstens ihre Feindschaft mindern konnte, von denen ich die geringste üble Stimmung gegen mich argwöhnte. Ich bewies keinerlei Neigung für eine oder die andere Person, mischte mich in nichts, zeigte stets eine heitere Miene, große Zuvorkommenheit, Aufmerksamkeit und Höflichkeit gegen alle. Und da ich von Natur aus heiter war, sah ich mit Vergnügen, wie ich von Tag zu Tag die Zuneigung des Publikums gewann, das mich als ein interessantes Kind betrachtete, dem es nicht an Geist fehle. Meiner Mutter bewies ich die größte Achtung, der Kaiserin unbedingten Gehorsam, dem Großfürsten viel Rücksicht und suchte mit unermüdlichem Eifer die Zuneigung des Volkes zu gewinnen.
Schon in Moskau hatte mir die Kaiserin Elisabeth Damen und Herren beigegeben, die meinen Hof bildeten. Bald nach meiner Ankunft in Petersburg gab sie mir russische Kammerfrauen, um, wie sie sagte, mir das Erlernen der russischen Sprache zu erleichtern. Dies war mir sehr angenehm, da es nur junge Mädchen waren, von denen die älteste ungefähr zwanzig Jahre zählte. Alle waren sehr lustig, so daß ich seitdem von meinem Erwachen bis zum Schlafengehen nichts anderes tat, als singen, tanzen und scherzen. Abends nach dem Souper ließ ich meine drei Damen, die beiden Fürstinnen Gagarin und Fräulein Kucheleff in mein Schlafzimmer kommen, wo wir Blindekuh und alle Art kindlicher Spiele spielten. Aber alle diese Mädchen hatten eine tödliche Furcht vor der Gräfin Rumianzoff. Da diese jedoch vom Morgen bis zum Abend im Vorzimmer oder in ihren Gemächern Karten spielte und nur notgedrungen von ihrem Sessel aufstand, kam sie höchst selten zu uns herein.
Inmitten unserer Vergnügungen fiel es mir einst ein, die Aufsicht über alle meine Sachen unter meine Kammerfrauen zu verteilen. Meine Kasse, meine Ausgaben und meine Wäsche überließ ich der Sorge des Fräulein Schenk, dem Kammermädchen, welches ich aus Deutschland mitgebracht hatte. Sie war eine alte Jungfer, einfältig und mürrisch, der unsere Heiterkeit aufs höchste mißfiel. Außerdem war sie auf alle ihre jungen Gefährtinnen, welche ihre Funktionen und meine Zuneigung teilen sollten, eifersüchtig. Meine Juwelen übergab ich der Aufsicht Fräulein Jukoffs, die, weil sie am meisten Geist besaß und heiterer und offener als die andern war, meine besondere Gunst zu gewinnen wußte. Meinem Kammerdiener Timotheus Nevreinoff vertraute ich meine Kleider an; meine Spitzen dem Fräulein Balkoff, welche bald darauf den Dichter Sumarokoff heiratete. Meine Bänder erhielt Fräulein Skorochodoff, die ältere, die später an Aristarchus Kachkin vermählt wurde. Nur deren jüngere Schwester Anna erhielt kein Amt, weil sie erst dreizehn oder vierzehn Jahre alt war.
Am Tage nach dieser schönen Einteilung, wo ich meine Zentralgewalt in meinem Zimmer ausgeübt hatte, ohne eine Seele um Rat zu fragen, war abends Theater. Um dorthin zu gehen, mußte man durch die Gemächer meiner Mutter. Man hatte nämlich in einer Reitbahn, die zur Zeit der Kaiserin Anna dem Herzog von Kurland gehörte, dessen Gemächer ich bewohnte, eine kleine Bühne errichtet, und die Kaiserin, der Großfürst, sowie der ganze Hof waren anwesend. Nach dem Theater, als die Kaiserin in ihre Gemächer zurückgekehrt war, kam die Gräfin Rumianzoff zu mir und sagte, daß die Kaiserin die von mir angeordnete Verteilung der Bedienung meiner Damen mißbillige und sie Befehl habe, die Schlüssel zu meinen Juwelen aus den Händen Fräulein Jukoffs an Fräulein Schenk zurückzugeben, was sie auch in meiner Gegenwart tat. Hierauf entfernte sie sich und ließ uns, Fräulein Jukoff und mich, mit langen Gesichtern, Fräulein Schenk hingegen triumphierend über das Vertrauen der Kaiserin zurück. Bald nahm sie mir gegenüber eine anmaßende Miene an, die sie noch einfältiger, noch unliebenswürdiger machte, als sie schon war.
Merkwürdiger Zwischenfall mit dem Großfürsten. — Schlechtes Befinden meiner Mutter. — Tod Karls XII. — Ich lerne reiten. — Wir beziehen den Sommerpalast. — Verletzte Eigenliebe. — Übersiedelung nach Peterhof. — Man fängt an, von meiner Hochzeit zu sprechen. — Kindische Spielereien des Großfürsten. — Ein nächtlicher Spaziergang mit meiner Umgebung im Schloßpark. — Wie man ihn auslegt. — Falsche Anschuldigungen meiner Mutter gegen mich. — Die Kaiserin bestimmt den Tag meiner Vermählung. — Meine Hochzeit und deren Feierlichkeiten. — Abreise meiner Mutter. — Verabschiedung Fräulein Jukoffs. — Man verheiratet und verbannt sie. — Im Winterpalast. — Rücktritt der Kammerherren Berkholz und Brummer. — Maskenbälle. — Der Großfürst vertraut mir aufs neue seine Liebesabenteuer an.
In der ersten Woche der großen Fasten hatte ich eine merkwürdige Szene mit dem Großfürsten. Eines Morgens, als ich mich mit meinen Damen, die alle sehr fromm waren, in meinem Zimmer befand, um die Frühmesse zu hören, die im Vorzimmer gesungen wurde, schickte mir der Großfürst seinen Zwerg, um mich zu fragen, wie ich mich befände, und mir anzukündigen, daß er wegen der großen Fasten an diesem Tage nicht zu mir kommen könne. Der Zwerg kam gerade in dem Augenblicke, als wir im Anhören der Gebete waren und genau die Fastenvorschriften nach unserm Ritus erfüllten. Ich sandte dem Großfürsten die gebräuchliche Begrüßung zurück, und der Zwerg entfernte sich. Als er in das Zimmer seines Herrn trat, begann er, sei es nun, weil er wirklich von dem, was er gesehen, erbaut war, oder weil er dadurch seinen Herrn, der nichts weniger als fromm war, zu gleichen Uebungen bringen wollte, oder auch aus Unbesonnenheit, die in meinen Gemächern herrschende Frömmigkeit laut zu preisen, und versetzte dadurch den Großfürsten in schlechte Laune gegen mich. Als wir uns wiedersahen, schmollte er mit mir, und auf meine Frage, was ihn dazu veranlasse, schalt er mich wegen der übermäßigen Frömmigkeit, der ich mich seiner Meinung nach hingäbe. Ich erwiderte ihm, daß ich damit nur eine Pflicht erfülle, der alle sich unterzögen, und von der man sich nicht ohne Skandal freimachen könne; aber er war anderer Meinung. Dieser Streit endete wie die meisten Streite enden, nämlich damit, daß jeder auf seiner Ansicht beharrte. Da indes Seine kaiserliche Hoheit während der Messe mit niemand außer mir sprechen konnte, hörte er allmählich auf, mit mir zu schmollen.
Zwei Tage nachher hatte ich eine andere Aufregung. Am Morgen, während man die Frühmesse bei mir sang, trat Fräulein Schenk plötzlich ganz bestürzt in mein Zimmer und benachrichtigte mich, daß meine Mutter sich sehr schlecht befinde und in Ohnmacht gefallen sei. Sofort eilte ich zu ihr, die ich auf einer Matratze an der Erde liegend, aber nicht bewußtlos fand. Als ich mir die Freiheit nahm, sie zu fragen, was ihr fehle, erwiderte sie, sie habe einen Aderlaß vornehmen lassen wollen, aber der Wundarzt sei so ungeschickt gewesen, viermal vergeblich an beiden Händen und Füßen anzusetzen, und so sei sie ohnmächtig geworden. Ich wußte übrigens, daß sie den Aderlaß fürchtete, kannte indes ihren Zweck dabei ebenso wenig als ich wußte, daß sie überhaupt eines Aderlasses bedurfte. Dennoch warf sie mir vor, an ihrem Zustand wenig teilzunehmen und machte darauf ihrem Aerger durch viele unangenehme und bittere Aeußerungen Luft. Ich entschuldigte mich so gut ich konnte und gestand meine Unwissenheit ein. Da ich aber bemerkte, daß sie sehr verstimmt war, schwieg ich, versuchte meine Tränen zurückzuhalten und entfernte mich erst, als sie es mir mit bitteren Worten befahl. Weinend kehrte ich in mein Zimmer zurück, wo mich meine Kammerfrauen nach der Ursache meiner Tränen fragten. Ich sagte es ihnen ganz einfach. Meine Mutter besuchte ich mehrmals des Tages, blieb aber nur so lange dort, als ich glaubte, ihr nicht lästig zu fallen, denn das war ein Hauptpunkt bei ihr, an den ich mich vollkommen gewöhnt hatte. Und in meinem ganzen Leben habe ich nichts mehr vermieden, als jemand zur Last zu fallen, so daß ich mich immer sofort zurückzog, wenn in meinem Geiste der Argwohn entstand, ich könne unbequem werden und Langeweile erregen. Aber ich weiß auch aus Erfahrung, daß nicht alle demselben Grundsatz huldigen, denn meine eigene Geduld ist oft hart von Personen auf die Probe gestellt worden, die sich nicht zu entfernen wußten, bevor sie lästig fielen oder langweilig wurden.
Während der Fastenzeit erlebte auch meine Mutter einen wahrhaften Schmerz. In einem Augenblick, wo sie es am wenigsten erwartete, erhielt sie die Nachricht, daß meine jüngste Schwester Elisabeth im Alter von ungefähr vier Jahren plötzlich gestorben sei. Darüber war sie sehr traurig, und auch ich beweinte sie.
Einige Tage darauf sah ich eines schönen Morgens die Kaiserin in mein Zimmer treten. Sie ließ meine Mutter rufen und ging mit ihr in mein Ankleidezimmer, wo sie eine lange Unterredung miteinander hatten. Dann kehrten sie in mein Schlafzimmer zurück, meine Mutter mit geröteten, tränenerfüllten Augen. Aus der Fortsetzung des Gesprächs vernahm ich, daß es sich um den Tod Kaiser Karls XII. aus dem Hause Bayern handelte, den man der Kaiserin soeben mitgeteilt hatte. Elisabeth war damals noch ohne Allianz und schwankte zwischen der des Königs von Preußen und der des österreichischen Hauses — jede von beiden hatte ihre Parteigänger. Die Kaiserin hatte dieselben Beschwerden gegen Oesterreich wie gegen Frankreich geführt. Mit letzterem war der König von Preußen verbunden, und Marquis Botta, der Gesandte des Wiener Hofes, mußte wegen übler Nachrede über die Kaiserin Rußland verlassen, was man seinerzeit als eine Verschwörung darzustellen suchte. Aus ähnlichen Ursachen war auch der Marquis de La Chétardie fortgeschickt worden. Ich kenne den Zweck dieser Unterredung zwar nicht, aber meine Mutter schien große Hoffnungen daraus zu schöpfen, denn sie sah sehr befriedigt darauf zurück. Sie neigte sich damals durchaus nicht auf die Seite Oesterreichs. Was mich betrifft, so war ich bei all diesen Dingen ein sehr passiver, sehr diskreter und fast gleichgültiger Zuschauer.
Nach Ostern, als der Frühling eingekehrt war, erklärte ich der Gräfin Rumianzoff mein Verlangen, reiten zu lernen, und sie verschaffte mir von der Kaiserin die Erlaubnis dazu. Beim Wechsel der Jahreszeit aber begann ich wieder Brustschmerzen zu fühlen; überhaupt war ich nach der Brustfellentzündung sehr matt geblieben. Die Aerzte rieten mir daher, jeden Morgen heiße Milch und Selterwasser zu trinken. Im Hause der Rumianzoff, in der Kaserne des Regiments Ismailofski, nahm ich meine erste Reitstunde. Ich hatte zwar schon öfters in Moskau auf einem Pferde gesessen, aber sehr schlecht.
Im Mai bezog die Kaiserin mit dem Großfürsten den Sommerpalast. Meiner Mutter und mir wies man ein steinernes Gebäude an, welches damals an der Fontanka lag, nahe beim Hause Peters I. Meine Mutter bewohnte darin den einen Flügel und ich den andern. Hier hörten alle Aufmerksamkeiten des Großfürsten für mich auf. Er ließ mir ganz einfach durch seinen Bedienten sagen, daß er zu weit von mir entfernt wohne, um mich oft besuchen zu können, und nur zu gut fühlte ich, wie wenig ihm daran lag, aber auch wie wenig Zuneigung ich selbst für ihn empfand. Meine Eigenliebe und Eitelkeit seufzten wohl im stillen, doch ich war zu stolz, um mich zu beklagen, denn ich würde es als eine Erniedrigung betrachtet haben, wenn man mir Freundschaft bewiesen, die ich hätte für Mitleid nehmen müssen. Wenn ich aber allein war, vergoß ich viele Tränen, trocknete sie dann ganz heimlich und begann mit meinen Damen zu scherzen. Auch meine Mutter behandelte mich sehr kalt und förmlich, obgleich ich nie unterließ, mehrere Male am Tage zu ihr zu gehen. Im Grunde fühlte ich eine große Einsamkeit in mir, aber ich hütete mich, davon zu sprechen. Eines Tages indes bemerkte Fräulein Jukoff meine Tränen und fragte mich nach der Ursache. Ohne ihr die wahren Gründe mitzuteilen, gab ich ihr eine ausweichende Antwort. Mehr als je bemühte ich mich, die Zuneigung aller zu gewinnen; groß und klein, niemand wurde von mir vernachlässigt. Ich machte es mir zur Pflicht, zu denken, daß ich Aller einmal bedürfen könnte, und wollte daher alles tun, mir Wohlwollen zu erwerben, was mir in der Tat auch gelang. Nach einem Aufenthalt von wenigen Tagen im Sommerpalast, wo man von den Vorbereitungen zu meiner Hochzeit zu sprechen anfing, siedelte der Hof nach Peterhof über. Hier wohnten wir näher beisammen, als in der Stadt.
Die Kaiserin und der Großfürst bewohnten den oberen Teil des Hauses, welches Peter I. gebaut hatte, meine Mutter und ich hatten die unteren Gemächer des Großfürsten inne. Wir dinierten jeden Tag mit ihm unter einem Zelte auf der offenen, an seine Wohnung stoßenden Galerie, des Abends aber speiste er bei uns. Die Kaiserin war sehr oft abwesend, indem sie bald dieses, bald jenes ihrer Landhäuser besuchte. Wir gingen viel spazieren, unternahmen fleißig Spazierritte und Wagenfahrten. Damals wurde es mir erst recht klar, daß die ganze Umgebung des Großfürsten, und besonders seine Lehrer, alle Achtung und Autorität bei ihm verloren hatten. Die militärischen Spiele, die er früher nur heimlich ausübte, führte er jetzt gewissermaßen in ihrem Beisein aus. Graf Brummer und sein erster Lehrer sahen ihn fast nur noch bei öffentlichen Gelegenheiten. Die ganze übrige Zeit brachte er buchstäblich in der Gesellschaft von Kammerdienern zu, mit für sein Alter unerhörten Kindereien, denn er spielte mit Puppen.
Meine Mutter benutzte die häufige Abwesenheit der Kaiserin dazu, in den umliegenden Landhäusern, besonders aber beim Prinzen und der Prinzessin von Hessen-Homburg, zu soupieren. Eines Abends, als sie eben dorthin geritten war, reizte mich das schöne Wetter, mein Zimmer, welches mit dem Garten in gleicher Höhe lag, und aus dem eine Tür hinausführte, zu verlassen. Ich schlug meinen Kammerfrauen und meinen drei Ehrendamen vor, einen Spaziergang im Garten zu machen. Und es kostete keine Mühe, sie zu überreden. Wir waren unserer acht, mein Kammerdiener der neunte, außerdem folgten uns zwei Bediente. Auf die unschuldigste Weise von der Welt spazierten wir bis Mitternacht umher. Nach der Rückkehr meiner Mutter jedoch hatte Fräulein Schenk, die uns nicht hatte begleiten wollen und über unsern Spaziergang brummte, nichts eiligeres zu tun, als derselben zu melden, daß ich trotz ihrer Vorstellungen hinausgegangen sei. Meine Mutter ging zu Bett, und als ich mit meiner Begleitung zurückkam, sagte mir Fräulein Schenk mit triumphierender Miene, meine Mutter habe zweimal fragen lassen, ob ich wieder da sei, weil sie mit mir sprechen wolle, da es aber so spät sei und sie müde geworden, mich zu erwarten, sei sie zu Bett gegangen. Ich eilte sofort zu ihr, fand indes die Tür verschlossen. Ich sagte darauf Fräulein Schenk, daß sie mich doch hätte rufen lassen können, sie aber behauptete, nicht gewußt zu haben, wo wir uns befanden. Dies alles hatte weiter keinen andern Zweck, als mich in Zänkereien zu verwickeln und mich auszuschelten. Das merkte ich nur zu gut und ging aufgeregt schlafen. Am folgenden Morgen, gleich nachdem ich aufgestanden war, ging ich zu meiner Mutter, die noch im Bett lag. Ich näherte mich ihr, um ihr die Hand zu küssen, doch zürnend zog sie dieselbe zurück und schalt mich schrecklich aus, daß ich gewagt, am Abend ohne ihre Erlaubnis spazieren zu gehen. Als ich erwiderte, sie sei nicht zu Hause gewesen, erklärte sie, es sei überhaupt eine unpassende Zeit, und tausend andere Dinge, scheinbar um mir die Lust zu nächtlichen Spaziergängen zu nehmen. Sicherlich war unser Spaziergang eine Unvorsichtigkeit gewesen, doch die unschuldigste Sache von der Welt. Was mich am meisten betrübte, war die Beschuldigung, wir seien in den Gemächern des Großfürsten gewesen. Ich erklärte dies für eine abscheuliche Verleumdung, worüber sie vor Zorn fast außer sich geriet. Es half mir nichts, daß ich auf die Knie fiel, ihren Unwillen zu beschwichtigen, denn das alles, sagte sie, sei nur Komödie, und jagte mich aus dem Zimmer.
Weinend kehrte ich in meine Gemächer zurück. Zur Essenszeit ging ich indes mit meiner Mutter, die immer noch sehr aufgebracht war, zum Großfürsten hinauf. Er fragte mich, was mir fehle, da meine Augen vom Weinen noch ganz rot wären. Ich erzählte ihm einfach, was geschehen, und diesmal ergriff er meine Partei und klagte meine Mutter der Laune und Heftigkeit an. Ich bat ihn jedoch, nicht mit ihr davon zu reden, und er folgte meinem Rat, so daß ihr Zorn allmählich vorüberging, aber sie behandelte mich fortwährend mit großer Kälte. Ende Juli kehrten wir von Peterhof in die Stadt zurück, wo alles sich auf die Hochzeitsfeier vorbereitete.
Endlich wurde der 21. August von der Kaiserin Elisabeth für diese Zeremonie festgesetzt. Je näher der Tag kam, desto tiefer wurde mein Trübsinn. Mein Herz sagte mir kein großes Glück voraus: nur der Ehrgeiz hielt mich aufrecht. Im Grunde meines Herzens fühlte ich ein geheimes Etwas, welches mich nie einen Augenblick zweifeln ließ, daß ich früher oder später souveräne Kaiserin von Rußland in eigener Machtvollkommenheit werden würde.
Die Hochzeit ging mit viel Glanz und Pomp vor sich. Abends fand ich in meinem Zimmer Madame Kruse, die Schwester der ersten Kammerfrau der Kaiserin, welche diese mir als erste Kammerfrau beigegeben hatte. Schon am nächsten Tage aber merkte ich, daß diese Frau alle meine Mädchen in Furcht hielt, denn als ich mich einer von ihnen näherte, um mit ihr zu reden, sagte sie ängstlich zu mir:»Um Gottes willen, kommen Sie mir nicht zu nahe, man hat uns verboten, halblaut mit Ihnen zu sprechen. «Anderseits bekümmerte sich mein lieber Gemahl durchaus nicht um mich, sondern war fortwährend mit dem Einexerzieren seiner Diener beschäftigt, die er in seinem Zimmer einübte, wobei er zwanzigmal in einem Tage die Uniform wechselte. Da ich mit niemand sprechen konnte, gähnte ich, langweilte mich, oder war bei öffentlichen Festlichkeiten zugegen. Am dritten Tag nach meiner Hochzeit, der ein Ruhetag sein sollte, ließ mir die Gräfin Rumianzoff sagen, daß die Kaiserin sie ihrer Stellung bei mir enthoben habe, und sie deshalb in ihr Haus zu ihrem Gemahl und ihren Kindern zurückkehre. Ich bedauerte diese Nachricht nicht allzusehr, denn unser Verhältnis war stets ein gespanntes gewesen.
Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauerten zehn Tage. Dann bezogen wir, der Großfürst und ich, den Sommerpalast, wo die Kaiserin wohnte. Schon begann man von der Abreise meiner Mutter zu sprechen, die ich seit meiner Verheiratung seltener sah. Sie war übrigens seit dieser Zeit weit freundlicher gegen mich. Gegen Ende September reiste sie ab. Der Großfürst und ich begleiteten sie bis Krasnoie-Selo. Ihre Abreise betrübte mich aufrichtig, und ich weinte viel. Nachdem sie fort war, kehrten wir in die Stadt zurück. Bei meiner Ankunft im Schloß fragte ich nach Fräulein Jukoff, und man sagte mir, sie sei zu ihrer Mutter gegangen, welche krank geworden wäre. Am nächsten Tag dieselbe Frage meinerseits, die gleiche Antwort von meinen Frauen. Gegen Mittag zog die Kaiserin mit großem Pomp aus dem Sommerpalast in den Winterpalast, und wir folgten ihr in ihre Gemächer. In ihrem Paradeschlafzimmer angelangt, blieb sie stehen und begann nach einigen gleichgültigen Bemerkungen von der Abreise meiner Mutter zu sprechen, indem sie mich freundlich aufforderte, meinen Schmerz darüber zu bezwingen. Aber ich glaubte aus den Wolken zu fallen, als sie mir in Gegenwart von etwa dreißig Personen sagte, daß sie auf Bitten meiner Mutter Fräulein Jukoff entlassen habe, weil meine Mutter fürchtete, ich möchte eine zu große Zuneigung zu einem Mädchen fassen, welches dieselbe so wenig verdiene. Hierauf begann sie mit auffallender Lebhaftigkeit von der armen Jukoff zu sprechen.
Natürlich war ich durchaus nicht von dieser Szene erbaut, noch von den Gründen Ihrer Majestät, sondern tief betrübt über das Unglück des Fräulein Jukoff, die einzig und allein deshalb vom Hofe entfernt wurde, weil sie mir durch ihr geselliges Wesen besser zusagte, als meine andern Frauen. Und warum, fragte ich mich, hat man sie mir denn erst gegeben, wenn sie ihrer Stellung nicht würdig war? Meine Mutter konnte sie nicht kennen, konnte nicht einmal mit ihr sprechen, da sie nicht russisch verstand und die Jukoff keine andere Sprache kannte; folglich mußte sie sich nur an das alberne Gerede der Schenk halten, die kaum gesunden Menschenverstand halte. Dies Mädchen leidet für mich, dachte ich, deshalb darf ich es nicht in ihrem Unglück verlassen, dessen Ursache nur meine Zuneigung zu ihm war. Ich bin indes niemals imstande gewesen, zu entdecken, ob meine Mutter die Kaiserin wirklich gebeten hatte, jene Dame von mir zu entfernen. Wenn sie es dennoch getan, so muß meine Mutter den Weg der Milde dem der Heftigkeit vorgezogen haben, denn niemals hat sie über diesen Gegenstand ein Wort mit mir gesprochen. Uebrigens hätte ein Wort von ihr genügt, mich wenigstens auf eine im Grunde sehr unschuldige Zuneigung aufmerksam zu machen. Anderseits hätte auch die Kaiserin in einer etwas weniger schroffen Weise eingreifen können. Das Mädchen war jung; es hätte nur an ihr gelegen, eine passende Partie für sie zu finden, was sehr leicht gewesen wäre; aber statt dessen geschah, was ich erzählt habe.
Nachdem die Kaiserin uns verabschiedet hatte, gingen wir, der Großfürst und ich, in unsere Gemächer. Auf dem Wege dahin merkte ich, daß Elisabeth ihren Herrn Neffen von dem Vorgefallenen in Kenntnis gesetzt hatte. Ich gab ihm aber trotzdem meine Einwürfe dagegen zu verstehen und ließ ihn fühlen, daß das Mädchen unglücklich sei, einzig und allein, weil man argwöhnte, ich empfinde für sie eine besondere Vorliebe. Auch sagte ich ihm, daß ich, da sie aus Liebe zu mir litt, es für meine Pflicht hielt, sie nicht zu verlassen, so weit dies von mir abhinge. Ich schickte ihr deshalb sofort durch meinen Kammerdiener etwas Geld, doch er kam mit der Nachricht zurück, daß sie schon mit ihrer Mutter und Schwester nach Moskau abgereist sei. Darauf befahl ich, ihr das Geld durch ihren Bruder, einem Gardesergeanten, zukommen zu lassen, aber auch er hatte Befehl erhalten, sich mit seiner Frau zu entfernen, und war in einem Landregimente als Offizier angestellt worden. Noch heute ist es mir unmöglich, einen annehmbaren Grund für das alles zu entdecken, und mir scheint es fast, daß man ohne Veranlassung, allein aus Kaprice, ohne einen Schimmer von Vernunft, ja selbst ohne allen Vorwand Unrecht tat. Doch blieb es dabei nicht! Durch meinen Kammerdiener und andere Leute suchte ich eine passende Partie für Fräulein Jukoff zu finden. Man schlug mir einen Gardeunterleutnant aus adeliger Familie mit ziemlich viel Vermögen vor. Er reiste nach Moskau, um sich mit ihr, wenn sie ihm gefiele, zu vermählen, heiratete sie auch und wurde Leutnant in einem Landregimente. Sobald die Kaiserin aber davon hörte, verbannte sie beide nach Astrachan. Für eine solch hartnäckige Verfolgung Gründe zu finden, ist schwer.
Im Winterpalast bewohnten wir die Gemächer, welche wir schon früher innegehabt hatten. Die des Großfürsten waren von den meinigen durch eine mächtige Treppe getrennt, die auch zu den Zimmern der Kaiserin führte. Um zu ihm oder zu mir zu gelangen, mußte man den Vorplatz dieser Treppe überschreiten, was zumal im Winter nicht eben bequem war. Dennoch machten wir diesen Weg jeden Tag ein paarmal. Abends ging ich zum Spiel mit dem Kammerherrn Berkholz in sein Vorzimmer, während der Großfürst im andern Zimmer mit seinen Kavalieren herumtollte. Mein Billardspiel wurde jedoch bald durch den Rücktritt der Herren Brummer und Berkholz, welche die Kaiserin Ende des Winters 1746 aus dem Dienste des Großfürsten entließ, unterbrochen. Der Winter ging dahin mit Maskenbällen in den vornehmsten Häusern der Stadt, die damals alle sehr klein waren, woran aber der Hof und alle Honoratioren regelmäßig teilnahmen.