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Obwohl das Zimmer des Großfürsten an das meinige stieß, betrat ich es nur, wenn ich nicht überflüssig zu sein glaubte, denn ich bemerkte, daß ihm nicht viel an meiner Anwesenheit lag. Ihm war die Gesellschaft seiner Umgebung lieber, die mir durchaus nicht gefiel. Außerdem war ich nicht gewöhnt, allein unter Männern zu verkehren. Inzwischen kam die Fastenzeit heran und ich unterzog mich während der ersten Wochen den religiösen Uebungen, umsomehr, da ich gerade damals besonders zu dergleichen aufgelegt war. Ich sah deutlich, daß der Großfürst mich nicht liebte. Vierzehn Tage nach meiner Hochzeit hatte er mir von neuem anvertraut, daß er in Fräulein Carr, eine Ehrendame Ihrer Majestät, die später einen Fürsten Galitzin, den Stallmeister der Kaiserin, heiratete, verliebt sei. Dem Grafen Devierre, seinem Kammerherrn, hatte er gesagt, diese Dame sei gar nicht mit mir zu vergleichen. Und als Devierre das Gegenteil behauptete, hatte er sich mit ihm erzürnt. Diese Szene war gewissermaßen in meiner Gegenwart vor sich gegangen, und ich mußte nun ihr Schmollen mit ansehen. In der Tat sagte ich mir, daß ich mit dem Menschen sehr unglücklich werden müsse, wenn ich mich Gefühlen der Zärtlichkeit für ihn hingebe, die er so schlecht erwidere, und daß ich ohne Nutzen für irgend jemand vor Eifersucht sterben könne. So versuchte ich denn, meine Eigenliebe zu bezwingen und nicht auf einen solchen Mann eifersüchtig zu sein; aber dafür gab es nur ein Mittel: ihn nicht lieben. Wenn er hätte geliebt sein wollen, so wäre dies nicht schwer für mich gewesen; ich war von Natur geneigt, meine Pflichten zu erfüllen, aber ich hätte einen Gemahl haben müssen, der gesunden Menschenverstand besaß, und den hatte Peter nicht.
Mein Verhalten während der Fasten. — Das Marionettentheater des Großfürsten. — Eine interessante Entdeckung. — Zorn der Kaiserin Elisabeth gegen ihren Neffen. — Meine Leute finden Mittel, meine Ehrendame, Madame Kruse, betrunken zu machen. — Ernennung des Fürsten Repnin zum Begleiter des Großfürsten. — Repnins Charakter. — Madame Cschoglokoff wird zu meiner Oberhofmeisterin ernannt. — Die drei Czernitscheffs. — Reise nach Reval. — Abreise von dort nach Katharinental. — Allianzvertrag zwischen Rußland und Österreich. — Flottenmanöver. — Rückkehr nach Petersburg.
Während der ersten Woche der großen Fasten aß ich kein Fleisch. Die Kaiserin ließ mir am Sonnabend sagen, ich möchte ihr den Gefallen tun, auch noch die zweite Woche zu fasten, worauf ich Ihrer Majestät antworten ließ, ich bitte sie, mir zu erlauben, daß ich die ganze Fastenzeit innehielte. Sievers, der Hofmarschall der Kaiserin und Schwiegersohn der Madame Kruse, welcher diese Worte überbrachte, sagte mir nachher, die Kaiserin habe sich wahrhaft über diese Bitte gefreut und gewähre sie mir gern. Als der Großfürst erfuhr, daß ich fortfuhr zu fasten, schalt er mich, ich aber erwiderte ihm, ich könne nicht anders. Als er sich besser befand, spielte er noch lange Zeit den Kranken, um sein Zimmer nicht verlassen zu müssen, wo es ihm besser gefiel, als in Gesellschaft des Hofes. Erst in der letzten Fastenwoche, in der er seine religiösen Uebungen verrichten mußte, verließ er es.
Nach Ostern ließ er in seinem Zimmer ein Marionettentheater einrichten und lud dazu alle, auch die Damen ein. Diese Vorstellungen waren das Einfältigste, was man sich denken kann. Das Zimmer, worin sich dasselbe befand, besaß eine geheime Tür, welche in ein anderes zu den Gemächern der Kaiserin führendes Zimmer ging, wo ein Tisch stand, den man mittels einer Vorrichtung senken und heben konnte, um ohne Bedienung speisen zu können. Als der Großfürst eines Tages in seinem Zimmer war, um sein sogenanntes Schauspiel vorzubereiten, hörte er im anstoßenden Gemach sprechen, und da er eine etwas unbedachte Lebhaftigkeit besaß, nahm er einen Bohrer und begann damit Löcher in die geheime Tür zu bohren, so daß er alles, was drinnen vorging, namentlich das dort stattfindende Diner der Kaiserin, beobachten konnte. Der Oberjägermeister Graf Razumowski in pelzverbrämtem Schlafrocke — er hatte gerade an jenem Tage Arznei genommen — sowie ein Dutzend der intimsten Vertrauten der Kaiserin dinierten hier mit ihr. Aber der Großfürst, nicht zufrieden, für sich allein die Frucht seiner geschickten Arbeit zu genießen, rief seine ganze Umgebung herbei, um auch sie des Vergnügens teilhaftig zu machen. Nachdem er und die andern ihre Augen an diesem indiskreten Vergnügen gesättigt hatten, lud er auch Madame Kruse, mich und meine Damen ein, zu ihm zu kommen, um etwas zu sehen, was wir noch nie gesehen hätten; er verriet uns aber nicht, was es sei, scheinbar um uns eine angenehme Ueberraschung zu bereiten. Da ich mich gerade nicht sehr beeilte, dauerte es ihm in seinem Eifer zu lange und er ging mit Madame Kruse und meinen Frauen immer voraus. Als ich ankam, standen sie schon vor jener Tür, wohin er Bänke, Stühle, Schemel u.s.w. gesetzt hatte, wie er sagte, zur Bequemlichkeit der Zuschauer. Natürlich fragte ich, was dies bedeute, und er erklärte es mir. Ich war über seine Verwegenheit sehr erschrocken und aufgebracht und sagte ihm, daß ich nichts sehen, noch irgend einen Anteil an diesem ärgerlichen Vorgang haben wolle. Unzweifelhaft würde das unangenehme Folgen von seiten seiner Tante für ihn nach sich ziehen, wenn diese es erführe, und höchstwahrscheinlich werde sie es erfahren, weil er wenigstens zwanzig Personen in sein Geheimnis eingeweiht hätte. Alle, die sich hatten bereden lassen, durch die Löcher zu sehen, zogen sich nun zurück, da sie bemerkten, daß ich mich weigerte, dasselbe zu tun. Selbst der Großfürst fing an, seine Tat zu bereuen, und kehrte zu der Arbeit an seinem Marionettentheater zurück, während ich mich in mein Zimmer begab.
Bis Sonntag hörten wir von nichts reden, aber an diesem Tage geschah es, daß ich, ich weiß nicht weshalb, etwas später als gewöhnlich zur Messe kam. In mein Zimmer zurückgekehrt, wollte ich eben mein Hofkleid ablegen, als ich die Kaiserin mit sehr aufgebrachtem und hochrotem Gesichte eintreten sah. Da sie nicht zur Messe in der Kapelle gewesen war, sondern dem Gottesdienst in ihrer kleinen Privatkapelle beigewohnt hatte, ging ich ihr wie gewöhnlich entgegen, um ihr, da ich sie an diesem Tage noch nicht gesehen, die Hand zu küssen. Sie umarmte mich, befahl dann, den Großfürsten zu rufen und schalt mich unterdessen, daß ich zu spät zur Messe käme und der Toilette den Vorzug vor dem lieben Gott gäbe. Sie fügte hinzu, daß sie zur Zeit der Kaiserin Anna, obgleich sie nicht am Hofe gewohnt, sondern in einem vom Hofe ziemlich entfernten Hause, nie ihre Pflichten versäumt habe und deshalb oft bei Licht aufgestanden sei. Dann ließ sie meinen Kammerfriseur rufen und sagte ihm, wenn er mich künftig so langsam frisiere, werde sie ihn fortschicken. Nachdem sie mit diesem fertig war, trat der Großfürst, der sich in seinem Zimmer umkleidete, im Schlafrock, die Nachtmütze in der Hand sehr vergnügt und rasch ein. Er beeilte sich, der Kaiserin die Hand zu küssen, diese küßte ihn und fragte, wie er sich habe unterstehen können, zu tun, was er getan. Sie sei in das Zimmer gekommen, wo der Tisch mit der mechanischen Vorrichtung stände, habe dort die geheime Tür ganz durchlöchert gefunden und alle Löcher gerade auf den Platz gerichtet, wo sie gewöhnlich sitze. Durch ein solches Verhalten verletze er offenbar die nötige Rücksicht gegen sie, und sie könne ihn fortan nur noch als einen Undankbaren betrachten. Ihr eigener Vater, Peter I., habe auch einen undankbaren Sohn gehabt, den er durch Enterbung gestraft, und zur Zeit der Kaiserin Anna habe sie selbst dieser stets die Achtung bewiesen, welche man einem gekrönten und von Gott gesalbten Haupt schuldig sei. Jene habe keinen Spaß verstanden, und die, welche es an Respekt fehlen ließen, auf die Festung geschickt. Er sei nichts als ein dummer Junge, den sie erst Lebensart lehren müsse. Bei diesen Worten fing er an ärgerlich zu werden und stammelte einige Worte, aber sie befahl ihm, zu schweigen und wurde so heftig, daß sie in ihrem Zorne kein Maß mehr kannte, was gewöhnlich geschah, wenn sie ärgerlich war, und sagte ihm mit ebensoviel Verachtung als Wut die größten Beleidigungen ins Gesicht.
Wir waren beide ganz bestürzt und betäubt, und obgleich der ganze Auftritt nicht mich direkt betraf, so traten mir doch die Tränen in die Augen. Sie bemerkte das und sagte:»Meine Worte sind nicht an Sie gerichtet; ich weiß, daß Sie an dem, was er getan, keinen Anteil genommen, daß Sie weder durch die Türe gesehen, noch haben hindurchsehen wollen. «Diese gerechte Bemerkung beruhigte sie ein wenig, und sie schwieg — es war auch in der Tat schwer, dem, was sie gesagt, noch etwas hinzuzufügen — dann grüßte sie und entfernte sich, hochrot und mit funkelnden Augen. Der Großfürst begab sich in sein Zimmer, ich legte mein Kleid schweigend ab und sann über das Geschehene nach. Als ich ausgekleidet war, kam der Großfürst zurück und sagte in halb traurigem, halb satirischem Ton:»Sie war wie eine Furie, sie wußte nicht, was sie sagte. «Ich erwiderte:»Sie war aufs höchste erzürnt. «Und wir wiederholten uns ihre Worte, worauf wir allein in meinem Zimmer dinierten. Nachdem der Großfürst mich verlassen hatte, trat Madame Kruse ein und sagte:»Man muß gestehen, daß die Kaiserin heute wahrhaft als Mutter gehandelt hat. «Da ich aber sah, daß sie mich durchaus zum Reden zu bringen wünschte, schwieg ich erst recht. Sie fuhr fort:»Eine Mutter wird böse, schilt ihre Kinder, und dann ist die Sache abgetan. Sie hätten beide zu ihr sagen sollen: Winowatj Matjuschka (Um Verzeihung, Mutter), und Sie würden sie entwaffnet haben. «Ich antwortete, der Zorn Ihrer Majestät habe mich verwirrt und betäubt; alles, was ich in diesem Augenblick habe tun können, sei gewesen, zuzuhören und zu schweigen. Sie verließ mich, offenbar, um ihren Bericht abzustatten. Mir aber blieb das» ich bitte Sie um Verzeihung, Mutter «als Mittel, den Zorn der Kaiserin zu entwaffnen, im Gedächtnis zurück, und später habe ich, wie man sehen wird, mich seiner bei passender Gelegenheit mit Erfolg bedient.
Kurz ehe die Kaiserin den Grafen Brummer und den Oberkammerherrn Berkholz ihres Dienstes beim Großfürsten enthob, fand ich den ersteren, als ich eines Morgens mein Zimmer früher als gewöhnlich verließ, allein in meinem Vorzimmer. Er ergriff die Gelegenheit, mit mir zu reden und mich zu bitten und zu beschwören, jeden Tag regelmäßig in das Ankleidezimmer der Kaiserin zu gehen, wozu meine Mutter bei ihrer Abreise mir die Erlaubnis verschafft hatte. Ich hatte bis dahin von diesem Vorrecht sehr wenig Gebrauch gemacht, weil mich das aufs höchste langweilte. Ein- bis zweimal war ich hingegangen, hatte die Frauen der Kaiserin dort gefunden und war, als sich diese nach und nach zurückzogen, mit der Kaiserin allein geblieben. Dies erzählte ich ihm, aber er meinte, das tue nichts zur Sache, ich müßte unbedingt fortfahren. Offen gestanden begriff ich diese Beharrlichkeit des Hofmannes nicht. Ihm konnte es wohl für seine Pläne dienen, aber mir nützte es nichts, im Toilettezimmer der Kaiserin zu kratzfüßeln und ihr obendrein noch lästig zu fallen. Ich erklärte daher dem Grafen Brummer meinen Widerwillen, aber er tat alles, mich zu überreden, doch ohne Erfolg. Es gefiel mir in meinem Zimmer besser, besonders wenn Madame Kruse nicht da war. Während des Winters entdeckte ich nämlich bei ihr eine besondere Neigung zum Trunk, und da sie bald nachher ihre Tochter an den Hofmarschall Sievers verheiratete, ging sie entweder aus, oder meine Leute fanden Mittel, sie betrunken zu machen. Dann verfiel sie in tiefen Schlaf, und mein Zimmer war von dem mürrischen Argus befreit.
Nachdem Graf Brummer und der Oberkammerherr Berkholz ihrer Dienste beim Großfürsten enthoben waren, ernannte die Kaiserin den General Fürsten Basil Repnin zum Begleiter des Großfürsten. Eine bessere Wahl hätte die Kaiserin gewiß nicht treffen können, denn Fürst Repnin war nicht nur ein Mann von Ehre und Rechtschaffenheit, sondern auch ein Mensch mit viel Geist und Galanterie, voller Reinheit und Biederkeit des Charakters. Ich besonders konnte das Benehmen des Fürsten nur loben. Den Rücktritt Brummers bedauerte ich nicht allzusehr: er langweilte mich durch seine ewigen Gespräche über Politik. Er lebte nur in Intrigen, während der offene, militärische Charakter Fürst Repnins mir Vertrauen einflößte. Der Großfürst wiederum war froh, seiner bisherigen Lehrmeister, die er haßte, entledigt zu sein. Dennoch jagte ihm ihre Entfernung noch einen großen Schrecken ein, weil er nämlich dadurch den Intrigen des Grafen Bestuscheff preisgegeben wurde, welcher die Triebfeder aller unter dem bequemen Vorwande der Mündigkeit Seiner kaiserlichen Hoheit im Herzogtum Holstein vorgenommenen Veränderungen war. Prinz August, mein Onkel, befand sich noch immer in Petersburg und wartete hier auf die Verwaltung des Erblandes des Großfürsten.
Im Mai bezogen wir den Sommerpalast. Gegen Ende desselben Monats gab mir die Kaiserin Madame Tschoglokoff, eine ihrer Ehrendamen und Verwandten, als Oberhofmeisterin. Dies traf mich wie ein wahrer Donnerschlag, denn jene Dame war dem Grafen Bestuscheff sehr ergeben, äußerst einfach, dazu boshaft, launenhaft und selbstsüchtig. Ihr Gatte, Kammerherr der Kaiserin, war damals mit irgendwelchem Auftrag nach Wien geschickt worden. Als sie ihren Dienst bei mir antrat, weinte ich den ganzen Tag so heftig, daß mir am folgenden Tag zur Ader gelassen werden mußte. Am Morgen kam die Kaiserin in mein Zimmer und sagte, als sie meine rotgeweinten Augen sah, nur diejenigen jungen Frauen, welche ihre Männer nicht lieben, pflegten zu weinen. Meine Mutter jedoch habe ihr versichert, ich empfinde keinen Widerwillen, den Großfürsten zu heiraten, sonst würde sie mich nicht dazu gedrängt haben; da ich aber einmal verheiratet sei, solle ich aufhören zu weinen. Glücklicherweise erinnerte ich mich der Vorschriften, die mir Madame Kruse gegeben, und erwiderte: Winowatj Matjuschka, worauf die Kaiserin sich zufrieden gab. Inzwischen kam der Großfürst, den sie diesmal sehr freundlich empfing, dann entfernte sie sich. Man ließ mir zur Ader, was ich augenblicklich sehr bedurfte, legte mich in mein Bett, und dann weinte ich den ganzen Tag. Am andern Tag nahm der Großfürst mich beiseite, und ich bemerkte an seinen Aeußerungen, daß man ihm zu verstehen gegeben hatte, Madame Tschoglokoff sei mir beigegeben worden, weil ich ihn nicht liebe. Aber ich begreife nicht, wie man glauben konnte, meine Zärtlichkeit für ihn werde sich erhöhen, wenn man mir jene Frau beiordnete. Das sagte ich ihm auch ganz offen. Als Argus über mich zu wachen, war eine andere Sache. Dazu hätte man indes nicht eine so dumme Person wählen müssen, und sicherlich genügte es auch für ein solches Amt nicht, schlecht und böswillig zu sein. Man hielt Madame Tschoglokoff nämlich für äußerst tugendhaft, weil sie ihren Mann damals bis zur Anbetung liebte. Sie hatte ihn aus Liebe geheiratet, und mit diesem schönen Beispiel, das man mir vor Augen führte, dachte man mich vielleicht zu bewegen, dasselbe zu tun. Wir werden sehen, mit welchem Erfolg. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies der einzige Grund, der diese Aenderung in meiner Umgebung beschleunigte; ich sage beschleunigte, denn ich glaube, daß Graf Bestuscheff von Anfang an beabsichtigte, uns mit seinen Kreaturen zu umgeben. Er hätte gern mit der Umgebung der Kaiserin dasselbe getan, aber dies war nicht so leicht.
Bei meiner Ankunft in Moskau hatte der Großfürst in seinen Gemächern drei Bediente mit Namen Czernitscheff, alle drei Söhne von Grenadieren aus der Leibgarde der Kaiserin. Diese besaßen Leutnantsrang zur Belohnung dafür, daß sie der Kaiserin auf den Thron verholfen hatten. Der ältere war ein Vetter der beiden jüngeren Brüder Czernitscheff, und der Großfürst liebte sie alle drei sehr. Sie waren äußerst vertraut mit ihm und zu jedem Dienst gern bereit. Alle drei waren groß und wohlgebaut, besonders der älteste. Dieses jungen Mannes bediente sich der Großfürst zu allen seinen Aufträgen und schickte ihn täglich mehrere Male zu mir. Ihm vertraute er sich auch an, wenn er keine Lust hatte, zu mir zu kommen, um sein Herz auszuschütten.
Czernitscheff war ein sehr intimer Freund meines Kammerdieners Nevreinoff, und durch diesen erfuhr ich denn oft manches, was mir sonst unbekannt geblieben wäre. Dazu waren mir beide von ganzem Herzen ergeben, so daß ich über viele Dinge Aufklärung von ihnen gewann, die ich auf andere Weise mir nicht ohne Mühe hätte verschaffen können. Ich weiß nicht, in welcher Beziehung der ältere Czernitscheff dem Großfürsten eines Tages gesagt hatte:» Wasch Schenich, sie ist nicht meine Verlobte, sondern die Ihre. «Dieser Einfall machte dem Großfürsten viel Spaß; er erzählte ihn mir, und seitdem gefiel es Seiner kaiserlichen Hoheit, mich jewo newiesta, seine Verlobte, und Andreas Czernitscheff, wenn er mit mir von ihm sprach, Wasch Schenich, Ihren Verlobten zu nennen. Um aber endlich mit diesem Scherz ein Ende zu machen, schlug Andreas Czernitscheff Seiner kaiserlichen Hoheit vor, mich nach unserer Verheiratung Matjuschka, seine Mutter, zu nennen, und ich nannte ihn Sünock moi, meinen Sohn. Von dieser Zeit an war zwischen dem Großfürsten und mir fortwährend die Rede von diesem Sohn, den er wie seinen Augapfel liebte, und dem auch ich sehr zugetan war.
Doch mit der Zeit wurden meine Leute mißtrauisch; die einen aus Eifersucht, die andern aus Furcht vor den Folgen, welche für sie und uns daraus entstehen konnten. Eines Tages, als bei Hofe ein Maskenball stattfand, kehrte ich in mein Zimmer zurück, um meine Kleider zu wechseln. Plötzlich trat mein Kammerdiener Nevreinoff zu mir heran und flüsterte mir zu, er sowohl als alle meine Untergebenen seien in großer Angst vor der Gefahr, in welche sie mich über kurz oder lang stürzen sähen. Und als ich ihn fragte, was für eine Gefahr er meine, erwiderte er:»Sie sprechen von nichts und beschäftigen sich mit nichts, als mit Andreas Czernitscheff.«»Nun, «sagte ich in der Unschuld meines Herzens,»was ist denn Schlimmes dabei? Er ist mein Sohn; der Großfürst liebt ihn ebenso sehr als ich, und er ist uns ergeben und treu.«—»Ja, «antwortete er,»das ist wahr, der Großfürst kann tun, was ihm gefällt, aber Sie haben nicht dasselbe Recht. Was Sie Güte und Zuneigung nennen, weil dieser Mensch Ihnen treu dient, das nennen Ihre Leute Liebe. «Als er das Wort ausgesprochen, was mir nie in den Sinn gekommen war, trafen mich sowohl das verwegene Urteil als die Lage, in der ich mich, ohne es zu ahnen, befand, wie der Blitz. Nevreinoff sagte mir dann noch, daß er seinem Freunde Andreas Czernitscheff geraten habe, sich für krank auszugeben, um diesem Geschwätz ein Ende zu machen. Jener folgte dem Rate Nevreinoffs, und seine angebliche Krankheit zog sich bis zum April hinaus. Der Großfürst beschäftigte sich mit dieser Krankheit sehr viel und sprach oft mit mir darüber, ohne von dem Vorgefallenen das geringste zu ahnen. Erst als wir den Sommerpalast bezogen hatten, erschien Czernitscheff wieder, und ich konnte ihn nicht ohne Verwirrung ansehen. Inzwischen hatte es die Kaiserin für gut befunden, eine neue Anordnung mit den Hofbeamten zu treffen. Sie hatten jetzt alle abwechselnd Dienst in den inneren Gemächern, folglich auch Andreas Czernitscheff. Nachmittags gab der Großfürst oft Konzerte, wobei er selbst die Violine spielte. Während eines dieser Konzerte, in dem ich mich schrecklich langweilte, zog ich mich in mein Zimmer zurück, das nach dem großen Saal des Sommerpalastes führte, dessen Decke damals gemalt wurde, und der infolgedessen ganz voll Geräte stand. Die Kaiserin war abwesend, Madame Kruse war zu ihrer Tochter, Madame Sievers, gegangen, und so fand ich keine Menschenseele in meinem Zimmer. Aus Langeweile öffnete ich die Tür des Saales und erblickte am andern Ende Andreas Czernitscheff. Ich gab ihm ein Zeichen, sich mir zu nähern, worauf er mit großer Besorgnis bis zur Tür kam. Als ich ihn fragte, ob die Kaiserin bald zurückkehren werde, erwiderte er:»Ich kann nicht mit Ihnen reden, man macht im Saale zu viel Lärm, lassen Sie mich in Ihr Zimmer eintreten. «Allein ich antwortete ihm:»Das werde ich nicht tun. «So stand er außerhalb und ich innerhalb der Tür, die ich halbgeöffnet hielt, während ich mit ihm sprach. Unwillkürlich sah ich nach der entgegengesetzten Seite und erblickte hinter mir an der andern Tür meines Toilettezimmers den Kammerherrn Grafen Devierre, der mir sagte:»Der Großfürst schickt nach Ihnen, Madame. «Ich schloß die Tür und kehrte mit dem Grafen Devierre in das Zimmer zurück, wo der Großfürst sein Konzert gab. Später indes erfuhr ich, daß Graf Devierre, sowie noch viele andere Personen unserer Umgebung eine Art von beauftragten Berichterstattern spielten. Am folgenden Tage, es war Sonntags, nach der Messe erfuhren der Großfürst und ich, daß die drei Czernitscheffs als Leutnants in die bei Orenburg liegenden Regimenter versetzt seien, und am Nachmittag desselben Tages wurde mir Madame Tschoglokoff beigegeben.
Kurz darauf erhielten wir den Befehl, uns zur Begleitung der Kaiserin auf ihrer Reise nach Reval vorzubereiten. Gleichzeitig meldete mir Madame Tschoglokoff von seiten Ihrer Majestät, daß sie mich in Zukunft meiner Besuche in ihrem Ankleidezimmer enthebe. Wenn ich ihr etwas zu sagen habe, so solle ich dies durch niemand anders tun, als durch sie, Madame Tschoglokoff. Im Grunde meines Herzens war ich sehr froh über diesen Befehl, der mich davon befreite, vor den Frauen der Kaiserin zu kratzfüßeln; übrigens ging ich sehr selten hin und sah Ihre Majestät fast nie. Seit meinem ersten Besuch hatte sie sich mir höchstens drei- oder viermal gezeigt. Gewöhnlich verließen dann auch allmählich die Frauen der Kaiserin das Zimmer, so daß ich ebenfalls, um nicht allein zu sein, nie lange dort blieb.
Im Juni reiste die Kaiserin nach Reval, und wir begleiteten sie. Der Großfürst und ich fuhren in einem viersitzigen Wagen zusammen mit dem Prinzen August und Madame Tschoglokoff. Unsere Art zu reisen war weder bequem noch angenehm. Die Post- oder Stationshäuser wurden von der Kaiserin in Anspruch genommen, während man uns Zelte zur Verfügung stellte, oder uns in die Bureaus einquartierte. Ich erinnere mich, daß ich mich eines Tages auf dieser Reise bei dem Ofen ankleiden mußte, wo man eben Brot gebacken hatte, und daß ein anderesmal in dem Zelte, wo mein Bett sich befand, das Wasser einen halben Fuß hoch stand, als ich eintrat. Da außerdem die Kaiserin keine bestimmte Zeit, weder für die Abreise, noch für die Ankunft, noch für die Mahlzeiten und die Ruhestunden festsetzte, waren wir alle, Herren sowie Diener, außerordentlich abgespannt.
Endlich, nach zehn oder zwölf Tagen, langten wir auf einem Gute des Grafen Steinbock, vierzig Werst von Reval, an, von wo indes die Kaiserin mit feierlichem Gepränge wieder abfuhr, weil sie noch am Abend in Katharinental eintreffen wollte. Aber aus irgendwelchem mir unbekannten Grunde verlängerte sich die Reise bis halb zwei Uhr morgens.
Während der ganzen Fahrt von Petersburg nach Reval langweilte und verstimmte Madame Tschoglokoff unsere Gesellschaft. Was man auch sagen mochte, stets erwiderte sie:»Solch eine Unterhaltung würde Ihrer Majestät mißfallen;«oder:»So etwas würde die Kaiserin nicht billigen. «Und doch waren es oft die unschuldigsten und gleichgültigsten Dinge, die sie auf diese Weise rügte. Was mich betraf, so faßte ich meinen Entschluß: ich schlief während der ganzen Reise.
Gleich am nächsten Tage nach unserer Ankunft in Katharinental begann der gewöhnliche Gang des Hoflebens, das heißt es wurde vom Morgen bis zum Abend und bis tief in die Nacht hinein ziemlich hoch im Vorzimmer der Kaiserin gespielt. Madame Tschoglokoff liebte das Spiel sehr und forderte mich auf, ebenfalls Pharo zu spielen. Hier waren gewöhnlich alle Günstlinge der Kaiserin versammelt, wenn sie sich nicht im Zimmer Ihrer Majestät, oder vielmehr in ihrem Zelte befanden. Sie hatte nämlich ein sehr großes und prächtiges Zelt neben ihren Gemächern aufschlagen lassen, die sich zu ebener Erde befanden und sehr klein waren, wie Peter I. sie gewöhnlich baute. Denn er hatte dies Landhaus errichtet und den Garten angelegt.
Der Fürst und die Fürstin Repnin, die an der Reise ebenfalls teilnahmen und von dem anmaßenden, unverständigen Wesen Madame Tschoglokoffs während der ganzen Reise unterrichtet waren, forderten mich auf, der Gräfin Schuwaloff und Madame Ismailoff, den beiden vertrautesten Damen der Kaiserin, davon Mitteilung zu machen. Diese liebten Madame Tschoglokoff nicht und wußten bereits, was vorgefallen war. Die kleine Gräfin Schuwaloff, welche die Indiskretion selber war, wartete aber gar nicht erst, bis ich ihr davon sprach, sondern begann, als sie beim Spiel an meiner Seite saß, selbst mit mir davon zu reden, wobei sie durch ihren scherzhaften Ton das Benehmen der Tschoglokoff so ins Lächerliche zog, daß diese bald zum Gegenstande allgemeinen Spottes wurde. Ja, sie tat noch mehr, sie erzählte der Kaiserin, was sich ereignet hatte. Augenscheinlich wurde Madame Tschoglokoff ein Verweis erteilt, denn sie milderte ihren Ton gegen mich zusehends. Und in der Tat bedurfte ich dessen sehr nötig, denn ich fing an, eine große Neigung zur Melancholie zu spüren. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Der Großfürst faßte in Reval eine vorübergehende Neigung zu einer Dame Namens Cédéraparre und verfehlte natürlich nicht, seiner Gewohnheit gemäß, mich sofort ins Vertrauen zu ziehen.
Da ich häufig an Brustschmerzen litt und in Katharinental Blut ausgeworfen hatte, ließ man mir zur Ader. Am Nachmittag trat Madame Tschoglokoff in mein Zimmer und fand mich mit verweinten Augen. Mit bedeutend freundlicherem Ausdruck fragte sie mich, was mir fehle, und schlug mir seitens der Kaiserin vor, einen Spaziergang in den Garten zu machen, um, wie sie sagte, meine Hypochondrie zu zerstreuen. Außerdem händigte sie mir von Ihrer Majestät 3000 Rubel zum Pharospiel ein, denn die Damen hatten gemerkt, daß es mir an Geld fehle, und es der Kaiserin gesagt. Ich bat sie, Ihrer kaiserlichen Majestät für ihre Güte zu danken und ging mit Madame Tschoglokoff im Garten spazieren, um frische Luft zu schöpfen. Der Großfürst war an diesem Tage mit dem Oberjägermeister Razumowski auf der Jagd.
Einige Tage nach unserer Ankunft in Katharinental traf der Großkanzler Graf Bestuscheff ein in Begleitung des kaiserlichen Gesandten Baron Preyslein. Aus den Glückwünschen, welche er uns darbrachte, konnten wir ersehen, daß sich die beiden kaiserlichen Höfe durch einen Allianzvertrag vereinigt hatten. Hierauf begab sich die Kaiserin zum Flottenmanöver, doch mit Ausnahme des Pulverdampfes sahen wir nichts. Der Tag war ausnehmend heiß und es herrschte vollkommene Windstille. Nach der Rückkehr von diesem Manöver fand in den auf der Terrasse aufgeschlagenen Zelten der Kaiserin ein Ball statt. Das Souper wurde unter freiem Himmel um ein Bassin serviert, wo Fontainen springen sollten; aber kaum hatte sich die Kaiserin zu Tisch gesetzt, als ein Platzregen die ganze Gesellschaft durchnäßte. Alles flüchtete dann so gut es ging in die Häuser und Zelte, und so endete das schöne Fest.
Einige Tage darauf begab sich die Kaiserin nach Roguervick. Auch hier manövrierte die Flotte, und wir sahen wieder nichts als Dampf. Bei dieser Reise verletzten wir uns alle die Füße auf eigentümliche Weise. Der Boden dieser Gegend ist vollkommen felsig und von einer dicken Schicht kleiner Kieselsteine bedeckt, in welche, wenn man längere Zeit auf derselben Stelle steht, die Füße einsinken und von den Kieseln bedeckt werden. Da wir dort unsere Zelte aufgeschlagen hatten, waren wir genötigt, mehrere Tage hindurch auf diesem Boden zu gehen, wovon mir meine Füße noch vier Monate nachher weh taten. Die Galeerensklaven, welche an dem Hafendamme arbeiteten, brachten uns wohl Holzschuhe, aber auch diese hielten nicht länger als acht bis zehn Tage.
Der kaiserlich österreichische Gesandte war ebenfalls Ihrer Majestät nach diesem Hafen gefolgt und dinierte und soupierte mit ihr auf dem Wege zwischen Roguervick und Reval.
Bei der Rückkehr nach Katharinental hatte Madame Tschoglokoff das Vergnügen, ihren Gemahl zu treffen, der von seiner Sendung nach Wien zurückgekehrt war. Obgleich sich auf dem Wege nach Riga, wohin sich die Kaiserin begeben wollte, schon viele Hofequipagen befanden, die der Kaiserin entgegen kamen, änderte sie plötzlich, nachdem sie in Roguervick gewesen, ihren Plan. Man zerbrach sich den Kopf über die Ursache dieser Aenderung, aber erst viele Jahre später sollte sich dieselbe aufklären. Als Herr Tschoglokoff nämlich durch Riga gekommen war, hatte ihm ein lutherischer Pastor, der entweder ein Narr oder ein Fanatiker war, einen Brief mit einer Denkschrift überreicht, worin er die Kaiserin beschwor, die Reise nicht zu unternehmen, weil sie sich auf derselben der größten Gefahr aussetzen würde, denn die Feinde des Reichs hätten Leute gedungen, sie dort zu töten, und dergleichen Geschwätz mehr. Der Empfang dieser Schrift verdarb Ihrer Majestät die ganze Lust, weiter zu reisen, und, obgleich es sich herausstellte, daß der Geistliche ein Irrsinniger war, fand die Reise nicht statt.
So kehrten wir in kleinen Tagereisen von Reval nach Petersburg zurück. Ich bekam auf dieser Reise eine heftige Halskrankheit, die mich mehrere Tage ans Bett fesselte. Hierauf begaben wir uns nach Peterhof und machten von dort alle acht Tage Ausflüge nach Oranienbaum.
Befehl der Kaiserin, das Abendmahl zu nehmen. — Die Kompagnie des Großfürsten in Oranienbaum. — Langweiliges Leben in Oranienbaum. — Ich tröste mich mit meinen Büchern. — Amüsanter Winter in Petersburg. — Reise nach Tischwin. — Der kaiserliche Favorit Razumowski. — Tschoglokoff. — Tod der Fürstin Gagarin. — Im Sommerpalast. — Verschiedene Verabschiedungen. — Reise nach Gostilitza. — Tod meines Vaters. — Man verbietet mir, ihn länger als acht Tage zu beweinen. — Intrige Bestuscheffs. — Die Meute des Großfürsten. — Er spielt mit Puppen und anderem Spielzeug. — Man verbietet uns, mit unserer Umgebung halblaut zu sprechen. — Der Hundestall neben unserm Schlafzimmer. — Maskenbälle in meinen Gemächern. — Ungnade Repnins. — Die Kaiserin macht mir Vorwürfe. — Ich bekomme die Masern.
Zu Anfang August ließ die Kaiserin dem Großfürsten und mir sagen, daß wir zum Abendmahl gehen sollten. Wir entsprachen beide ihren Wünschen und begannen sogleich die Frühmette und Vesper bei uns singen zu lassen, sowie täglich in die Messe zu gehen. Am Freitag, als es sich darum handelte, die Beichte abzulegen, klärte sich denn auch die Ursache zu diesem Befehl auf. Simon Theodorski, der Bischof von Pleskow, fragte uns nämlich beide, natürlich jeden besonders, was zwischen den Czernitscheffs und uns vorgegangen sei. Aber da absolut nichts vorgefallen war und er sah, daß wir ihm offen und unschuldig erklärten, auch nicht ein Schatten von dem, was man gewagt habe, anzunehmen, sei begründet, ward er ein wenig verlegen. Und es entschlüpften ihm gegen mich die Worte:»Aber woher kommt es, daß die Kaiserin vom Gegenteil überzeugt ist?«worauf ich ihm antwortete, ich wisse es nicht. Ich glaube sicher, daß unser Beichtvater unsere Geständnisse dem Beichtvater der Kaiserin mitteilte und dieser sie Ihrer Majestät übermittelte, was nicht zu unserem Nachteile geschah. Wir nahmen das Abendmahl am Sonnabend und gingen am Sonntag auf acht Tage nach Oranienbaum, während Elisabeth einen Ausflug nach Zarskoje Selo machte.
Sobald wir in Oranienbaum angekommen waren, bildete der Großfürst aus seinem ganzen Gefolge eine Kompagnie. Die Kammerherren, Kammerkavaliere, Hofchargen, die Adjutanten des Fürsten Repnin, ja sogar dessen Sohn, die Hofbedienten, Jäger, Gärtner, alle, alle mußten sie das Gewehr über die Schulter nehmen. Seine kaiserliche Hoheit exerzierte sie täglich und ließ sie auf die Wache ziehen; der Korridor des Hauses diente ihnen als Wachtstube, wo sie den Tag verbrachten. Zu den Mahlzeiten gingen die Kavaliere hinauf, und abends kamen sie in den Saal, um so, wie sie waren, in Gamaschen, gestiefelt und gespornt, zu tanzen, von Damen waren nur ich, Madame Tschoglokoff, die Fürstin Repnin, meine drei Ehrendamen und meine Kammerfrauen da; folglich waren diese Bälle stets sehr spärlich und schlecht arrangiert, zumal da die Männer von dem fortwährenden Exerzieren, einer Beschäftigung, die dem Geschmack der Hofleute durchaus nicht zusagte, ermüdet und schlechter Laune waren. Nach dem Ball durften sie dann in ihrem Zimmer zu Bett gehen. Im allgemeinen waren ich sowie alle andern des langweiligen Lebens in Oranienbaum, wo wir fünf oder sechs Frauen von früh bis abends allein waren, während die Männer ihrerseits wider Willen exerzierten, herzlich satt. Ich nahm deshalb meine Zuflucht zu den Büchern, die ich mir mitgebracht hatte. Seit meiner Heirat beschäftigte ich mich fast ausschließlich mit Lektüre. Das erste Buch, welches ich nach meiner Vermählung las, war ein Roman, betitelt» Tiran le Blanc«, und ein ganzes Jahr lang las ich nichts als Romane. Diese begannen mich aber bald zu langweilen. Zufällig kamen mir die Briefe von Madame de Sévigné in die Hände, eine Lektüre, die mich sehr amüsierte. Nachdem ich sie förmlich verschlungen hatte, las ich die Werke Voltaires, doch nach diesen suchte ich meine Bücher mit größerer Wahl aus.
Wir kehrten nach Peterhof zurück, und nach zwei oder drei Hin- und Rückreisen zwischen Peterhof und Oranienbaum, wobei es stets bei denselben Zerstreuungen blieb, bezogen wir den Sommerpalast in Petersburg.
Ende des Herbstes siedelte die Kaiserin in den Winterpalast über. Sie bewohnte dort die Gemächer, welche wir den Winter vorher benutzt hatten, während wir in die vor unserer Verheiratung vom Großfürsten bewohnten einquartiert wurden. Diese Gemächer gefielen uns sehr gut und waren in der Tat außerordentlich bequem; sie waren einst von der Kaiserin Anna benutzt worden. Jeden Abend versammelte sich hier unser ganzer Hof, man spielte allerhand unterhaltende Gesellschaftsspiele, oder es fanden Konzerte statt. Zweimal wöchentlich war im großen Theater, das damals der Kasaner Kirche gegenüberstand, Vorstellung. Mit einem Wort, dieser Winter war einer der heitersten und angenehmsten, die ich je verlebt habe. Wir taten wirklich den ganzen Tag nichts als lachen und fröhlich sein.
Ungefähr gegen Mitte des Winters befahl uns die Kaiserin, ihr nach Tischwin, wohin sie sich begab, zu folgen. Diese Reise hatte einen religiösen Zweck, doch gerade, als wir in den Schlitten steigen wollten, erfuhren wir, daß sie aufgeschoben sei. Man flüsterte uns zu, der Oberjägermeister Graf Razumowski sei von der Gicht befallen, und Ihre Majestät wolle nicht ohne ihn reisen. Erst zwei oder drei Wochen später gingen wir nach Tischwin. Die Reise dauerte einschließlich unserer Rückkehr nur fünf Tage. Als wir durch Ribatschia Slobodk kamen und an dem Hause vorbeifuhren, wo sich die Czernitscheffs befanden, suchte ich sie hinter den Fenstern zu erspähen, sah aber nichts. Von Fürst Repnin, der an dieser Reise nicht teilnahm, wurde gesagt, er leide an Blasenstein. Sein Amt vertrat der Gemahl der Tschoglokoff, was allen nicht gerade sehr angenehm war. Er war ein anmaßender, brutaler, dummer Mensch, vor dem alle die größte Furcht hatten, selbst seine eigene Frau. Beide waren aber auch wirklich böswillige Menschen. Dennoch gab es, wie wir später sehen werden, Mittel, nicht allein jene Argusse einzuschläfern, sondern sie sogar zu gewinnen. Damals indes bemühte man sich noch, diese Mittel zu entdecken. Eins der sichersten war, Pharo mit ihnen zu spielen, denn beide waren sehr interessierte Spieler. Diese Schwäche wurden wir zuerst an ihnen gewahr, während wir die andern leider erst viel später entdeckten.
Im Laufe des Winters starb die Ehrendame Fürstin Gagarin an einem hitzigen Fieber, eben als sie im Begriff war, sich mit dem Kammerherrn Fürsten Galitzin, welcher später ihre jüngere Schwester heiratete, zu vermählen. Ich bedauerte ihren Verlust sehr und besuchte sie oft während ihrer Krankheit, trotz der Einwände Madame Tschoglokoffs. Die Kaiserin ließ an ihrer Stelle ihre ältere Schwester aus Moskau kommen, die sich später mit dem Grafen Matjuschkin vermählte.
Im Frühjahr siedelten wir in den Sommerpalast über, und von dort ging es aufs Land. Fürst Repnin erhielt angeblich wegen zerrütteter Gesundheit die Erlaubnis, sich auf seine Besitzung zurückzuziehen, und Tschoglokoff führte ad interim die Geschäfte des Fürsten Repnin bei uns. Das erste, was er tat, war die Verabschiedung unseres Kammerherrn Grafen Devierre, der als Brigadier, und des Kammerkavaliers Villebois, der als Oberst in die Armee versetzt wurde. Beides geschah auf Veranlassung Tschoglokoffs, der sie mit Mißfallen betrachtete, weil der Großfürst und ich ihnen Wohlwollen bewiesen. Eine ähnliche Verabschiedung hatte schon im Jahre 1745 auf die Bitte meiner Mutter den Grafen Zacharias Czernitscheff betroffen, und stets sah man solche Verabschiedungen als Zeichen der Ungnade bei Hofe an, so daß sie für die betreffenden Personen sehr empfindlich waren. Die eben erwähnte war dem Großfürsten und mir besonders unangenehm. Ein anderer Kunstgriff der Tschoglokoffs, die den Großfürsten und mich vollkommen isolieren wollten, war, daß dem Prinzen August, nachdem er alles erhalten, was er wünschte, von der Kaiserin der Befehl erteilt wurde, sich zu entfernen. Sie folgten darin den Weisungen des Grafen Bestuscheff, dem alle ohne Ausnahme verdächtig waren.
Da ich während dieses Sommers nichts Besseres zu tun hatte und die Langeweile bei uns groß wurde, war meine Hauptleidenschaft das Reiten. Den Rest meiner Zeit benutzte ich, alles zu lesen, was mir in die Hände fiel. Was den Großfürsten betraf, so wählte er sich, da man ihm die Leute, die er am meisten liebte, genommen, unter den Hofbedienten neue Günstlinge aus.
In dieser Zeit benachrichtigte mich mein Kammerdiener Nevreinoff eines Morgens, als er mich frisierte, er habe durch einen eigentümlichen Zufall entdeckt, daß Andreas Czernitscheff und seine Brüder in Ribatschia in einem Lusthause der Kaiserin, welches sie von ihrer Mutter geerbt, gefangen säßen. Er hätte es auf folgende Weise erfahren. Während des Karnevals hatte er mit seiner Frau, seiner Schwägerin und seinen beiden Schwägern eine Schlittenfahrt gemacht. Der Gatte der Schwägerin war Magistratssekretär in Petersburg und hatte eine Schwester, welche an einen Untersekretär der geheimen Kanzlei verheiratet war. Sie machten einen Ausflug nach Ribatschia und kehrten bei dem Verwalter dieses Gutes der Kaiserin ein. Da sie sich über den Tag, auf welchen das Osterfest fallen würde, stritten, sagte der Hauswirt, er könne diesen Streit schnell schlichten, denn er brauche nur die Gefangenen um ein Buch zu bitten, welches Swiatzy hieße, und in dem alle Feste und der Kalender für mehrere Jahre aufgeführt seien. Nach einigen Augenblicken brachte man das Buch. Der Schwager Nevreinoffs ergriff es, schlug es auf und das erste, was er darin fand, war der Name Andreas Czernitscheffs und das Datum des Tages, an welchem der Großfürst ihm das Buch geschenkt hatte. Hierauf suchte er nach dem Osterfeste. Der Streit war beendet, das Buch wurde wieder abgegeben und sie kehrten nach Petersburg zurück, wo der Schwager Nevreinoffs ihm einige Tage später diese Entdeckung anvertraute. Er bat mich inständig, nicht mit dem Großfürsten davon zu sprechen, weil man auf seine Verschwiegenheit durchaus nicht bauen könne; ich versprach es und hielt Wort.
Um die Mitte der Fastenzeit begaben wir uns mit der Kaiserin nach Gostilitza zur Feier des Namensfestes des Oberjägermeisters Razumowski. Man tanzte, war sehr vergnügt und kehrte dann in die Stadt zurück.
Einige Tage nachher meldete man mir das Hinscheiden meines Vaters, eine Nachricht, die mich aufs tiefste betrübte. Acht Tage lang ließ man mich meinen Schmerz ausweinen, doch am Ende dieser acht Tage erklärte mir Madame Tschoglokoff, es sei nun des Weinens genug. Die Kaiserin befehle mir, aufzuhören, da mein Vater kein König gewesen sei. Ich erwiderte, ein König sei er freilich nicht gewesen, worauf sie antwortete, es schicke sich nicht für eine Großfürstin, länger um einen Vater zu weinen, der kein regierender König gewesen sei. Endlich befahl man mir, am nächsten Sonntag auszugehen und nur sechs Wochen Trauer zu tragen.
Als ich zum ersten Male wieder mein Zimmer verließ, fand ich den Grafen Santi, den Oberzeremonienmeister der Kaiserin, im Vorzimmer Ihrer Majestät. Ich richtete einige gleichgültige Worte an ihn und ging weiter. Ein paar Tage später erschien Madame Tschoglokoff, um mir zu sagen, Ihre Majestät habe vom Grafen Bestuscheff, dem Santi es schriftlich gegeben, erfahren, daß ich zu Santi gesagt habe, ich fände es sehr sonderbar, daß mir die Gesandten beim Tode meines Vaters keine Beileidsbesuche abgestattet hätten. Eine solche Bemerkung gegen Santi finde Ihre Majestät sehr unangebracht; ich sei ungemein stolz, müsse mich doch erinnern, daß mein Vater kein König gewesen sei, und daß ich aus diesem Grunde Beileidsbezeigungen seitens der fremden Gesandten weder verlangen könne noch dürfe. Ich fiel wie aus den Wolken, als ich Madame Tschoglokoff so sprechen hörte, und erwiderte, wenn Graf Santi gesagt oder geschrieben, daß ich ein einziges dem erwähnten auch nur ähnliches Wort über diesen Gegenstand mit ihm gesprochen, so sei er ein absichtlicher Lügner. Nichts von alledem sei mir jemals in den Sinn gekommen, folglich könne ich auch weder an ihn, noch an sonst jemand solche Worte gerichtet haben. Dies war die vollkommenste Wahrheit, denn ich hatte es mir zur strengsten Pflicht gemacht, in keinem Falle irgend welche Ansprüche zu erheben, mich in allen Dingen dem Willen Ihrer kaiserlichen Majestät unterzuordnen und zu tun, was man mir befahl. Augenscheinlich war Madame Tschoglokoff durch die Offenheit, mit welcher ich antwortete, von der Wahrheit überzeugt, denn sie erwiderte, sie werde nicht verfehlen, der Kaiserin zu berichten, daß ich Graf Santi Lügen strafe. In der Tat begab sie sich sofort zu Ihrer Majestät und kam zurück, um mir zu sagen, daß die Kaiserin sehr böse auf Santi sei, weil er sich einer solchen Lüge schuldig gemacht, und sie habe befohlen, ihm einen Verweis zu geben. Einige Tage später schickte Graf Santi verschiedene Personen zu mir, unter andern auch den Kammerherrn Grafen Nikita Panin und den Vizekanzler Woronzow, um mir zu sagen, daß Bestuscheff ihn zu dieser Lüge gezwungen und es ihm sehr schmerzlich sei, deshalb in Ungnade bei mir gefallen zu sein. Ich antwortete ihnen, ein Lügner sei ein Lügner, was er auch für Gründe haben möge, zu lügen; aber aus Besorgnis, er könne mich wieder einmal in seine Lügen verwickeln, werde ich nicht mehr mit ihm sprechen. Meine Ansicht indes war folgende. Santi war ein Italiener; er intrigierte gern und war erfüllt von seinem Amt als Oberzeremonienmeister. Ich hatte mich mit ihm stets so unterhalten, wie ich es mit jedem andern auch tat. Vielleicht aber hatte er gedacht, daß Beileidsbezeigungen für den Tod meines Vaters seitens des diplomatischen Korps zulässig seien, und bei seiner Art, zu denken, scheint es, daß er mir dadurch einen Gefallen zu erweisen glaubte. Er ging also zum Großkanzler Grafen Bestuscheff, seinem Vorgesetzten, und berichtete ihm, ich sei zum ersten Male ausgegangen, und wie es ihm schiene, wäre ich sehr betrübt gewesen; vielleicht hätte die Unterlassung von Beileidsbezeigungen dazu beigetragen, meine traurige Stimmung zu erhöhen. Bestuscheff, der immer zänkisch und geneigt war, mich zu demütigen, ließ sofort aufschreiben, was Santi ihm in bezug auf mich gesagt oder angedeutet hatte und ließ ihn das Protokoll unterzeichnen. Santi, der seinen Vorgesetzten wie das Feuer, vor allem aber den Verlust seiner Stellung fürchtete, zögerte nicht, lieber diese Lüge zu unterschreiben, als seine Existenz zu opfern. Der Großkanzler schickte nun den Bericht an die Kaiserin, die über meine Anmaßung sehr erzürnt war und Madame Tschoglokoff zu mir schickte, wie ich soeben erzählt habe. Nachdem sie aber meine auf strikte Wahrheit beruhende Antwort gehört, hatte die ganze Intrige weiter keine Folge als einen Nasenstüber für den Herrn Oberzeremonienmeister.
Der Großfürst schaffte sich auf dem Lande eine Meute an und begann die Hunde selbst zu dressieren. War er müde, sie zu quälen, dann fing er an, auf der Geige herum zu kratzen. Er kannte nicht eine einzige Note, besaß indes gutes Gehör und glaubte, die Schönheit der Musik bestände in der Stärke und Heftigkeit, mit welcher er die Töne aus seinem Instrument hervorlockte. Seine Zuhörer würden sich manchmal gern die Ohren verstopft haben, wenn sie es gewagt hätten, denn er quälte sie fürchterlich.
Nach unserer Rückkehr in den Sommerpalast bewies Madame Kruse, die nie aufgehört hatte, ihre Argusrolle zu spielen, sich insofern freundlicher gegen uns, als sie sich sehr oft dazu hergab, die Tschoglokoffs zu hintergehen, welche allen sehr zuwider waren. Ja, sie tat mehr, sie verschaffte dem Großfürsten sogar Spielzeug, Puppen und andere Kindereien, die er bis zur Narrheit liebte. Tagsüber verbarg man dieselben in oder unter meinem Bett. Nach dem Abendessen legte sich der Großfürst gewöhnlich zuerst nieder, und wenn wir beide im Bett waren, verschloß Madame Kruse die Tür, und der Großfürst spielte bis ein oder zwei Uhr nachts. Wohl oder übel mußte auch ich an diesen herrlichen Vergnügungen teilnehmen, ebenso Madame Kruse. Manchmal lachte ich darüber, aber oft war es mir unangenehm und zuwider. Bisweilen war das ganze Bett von Puppen und Spielsachen, die ziemlich schwer waren, bedeckt und angefüllt. Ich weiß nicht, ob Madame Tschoglokoff diesen nächtlichen Vergnügungen auf die Spur gekommen war, aber eines Abends gegen Mitternacht klopfte sie plötzlich an die Tür unseres Schlafzimmers. Man öffnete nicht sogleich, weil der Großfürst, Madame Kruse und ich nichts Eiligeres zu tun hatten, als das Bett von den Spielsachen zu säubern und sie zu verbergen, wobei uns die Bettdecke, unter die wir alles stopften, gute Dienste leistete. Dann erst öffnete man. Sie beklagte sich bitter, wie lange wir sie hätten warten lassen und erklärte, die Kaiserin würde sehr unwillig sein, wenn sie erführe, daß wir zu so später Stunde noch nicht schliefen. Darauf zog sie sich brummend zurück, ohne eine weitere Entdeckung gemacht zu haben. Nachdem sie sich entfernt, setzte der Großfürst seine Spielerei fort, bis ihm die Lust zum Schlafe kam.
Bei Eintritt des Herbstes bezogen wir wieder die Gemächer, die wir zuerst nach unserer Verheiratung im Winterpalast bewohnt hatten. Hier ließ Ihre Majestät durch Herrn Tschoglokoff aufs strengste verbieten, daß jemand des Großfürsten und meine Zimmer ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Herrn und der Madame Tschoglokoff betrete. Gleichzeitig erging ein Befehl an die Damen und Herren unseres Hofes, sich im Vorzimmer aufzuhalten und die Schwelle unserer Gemächer nicht zu überschreiten; ferner nur laut mit uns und den Domestiken zu sprechen, andernfalls sie verabschiedet würden. Auf diese Weise auf das Alleinsein mit einander beschränkt, murrten wir beide und teilten uns gegenseitig unsere Gedanken über diese Art von Gefangenschaft mit, die keiner von uns verdient hatte. Um sich aber während des Winters ein wenig Unterhaltung zu schaffen, ließ sich der Großfürst acht oder zehn Jagdhunde vom Lande kommen, die er hinter einem Holzverschlag verbarg, welcher den Alkoven meines Schlafzimmers von einer großen hinter unsern Gemächern liegenden Vorhalle trennte. Da nun der Alkoven nur eine dünne Bretterwand hatte, drang der Geruch des Hundestalles herein, und in diesem Gestank schliefen wir. Beklagte ich mich darüber, so erwiderte er, es sei unmöglich, etwas daran zu ändern, und da der Hundestall so geheim wie möglich gehalten werden mußte, ertrug ich geduldig diese Unannehmlichkeit und bewahrte das Geheimnis Seiner kaiserlichen Hoheit.
Weil es während des Karnevals diesmal absolut keine Festlichkeiten bei Hofe gab, fiel es dem Großfürsten ein, in meinem Zimmer Maskenbälle zu veranstalten. Seine Diener, sowie die meinigen und meine Frauen mußten Maskenkostüme anziehen und in meinem Schlafzimmer tanzen, was meist bis tief in die Nacht hinein währte. Was mich betraf, so legte ich mich meist unter dem Vorwande von Kopfweh oder Müdigkeit auf ein Sofa, jedoch immer im Maskenkostüm, und langweilte mich zum Sterben über die Einfältigkeit dieser Maskeraden, die ihm unendliches Vergnügen bereiteten. Uebrigens entfernte man bei Beginn der Fastenzeit noch weitere vier Personen von ihm, unter diesen auch drei Pagen, die er allen übrigen vorzog. Jene häufigen Verabschiedungen waren ihm äußerst unangenehm; trotzdem aber tat er nichts, sie zu verhindern, oder vielmehr, er beschwerte sich auf so linkische Weise, daß er das Uebel nur vermehrte.
Während dieses Winters erfuhren wir, daß Fürst Repnin, krank wie er war, das Truppenkorps kommandieren sollte, das man zur Unterstützung der Kaiserin Maria Theresia nach Böhmen zu schicken beabsichtigte. Dies war ein Zeichen völliger Ungnade für den Fürsten. Er ging und kehrte nicht wieder zurück, sondern starb aus Kummer in Böhmen. Die Fürstin Gagarin, meine Ehrendame, war die erste, die mir, trotz aller Verbote, uns auch nur das geringste von dem, was in der Stadt oder am Hofe vorging, zu melden, diese Nachricht überbrachte. Daraus kann man ersehen, was es mit ähnlichen Verboten auf sich hat: sie werden nie in ihrer ganzen Strenge ausgeführt, weil zu viele Leute ein Interesse haben, sie zu übertreten. Uebrigens bemühte sich unsere ganze Umgebung, selbst die nächsten Verwandten der Tschoglokoffs, die Strenge des politischen Gefängnisses zu mildern, worin man sie und uns einsperren wollte. Sogar der Bruder Madame Tschoglokoffs, Graf Hendrikoff, ließ mir oft die nützlichsten und notwendigsten Ratschläge zugehen, oder andere bedienten sich seiner, sie mir zu übermitteln, wozu er stets mit der Offenheit eines tüchtigen, ehrenhaften Mannes bereit war. Auch moquierte er sich über die Dummheit und Roheit seiner Schwester und seines Schwagers. Alle fühlten sich daher in seiner Gesellschaft wohl, ohne ihm im geringsten zu mißtrauen, weil er nie jemand bloßstellte, noch gegen jemand fehlte. Er war ein rechtschaffener, wenn auch etwas beschränkter Mensch, schlecht erzogen, sehr unwissend, aber fest und ohne Böswilligkeit.
Während dieser Fasten begab ich mich eines Mittags in das Zimmer, wo die Kavaliere und Damen sich aufhielten — die Tschoglokoffs waren noch nicht anwesend. Und während ich bald mit diesem, bald mit jenem sprach, kam ich auch zu der Tür, wo der Kammerherr Ouzin stand. Dieser äußerte sich halblaut über das langweilige Leben, das wir führten, und bemerkte, daß man uns noch obendrein bei der Kaiserin in ein schlechtes Licht setze. Wenige Tage vorher habe nämlich Ihre Majestät bei Tafel gesagt, daß ich mich mit Schulden überlade, und alles, was ich tue, habe einen Anstrich von Dummheit. Dennoch bilde ich mir ein, ich besäße viel Geist, allein außer mir selbst denke niemand so vorteilhaft von mir, und niemand ließe sich von mir täuschen. Meine unzweifelhafte Dummheit sei allen bekannt, weshalb man weniger auf das achten müsse, was der Großfürst tue, als auf mich. Und traurig fügte er hinzu, er habe Befehl von der Kaiserin, mir das alles wiederzusagen, bat mich jedoch, nicht zu tun, als ob ich das wisse. Ich antwortete ihm, was meine Dummheit angehe, so könne mir die Schuld nicht zugeschrieben werden, da jeder sei, wie ihn Gott geschaffen. Daß ich aber Schulden habe, sei durchaus nicht zu verwundern, weil meine Mutter mir bei einer Einnahme von 30000 Rubel noch 6000 Rubel Schulden, die ich für sie bezahlen mußte, hinterlassen hatte. Außerdem habe mich die Gräfin Rumianzoff zu tausenderlei Ausgaben genötigt, welche sie als unvermeidlich angesehen, und Madame Tschoglokoff allein habe mich in diesem Jahre 17000 Rubel gekostet; denn er kenne ja selbst das Teufelsspiel, welches wir täglich gezwungen waren, mit ihnen zu spielen. Diese Antwort könne er getrost denen geben, die ihn beauftragt; übrigens sei ich sehr böse, zu hören, daß man mich bei Ihrer Majestät in ein schlechtes Licht setze, da ich es doch nie an Respekt, an Gehorsam und Untertänigkeit gegen sie habe fehlen lassen, wovon man sich um so mehr überzeugen könne, je mehr man mich beobachte. Ich versprach ihm, sein Geheimnis, wie er mich gebeten, zu bewahren, und tat es. Ob er meine Aufträge ausgerichtet, weiß ich nicht, aber ich glaube es, obgleich ich nie wieder etwas davon hörte und mich hütete, ein so wenig angenehmes Gespräch zu erneuern.
In der letzten Woche der Fasten bekam ich die Masern. Ich konnte zu Ostern nicht öffentlich erscheinen und nahm daher auch das Abendmahl am Sonnabend in meinem Zimmer. Während dieser Krankheit verließ mich Madame Tschoglokoff, obgleich sie hochschwanger war, kaum einen Augenblick und tat was sie konnte, um mich zu unterhalten. Außer ihr war noch eine kleine kalmückische Dienerin bei mir, die mir sehr angenehm war.
Reise nach dem Gute des Favoriten. — Einsturz des Hauses, das wir bewohnen. — Rückkehr nach dem Sommerpalast. — Ankunft des Malteser Ritters Sakromoso. — Er steckt mir heimlich Briefe von meiner Mutter zu. — Ich antworte ihr auf demselben Wege. — Uebersiedelung nach Peterhof. — Interessantes Verhältnis Tschoglokoffs zu Fräulein Kocheleff. — Ihre Verbannung. — Madame Tschoglokoffs Wut gegen ihren untreuen Gatten. — Die Kaiserin verzeiht ihm. — Mein Leben in Oranienbaum. — Rückkehr nach der Stadt. — Man verabschiedet Madame Kruse und gibt mir Madame Wladislawa. — Madame La Tour l'Annois. — Hochzeit des Grafen Lestocq. — Graf Czernitscheff schreibt mir heimlich.
Nach Ostern bezogen wir wieder den Sommerpalast und von dort begaben wir uns Ende Mai zum Himmelfahrtsfeste in den Palast des Grafen Razumowski nach Gostilitza. Am 23. desselben Monats beschied die Kaiserin den Gesandten des kaiserlichen Hofes, Baron von Breitlack, der nach Wien gesandt wurde, dorthin, und er brachte den Abend beim Souper mit der Kaiserin zu. Dieses Souper verlängerte sich bis tief in die Nacht, so daß wir erst nach Sonnenaufgang in das von uns bewohnte Haus zurückkehrten. Dasselbe war aus Holz und lag auf einer kleinen Anhöhe, nahe bei der Rutschbahn. Seine Lage hatte uns sehr gefallen, als wir im Winter zum Namensfeste des Oberjägermeisters in Gostilitza gewesen waren, und nun hatte man uns die Aufmerksamkeit erwiesen, uns hier einzuquartieren. Es bestand aus zwei Etagen, die durch eine äußere Treppe miteinander verbunden waren. Die obere bestand aus einem Saal und drei kleinen Zimmern, von denen wir das eine als Schlafzimmer benutzten. In dem andern hatte der Großfürst sein Ankleidezimmer, und das dritte bewohnte Madame Kruse. Unten logierten die Tschoglokoffs, meine Ehrendamen und meine Kammerfrauen. Nach der Rückkehr von jenem Souper begaben sich alle zu Bett. Gegen sechs Uhr morgens kam ein Gardeunteroffizier namens Levascheff von Oranienbaum, um mit Tschoglokoff über die dortigen Bauten zu sprechen. Da indes alles noch schlief, setzte er sich zur Schildwache, um zu warten. Plötzlich vernahm er ein eigentümliches Krachen, was ihm verdächtig vorkam. Da die Schildwache sagte, dies Krachen habe sich schon mehrmals wiederholt, seit sie auf Posten sei, sprang Levascheff auf und eilte nach der Außenseite des Hauses, wo er bemerkte, daß sich an der Basis des Hauses große Quadersteine loslösten. Schnell weckte er Tschoglokoff und meldete ihm, daß das Fundament des Hauses einzustürzen drohe und man versuchen müsse, die Bewohner herauszubringen. Tschoglokoff warf eilig seinen Schlafrock über und eilte hinauf, wo er, da er die Glastüren verschlossen fand, die Riegel erbrechen ließ. So gelangte er in das Kabinett, wo wir schliefen, weckte uns, indem er den Vorhang aufzog und forderte uns auf, uns so schnell als möglich anzukleiden und zu fliehen, weil die Grundmauern des Hauses einzubrechen drohten. Der Großfürst sprang aus dem Bett, ergriff seinen Schlafrock und eilte davon. Ich sagte Tschoglokoff, ich würde ihm sogleich folgen, und er ging. Schnell kleidete ich mich an, wobei ich mich erinnerte, daß ja Madame Kruse im andern Kabinett sorglos schlafe. Ich ging hinein, um sie zu wecken. Da sie aber in tiefem Schlummer lag, gelang mir es nur mit großer Mühe, und ebenso schwierig war es, ihr begreiflich zu machen, daß sie das Haus verlassen müsse. Ich half ihr noch beim Anziehen, und als sie fertig war, überschritten wir die Schwelle der Tür und traten in den Saal. Aber im selben Augenblick erfolgte der allgemeine Einsturz, begleitet von einem entsetzlichen Getöse, als wenn man ein Schiff vom Stapel ließe. Madame Kruse und ich fielen zu Boden. In diesem Moment kam Levascheff durch die Treppentür, die uns gegenüberlag; er hob mich auf und trug mich aus dem Zimmer. Zufällig fiel mein Blick auf die Rutschbahn, die sich ungefähr in der Höhe der zweiten Etage befunden hatte; sie war nicht mehr da, sondern wenigstens fünfzehn Fuß weiter unten. Als Levascheff mit mir bei der Treppe anlangte, auf der er hinauf gekommen, war auch diese eingestürzt. Inzwischen aber waren mehrere Personen auf die Trümmer gestiegen, und Levascheff überlieferte mich nun dem nächsten, dieser wieder einem andern, so daß ich von Hand zu Hand endlich bis zum Fuße der Treppe in die Vorhalle kam. Von dort trug man mich auf eine Wiese, wo ich den Großfürsten im Schlafrocke fand. Sobald ich das Haus verlassen, begann ich mein Augenmerk auf das zu richten, was dort vorging. Mehrere Personen sah ich, über und über mit Blut bedeckt, herauskommen, andere wieder mußten hinausgetragen werden. Unter den am schwersten Verwundeten befand sich auch die Fürstin Gagarin, meine Ehrendame. Sie hatte sich wie die andern retten wollen, aber als sie durch ein Zimmer kam, das an das ihrige stieß, stürzte der Ofen ein und schleuderte sie auf ein Bett; mehrere Ziegelsteine fielen ihr auf den Kopf und brachten ihr sowie einem Mädchen, das sich ebenfalls retten wollte, schwere Verletzungen bei. In derselben Etage befand sich eine kleine Küche, in der mehrere Domestiken schliefen, wovon drei durch das Zusammenstürzen eines Herdes getötet wurden. Doch dies war nichts im Vergleich mit dem, was sich zwischen der Grundmauer und dem ersten Stock ereignete. Sechzehn bei der Rutschbahn angestellte Arbeiter, welche dort schliefen, wurden durch den Einsturz zerschmettert. Die Ursache des ganzen Unglücks war, daß man das Haus im Herbste in Eile gebaut und ihm als Grundmauern nur vier Reihen Kalksteine gegeben hatte. In der ersten Etage ließ der Architekt zwölf Balken in Pfeilerform in der Vorhalle aufstellen und sagte, da er in die Ukraine verreisen mußte, dem Verwalter des Gutes Gostilitza, er solle auf keinen Fall erlauben, daß man bis zu seiner Rückkehr die zwölf Balken anrühre. Als indes der Verwalter von unserm beabsichtigten Aufenthalt in dem Hause hörte, hatte er, da die Balken die Vorhalle entstellten, nichts eiligeres zu tun, als sie herausnehmen zu lassen. Beim Eintreten des Tauwetters senkte sich dann das Ganze auf die vier Reihen Kalksteine, die an den Seiten heraustraten, während das Haus selbst einer Anhöhe zuglitt, die es aufhielt. Ich kam glücklicherweise mit einigen blauen Flecken und einem großen Schrecken davon. Alle aber hatten von diesem Ereignis eine so schreckliche Angst bewahrt, daß uns noch vier Monate lang jede etwas laut schließende Tür erzittern ließ. Als an jenem Tage der erste Schreck vorüber war, ließ uns die Kaiserin, die ein anderes Haus bewohnte, zu sich kommen, und da sie wünschte, die Gefahr geringer erscheinen zu lassen als sie in Wirklichkeit war, suchten sie alle als unbedeutend, einige sogar als nicht vorhanden hinzustellen. Mein Schreck mißfiel ihr besonders, und sie schalt mich deshalb. Der Oberjägermeister weinte aus lauter Verzweiflung und sprach davon, sich erschießen zu wollen. Man verhinderte ihn dann zum Scheine daran, denn in Wahrheit beabsichtigte er nichts dergleichen. Am nächsten Tag kehrten wir nach Petersburg, und einige Wochen später in den Sommerpalast zurück.
Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube um diese Zeit war es, daß der Chevalier Sakromoso in Rußland eintraf. Es war lange her, seit ein Malteser Ritter Rußland besucht hatte, überhaupt sah man damals sehr wenig Fremde in Petersburg. Seine Ankunft war daher eine Art Ereignis. Man empfing ihn aufs beste und zeigte ihm alle Sehenswürdigkeiten von Petersburg und Kronstadt. Ein berühmter Marineoffizier wurde ihm als Begleiter gegeben; es war der damalige Kapitän und spätere Admiral Polianski. Sakromoso wurde auch uns vorgestellt, und als er mir die Hand küßte, ließ er ein kleines Billett in meine Hand gleiten und flüsterte:»Von Ihrer Frau Mutter. «Ich war zu Tode erschrocken über seine Verwegenheit und starb fast vor Angst, jemand könnte es bemerkt haben, besonders die Tschoglokoffs, die ganz in meiner Nähe standen. Ich nahm indes den Zettel und schob ihn in meinen rechten Handschuh, ohne daß es jemand bemerkte. In meinem Zimmer angelangt, fand ich in einem zusammengerollten Papier, auf dem mir Sakromoso mitteilte, daß er die Antwort durch einen italienischen Musiker erwarte, der beim Konzert des Großfürsten mitwirkte, wirklich einen Brief meiner Mutter. Sie war über mein unfreiwilliges Schweigen sehr beunruhigt, fragte mich nach der Ursache desselben und wollte wissen, in welcher Lage ich mich befinde. Ich antwortete ihr sofort und benachrichtigte sie, daß man mir verboten habe, an sie oder irgend jemand zu schreiben, unter dem Vorwande, daß es für eine russische Großfürstin nicht passend sei, andere Briefe zu schreiben, als die im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten abgefaßten, denen ich nur meine Unterschrift beifügen dürfte, ohne jemals vorher zu befehlen, was man schreiben sollte, weil das Ministerium besser als ich wisse, was passend sei. Ferner teilte ich ihr mit, daß man Herrn Olsufieff fast ein Verbrechen daraus gemacht habe, daß ich ihm einige Zeilen zugehen ließ, mit der Bitte, sie in einen Brief an meine Mutter einzulegen. Dann unterrichtete ich sie noch von mehreren andern Dingen, nach denen sie fragte, rollte mein Billett genau so zusammen wie das, welches ich erhalten, und erwartete unruhig und ungeduldig den Augenblick, mich seiner entledigen zu können. Während des ersten Konzerts, das beim Großfürsten stattfand, ging ich einmal ganz unauffällig durchs Orchester und blieb hinter dem Stuhle des Violinsolisten stehen, den man mir bezeichnet hatte. Als er mich gewahr wurde, tat er, als wolle er sein Taschentuch aus seiner Rocktasche nehmen und öffnete so dieselbe weit genug, daß ich ohne Aufsehen meinen Zettel hineingleiten lassen konnte. Darauf entfernte ich mich nach einer andern Seite, und niemand faßte den geringsten Verdacht. Sakromoso steckte mir während seines Aufenthaltes noch zwei bis drei solcher zusammengerollter Papierchen zu, die denselben Gegenstand betrafen, und meine Antworten gelangten auf die gleiche Weise an ihn. Niemals hat jemand etwas davon erfahren.
Aus dem Sommerpalast zogen wir nach Peterhof, welcher damals umgebaut wurde. Man quartierte uns daher in den alten Bau Peters I. ein, der zu jener Zeit noch existierte. Aus Langeweile spielte hier der Großfürst jeden Nachmittag mit mir l'Hombre. Wenn ich gewann, wurde er ärgerlich, und verlor ich, so wollte er sofort bezahlt sein. Obgleich ich keinen Pfennig hatte, fing er an, mit mir Hazard zu spielen, und ich erinnere mich, daß uns eines Tages seine Nachtmütze als Marke für 10000 Rubel diente. Wenn er indes verlor, wurde er am Ende des Spieles wütend und konnte mehrere Tage hindurch schmollen. Solches Spiel sagte mir natürlich in keiner Weise zu.
Während des Aufenthaltes in Peterhof sahen wir von unsern Fenstern aus, welche nach dem Garten aufs Meer hinauslagen, daß die beiden Tschoglokoffs fortwährend zwischen dem höhergelegenen Schloß und dem von der Kaiserin bewohnten, am Ufer des Meeres gelegenen Monplaisir, unterwegs waren. Uns sowie Madame Kruse verlangte es sehr, die Ursache dieses häufigen Gehens und Kommens zu erfahren. Madame Kruse begab sich daher zu ihrer Schwester, die erste Kammerfrau bei der Kaiserin war. Ganz strahlend kam sie zurück, denn sie hatte erfahren, daß all dies Gebaren nur daher rühre, daß die Kaiserin von einem zärtlichen Verhältnis Tschoglokoffs mit einer meiner Ehrendamen, Fräulein Kocheleff, Kunde erhalten und in Erfahrung gebracht hatte, daß diese guter Hoffnung sei. Die Kaiserin hatte Madame Tschoglokoff zu sich gerufen und gesagt, ihr Gemahl betrüge sie, während sie ihn bis zur Narrheit liebe, ja so verblendet gewesen sei, das Fräulein, die Geliebte ihres Gatten, gewissermaßen bei sich wohnen zu lassen. Wenn sie sich von ihrem Manne trennen wollte, würde sie einen Schritt tun, der Ihrer Majestät nicht mißfalle, die überhaupt die Vermählung Madame Tschoglokoffs mit ihrem Gatten nicht gern gesehen hatte. Ja, sie erklärte ihr geradezu, sie wolle nicht, daß ihr Mann bei uns bleibe, sie werde ihn verabschieden und den Dienst ihr allein überlassen. Im ersten Augenblick leugnete Madame Tschoglokoff der Kaiserin gegenüber die Leidenschaft ihres Mannes und erklärte dieselbe für eine Verleumdung. Doch Ihre Majestät hatte während der Zeit, in welcher sie mit der Tschoglokoff sprach, das Fräulein befragen lassen. Die Kocheleff gestand alles ein, was Madame Tschoglokoff gegen ihren Gatten auf äußerste aufbrachte. Sie kehrte nach Hause zurück, wo sie ihrem Manne die bittersten Vorwürfe machte. Er aber fiel vor ihr auf die Knie, bat sie um Verzeihung und verschwendete seinen ganzen Einfluß auf sie, um sie zu besänftigen. Um der Kinder willen, deren sie sehr viele hatten, wurde denn auch das gute Einverständnis zwischen den Ehegatten wieder hergestellt, aber es war seitdem nicht mehr aufrichtig. Getrennt durch die Liebe, verbanden sie sich jetzt aus Interesse. Die Gattin verzieh dem Gatten, ging zur Kaiserin und sagte, daß sie ihrem Manne alles vergeben habe und bei ihm aus Liebe zu ihren Kindern bleiben wolle. Auf den Knien bat sie Ihre Majestät, ihn nicht schimpflich vom Hofe zu verabschieden, denn dies werde sie entehren und ihr Unglück noch vergrößern. Kurz, sie benahm sich bei dieser Gelegenheit so gut, mit so viel Festigkeit und Großmut, und ihr Schmerz war außerdem so aufrichtig, daß sie den Zorn der Kaiserin entwaffnete. Sie führte sogar ihren Gemahl vor Ihre kaiserliche Majestät, sagte ihm vor ihr noch einmal offen und ungeschminkt die Wahrheit, warf sich dann mit ihm vor der Kaiserin auf die Knie und bat dieselbe, ihrem Gatten um ihret- und ihrer sechs Kinder willen, deren Vater er ja sei, zu verzeihen. Alle diese Szenen dauerten ungefähr fünf bis sechs Tage, während welcher wir fast stündlich erfuhren, was vorgefallen war, weil man uns inzwischen weniger auflauerte, und weil alle auf die Verabschiedung der Tschoglokoffs hofften. Aber der Ausgang entsprach der Erwartung nicht, die man sich gemacht hatte, denn die Tschoglokoffs blieben, allerdings weniger glorreich als bisher, und nur Fräulein Kocheleff wurde zu ihrem Onkel, dem Oberhofmarschall Chepeleff, geschickt. Man wählte dazu den Tag, wo wir nach Oranienbaum gehen sollten, und während wir nach der einen Seite abreisten, entließ man das Fräulein nach der andern.