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Mein Leben in Oranienbaum war folgender Art. Um drei Uhr morgens stand ich auf, kleidete mich selbst von Kopf bis Fuß in Männerkleider, während mich ein in meinen Diensten stehender alter Jäger schon mit den Flinten erwartete. Ein Fischerboot lag am Ufer des Meeres bereit. Wir durchschritten den Garten zu Fuß, die Flinte auf der Schulter, und bestiegen, er, ich, ein Hund, sowie der Fischer, der uns fuhr, das Boot. Dann schoß ich Enten im Schilf, welches das Meer auf beiden Seiten des Kanals von Oranienbaum, der zwei Werst weit in die See hinausläuft, begrenzt. Oft fuhren wir auch über diesen Kanal hinaus, so daß wir bisweilen bei stürmischem Wetter mit unserm Boot aufs offene Meer getrieben wurden. Der Großfürst folgte uns ein bis zwei Stunden später, weil er immer ein Frühstück und Gott weiß was sonst noch nötig hatte. Wenn er uns erreichte, schossen wir gemeinsam, wenn nicht, jagte jeder für sich. Um zehn Uhr, manchmal auch später, kehrte ich zurück und kleidete mich zum Diner um. Nach dem Diner ruhte man ein wenig, und abends machte der Großfürst Musik oder wir unternahmen einen Spaziergang. Nachdem ich ungefähr acht Tage auf diese Weise gelebt hatte, fühlte ich mich doch sehr angegriffen und begann an Kopfweh zu leiden. Ich mußte einsehen, daß mir Ruhe und Diät nötig waren, und aß daher vierundzwanzig Stunden lang nichts, trank nur frisches Wasser, schlief zwei Nächte so viel ich konnte, worauf ich dieselbe Lebensweise von neuem begann und mich dabei sehr wohl befand. Ich erinnere mich, daß ich damals Brantomes Memoiren las, die mich sehr amüsierten; vorher hatte ich das Leben Heinrichs IV. von Perifix gelesen.
Zu Anfang des Herbstes kehrten wir in die Stadt zurück und erfuhren, daß wir den Winter in Moskau zubringen würden. Madame Kruse meldete mir bei dieser Gelegenheit, daß ich meine Wäsche ergänzen müsse. Ich beschäftigte mich also mit den einzelnen Stücken, während Madame Kruse mich damit zu unterhalten suchte, daß sie die Leinwand in meinem Zimmer zuschneiden ließ, um, wie sie sagte, mir zu zeigen, wie viel Hemden aus einem Stück gemacht werden könnten. Dieser Unterricht oder Zeitvertreib mißfiel aber offenbar Madame Tschoglokoff, die seit der Entdeckung der Untreue ihres Gemahls in noch schlechterer Stimmung war als vorher. Ich weiß nicht, was sie der Kaiserin sagte, aber eines Nachmittags meldete sie nur, daß Ihre Majestät Madame Kruse des Dienstes bei mir enthebe, die sich zu ihrem Schwiegersohn, dem Kammerherrn Sievers, zurückziehen werde. Tags darauf brachte sie mir Madame Wladislawa, die ihre Stelle bei mir einnehmen sollte. Sie war eine Frau von hoher, vornehmer Gestalt, deren geistvoller Gesichtsausdruck mir sogleich gefiel. Ich befragte sogleich mein Orakel Timotheus Nevreinoff über diese Wahl, der mir erzählte, diese Dame, die ich nie vorher gesehen, sei die Schwiegermutter des Staatsrates Pugowischnikoff, ersten Sekretärs des Grafen Bestuscheff. Es fehle ihr weder an Geist noch an Heiterkeit, aber sie gelte für sehr verschlagen, und ich müsse sehen, wie sie sich benehmen werde und ihr vor allem kein zu großes Vertrauen entgegenbringen. Sie hieß Praskowia Nikitischna. Sie debütierte vortrefflich, war gesellig, sprach gern und geistreich, kannte alle Anekdoten der Vergangenheit und Gegenwart aufs gründlichste, war in die Geschichte von vier bis fünf Generationen aller Familien eingeweiht, hatte die Genealogie der Väter, Mütter, Großmütter und der väterlichen und mütterlichen Ahnen der ganzen Welt frisch und fertig in ihrem Gedächtnis. Und in der Tat hat mich niemand besser als sie über das unterrichtet, was seit hundert Jahren in Rußland vorgegangen war. Geist und Benehmen dieser Frau sagten mir ungemein zu, und wenn ich mich langweilte, ließ ich sie plaudern, wozu sie stets bereit war. Bald auch entdeckte ich, daß sie die Worte und Handlungen der Tschoglokoffs sehr oft mißbilligte; da sie indes öfters in die Gemächer Ihrer Majestät ging, ohne daß man im geringsten wußte weshalb, hütete man sich bis zu einem gewissen Punkte vor ihr, weil man nicht sicher war, wie die unschuldigsten Worte oder Handlungen ausgelegt werden konnten.
Aus dem Sommerpalast zogen wir in den Winterpalast. Hier wurde uns Madame La Tour l'Annois vorgestellt, die in ihrer frühesten Jugend im Dienste der Kaiserin gestanden und die Fürstin Anna Petrowna, die älteste Tochter Peters I. begleitet hatte, als diese beim Regierungsantritt Peters II. Rußland mit ihrem Gemahl, dem Herzog von Holstein, verließ. Nach dem Tode der Fürstin war Madame L'Annois nach Frankreich zurückgekehrt und gegenwärtig nach Rußland gekommen, um sich hier dauernd niederzulassen, oder auch um sich wieder zu entfernen, nachdem sie von Ihrer Majestät einige Gnadenbezeigungen erhalten. Madame L'Annois hoffte, sie werde wegen ihrer alten Bekanntschaft die Gunst und das Vertrauen der Kaiserin erlangen, aber sie täuschte sich sehr, denn alle ließen es sich angelegen sein, solches zu verhindern. Schon während der ersten Tage ihres Aufenthaltes sah ich das Resultat voraus, und zwar auf folgende Weise. Eines Abends, als man im Zimmer der Kaiserin beim Spiele saß, kam und ging Ihre Majestät von einem Zimmer ins andere, ohne sich, wie das ihre Gewohnheit war, an irgend einem Platze niederzulassen. Madame L'Annois, die ihr augenscheinlich den Hof zu machen hoffte, folgte ihr auf Schritt und Tritt. Als die Tschoglokoff das sah, flüsterte sie mir zu:»Sehen Sie doch, wie diese Frau die Kaiserin verfolgt, aber das wird nicht lange dauern, man wird ihr schnell genug abgewöhnen, hinter Ihrer Majestät herzulaufen. «Ich ließ mir dies gesagt sein, und in der Tat begann man sie zu entfernen und schickte sie bald darauf, reich beschenkt, nach Frankreich zurück.
Im Laufe des Winters fand die Hochzeit Graf Lestocqs mit Fräulein Mengden, einer Ehrendame der Kaiserin, statt. Ihre Majestät war mit dem ganzen Hofe zugegen und erwies den Neuvermählten die Ehre, sie zu besuchen. Man hätte meinen sollen, daß sie in der höchsten Gunst bei ihr standen, jedoch ein oder zwei Monate später wendete sich das Glück. Als wir eines Abends im Zimmer der Kaiserin spielten, bemerkte ich den Grafen und näherte mich ihm, um einige Worte an ihn zu richten. Allein er sagte mit gedämpfter Stimme zu mir:»Kommen Sie mir nicht zu nahe; ich bin eine verdächtige Person. «Da ich glaubte, er scherze, fragte ich ihn, was er damit sagen wolle, aber er antwortete:»Ich wiederhole Ihnen im vollen Ernst, sich mir nicht zu nähern, weil ich eine verdächtige Person bin, die man meiden muß. «Als ich dann bemerkte, daß seine Züge verändert und sein Gesicht gerötet war, hielt ich ihn für betrunken und wandte mich weg. Dies geschah am Freitag, und am Sonntag sagte mir Timotheus Nevreinoff, als er mich frisierte:»Wissen Sie schon, daß Graf Lestocq und seine Frau diese Nacht verhaftet und als Landesverräter auf die Festung gebracht worden sind?«— Niemand wußte weshalb, nur erfuhr man, daß General Stefan Apraxin und Alexander Schuwaloff zu Kommissaren für diese Angelegenheit ernannt seien.
Die Abreise des Hofes nach Moskau wurde auf den 16. Dezember festgesetzt. Man hatte die Czernitscheffs in ein Haus der Kaiserin innerhalb der Festung gebracht, welches Smolnoi Dwor hieß. Der ältere machte mitunter seine Wächter betrunken und besuchte dann seine Freunde in der Stadt. Eines Tages brachte mir eins meiner Garderobemädchen, eine Finnländerin, die mit einem Hofbedienten und Verwandten Nevreinoffs verlobt war, einen Brief von Andreas Czernitscheff, worin er mich um verschiedenes bat. Das Mädchen hatte ihn bei ihrem Zukünftigen gesehen, wo sie den Abend gemeinsam verlebt hatten. Da ich diesen Brief nicht verbrennen wollte, um mich zu erinnern, um was er mich bat, wußte ich nicht, wo ich ihn lassen sollte. Lange Zeit war mir sogar die Korrespondenz meiner Mutter verboten, so daß ich nicht einmal Schreibzeug besaß und mir nun durch das Mädchen eine silberne Feder und Tinte verschaffen mußte. Tagsüber hatte ich den Brief in meiner Tasche, wenn ich mich auskleidete, steckte ich ihn unter das Strumpfband in meinen Strumpf und nahm ihn, ehe ich zu Bett ging, von dort weg, um ihn in meinem Hemdärmel zu verbergen. Schließlich antwortete ich, schickte ihm das Gewünschte auf demselben Wege, auf welchem sein Brief an mich gelangt war, und benutzte einen günstigen Augenblick, um diesen Brief, der mir so viel Unruhe verursachte, zu verbrennen.
Aufenthalt in Moskau. — Man verabschiedet wieder eine Person meiner Umgebung. — Krankheit der Kaiserin Elisabeth. — Der Beichtvater verweigert Tschoglokoff das Abendmahl. — Lektüre. — Die Nähe der Gemächer des Großfürsten wird unerträglich. — Er dressiert und quält seine Hunde. — Mein Kammerdiener bringt mir heimlich einen Brief von Czernitscheff. — Reise nach Perowa. — Aufenthalt in Rajowa. — Graf Razumowski macht mir den Hof. — Der Ball im Kloster Troitza. — Wutausbrüche der Kaiserin. — Diner in Tatninskoje, wobei sich der Großfürst unsinnig betrinkt. — Iwan Schuwaloff wird zum Kammerherrn ernannt. — Ich werde krank, muß aber trotzdem der Hochzeit Alexander Narischkins beiwohnen.
Mitte Dezember reisten wir nach Moskau. Der Großfürst und ich fuhren in einem großen Schlitten, dessen vorderen Teil die Kavaliere einnahmen. Im Laufe des Tages setzte sich indes der Großfürst in einen Stadtschlitten zu Herrn Tschoglokoff, während ich in dem großen Schlitten, den wir nie schlossen, blieb und mich mit den vor mir sitzenden Herren unterhielt. Dabei erinnere ich mich, daß der Kammerherr Fürst Alexander Juriowitsch Trubetzkoi mir während dieser Fahrt erzählte, Graf Lestocq habe sich in den ersten elf Tagen seiner Haft auf der Festung durch Hunger töten wollen, doch man habe ihn gezwungen, Nahrung zu sich zu nehmen. Er war angeklagt, vom König von Preußen 1000 Rubel für die Betreibung der preußischen Interessen empfangen und einen gewissen Oettinger, der gegen ihn hätte aussagen können, vergiftet zu haben. Er wurde gefoltert und nach Sibirien verbannt.
Während dieser Reise eilte die Kaiserin uns nach Twer voraus, und da die für uns bestimmten Pferde und Lebensmittel für ihr Gefolge genommen wurden, blieben wir vierundzwanzig Stunden ohne Nahrung und ohne Pferde in Twer. Uns hungerte sehr. Gegen Abend endlich brachte uns Tschoglokoff einen gebackenen Stör, der uns ein Leckerbissen schien. Dann fuhren wir in der Nacht weiter und kamen zwei oder drei Tage vor Weihnachten in Moskau an. Die erste Neuigkeit, welche wir dort erfuhren, war, daß unser Kammerherr Fürst Alexander Michael Galitzin im Augenblick unserer Abreise von Petersburg Befehl erhalten hatte, sich als russischer Gesandter mit 4000 Rubel Gehalt nach Hamburg zu begeben. In ihm erblickte man wieder einen Exilierten mehr, und seine Schwägerin, die Fürstin Gagarin, weinte viel über sein Mißgeschick; überhaupt wurde er von uns allen bedauert.
In Moskau bewohnten wir dieselben Gemächer, welche ich 1744 mit meiner Mutter eingenommen hatte. Um in die große Hofkirche zu gehen, mußte man das ganze Haus im Wagen umfahren. Am Weihnachtstage gingen wir zur Zeit der Messe hinab, den Wagen zu besteigen, und waren schon bei einer Kälte von 29 Grad auf dem Perron vor der Treppe, als uns die Kaiserin melden ließ, sie dispensiere uns wegen der großen Kälte vom Besuche der heutigen Messe. Die Kälte war aber auch in der Tat schrecklich. Während der ersten Zeit unseres Aufenthaltes in Moskau mußte ich das Zimmer hüten wegen eines frieselartigen Ausschlags, der auf meinem Gesicht zum Vorschein gekommen war. Ich ängstigte mich halbtod, die Flecke zeitlebens zu behalten, und ließ den Doktor Boerhave rufen, der mir beruhigende und zur Vertreibung der Flecke geeignete Mittel verordnete. Als aber schließlich alles nichts half, sagte er eines Tages:»Jetzt werde ich Ihnen etwas geben, was sicher wirkt. «Dabei zog er ein kleines Fläschchen mit Falkschem Oel aus der Tasche und empfahl mir, einige Tropfen davon in eine Tasse zu tun und hiermit von Zeit zu Zeit mein Gesicht einzureiben, etwa alle acht Stunden. Wirklich reinigte das Oel mein Gesicht vollkommen, und nach etwa zehn Tagen konnte ich wieder öffentlich erscheinen.
Kurz nach unserer Ankunft in Moskau meldete mir Madame Wladislawa, die Kaiserin habe befohlen, mein finnisches Garderobemädchen so schnell als möglich zu verheiraten. Der einzige Grund, weshalb man wahrscheinlich diese Heirat beschleunigte, konnte offenbar nur darin liegen, daß ich für das Mädchen, das sehr lustig war und mich bald auf diese, bald auf jene Art erheiterte, indem sie alle, besonders aber Madame Tschoglokoff, sehr komisch nachahmte, eine entschiedene Vorliebe besaß. Man verheiratete sie also und sprach nicht weiter von ihr.
Inmitten des Karnevals, während dessen es durchaus keine Belustigungen gab, wurde die Kaiserin von einer heftigen Kolik befallen, welche bald einen ernsten Charakter anzunehmen schien. Madame Wladislawa und Timotheus Nevreinoff flüsterten es mir ins Ohr, baten mich aber gleichzeitig inständig, niemand zu sagen, daß sie es mir erzählt hätten. Ohne sie daher zu nennen, benachrichtigte ich den Großfürsten davon, der dadurch in eine gehobene Stimmung versetzt wurde. Eines Morgens teilte mir Nevreinoff mit, der Kanzler Bestuscheff und General Apraxin hätten die Nacht im Zimmer der Tschoglokoffs zugebracht, woraus man schloß, daß die Kaiserin sehr krank sein müsse. Tschoglokoff und seine Frau waren mürrischer als je, kamen zu uns, dinierten und soupierten mit uns, ließen indes nie ein Wort über diese Krankheit fallen. Wir sprachen nicht mehr darüber, wagten aber ebenso wenig, fragen zu lassen, wie Ihre Majestät sich befände, weil man uns sofort gefragt haben würde:»Wie, woher, von wem wißt ihr, daß sie krank ist?«Und die, welche genannt, ja nur beargwöhnt worden wären, würden sicherlich verabschiedet oder verbannt, ja selbst vor die geheime Kanzlei, die Staatsinquisition, geschickt worden sein, die man mehr als das Feuer fürchtete. Als sich Ihre Majestät endlich nach zehn Tagen etwas besser fühlte, wurde am Hofe die Hochzeit einer ihrer Ehrendamen gefeiert. Bei Tafel saß ich neben der Favoritin der Kaiserin, der Gräfin Schuwaloff. Sie erzählte mir, Ihre Majestät sei von der schrecklichen Krankheit noch so schwach, daß sie die Verlobte nur im Bette sitzend mit ihren Diamanten hätte schmücken können — eine Ehre, welche Elisabeth allen ihren Ehrendamen erwies. Deshalb, fuhr die Gräfin fort, sei sie auch nicht bei der Hochzeitsfeier erschienen. Da Madame Schuwaloff die erste war, die mit mir von dieser Krankheit sprach, bezeigte ich ihr den Schmerz, welchen der Zustand der Kaiserin mir verursacht, und den Anteil, den ich daran genommen habe. Sie erwiderte, Ihre Majestät werde mit Genugtuung hören, wie ich in dieser Beziehung dachte. Zwei Tage später kam Madame Tschoglokoff des Morgens in mein Zimmer und sagte mir in Gegenwart von Madame Wladislawa, die Kaiserin sei sehr aufgebracht gegen den Großfürsten und mich wegen des geringen Interesses, das wir an ihrer Krankheit genommen. Wir wären sogar so weit gegangen, daß wir nicht ein einzigesmal hätten fragen lassen, wie sie sich befinde. Ich erwiderte Madame Tschoglokoff, in dieser Hinsicht könne ich mich nur an sie selbst halten, denn weder sie noch ihr Gemahl hätten uns auch nur ein Wort von dieser Krankheit gesagt. Da wir nichts davon gewußt, hätten wir auch den Anteil, den wir daran nehmen, nicht bezeigen können. Sie antwortete entrüstet:»Wie können Sie sagen, daß Sie nichts davon gewußt haben? Gräfin Schuwaloff hat Ihrer Majestät gesagt, daß sie bei der Tafel mit ihr von der Krankheit gesprochen haben.«»Das ist allerdings wahr, «erwiderte ich,»aber nur, weil sie mir sagte, Ihre Majestät sei noch zu schwach, um auszugehen, und bei dieser Gelegenheit habe ich sie nach den Einzelheiten der Krankheit gefragt. «Darauf entfernte sich Madame Tschoglokoff verdrießlich, und Madame Wladislawa meinte, es sei sehr merkwürdig, Streit mit einem Menschen anzufangen über eine Sache, von der er nichts wüßte. Da übrigens die Tschoglokoffs allein das Recht hätten, davon zu sprechen, so sei es doch ihre Schuld, daß sie kein Wort darüber erwähnt, und nicht die unsrige, wenn wir aus Unwissenheit gefehlt hätten. Kurze Zeit nachher fand ich Gelegenheit, der Kaiserin während einer Vorstellung bei Hofe zu sagen, daß weder Tschoglokoff noch seine Frau uns von ihrer Krankheit benachrichtigt hätten und wir aus diesem Grunde nicht imstande gewesen wären, ihr unsere Teilnahme zu beweisen. Sie nahm meine Worte sehr freundschaftlich auf, und fast schien es mir, als wenn der Einfluß jener Menschen im Abnehmen begriffen sei.
In der ersten Woche der Fasten wollte Tschoglokoff zum Abendmahle gehen. Er beichtete, aber der Beichtvater der Kaiserin verbot ihm, das Abendmahl zu nehmen. Der ganze Hof behauptete, dies geschehe nur auf Befehl Ihrer kaiserlichen Majestät, wegen seines Abenteuers mit Fräulein Kocheleff. Uebrigens schien Tschoglokoff während des größten Teiles unseres Aufenthaltes in Moskau sehr intim mit dem Kanzler Grafen Bestuscheff und dem General Stephan Apraxin zu sein, der jenem mit Leib und Seele ergeben war. Er befand sich fortwährend in ihrer Gesellschaft, und wenn man ihn reden hörte, hätte man meinen können, er sei Graf Bestuscheffs geheimer Rat. In Wahrheit aber konnte er dies nicht sein, weil Bestuscheff zu viel Geist besaß, als daß er sich von einem so anmaßenden Narren wie Tschoglokoff hätte raten lassen. Etwa um die Mitte unseres Aufenthaltes in Moskau indes hörte diese große Vertraulichkeit aus irgend welchem mir unbekannten Grunde plötzlich auf, und Tschoglokoff wurde der geschworene Feind derer, mit denen er kurz zuvor in intimstem Verkehr gestanden hatte.
Kurz nach meiner Ankunft in Moskau fing ich aus Langeweile an, die Geschichte Deutschlands vom Pater Barre, Kanonikus von St. Geneviève, in neun Quartbänden zu lesen. Alle acht Tage beendigte ich einen Band, worauf ich Platos Werke begann. Meine Zimmer waren nach der Straße zu gelegen, während das Hintergebäude, dessen Fenster auf einen kleinen Hof führten, vom Großfürsten bewohnt wurde. Wenn ich in meinem Zimmer las, kam gewöhnlich ein Kammermädchen herein und stand so lange es ihr gefiel im Zimmer, dann nahm eine andere ihren Platz ein, wenn sie es für passend fand. Da dies mir aber nur unbequem war, und ich überdies durch die Nähe der Gemächer des Großfürsten und von dem, was dort vorging, viel zu leiden hatte, ließ ich Madame Wladislawa meine Unzufriedenheit merken. Sie selbst litt in der Tat ebensoviel darunter als ich, denn sie bewohnte am Ende meiner Gemächer ein kleines Kabinett. Sie verstand sich denn auch bereitwilligst dazu, die Kammermädchen von jener Art von Etikette zu entbinden. Was wir aber sonst im Laufe des Tages zu erdulden hatten, war schrecklich. Der Großfürst dressierte mit seltener Beharrlichkeit unter lautem Peitschenknallen eine Meute Hunde, die er, indem er nach Jägerart schrie, in seinen beiden Zimmern — denn er hatte nicht mehr — hin- und herhetzte. Wenn dann einige der Tiere müde wurden, oder aus der Reihe liefen, wurden sie aufs strengste gezüchtigt, worauf sie natürlich noch lauter lärmten. War er schließlich dieser für die Ohren wie für die Ruhe seiner Nachbarn unerträglichen Unterhaltung satt, so nahm er seine Geige zur Hand und kratzte, während er im Zimmer auf- und abging, mißtönig und mit wilder Heftigkeit darauf herum. Dann begann er von neuem die Hunde zu dressieren und zu martern, was mir wahrhaft grausam erschien. Eines Tages, als ich solch ein armes Tier laut und anhaltend winseln hörte, öffnete ich die Tür meines Schlafzimmers, wo ich mich eben befand, und welches an das Zimmer stieß, wo die Sache vor sich ging. Ich sah, wie er einen Hund am Halsbande in der Luft hielt, indes einer seiner Burschen, ein Kalmücke, das arme Tier — es war ein kleiner englischer Charlot — beim Schwanze gefaßt hatte, während der Großfürst mit einem dicken Peitschenstocke so derb er konnte darauf losschlug. Ich suchte für das gequälte Tier Fürbitte einzulegen, erreichte aber nichts als eine Verdoppelung der Schläge. Da ich diesen widerwärtigen Anblick nicht ertragen konnte, kehrte ich mit Tränen in den Augen in mein Zimmer zurück. Tränen und Bitten aber versetzten den Großfürsten erst recht in Zorn, statt ihn zum Mitleid zu bewegen. Mitleid war für seinen Geist überhaupt ein peinliches, ja unerträgliches Gefühl.
Ungefähr um dieselbe Zeit überbrachte mir mein Kammerdiener Timotheus Nevreinoff einen Brief von seinem alten Kameraden Andreas Czernitscheff, dem man endlich seine Freiheit wiedergegeben hatte. Als er sich zu seinem Regiment, in welches er als Leutnant versetzt war, begab, führte ihn sein Weg in die Nähe von Moskau, wo er die Gelegenheit benutzte, mir einige Worte zu schicken. Ich machte es mit diesem Briefe genau so wie mit dem vorhergehenden, sandte ihm alles, worum er mich bat, und erwähnte kein Wort davon, weder gegen den Großfürsten, noch gegen irgend jemand.
Im Frühling ließ uns die Kaiserin nach Perowa kommen, wo wir mit ihr einige Tage beim Grafen Razumowski zubrachten. Fast täglich gingen der Großfürst und Tschoglokoff mit dem Hausherrn auf die Jagd, während ich in meinem Zimmer saß und etwas las, oder Madame Tschoglokoff kam, wenn sie nicht spielte, aus Langeweile zu mir, um mir Gesellschaft zu leisten. Sie beklagte sich bitter über Razumowski und die fortwährenden Jagden ihres Gemahls, der ein leidenschaftlicher Nimrod geworden war, seitdem er in Moskau einen sehr schönen englischen Jagdhund zum Geschenk erhalten hatte. Von anderer Seite indes erfuhr ich, daß ihr Mann allen Jägern zum Gelächter diene, weil er sich einbildete und man ihm glauben machte, seine Circe — so hieß sein Hund — fange alle Hasen, die man auftrieb. Ueberhaupt war Tschoglokoff sehr zu dem Glauben geneigt, daß alles, was ihm gehörte, von seltener Schönheit und Vortrefflichkeit sei. Seine Frau, seine Kinder, seine Diener, sein Haus, seine Tafel, seine Pferde, seine Hunde, kurz alles — obgleich es sehr mittelmäßig war — nahm an seiner Selbstliebe teil und besaß, da es ihm gehörte, in seinen Augen unvergleichlichen Wert.
In Perowa bekam ich eines Tages so heftiges Kopfweh, wie ich mich nicht erinnere, je in meinem Leben gehabt zu haben. Der übermäßige Schmerz brachte ein heftiges Uebelbefinden mit Erbrechen hervor, und jeder Schritt, den ich tat, vermehrte meine Leiden. Fast vierundzwanzig Stunden währte dieser entsetzliche Zustand, endlich schlief ich ein. Am folgenden Tag empfand ich nur noch eine große Mattigkeit. Während dieses Anfalls sorgte Madame Tschoglokoff aufs beste für mich. Auch alle diejenigen, die mich mit unverkennbarer Böswilligkeit umgaben, faßten in kurzer Zeit unwillkürlich ein wohlwollendes Interesse für mich und handelten, wenn sie nicht gescholten oder von neuem aufgestachelt wurden, gegen die Absichten derer, die sie angestellt. Oft ließen sie sich sogar von der Neigung, die sie zu mir hinzog, oder besser, von dem Interesse, das ich ihnen einflößte, fortreißen. Sie fanden mich nie zänkisch oder mürrisch, sondern immer bereit, das geringste Entgegenkommen von ihrer Seite zu erwidern. Hierbei kam mir besonders mein heiteres Temperament zu statten, denn alle diese Argusse amüsierten sich oft über meine drolligen Bemerkungen, und wider ihren Willen verschwand allmählich der Ernst von ihrer Stirn.
In Perowa hatte Ihre Majestät einen neuen Kolikanfall. Sie ließ sich sofort nach Moskau bringen, und wir fuhren im Schritt zu dem nur vier Werst entfernten Schloß. Jener Anfall hatte übrigens keine weiteren Folgen, so daß Ihre Majestät kurz darauf eine Wallfahrt nach dem Kloster Troitza unternehmen konnte. Da sie die sechzig Werst zu Fuß zurücklegen wollte, begab sie sich in das Haus von Pokrowskoje. Auch uns hieß man den Weg nach Troitza einschlagen, jedoch blieben wir in Rajowa, einem sehr kleinen, elf Werst von Moskau gelegenen Landhause Madame Tschoglokoffs. Die Räumlichkeiten desselben bestanden in einem kleinen Saal in der Mitte und zwei sehr kleinen Zimmern auf beiden Seiten. Unser ganzes Gefolge wurde in Zelten untergebracht, welche man rings um das Haus herum aufschlug. Davon benutzte auch der Großfürst eins, während ich eins der kleinen Zimmer bewohnte. Madame Wladislawa hatte das zweite inne, und die Tschoglokoffs hielten sich in den andern auf. Das Diner wurde gemeinsam im Saale eingenommen. Die Kaiserin machte drei bis vier Werst zu Fuß und ruhte dann einige Tage aus, so daß diese Reise fast den ganzen Sommer in Anspruch nahm, während welcher Zeit wir jeden Nachmittag auf die Jagd gingen.
Als Ihre Majestät bis Taininskoje — das auf der Seite der großen Straße von Troitza Rajowa fast gegenüber liegt — gekommen war, fiel es dem Hermann Grafen Razumowski, dem jüngeren Bruder des Günstlings, plötzlich ein, uns von seinem Landhause Pokrowskoje aus, welches an der Straße nach Petersburg an der andern Seite von Moskau lag, täglich in Rajowa zu besuchen. Er war sehr heiteren Temperaments und ungefähr im gleichen Alter wie wir. Wir mochten ihn sehr gern und auch die Tschoglokoffs empfingen ihn, als Bruder des Günstlings der Kaiserin, bereitwilligst in ihrem Hause. Seine Besuche dauerten den ganzen Sommer hindurch, und stets sahen wir seiner Ankunft mit vielem Vergnügen entgegen. Er dinierte und soupierte gewöhnlich mit uns, und kehrte dann nach dem Abendessen auf sein Gut zurück, machte also täglich vierzig bis fünfzig Werst. Ungefähr zwanzig Jahre später kam es mir einmal in den Sinn, ihn zu fragen, was ihn eigentlich zu jener Zeit veranlaßt habe, die Langeweile und Oede unseres Aufenthaltes in Rajowa mit uns zu teilen, während doch sein eigenes Haus täglich von der besten Gesellschaft Moskaus strotzte. Ohne sich lange zu bedenken, erwiderte er:»Die Liebe.«—»Aber ums Himmels willen, «fragte ich,»in welche Person unseres Kreises konnten Sie denn damals verliebt sein?«—»In wen!«rief er,»in Sie!«Bei diesem Geständnis brach ich in ein lautes Gelächter aus, denn nie würde mir etwas Derartiges in den Sinn gekommen sein. Dazu war er schon damals seit mehreren Jahren mit einer reichen Erbin des Hauses Narischkin verheiratet, welche die Kaiserin ihm allerdings etwas gegen seinen Willen zur Frau gegeben, mit der er indes glücklich zu leben schien; auch war es bekannt, daß die schönsten Frauen des Hofes und der ganzen Stadt sich um ihn rissen. Er war aber auch in der Tat ein schöner Mensch mit originellem Geist und äußerst liebenswürdigem Benehmen. An Verstand übertraf er bei weitem seinen Bruder, der ihm anderseits an Schönheit gleichkam, ihn an Edelmut und Wohlwollen aber übertraf. Diese beiden Brüder stammten aus der beliebtesten Günstlingsfamilie, welche mir je vorgekommen ist.
Um Sankt Peter ließ uns die Kaiserin zu sich nach Bratowchina kommen. Da ich den ganzen Frühling und einen Teil des Sommers auf der Jagd oder doch wenigstens in freier Luft gewesen war — denn das Haus in Rajowa war so klein, daß wir den größten Teil des Tages im nahegelegenen Walde zubrachten — kam ich in Bratowchina sehr rot und sonnenverbrannt an. Als die Kaiserin mich sah, schalt sie über meine Röte und sagte, sie werde mir zur Entfernung des Sonnenbrandes ein Wasser schicken. Wirklich sandte sie mir sofort eine Flasche mit einer Mischung von Zitronensaft, Eiweiß und Franzbranntwein und befahl meinen Kammerfrauen, mich täglich damit einzureiben. Nach einigen Tagen verschwand die Röte von meinem Gesicht, und seitdem habe ich dies Mittel öfter gebraucht und es andern für ähnliche Fälle mitgeteilt.
Wir verbrachten den Peterstag im Kloster Troitza. Da es am Nachmittag dieses Tages nichts gab, was den Großfürsten zerstreuen konnte, kam er auf den Einfall, in seinen Zimmern einen Ball zu veranstalten, an welchem jedoch nur er, zwei seiner Kammerdiener und zwei Frauen meiner Begleitung, von denen die eine eine hohe Fünfzigerin war, teilnahmen.
Von Troitza begab sich Ihre Majestät nach Taininskoje, wir indes kehrten nach Rajowa zurück und setzten dort unser früheres Leben fort. Hier blieben wir bis Mitte August, um welche Zeit die Kaiserin eine Reise nach Sophino, einem sechzig bis siebzig Werst von Moskau gelegenen Orte, unternahm. Wir übernachteten in Sophino und begaben uns am nächsten Tag in das Zelt der Kaiserin, wo wir sie damit beschäftigt fanden, den Verwalter des Gutes auszuschelten. Sie war nämlich gekommen, um auf die Jagd zu gehen und hatte keine Hasen vorgefunden. Der arme Mensch war ganz bleich und zitterte vor Angst, während sie ihn mit Schmähreden aller Art überhäufte; sie schien in der Tat außer sich vor Wut zu sein. Als sie uns zum Handkuß kommen sah, umarmte sie uns wie gewöhnlich und setzte dann ihr Schelten fort. In ihrem Zorn schleuderte sie ihre Pfeile nach allen Seiten. Sie sprang von einem aufs andere, und ihre Zungenfertigkeit war großartig. Unter anderm bemerkte sie auch, sie verstehe sich vollkommen auf die Verwaltung von Gütern, die Regierung der Kaiserin Anna habe sie genügend darüber belehrt. Als sie wenig gehabt, fuhr sie fort, habe sie sich gehütet, viel auszugeben, denn sie hätte sich gefürchtet, sich durch Schulden ins Verderben zu stürzen; wäre sie aber mit Schulden gestorben, so würde sie niemand bezahlt haben, ihre Seele würde zur Hölle gefahren sein, was sie nicht wolle. So trage sie auch jetzt, wo sie es nicht nötig habe, zu Hause sehr einfache Kleider, oben aus weißem Taffet, unten aus schwarzem Tuch; auf diese Weise spare sie viel, aber noch mehr hüte sie sich, auf dem Lande oder gar auf der Reise kostbare Stoffe zu tragen. Das sollte auf mich gehen, denn ich trug ein mit Silber gesticktes lila Seidenkleid — und ließ es mir gesagt sein. Diese Vorlesung — denn eine solche war es, da niemand, wenn sie vor Zorn glühte, ein Wort sprach — dauerte wenigstens dreiviertel Stunden. Endlich brachte ein Hofnarr namens Aksakoff die Kaiserin zum Schluß. Er trat mit einem kleinen Stachelschwein herein, welches er ihr in seinem Hute darreichte. Sie näherte sich ihm, um es zu betrachten, stieß aber, sowie sie es gesehen, einen lauten Schrei aus, erklärte, es gleiche einer Maus und entfloh spornstreichs in ihr Zelt, denn sie hatte die größte Furcht vor Mäusen. Wir sahen sie darauf nicht mehr und sie dinierte allein. Am Nachmittag ging sie auf die Jagd, nahm den Großfürsten mit und befahl mir, mit Madame Tschoglokoff nach Moskau zurückzukehren. Da die Jagd aber wegen des starken Windes von kurzer Dauer gewesen war, folgte uns der Großfürst schon in einigen Stunden.
Eines Sonntags, als wir schon wieder nach Rajowa zurückgekehrt waren, ließ uns die Kaiserin nach Taininskoje kommen, wo wir die Ehre hatten, an der Tafel Ihrer Majestät zu speisen. Sie saß allein am Ende der sehr langen und schmalen Tafel, der Großfürst zu ihrer Rechten, ich ihm gegenüber zu ihrer Linken; neben dem Großfürsten der Marschall Buturlin, an meiner linken Seite die Gräfin Schuwaloff. Bei dieser Gelegenheit betrank sich der Großfürst unter dem Beistande Buturlins, der ebenfalls kein Verächter des Trunkes war, auf eine Weise, die jegliches Maß überschritt, so daß er nicht mehr wußte, was er sagte noch tat, abgerissene Worte stammelte, kurz so peinlich auffiel, daß mir die Tränen in die Augen traten, mir, die ich damals, so viel in meinen Kräften stand, alles Verwerfliche an ihm zu verhüllen und zu verbergen suchte. Die Kaiserin nahm mein schmerzliches Empfinden gut auf und erhob sich früher von der Tafel als gewöhnlich.
Am Nachmittag hatte Seine kaiserliche Hoheit mit Graf Razumowski auf die Jagd gehen sollen, blieb jedoch in Taininskoje, während ich nach Rajowa zurückkehrte. Unterwegs aber befiel mich plötzlich ein heftiges Zahnweh. Das Wetter begann kalt und feucht zu werden, und in Rajowa gab es nichts als das nackte Oberdach. Doch der Bruder Madame Tschoglokoffs, Graf Hendrikoff, welcher diensttuender Kammerherr bei mir war, machte seiner Schwester den Vorschlag, mich augenblicklich zu kurieren. Sie sprach mit mir darüber und ich willigte ein, sein Mittel zu versuchen, an dem nichts zu sein schien, das im Gegenteil viel mehr den Anschein völliger Charlatanerie hatte. Er begab sich also in das andere Zimmer und brachte eine ganz kleine Papierrolle, die er mich aufforderte, mit dem kranken Zahn zu kauen. Kaum aber hatte ich das getan, als meine Zahnschmerzen so heftig wurden, daß ich mich zu Bett legen mußte. Ein hitziges Fieber ergriff mich, ich begann zu phantasieren, und Madame Tschoglokoff, über meinen Zustand aufs höchste erschrocken, schalt ihren Bruder, dessen Mittel sie die Schuld gab. Sie verließ mein Bett die ganze Nacht nicht, ließ der Kaiserin sagen, ihr Haus in Rajowa sei durchaus kein geeigneter Aufenthalt für jemand, der so krank sei wie ich, und brachte es so weit, daß man mich am folgenden Tage, krank wie ich war, nach Moskau schaffte. Dort lag ich zwölf Tage lang im Bett, aber die Zahnschmerzen kehrten jeden Nachmittag zur selben Stunde wieder.
Anfang September begab sich Elisabeth in das Kloster Woskressenski und ließ uns den Befehl erteilen, ihr an ihrem Namenstage zu folgen. An diesem Tage machte sie Iwan Iwanowitsch Schuwaloff zum Kammerherrn. Es war dies ein großes Ereignis bei Hofe, und alle flüsterten sich zu, er sei ihr neuer Günstling. Ich freute mich besonders seines Avancements, weil ich ihn, als er noch Page war, als einen Menschen, dessen Streben viel versprach, erkannt hatte, denn stets fand man ihn mit einem Buche in der Hand.
Von diesem Ausfluge zurückgekehrt, erkrankte ich an einem von heftigem Fieber begleiteten Halsweh. Die Kaiserin besuchte mich während dieser Krankheit. Kaum aber begann ich mich zu erholen, als Ihre Majestät mir durch Madame Tschoglokoff befehlen ließ, bei der Hochzeit der Nichte der Gräfin Rumianzoff zugegen zu sein und die Braut zu schmücken. Sie verheiratete sich mit Alexander Narischkin, der später Oberschenk wurde. Da Madame Tschoglokoff sah, daß ich kaum genesen war, tat ihr dieser Befehl leid, und auch mir konnte er nicht sehr willkommen sein, denn ich wurde dadurch gewahr, daß man sich um meine Gesundheit, ja um mein Leben wenig bekümmerte. In diesem Sinne sprach ich dann auch mit Madame Wladislawa, die von einem so rücksichtslosen und ohne Schonung gegebenen Befehle ebenfalls wenig erbaut war. Dennoch raffte ich alle meine Kräfte zusammen, und am festgesetzten Tage brachte man die Verlobte in mein Zimmer. Ich schmückte sie mit meinen Diamanten, worauf sie in die Hofkirche zur Trauung ging, während ich mich mit Madame Tschoglokoff und meinem Hofe in das Haus der Narischkins begeben mußte. Da wir aber damals in Moskau den Palast am Ende der deutschen Sloboda bewohnten, mußte man, um zu den Narischkins zu gelangen, ganz Moskau durchfahren, d.h. eine Strecke von wenigstens sieben Werst zurücklegen. Es war im Oktober gegen neun Uhr abends. Es fror Stein und Bein und das Glatteis war so schlimm, daß man sich nur Schritt für Schritt vorwärts bewegen konnte. Mindestens drei Stunden war ich auf dem Hinwege unterwegs und ebenso viel auf dem Rückwege. Es gab keinen Menschen, kein Pferd in meinem Gefolge, die nicht mehrere Male hinfielen. Als wir endlich bis zur Kasanschen Kirche in der Nähe des Tores Troitzkaja gekommen waren, stießen wir auf ein neues Hindernis. Hier fand zu dieser Stunde die Trauung der Schwester Iwan Iwanowitsch Schuwaloffs statt, welche von der Kaiserin selbst geschmückt worden war, und eine Masse von Karossen drängte sich folglich am Tore. Jeden Augenblick mußten wir stillstehen, worauf das Hinfallen von neuem anfing, da kein einziges Pferd für das Glatteis beschlagen war. Endlich langten wir, nicht gerade in der besten Stimmung, an. Wir mußten sehr lange auf die Neuvermählten warten, denen es ungefähr ebenso ging wie uns. Der Großfürst begleitete den Bräutigam, dann mußte noch die Kaiserin erwartet werden. Endlich setzte man sich zu Tisch. Nach dem Souper fanden einige Festtänze im Vorzimmer statt, worauf uns befohlen wurde, die Neuvermählten in ihre Gemächer zu geleiten. Hierbei mußte man verschiedene sehr kalte Korridore passieren, mehrere Treppen steigen, die nicht weniger kalt waren, dann durch lange, in Eile von feuchtem Bretterwerk errichtete Galerien gehen, an deren Wänden das Wasser überall herunterlief. Endlich in den Gemächern angelangt, setzte man sich an eine Tafel, auf welcher der Nachtisch serviert wurde. Aber nur einen Augenblick hielt man sich hier auf, um die Gesundheit der Vermählten auszubringen, führte dann die Braut ins Schlafgemach und entfernte sich, um nach Hause zurückzukehren. Am folgenden Abend mußten wir wieder zu ihnen. Und wer hätte es geglaubt? Dieses unruhige Treiben, statt meiner Gesundheit zu schaden, verhinderte meine Genesung durchaus nicht, denn Tags darauf befand ich mich besser als vorher.
Schlimme Geschichte, in die der Großfürst verwickelt ist. — Eine Verhaftung. — Rückkehr nach Petersburg. — Gefährliche Operation. — Tschoglokoff arrangiert einige Spielgesellschaften. — Die Prinzessin von Kurland. — Der Großfürst bringt ihr viel mehr Aufmerksamkeit entgegen. — Die beiden Schwestern Woronzow. — Der Großfürst weigert sich, ein Bad zu nehmen. — Feier des Namensfestes des Favoriten der Kaiserin. — Aufenthalt in Zarskoje Selo. — Der Großfürst macht der Prinzessin von Kurland öffentlich den Hof. — Unglaubliche Roheit des Großfürsten gegen mich. — Fataler Peitschenhieb. — Frische Austern aus Holstein.
Zu Anfang des Winters bemerkte ich im Wesen des Großfürsten eine große Unruhe. Ich wußte nicht, was dies zu bedeuten hatte. Er dressierte seine Hunde nicht mehr, kam zwanzigmal am Tage in mein Zimmer, hatte ein verstörtes Aussehen, war träumerisch und zerstreut, kaufte sich deutsche Bücher: aber was für Bücher! Ein Teil bestand aus lutherischen Gebetbüchern, der andere aus Geschichten und Prozessen von Straßenräubern, die man gehängt oder gerädert hatte. Beides las er abwechselnd, wenn er nicht mit der Violine beschäftigt war. Da er aber gewöhnlich das, was er auf dem Herzen hatte, nicht lange bei sich behielt und mit niemand außer mir darüber sprechen konnte, wartete ich geduldig seine Geständnisse ab.
Eines Tages entdeckte er mir denn auch endlich, was ihn quälte, und diesmal fand ich, daß es eine bei weitem ernstere Angelegenheit war, als ich vorausgesetzt hatte. Fast während des ganzen Sommers, wenigstens während des Aufenthaltes in Rajowa, hatte ich den Großfürsten sozusagen nur bei Tisch und im Bett gesehen. Er legte sich meist nieder, nachdem ich schon eingeschlafen, und stand auf, ehe ich erwacht war; die übrige Zeit verbrachte er auf der Jagd oder mit Zurüstungen für dieselbe. Tschoglokoff hatte nämlich unter dem Vorwande, den Großfürsten zu amüsieren, vom Oberjägermeister zwei Meuten erhalten, eine von russischen, die andere von französischen und deutschen Jagdhunden. Zur letzteren gehörten ein französischer Vorreiter und ein kurländischer und deutscher Bursche. Da Tschoglokoff sich der Leitung der russischen Meute bemächtigt hatte, nahm der Großfürst die fremde auf sich, um welche sich Tschoglokoff nicht im geringsten kümmerte. Beide beschäftigten sich nun mit den kleinsten Details des ihnen zugefallenen Teils, infolgedessen der Großfürst beständig ins Hundehaus ging, oder die Jäger zu ihm kamen, um ihn von dem Zustand der Meute, ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen zu unterhalten. Kurz, um es gerade heraus zu sagen, er ließ sich mit diesen Leuten ein, frühstückte und trank mit ihnen auf der Jagd und war immer in ihrer Mitte. Zu jener Zeit stand das Regiment Butirski in Moskau, in dem sich auch ein Leutnant Nakoff Baturin befand, ein Spieler und anerkannter Taugenichts, der bis über den Kopf in Schulden steckte, übrigens aber ein sehr entschlossener Mensch war. Ich weiß nicht auf welche Weise oder durch welchen Zufall dieser Mensch mit den Jägern der französischen Meute des Großfürsten bekannt wurde, aber ich glaube, sie waren zusammen in oder bei dem Dorfe Mutistscha oder Alexejewski einquartiert gewesen. Soviel jedoch ist gewiß, daß die Jäger dem Großfürsten einst mitteilten, in dem Regiment Butirski sei ein Leutnant, der große Ergebenheit gegen Seine kaiserliche Hoheit an den Tag lege und erklärt habe, das ganze Regiment denke wie er. Der Großfürst hörte diesen Bericht mit Wohlgefallen an und verlangte von den Jägern Einzelheiten über das Regiment zu erfahren. Man berichtete ihm viel Uebles von den Oberbefehlshabern, viel Gutes indes von den Subalternen. Endlich ließ Baturin — immer durch die Jäger — den Großfürsten um eine Audienz auf der Jagd bitten, worauf der Großfürst anfangs zwar nicht einging, später aber doch dareinwilligte. Als er nun eines Tages jagte, erwartete ihn Baturin verabredetermaßen an einer verborgenen Stelle. Sowie er den Großfürsten erblickte, stürzte er ihm zu Füßen und schwor, er erkenne keinen andern Herrn als ihn an und werde alles tun, was er ihm befehle. Der Großfürst sagte mir, daß er, als er diesen Eid vernommen, tödlich erschrocken wäre, seinem Pferde die Sporen gegeben und jenen auf den Knien im Walde liegen gelassen habe, und die Jäger, welche ihm voran ritten, hätten nicht gehört, was Baturin gesprochen. Eine andere Berührung, behauptete er, habe mit diesem Menschen nicht stattgefunden, ja er habe sogar seinen Jägern geraten, sich zu hüten, daß sie Baturin nicht ins Unglück stürze. Seine gegenwärtige Besorgnis galt hauptsächlich der Tatsache, daß, einer Mitteilung der Jäger zufolge, Baturin verhaftet und nach Preobraschenskoje gebracht worden war, wo sich die geheime Kanzlei befand, welche die Staatsverbrechen untersuchte. Seine kaiserliche Hoheit zitterte nun nicht allein für die Jäger, sondern fürchtete, selbst kompromittiert zu werden. Was die ersteren betraf, so erfüllten sich seine Befürchtungen nur zu bald, denn nach einigen Tagen erfuhr er, daß sie verhaftet und ebenfalls nach Preobraschenskoje gebracht worden seien. Ich suchte seine Angst ein wenig zu mindern und stellte ihm vor, daß, wenn er wirklich keine andere als die erwähnte Unterredung gehabt, es mir höchstens als eine Unklugheit seinerseits erscheine, sich mit schlechter Gesellschaft abgegeben zu haben. Ob er mir indes wirklich die volle Wahrheit gesagt, weiß ich nicht, doch habe ich Grund, zu glauben, daß er die etwa stattgefundenen Unterredungen als zu unwichtig schilderte, denn er sprach mit mir über diese Angelegenheiten nur in abgebrochenen Sätzen und gleichsam wider Willen. Es konnte aber vielleicht auch seine übermäßige Furcht sein, welche eine solche Wirkung auf ihn hervorbrachte. Bald darauf teilte er mir mit, mehrere der Jäger seien wieder in Freiheit gesetzt worden, jedoch mit dem Befehl, über die Grenze gebracht zu werden, und hätten ihm sagen lassen, sein Name sei nicht genannt, worüber er vor Freude außer sich war. Er beruhigte sich nun vollkommen und man berührte die Sache nicht weiter. Was Baturin betrifft, so wurde er schuldig befunden. Ich habe weder etwas von seinem Prozeß gelesen, noch gesehen, nur brachte ich in Erfahrung, daß er nichts weniger beabsichtigte, als die Kaiserin zu töten, den Palast anzuzünden und während der dadurch hervorgerufenen Panik und allgemeinen Verwirrung den Großfürsten auf den Thron zu setzen. Er wurde, nachdem man ihn gefoltert hatte, verurteilt, den Rest seiner Tage in der Festung Schlüsselburg zu verbringen. Während meiner Regierung versuchte er zu entkommen, worauf er nach Kamtschatka verbannt wurde. Von dort entfloh er mit Benjowski und fand seinen Tod, als er unterwegs die Insel Formosa im Stillen Ozean plünderte.
Am 15. Dezember begaben wir uns von Moskau nach Petersburg. Wir reisten Tag und Nacht im offenen Schlitten, sodaß ich auf der Hälfte des Wegs wieder von heftigen Zahnschmerzen geplagt wurde. Trotzdem gab der Großfürst nicht zu, den Schlitten zu schließen. Nur widerwillig erlaubte er mir, den Vorhang ein wenig zuzuziehen, um mich wenigstens vor dem feuchtkalten Winde, der uns entgegenwehte, zu schützen. Endlich erreichten wir Zarskoje Selo, wo die Kaiserin, die wie gewöhnlich uns vorauseilte, schon eingetroffen war. Gleich nachdem ich ausgestiegen, zog ich mich in die für mich bestimmten Gemächer zurück, schickte nach dem Arzt Ihrer Majestät, Boerhave — dem Neffen des berühmten Mediziners — und bat ihn, mir den Zahn, der mich seit vier oder fünf Monaten quälte, ausziehen zu lassen. Nur mit Mühe konnte ich seine Einwilligung dazu erlangen, da er mich aber fest entschlossen sah, ließ er endlich meinen Chirurgen Gyon holen. Ich setzte mich auf die Erde, Boerhave auf die eine, Tschoglokoff auf die andere Seite, und Gyon zog mir den Zahn. Aber kaum hatte er angesetzt, als mir aus dem Munde Ströme von Blut stürzten; meine Augen tränten und in der Nase lief mir das Wasser zusammen, so daß Boerhave entrüstet ausrief:»Der Tölpel!«und sich den Zahn geben ließ. —»Das war es, was ich befürchtete, und weshalb ich nicht wollte, daß er ausgezogen würde!«rief er von neuem. Gyon hatte ein Stück Kinnbacke mit ausgerissen. Während dieses Vorfalls war die Kaiserin an die Türe meines Zimmers gekommen, und man sagte mir später, daß sie bis zu Tränen gerührt gewesen sei. Man brachte mich zu Bett, und mehr als vier Wochen war ich leidend, auch in der Stadt, wohin wir, trotz meines Zustandes, am nächsten Morgen im offenen Schlitten aufbrachen. Da die fünf Finger Gyons in blauen und gelben Flecken auf meiner Wange sichtbar waren, verließ ich mein Zimmer nicht vor Mitte Januar 1750.
Am Neujahrstage, als ich mich frisieren lassen wollte, sah ich, daß der Friseurgehilfe, ein Kalmücke, den ich hatte erziehen lassen, auffallend rot im Gesicht war, während seine Augen sonderbar glänzten. Ich fragte ihn, was ihm fehle, worauf er mir erwiderte, er leide an heftigem Kopfweh und Fieberhitze. Sofort schickte ich ihn mit der Weisung weg, sich zu Bett zu legen, weil er in der Tat seine Aufgabe nicht mehr erfüllen konnte. Er entfernte sich, und am Abend meldete man mir, daß die Pocken bei ihm ausgebrochen seien. Mich ergriff natürlich sofort eine schreckliche Angst, ebenfalls die furchtbare Krankheit zu bekommen, allein ich wurde verschont, obgleich er mein Haar gekämmt hatte.
Die Kaiserin blieb während des größten Teils des Karnevals in Zarskoje Selo. Petersburg war wie ausgestorben; die meisten, die sich dort aufhielten, fesselte nur die Pflicht, niemand blieb aus Neigung. Denn wenn der Hof von Moskau nach Petersburg zurückkehrte, beeilten sich alle Hofleute, um ein Jahr, um sechs Monate, oder wenigstens um einige Wochen Urlaub nachzusuchen, nur um noch ein wenig in Moskau bleiben zu können. Beamte, Senatoren taten dasselbe, und wenn sie fürchteten, keine Erlaubnis zu erhalten, dann gab es Krankheiten, erdichtete oder wirkliche, von Männern, Frauen, Vätern, Brüdern, Müttern, Schwestern, Kindern, oder Prozesse, oder sonstige notwendig zu ordnende Angelegenheiten. Kurz, sechs Monate und zuweilen mehr vergingen, ehe Hof und Stadt wieder wurden, was sie vor der Abreise des Hofes gewesen waren. Während seiner Abwesenheit wuchs das Gras in den Straßen von Petersburg, weil fast kein einziger Wagen darüber hinfuhr. Bei diesem Stande der Dinge konnte man also nicht auf viele Gesellschaft hoffen, besonders wir nicht, weil man uns nur wenig auszugehen gestattete. Während dieser Zeit sann Tschoglokoff darauf, wie er uns am besten unterhalten könnte. Oder besser, da er selbst und seine Frau nicht wußten, was vor Langeweile anfangen, lud er den Großfürsten und mich ein, alle Nachmittage in den Gemächern, welche er am Hofe bewohnte, und die aus vier oder fünf ziemlich kleinen Zimmern bestanden, mit ihnen zu spielen. Außer uns waren noch die Hofkavaliere und Hofdamen, sowie die Prinzessin von Kurland, die Tochter Herzogs Ernst Johann Biron, des ehemaligen Favoriten der Kaiserin Anna, anwesend. Die Kaiserin Elisabeth hatte den Herzog aus Sibirien zurückgerufen, wohin er unter der Regentschaft der Prinzessin Anna verbannt worden war, und nun lebte er mit seiner Frau, seinen Söhnen und seiner Tochter in Jaroslaw. Diese Tochter war weder schön, noch hübsch, noch wohlgebaut, sie war im Gegenteil bucklig und klein. Aber sie hatte schöne Augen, viel Geist und außerordentliche Anlagen zur Intrige. Ihre Eltern liebten sie nicht, und sie behauptete, daß sie sie fortwährend mißhandelten. Eines schönen Tages lief sie denn auch aus dem elterlichen Hause fort und entfloh zu der Gemahlin des Woiwoden von Jaroslaw, Madame Puschkin. Diese, hocherfreut, sich bei Hofe wichtig machen zu können, brachte sie nach Moskau. Sie wandte sich an Madame Schuwaloff, und die Flucht der Prinzessin von Kurland aus ihrem väterlichen Hause wurde als eine Folge der schlechten Behandlung von seiten ihrer Eltern hingestellt, weil sie das Verlangen geäußert, zur griechischen Religion überzutreten. Wirklich war das erste, was sie bei Hofe tat, die Ablegung ihres Glaubensbekenntnisses, wobei die Kaiserin Taufpate war. Darauf wies man der Prinzessin eine Wohnung bei den Ehrendamen an. Tschoglokoff bemühte sich eifrig, ihr Aufmerksamkeiten zu erweisen, weil ihr älterer Bruder sein Glück begründet hatte, indem er ihn aus dem Kadettenkorps, wo Tschoglokoff erzogen wurde, in die Garde zu Pferd versetzte und ihn als Ordonnanz behielt. Anfangs benahm sich die Prinzessin von Kurland, die auf diese Weise mit uns in Berührung kam und jeden Tag mehrere Stunden mit dem Großfürsten, Tschoglokoff und mir Trisett spielte, mit der größten Zurückhaltung. Sie hatte ein sehr einnehmendes Wesen und ihr Geist ließ ihr unangenehmes Aeußere vergessen, besonders wenn sie saß. Für jeden hatte sie einige Worte übrig, die ihm gefallen mußten; alle betrachteten sie als eine interessante Waise, übrigens aber als eine Person ohne Einfluß. In den Augen des Großfürsten aber besaß sie ein anderes, nicht weniger großes Verdienst: sie war eine fremde Prinzessin, und mehr noch, eine Deutsche; folglich sprach er nur Deutsch mit ihr, was ihr in seinen Augen besonderen Reiz verlieh. Kurz, er erwies ihr soviel Aufmerksamkeiten, als er dessen fähig war. Wenn sie in ihren Zimmern dinierte, schickte er ihr kostbare Weine und verschiedene Lieblingsgerichte von seinem Tisch, und erfand er eine neue Grenadiermütze oder ein Bandelier, dann schickte er ihr auch diese, um sie ihr zu zeigen. Die Prinzessin von Kurland, die damals ungefähr vier- bis fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, war übrigens nicht die einzige Eroberung, welche der Hof in Moskau gemacht hatte. Auch die beiden Gräfinnen Woronzow, die Nichten des Vizekanzlers und Töchter des Grafen Roman Woronzow, seines jüngeren Bruders, hatte die Kaiserin herangezogen. Die ältere, Marie, zählte damals vierzehn Jahre und war unter die Ehrendamen der Kaiserin aufgenommen worden, die jüngere, Elisabeth, war erst elf Jahre alt; man gab sie mir. Es war ein sehr häßliches Kind, mit olivenfarbigem Teint, dazu im höchsten Grade unreinlich.
Gegen Ende des Karnevals kehrte Ihre Majestät in die Stadt zurück. In der ersten Fastenwoche hatten wir unsere religiösen Uebungen angefangen und Mittwoch abend sollte ich im Hause der Madame Tschoglokoff ein Bad nehmen. Am Abend vorher aber kam die letztere in mein Zimmer, wo sich auch der Großfürst befand, und meldete ihm den Befehl Ihrer Majestät, gleichfalls ein Bad zu nehmen. Doch die Bäder und andere russische Gewohnheiten und Landessitten waren dem Großfürsten nicht allein unangenehm, sondern er haßte sie tödlich. So erklärte er denn auch rund heraus, er werde es nicht tun. Sie, die ebenfalls hartnäckig war und in ihren Aeußerungen nicht die geringste Zurückhaltung kannte, erwiderte, das heiße, Ihrer kaiserlichen Majestät ungehorsam sein. Er jedoch behauptete, man dürfe ihm nicht befehlen, was seiner Natur widerstrebe, denn er wisse, daß, da er noch niemals ein Bad genommen, es ihm schaden werde; er wolle nicht sterben, das Leben sei ja das teuerste aller Güter, und die Kaiserin werde ihn nicht dazu zwingen. Madame Tschoglokoff antwortete, Ihre Majestät werde schon seinen Ungehorsam zu strafen wissen. Hierüber wurde er wütend und sagte heftig:»Ich werde abwarten, was sie tun wird, ich bin kein Kind mehr. «Nun fing die Tschoglokoff an zu drohen, die Kaiserin werde ihn auf die Festung schicken, worauf er bitterlich zu weinen begann. Sie sagten sich dann beide noch die beleidigendsten Grobheiten, welche je die Wut eingeben konnte, denn es fehlte ihnen wirklich an gesundem Menschenverstand. Endlich entfernte sich die Tschoglokoff, indem sie erklärte, sie werde diese Auseinandersetzung Ihrer kaiserlichen Majestät wörtlich wiederholen. Ich weiß nicht, ob dies geschah, aber sie kam wieder und begann über ein ganz anderes Thema zu sprechen. Unter anderm sagte sie, die Kaiserin sei sehr böse, daß wir keine Kinder hätten, und wolle wissen, an wem von uns beiden die Schuld liege; mir werde sie eine Hebamme und ihm einen Arzt schicken. Daran schlossen sich noch viele andere beleidigende Bemerkungen, die weder Zweck noch Ziel hatten, bis sie damit schloß, daß die Kaiserin uns unserer religiösen Uebungen für diese Woche enthebe, weil der Großfürst erklärt habe, das Bad schade seiner Gesundheit. Ich muß indes bemerken, daß ich während jener beiden Auseinandersetzungen den Mund nicht auftat, erstens, weil sie beide mit solcher Heftigkeit sprachen, daß ich nicht zu Worte kommen konnte, und zweitens, weil ich sah, daß auf der einen sowohl als auf der andern Seite der größte Mangel an Vernunft herrschte. Wie die Kaiserin darüber urteilte, ist mir unbekannt, aber gewiß ist, daß weder von dem einen, noch von dem andern der erwähnten Gegenstände weiter die Rede war.
Um Mittfasten begab sich die Kaiserin nach Gostilitza zum Grafen Razumowski, um sein Namensfest dort zu feiern, während sie uns mit ihren Ehrendamen und unserm gewöhnlichen Gefolge nach Zarskoje Selo schickte. Das Wetter war ungewöhnlich mild, ja fast warm, so daß schon am 17. März der Schnee von den Wegen verschwunden und Staub an seine Stelle getreten war. In Zarskoje Selo angekommen, gingen der Großfürst und Tschoglokoff auf die Jagd. Ich und meine Ehrendamen bewegten uns so viel als möglich im Freien, sowohl zu Fuß als zu Wagen, und am Abend wurden dann verschiedene kleine Spiele gespielt. Hier zeigte der Großfürst, besonders wenn er betrunken war — und er war es jeden Tag — eine entschiedene Neigung für die Prinzessin von Kurland. Er wich nicht von ihrer Seite, sprach nur mit ihr, kurz, die Intrige entwickelte sich offen vor meinen Augen und aller Welt, was meine Eitelkeit und Eigenliebe aufs höchste beleidigte, wenn ich bedachte, daß diese kleine Mißgestalt mir vorgezogen wurde. Eines Abends, als ich von Tische aufstand, sagte Madame Wladislawa zu mir, alle seien über die Bevorzugung der Buckligen entrüstet, worauf ich erwiderte:»Was tun?«Dabei traten mir aber auch schon die Tränen in die Augen und ich entfernte mich schnell, um schlafen zu gehen. Kaum war ich eingeschlafen, als der Großfürst kam. Da er betrunken war und nicht wußte, was er tat, weckte er mich, um mich von den ausgezeichneten Eigenschaften seiner Schönen zu unterhalten. Um ihn wenigstens zum Schweigen zu bringen, stellte ich mich, als ob ich fest schliefe. Er aber sprach nur noch lauter, um mich zu wecken, und als er sah, daß ich kein Zeichen des Wachseins gab, versetzte er mir zwei oder drei heftige Püffe mit der Faust in die Seite und schimpfte über meinen tiefen Schlaf. Dann wandte er sich um und schlief ein. Ich weinte die ganze Nacht über den Vorgang an sich, die Faustschläge, die er mir gegeben, überhaupt über meine in jeder Beziehung ebenso unangenehme als traurige Lage. Am folgenden Morgen schien er sich seines Benehmens ein wenig zu schämen, wenigstens sprach er nicht davon, und ich tat, als hätte ich nichts gemerkt. Zwei Tage später kehrten wir in die Stadt zurück, begannen in der letzten Fastenwoche unsere religiösen Uebungen von neuem, aber es war nicht mehr die Rede davon, daß der Großfürst ein Bad nehmen sollte.
Dafür begegnete ihm in dieser Woche etwas anderes, was ihm einige Verlegenheit bereitete. Er hatte sich nämlich in seinem Zimmer, wo er sich den ganzen Tag über auf die eine oder andere Weise umhertrieb, eines Nachmittags damit beschäftigt, mit einer großen Kutscherpeitsche, die er sich extra dazu hatte machen lassen, zu knallen, schlug damit rechts und links um sich und trieb seine Kammerdiener, die seinen Schlägen zu entgehen suchten, von einer Ecke zur andern. Wie es nun kam, daß er sich selbst einen heftigen Schlag auf die Backe gab, ist mir nicht bekannt, kurz, die Schramme ging über die ganze linke Seite seines Gesichtes und war bis aufs Blut sichtbar. Da er befürchtete, er werde Ostern nicht ausgehen können, und die Kaiserin werde ihm wegen seiner blutigen Wange wiederum die religiösen Uebungen untersagen, war er in großer Verlegenheit. Wenn sie außerdem die Ursache erführe, konnten ihm seine Uebungen mit der Peitsche einen unangenehmen Verweis zuziehen. In seiner bedrängten Lage hatte er daher nichts Eiligeres zu tun, als mich um Rat zu fragen, was er in ähnlichen Fällen nie unterließ. Ich sah ihn also mit der blutigen Backe eintreten und rief, als ich die Schramme bemerkte:»Mein Gott! was ist Ihnen begegnet?«Er erzählte mir dann, was vorgefallen war. Nachdem ich einen Augenblick überlegt, sagte ich:»Vielleicht gelingt es mir, Ihnen zu helfen. Zuerst gehen Sie in Ihr Zimmer und richten alles so ein, daß man Ihre Wange so wenig wie möglich sieht. Wenn ich das Nötige habe, will ich zu Ihnen kommen, und ich hoffe, daß niemand etwas bemerken wird. «Er entfernte sich, und ich schickte nach einer Salbe, die mir mein Arzt Gyon vor einigen Jahren einmal verschrieben hatte, als ich mir bei einem Fall im Garten von Peterhof die Backe verletzte. Diese Salbe enthielt eine Mischung von Bleiweiß, und nachdem ich die verletzte Stelle damit bedeckt, ging ich nach wie vor aus, ohne daß irgend jemand die Verletzung bemerkte. Man brachte mir also die Salbe, ich begab mich zum Großfürsten und legte sie so geschickt auf, daß er selbst, als er sich im Spiegel betrachtete, nichts davon sah. Am darauffolgenden Donnerstag gingen wir mit der Kaiserin in der großen Hofkirche zum Abendmahl und kehrten nach der Kommunion auf unsere Plätze zurück. Als Tschoglokoff, der sich uns näherte, um uns irgend etwas mitzuteilen, den Großfürsten, der mit seiner Wange gerade im Licht saß, anblickte, sagte er:»Wischen Sie sich doch Ihre Wange ab, Sie haben Pomade darauf. «Schnell aber wandte ich mich wie scherzend zum Großfürsten und rief:»Aber ich, Ihre Frau, verbiete es Ihnen, sie abzuwischen. «Darauf sagte der Großfürst zu Tschoglokoff:»Da sehen Sie, wie uns die Frauen behandeln; wir wagen nicht einmal uns abzuwischen, wenn sie es nicht wollen. «Tschoglokoff lachte und sagte:»Allerdings, eine echte Frauenlaune. «Dabei blieb es, und der Großfürst wußte mir in doppelter Beziehung Dank, erstens für die Salbe, die ihm von Nutzen war, und zweitens für meine Geistesgegenwart, die selbst bei Tschoglokoff nicht den geringsten Argwohn zurückließ.
Da ich die Osternacht durchwachen mußte, ging ich am Sonnabend vorher schon um fünf Uhr nachmittags zu Bett, um bis zu der Stunde zu schlafen, wo ich mich anzukleiden hatte. Kaum aber befand ich mich im Bett, als der Großfürst eilig hereinstürzte und mich aufforderte, unverzüglich aufzustehen, um Austern zu essen, die ganz frisch aus Holstein für ihn angekommen waren. Es war nämlich für ihn ein doppeltes Fest, wenn Austern ankamen, denn er aß sie nicht nur sehr gern, sondern sie kamen noch dazu aus seinem Vaterlande Holstein, für welches er eine besondere Vorliebe hatte, das er freilich deshalb nicht besser regierte, wo er im Gegenteil die scheußlichsten Dinge geschehen ließ, wie wir später sehen werden. Nicht aufzustehen würde ihn also sehr beleidigt und mich einem sehr heftigen Zank ausgesetzt haben. So erhob ich mich denn und begab mich in sein Zimmer, obgleich ich von den Andachtsübungen der heiligen Woche erschöpft war. In seinem Zimmer angelangt, fand ich die Austern serviert, aß ein Dutzend und erhielt dann die Erlaubnis, mich wieder niederlegen zu dürfen, während er blieb, um sein Austernmahl zu vollenden. Auch dadurch, daß ich nicht zu viel aß, erwies ich ihm einen Gefallen, denn um so mehr blieben für ihn übrig, da er im Austernessen unersättlich war. Um Mitternacht stand ich auf und kleidete mich an, um zur Frühmette und Ostermesse zu gehen, konnte aber wegen eines starken Kolikanfalls den Gottesdienst nicht bis zu Ende hören. In meinem ganzen Leben erinnere ich mich nicht, solche Schmerzen gehabt zu haben. Ich kehrte mit der Prinzessin Gagarin allein in mein Zimmer zurück, denn alle meine übrigen Leute waren in der Kirche. Sie half mir beim Auskleiden, legte mich zu Bett und schickte nach den Aerzten. Man gab mir Arznei und ich brachte die beiden ersten Festtage im Bett zu.
Graf Bernis, Graf Lynar und General Arnheim. — Verabschiedung meines treuen Kammerdieners Nevreinoff. — Frau von Arnheim. — Angenehme Gesellschaft bei Madame Tschoglokoff. — Meine Art zu reiten. — Ein neuer Anbeter. — Die beiden Soltikoffs. — Verlobung der Prinzessin von Kurland mit dem älteren Soltikoff. — Maskenbälle bei Hofe. — Theatervorstellungen des Fürsten Nussupoff. — Der Kadett Beketoff, ein zukünftiger Günstling der Kaiserin. — Mein Pudel Iwan Iwanowitsch. — Der Triumph der Einfachheit.
Ungefähr um dieselbe Zeit — ein wenig früher — kamen Graf Bernis als Gesandter des Wiener Hofes, Graf Lynar als dänischer Gesandter und General Arnheim als sächsischer Gesandter nach Rußland. Der letztere brachte seine Gemahlin, eine geborene Holm, mit. Graf Bernis, ein Piemontese, mochte damals einige fünfzig Jahre zählen, war geistvoll, liebenswürdig, heiter und klug, dabei von einem Wesen, daß die jungen Leute seine Gesellschaft der ihrer Altersgenossen vorzogen. Er wurde überhaupt allgemein geachtet und geliebt, und unzählige Male habe ich gesagt und wiederholt, daß, wenn dieser oder ein ihm ähnlicher Mensch dem Großfürsten beigegeben worden wäre, die besten Resultate daraus hätten erfolgen müssen. Das beweist schon die Tatsache, daß der Großfürst ebenso wie ich eine besondere Zuneigung und Achtung für Graf Bernis empfanden. Er erklärte selbst, in der Nähe eines solchen Menschen würde man sich schämen, Dummheiten zu begehen — eine vortreffliche Bemerkung, die ich nie vergessen werde. Graf Bernis hatte den Malteser Ritter Grafen Hamilton als Gesandtschaftssekretär bei sich. Als ich mich eines Tages bei dem letzteren nach dem Befinden des Gesandten erkundigte, da dieser unpäßlich war, fiel es mir ein, Hamilton zu sagen, daß ich eine sehr hohe Meinung vom Grafen Bathyani hege, den die Kaiserin Maria Theresia damals zum Erzieher ihrer beiden ältesten Söhne, der Erzherzöge Joseph und Karl, ernannt hatte, weil er in diesem Amte dem Grafen Bernis vorgezogen worden wäre. Und im Jahre 1780, als ich in Mohilew meine erste Zusammenkunft mit Kaiser Joseph II. hatte, erwähnte Seine Majestät, daß er von dieser Bemerkung wisse. Ich erwiderte, er wisse es wahrscheinlich vom Grafen Hamilton, der nach seiner Rückkehr aus Rußland ihm beigegeben wurde, und er bestätigte es. Er meinte, Graf Bernis, den er leider nicht gekannt, habe den Ruf hinterlassen, daß er zu jenem Amte geeigneter gewesen sei, als sein ehemaliger Erzieher.
Graf Lynar, der Gesandte des Königs von Dänemark, war nach Rußland gekommen, um wegen des Austausches von Holstein, welches dem Großfürsten gehörte, gegen die Grafschaft Oldenburg zu unterhandeln. Er war ein Mann, der, wie man sagte, mit großen Kenntnissen große Geschicklichkeit verband. Sein Aeußeres war das eines vollkommenen Gecken. Er war groß und wohlgebaut, rötlich blond, mit einem frauenhaft weißen Teint. Man sagte, er sei so sehr um seine Schönheit besorgt, daß er nie anders schlafe, als nachdem er sich Gesicht und Hände mit einer Salbe eingerieben, Handschuhe angezogen und eine Nachtmaske aufgesetzt habe. Er rühmte sich, achtzehn Kinder zu haben, und behauptete, die Ammen derselben immer in den Stand gesetzt zu haben, es zu werden. Graf Lynar, weiß wie er war, trug noch obendrein den weißen Orden von Dänemark und kleidete sich nur in äußerst helle Farben, wie z.B. himmelblau, gelb, lila, laxfarben u.s.w., obwohl man damals nur sehr selten so grelle Farben bei Männern sah. Der Großkanzler Graf Bestuscheff und seine Frau behandelten Graf Lynar wie ein Kind des Hauses und er wurde dort sehr gefeiert; doch auch dies rettete sein Ansehen nicht vor der Lächerlichkeit. Auch der Umstand, daß man sich erinnerte, wie sein Bruder mehr als freundlich von der Prinzessin Anna empfangen worden war, deren Regentschaft nur Mißbilligung gefunden hatte, sprach gegen ihn. Gleich nach seiner Ankunft hatte er also nichts Eiligeres zu tun, als seine Unterhandlungen hinsichtlich des Austausches von Holstein gegen die Grafschaft Oldenburg anzuknüpfen. Bestuscheff ließ sogleich Pechlin, den Minister des Großfürsten für Holstein zu sich rufen und teilte ihm mit, weshalb Graf Lynar gekommen sei. Pechlin berichtete darüber an den Großfürsten, der sein holsteinsches Land leidenschaftlich liebte, das man aber seit unserm Aufenthalt in Moskau der Kaiserin als zahlungsunfähig geschildert hatte. Er hatte die Kaiserin mehrmals um Geld gebeten, und sie hatte ihm auch etwas zugehen lassen, doch nie war dies Geld nach Holstein gelangt, sondern die schlimmsten Schulden Seiner kaiserlichen Hoheit in Rußland waren davon bezahlt worden. Pechlin schilderte nun die pekuniäre Lage Holsteins als verzweifelt, was ihm umso leichter wurde, als ihm der Großfürst die Verwaltung ganz und gar überließ und sich selbst wenig oder gar nicht darum kümmerte, so daß Pechlin ihm einmal, die Geduld verlierend, mit bedeutungsvollem Tone sagte:»Monseigneur, es hängt von dem Herrscher ab, ob er sich mit den Angelegenheiten seines Landes abgeben will oder nicht; wenn er sich nicht damit abgibt, dann regiert das Land sich selbst, aber es regiert sich schlecht. «Pechlin war ein kleiner, sehr dicker Mensch, der eine ungeheure Perücke trug, dem es aber weder an Kenntnissen, noch an Geschicklichkeit fehlte. Sein breiter, untersetzter Körper wurde von einem gebildeten, freidenkenden Geiste bewohnt, doch warf man ihm vor, daß er zu rücksichtslos in der Wahl seiner Mittel sei. Er war einer der intimsten Vertrauten des Großkanzlers Grafen Bestuschoff, der ihn sehr hoch schätzte. Pechlin stellte nun dem Großfürsten vor, daß hören allein noch lange nicht unterhandeln sei, unterhandeln aber wäre weit entfernt von annehmen, und es stehe bei ihm, die Unterhandlungen abzubrechen, wenn er es für passend halte. Schließlich brachte man ihn doch so weit, daß er Pechlin autorisierte, die Vorschläge des dänischen Ministers anzuhören, womit die Unterhandlung eröffnet war. Im Grunde aber war sie dem Großfürsten peinlich, denn er sprach sich gegen mich darüber aus. Ich, die ich in der alten Bitterkeit des Hauses Holstein gegen Dänemark groß geworden war, der man gepredigt hatte, Graf Bestuscheff hege nur Pläne, die dem Großfürsten und mir schädlich seien, hörte von dieser Unterhandlung natürlich nur mit großer Ungeduld und Unruhe reden und suchte, so viel ich imstande war, den Großfürsten davon abzubringen. Uebrigens erwähnte niemand außer ihm die Sache gegen mich, und ihm selbst empfahl man die größte Verschwiegenheit, besonders den Damen gegenüber. Diese Bemerkung bezog sich, glaube ich, auf niemand anders als auf mich. Indes man täuschte sich, denn Seine kaiserliche Hoheit hatte nichts Eiligeres zu tun, als mich davon zu benachrichtigen. Je weiter die Unterhandlung vorschritt, desto mehr war man bemüht, sie dem Großfürsten in einem günstigen und gefälligen Lichte darzustellen. Und oft sah ich ihn entzückt darüber, was er einst erhalten würde, dann aber hatte er wieder Gewissensbisse über das, was er aufgab. Sah man ihn schwanken, so verschob man die Beratungen auf eine andere Zeit und begann sie erst wieder, nachdem man eine neue Lockspeise entdeckt, welche ihm die Sache vorteilhafter erscheinen ließ.
Zu Frühlingsanfang siedelten wir in den Sommerpalast in das kleine von Peter I. gebaute Haus über, dessen Zimmer zu ebener Erde lagen. Der Steindamm und die Fontankabrücke existierten zu jener Zeit noch nicht. In diesem Hause erlebte ich eins der größten Kümmernisse, die mir während der ganzen Regierung der Kaiserin Elisabeth begegnet sind. Eines Morgens verriet man mir nämlich, die Kaiserin habe meinen alten Kammerdiener Timotheus Nevreinoff verabschiedet. Als Vorwand dieser Entlassung bediente man sich eines Streites, den er in einem Garderobezimmer mit einem Menschen gehabt, welcher uns gewöhnlich den Kaffee präsentierte. Bei diesem Zanke hatte sie der Großfürst überrascht und einen Teil der Beleidigungen, die sie sich gegenseitig an den Kopf warfen, mit angehört. Nevreinoffs Gegner hatte sich dann bei Tschoglokoff beschwert und behauptet, jener habe ihm, ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Großfürsten, die gröbsten Gemeinheiten gesagt. Tschoglokoff berichtete es natürlich sofort der Kaiserin, welche befahl, beide vom Hofe zu entfernen. Nevreinoff wurde nach Kasan verwiesen, wo man ihn später zum Polizeimeister machte. Der Kern der ganzen Sache aber war, daß sowohl Nevreinoff als der Lakai, besonders jedoch der erstere, uns sehr ergeben waren; man suchte daher nur nach einem Vorwand, ihn von mir zu entfernen. Er hatte alles, was ich besaß, unter seinen Händen, und nun befahl die Kaiserin, daß ein Mensch, der sein Gehilfe gewesen, und in den ich nicht das geringste Vertrauen setzte, seinen Platz einnehme.
Nach einem kurzen Aufenthalte im Hause Peters I. kehrten wir in den aus Holz gebauten Sommerpalast zurück, wo man neue Gemächer für uns eingerichtet hatte, deren eine Seite auf die Fontanka — damals noch ein schlammiger Morast — die andere auf einen elenden engen Hof gelegen war. Am Pfingstsonntag ließ mir die Kaiserin sagen, ich möchte die Gemahlin des sächsischen Gesandten, Frau von Arnheim, einladen, mit mir auszureiten. Sie war eine große, sehr wohlgebaute Dame von etwa fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, etwas mager und nichts weniger als hübsch von Gesicht, das ganz mit Pockennarben bedeckt war. Da sie es indes verstand, sich zurecht zu machen, erschien sie von weitem gesehen mit einem gewissen Eklat und von zarter Hautfarbe. Frau von Arnheim kam um fünf Uhr nachmittags zu mir, von Kopf bis Fuß als Mann gekleidet, in einem Frack aus rotem Tuch mit goldenen Tressen und einer Weste von schwerem, grünem Stoff mit dem gleichen Besatz. Sie wußte nicht, wo mit ihrem Hut und ihren Händen zu bleiben und kam uns ziemlich linkisch vor. Da es mir bekannt war, daß die Kaiserin es nicht gern sah, wenn ich als Mann ritt, hatte ich mir einen englischen Damensattel machen lassen und ein englisches Reitkleid angezogen von sehr reichem, hellblauem, silberdurchwirktem Stoff mit Kristallknöpfen, welche aufs täuschendste Diamanten glichen; mein schwarzes Barett war mit einem Diamantband umschlungen. Als ich hinunterging, um mein Pferd zu besteigen, kam Ihre Majestät in unsere Gemächer, um uns fortreiten zu sehen. Da ich damals sehr behend und an diese Uebung gewöhnt war, sprang ich auf mein Pferd, sobald ich ihm nahe kam, und ließ meinen Rock, der vorn offen war, zu beiden Seiten des Pferdes hinabwallen. Wie die Kaiserin mich mit so viel Gewandtheit und Schneidigkeit aufspringen sah, brach sie in einen Ruf des Erstaunens aus und rief, es sei unmöglich, besser als ich auf dem Pferde zu sitzen. Sie fragte darauf, was für einen Sattel ich habe, und als sie hörte, es sei ein Damensattel, erklärte sie:»Man könnte schwören, daß sie auf einem Herrensattel sitzt. «Als nun die Reihe an Frau von Arnheim kam, glänzte sie durchaus nicht mit ihrer Gewandtheit vor den Augen Ihrer Majestät. Sie hatte sich ihr eigenes Pferd kommen lassen, eine elende schwarze Mähre, groß und plump, so daß alle behaupteten, es sei eines der Deichselpferde ihres Wagens. Um es zu besteigen, bedurfte sie einer kleinen Leiter, und dies geschah auf eine sehr umständliche Weise, ja schließlich noch mit Hilfe mehrerer Personen. Als sie endlich auf ihrer Mähre saß, begann diese einen Trab, der die Dame, welche weder fest im Sattel noch in den Steigbügeln saß und sich mit der Hand am Sattel festhielt, heftig schüttelte. Da ich sie glücklich im Sattel wußte, ritt ich voraus und wer konnte, folgte mir. Bald erreichte ich den Großfürsten, der immer vorausgeritten war, während Frau von Arnheim auf ihrer Mähre weit hinter uns zurückblieb. Später erzählte man mir, die Kaiserin habe laut gelacht und sei von der Reitkunst Frau von Arnheims sehr wenig erbaut gewesen. Ich glaube, Madame Tschoglokoff hat dann noch die Dame, die bald ihren Hut, bald die Steigbügel verlor, in einiger Entfernung vom Schlosse in ihren Wagen aufgenommen; wenigstens kam sie so in Katharinenhof an. Aber das Abenteuer war damit noch nicht zu Ende! Es hatte an diesem Tage bis drei Uhr nachmittags stark geregnet, so daß die offene Vorhalle des Hauses in Katharinenhof mit Wasserpfützen bedeckt war. Nachdem ich vom Pferde gestiegen und eine Weile im Saale des Hauses, wo viele Leute versammelt waren, zugebracht hatte, kam mir der Gedanke, über den Vorplatz in das Zimmer zu gehen, wo meine Damen sich aufhielten. Frau von Arnheim wollte mir folgen, konnte dies aber, da ich sehr schnell ging, nur, indem sie lief, wobei sie in eine der Pfützen trat, ausglitt und der Länge lang hinfiel — was die größte Heiterkeit bei der Menge der Zuschauer, die sich in der Vorhalle aufhielten, erregte. Sie erhob sich etwas verwirrt und schob die Schuld auf die neuen Stiefel, die sie an diesem Tag trug. Wir kehrten zu Wagen von unserm Spazierritt zurück, und sie unterhielt uns unterwegs von der Vortrefflichkeit ihres Pferdes, während wir uns fast die Lippen blutig bissen, um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Kurz, mehrere Tage lang gab sie dem Hofe und der ganzen Stadt genügend Stoff zum Lachen. Meine Frauen behaupteten, sie sei gefallen, weil sie mich habe nachahmen wollen, ohne meine Behendigkeit zu besitzen, und selbst Madame Tschoglokoff, die sonst nicht zur Heiterkeit geneigt war, lachte noch lange Zeit nachher bis zu Tränen, wenn man sie daran erinnerte.
Aus dem Sommerpalast begaben wir uns nach Peterhof, wo wir dieses Jahr in Monplaisir wohnten, wir brachten regelmäßig einen Teil des Nachmittags bei Madame Tschoglokoff zu und unterhielten uns recht gut, da sich stets viele Leute dort einfanden. Von Monplaisir ging es nach Oranienbaum, wo wir jeden Tag, den Gott werden ließ, auf der Jagd verbrachten und bisweilen dreizehn Stunden an einem Tage auf dem Pferde saßen. Der Sommer war jedoch sehr regnerisch, und ich erinnere mich, daß ich manchesmal ganz durchnäßt nach Hause zurückkehrte. Ich trug nur Reitkleider aus Seidenkamelott, die, wenn sie dem Regen ausgesetzt waren, platzten, während die Sonne ihre Farben verdarb: folglich mußte ich unaufhörlich neue haben. Als ich daher eines Tages meinem Schneider begegnete, und er sah, wie ich ganz durchnäßt vom Pferde stieg, sagte er:»Nun wundere ich mich nicht mehr, daß ich Ihnen kaum genug Kleider machen kann. «Während dieser Zeit erfand ich auch Sättel für mich, auf denen ich sitzen konnte wie ich wollte. Sie waren mit dem englischen Haken versehen, man konnte aber auch das eine Bein überschlagen, um als Mann zu reiten. Außerdem teilte sich der Haken und ein zweiter Steigbügel senkte oder hob sich nach Belieben, wie ich es eben für passend hielt. Fragte man die Stallmeister, auf welche Art ich reite, so sagten sie dem Wunsche der Kaiserin gemäß:»Im Damensattel. «Niemals schlug ich das Bein über, wenn ich nicht genau wußte, nicht verraten zu werden; und da ich mich meiner Erfindung nicht rühmte und man mir gerne meine Vergnügungen gönnte, hatte ich niemals Unannehmlichkeiten davon. Den Großfürsten kümmerte es sehr wenig, wie ich ritt. Die Stallmeister ihrerseits fanden es weniger gefährlich für mich, wie ein Mann zu sitzen, besonders da ich fortwährend auf die Jagd ging, als auf englischen Sätteln, die sie haßten, weil sie stets einen Unfall befürchten mußten, dessen Schuld nachher ihnen beigemessen worden wäre. Im Grunde hatte ich nicht das geringste Interesse für die Jagd, aber ich ritt leidenschaftlich gern; je wilder die Bewegung, desto angenehmer war sie mir, so daß ich, wenn mein Pferd fortlief, ihm nacheilte und es zurückbrachte. Ich hatte aber auch während dieser Zeit immer ein Buch in der Tasche, und so oft ich einen freien Augenblick fand, benutzte ich ihn, um zu lesen.
Während der Jagden bemerkte ich, daß Tschoglokoff weit freundlicher wurde, besonders gegen mich. Dies ließ mich fürchten, daß er die Absicht habe, mir den Hof zu machen, was mir in keiner Beziehung angenehm war. Zunächst war sein Aeußeres nichts weniger als einnehmend: er war blond und geckenhaft, sehr stark und ebenso schwerfällig an Geist, als an Körper. Alle haßten ihn wie eine Kröte, und er war in der Tat nichts weniger als liebenswürdig. Die Eifersucht, Schlechtigkeit und Böswilligkeit seiner Frau waren ebenfalls Dinge, vor denen man sich hüten mußte, besonders ich, die keine andere Stütze hatte als mich selbst und mein Verdienst — wenn ich überhaupt ein solches besaß. Ich vermied und vereitelte daher die Nachstellungen Tschoglokoffs auf eine, wie mir scheint, sehr geschickte Weise, ohne daß er sich je wegen Mangel an Höflichkeit meinerseits hätte beschweren können. Seine Frau bemerkte dies und wußte mir Dank dafür. Später schloß sie dann große Freundschaft mit mir, zum Teil aus den eben angegebenen Gründen.
An unserem Hofe befanden sich damals zwei Kammerherren Soltikoff, die Söhne des Generaladjutanten Wasili Theodorowitsch Soltikoff, dessen Gemahlin Maria Alexejewna, geborene Galitzin und Mutter jener jungen Herren, bei der Kaiserin in hohem Ansehen stand wegen der ausgezeichneten Dienste, welche sie ihr bei ihrer Thronbesteigung geleistet, und der seltenen Treue und Ergebenheit, die sie ihr bewiesen. Der jüngere ihrer Söhne namens Sergius war seit kurzem mit einer Ehrendame der Kaiserin, Matrena Paulowna Balk, verheiratet. Sein älterer Bruder hieß Peter. Derselbe war ein Einfaltspinsel im vollsten Sinne des Wortes und hatte die stumpfsinnigste Physiognomie, die ich je gesehen: große Glotzaugen, eine Stumpfnase und einen immer halbgeöffneten Mund. Dazu war er die größte Klatschschwester und in dieser Eigenschaft den Tschoglokoffs äußerst willkommen, denen Madame Wladislawa auf Grund ihrer alten Bekanntschaft mit der Mutter dieses Blödsinnigen den Gedanken eingab, ihn mit der Prinzessin von Kurland zu vermählen. Gewiß ist, daß er anfing, ihr den Hof zu machen, ihr seine Hand anbot, ihr Jawort erhielt und seine Eltern die Bewilligung der Kaiserin nachsuchten. Das alles erfuhr der Großfürst erst bei unserer Rückkehr in die Stadt, als bereits die ganze Sache arrangiert war. Er war sehr ärgerlich darüber, schmollte mit der Prinzessin von Kurland, der es indes gelang, ich weiß nicht durch welche Entschuldigung, sich seine Zuneigung, obgleich er ihre Heirat mißbilligte, zu erhalten und lange Zeit einen gewissen Einfluß auf ihn auszuüben. Was mich betraf, so war ich über diese Heirat sehr erfreut und ließ für den zukünftigen Ehemann einen prächtigen Frack sticken. Diese Art Heiraten fanden indes damals bei Hofe erst nach der Zustimmung der Kaiserin, meist nachdem einige Jahre des Wartens verstrichen waren, statt, weil Ihre Majestät selbst den Tag der Trauung festsetzte, ihn oft lange Zeit vergaß, und wenn man sie daran erinnerte, von einem Termin zum andern verschob. So war es auch in diesem Falle. Im Herbst kehrten wir also in die Stadt zurück, und ich hatte die Genugtuung, die Prinzessin von Kurland und Soltikoff Ihrer kaiserlichen Majestät für die Erlaubnis zu ihrer Vermählung danken zu sehen. Uebrigens war die Familie Soltikoff eine der ältesten und edelsten des Reichs. Sie war sogar durch die Mutter der Kaiserin Anna, eine Soltikoff, — aber aus einer andern Linie — mit dem kaiserlichen Hause verwandt, während Biron, durch die Gunst der Kaiserin Anna zum Herzog erhoben, nichts als der Sohn eines armen kurländischen Pächters gewesen war. Dieser Pächter hieß eigentlich Biren, aber die Gunst, in der sein Sohn am russischen Hofe stand, bewirkte, daß die französische Familie Biron ihn in ihren Schoß aufnahm, wozu der Kardinal Fleury viel beitrug, der, weil er den russischen Hof zu gewinnen wünschte, die Pläne und Eitelkeit Birons, des Herzogs von Kurland, begünstigte.
Nach unserer Rückkehr in die Stadt teilte man uns mit, daß außer den schon bestimmten zwei Tagen der Woche, an denen französisches Theater war, zwei andere Tage für Maskenbälle festgesetzt seien. Dazu fügte noch der Großfürst einen für seine Konzerte, die in seinen Zimmern abgehalten wurden, und am Sonntag war gewöhnlich Cour. Einer der Maskenballtage war nur für den Hof und für diejenigen, welche die Kaiserin besonders dazu einlud, bestimmt, während der andere für alle Standespersonen bis zum Oberstenrange und für alle die, welche als Offiziere in der Garde dienten, reserviert war; zuweilen wurden auch der ganze Adel und die angesehensten Kaufleute zugelassen. Die Hofbälle überschritten nie die Zahl von 160–200, die sogenannten öffentlichen aber zählten meistens 800 Personen. Im Jahre 1744 gefiel es der Kaiserin Elisabeth einmal, bei den Hofmaskenbällen alle Männer in Frauenkleidern und alle Frauen in Männerkleidern ohne Gesichtsmaske erscheinen zu lassen. Die Männer in große Reifröcke und Frauenüberwürfe gehüllt und wie die Damen bei Hoffesten frisiert, während die Damen so, wie die Herren an solchen Tagen zu erscheinen pflegen, gekleidet waren. Den Herren waren diese Tage der Metamorphose nicht eben angenehm; die meisten waren vielmehr in der schlechtesten Stimmung, weil sie fühlten, wie häßlich sie ihr Anzug machte. Die Frauen wiederum sahen aus wie magere kleine Jungen oder wurden — besonders die älteren — durch ihre dicken und kurzen Beine nicht gerade verschönert. Nur die Kaiserin selbst erschien wirklich schön und vollkommen als Mann. Da sie groß und etwas stark war, stand ihr die männliche Kleidung vortrefflich. Sie besaß das schönste Bein, das ich je an einem Menschen gesehen und einen vollkommen proportionierten Fuß. Sie tanzte mit vollendeter Kunst und hatte in allem was sie tat eine eigenartige Grazie, gleichviel ob sie als Frau oder als Mann gekleidet war. Man hätte nie die Augen von ihr lassen mögen und wandte sie um so ungerner ab, da man keinen Gegenstand fand, der sie ersetzte. Eines Tages sah ich sie auf einem dieser Bälle Menuett tanzen. Als sie fertig war, kam sie auf mich zu, wobei ich mir die Freiheit nahm, ihr zu sagen, es wäre ein wahres Glück für die Frauen, daß sie kein Mann sei, und schon ein so von ihr gemaltes Bild würde allen den Kopf verdrehen. Sie nahm meine Bemerkung sehr wohl auf und erwiderte auf die anmutigste Weise in demselben Ton, wäre sie ein Mann, so würde sie niemand als mir den Apfel reichen. Ich verbeugte mich, um ihr auf ein so unerwartetes Kompliment die Hand zu küssen, aber sie kam mir zuvor und küßte mich, worauf die ganze Gesellschaft ausfindig zu machen suchte, was zwischen uns vorgefallen sei. Ich machte denn auch gegen Tschoglokoff kein Geheimnis daraus, der es zwei oder drei Personen zuflüsterte, und nach etwa einer Viertelstunde wußten es alle Anwesenden.
Während des letzten Aufenthaltes in Moskau hatte Fürst Yussupoff, der Senator und Chef des Kadettenkorps, das Oberkommando der Stadt Petersburg gehabt, wo er während der Abwesenheit des Hofes zurückgeblieben war. Er hatte, teils zu seiner eigenen Unterhaltung, teils zum Vergnügen der Hauptpersonen seiner Umgebung, von den Kadetten abwechselnd die besten russischen Dramen Sumarokoffs und die französischen von Voltaire — die letzteren indes verstümmelt — aufführen lassen, und bei ihrer Rückkehr von Moskau befahl die Kaiserin, daß die Sumarokoffschen Stücke auch bei Hofe aufgeführt werden sollten. Sie fand an diesen Vorstellungen großen Gefallen und man glaubte zu bemerken, daß sie dieselben mit mehr Interesse verfolge, als man erwartet hatte. Das Theater, welches zuerst in einem Saale des Schlosses aufgebaut war, wurde bald ins Innere ihrer Gemächer verlegt; es gefiel ihr, die Schauspieler zu kostümieren, ihnen prächtige Kleider machen zu lassen und sie ganz mit ihren Juwelen zu bedecken. Vor allem bemerkte man, daß der erste Liebhaber, ein schöner junger Mensch von achtzehn bis neunzehn Jahren, wie sich von selbst verstand, am meisten geschmückt wurde; auch außerhalb des Theaters sah man an ihm Diamantschnallen, Ringe, Uhren, Spitzen und sehr feine Wäsche. Bald darauf trat er aus dem Kadettenkorps aus, und der frühere Günstling der Kaiserin, Oberjägermeister Razumowski nahm ihn sofort zu seinem Adjutanten, was ihm Kapitänsrang verlieh. Nun ergingen sich die Hofleute in Schlüssen auf ihre weise und bildeten sich ein, da Graf Razumowski den Kadetten Beketoff zu seinem Adjutanten gemacht, könne dies keinen andern Grund haben, als dem Kammerherrn Schuwaloff die Wage zu halten. Man wußte nämlich, daß letzterer mit der Familie Razumowski nicht gerade auf bestem Fuße stand, und schloß daraus, daß dieser junge Mensch anfange, große Gunst bei der Kaiserin zu genießen. Außerdem erfuhr man, daß Graf Razumowski seinen neuen Adjutanten einem seiner Ordonnanzoffiziere, Iwan Persiliowitsch Yelagin, attachiert habe, der mit einer früheren Kammerfrau der Kaiserin verheiratet war. Niemand anders als sie hatte Sorge getragen, den jungen Menschen mit der obenerwähnten Wäsche, den Spitzen zu versehen, und da sie nichts weniger als reich war, begriff man leicht, daß das Geld für einen solchen Aufwand nicht aus ihrer eigenen Tasche fließe. Keiner aber wurde durch die wachsende Gunst des jungen Mannes mehr in Unruhe versetzt, als meine Ehrendame, die Fürstin Gagarin. Sie war nicht mehr jung und sah sich nach einer ihrer Neigung entsprechenden Partie um. Sie besaß etwas Vermögen, war allerdings nicht hübsch, hatte aber viel Geist und praktische Gewandtheit. Schon zum zweiten Male begegnete es ihr, daß sie ihre Absichten auf dieselbe Person richtete, welche nachher die Gunst der Kaiserin gewann. Der erste war Schuwaloff, der zweite eben dieser Beketoff, von dem ich soeben gesprochen.
Mit der Fürstin Gagarin waren eine Menge junger und hübscher Frauen befreundet, die obendrein eine sehr zahlreiche Verwandtschaft besaßen. Letztere klagte Schuwaloff an, er sei die geheime Veranlassung, daß Ihre Majestät die Fürstin Gagarin unablässig wegen ihrer Toilette tadeln ließ und ihr sowie vielen andern jungen Damen verbot, bald diesen, bald jenen Flitter zu tragen. Hierdurch erbittert, sagten alle jungen Damen und auch die Gagarin Schuwaloff alles Schlechte nach und fingen an, ihn zu verabscheuen, obwohl sie ihm früher sehr gewogen gewesen waren. Er seinerseits glaubte sie zu versöhnen, indem er ihnen den Hof machte und Schmeichelreden sagte, was sie als neue Beleidigung auffaßten. Ueberall wurde er abgewiesen und schlecht empfangen, und alle jungen Damen flohen ihn wie die Pest.
Damals schenkte mir der Großfürst einen kleinen englischen Pudel, den ich mir sehr gewünscht hatte. In meinem Zimmer gab es einen Ofenheizer namens Iwan Uschakoff, und irgend jemand fiel es ein, meinen Pudel nach diesem Menschen Iwan Iwanowitsch zu nennen. Den ganzen Winter hindurch amüsierte uns das Tier auf die angenehmste Weise, und als ich ihn den Sommer darauf nach Oranienbaum mitnahm, taten alle Damen des Hofes nichts, als Kopfputze und Anzüge für meinen Pudel nähen, um den sie sich in der Tat fast rissen. Zuletzt faßte Madame Soltikoff, die Gemahlin meines Kammerherrn, eine solche Zuneigung zu ihm, daß er sich hauptsächlich an sie anschloß, und als sie fortging, weder der Pudel sie, noch sie den Hund verlassen wollte. Sie bat mich so lange, ihn doch bei ihr zu lassen, bis ich ihn ihr schenkte. Darauf nahm sie ihn unter den Arm und begab sich geradewegs nach dem Landhause ihrer Schwiegermutter, welche damals krank war. Als diese sie mit dem Hunde ankommen und tausend Possen treiben sah, wollte sie wissen, wie er hieß, und konnte, als sie seinen Namen erfuhr, nicht umhin, im Beisein mehrerer Personen vom Hofe, die sie von Peterhof aus besucht hatten, ihr Erstaunen darüber auszudrücken. Jene kehrten an den Hof zurück und nach drei oder vier Tagen waren Hof und Stadt von der Neuigkeit voll, daß alle jungen Damen, die Feindinnen Schuwaloffs, einen weißen Pudel besaßen, den sie zum Spott gegen den Günstling der Kaiserin Iwan Iwanowitsch getauft hatten und nur helle Farben tragen ließen, mit denen jener sich zu schmücken liebe. Ja, die Sache ging so weit, daß die Kaiserin den Eltern der jungen Damen sagen ließ, sie finde es impertinent, sich so etwas zu erlauben. Sofort erhielt der weiße Pudel einen andern Namen, wurde aber nach wie vor gefeiert und blieb im Soltikoffschen Hause, von seinen Herren geliebt bis an seinen Tod, trotz des gegen ihn gerichteten kaiserlichen Unwillens. Das Ganze war eine Verleumdung; denn nur dieser eine Hund hatte den Namen bekommen, und man hatte nicht an Schuwaloff gedacht, als man ihn so nannte. Was übrigens Madame Tschoglokoff betrifft, die die Schuwaloffs nicht liebte, so tat sie, als gehe sie der Name des Hundes nichts an, obgleich sie ihn fortwährend hörte und ihm selbst manche kleine Pastete gegeben hatte, wenn sie seine Späße amüsierten.
In den letzten Monaten dieses Winters während der zahlreichen Maskeraden und Hofbälle kamen auch meine früheren Kammerherren Alexander Villebois und Zacharias Czernitscheff, die als Obersten in die Armee versetzt worden waren, wieder zum Vorschein. Da sie mir sehr ergeben waren, war ich hocherfreut, sie wiederzusehen, und empfing sie in entsprechender Weise. Sie ihrerseits vernachlässigten nichts und ließen keine Gelegenheit vorübergehen, mir Beweise ihrer aufrichtigen Anhänglichkeit zu geben. Damals liebte ich den Tanz über alles und wechselte bei den öffentlichen Bällen gewöhnlich dreimal meine Toilette. Meine Kleidung war stets sehr gewählt, und wenn mein Maskenkostüm allgemein Beifall fand, so erschien ich gerade deshalb nie wieder darin, weil ich mir sagte, daß ein Anzug, wenn er einmal großen Effekt gemacht, zum zweiten Male nur einen geringen erzielen werde. Bei den Hofbällen indes, wo das Publikum nicht zugegen war, kleidete ich mich so einfach wie möglich, was die Kaiserin, die es nicht gern sah, wenn man in einem kostbaren Kostüm erschien, sehr gut aufnahm. So oft jedoch die Damen Befehl hatten, in Männerkleidern zu erscheinen, kam ich in prächtigem, ganz in Gold besticktem Anzug, oder in Toiletten vom feinsten Geschmack, und immer ging dies ohne Kritik durch, ja es gefiel sogar der Kaiserin, obgleich ich nicht sagen kann, aus welchem Grunde. Sicher aber hatte die Koketterie damals am Hofe einen so hohen Grad erreicht, daß es nur noch die Frage war, wer es am besten verstehe, die Feinheiten des Anzugs in größter Vollendung zu entfalten. So erinnere ich mich, daß es mir bei einer dieser öffentlichen Maskeraden, als alle sich die kostbarsten neuen Toiletten machen ließen, so daß ich daran zweifelte, die übrigen Damen zu übertreffen, einfiel, ein einfaches Mieder aus weißem Tuch — ich hatte damals eine sehr schlanke Taille — und einen kurzen Reifrock von demselben Stoff anzuziehen. Mein Haar, das sehr lang, sehr voll und schön war, ließ ich nach hinten herunterfallen und mit einer weißen Schleife zusammenhalten, steckte eine aufs natürlichste nachgeahmte künstliche Rose mit Knospen und Blättern hinein, eine andere befestigte ich an meinem Mieder. Um den Hals band ich eine Krause von weißem Tüll, steckte ein Paar Manschetten über, band eine Schürze von demselben Tüll um und begab mich so auf den Ball. Sowie ich eintrat, bemerkte ich sofort, daß aller Augen auf mich gerichtet waren. Ohne mich aufzuhalten, ging ich durch die Galerie in die dahinter liegenden Gemächer, wo ich der Kaiserin begegnete, die zu mir sagte:»Nein, welche Einfachheit! Wie, nicht ein einziges Schönheitspflästerchen?«Ich lachte und erwiderte:»Nur um etwas leichter gekleidet zu sein, habe ich es unterlassen, eins aufzukleben. «Da zog sie ihre Büchse mit den Schönheitspflästerchen aus der Tasche, nahm eins von mittlerer Größe heraus und legte es mir aufs Gesicht. Nachdem ich sie verlassen, kehrte ich schnell in die Galerie zurück, wo ich meinen intimsten Vertrauten das Schönheitspflästerchen zeigte. Dasselbe tat ich auch bei den Günstlingen der Kaiserin, und da ich sehr vergnügt war, tanzte ich mehr als gewöhnlich. In meinem ganzen Leben erinnere ich mich nicht, mehr Schmeicheleien gehört zu haben, als auf diesem Ball. Man sagte, ich sei schön wie der Tag und von eigentümlichem Reiz. Wenn ich indes die Wahrheit sagen soll, so habe ich mich selbst nie für schön gehalten; aber ich gefiel, und darin lag, glaube ich, meine Stärke. Sehr befriedigt über meine von mir selbst erfundene Einfachheit, während alle andern Toiletten von seltenem Reichtum waren, kehrte ich nach Hause zurück.
Unter derartigen Vergnügungen ging das Jahr 1750 zu Ende. Frau von Arnheim tanzte besser, als sie ritt. Dabei erinnere ich mich, daß es sich einmal darum handelte, zu wissen, welche von uns beiden zuerst müde werden würde, und es fand sich, daß sie es war; auf einen Sessel sitzend bekannte sie, sie könne nicht mehr, während ich noch lange weiter tanzte.