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Anfangs des Jahres 1751 kam der Großfürst, der ebenso wie ich zu dem Grafen Bernis, dem Gesandten des Wiener Hofes eine große Zuneigung gefaßt hatte, auf den Gedanken, mit ihm über die holsteinschen Angelegenheiten, die Schulden, mit denen das Land belastet, und über die Unterhandlung mit Dänemark, die mit seiner Erlaubnis begonnen worden war, zu sprechen. Eines Tages forderte er auch mich auf, mit Bernis darüber zu reden, worauf ich ihm antwortete, daß, wenn er es befehle, ich es nicht unterlassen werde. Ich näherte mich denn auch auf dem ersten Maskenball dem Grafen Bernis, als er an einer Balustrade stand, um den Tanzenden zuzusehen, und sagte ihm, der Großfürst habe mir befohlen, mit ihm über die Angelegenheit Holsteins zu sprechen. Bernis hörte mich mit großem Interesse und viel Aufmerksamkeit an. Offen und ehrlich gestand ich ihm, daß, da ich jung sei und niemand habe, der mir rate, da ich mich außerdem vielleicht schlecht auf Politik verstehe und keinerlei Erfahrung besitze, meine Ideen und Ansichten ganz mir gehörten. Wohl entbehrten sie der Kenntnis vieler Tatsachen, doch zunächst scheine es mir, daß die Lage Holsteins nicht so verzweifelt sei, als man sie darzustellen versuche. Was den Austausch beträfe, so sähe ich sehr wohl ein, daß derselbe von großem Nutzen sowohl für Rußland als auch für die Person des Großfürsten selbst sein könne. Als Erbe des Thrones aber müsse ihm das Interesse des Reiches teurer sein; und wenn es für dieses Interesse notwendig sei, Holstein abzutreten, um den fortwährenden Streitigkeiten mit Dänemark ein Ende zu machen, so würde es sich in bezug auf Holstein nur um den günstigsten Moment handeln, wann der Großfürst seine Zustimmung gäbe. Mir scheine es aber, daß dieser Augenblick noch nicht gekommen sei, weder für das Interesse noch für den persönlichen Ruhm des Großfürsten. Es könne jedoch eine Zeit kommen, wo die Umstände diesen Akt weit bedeutsamer und ruhmvoller für ihn, und für Rußland vielleicht vorteilhafter gestalteten; augenblicklich indes habe das Ganze ein offenbares Gepräge der Intrige, deren Gelingen auf den Großfürsten einen Schein von Schwäche werfen müsse, von dem er sich vielleicht nie in der öffentlichen Meinung wieder rehabilitieren könne. Es seien sozusagen erst wenige Tage, seit er die Regierung des Landes in Händen habe; er liebe dieses Land leidenschaftlich, und trotzdem wäre man schon dahin gelangt, ihn, ohne daß er selbst eigentlich wisse, warum, zum Austausch mit Oldenburg zu überreden, das ihm ganz unbekannt und viel weiter von Rußland entfernt sei, während der Hafen von Kiel in den Händen des Großfürsten für die russische Schiffahrt wichtig werden könne. Graf Bernis ging auf alle meine Einwände ein und sagte zuletzt:»Als Gesandter habe ich keine Instruktionen über diesen Gegenstand, aber als Graf Bernis glaube ich, daß Sie recht haben. «Später teilte mir dann der Großfürst mit, der Gesandte habe ihm bemerkt:»Alles, was ich Ihnen über diese Sache sagen kann, ist, daß ich glaube, daß Ihre Gemahlin recht hat und Sie gut tun würden, ihren Rat anzunehmen. «Infolgedessen war der Großfürst sehr gegen die Unterhandlungen abgekühlt; man bemerkte dies und fing an, seltener mit ihm davon zu sprechen.
Nach dem Osterfeste bezogen wir wie gewöhnlich den Sommerpalast von Peterhof, wo indes unser Aufenthalt von Jahr zu Jahr kürzer wurde. In diesem Jahre ereignete sich dort ein besonderer Vorfall, welcher den Hofleuten viel Stoff zum Schwatzen gab. Er entsprang aus den Intrigen der beiden Herren Schuwaloff. Oberst Beketoff, von dem ich bereits gesprochen, und der zur Zeit seiner Begünstigung vor Langeweile nicht wußte, was er tun sollte, kam nämlich auf den Einfall, die kleinen Sänger der Kaiserin bei sich singen zu lassen. Wegen der Schönheit ihrer Stimmen faßte er zu mehreren eine große Zuneigung, und da er selbst und sein Freund Yelagin Verse machten, dichteten sie Lieder, welche die Knaben sangen. Diese Beziehungen Beketoffs zu den Knaben legte man indes auf die schändlichste Weise aus, weil man wußte, daß die Kaiserin nichts mehr verabscheute, als Laster dieser Art. Beketoff ging in der Unschuld seines Herzens mit den Kindern im Garten spazieren, was man ihm als Verbrechen anrechnete. Kurz darauf begab sich die Kaiserin auf einige Tage nach Zarskoje Selo und kehrte dann nach Peterhof zurück, während Beketoff, angeblich wegen Krankheit, in Zarskoje Selo zurückgelassen wurde. In der Tat blieb er einige Zeit mit Nelagin dort, erkrankte an einem gefährlichen Fieber, an dem er zu sterben drohte, und träumte in seinen Phantasien nur von der Kaiserin, mit der er sich aufs ernsthafteste beschäftigte. Endlich erholte er sich, blieb aber in Ungnade und entfernte sich vom Hofe. Hierauf wurde er in die Armee versetzt, wo er indes keinen Erfolg hatte, denn er war für das Kriegshandwerk ein zu verweichlichter Mensch.
Um dieselbe Zeit begaben wir uns nach Oranienbaum, wo jeden Tag Jagden stattfanden, und zu Anfang des Herbstes, im September, kehrten wir wieder in die Stadt zurück. Damals ernannte die Kaiserin Leon Narischkin zum Kammerkavalier an unserm Hofe. Er war soeben mit seiner Mutter, seinem Bruder, dessen Frau und seinen drei Schwestern aus Moskau eingetroffen. Narischkin war einer der sonderbarsten Menschen, die ich je gekannt, und nie habe ich mehr über jemand gelacht, als über ihn. Er war der geborene Hanswurst, und wäre er nicht durch seine Geburt gewesen was er war, so hätte er sich durch seine wirklich komischen Talente ernähren und reich werden können. Es fehlte ihm dabei durchaus nicht an Geist; er hatte von allem reden hören und alles nahm in seinem Kopfe eine eigentümliche Gestalt an. Er war imstande, über irgend eine Kunst oder Wissenschaft Vorlesungen zu halten, gebrauchte technische Ausdrücke und sprach eine Viertelstunde, oder noch länger — und zuletzt verstand weder er selbst noch irgend ein anderer etwas von den zusammengeflickten Worten, die seinem Munde entströmten, bis endlich alle in lautes Lachen ausbrachen. Von der Geschichte sagte er z. B., er liebe die Geschichte nicht, in der Geschichten vorkämen, und eine gute Geschichte müsse frei sein von Geschichten, die Geschichte werde sonst zum Phöbus. Auch über Politik sprach er unnachahmlich, und wenn er davon anfing, konnte auch der Ernsthafteste nicht widerstehen. Auch behauptete er, daß gut geschriebene Lustspiele meistens langweilig seien.
Kaum war er bei Hofe angestellt, als die Kaiserin seiner älteren Schwester befahl, sich mit einem gewissen Siniawin zu vermählen, der aus diesem Grunde uns als Kammerkavalier beigegeben wurde. Dieser Befehl traf das junge Mädchen wie der Blitz, denn sie heiratete diesen Menschen nur mit dem größten Widerwillen. Auch das Publikum nahm jene Heirat schlecht auf, deren ganze Schuld Schuwaloff trug, der Günstling der Kaiserin, der vor seiner Begünstigung eine zärtliche Neigung für das Fräulein gehabt. Man behauptete, sie werde zu einer so schlechten Partie gezwungen, damit er sie aus dem Gesicht verliere. Es war dies eine wahrhaft tyrannische Tat; kurz, sie heiratete ihn, wurde schwindsüchtig und starb.
Ende September bezogen wir den Winterpalast. Der Hof litt damals so großen Mangel an Möbeln, daß dieselben Spiegel, Betten, Stühle, Tische und Kommoden, die wir im Winterpalast gebrauchten, uns in den Sommerpalast und von dort nach Petersburg, ja selbst nach Moskau folgten. Während des Transports wurde natürlich eine große Anzahl zerstoßen und zerbrochen, aber trotzdem gab man sie uns, so daß es fast unmöglich war, sie zu benutzen. Da man jedoch eines besonderen Befehls der Kaiserin bedurfte, um andere zu erhalten, und die Kaiserin meist schwer zugänglich oder völlig unzugänglich war, so entschloß ich mich, nach und nach Kommoden und die unentbehrlichsten Möbel sowohl für den Winter- als für den Sommerpalast von meinem eigenen Gelde zu kaufen, wenn ich dann von einem Schloß ins andere übersiedelte, fand ich alles was ich brauchte ohne Mühe und ohne die Nachteile des Transportes vor. Dies gefiel auch dem Großfürsten, und er tat für sein Zimmer dasselbe. In Oranienbaum, das dem Großfürsten gehörte, richteten wir sogar alles auf unsere Kosten ein. Um aber jeden Streit und jede Schwierigkeit zu vermeiden — denn Seine kaiserliche Hoheit, obschon sehr verschwenderisch in der Befriedigung seiner eigenen Launen, war dies durchaus nicht in allem, was mich betraf, und im allgemeinen nichts weniger als freigebig — möblierte ich mein Zimmer ganz und gar auf meine eigenen Kosten aus, was ihn ausnehmend befriedigte.
Im Laufe des Sommers faßte Madame Tschoglokoff eine so große und wahrhafte Zuneigung zu mir, daß sie nach unserer Rückkehr in die Stadt nicht ohne mich leben mochte und sich langweilte, wenn ich nicht in ihrer Nähe war. Der Grund dieser Zuneigung lag darin, daß ich die Aufmerksamkeiten ihres Herrn Gemahls nicht im geringsten erwiderte, was mir in den Augen seiner Frau ein ganz besonderes Verdienst verschaffte. Sie empfing damals wenig Gesellschaft, immerhin aber mehr als ich, die ich meist allein mit Lesen beschäftigt war, d.h., wenn der Großfürst nicht hereinkam, um mit großen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen und mit mir von Dingen zu reden, die wohl ihn interessierten, für mich aber nicht das geringste Interesse hatten. Sein Auf- und Abgehen dauerte gewöhnlich ein bis zwei Stunden und wiederholte sich mehrmals am Tage, wahrend ich an seiner Seite bleiben, ihm aufmerksam zuhören und antworten mußte, bis meine Kräfte erschöpft waren. Und seine Bemerkungen hatten meist weder Hand noch Fuß, häufig waren sie weiter nichts als kindische Einfälle. So erinnere ich mich, daß er während eines ganzen Winters mit dem Plane beschäftigt war, bei Oranienbaum ein Lusthaus in Form eines Kapuzinerklosters bauen zu lassen, in welchem er, ich, sowie sein ganzer Hof Kapuzinerkutten tragen sollten. Er fand diese Art von Anzug reizend und bequem. Jeder sollte einen Esel haben, und sollte abwechselnd diesen Esel austreiben, um Wasser und Lebensmittel in das sogenannte Kloster zu schaffen. Dabei schüttelte er sich vor Lachen über die herrlichen, amüsanten Wirkungen, welche seine Erfindung hervorbringen würde. Dann forderte er mich auf, eine Bleistiftskizze dieses schönen Werkes zu entwerfen, und jeden Tag mußte ich etwas hinzufügen oder verändern. So entschlossen ich nun auch war, gefällig und geduldig gegen ihn zu sein, so gestehe ich doch offen, daß ich oft vor Langeweile bei seinen Besuchen, Promenaden und Unterhaltungen beinahe umkam, denn diese waren von einer Abgeschmacktheit, wie ich nie etwas Aehnliches erlebt habe, wenn er fort war, schien mir das langweiligste Buch die köstlichste Unterhaltung.
Mit dem Herbste begannen auch die Hofbälle und öffentlichen Bälle, die Auswahl der Toiletten und Maskenanzüge wieder bei Hofe. Graf Zacharias Czernitscheff kehrte nach Petersburg zurück. Da ich auf Grund unserer alten Bekanntschaft immer sehr freundlich mit ihm verkehrte, hing es nur von mir ab, seine Aufmerksamkeiten diesmal zu deuten, wie es mir gefiel. Er debütierte damit, mir zu sagen, er finde, ich sei viel schöner geworden. Es war das erstemal in meinem Leben, daß mir jemand so etwas sagte, und es schmeichelte mir nicht wenig. Ja, ich tat mehr, ich besaß sogar die Gutmütigkeit, zu glauben, daß er die Wahrheit sage. Bei jedem Ball machte er neue Bemerkungen derselben Art. Eines Tages brachte mir die Fürstin Gagarin eine Devise von ihm, der ich, als ich sie erbrach, es ansah, daß sie geöffnet und wieder geschlossen worden war. Der Zettel war wie gewöhnlich gedruckt, enthielt aber zwei sehr zärtliche, sehr gefühlvolle Verse. Nach dem Diner ließ ich mir ebenfalls verschiedene solcher Devisen bringen, suchte nach einem Spruch, welcher, ohne mich zu kompromittieren, auf jenen antwortete und fand bald einen solchen. Diesen steckte ich in eine eine Orange darstellende Devise und gab dieselbe der Fürstin Gagarin, welche sie dem Grafen Czernitscheff einhändigte. Am folgenden Tag brachte sie mir wieder eine von ihm, aber diesmal fand ich darin ein Billett mit einigen Zeilen von seiner Hand. Ich antwortete sofort, und auf diese Weise befanden wir uns plötzlich mitten in einer ganz regelmäßigen, ganz sentimentalen Korrespondenz. Als er beim nächsten Maskenball mit mir tanzte, flüsterte er mir ins Ohr, er habe mir tausend Dinge zu sagen, die er weder dem Papier anvertrauen noch in eine Devise stecken könne, welche die Fürstin Gagarin vielleicht in ihrer Tasche zerbräche oder unterwegs verlöre. Er bitte mich daher, ihm in meinem Zimmer, oder wo ich es sonst für passend halte, einen Augenblick Gehör zu schenken. Aber ich erwiderte ihm, dies sei ganz unmöglich, weil meine Zimmer unzugänglich wären und ich sie ebensowenig verlassen könne. Darauf sagte er, er wolle sich, wenn es nötig sei, als Bedienter verkleiden, aber dies schlug ich ihm rund ab, und es blieb bei unserer in Devisen versteckten Korrespondenz. Schließlich aber ahnte die Fürstin Gagarin unser Geheimnis, grollte mir, daß ich sie als Ueberbringerin benutzte und wollte keine Devisen mehr befördern.
Verunglückte Rutschpartie. — Intrige Madame Tschoglokoffs. — Sergius Soltikoff erscheint häufiger als nötig bei Hofe. — Man täuscht Tschoglokoff auf seine Weise. — Sergius Soltikoff erklärt mir seine Liebe. — Aufenthalt mit ihm auf der Insel Tschoglokoffs. — Der Großfürst ahnt unser Verhältnis. — Er selbst ist in Fräulein Schastroff verliebt. — Aufenthalt in Oranienbaum. — Die Kaiserin lädt uns nach Kronstadt ein. — Ihre Besorgnis um uns. — Rückkehr nach Oranienbaum. — Die Malerswitwe. — Abbruch der Unterhandlungen mit Dänemark. — Soltikoff läßt in seinem Benehmen gegen mich nach. — Anzeichen von Schwangerschaft.
So endete das Jahr 1751 und das folgende begann. Am Schlusse des Karnevals reiste Graf Czernitscheff zu seinem Regimente zurück. Einige Tage vor seiner Abreise — es war an einem Sonnabend — mußte mir zur Ader gelassen werden. Am Mittwoch darauf lud Tschoglokoff uns nach seiner an der Newamündung gelegenen Insel ein, wo er ein Haus mit einem Saal in der Mitte und mehreren Zimmern an beiden Seiten besaß. Neben diesem Hause hatte er verschiedene Rutschbahnen einrichten lassen. Bei meiner Ankunft fand ich den Grafen Woronzow dort, der, als er mich sah, ausrief:»Ah! ich werde Sie fahren; ich habe nämlich einen prächtigen kleinen Schlitten für die Rutschbahn machen lassen. «Da er mich schon oft vorher gefahren hatte, nahm ich sein Anerbieten freudig an, und er ließ sogleich seinen Schlitten bringen. Darin befand sich ein kleiner Sessel, auf den ich mich setzte, während er sich hintenauf stellte; so glitten wir hinab. Allein in der Mitte des Abhanges war Graf Woronzow nicht mehr Herr des kleinen Fahrzeugs, der Schlitten stürzte um, ich fiel heraus, und Graf Woronzow mit seinem sehr schweren und ungeschickten Körper auf mich oder vielmehr auf meinen linken Arm, an welchem mir vor vier Tagen zur Ader gelassen worden war. Wir erhoben uns und begaben uns zu Fuß nach einem Hofschlitten, welcher auf die Niedergleitenden wartete, um sie wieder nach dem Abfahrtspunkte zurückzubringen. Als ich aber mit der Fürstin Gagarin, die mir mit Graf Iwan Czernitscheff gefolgt war, in diesem Schlitten saß, während dieser und Woronzow hintenauf standen, fühlte ich in meinem linken Arm eine brennende Hitze, deren Ursache ich mir nicht erklären konnte. Ich faßte sofort mit der rechten Hand in den Aermel meines Pelzes, um zu sehen, was es wäre, und als ich die Hand wieder herauszog, war diese ganz mit Blut bedeckt. Ich sagte den beiden Herren und der Fürstin, mir scheine, meine Ader sei aufgesprungen, denn das Blut fließe heraus. Sofort ließen sie den Schlitten schneller fahren, und statt nach der Rutschbahn begaben wir uns nach Hause. Dort fanden wir niemand als einen Tafeldecker. Ich legte meinen Pelz ab, der Tafeldecker gab uns Essig, und Graf Czernitscheff übernahm das Amt des Chirurgen. Darauf verabredeten wir uns, zu keinem Menschen über dieses Abenteuer zu sprechen, und nachdem mein Arm verbunden war, kehrten wir alle zur Rutschbahn zurück. Den Rest des Abends tanzte ich, soupierte und kam erst sehr spät nach Hause, ohne daß jemand ahnte, was mir begegnet war. Doch schmerzte mich jene Stelle am Arm fast einen Monat lang; allein auch dies verlor sich allmählich.
Während der Fastenzeit hatte ich einen heftigen Zwist mit Madame Tschoglokoff, und zwar aus folgenden Gründen. Meine Mutter lebte seit einiger Zeit in Paris. Der älteste Sohn des Generals Iwan Feodorowitsch Gleboff, welcher eben von dort zurückkehrte, überbrachte mir von ihr zwei Stücke sehr reichen und schönen Stoffes. Als ich sie im Beisein Skurins, der sie in meinem Toilettezimmer ausbreitete, ansah, entfuhr mir die Bemerkung, sie seien so schön, daß ich mich versucht fühlte, sie der Kaiserin anzubieten. Und wirklich wartete ich nur auf einen günstigen Augenblick, um mit Ihrer Majestät, die ich nur sehr selten und noch dazu meist bei öffentlichen Gelegenheiten sah, darüber zu sprechen. Da es ein Geschenk sein sollte, welches ich ihr selbst zu geben mir vorbehielt, erwähnte ich meine Absicht auch mit keinem Worte gegen Madame Tschoglokoff und verbot auch Skurin, jemand wiederzusagen, was mir in seinem Beisein entschlüpft war. Er jedoch hatte nichts Eiligeres zu tun, als es Madame Tschoglokoff schleunigst zu hinterbringen. Einige Tage darauf trat sie eines schönen Morgens zu mir ins Zimmer und sagte, die Kaiserin lasse mir für meine Stoffe danken, sie habe einen davon behalten und den andern schicke sie mir zurück. Ich fiel wie aus den Wolken als ich dies hörte und erwiderte:»Wie soll ich das verstehn?«Madame Tschoglokoff antwortete, da sie gehört, daß ich meine Stoffe für Ihre kaiserliche Majestät bestimmt habe, hätte sie sie gleich der Kaiserin überreicht. Im ersten Augenblick wurde ich so zornig, wie ich mich nicht besinne, je gewesen zu sein. Ich stammelte — kaum vermochte ich zu sprechen — und sagte der Tschoglokoff, ich hätte mir ein besonderes Vergnügen daraus machen wollen, der Kaiserin die Stoffe zu überreichen, und nun beraube sie mich desselben, indem sie meine Stoffe ohne mein Wissen Ihrer kaiserlichen Majestät überbringe. Sie könne doch meine Absichten nicht kennen, da ich nicht mit ihr davon gesprochen, und wenn sie davon wisse, so sei dies nur durch den Mund eines Domestiken, der seine Herrin verrate, die ihn täglich mit Wohlwollen überhäufe. Madame Tschoglokoff, die stets ihre eigenen Gründe hatte, behauptete, da es mir nicht gestattet sei, über irgend etwas selber mit der Kaiserin zu reden, habe sie mir den betreffenden Befehl der Kaiserin kundgetan, und meine Diener seien verpflichtet, alles, was ich sage, ihr zu hinterbringen: jener Mensch also habe nur seine Pflicht erfüllt und sie die ihrige, wenn sie ohne mein Wissen die von mir für die Kaiserin bestimmten Stoffe Ihrer Majestät überbracht habe. Alles sei ganz in der Ordnung. Ich ließ sie reden, weil mich der Zorn stumm machte. Endlich entfernte sie sich. Als sie fort war, begab ich mich in ein kleines Vorzimmer, wo sich gewöhnlich Skurin am Morgen aufhielt und wo sich meine Garderobe befand. Ich gab ihm eine derbe Ohrfeige und sagte, er sei ein Verräter und der undankbarste Mensch, da er Madame Tschoglokoff hinterbracht, wovon ich ihm zu sprechen verboten habe. Während ich ihn mit Wohltaten überhäufe, verrate er selbst meine unschuldigsten Worte; allein von diesem Tage an werde ich nichts mehr für ihn tun, sondern ihn fortjagen und ausprügeln lassen. Was er sich denn von seinem Verhalten verspreche? fragte ich ihn, denn ich bleibe immer was ich sei, während die Tschoglokoffs, gehaßt und verabscheut von allen, wie sie wären, schließlich selbst durch die Kaiserin weggejagt würden, die früher oder später gewiß ihre Dummheit und Unfähigkeit für die Stellung, welche sie nur durch die Intrige eines bösen Menschen erlangt, erkennen werde. Wenn er wolle, könne er ja gehen und wiedererzählen, was ich gesagt; für mich würde dies sicherlich keine Folgen haben, aber was für ihn selbst daraus entstehe, werde er schon sehen. Bitterlich weinend stürzte mein Diener vor mir auf die Knie und bat mich mit aufrichtiger Reue um Verzeihung. Dies rührte mich und ich antwortete, nur sein künftiges Betragen werde mir den Weg weisen, den ich hinsichtlich seiner einzuschlagen habe, und daß meine Handlungen von den seinigen abhingen. Und da er ein intelligenter Bursche war, dem es nicht an Verstand fehlte, so hat er später nie sein Wort gegen mich gebrochen; im Gegenteil, ich erhielt stets Beweise des größten Eifers und der wahrhaftesten Treue von ihm, selbst unter den schwierigsten Umständen. Indes beklagte ich mich so viel ich nur konnte bei jedermann über den Streich, den Madame Tschoglokoff mir gespielt, damit die Sache zu den Ohren der Kaiserin gelange. Diese dankte mir allerdings nur für meine Stoffe, als ich sie sah, aber aus dritter Hand erfuhr ich, daß sie die Art, auf welche die Tschoglokoff verfahren, äußerst mißbilligte; und dabei blieb es.
Nach dem Osterfeste bezogen wir den Sommerpalast. Schon seit einiger Zeit bemerkte ich, daß der Kammerherr Sergius Soltikoff sich häufiger als gewöhnlich bei Hofe sehen ließ. Er kam stets in Begleitung Leon Narischkins, der alle durch seine schon oben geschilderte Originalität ergötzte. Die Fürstin Gagarin, welche ich sehr gern hatte und die sogar meine Vertraute war, konnte Sergius Soltikoff nicht ausstehen, der sich soviel als möglich bei den Tschoglokoffs einzuschmeicheln suchte. Da diese nun weder liebenswürdig, noch geistreich, noch unterhaltend waren, mußten wohl hinter seinen Bemühungen besondere Absichten verborgen liegen, Madame Tschoglokoff war damals gerade guter Hoffnung und daher oft unpäßlich. Da sie aber behauptete, ich unterhalte sie stets so vorzüglich, wünschte sie, mich so oft als möglich bei sich zu sehen. Auch Sergius Soltikoff, Leon Narischkin, die Fürstin Gagarin und noch viele andere besuchten sie gewöhnlich, wenn kein Konzert beim Großfürsten oder kein Theater bei Hofe war. Zu jener Zeit fand Sergius ein eigentümliches Mittel, Tschoglokoff, den die Konzerte des Großfürsten schrecklich langweilten, obgleich er nie verfehlte, dabei zu sein, zu beschäftigen. Ich weiß nicht, auf welche Weise er in dem schwerfälligen, aller Phantasie und alles Geistes baren Menschen eine leidenschaftliche Neigung zum Verfertigen von Versen zu wecken vermochte, die übrigens ohne Sinn und Verstand waren. Nachdem wir dies entdeckt hatten, baten wir Tschoglokoff jedesmal, wenn wir ihn los sein wollten, ein neues Gedicht zu machen. Dann setzte er sich bereitwilligst in eine Ecke des Zimmers, meist in die Nähe des Ofens, und beschäftigte sich mit der Abfassung des Gedichtes, was den ganzen Abend ausfüllte. Man war darüber entzückt und ermunterte ihn fortwährend zu neuen Leistungen. Leon Narischkin setzte dann seine Lieder in Musik und sang sie mit ihm. Unterdessen konnten wir uns ungestört unterhalten und sagen, was wir wollten. Ich besaß einen dicken Band von diesen Gedichten, weiß aber nicht, was daraus geworden ist.
Bei einem jener Konzerte ließ Sergius Soltikoff durchblicken, was die Ursache seiner Aufmerksamkeiten gegen mich war. Ich antwortete ihm zuerst nicht, als er aber immer wieder über denselben Gegenstand zu sprechen begann, fragte ich ihn, was er sich denn eigentlich davon verspreche? Darauf entwarf er ein ebenso glänzendes als leidenschaftliches Bild des höchsten Glückes. Ich erwiderte:»Und Ihre Frau, die Sie erst vor zwei Jahren aus Leidenschaft geheiratet und in die Sie, wie man sagt, bis zum Wahnsinn verliebt sind, ein Gefühl, welches sie mit gleicher Glut erwidert, was wird sie dazu sagen?«Hierauf bemerkte er nur: nicht alles sei Gold, was glänze, und er büße schwer für einen Augenblick der Verblendung. Ich tat dennoch, was in meinen Kräften stand, ihn auf andere Gedanken zu bringen; gutmütig, wie ich war, glaubte ich, daß mir dies gelinge — er tat mir leid. Schließlich aber erhörte ich ihn doch. Er war schön wie der Tag, und niemand kam ihm an dem großen Hofs der Kaiserin, geschweige denn an unserm kleinen gleich. Es fehlte ihm weder an Geist, noch an jener Gewandtheit in Kenntnissen, Benehmen und Rücksichten, welche die große Welt, besonders aber das Hofleben, verleiht. Er war sechsundzwanzig Jahre alt; kurz, Geburt und manche andere Eigenschaften machten ihn zu einem glänzenden Kavalier. Seine Fehler wußte er geschickt zu verbergen, deren größte seine Neigung zur Intrige und sein Mangel an Grundsätzen waren. Doch noch während des ganzen Frühlings und eines Teils des Sommers widerstand ich seinem Drängen, und obgleich ich ihn fast täglich sah, änderte ich mein Benehmen gegen ihn nicht. Ich verkehrte mit ihm, wie mit einem jeden, sah ihn nur in Gegenwart des Hofes oder wenigstens mehrerer Personen meiner Umgebung. Eines Tages kam mir sogar der Gedanke, mich seiner endlich zu entledigen, indem ich ihm kurzweg sagte, er komme übel an, und hinzufügte:»Was wissen Sie denn? Vielleicht gehört mein Herz schon einem andern?«Aber diese Worte, statt ihn zu entmutigen, bewirkten gerade das Gegenteil, und er wurde immer leidenschaftlicher. Von meinem lieben Gemahl war bei alledem nie die Rede, weil es eine ausgemachte Sache war, daß selbst die, in welche er verliebt war, ihn nicht liebenswert fanden; und verliebt war er fortwährend, ja er machte sozusagen allen Frauen den Hof; nur die, welche seinen Namen trug, war von seiner Beachtung ausgeschlossen.
Um diese Zeit lud uns Tschoglokoff zu einer Jagd auf seine Insel ein. Wir begaben uns in einer Schaluppe dorthin; unsere Pferde hatten wir vorausgeschickt. Gleich nach unserer Ankunft bestieg ich das meinige, um die Hunde abzuholen. Da paßte Sergius den Augenblick ab, wo die andern mit der Verfolgung der Hasen beschäftigt waren, um sich mir zu nähern und mich von seinem Lieblingsthema zu unterhalten. Aufmerksamer als gewöhnlich hörte ich ihm diesmal zu, während er mir die Grundzüge des Planes, den er sich ausgedacht, um wie er sagte, das Glück in ein tiefes Geheimnis zu hüllen, in den glühendsten Farben schilderte. Ich schwieg, und er machte sich mein Schweigen zunutze, um mir zu versichern, daß er mich leidenschaftlich liebe, und mich zu bitten, ich solle ihm zu glauben gestatten, daß er mir wenigstens nicht gleichgültig sei. Darauf erwiderte ich, ich könne ihn nicht hindern, sich seinen Phantasien hinzugeben. Endlich stellte er Vergleiche zwischen sich und andern Personen des Hofes an und drängte mich zu dem Geständnis, daß er gewiß diesen vorzuziehen sei, woraus er dann schloß, ich bevorzuge ihn wirklich. Ich lachte über seine Anmaßung, aber im Grunde meines Herzens mußte ich mir gestehen, daß er mir sehr gefalle. Nachdem wir uns anderthalb Stunden lang auf diese Weise unterhalten, forderte ich ihn auf, sich zu entfernen, weil ein so langes Gespräch Verdacht erregen könne. Er aber entgegnete, er werde sich nicht früher entfernen, als bis ich ihm gesagt, daß er mir gefalle, worauf ich antwortete:»Ja, ja, aber gehen Sie!«»Ich werde es mir gesagt sein lassen!«rief er und gab seinem Pferde die Sporen, doch ich entgegnete schnell:»Nein, nein!«und er wiederholte:»Ja, ja!«So trennten wir uns.
Nach dem Hause Tschoglokoff zurückgekehrt gingen wir sogleich zum Souper. Während desselben erhob sich ein heftiger Sturm, der die Wellen des Meeres so hoch peitschte, daß sie die Treppenstufen des Hauses umspülten, und die ganze Insel mehrere Fuß tief unter Wasser stand. Wir waren daher genötigt, auf der Besitzung Tschoglokoffs zu bleiben, bis Sturm und Wellen sich gelegt hatten, was erst gegen Morgen zwischen zwei und drei Uhr eintrat. Während dieser Zeit sagte mir Sergius unter andern Bemerkungen dieser Art, der Himmel sogar begünstige ihn heute und ließe ihn länger als sonst meinen Anblick genießen. Er hielt sich schon für überaus glücklich. Ich dagegen war es nicht. Tausend Befürchtungen quälten meinen Geist, und meiner eigenen Empfindung zufolge war ich an jenem Tage mürrisch und unzufrieden mit mir selbst. Ich hatte geglaubt, seine Gedanken so wie die meinigen lenken und meistern zu können, aber wie bald mußte ich einsehen, daß dies sehr schwer, wo nicht ganz unmöglich war.
Zwei Tage später teilte mir Sergius Soltikoff mit, ein Kammerdiener des Großfürsten, ein Franzose namens Bresson, habe ihm erzählt, Seine kaiserliche Hoheit hätte geäußert:»Sergius Soltikoff und meine Frau täuschen Tschoglokoff, machen ihn glauben was sie wollen und lachen dann über ihn. «Und an dieser Bemerkung des Großfürsten war in der Tat etwas Wahres. Ich riet daher Sergius, künftig etwas vorsichtiger zu sein. Einige Tage darauf bekam ich eine schlimme Halsentzündung mit starkem Fieber, die drei Wochen dauerte. Während dieser Zeit schickte die Kaiserin die Fürstin Kurakin zu mir, die ich zu ihrer damals stattfindenden Vermählung mit dem Fürsten Labanoff schmücken sollte. Sie setzte sich zu diesem Zweck im Brautkleide mit großem Reifrock auf den Rand meines Bettes und ich versuchte, so gut ich konnte, ihren Haarputz zu vollenden. Da aber Madame Tschoglokoff sah, daß ich es nicht imstande war, forderte sie die Dame auf, mein Bett zu verlassen und beendete selbst die Frisur.
Der Großfürst war damals in Fräulein Marta Isajewna Schasiroff verliebt, welche mir die Kaiserin vor kurzem zugleich mit ihrer älteren Schwester Anna Isajewna beigegeben hatte. Sergius Soltikoff, ein Dämon in Intrigen, ließ sich mit den beiden Damen ein, um zu erfahren, was der Großfürst zu den beiden Schwestern über ihn sage, was er sich dann zunutze zu machen gedachte. Die Mädchen waren arm, ziemlich einfältig, sehr interessiert und wurden wirklich nach kurzer Zeit äußerst vertraut mit ihm.
Unterdessen gingen wir nach Oranienbaum, wo ich wieder täglich ausritt und mit Ausnahme der Sonntage nur Männerkleider trug. Tschoglokoff und seine Frau waren sanft wie die Lämmer geworden. In Madames Augen besaß ich ein neues Verdienst: ich liebte nämlich eins ihrer Kinder sehr, liebkoste es oft, machte ihm Kleider und schenkte ihm Gott weiß was für Spielzeug und allerlei Tand. Die Mutter war in den Knaben rein vernarrt, der indes später ein Taugenichts wurde und sich wegen seiner Streiche eine fünfzehnjährige Festungshaft zuzog. Sergius Soltikoff war der Freund, Vertraute und Ratgeber der Tschoglokoffs geworden. Wie aber konnte ein Mensch, der gesunden Menschenverstand hatte, sich der Qual unterwerfen, das unsinnige Geschwätz von zwei hochmütigen, anmaßenden und egoistischen Narren den ganzen Tag lang anzuhören, ohne daß er ein großes Interesse dabei gehabt hätte? man ahnte, man setzte voraus, was ihn dazu bewog, und das Gerücht gelangte nach Peterhof zu den Ohren der Kaiserin. Nun geschah es damals sehr häufig, daß Ihre Majestät, wenn sie Lust hatte zu schelten, nicht immer ihren Zorn direkt gegen das richtete, was ihn mit Recht hätte erregen können, sondern den Vorwand dazu von einer Seite hernahm, von der man es am wenigsten erwartete. In Oranienbaum war unser ganzer Hof, Herren sowohl wie Damen, übereingekommen, sich für den Sommer Anzüge von derselben Farbe machen zu lassen, oben grau und unten blau, mit einer Jacke aus schwarzem Samt und ohne jegliche Garnitur. Eine solche Gleichförmigkeit war uns in mehr als einer Hinsicht bequem. Und diese Kleidung mußte diesmal herhalten! Besonders aber klammerte man sich an die Tatsache, daß ich stets im Reitkleide gehe und in Peterhof als Herr reite. Endlich, an einem Galatage, sagte die Kaiserin zu Madame Tschoglokoff, nur diese Art des Reitens sei schuld, daß ich keine Kinder bekomme, und mein Anzug wäre unschicklich; wenn sie reite, so wechsele sie ihre Kleidung. Darauf erwiderte Madame Tschoglokoff, daß ich keine Kinder bekäme, sei eine ganz andere Frage. Kinder könnten nicht ohne Ursache kommen, und obgleich Ihre kaiserlichen Hoheiten seit dem Jahre 1745 verheiratet seien, so existiere eine solche Ursache doch bis jetzt noch nicht. Nun schalt Ihre Majestät Madame Tschoglokoff und bemerkte, es sei einzig und allein ihre Schuld, daß sie vernachlässige, die dabei interessierten Personen hinsichtlich dieses Punktes zu ermahnen. Ueberhaupt zeigte sie sich sehr verstimmt und fügte hinzu, ihr Gemahl sei eine Schlafmütze, die sich von Rotznasen leiten lasse.
Alles dies wurde binnen vierundzwanzig Stunden den Vertrauten der Tschoglokoffs wiedererzählt. Bei dem Worte Rotznasen schneuzten die Rotznasen sich, und in einer von diesen Rotznasen abgehaltenen Beratung wurde beschlossen, daß in strenger Befolgung der Gefühle Ihrer Majestät Sergius Soltikoff und Leon Narischkin eine scheinbare Ungnade seitens Tschoglokoffs erleiden sollten. Sie entfernten sich denn auch angeblich wegen Krankheit ihrer Verwandten auf drei Wochen oder einen Monat, um die dumpf umlaufenden Gerüchte zum Schweigen zu bringen. Gleich Tags darauf reisten sie ab, um sich für einige Zeit in den Schoß ihrer Familien zurückzuziehen. Gleichzeitig änderte auch ich schleunigst meinen Anzug; auch die Uniform der andern war jetzt nutzlos geworden. Uebrigens setzte ich meinen Verkehr mit den Tschoglokoffs fort, obschon ich schreckliche Langeweile dabei empfand. Die beiden Ehegatten bedauerten die Abwesenheit der beiden Haupthelden ihres Kreises sehr — und ich war wahrhaftig nicht anderer Meinung. Sergius Soltikoffs Abwesenheit zog sich in die Länge. Währenddessen lud uns die Kaiserin ein, von Oranienbaum zu ihr nach Kronstadt zu kommen, da in ihrer Gegenwart das Wasser in den Kanal Peters I. gelassen werden sollte, den dieser begonnen und der soeben vollendet worden war. Sie selbst war uns nach Kronstadt vorangeeilt. Die Nacht nach ihrer Ankunft war sehr stürmisch, und da Ihre Majestät glaubte, wir befänden uns während des Sturmes auf dem Meere, war sie sehr unruhig. Sie brachte die ganze Nacht in großer Besorgnis zu, bald schien es ihr, als wenn ein Schiff, welches sie von ihren Fenstern aus mit den Wellen kämpfen sah, die Jacht sein könnte, auf der wir uns befanden, bald wandte sie sich aus Verzweiflung um Beistand an die Reliquien, die sie immer an ihrem Bett hatte, trug dieselben ans Fenster und bewegte sie nach einer dem mit den Wellen kämpfenden Schiff entgegengesetzten Richtung. Mehrmals rief sie aus, wir würden sicherlich untergehen, und das sei ihre Schuld, weil wir gewiß, nachdem sie uns vor kurzem getadelt, gleich nach der Ankunft der Jacht abgesegelt seien, um ihr einen Beweis unserer Ergebenheit zu geben. Aber in Wirklichkeit kam die Jacht erst nach dem Sturme in Oranienbaum an, so daß wir erst am Nachmittag des folgenden Tags an Bord gingen. Wir blieben drei Tage und Nächte in Kronstadt, währenddessen die feierliche Einsegnung des Kanals stattfand und man das Meer zum ersten Male einließ. Am Nachmittag war großer Ball. Die Kaiserin wollte in Kronstadt bleiben, um das Wasser wieder abfließen zu sehen, allein sie verließ es schon am dritten Tage, ohne daß man den Abfluß hätte bewirken können. Der Kanal wurde seit jener Zeit nicht wieder trocken gelegt, bis ich während meiner Regierung die Dampfmühle errichten ließ, welche ihn entleert. Außerdem wäre es auch unmöglich gewesen, da der Boden des Kanals tiefer liegt als das Meer, was damals nicht in Betracht gezogen wurde.
Von Kronstadt kehrte jeder nach Hause zurück; die Kaiserin nach Peterhof, wir nach Oranienbaum. Tschoglokoff verlangte und erhielt die Erlaubnis, sich für einen Monat auf eins seiner Güter zu begeben. Während seiner Abwesenheit war seine Frau Gemahlin aufs eifrigste bemüht, die Befehle der Kaiserin buchstäblich auszuführen. Zunächst hatte sie unzählige Beratungen mit Bresson, dem Kammerdiener des Großfürsten. Dieser fand in Oranienbaum eine hübsche Malerswitwe namens Groot, aber es vergingen einige Tage, ehe es gelang, sie zu überreden, und ihr, ich weiß nicht was, zu versprechen und sie über das, was man von ihr wollte und wozu sie sich hergeben sollte, aufzuklären. Hierauf wurde Bresson beauftragt, Seine kaiserliche Hoheit mit dieser jungen und schönen Witwe bekannt zu machen. Gleichzeitig bemerkte ich deutlich, daß Madame Tschoglokoff sich in einer gewissen Aufregung befand, nur wußte ich nicht weshalb, bis endlich Sergius Soltikoff aus seinem freiwilligen Exil zurückkehrte und mir nach und nach zu verstehen gab, um was es sich handelte. Endlich, mit vieler Mühe, erreichte Madame Tschoglokoff ihren Zweck, und als sie sich dieser Tatsache vergewissert hatte, benachrichtigte sie die Kaiserin, daß ihre Wünsche erfüllt seien. Sie hoffte, für ihre Mühe reichlich entschädigt zu werden, täuschte sich aber gründlich, denn sie erhielt nichts. Allein sie tröstete sich damit, daß sie behauptete, das Reich sei ihr zu großem Dank verpflichtet. Kurz darauf kehrten wir in die Stadt zurück.
Um jene Zeit gelang es mir, den Großfürsten zum Abbruch der Unterhandlung mit Dänemark zu bewegen. Ich erinnerte ihn an die Ratschläge des Grafen Bernis, der schon wieder nach Wien zurückgekehrt war. Der Großfürst folgte mir und befahl, die Unterhandlungen abzubrechen, ohne etwas abzuschließen, was denn auch geschah. Nach einem kurzen Aufenthalt im Sommerpalast bezogen wir den Winterpalast.
Ich glaubte damals zu bemerken, daß Sergius Soltikoff anfing, sich weniger um mich zu bekümmern, daß er zerstreut, mitunter albern, anmaßend und ausgelassen war. Dies quälte mich und ich sagte es ihm. Er antwortete mir mit banalen Ausreden, behauptete, ich verstehe die außerordentliche Geschicklichkeit seines Benehmens nicht zu würdigen. Er hatte recht, denn ich fand dasselbe sehr sonderbar. Einem Befehle zufolge bereiteten wir uns zur Reise nach Moskau vor. Am 14. Dezember 1752 reisten wir von Petersburg ab, wo Sergius Soltikoff noch einige Wochen verweilte. Ich verließ Petersburg mit leichten Anzeichen, daß ich guter Hoffnung sei. Da wir aber sehr schnell Tag und Nacht reisten, verschwanden diese auf der letzten Station vor Moskau unter heftigen Leibschmerzen. Nach der Ankunft in Moskau konnte ich nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß eine unzeitige Geburt stattgefunden hatte. Madame Tschoglokoff, die eben von ihrem siebenten und letzten Kinde entbunden worden war, war in Petersburg zurückgeblieben, folgte uns aber, nachdem sie sich erholt, ebenfalls nach Moskau.
Beschränkter Aufenthalt in Moskau — Ein Lieblingsprojekt der Tschoglokoff. — Sie macht mir versteckte Vorschläge in bezug auf Sergius Soltikoff. — Landaufenthalt. — Die Feier des Krönungstages Elisabeths. — Die Kaiserin behandelt uns mit großer Kälte. — Duell Zacharias Czernitscheffs mit Oberst Leontieff. — Ich bin von neuem guter Hoffnung. — Fehlgeburt. — Trinkgelage des Großfürsten. — Seine Ohnmacht über seine Zechgenossen. — Eine Hinrichtung. — Wahnsinn mehrerer Personen des Hofes.
Man hatte uns in Moskau einen aus Holz gebauten Flügel eingeräumt, der erst während des Herbstes fertig geworden war, so daß das Wasser an dem Gebälk niederlief und alle unsere Zimmer an großer Feuchtigkeit litten. Dieser Flügel bestand aus zwei Teilen, deren jeder fünf bis sechs große Zimmer enthielt. Die nach der Straße liegenden waren für mich, die Hinterzimmer für den Großfürsten bestimmt. Meine Kammermädchen und Kammerfrauen samt ihren Dienerinnen wurden in meinem Toilettenzimmer untergebracht, so daß nicht weniger als siebzehn Frauen und Mädchen eine Stube bewohnten, einen Raum, der freilich drei große Fenster hatte, aber keinen Ausgang, als nach meinem Schlafzimmer, welches sie alle Augenblicke passieren mußten. Natürlich war eine solche Einrichtung weder für sie noch für mich angenehm. Dennoch waren wir genötigt, diese Unbequemlichkeit, dergleichen mir nie zuvor begegnet, zu ertragen. Dazu befand sich ihr Speisezimmer in einem meiner Vorzimmer. Da ich krank war, als ich in Moskau ankam, ließ ich, um der eben erwähnten Unbequemlichkeit abzuhelfen, einige spanische Wände in mein Schlafzimmer setzen, vermittelst welchen ich dasselbe in drei Teile teilte. Doch half dies so gut wie gar nichts, weil die Türen sich unausgesetzt öffneten und schlossen, was unvermeidlich war. Am zehnten Tage endlich besuchte mich die Kaiserin, und als sie dies fortwährende Gehen und Kommen bemerkte, ging sie ins Nebenzimmer und sagte meinen Damen:»Ich werde Ihnen einen andern Ausgang machen lassen als den durch das Schlafzimmer der Großfürstin. «Aber was tat sie? Sie befahl, das Zimmer, in dem siebzehn Personen bereits mit Mühe untergebracht waren, noch um ein Fenster kleiner zu machen, um dadurch einen Korridor zu gewinnen. Die Fensterwand wurde durchbrochen und eine Treppe angebracht, die direkt auf die Straße führte. Unter den Fenstern errichtete man Aborte, und auch wenn sie zum Diner gingen, mußten die Frauen die Straße passieren. Kurz, diese Anordnung war sehr schlecht, und ich wunderte mich, daß diese siebzehn Frauen, zusammengepackt und öfters krank, nicht von einer Hautkrankheit ergriffen wurden. Und dies alles neben meinem Schlafzimmer, das noch obendrein von Ungeziefer jeder Art wimmelte, so daß ich am Schlafen gehindert wurde.
Endlich, nachdem sie sich von ihrem Wochenbett erholt, kam Madame Tschoglokoff in Moskau an und einige Tage später auch Sergius Soltikoff. Da Moskau sehr groß ist und jeder weit vom andern entfernt wohnt, benutzte er diese Gelegenheit, um die Verminderung seiner erdichteten oder wirklichen Bemühungen bei Hofe zu verbergen. Für mich war dies sehr schmerzlich, aber er führte stets so gewichtige Gründe an, daß mein Bedenken schwand, sobald ich ihn gesehen und gesprochen hatte. Um die Zahl seiner Feinde zu verringern, verabredeten wir miteinander, daß ich dem Grafen Bestuscheff etwas sagen ließ, was ihm die Hoffnung geben konnte, daß ich ihm weniger fernstehe als bisher. Ich beauftragte mit dieser Botschaft einen gewissen Bremse, der in Pechlins holsteinscher Kanzlei angestellt war und den Grafen Bestuscheff häufig besuchte, Er übernahm meinen Auftrag mit größter Bereitwilligkeit und sagte, der Kanzler sei aufs höchste erfreut gewesen, habe erklärt, ich möge mich so oft ich wolle an ihn wenden und wenn er mir nützlich sein könne, bitte er mich, ihm einen sichern Verbindungsweg anzugeben, vermittels dessen wir uns gegenseitig mitteilen könnten, was wir auf dem Herzen hätten. Ich verstand seine Absicht und antwortete Bremse, ich werde mir die Sache überlegen. Dann sprach ich mit Sergius Soltikoff davon, und wir beschlossen sofort, daß er selbst zum Kanzler gehen solle, was er kurz nach seiner Ankunft unter dem Vorwande eines Besuchs leicht tun konnte. Der Alte empfing ihn aufs beste, unterhielt sich mit ihm sehr vertraulich über die innern Angelegenheiten unseres Hofes, über die Dummheit der Tschoglokoffs und bemerkte unter anderm:»Ich weiß, daß Sie ihr Vertrauter sind, weiß aber auch, daß Sie sie ebenso gut als ich kennen, denn Sie sind ein Mann von Geist. «Hierauf sprach er mit ihm von mir und meiner Lage, als hätte er selbst täglich in meinem Zimmer gewohnt, und fügte hinzu:»In Anerkennung des Wohlwollens, welches die Großfürstin mir entgegenbringt, werde ich ihr einen kleinen Dienst erweisen, der, wie ich glaube, ihr sehr willkommen sein wird. Ich werde ihr die sanfte Madame Wladislawa wiedergeben, und sie kann mit ihr machen, was ihr gefällt. Sie soll sehen, daß ich kein solcher Werwolf bin, wie man mich immer in ihren Augen hingestellt hat. Kurz, Sergius Soltikoff kehrte sehr befriedigt von seiner Audienz und seinem Manne zurück, der ihm selbst ebenso verständige als nützliche Ratschläge gegeben. Alles dies beförderte unser Einverständnis, ohne daß jemand die geringste Ahnung davon hatte.
Um diese Zeit nahm Madame Tschoglokoff, welche fortwährend ihr Lieblingsprojekt, über die Thronfolge zu wachen, im Kopfe hatte, mich eines Tages beiseite und sagte:»Hören Sie mich an, ich muß ganz aufrichtig mit Ihnen sprechen. «Natürlich öffnete ich Augen und Ohren. Mit einer langen Einleitung nach ihrer Art begann sie denn über ihre Anhänglichkeit an ihren Gemahl, ihre Einsicht über das, was sein und nicht sein müsse, damit man sich liebe, und die ehelichen Bande erleichtere, zu reden. Dann plötzlich änderte sie ihren Ton und sagte: zuweilen gebe es allerdings Verhältnisse von höherem Interesse, welche eine Ausnahme von der Regel notwendig machten. Ich ließ sie reden, soviel sie wollte, ohne sie zu unterbrechen, da ich nicht wußte, was der Zweck ihrer Auseinandersetzung war und mich das Ganze überraschte. Es war mir außerdem nicht klar, ob sie mich in einen Hinterhalt locken wollte, oder aufrichtig zu mir sprach. Während ich insgeheim diese Betrachtungen anstellte, fuhr sie fort:»Sie werden sehen, wie groß meine Liebe zu meinem Vaterlande ist und wie ernst ich es meine. Ich zweifele nicht, daß Sie eine Person am Hofe besonders gern sehen. Ich lasse Ihnen die Wahl zwischen Sergius Soltikoff und Leon Narischkin; irre ich nicht, so ist es der letztere.«— Ich aber rief rasch:»Nein, nein, gewiß nicht!«— Sie erwiderte:»Nun gut, ist er es nicht, so ist es unzweifelhaft der andere.«— Darauf antwortete ich nicht, und sie fuhr fort:»Sie sollen sehen, daß ich es nicht bin, die Ihnen Schwierigkeiten machen wird.«— Ich indes spielte die Einfältige in einem Grade, daß sie mich schließlich schalt.
Nach Ostern begaben wir uns aufs Land. Um dieselbe Zeit schenkte die Kaiserin dem Großfürsten Liberitza und mehrere andere Güter, die vierzehn bis fünfzehn Werst von Moskau entfernt lagen. Allein ehe sie diese neuen Besitzungen Seiner kaiserlichen Hoheit besuchte, feierte sie in Moskau am 25. April den Jahrestag ihrer Krönung. Man meldete uns, sie habe befohlen, das Zeremoniell solle ganz dasselbe sein, wie es am wirklichen Krönungstage beobachtet worden war, und wir waren sehr neugierig darauf. Am Abend vorher begab sie sich in den Kreml, um dort die Nacht zu verbringen, während wir in dem Holzpalast an der Sloboda blieben und den Befehl erhielten, zur Messe in die Kathedrale zu kommen. Um neun Uhr morgens verließen wir den Holzpalast in Staatskarossen, neben welchen Lakaien zu Fuß hergingen, durchzogen im Schritt ganz Moskau — eine Strecke von sieben Werst — und stiegen dann vor der Kirche aus. Gleich darauf langte die Kaiserin mit ihrem Gefolge an. Sie trug die kleine Krone auf dem Haupte, und der kaiserliche Mantel wurde wie gewöhnlich von den Kammerherren getragen. Sie begab sich zu ihrem Platz in der Kirche — kurz, in allem war nichts Außerordentliches, was nicht bei jedem andern Feste ihrer Regierung ebenso gewesen wäre. In der Kirche herrschte eine abscheuliche feuchte Kälte, wie ich sie niemals so heftig empfunden habe. Ich war in meinem tiefausgeschnittenen Hofkleide ganz blau und starr vor Frost, so daß mir die Kaiserin sagen ließ, ich solle doch einen Zobelpelzkragen umhängen, aber ich hatte keinen solchen bei mir. Sie selbst ließ sich ihre eigenen Pelze herbeiholen und nahm einen davon um. Dabei sah ich noch einen andern in dem Kasten liegen und dachte, sie werde mir denselben schicken, aber ich täuschte mich: sie ließ ihn wieder fortnehmen. Dies schien mir ein ziemlich starkes Zeichen von Ungnade. Endlich verschaffte mir Madame Tschoglokoff, welche sah, daß ich vor Kälte zitterte, ich weiß nicht woher, ein seidenes Taschentuch, das ich um meinen Hals band. Am Schluß der Messe und der Predigt verließ die Kaiserin die Kirche, wobei wir es für unsere Pflicht hielten, ihr zu folgen; allein sie ließ uns sagen, wir könnten nach Hause zurückkehren. Nun begriffen wir, daß sie allein auf dem Throne zu dinieren beabsichtigte und hierin das Zeremoniell des Krönungstages beobachtet werden sollte, an welchem sie ebenfalls allein gespeist hatte. Ausgeschlossen von diesem Diner, kehrten wir zurück, wie wir gekommen waren: in großer Feierlichkeit, unsere Bedienten zu Fuß, und legten so im ganzen vierzehn Werst zurück, indem wir, vor Kälte erstarrt und vor Hunger fast sterbend, Moskau von einem Ende zum andern durchzogen. Wenn die Kaiserin während der Messe sehr schlechter Laune zu sein schien, so entließ sie uns jetzt in nicht viel heiterer Stimmung, mit dem Beweise eines so wenig erfreulichen Mangels an Aufmerksamkeit — um nicht mehr zu sagen. Bei jedem andern großen Feste, wo sie auf dem Throne dinierte, hatten wir die Ehre gehabt, mit ihr zu speisen, diesmal indes entließ sie uns öffentlich. Unterwegs teilte ich dem Großfürsten, mit dem ich allein im Wagen saß, meine Meinung darüber mit, worauf er erklärte, er werde sich beschweren. Nach meiner Rückkehr klagte ich Madame Tschoglokoff, starr von Kälte und erschöpft, wie ich war, daß ich mich erkältet habe. Tags darauf war Ball im Holzpalast, aber ich gab mich für krank aus und ging nicht hin. Der Großfürst seinerseits schickte in der Tat über die Sache ich weiß nicht was für eine Botschaft an die Schuwaloffs, worauf sie ihm irgend welche befriedigende Antwort zugehen ließen — dann war nicht weiter die Rede davon.
Etwa um dieselbe Zeit erfuhren wir, daß Zacharias Czernitscheff und der Oberst Nikolaus Leontieff sich im Hause Roman Woronzows beim Spiel erzürnt, mit dem Degen in der Hand gefochten hätten und daß Graf Czernitscheff eine gefährliche Verwundung am Kopfe erhalten habe. Sein Zustand war so bedenklich, daß man ihn nicht aus dem Hause Roman Woronzows hatte fortschaffen können. Er blieb also dort, befand sich sehr schlecht und es war die Rede davon, ihn zu trepanieren. Mich persönlich betrübte dies sehr, denn ich besaß eine große Zuneigung zu ihm. Leontieff wurde auf Befehl der Kaiserin verhaftet. Durch dieses Duell wurde die ganze Stadt in Intrigen verwickelt, wegen der außerordentlich zahlreichen Verwandtschaft der beiden Gegner. Leontieff war der Schwiegersohn der Gräfin Rumianzoff und ein sehr naher Verwandter der Panins und Kurakins. Aber auch sein Gegner hatte Verwandte, Freunde und Beschützer. Der Vorfall ereignete sich im Hause des Grafen Roman Woronzow und der Kranke befand sich bei ihm. Endlich jedoch schwand die Gefahr; die Sache wurde beigelegt und vergessen.
Im Laufe des Monats Mai stellten sich wieder Anzeichen von Schwangerschaft bei mir ein. Wir begaben uns nach Liberitza, dem Gute des Großfürsten, zwölf bis vierzehn Werst von Moskau entfernt. Das steinerne Haus, welches Fürst Menschikoff früher dort errichtet hatte, war verfallen. Wir konnten es daher nicht bewohnen, und man schlug Zelte für uns auf. Morgens zwischen zwei und drei Uhr wurde mein Schlaf von den Hammerschlägen und dem Lärm unterbrochen, den man beim Bau eines hölzernen Flügels machte, welcher in aller Eile, so zu sagen zwei Schritte von unsern Zelten errichtet wurde, damit wir wenigstens während des Restes des Sommers eine Wohnstätte hätten. Später gingen wir meist auf die Jagd oder spazieren, aber ich ritt nicht mehr, sondern fuhr im offenen Wagen.
Kurz vor dem Peterstage kehrten wir nach Moskau zurück. Ich war damals so schlafmüde, daß ich jeden Tag bis Mittag schlief und nur mit Mühe zum Diner geweckt werden konnte. Die Feier von St. Peter ging wie gewöhnlich vor sich: ich kleidete mich an, war bei der Messe, beim Diner, beim Ball und beim Souper zugegen. Tags darauf indes fühlte ich Schmerzen im Kreuz. Madame Tschoglokoff ließ sofort die Hebamme kommen, die mir die vorzeitige Geburt vorhersagte, die während der Nacht stattfand. Ich mochte wohl zwei oder drei Monate guter Hoffnung gewesen sein. Dreizehn Tage lang schwebte ich in Lebensgefahr, da man fürchtete, ein Teil der Nachgeburt sei zurückgeblieben, bis endlich am vierzehnten Tage dieselbe von selbst ohne Anstrengung und Schmerzen abging. Wegen dieses Vorfalls mußte ich mein Zimmer sechs Wochen lang während einer unerträglichen Hitze hüten. Während dieser Zeit meiner Krankheit langweilte ich mich tödlich. Meine ganze Gesellschaft bestand in Madame Tschoglokoff — die noch dazu sehr selten zu mir kam — und einer kleinen Kalmückin, welche ich sehr gern hatte, weil sie äußerst anmutig war. Ich weinte oft vor Langeweile. Was den Großfürsten betraf, so hielt er sich meist in seinen Zimmern auf, wo einer seiner Kammerdiener namens Karnowitsch, ein Ukrainer und ebenso großer Narr als Trunkenbold, ihn nach Kräften unterhielt, indem er ihm Spielsachen, Wein und starke Getränke brachte, so viel er nur konnte. Tschoglokoff, den überhaupt alle täuschten und an der Nase herumführten, wußte natürlich davon nichts. Doch während der geheimen nächtlichen Bacchanalien des Großfürsten mit seinen Kammerbedienten, unter denen sich auch mehrere junge Kalmücken befanden, hörte man oft wenig auf seine Befehle und bediente ihn schlecht. In ihrer Trunkenheit wußten sie nicht, was sie taten, und vergaßen, daß sie mit ihrem Herrn zusammen waren, und daß dieser Herr der Großfürst war. Dann nahm seine kaiserliche Hoheit gewöhnlich zu Stockschlägen und flachen Säbelhieben seine Zuflucht, aber trotzdem gehorchten ihm seine Genossen schlecht, und mehr als einmal beklagte er sich über seine Leute bei mir und bat mich, sie zur Vernunft zu bringen. Ich begab mich daher in sein Zimmer, schalt sie, erinnerte sie an ihre Pflichten und brachte sie sofort zum Gehorsam, so daß der Großfürst wiederholt gegen mich äußerte und auch gegen Bresson bemerkte, er wisse nicht, wie ich es mit seinen Leuten anfange; er selbst schelte sie und könne sie nicht zum Gehorchen bringen, während ich von ihnen alles mit einem Worte erlange. Als ich eines Tages wieder einmal zu demselben Zwecke das Zimmer des Großfürsten betrat, fiel mein Blick auf eine große Ratte, die er mit dem ganzen Apparat einer Hinrichtung in der Mitte eines durch eine Bretterwand gebildeten Kabinetts hatte aufhängen lassen. Auf meine Frage, was dies bedeute, erwiderte er, diese Ratte habe eine verbrecherische Handlung begangen, die nach den Kriegsgesetzen mit Hinrichtung bestraft werden müsse. Sie sei über die Wälle einer Festung aus Pappe gesprungen, welche auf dem Tische in diesem Kabinett stand, und habe zwei aus Zunder verfertigte Schildwachen, die auf den Wällen Dienst getan, aufgefressen. Er habe daher den Verbrecher nach den Kriegsgesetzen verurteilen lassen. Sein Hühnerhund habe die Ratte erwischt, und wie ich sehe, sei sie sofort gehängt worden und solle als warnendes Beispiel drei Tage vor den Augen des Publikums ausgestellt bleiben. Ich konnte nicht umhin, über die unglaubliche Albernheit dieses Vorgangs in lautes Lachen auszubrechen, erregte jedoch dadurch sein größtes Mißfallen. In Anbetracht der Wichtigkeit, die er der Sache beimaß, zog ich mich zurück und verschanzte mich als Frau hinter meine Unkenntnis der Kriegsgesetze. Allein er hörte nicht auf, mich wegen meines Lachens zu schelten, und doch konnte man zur Rechtfertigung der Ratte mindestens das anführen, daß sie gehängt worden war, ohne daß man sie aufgefordert, sich zu rechtfertigen, oder ihre Rechtfertigung gehört hatte.
Während des diesjährigen Aufenthaltes des Hofes in Moskau wurde ein Hoflakai irrsinnig. Die Kaiserin befahl sofort Boerhave, ihrem Leibarzte, den Menschen zu behandeln, und er wurde in einem Zimmer in der Nähe der Wohnung Boerhaves, der im Schlosse wohnte, untergebracht. Zufällig verloren in demselben Jahre noch verschiedene andere Personen den Verstand, so daß ein förmliches kleines Irrenhaus bei Hofe entstand. Wie ich mich erinnere, waren die bemerkenswertesten Insassen ein Major aus der Semenoffskischen Garde namens Tschedajeff und ein Mönch des Klosters Woskressenski. Letzterer hatte sich mit einem Rasiermesser seiner Männlichkeit beraubt. Der Wahnsinn Tschedajeffs bestand darin, daß er Schah Nadir, sonst Thamas Kuli Khan, Usurpator und Tyrann von Persien genannt, für den lieben Gott hielt. Als es den Aerzten nicht gelang, ihn von seiner Marotte zu heilen, übergab man ihn den Pfaffen, die der Kaiserin versprachen, den Teufel aus ihm austreiben zu wollen. Sie war selbst bei dieser Zeremonie zugegen, allein Tschedajeff blieb genau so verrückt, wie er war. Indes gab es Leute, die an seiner Verrücktheit zweifelten, weil er, außer was Schah Nadir betraf, in jeder Beziehung vernünftig war. Ja, seine Freunde fragten ihn sogar oft um Rat, und stets gab er ihnen verständige Ratschläge. Die, welche ihn nicht für irrsinnig hielten, behaupteten, er wolle sich nur mit List aus verzweifelten Verhältnissen, in die er verwickelt war, retten. Zu Anfang der Regierung der Kaiserin Elisabeth war er nämlich bei der Steuerrevision angestellt gewesen und man hatte ihn der Erpressung angeklagt. Aus Furcht, nun verurteilt zu werden, nahm er zu der erwähnten Affektion seine Zuflucht, die ihn denn auch glücklich aus der Affäre zog.
Rückkehr aufs Land. — Unglücksfall in der Kirche des Klosters Woskressenski. — Zweite Verlobung der Prinzessin von Kurland. — Das Schloß brennt! — Die Röcke der Gräfin Schuwaloff. — Unerwartete Entdeckung im Zimmer des Großfürsten. — Das Bischofshaus. — Sergius vernachlässigt mich. — Eine tiefe Traurigkeit bemächtigt sich meiner. — Uebersiedelung nach Liberitza. — Der Großfürst öffnet Tschoglokoff die Augen. — Schlauheit Sergius Soltikoffs. — Er schläfert Tschoglokoff aufs neue ein. — Rückkehr nach Moskau.
Mitte August 1753 kehrten wir aufs Land zurück. Die Kaiserin begab sich an ihrem Namenstage, dem 5. September, in das Kloster Woskressenski, wo während ihres Aufenthaltes der Blitz in die Kirche einschlug. Glücklicherweise befand sich Ihre Majestät in einer Kapelle neben der Hauptkirche und erfuhr so das Geschehene nur durch den Schreck ihres Gefolges; niemand wurde übrigens verwundet oder getötet. Kurze Zeit darauf kam sie wieder nach Moskau, und auch wir kehrten von Liberitza dorthin zurück. Bei unserer Rückkehr in die Stadt sahen wir die Prinzessin von Kurland der Kaiserin für die Erlaubnis zu ihrer Vermählung mit dem Fürsten Georg Howanski öffentlich die Hand küssen. Mit ihrem ersten Verlobten, Peter Soltikoff, hatte sie gebrochen, der seinerseits gleich darauf eine Fürstin Suzoff heiratete.
Am 1. November desselben Jahres nachmittags drei Uhr befand ich mich bei Madame Tschoglokoff. Eben hatten ihr Gemahl, Sergius Soltikoff, Leon Narischkin und verschiedene andere Hofkavaliere das Zimmer verlassen, um den Kammerherrn Schuwaloff zu seinem Geburtstage, der auf diesen Tag fiel, zu beglückwünschen. Madame Tschoglokoff, die Fürstin Gagarin und ich unterhielten uns sehr lebhaft, als wir plötzlich in einer nahegelegenen Kapelle Lärm hörten. Ein paar jener Herren kamen mit der Meldung zurück, daß sie die Säle des Schlosses nicht hätten passieren können, weil Feuer darin ausgebrochen sei. Sogleich stürzte ich in größter Hast in mein Zimmer, als ich aber ein Vorzimmer durchschritt, sah ich, daß schon die Balustrade in der Ecke des großen Saales, der zwanzig Schritt von dem Flügel, den wir bewohnten, entfernt lag, brannte. Als ich endlich meine Zimmer erreichte, fand ich sie voller Soldaten und Domestiken, welche die Möbel und alles was sie konnten, fortschleppten. Madame Tschoglokoff war mir gefolgt, aber da der Ausbruch des Feuers in allen Teilen des Hauses das einzige war, was wir zu erwarten hatten, verließen wir das Schloß und bestiegen den vor der Tür wartenden Wagen des Kapellmeisters Araga, welcher zu einem Konzert des Großfürsten gekommen war. Von hier aus betrachteten wir die Feuersbrunst und die Bemühungen, die Möbel aus allen Teilen des Schlosses fortzuschaffen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich eine erstaunliche Menge Ratten und Mäuse, die in langen Reihen, ohne sich sehr zu beeilen, die Treppen hinunterliefen. Wegen Mangel an Maschinen, und weil die wenigen, die man besaß, sich gerade unter dem brennenden Saale befanden, war es unmöglich, den großen Holzbau selbst zu retten. Derselbe nahm ungefähr die Mitte der ihn umgebenden Gebäude ein, mit einem Umfang von ungefähr zwei bis drei Werst. Ich verließ ihn Punkt drei Uhr, aber schon um sechs Uhr war jede Spur davon verschwunden. Die Hitze wurde schließlich so groß, daß weder Madame Tschoglokoff noch ich sie länger ertragen konnten, und wir ließen daher den Wagen einige hundert Schritt ins Freie fahren. Endlich kam Tschoglokoff mit dem Großfürsten, um uns zu melden, daß die Kaiserin sich in das Haus Pokrowski begebe und befohlen habe, wir sollten die Wohnung Tschoglokoffs beziehen, die an der rechten Ecke der großen Slobodastraße lag. Dieses Haus enthielt einen Saal in der Mitte und vier Zimmer auf beiden Zeiten, und es ist wohl unmöglich, unbequemer zu wohnen, als wir in diesem Hause wohnten. Der Wind fegte nach allen Himmelsrichtungen hindurch, Fenster und Türen waren halb verfault, in den Fußböden befanden sich Oeffnungen von drei bis vier Zoll Breite. Dazu strotzte es von Ungeziefer, und die Kinder sowie die Diener Tschoglokoffs wohnten darin; allerdings wurden sie, sowie wir ankamen, fortgeschickt. Kurz, man quartierte uns in diesem entsetzlichen Hause ein, dem es an Möbeln fast ganz fehlte.
Am nächsten Morgen erfuhr ich, was sich alles in einer Kalmückennase befinden kann. Die kleine Kalmückin, welche ich bei mir hatte, sagte nämlich, als sie erwachte und indem sie auf ihre Nase zeigte:»Ich habe hier eine Haselnuß!«Ich befühlte die Nase, ohne indes etwas zu finden. Aber den ganzen Morgen wiederholte das Kind unaufhörlich, sie habe in ihrer Nase eine Haselnuß. Das Kind war etwa drei bis vier Jahre alt. Niemand wußte, was sie eigentlich mit der Haselnuß in der Nase wollte, aber plötzlich stieß sie sich beim Spielen gegen den Tisch, fing an zu weinen, zog ihr Taschentuch und schnäuzte sich. Bei dieser Gelegenheit sah ich die Haselnuß aus ihrer Nase fallen, und nun begriff ich, daß eine Haselnuß, die man in jeder europäischen Nase bemerken würde, sich in der Höhlung einer Kalmückennase verbergen könne.
Unsere Garderobe und alles, was wir für den täglichen Gebrauch nötig hatten, lag im Kot vor dem niedergebrannten Palast auf den vom Regen durchweichten Straßen. Erst in der Nacht und am folgenden Tag erhielten wir unsere Sachen zurück, was mir die größte Unruhe verursachte, waren meine Bücher. Ich beendete damals gerade den vierten Band des Bayleschen Lexikons, eine Lektüre, zu der ich zwei Jahre gebraucht hatte, indem ich alle sechs Monate einen Band durcharbeitete. Man kann sich also ungefähr vorstellen, in welcher Einsamkeit sich mein Leben abspielte. Schließlich aber brachte man mir alle meine Bücher, auch meine und der Gräfin Schuwaloff ihre Garderobe u.s.w. fand sich. Der Kuriosität halber zeigte mir Madame Wladislawa die Kleider dieser Dame, deren Röcke hinten ganz mit Leder gefüttert waren, weil sie an einem Blasenleiden litt. Diese Krankheit war noch von ihrem ersten Wochenbett zurückgeblieben, und ihre Röcke rochen dermaßen, daß ich sie so bald als möglich ihrer Besitzerin schickte. Die Kaiserin selbst verlor durch den Brand ihre ganze nach Moskau mitgebrachte ungeheure Garderobe. Sie erwies mir die Ehre, mir mitzuzuteilen, daß sie viertausend Kleider verloren, aber von allen nur den Verlust des Kleides bedauere, zu welchem ich ihr den Stoff geschenkt. Außerdem büßte sie noch viele andere Kostbarkeiten ein, unter denen sich eine mit geschliffenen Steinen verzierte Schale befand, welche der Graf Rumianzoff einst für achttausend Dukaten in Konstantinopel gekauft hatte. Alle diese Sachen waren in einer Garderobe über dem Saale aufbewahrt, in welchem das Feuer ausbrach, und der als Vorsaal zum Hauptsaale des Schlosses diente. Morgens um zehn Uhr waren die Ofenheizer gekommen, um den Vorsaal zu heizen, und hatten, nachdem sie Holz in den Ofen gelegt, das Feuer wie gewöhnlich angezündet. Hierauf füllte sich der ganze Raum mit Rauch, doch glaubten sie, derselbe dringe durch einige nicht wahrnehmbare Ritzen des Ofens und bedeckten daher die Zwischenräume der Fayencekacheln mit Ton. Als nichtsdestoweniger der Rauch immer stärker wurde, untersuchten sie den Ofen im Innern und bemerkten, als sie nichts fanden, daß sich die Ritzen, aus welchen der Rauch hervordrang, zwischen den Scheidewänden des Zimmers befanden. Diese Scheidewände waren aus Holz. Sie holten schnell Wasser herbei und löschten das Feuer im Ofen, aber der Rauch wurde immer stärker und drang ins Zimmer, wo eine Schildwache der Garde stand. Da diese ihren Posten nicht zu verlassen wagte, aber zu ersticken drohte, drückte sie eine Fensterscheibe ein, erhob ein lautes Geschrei und feuerte, als niemand hören wollte, ihr Gewehr ab. Man hörte den Knall in der Hauptwache, eilte herbei und fand beim Eintreten überall dichten Qualm, aus dem man endlich den Posten befreite. Die Heizer wurden verhaftet; sie hatten geglaubt, ohne jemand davon zu benachrichtigen, das Feuer löschen zu können, oder wenigstens die Vermehrung des Rauches zu mindern, und waren in ihrem guten Glauben fünf Stunden lang damit beschäftigt gewesen.
Die Feuersbrunst führte Tschoglokoff zu einer unvermuteten Entdeckung. Der Großfürst hatte nämlich in seinem Zimmer verschiedene große Kommoden. Als man nun diese hinaustrug, zeigten einige offene oder schlecht verschlossene Fächer den Blicken der Zuschauer, was sie enthielten. Wer hätte es geglaubt? Die Schubladen enthielten nichts anderes als eine ungeheure Menge Wein- und Likörflaschen und dienten Seiner kaiserlichen Hoheit als Keller. Tschoglokoff erzählte es mir, allein ich sagte ihm, ich wisse von alledem nichts, und so war es auch; aber sehr häufig, ja fast täglich, bemerkte ich die Trunkenheit des Großfürsten.
Wir blieben nach dem Brande ungefähr sechs Wochen im Hause Tschoglokoffs. Da wir aber oft an einem nahe bei der Brücke Soltikoff gelegenen Hause vorbeikamen, welches der Kaiserin gehörte und das Bischofshaus hieß, weil sie es von einem Bischof gekauft hatte, kam uns der Gedanke, die Kaiserin ohne wissen Tschoglokoffs zu bitten, dies Haus bewohnen zu dürfen, das uns wohnlicher erschien, als das seinige. Bald darauf erhielten wir den Befehl, in dasselbe überzusiedeln. Es war ein sehr altes hölzernes Gebäude, aus dem man nach keiner Seite eine Aussicht hatte; doch da es über steinernen Kellern gebaut war, lag es höher als das, welches wir verlassen, das nur aus einem Erdgeschoß bestand. Aber die Oefen waren so alt und so voller Ritzen, daß man das Feuer hindurchscheinen sah, wenn sie geheizt wurden, und der Rauch die Zimmer erfüllte, wir litten daher alle an Kopf- und Augenschmerzen; ja, man lief in diesem Hause Gefahr, lebendig verbrannt zu werden, denn es war nur eine hölzerne Treppe darin und die Fenster lagen sehr hoch. In der Tat brach auch während unseres Aufenthaltes zwei- oder dreimal Feuer aus, allein man löschte es noch rechtzeitig. Ich bekam hier eine starke Halsentzündung, begleitet von einem heftigen Fieber. An demselben Tage, an welchem meine Krankheit begann, sollte Herrn von Breithardt, der vom Wiener Hofe wieder nach Rußland geschickt worden war, ein Abschiedssouper gegeben werden. Als er kam und meine geröteten, angeschwollenen Augen sah, glaubte er, ich habe geweint — und er täuschte sich nicht. Langeweile, physisches und moralisches Unbehagen über meine Situation hatten mich in tiefe Melancholie versetzt. Den ganzen Tag hatte ich bei Madame Tschoglokoff auf die gewartet, die nicht kamen, während sie jeden Augenblick zu mir sagte:»Es ist schrecklich, wie man uns allein läßt. «Ihr Gatte hatte anderswo diniert, und die ganze Gesellschaft war ihm gefolgt. Und trotz aller Versprechungen, sich von der Tafel fortstehlen zu wollen, kam Sergius Soltikoff erst mit Tschoglokoff zurück. Alles dies verstimmte mich.
Einige Tage später erhielten wir endlich die Erlaubnis, nach Liberitza überzusiedeln. Hier fühlten wir uns wie im Paradiese. Das Haus war ganz neu und sehr bequem eingerichtet, jeden Abend wurde getanzt, und unser ganzer Hof war hier versammelt. Auf einem dieser Bälle bemerkten wir, wie der Großfürst sich einmal besonders lange mit Tschoglokoff flüsternd unterhielt. Darauf erschien der letztere traurig, träumerisch, verschlossener und mürrischer als je. Als Sergius Soltikoff dies sah und bemerkte, daß Tschoglokoff ihm mit besonderer Kälte begegnete, setzte er sich zu Fräulein Martha Schasiroff und suchte von ihr zu erfahren, was es mit der so ungewohnten Vertraulichkeit des Großfürsten für eine Bewandtnis haben könne. Sie antwortete ihm, daß sie zwar die Ursache nicht kenne, aber der Großfürst habe öfter gegen sie geäußert:»Sergius Soltikoff und meine Frau täuschen Tschoglokoff auf eine unerhörte Weise. Tschoglokoff ist in die Großfürstin verliebt, aber sie kann ihn nicht ausstehen. Sergius Soltikoff ist sein Vertrauter und macht ihn glauben, daß er sich bei meiner Frau für ihn bemühe, statt dessen aber bemüht er sich bei ihr nur für sich selbst. Und sie, sie kann den amüsanten Sergius Soltikoff sehr wohl leiden. Sie bedient sich seiner, um Tschoglokoff zu beherrschen wie sie will, und im Grunde macht sie sich über alle beide lustig. Ich muß diesem armen Teufel von Tschoglokoff, der mir leid tut, die Augen öffnen, muß ihm die Wahrheit sagen, und er wird dann sehen, wer sein Freund ist, meine Frau oder ich. «Nachdem Sergius diese gefährliche Aeußerung und die unangenehme Situation, die daraus hervorging, in Erfahrung gebracht, erzählte er mir alles wieder und setzte sich dann zu Tschoglokoff, den er fragte, was ihm fehle. Dieser wollte sich anfangs nicht aussprechen, seufzte einmal um das andere, beklagte sich dann, wie schwer es sei, treue Freunde zu finden, bis ihn endlich Sergius einem derartigen Kreuzverhör unterzog, daß er den ganzen Inhalt seiner Unterredung mit dem Großfürsten gestand. Der Großfürst hatte damit begonnen, Tschoglokoff die größten Versicherungen seiner Freundschaft zu geben, und bemerkt, nur in bedrängten Lebenslagen könne man die wahren von den falschen Freunden unterscheiden. Um ihm die Aufrichtigkeit der seinigen zu beweisen, wolle er mit ihm über eine wichtige Angelegenheit ganz offen sprechen. Er wisse, daß er in mich verliebt sei und rechne es ihm nicht als Verbrechen an, denn ich könne ihm ja liebenswürdig erscheinen, man sei nicht immer Herr seines Herzens. Aber er müsse ihn unbedingt darauf aufmerksam machen, daß er seine Vertrauten schlecht wähle, denn er nehme ohne weiteres an, Sergius Soltikoff sei sein Freund und bemühe sich bei mir für ihn, während er in Wahrheit nur sein eigenes Interesse im Auge habe und ihn als seinen Nebenbuhler mit Mißtrauen betrachte. Ich indes mache mich über beide lustig. Wenn aber Tschoglokoff seinem Rate folgen und sich ihm, dem Großfürsten, anvertrauen wolle, so werde er sehen, daß er sein einziger und wahrhafter Freund sei. — Tschoglokoff hatte dem Großfürsten aufs lebhafteste für sein Vertrauen und seine Freundschaftsbeteuerungen gedankt, im Grunde aber alles als Grille und persönliche Phantasie behandelt.
Man kann sich leicht vorstellen, daß Tschoglokoff keinesfalls großes Vertrauen in einen Freund setzen konnte, der durch seine hohe Stellung sowohl als durch seinen Charakter ebenso unsicher als nutzlos war. Nachdem er sich ausgesprochen, kostete es Sergius Soltikoff daher keine große Mühe, Ruhe und Heiterkeit in Tschoglokoffs Seele wieder zurückzuführen, zumal letzterer gewöhnt war, den Reden eines Menschen, der keines Urteils fähig und als einsichtsloser Tropf bekannt war, wenig Bedeutung und Aufmerksamkeit beizumessen. Ich meinerseits gestehe, daß ich über die Mitteilungen des Großfürsten empört war. Und um ihn von diesem Gegenstand abzubringen, ließ ich ihn merken, daß ich von dem zwischen ihm und Tschoglokoff Vorgegangenen unterrichtet sei. Er errötete, antwortete nicht, entfernte sich, grollte mir, und dabei blieb es.
Nach Moskau zurückgekehrt, quartierte man uns aus dem Hause des Bischofs in die Gemächer des sogenannten Sommerhauses der Kaiserin ein, welches vom Brande verschont geblieben war. Elisabeth selbst hatte sich binnen sechs Wochen eine neue Wohnung einrichten lassen, wozu man das Gebälk aus dem Hause in Perowa sowie aus dem des Grafen Hendrikoff und der Fürsten von Georgien herbeigeschafft hatte.
Neujahr 1754. — Ein kaiserliches Witzwort. — Verlobung der Fürstin Gagarin mit Dimitri Matjuschkin. — Madame Tschoglokoffs Leidenschaft für den Fürsten Peter Repnin. — Tschoglokoff erkrankt schwer. — Er schüttet mir sein Herz aus. — Wortwechsel der beiden Ehegatten. — Die Kaiserin kontrolliert mich. — Sie schöpft Verdacht. — Tod Tschoglokoffs. — Aberglaube seiner Frau. — Verabschiedung Madame Tschoglokoffs. — Man will mir die Gräfin Rumtanzoff wieder geben. — Mein Kummer darüber. — Langweilige Fahrt nach Petersburg. — Schreckliche Befürchtungen.
In diesem neuen Hause feierte die Kaiserin den 1. Januar des Jahres 1754. Der Großfürst und ich hatten die Ehre, mit ihr öffentlich unter dem Thronhimmel zu dinieren. Bei Tafel schien Ihre Majestät sehr heiter und gesprächig. Neben dem Throne waren Tische für mehrere hundert Gäste aus den vornehmsten Kreisen der Gesellschaft gedeckt, während des Diners fragte die Kaiserin, wer jene magere, häßliche Person mit dem Kranichhals sei, die sie dort sitzen sehe — sie deutete auf den Platz. Und als man ihr sagte, es sei Fräulein Martha Schasiroff, brach sie in lautes Lachen aus, wendete sich dann zu mir und sagte, dies erinnere sie an ein russisches Sprichwort, welches laute: Ein langer Hals ist nur gut zum Aufhängen. Ich konnte mich nicht enthalten, über die Bosheit des kaiserlichen Witzes zu lächeln, und die Worte Ihrer Majestät fielen nicht auf unfruchtbaren Boden. Von Mund zu Mund wiederholten sie die Hofleute, so daß ich, als wir von der Tafel aufstanden, schon viele davon unterrichtet fand. Ob der Großfürst es gehört hatte, weiß ich nicht, er erwähnte es mit keiner Silbe, und ich hütete mich natürlich, mit ihm darüber zu sprechen.
Kein Jahr war so reich an Feuersbrünsten, als das Jahr 1753–1754. Mehr als einmal sah ich von meinen Fenstern im Sommerpalast aus zwei, drei, vier, ja fünf Brände zugleich an verschiedenen Punkten Moskaus auflodern.
Während des Karnevals arrangierte die Kaiserin mehrere Bälle und Maskenfeste in ihren Gemächern. Auf einem derselben bemerkte ich, daß sie eine lange Unterredung mit der Generalin Matjuschkin hatte, die nicht wollte, daß ihr Sohn sich mit der Fürstin Gagarin, meiner Ehrendame, vermählte. Allein die Kaiserin überredete die Mutter, und die Fürstin Gagarin, die achtunddreißig gutgezählte Jahre hinter sich hatte, erhielt die Erlaubnis, Dimitri Matjuschkin zu heiraten. Sie sowohl als ich selbst waren sehr froh darüber; es war eine Liebesheirat und Matjuschkin war damals sehr schön.
Madame Tschoglokoff zog nicht mit uns in die Sommerwohnung, sondern blieb unter verschiedenen Vorwänden mit ihren Kindern in ihrem nahe dem Schlosse gelegenen Hause. In Wahrheit hatte sie, so einsichtsvoll und voller Liebe zu ihrem Gemahle sie sonst gewesen war, eine große Leidenschaft für den Fürsten Peter Repnin und eine sichtliche Abneigung gegen ihren Gatten gefaßt. Sie glaubte indes ohne eine Vertraute nicht glücklich zu sein, und ich schien ihr wohl dazu am zuverlässigsten. Sie zeigte mir alle Briefe, die sie von ihrem Geliebten empfing, während ich ihr Geheimnis mit skrupulöser Treue und Gewissenhaftigkeit bewahrte. Trotzdem sie den Fürsten nur ganz im geheimen sah, stieg dem Gemahl der Dame Verdacht auf. Daran war ein Offizier der Garde zu Pferd, namens Kaminin, schuld, der die Verkörperung der Eifersucht und des Verdachtes selbst war; es lag so in seinem Charakter. Tschoglokoff kannte ihn schon lange. Er wandte sich an Sergius Soltikoff, der ihn zu beruhigen suchte, denn ich hütete mich, Sergius etwas davon mitzuteilen, aus Furcht, er könne eine unfreiwillige Indiskretion begehen. Endlich klopfte Tschoglokoff auch bei mir an, aber ich spielte die Einfältige, die Ueberraschte und — schwieg.
Im Februar machten sich wieder Anzeichen von Schwangerschaft bei mir bemerkbar.
Gerade am Ostertage, während der Messe, erkrankte Tschoglokoff an einer trockenen Kolik. Man gab ihm sogleich kräftige Arzneien, allein sein Leiden verschlimmerte sich zusehends. In der Osterwoche machte der Großfürst mit unsern Kavalieren einen Spazierritt, an dem auch Sergius Soltikoff teilnahm. Ich blieb zu Hause, weil man mich in meinem Zustand nicht ausgehen lassen wollte, denn man befürchtete eine dritte Fehlgeburt. Ich befand mich daher ganz allein in meinem Zimmer, als Tschoglokoff mich zu sich bitten ließ. Ich ging und fand ihn im Bett. Er beklagte sich bitter über seine Frau, erzählte mir, sie empfinge den Fürsten Repnin bei sich, dieser komme zu Fuß zu ihr, ja, während des Karnevals habe er sie eines Tages bei Gelegenheit eines Hofballes sogar im Harlekinskostüm besucht. Kaminin habe ihn ausspähen lassen — und tausend andere Einzelheiten, die ich inzwischen vergessen habe. Gerade als er in der größten Aufregung war, trat seine Frau ein. In meinem Beisein überhäufte er sie nun mit Vorwürfen und sagte, sie verlasse ihn sogar während er todkrank darniederliege. Da beide argwöhnische, beschränkte Menschen waren, war ich fast außer mir vor Angst, seine Frau könne glauben, ich habe ihre Zusammenkünfte, die er in allen Einzelheiten schilderte, verraten. Sie erwiderte ihm indes, es sei durchaus nicht befremdend, wenn sie ihn für sein früheres Benehmen bestrafe, weder er, noch irgend jemand könne ihr vorwerfen, daß sie bis dahin ihre Pflichten als Ehefrau verletzt habe, ihm hingegen stehe es schlecht an, sich zu beklagen. Dabei wandten sich beide fortwährend an mich, als Richterin und Entscheiderin, da ich die einzige Person war, die sich außer ihnen im Zimmer befand. Aus Furcht, einen von ihnen oder gar beide zu beleidigen, oder mir eine Blöße zu geben, schwieg ich. Mein Gesicht brannte vor Aufregung. Da, mitten im heftigsten Streit, meldete mir Madame Wladislawa, daß die Kaiserin in meinen Gemächern sei. Sofort eilte ich hinaus. Madame Tschoglokoff folgte mir, blieb aber, wie ich nachher erfuhr, in einem Korridor stehen, aus welchem eine Treppe in den Garten führte, und setzte sich auf diese Treppe. Außer Atem kam ich in mein Zimmer, wo sich die Kaiserin wirklich noch befand. Als sie bemerkte, daß ich erhitzt und atemlos hereinstürzte, fragte sie, wo ich gewesen sei. Ich erwiderte, ich komme soeben von Tschoglokoff, dem es sehr schlecht gehe; da ich indes gehört, daß sie mir die Gnade erwiesen, mich zu besuchen, sei ich gelaufen, um so schnell als möglich zurückzukommen. Sie fragte mich nicht weiter aus, allein es schien mir, als wenn sie über meine Worte nachsinne und als habe sie etwas Auffallendes an ihnen gefunden. Dennoch fuhr sie fort, mit mir zu sprechen. Sie fragte mich, wo der Großfürst wäre, weil sie nämlich genau wußte, daß er ausgegangen war, denn weder er noch ich wagten es, während ihrer Regierung die Stadt oder nur das Haus ohne ihre Erlaubnis zu verlassen. Darauf wandte sie sich abwechselnd an mich und an Madame Wladislawa, sprach von gleichgültigen Dingen und entfernte sich nach einer kleinen halben Stunde. Noch im Hinausgehen sagte sie mir, daß sie mich wegen meines Zustandes davon enthebe, am 21. und 25. April öffentlich zu erscheinen. Es überraschte mich, daß Madame Tschoglokoff mir nicht gefolgt war, und ich fragte daher, als die Kaiserin fort war, Madame Wladislawa, was aus ihr geworden wäre. Diese teilte mir mit, daß sie sich auf die Treppe gesetzt und geweint habe. Nach der Rückkehr des Großfürsten erzählte ich Sergius Soltikoff, wie es mir während seines Spazierrittes ergangen sei, wie Tschoglokoff mich hätte rufen lassen, dann von meiner Aufregung während der Unterhaltung zwischen ihm und seiner Frau und von dem Besuche der Kaiserin. — »Wenn sich die Sache so verhält, «erwiderte er,»so glaube ich, daß die Kaiserin nur gekommen ist, um zu sehen, womit Sie sich während der Abwesenheit Ihres Gemahls beschäftigen. Damit sie aber sieht, daß Sie ganz allein in Ihren Gemächern und bei Tschoglokoff waren, werde ich mit allen meinen Kameraden, über und über beschmutzt, wie wir sind, zu Iwan Schuwaloff gehen. «Und in der Tat begab er sich, nachdem der Großfürst sich zurückgezogen hatte, mit allen, die an dem Spazierritt teilgenommen, zu Iwan Schuwaloff, der im kaiserlichen Palais wohnte. Als sie zu ihm kamen, erkundigte er sich nach den Details ihres Spazierritts, und Sergius Soltikoff sagte mir nachher, aus seinen Fragen sei hervorgegangen, daß er sich nicht getäuscht.
Seit diesem Tage nahm die Krankheit Tschoglokoffs eine mehr und mehr bedenkliche Wendung. Am 21. April, meinem Geburtstag, erklärten ihn die Aerzte für verloren. Man setzte sofort die Kaiserin davon in Kenntnis, und sie befahl, wie sie in ähnlichen Fällen zu tun pflegte, den Kranken in sein eigenes Haus zu schaffen, damit er nicht im Schlosse stürbe, weil sie sich vor Toten fürchtete. Als ich von dem Zustande, in welchem Tschoglokoff sich befand, hörte, bedauerte ich ihn sehr, denn gerade zu jener Zeit war es uns endlich nach vieler Mühe und Arbeit gelungen, ihn nicht nur weniger schlecht und böswillig zu machen, sondern auch mit ihm umzugehen und selbst etwas bei ihm auszurichten, weil man seinen Charakter schließlich kennen gelernt hatte, was seine Frau betraf, so liebte sie mich damals aufrichtig; aus einem strengen, bösen Argus war eine treue und ergebene Freundin geworden. Tschoglokoff lebte in seinem Hause noch bis zum 25. April, dem Krönungstag der Kaiserin, an welchem er nachmittags verschied. Da ich fast jeden Augenblick nach ihm fragen ließ, teilte man mir die Nachricht von seinem Tode sofort mit, worüber ich wahrhaft traurig war und lange weinte, während der letzten Lebenstage ihres Gatten war auch Madame Tschoglokoff ans Bett gefesselt gewesen, und so lag er in dem einen, sie in dem andern Flügel des Hauses krank darnieder. Sergius Soltikoff und Leon Narischkin befanden sich gerade in dem Zimmer Madame Tschoglokoffs, als ihr Gemahl starb. Da die Fenster offen standen, flog ein Vogel herein und setzte sich auf den Rand der Türfassung dem Bette gegenüber, worin Madame Tschoglokoff lag. Als sie den Vogel bemerkte, rief sie:»Ich glaube, mein Mann hat soeben seinen Geist aufgegeben; lassen Sie fragen, was daran Wahres ist!«Und in der Tat brachte man ihr die Botschaft, daß er soeben gestorben sei. Hierauf bemerkte sie, dieser Vogel sei die Seele ihres Gatten gewesen, und als man ihr beweisen wollte, daß es ein ganz gewöhnlicher Vogel sei, der sich nur verirrt hätte, war er nicht mehr da. Man versicherte ihr, er sei fortgeflogen, aber da niemand ihn fliegen gesehen hatte, blieb sie überzeugt, es sei die Seele ihres Gemahls gewesen, die sie aufgesucht habe.
Nach der Bestattung Tschoglokoffs wollte seine Frau mich besuchen. Als aber die Kaiserin sie über die Jausabrücke kommen sah, schickte sie ihr einen Boten entgegen, der ihr meldete, daß sie ihres Dienstes bei mir enthoben sei und in ihre Wohnung zurückkehren möge. Es mißfiel Ihrer Majestät, daß sie als Witwe so bald ausging. Denselben Tag ernannte sie Alexander Iwanowitsch Schuwaloff zu dem Posten des verstorbenen Tschoglokoff beim Großfürsten. Dieser Schuwaloff war, allerdings nicht an sich selbst, sondern durch die Stellung, welche er einnahm, der Schrecken des Hofes, der Stadt und des ganzen Reiches. Er war Präsident des Tribunals der Staatsinquisition, welche damals die geheime Polizei genannt wurde. Seine amtliche Tätigkeit hatte ihm, wie man sagte, eine Art konvulsivischer Zuckungen zugezogen, die, so oft er Freude, Zorn, Furcht oder Unruhe empfand, die ganze rechte Seite seines Gesichtes vom Auge bis zum Kinn verzerrten. Es war daher sehr zu verwundern, wie man diesen Mann mit einer so abschreckenden Fratze hatte wählen können, fortwährend in der Gesellschaft einer jungen Frau zu sein, die guter Hoffnung war. Hätte ich ein mit dieser unglücklichen Gewohnheit behaftetes Kind zur Welt gebracht, so würde die Kaiserin sicherlich sehr ärgerlich gewesen sein. Und doch hätte nichts leichter geschehen können als das, da ich ihn fortwährend sah, aber niemals gern, vielmehr meist mit einem Gefühl unwillkürlicher Abneigung wegen seiner Persönlichkeit, seiner Verwandten und seines Amtes, von welch letzterem man sehr bezweifelte, ob der gesellschaftliche Zustand dadurch gebessert werde. Allein dies sollte nur der Anfang der schönen Zeit sein, die man uns, besonders aber mir, bereitete.