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Am 10. oder 11. verließen wir endlich den Moskauer Palast. Ich fuhr in einem Wagen mit der Gemahlin des Grafen Alexander Schuwaloff, der langweiligsten Frau, die man sich denken kann, ferner mit Madame Wladislawa und der Hebamme, die man sich nicht ersparen zu können glaubte, weil ich guter Hoffnung war. Ich langweilte mich zum Sterben, und weinte beständig. Endlich paßte die Fürstin Gagarin einen günstigen Augenblick ab, wo sie sich mir nähern konnte, um mir zu sagen, daß sie sich bemühe, Madame Wladislawa günstig für mich zu stimmen, weil sie und alle andern fürchteten, die Hypochondrie, in welche mein Zustand mich versetzte, könnte mir und dem Kinde unter meinem Herzen schaden. Was Sergius Soltikoff angehe, so wage er sich mir weder von nah noch von fern zu nähern wegen der Aufsicht und fortwährenden Gegenwart des Schuwaloffschen Ehepaares. Sie persönlich liebte die Gräfin Schuwaloff nicht, weil deren mit Golowkin, einem Vetter der Fürstin Gagarin, vermählte Tochter sich gegen die Eltern ihres Gemahls sehr wenig zuvorkommend benahm. Es gelang ihr denn auch wirklich, bei Madame Wladislawa Gehör zu finden, die sich endlich hinsichtlich meines Zustandes und des drückenden Zwangs, aus dem eben jene Melancholie entsprang, deren ich nicht mehr Herr werden konnte, bewegen ließ. Es handelte sich übrigens um ein Geringes; nämlich um nichts weiter, als um eine kurze Unterhaltung mit Sergius Soltikoff. Endlich wurde mir dieselbe gewährt.
So kamen wir nach neunundzwanzig langweiligen Reisetagen in Petersburg im Sommerpalast an, wo der Großfürst sofort wieder seine Konzerte einführte. Dies gewährte mir indes bisweilen die Möglichkeit eines Zusammenseins mit Soltikoff. Allein meine Melancholie hatte einen so hohen Grad erreicht, daß ich bei der geringsten Veranlassung in Tränen ausbrach. Tausend Befürchtungen erfüllten meine Seele; kurz, ich konnte mich nicht von dem Gedanken befreien, daß alles auf die Entfernung Sergius Soltikoffs hinziele.
Geburt meines Sohnes Paul. — Man entfernt mein Kind sofort nach der Geburt von mir. — Rücksichtslose Behandlung einer Wöchnerin. — Von aller Welt verlassen! — Die blaue Atlasmantille der Kaiserin. — Kurioser Hund unter dem Kopfkissen Elisabeths. — Der Großfürst macht der Gräfin Woronzow den Hof. — Taufe meines Sohnes. — Das Wochengeschenk der Kaiserin. — Mein Gemahl ist neidisch darauf. — Tauffestlichkeiten. — Verdruß des Großfürsten. — Ich sehe meinen Sohn zum ersten Male. — Erste Huldigungen und erster Ausgang. — Fieberanfälle.
Wir begaben uns nach Peterhof. Ich ging dort viel spazieren, aber mein Kummer verließ mich nicht. Im Herbst kehrten wir in die Stadt zurück. Wie ein tödlicher Schlag traf es mich, als ich erfuhr, daß man für meine Niederkunft Zimmer einrichtete, welche an die Gemächer der Kaiserin stießen und ihr gehörten. Alexander Schuwaloff war beauftragt, mir dieselben zu zeigen. Ich fand zwei Zimmer wie alle andern im Sommerpalast, düster und nur mit einem Ausgang versehen, schlecht möbliert in rotem Damast und jeder Bequemlichkeit bar. Daß ich hier einsam, ohne alle Gesellschaft und sehr unglücklich sein werde, sah ich im voraus, und äußerte dies auch gegen Sergius Soltikoff, sowie gegen die Fürstin Gagarin, die sich gegenseitig zwar nicht eben geneigt waren, aber sich aus Freundschaft für mich vereinigten. Sie waren beide derselben Ansicht wie ich, konnten indes nichts daran ändern. Diese, von den Gemächern des Großfürsten sehr entfernten Zimmer sollte ich am Mittwoch beziehen. Am Dienstag abend jedoch ging ich in meinem Schlafzimmer zu Bett und wachte in der Nacht mit heftigen Schmerzen auf, so daß ich Madame Wladislawa weckte. Sie ließ sofort die Hebamme holen, welche erklärte, daß die Zeit meiner Niederkunft da sei. Darauf weckte man den Großfürsten, der in seinem Zimmer schlief, und den Grafen Alexander Schuwaloff.
Der letztere schickte sogleich nach der Kaiserin, die etwa um zwei Uhr morgens eintrat. Aber erst gegen Mittag des folgenden Tages, am 20. September, wurde ich von einem Sohne entbunden. Nachdem das Kind bekleidet war, ließ die Kaiserin ihren Beichtvater rufen, der ihm den Namen Paul gab. Hierauf befahl sie der Hebamme, das Kind zu nehmen und ihr zu folgen. Mich ließ man indes auf meinem Schmerzenslager liegen, das einer Tür gegenüber stand, durch welche das helle Tageslicht hereinfiel; hinter mir waren zwei mächtige Fenster, welche schlecht schlossen, und zur Rechten und Linken zwei Türen, von denen die eine in mein Ankleidezimmer, die andere in das von Madame Wladislawa bewohnte führte.
Nachdem die Kaiserin sich entfernt, gingen auch der Großfürst, sowie Herr und Frau Schuwaloff, und bis drei Uhr sah ich keinen Menschen wieder. Ich hatte stark geschwitzt und bat Madame Wladislawa, mir neue Wäsche anzuziehen und mich ins Bett zu schaffen, denn ich lag auf einer Art Entbindungstisch; allein sie erklärte, sie wage es nicht, schickte indes mehrere Male nach der Hebamme, doch diese kam nicht. Ich verlangte zu trinken, erhielt aber immer die nämliche Antwort. Nach drei Stunden endlich kam die Gräfin Schuwaloff in großer Toilette zurück. Als sie mich noch auf derselben Stelle liegen sah, war sie außer sich und rief, man wolle mich wohl auf diese Weise töten. Seit meiner Niederkunft in Tränen gebadet, verlassen, auf einem schlechten, unbequemen Lager, nach heftigen, schmerzhaften Geburtswehen, zwischen Türen und Fenstern, die schlecht schlossen, ohne daß jemand es wagte, mich in mein zwei Schritte entferntes Bett zu tragen, und ohne daß ich selbst die Kraft hatte, mich hinzuschleppen, waren die Worte der Gräfin ein süßer Trost für mich. Madame Schuwaloff entfernte sich sogleich, wahrscheinlich um die Hebamme zu holen, denn diese kam nach einer halben Stunde und sagte, die Kaiserin sei so um das Kind besorgt gewesen, daß sie sich keinen Augenblick habe entfernen dürfen. An mich dachte man nicht. Eine solche Vergeßlichkeit, oder besser Gleichgültigkeit, war allerdings nicht sehr schmeichelhaft für mich. Ich verschmachtete vor Durst. Endlich brachte man mich in mein Bett, dann sah ich den ganzen Tag keine lebende Seele mehr, ebensowenig erkundigte man sich nach meinem Befinden. Der Großfürst trank mit seinen Genossen, und die Kaiserin war mit dem Kinde beschäftigt.
In der Stadt sowie im ganzen Reiche herrschte die größte Freude über das glückliche Ereignis. Am nächsten Tage begann ich unerträgliche rheumatische Schmerzen zu empfinden, die an meinem linken Bein hinunterzogen. Ich wurde dadurch am Schlafen gehindert und bekam obendrein heftiges Fieber. Trotzdem aber bekümmerte man sich nicht mehr um mich, als vorher. Ich sah niemand, niemand fragte nach mir. Der Großfürst kam wohl einen Augenblick in mein Zimmer, ging aber gleich wieder fort mit der Ausrede, er habe keine Zeit, länger zu bleiben. Ich tat den ganzen Tag nichts als weinen und jammern. Nur Madame Wladislawa war bei mir und bedauerte mich, konnte mir aber nicht helfen. Dazu liebte ich weder bedauert zu werden, noch mich zu beklagen. Ich hatte einen zu stolzen Charakter; und schon der Gedanke, unglücklich zu sein, war mir unerträglich; denn bis dahin hatte ich getan, was ich konnte, um es nicht zu scheinen. Ich hätte Graf Alexander Schuwaloff und seine Gemahlin zu mir bitten können, wenn ich gewollt, allein beide waren so einfältig und langweilig, daß ich mich immer freute, wenn ich sie los war.
Am dritten Tage ließ die Kaiserin Madame Wladislawa fragen, ob eine Mantille aus blauem Atlas, welche Ihre Majestät am Tage meiner Niederkunft umgehabt hatte, weil es in meinem Zimmer sehr kalt war, nicht bei mir liegen geblieben wäre. Madame Wladislawa suchte diese Mantille überall und fand sie endlich in einem Winkel meines Toilettezimmers, wo man sie nicht bemerkt hatte, weil man seit meiner Niederkunft dies Zimmer nur selten betrat. Sie schickte das Kleidungsstück sofort zur Kaiserin. Wie wir später erfuhren, hatte dieser Umhang zu einem eigentümlichen Vorfall Veranlassung gegeben. Die Kaiserin, die keine bestimmte Zeit festsetzte, wann sie zu Bett ging, wann sie aufstand, dinierte, soupierte, oder Toilette machte, legte sich eines Nachmittags während der drei erwähnten Tage auf ein Sofa, auf welches sie eine Matratze und Kissen hatte breiten lassen. Nachdem sie eine Weile geruht, fing sie an zu frösteln und verlangte die blaue Mantille. Da diese in meinem Zimmer liegen geblieben war, suchte man sie überall, ohne sie zu finden, bis die Kaiserin schließlich befahl, unter ihrem Kopfkissen nachzusehen, weil sie annahm, sie läge darunter. Die Schwester Madame Kruses, jene Lieblingskammerfrau der Kaiserin, suchte darauf unter dem Kopfkissen Ihrer Majestät, zog indes schnell ihre Hand zurück, indem sie sagte, die Mantille sei nicht dort, aber ein Paket Haare oder etwas Aehnliches liege darunter. Die Kaiserin erhob sich sofort und befahl, die Matratze samt den Kissen wegzunehmen. Nicht ohne Erstaunen erblickte man nun ein Paket, in welchem sich verschiedene Wurzeln, die mit einer Unmenge von Haaren umwickelt waren, befanden. Sofort erklärten die Frauen der Kaiserin und auch diese selbst, es müsse unzweifelhaft Hexerei sein, und alle ergingen sich in Vermutungen, wer wohl die Verwegenheit gehabt haben könne, das Paket unter das Kopfkissen Ihrer Majestät zu legen. Bald hatte man eine der Frauen, die Ihre kaiserliche Majestät am meisten bevorzugte, in Verdacht. Dieselbe war bekannt unter dem Namen Anna Dimitrewna Dumaschewa. Vor nicht langer Zeit war sie Witwe geworden und hatte sich zum zweiten Male mit einem Kammerdiener der Kaiserin verheiratet. Den beiden Schuwaloffs stand diese Frau wegen ihres Einflusses und des Vertrauens, das ihr die Kaiserin entgegenbrachte, im Wege, so daß sie ihnen sehr wohl einen Streich spielen konnte, durch den der Einfluß der Schuwaloffs gelitten haben würde. Da es den Schuwaloffs nicht an Anhängern fehlte, fingen auch diese an, die Sache als ein Verbrechen aufzufassen, wozu, nebenbei gesagt, die Kaiserin selbst sehr geneigt war, weil sie an Zauberei und Hexerei glaubte. Demzufolge befahl sie dem Grafen Alexander Schuwaloff, die Frau, sowie ihren Mann und ihre beiden Söhne, von denen der eine ein Gardeoffizier, der andere Kammerpage der Kaiserin war, verhaften zu lassen. Zwei Tage nach seiner Verhaftung verlangte der Mann ein Rasiermesser, um sich zu rasieren, und schnitt sich den Hals ab. Was die Frau und die Söhne betraf, so waren sie lange Zeit im Gefängnis, und die erstere gestand ein, daß sie, um die Gunst der Kaiserin zu bewahren, Zaubermittel angewandt und am Gründonnerstag ein paar Körner gebrannten Salzes in ein Glas Ungarwein geschüttet habe, das sie dann der Kaiserin präsentierte. Die Sache endigte damit, daß Mutter und Söhne aus Moskau verbannt wurden. Später verbreitete sich ein Gerücht, demzufolge eine Ohnmacht, welche die Kaiserin kurz vor meiner Entbindung gehabt, durch das ihr von jener Frau gereichte Getränk hervorgerufen worden sei. In Wirklichkeit aber hatte sie ihr am Gründonnerstag nicht mehr als zwei bis drei Körner Salz ins Glas geschüttet, die ihr sicherlich nicht schaden konnten. Das einzig Tadelnswerte dabei war die Verwegenheit der Frau und ihr Aberglaube.
Endlich schlug mir der Großfürst vor, da er sich abends ohne meine Ehrendamen, denen er den Hof in der auffälligsten Weise machte, langweilte, die Abende in meinem Zimmer zu verbringen. Er bemühte sich gerade damals um die Häßlichste von allen, die Gräfin Elisabeth Woronzow.
Am sechsten Tage fand die Taufe meines Sohnes statt. Es hätte wenig gefehlt, daß er an Mundfäule gestorben wäre. Ich selbst konnte nur heimlich Nachricht über ihn erhalten, denn nach seinem Befinden zu fragen, würde für Zweifel an der Sorgfalt der Kaiserin gehalten und sehr schlecht aufgenommen worden sein. Zudem hatte sie ihn in ihr eigenes Zimmer bringen lassen, und sowie er zu schreien anfing, eilte sie selbst zu ihm. Aus übergroßer Sorgfalt brachte man ihn dem Ersticken nahe. Er lag in einem sehr heißen Zimmer, ganz in Flanell eingewickelt, in einer mit schwarzem Fuchspelz gefütterten Wiege und war mit einer Atlassteppdecke zugedeckt, über welcher eine rosa Samtdecke lag, die ebenfalls mit schwarzem Fuchspelz gefüttert war. Ich selbst sah ihn später wiederholt in seiner Wiege, in Schweiß gebadet. Als er größer wurde, zog ihm daher der geringste Luftzug sofort eine Erkältung und Krankheit zu. Außerdem war er von einer großen Zahl alter Frauen umgeben, die, aus mißverstandener Fürsorge und Mangel an gesundem Menschenverstand, ihm viel mehr physische und moralische Leiden zufügten, als daß sie ihm von Nutzen waren.
Am Tauftage kam die Kaiserin nach der Feierlichkeit in mein Zimmer und überreichte mir eigenhändig auf einem goldenen Teller einen Befehl an ihr Kabinett, mir 100 000 Rubel auszuzahlen. Daneben lag ein Schmuckkästchen, welches ich nicht früher öffnete, als bis sie sich entfernt hatte. Das Geld kam mir sehr gelegen, denn ich besaß momentan keinen Pfennig und war mit Schulden überlastet. Was den Schmuckkasten betraf, so machte sein Inhalt nicht den geringsten Eindruck auf mich. Er enthielt ein klägliches kleines Halsband samt goldenen Ohrgehängen und zwei erbärmlichen Ringen, die ich mich geschämt haben würde, meinen Kammerfrauen zu schenken. In dem ganzen Schmuck war nicht ein Stein, der mehr als hundert Rubel wert gewesen wäre, ebenso wenig zeichnete er sich durch Arbeit oder Geschmack aus. Ich schwieg indes und ließ das kaiserliche Schmuckkästchen verschließen. Offenbar fühlte man die wahrhafte Schäbigkeit des Geschenkes selber, denn bald danach kam Graf Alexander Schuwaloff zu mir mit dem Befehle, sich zu erkundigen, wie mir der Schmuck gefalle. Ich erwiderte, alles, was ich aus den Händen Ihrer kaiserlichen Majestät empfange, betrachte ich gewohnheitsgemäß als unschätzbar für mich. Er entfernte sich lächelnd mit diesem Kompliment. Später kam er auf diesen Gegenstand wieder einmal zu sprechen, da er sah, daß ich mein schönes Halsband und besonders die schäbigen Ohrringe niemals trug, und forderte mich auf, es doch manchmal anzulegen. Darauf antwortete ich ihm, ich sei gewöhnt, an den Festen der Kaiserin nur das Schönste zu tragen, was ich besitze, und dies Kollier nebst den Ohrgehängen könnte ich unmöglich dazu rechnen.
Vier oder fünf Tage nachdem mir das von der Kaiserin geschenkte Geld ausgezahlt worden war, ließ mich ihr Kabinettssekretär, der Baron Tscherkassoff, bitten, diese Summe um des Himmels willen dem Kabinette der Kaiserin wieder zu leihen, da sie Geld fordere, aber kein Pfennig da sei. Ich schickte ihm also das Geld zurück, und er gab es mir im Januar wieder. Die Ursache dazu war folgende. Als der Großfürst von dem Geschenke hörte, welches die Kaiserin mir gemacht, geriet er vor Wut fast außer sich, weil sie ihm nichts gegeben hatte, und äußerte sich darüber mit großer Rücksichtslosigkeit gegen den Grafen Alexander Schuwaloff. Dieser sagte es der Kaiserin wieder, worauf sie ihrem Neffen sofort eine der meinigen gleiche Summe schickte.
Nach der Taufe meines Sohnes fanden Festlichkeiten, Bälle, Illuminationen, Feuerwerke bei Hofe statt, während ich noch immer krank und von Langeweile gequält an mein Bett gefesselt war. Endlich wählte man den siebzehnten Tag nach meiner Entbindung, um mir zwei sehr unangenehme Nachrichten auf einmal mitzuteilen: erstens, daß Sergius Soltikoff beauftragt worden sei, die Kunde von der Geburt meines Sohnes nach Schweden zu bringen; zweitens, daß die Hochzeit der Fürstin Gagarin auf nächste Woche festgesetzt war — das heißt auf gut Deutsch, daß ich für immer von den beiden Menschen getrennt werden sollte, die ich von meiner ganzen Umgebung am meisten liebte. Mehr als je vergrub ich mich in meine Kissen und grämte mich. Um mein Bett nicht verlassen zu müssen, schützte ich eine Verschlimmerung der Schmerzen im Bein vor, wodurch ich gehindert werde, mich zu erheben. Allein in Wahrheit wollte und konnte ich niemand sehen, weil ich unsäglich traurig war.
Inzwischen hatte auch der Großfürst einen großen Verdruß gehabt. Graf Alexander Schuwaloff teilte ihm nämlich mit, daß ihm ein früherer Jäger des Großfürsten, namens Bastian — derselbe, dem die Kaiserin vor mehreren Jahren befahl, mein früheres Kammermädchen, Fräulein Schenk, zu heiraten — gemeldet habe, er hätte von irgend jemand gehört, Bresson wolle dem Großfürsten ich weiß nicht was zu trinken geben. Nun aber war dieser Bastian ein Bruder Liederlich und Trunkenbold, der zuweilen mit Seiner kaiserlichen Hoheit zechte. Da er sich mit Bresson, den er beim Großfürsten für bevorzugter hielt als sich selbst, entzweit hatte, gedachte er demselben einen Streich zu spielen. Der Großfürst indes war beiden sehr gewogen. Schließlich wurde Bastian auf die Festung geschickt, und auch Bresson erwartete dieselbe Strafe, kam jedoch mit der Angst davon. Später wurde der Jäger des Landes verwiesen und samt seiner Frau nach Holstein geschickt, während Bresson seine Stelle behielt, weil er jedermann als Spion diente.
Nach einigem Aufschub, der daher rührte, daß die Kaiserin weder oft noch gern unterschrieb, reiste Sergius Soltikoff ab, und die Fürstin Gagarin vermählte sich zur festgesetzten Zeit.
Nachdem die vierzig Tage meines Wochenbetts vorüber waren, kam die Kaiserin zu meiner Einsegnung zum zweiten Male nach meiner Niederkunft in mein Zimmer. Um sie zu empfangen, hatte ich das Bett verlassen, aber sie fand mich so matt und abgemagert, daß sie mich, während ihr Beichtvater die Gebete las, sitzen ließ. Auch meinen Sohn hatte man in mein Zimmer gebracht. Es war das erstemal seit seiner Geburt, daß ich ihn sah. Ich fand ihn sehr schön, und sein Anblick heiterte mich ein wenig auf. Allein unmittelbar nach Beendigung der Gebete ließ ihn die Kaiserin wieder forttragen und entfernte sich ebenfalls. Ihre Majestät bestimmte den 1. November als den Tag, an welchem ich nach den sechs Wochen die üblichen Glückwünsche empfangen sollte. Zu diesem Zwecke möblierte man das Zimmer neben dem meinigen kostbar aus; ich ruhte auf einem Lager von silbergesticktem rosa Samt und jedermann küßte mir die Hand. Auch die Kaiserin fand sich ein und begab sich darauf in den Winterpalast, wohin wir Befehl hatten, ihr in zwei bis drei Tagen zu folgen. Man räumte uns hier die Gemächer ein, welche meine Mutter bewohnt hatte, und die eigentlich einen Teil des Hauses Naguschiski sowie des Hauses Ragusinski ausmachten. Die andere Hälfte des letzteren wurde von dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten eingenommen. Der Winterpalast, an der Seite des großen Platzes, war damals gerade im Bau begriffen.
Ich zog aus dem Sommerpalast in die Winterwohnung mit dem festen Entschluß, mein Zimmer nicht früher zu verlassen, als bis ich mich kräftig genug fühlte, meine Hypochondrie zu überwinden. Ich las damals die Geschichte Deutschlands, sowie die allgemeine Geschichte von Voltaire, und im Winter darauf las ich so viele russische Bücher, als ich mir nur verschaffen konnte; unter andern zwei sehr starke Bände einer russischen Uebersetzung von Baronius. Darauf verfiel ich auf Montesquieus» Geist der Gesetze«, dann auf die Annalen des Tacitus, die eine eigenartige Revolution in meinem Kopfe hervorriefen, wozu vielleicht meine mißvergnügte Stimmung in dieser Zeit nicht wenig beitrug. Ich fing an, die Dinge schwärzer zu sehen und tiefere, den verschiedenen Interessen entsprechendere Ursachen in dem zu suchen, was vor meinen Augen vorging. Und dennoch nahm ich meine Kräfte zusammen, um zu Weihnachten auszugehen. Ich war sogar beim Gottesdienst zugegen, aber schon in der Kirche überfiel mich ein so heftiger Schüttelfrost, mein ganzer Körper schmerzte so, daß ich mich sofort, als ich wieder in meinem Zimmer angelangt war, ins Bett legen mußte. Letzteres war allerdings weiter nichts als eine Chaiselongue, die ich vor eine Tapetentür gestellt hatte, durch welche, wie es mir schien, feine Zugluft wehte, weil außer einem doppelten Türvorhang noch ein großer Wandschirm davor stand. Trotzdem aber glaube ich, daß diese Tür die Ursache aller Leiden gewesen ist, die mich in jenem Winter aufs Krankenlager warfen. Am Tage nach Weihnachten war meine Fieberhitze so groß, daß ich zu phantasieren anfing. Wenn ich die Augen schloß, sah ich nichts als verschwommene Bilder von den Platten des Ofens, der am Fußende meiner Chaiselongue stand, da das Zimmer eng und klein war. Mein Schlafzimmer benutzte ich nie, weil es sehr kalt war, denn die Fenster auf beiden Seiten waren nach Norden und Osten der Newa zu gelegen. Ein anderer Grund, der mich von der Benutzung meines Schlafgemaches fernhielt, war die Nähe der Zimmer des Großfürsten, wo am Tage und während des größten Teiles der Nacht fortwährend ein Lärmen wie in einer Wachtstube stattfand. Außerdem drang ein unangenehmer Tabaksgeruch und Qualm herein, da der Großfürst und seine Umgebung viel rauchten. So hielt ich mich denn den ganzen Winter hindurch in dem ärmlichen, kleinen, schmalen Zimmer auf, das drei Türen, zwei Fenster und einen Fensterpfeiler besaß und kaum sieben bis acht Arschinen (russische Ellen) lang und vier breit war.
Rückkehr Soltikoffs. — Ich erwarte ihn vergebens bei mir. — Meine Vorwürfe und seine Ausreden. — Ich lasse verschiedene Personen meine Verachtung fühlen. — Kammerherr Brockdorf und der Makler Braun. — Wortwechsel zwischen mir und dem Großfürsten. — Umzug nach Oranienbaum. — Der Großfürst läßt ein ganzes Truppendetachement aus Holstein kommen. — Man findet das Ganze sehr lächerlich. — Prophezeiung. — Sir Williams. — Graf Poniatowski. — Namensfest meines Sohnes. — Sergius Soltikoff verliert in meinen Augen. — Die holsteinschen Truppen reisen ab. — Briefe Leon Narischkins an mich. — Der wirkliche Verfasser dieser Briefe ist Poniatowski. — Angenehmer Aufenthalt im Winterpalast. — Des Großfürsten liebstes Spielzeug. — Bälle und Konzerte beim Großfürsten. — Tollheiten Narischkins. — Heimliche nächtliche Besuche bei den Narischkins und bei mir.
Das Jahr 1755 begann. Von Weihnachten bis zur Fastenzeit gab es nichts als Feste am Hofe und in der Stadt. Anlaß dazu war noch immer die Geburt meines Sohnes. Jedermann beeilte sich, die schönsten Gastmähler, Bälle, Maskeraden, Illuminationen und Feuerwerke um die Wette zu veranstalten. Aber unter dem Vorwand von Krankheit war ich selbst bei keinem dieser Feste dabei.
Als der Karneval sich seinem Ende näherte, kam Sergius Soltikoff endlich wieder aus Schweden zurück. Während seiner Abwesenheit schickte mir der Großkanzler Graf Bestuscheff alle Nachrichten, die er von ihm empfing, sowie die Depeschen des Grafen Panin, der damals russischer Gesandter in Schweden war, durch Madame Wladislawa. Diese bekam sie durch ihren Schwiegersohn, den ersten Schreiber des Großkanzlers, zugestellt, und ich meinerseits sandte auf demselben Wege Briefe an Sergius. Auf diese Weise hörte ich auch, daß, sobald Sergius Soltikoff zurückgekommen sein würde, man entschlossen war, ihn als russischen Bevollmächtigten nach Hamburg zu senden, an Stelle des Fürsten Galitzin, den man zur Armee versetzte. Diese Nachricht trug natürlich nicht dazu bei, meinen Kummer zu vermindern.
Als Sergius Soltikoff zurückgekehrt war, ließ er mich durch Leon Narischkin bitten, ihm mitzuteilen, ob ich es möglich machen könnte, ihn zu empfangen. Ich sprach mit Madame Wladislawa darüber, die denn auch in eine Zusammenkunft willigte. Er sollte erst zu ihr, dann durch ihr Zimmer zu mir kommen. Ich wartete die ganze Nacht bis drei Uhr morgens, aber er kam nicht. Während ich in Todesangst schwebte und mir den Kopf zerbrach, was ihn vom Kommen abgehalten haben könnte, erfuhr ich am folgenden Tage, daß er vom Grafen Roman Woronzow in eine Freimaurerloge geschleppt worden war, und er selbst behauptete, er habe sich nicht zurückziehen können, ohne Verdacht zu erregen. Aber ich fragte und forschte Leon Narischkin so lange aus, bis es mir schließlich klar wie der Tag ward, daß er bloß aus Mangel an Zuneigung und Aufmerksamkeit für mich nicht gekommen war, ohne die geringste Rücksicht auf das, was ich seit langer Zeit allein aus Liebe zu ihm litt.
Sogar Leon Narischkin, sein Freund, entschuldigte ihn nicht, und ich will es nur gestehen, ich selbst fühlte mich aufs äußerste beleidigt. So schrieb ich ihm denn einen Brief, worin ich mich bitter über sein Benehmen beklagte. Er antwortete mir und kam. Es war für ihn ein leichtes, mich zu besänftigen, weil ich nur allzu sehr geneigt war, mich von ihm beruhigen zu lassen. Er redete mir zu, in der Oeffentlichkeit zu erscheinen; ich folgte seinem Rate und war am 10. Februar zum Geburtstage des Großfürsten und Palmsonntag am Hofe zugegen. Ich ließ mir eigens für diesen Tag ein hellblaues, goldbesticktes Samtkleid machen. Da ich während meiner Einsamkeit eine Menge Beobachtungen gemacht hatte, faßte ich den Entschluß, diejenigen, die mir so manchen Kummer verursacht, so viel an mir lag, es fühlen zu lassen, daß man mich nicht ungestraft beleidigt und man meine Zuneigung oder Billigung nicht durch schlechtes Betragen gewinne. Daher versäumte ich auch keine Gelegenheit, den beiden Schuwaloffs merken zu lassen, wie sehr sie mich zu ihren Gunsten eingenommen hatten, und bezeigte ihnen meine tiefste Verachtung. Ich deckte gegen andere ihre Schlechtigkeit und Dummheit auf, machte sie lächerlich, wo ich nur konnte, wußte ihnen immer einige Sarkasmen zu sagen, welche sich blitzschnell in der ganzen Stadt verbreiteten und ihre schadenfrohen Feinde auf ihre Kosten amüsierten. Mit einem Wort, ich rächte mich an ihnen auf jede nur mögliche Weise. Waren sie anwesend, so verfehlte ich niemals, diejenigen auszuzeichnen, die sie nicht leiden mochten, und da eine große Anzahl Leute sie haßten, hatte ich keinen Mangel an Personen, die für meine Zwecke geeignet waren. Besonders bezeigte ich den beiden Grafen Razumowski, die ich sehr gern hatte, mehr Gunst denn je, verdoppelte meine Aufmerksamkeit und Höflichkeit gegen jedermann, mit Ausnahme der Schuwaloffs. Kurz, ich hielt mich aufrecht, ging erhobenen Hauptes, mehr als Anführer einer großen Partei, als ein gedemütigtes und unterdrücktes Wesen einher. Einen Augenblick wußten die Herren Schuwaloff nicht, wie sie sich dazu stellen sollten. Sie hielten Rat und nahmen ihre Zuflucht zu höfischen Listen und Ränken. Zu jener Zeit erschien in Rußland ein Herr Brockdorf, ein holsteinscher Edelmann, der früher durch die damalige Umgebung des Großfürsten, Brummer und Berkholz, aus Rußland ausgewiesen worden, weil er als intriganter Mensch von schlechtem Charakter bekannt war. Dieser kam den Schuwaloffs sehr gelegen. Da er vom Großfürsten als Herzog von Holstein einen Kammerherrnschlüssel erhalten, hatte er Zutritt bei Seiner kaiserlichen Hoheit, die überhaupt für jeden Dummkopf, der aus Holstein kam, günstig gestimmt war. Brockdorf wurde bald mit Peter Schuwaloff bekannt, und zwar auf folgende Weise. In dem Gasthause, wo er logierte, machte er die Bekanntschaft eines Menschen, der die Gasthäuser Petersburgs nur verließ, um drei sehr hübsche deutsche Mädchen namens Reifenstein zu besuchen, von denen die eine vom Grafen Peter Schuwaloff unterhalten wurde. Der Erwähnte hieß Braun und war eine Art Makler für alle möglichen Dinge. Er brachte auch Brockdorf zu den Mädchen, wo dieser den Grafen Schuwaloff traf. Letzterer erklärte in den überschwenglichsten Ausdrücken seine Ergebenheit für den Großfürsten und beklagte sich selbstverständlich über mich. Brockdorf berichtete alles bei der ersten Gelegenheit dem Großfürsten wieder und bearbeitete ihn, er solle, wie er sich ausdrückte, seine Frau zur Vernunft bringen. Zu diesem Zwecke kam Seine kaiserliche Hoheit eines Tages nach dem Diner in mein Zimmer und sagte, ich fange wirklich an, ganz unerträglich stolz zu werden, aber er wolle mich schon zur Vernunft bringen. Als ich ihn fragte, worin denn dieser Stolz bestehe, antwortete er:»Sie halten sich außerordentlich gerade. «Darauf fragte ich aufs neue, ob man, um ihm zu gefallen, mit gekrümmtem Rücken, wie die Sklaven des Sultans, gehen müsse? Hierüber wurde er böse und sagte, er werde mich schon zur Vernunft zu bringen wissen. — »Wie?«fragte ich. Da stellte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, zog seinen Degen bis zur Hälfte und zeigte ihn mir. Ich fragte ihn, was dies bedeute, ob er sich mit mir schlagen wolle? Aber dann müsse auch ich einen Degen haben. Er stieß seinen Säbel wieder in die Scheide und sagte, meine Schlechtigkeit überschreite jegliche Grenze, und als ich ihn fragte, inwiefern? erwiderte er stotternd:»Nun, den Schuwaloffs gegenüber. «Hierauf antwortete ich, er schwatze alles nach, was er höre, und würde gut tun, lieber nicht von Dingen zu sprechen, die er nicht wisse oder verstehe. Er indes fuhr fort:»Das sind die Folgen, wenn man seinen wahren Freunden nicht traut; es geht einem schlecht dabei. Hätten Sie Vertrauen zu mir gehabt, Sie würden sich sehr wohl dabei befunden haben.«— Ich erwiderte:»Vertrauen, worin?«— Und nun begann er eine so unsinnige und gegen die gewöhnlichen Regeln des gesunden Menschenverstandes verstoßende Auseinandersetzung, daß ich, da ich sah, daß er einzig und allein faselte, ihn reden ließ, ohne zu antworten, und eine günstige Pause benutzte, um ihm den Rat zu geben, er solle zu Bett gehen. Denn ich sah deutlich, daß der Wein ihm sein ganzes bißchen Vernunft genommen und allen Verstand in ihm abgestumpft hatte. Er folgte denn auch meinem Rate und legte sich schlafen. Schon damals fing er an, fortwährend nach Wein und Tabak zu riechen, ein Geruch, der allen, die ihm nahe kamen, unerträglich war.
Denselben Abend beim Kartenspiel meldete mir Graf Alexander Schuwaloff seitens der Kaiserin, sie habe meinen Damen verboten, verschiedene Putzsachen zu tragen, die in einer öffentlichen Bekanntmachung einzeln aufgezählt waren. Um ihm nun zu zeigen, wie Seine kaiserliche Hoheit mich in bezug auf mein Benehmen gegen die Schuwaloffs gebessert hatte, lachte ich ihm direkt ins Gesicht und sagte, er hätte sich die Mühe sparen können, mir diesen Befehl zu übermitteln, denn ich trüge nie etwas, was Ihrer kaiserlichen Majestät mißfiele. Außerdem suche ich mein Verdienst weder in der Schönheit, noch in der Kleidung, denn wenn die eine dahin sei, werde die andere lächerlich; der Charakter allein sei dauernd. Er hörte mich bis zu Ende an, blinzelte dann, wie es seine Gewohnheit war, mit dem rechten Auge und ging, während ich seine Grimasse hinter ihm nachäffte, worüber die ganze Gesellschaft laut auflachte.
Einige Tage nachher teilte mir der Großfürst mit, er wolle die Kaiserin wegen seiner holsteinschen Angelegenheiten, welche sich mehr und mehr verschlimmerten, um Geld bitten; Brockdorf habe ihm diesen Rat gegeben. Daß dies nur ein Köder war, den man ihm hinhielt, damit er seine ganze Hoffnung, Geld zu erhalten, auf die Schuwaloffs setzen sollte, sah ich nur zu gut und fragte ihn deshalb, ob man nicht auf andere Weise Geldmittel auftreiben könnte. Er erwiderte, er wolle mich mit den Forderungen der Holsteiner bekannt machen, und tat es. Nachdem ich die Papiere, die er mir zeigte, durchgelesen, sagte ich zu ihm, mir scheine, er könne sich's ersparen, seine Tante um Geld anzukriegen, zumal sie wohl seine Bitte abschlagen werde, nachdem sie ihm erst vor kaum sechs Wochen 100 000 Rubel geschenkt habe. Er indes blieb bei seiner Meinung, und ich bei der meinigen. Das Ende davon war, daß man ihn lange Zeit mit der Hoffnung auf Geld hinhielt, und er schließlich doch nichts bekam.
Nach Ostern zogen wir nach Oranienbaum. Vor unserer Abreise erlaubte mir die Kaiserin, meinen Sohn zu sehen: zum dritten Male, seit er geboren war. Um in sein Zimmer zu gelangen, mußte man alle Gemächer Ihrer Majestät durchschreiten. Ich fand ihn in einer erstickenden Hitze, wie ich bereits erzählt habe.
Auf dem Lande angelangt, hatten wir eine merkwürdige Ueberraschung. Seine kaiserliche Hoheit, mit dem die Holsteiner unablässig von dem Defizit im Staatshaushalt sprachen, obwohl ihm jedermann riet, diese Leute zu meiden, die er noch dazu nur verstohlen und zeitweise sehen konnte, faßte plötzlich den kühnen Entschluß, ein ganzes holsteinsches Detachement Soldaten kommen zu lassen. Auch dies war ein Kunstgriff jenes verwünschten Brockdorf, welcher der vorherrschenden Leidenschaft des Großfürsten schmeichelte. Er hatte den Schuwaloffs zu verstehen gegeben, daß, wenn sie ihm mit diesem Spielzeug oder Steckenpferd freien Willen ließen, sie sich seiner Gunst auf immer versichern könnten, denn sie würden dadurch seiner Zustimmung zu allem, was sie etwa unternähmen, gewiß sicher sein. Wie es schien, verbarg man der Kaiserin, die Holstein und alles, was von dort kam, haßte, weil sie gesehen, wie ähnliche militärische Kinderspiele den Vater des Großfürsten, den Herzog Karl Friedrich, in den Augen Peters I. und ganz Rußlands in ein schlechtes Licht gesetzt hatten, die Sache anfangs, und sagte ihr, es habe so wenig auf sich, daß es nicht der Mühe wert wäre, davon zu reden. Außerdem war ja auch die Gegenwart des Grafen Schuwaloff allein von genügendem Einfluß, allen üblen Folgen vorzubeugen. In Kiel eingeschifft, landete also das Detachement bei Kronstadt und kam nach Oranienbaum. Der Großfürst, der zur Zeit Tschoglokoffs die holsteinsche Uniform nur in seinem Zimmer ganz verstohlen getragen hatte, legte jetzt keine andere mehr an, ausgenommen bei Hoffesten, obgleich er Oberstleutnant des Regiments Preobraschenski und außerdem Chef eines russischen Kürassierregiments war. Auf den Rat Brockdorfs hüllte er mir gegenüber diesen Truppentransport in das tiefste Geheimnis. Ich gestehe, daß ich, als ich zum ersten Male davon hörte, vor der verderblichen Wirkung zitterte, welche dieser Schritt bei dem russischen Volk und bei der Kaiserin selbst, deren Gefühle mir bekannt waren, hervorbringen mußte. Als das Detachement durch Oranienbaum marschierte, stand Alexander Schuwaloff neben mir auf dem Balkon und blinzelte mit den Augen, denn innerlich mißbilligte er, was er und seine Genossen übereingekommen waren, öffentlich zu dulden. Die Bewachung des Schlosses Oranienbaum war abwechselnd dem Regiment Ingermanland und dem Regiment Astrachan anvertraut, und ich erfuhr, daß die Leute jener Regimenter, als sie die holsteinschen Truppen vorbeimarschieren sahen, gerufen hatten:»Diese verfluchten Deutschen sind alle an den König von Preußen verkauft; es sind lauter Verräter, die man nach Rußland bringt. «Im allgemeinen war das Publikum über die Tat des Großfürsten entrüstet. Die Ergebensten zuckten die Achseln, die Gemäßigten fanden die Sache lächerlich. Im Grunde genommen war es ein sehr unvorsichtiges Kinderspiel. Ich für meinen Teil schwieg, wenn man mich aber direkt darüber fragte, sagte ich ganz offen jedem meine Meinung, damit man sah, ich billige das Geschehene durchaus nicht. Und von welcher Seite ich es auch betrachten mochte, immer erschien es mir von dem schädlichsten Einfluß auf das Wohl des Großfürsten. Konnte man denn anderer Ansicht sein, wenn man alles genau überlegte? Sein bloßes Vergnügen konnte ihn doch niemals für den Nachteil entschädigen, der ihm dadurch bei der öffentlichen Meinung erwuchs. Aber der Großfürst, begeistert von seinen Soldaten, richtete sich mit ihnen in dem dazu aufgeschlagenen Lager ein und beschäftigte sich ausschließlich damit, sie einzuexerzieren. Nun mußten sie aber auch ernährt werden — daran hatte man nämlich gar nicht gedacht. Aber die Sache eilte. Es gab einige Debatten mit dem Hofmarschall, der auf die an ihn gestellten Forderungen nicht vorbereitet war. Endlich indes ließ er sich bereden, und die Hoflakaien samt den Soldaten der Schloßwache vom Regiment Ingermanland mußten für die Neuangekommenen Nahrungsmittel aus dem Schlosse herbeischaffen. Dann befand sich das Lager nicht eben in nächster Nähe des Palastes. Außerdem bekam niemand etwas für seine Mühe — kurz, man kann sich den angenehmen Eindruck vorstellen, den eine so geschickte und kluge Anordnung hervorbringen mußte. Die Soldaten des Regiments Ingermanland murrten:»Sind wir denn die Diener dieser verfluchten Deutschen geworden?«Die Hoflakaien:»Man zwingt uns, einen Haufen Dorflümmel zu bedienen!«Als ich sah und hörte, was vorging, faßte ich den festen Entschluß, mich diesem nachteiligen Kinderspiele so fern als möglich zu halten. Da die Verheirateten unserer Kammerherren ihre Frauen bei sich hatten, bildeten wir eine ziemlich ansehnliche Gesellschaft, zumal die Herren selbst im holsteinschen Lager, das Seine Hoheit keinen Augenblick verließ, nichts zu tun hatten. Wir gingen so oft wie möglich spazieren, aber immer an der dem Lager entgegengesetzten Seite vorbei, wo wir mit demselben in keiner Weise in Berührung kamen.
Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen. Da ich jedoch wußte, daß der Großfürst keinen Zoll Erde dazu hergeben werde, bat ich den Fürsten Galitzin, mir 300 Toisen nutzlosen und seit langer Zeit brachliegenden Landes, welches er in der Nähe von Oranienbaum besaß, zu verkaufen oder abzutreten. Dieses Terrain gehörte acht Personen der Familie, aber sie traten es mir trotzdem bereitwilligst ab, ohne eine Bezahlung anzunehmen. Ich fing also an, Pläne zu machen und zu pflanzen, und da es das erstemal war, daß ich mich auf diesem Gebiete versuchte, so nahmen sie sehr große Dimensionen an. Mein alter Chirurg Gyon sagte, als er dies sah:»Wozu soll das? Denken Sie an mich, ich sage Ihnen im voraus, daß Sie dies alles eines Tages aufgeben werden. «Seine Prophezeiung erfüllte sich. Aber ich bedurfte damals einer Unterhaltung, die meine Phantasie anregte. Zur Anpflanzung meines Gartens bediente ich mich zuerst des Gärtners von Oranienbaum, namens Lamberti. Dieser war im Dienste der Kaiserin, als sie noch Prinzessin war, auf dem Gute Zarskoje Selo gewesen und von dort nach Oranienbaum versetzt worden. Er war ein wenig Prophet, und eine seiner Prophezeiungen, welche die Kaiserin betrafen, hatte sich erfüllt. Er hatte ihr nämlich vorhergesagt, daß sie den Thron besteigen werde. Auch mir prophezeite dieser Mann, so oft ich es hören wollte, daß ich einst souveräne Kaiserin von Rußland werde, daß ich Söhne, Enkel und Großenkel haben und in hohem Alter, über achtzig Jahre alt, sterben werde. Ja, er tat mehr: er nannte sogar das Jahr meiner Thronbesteigung, sechs Jahre bevor dies Ereignis eintrat. Es war ein wunderlicher Mensch, der mit einer Zuversicht sprach, die durch nichts erschüttert werden konnte. Unter anderm behauptete er, die Kaiserin zürne ihm, weil seine Prophezeiung eingetroffen sei, und habe ihn von Zarskoje Selo nach Oranienbaum geschickt, weil sie ihn fürchte.
Zu Pfingsten, glaube ich, ließ man uns von Oranienbaum nach der Stadt kommen. Ungefähr um dieselbe Zeit traf der englische Gesandte Sir Williams in Rußland ein. In seinem Gefolge befand sich auch der polnische Graf Poniatowski, der Sohn jenes Poniatowski, der die Partei Karls XII., des Königs von Schweden, vertreten hatte. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Stadt kehrten wir nach Oranienbaum zurück, wo auf Befehl der Kaiserin die Feier des Peterstages stattfinden sollte. Sie selbst erschien nicht dabei, weil sie keine Lust hatte, das erste Namensfest meines Sohnes Paul zu feiern, welches auf denselben Tag fällt. Sie blieb also in Peterhof, setzte sich an ein Fenster und verließ diesen Platz wahrscheinlich den ganzen Tag nicht, denn alle, die nach Oranienbaum kamen, wollten sie sitzen gesehen haben. Die Gesellschaft war sehr zahlreich. In dem Saale am Eingang meines Gartens wurde getanzt und später gegessen, wozu sich auch die fremden Gesandten und Minister einfanden. Dabei erinnere ich mich, daß der englische Gesandte Sir Williams beim Souper mein Nachbar war und wir uns auf eine ebenso angenehme als heitere Weise unterhielten. Da er viel Geist und Kenntnisse besaß und fast ganz Europa kannte, war es nicht schwer, mit ihm zu konversieren. Später hörte ich, daß er sich an diesem Abend ebensosehr amüsiert hatte, als ich, und mit großer Anerkennung von mir gesprochen habe. Das letztere war mir übrigens bei mir verwandten Seelen nichts Neues, und da ich damals noch wenige Neider hatte, sprach man im allgemeinen mit viel Achtung von mir. Ich galt für geistreich, und viele, die mich näher kannten, ehrten mich durch ihr Vertrauen, fragten mich um Rat und befanden sich nicht übel dabei. Selbst der Großfürst nannte mich seit langer Zeit» Madame Hilfsquelle«, und so böse und verdrießlich er auch gegen mich sein mochte, kam er doch, sobald er in irgend einer Beziehung sich nicht zu helfen wußte, gewohnheitsgemäß eilig zu mir gelaufen, um sich meinen Rat zu holen, worauf er, nachdem er ihn empfangen, sich ebenso eilig wieder aus dem Staube machte. Auch erinnere ich mich, daß ich bei jenem Feste in Oranienbaum, während Graf Poniatowski tanzte, mit dem Chevalier Williams über Poniatowskis Vater sprach und wie schlecht sich derselbe gegen Peter I. benommen habe. Der englische Gesandte sagte mir viel vorteilhaftes vom Sohne und bestätigte mir, was ich wußte, nämlich daß sein Vater und die Familie seiner Mutter, die Czartoriskis, damals die russische Partei in Polen bildeten, und der Alte seinen Sohn nach Rußland geschickt habe, um ihn in den Gefühlen seiner Partei für Rußland zu befestigen. Im übrigen hofften seine Verwandten sehr auf den Erfolg des jungen Mannes in Rußland. Poniatowski mochte damals zwei- bis dreiundzwanzig Jahre alt sein. Ich erwiderte dem englischen Gesandten, was die Fremden beträfe, so betrachte ich Rußland überhaupt als einen Probierstein des Verdienstes, und wer in Rußland Erfolg habe, könne sicher sein, in ganz Europa Erfolg zu haben. Und diese Ansicht habe ich stets aufrecht erhalten, denn nirgends als in Rußland versteht man besser die Schwächen, Lächerlichkeiten und Fehler eines Ausländers zu entdecken. Man kann gewiß sein, daß ihm hier nichts entgeht, weil jeder Russe von Natur aus die Fremden nicht liebt.
Um dieselbe Zeit erfuhr ich, wie unüberlegt Sergius Soltikoff sich sowohl in Schweden als in Dresden benommen hatte. Außerdem hatte er allen Frauen, mit denen er in Beziehung kam, seine Liebesgeschichte erzählt. Anfangs wollte ich es zwar nicht glauben, allein später wurde es mir von so vielen Seiten wiederholt, daß ihn sogar seine Freunde nicht mehr entschuldigten.
Während dieses Jahres knüpfte ich die engsten Freundschaftsbande mit Anna Narischkin, woran ihr Stiefbruder Leon großen Anteil hatte. Er war immer als Dritter in unserm Bunde, und seine Narrheiten nahmen kein Ende. Manchmal sagte er zu uns:»Derjenigen von euch beiden, die sich am besten aufführt, schenke ich ein Kleinod, wofür ihr mir Dank wissen werdet. «Wir ließen ihn reden, und keine hatte das Verlangen, zu wissen, was dies Kleinod sei.
Im Herbst wurden die holsteinschen Truppen auf dem Seewege wieder zurücktransportiert und wir bezogen den Sommerpalast. Leon Narischkin erkrankte damals an einem hitzigen Fieber, während welcher Zeit er mir Briefe schrieb, denen ich auf den ersten Blick ansah, daß sie nicht von ihm waren. Aber ich antwortete ihm trotzdem. Er bat mich in seinen Briefen um eine Menge Näschereien und andere ähnliche Nichtigkeiten und bedankte sich dann überschwenglich dafür. Die Briefe waren übrigens sehr gut und mit viel Humor geschrieben. Er behauptete, er ließe sie von seinem Sekretär schreiben, schließlich aber erfuhr ich, daß dieser Sekretär kein anderer als Graf Poniatowski war, der nicht aus Leons Hause wich, überhaupt mit den Narischkins sehr vertraut verkehrte.
Zu Anfang des Winters zogen wir aus dem Sommerpalast in den Winterpalast, den die Kaiserin aus Holz an derselben Stelle, wo jetzt das Haus der Tschitscherins steht, hatte bauen lassen. Er nahm die ganze Fläche bis gegenüber dem Hause der Gräfin Matjuschkin ein, das damals Naumkoff gehörte. Meine Fenster lagen diesem Hause gerade gegenüber, welches zu dieser Zeit meine Ehrendamen bewohnten. Bei meinem Eintritt war ich sehr überrascht von der Höhe und Größe der Räume, die man uns darin anwies. Vier große Vorzimmer und zwei Gemächer mit einem Kabinett waren für mich und eben so viele für den Großfürsten bestimmt. Sie waren so gut verteilt, daß ich die Nähe des Großfürsten nicht im geringsten zu erleiden hatte. Damit hatte ich viel gewonnen! Graf Alexander Schuwaloff bemerkte meine Zufriedenheit und eilte sofort zur Kaiserin, ihr zu sagen, daß ich die Größe und Zahl der für mich bestimmten Räumlichkeiten sehr gelobt hätte, was er mir darauf mit einer Art Genugtuung, welche er durch das bekannte Blinzeln der Augen und ein Lächeln bezeigte, mitteilte.
In jener Zeit und noch lange nachher bestand das Hauptspielzeug des Großfürsten in einer ungeheuren Menge kleiner Puppen und Soldaten aus Blei, Holz, Teig oder Wachs, welche er auf sehr schmalen Tischen, die ein ganzes Zimmer einnahmen, aufstellte; kaum konnte man sich zwischen den Tischen bewegen. Diese hatte er der Länge nach mit Messingstücken miteinander verbunden, und an dem Messing waren Schnüre befestigt, so daß, wenn man diese anzog, seiner Meinung nach ein Geräusch entstand, das einem Kleingewehrfeuer glich. Die Hoffeste feierte er mit großer Regelmäßigkeit, indem er seine Truppen auf die eben erwähnte Weise Feuer geben ließ. Außerdem löste man täglich die Wache ab, d.h. man nahm von jedem Tische die Puppen, welche dazu bestimmt waren, auf die Wache zu ziehen. Bei dieser Parade war er selbst in Uniform, gestiefelt und gespornt, mit Ringkragen und Schärpe zugegen, und seine Diener, welche zu diesen herrlichen Exerzitien zugelassen wurden, mußten ebenso erscheinen.
Im Winter desselben Jahres glaubte ich aufs neue schwanger zu sein, und man ließ mir zur Ader. Ich hatte oder glaubte vielmehr eine Entzündung an beiden Wangen zu haben, aber nachdem ich einige Tage Schmerzen gehabt, kamen vier Backenzähne zum Vorschein.
Da unsere Gemächer sehr geräumig waren, veranstaltete der Großfürst jede Woche einmal einen Ball und ein Konzert, wozu nur die Ehrendamen und unsere Hofkavaliere mit ihren Frauen eingeladen wurden. Nach den Aussagen der Beteiligten waren diese Bälle niemals interessant. Die Narischkins indes, wozu ich auch die Damen Siniawin und Ismailoff, die Schwestern Narischkins, und die Frau des ältesten Bruders, deren ich bereits Erwähnung getan, rechne, waren geselliger als alle anderen. Leon Narischkin, toller wie je, wurde von jedermann für einen unbedachten Menschen gehalten, und war es auch wirklich. Er hatte die Gewohnheit, beständig aus den Zimmern des Großfürsten in das meinige zu rennen, aber nirgends lange zu bleiben. Um bei mir eingelassen zu werden, fing er gewöhnlich vor meiner Tür wie eine Katze zu miauen an, und wenn ich ihm dann antwortete, kam er herein. Eines Tages, es war am 17. Dezember zwischen sechs und sieben Uhr abends, meldete er sich auch auf diese Weise an meiner Tür, worauf ich ihn eintreten ließ. Zuerst übermittelte er mir die Grüße seiner Schwägerin, erzählte mir dann, sie wäre nicht ganz wohl, und fügte hinzu:»Sie sollten sie eigentlich einmal besuchen.«—»Ich würde es gern tun, «erwiderte ich,»aber Sie wissen doch, daß ich nicht ohne Erlaubnis ausgehen kann, und man es mir niemals erlauben wird.«—»Dann werde ich Sie hinführen, «antwortete er, worauf ich rief:»Haben Sie denn den Verstand verloren? Wie kann ich mit Ihnen gehen? Man wird Sie auf die Festung schicken, und ich werde Gott weiß welche Unannehmlichkeiten auszustehen haben!«—»Oh, «sagte er,»kein Mensch wird etwas davon erfahren; wir werden schon die nötigen Vorsichtsmaßregeln treffen.«—»Wieso?«—»Ich werde Sie in ein oder zwei Stunden von hier abholen, während der Großfürst zu Abend ißt«— schon lange nämlich blieb ich unter dem Vorwande, daß ich nicht soupieren wollte, auf meinem Zimmer —»er wird einen Teil der Nacht bei Tafel zubringen, wird ganz betrunken sein und sich dann schlafen legen«— er schlief seit meiner Niederkunft meist in seinem Zimmer.»Zur größeren Sicherheit legen Sie Männerkleider an, und dann wollen wir zusammen zu Anna Nikitischna Narischkin gehen. «Das Abenteuer fing an, mich zu reizen, umsomehr, da ich immer allein in meinem Zimmer mit meinen Büchern war, ohne alle Gesellschaft. Endlich, nachdem ich mich mit ihm über diesen an sich tollen Plan, der mir gleich anfangs sehr gewagt erschien, gestritten hatte, sah ich doch die Möglichkeit darin, mir für einige Augenblicke Vergnügen und Heiterkeit zu verschaffen. Er ging. Ich rief meinen kalmückischen Friseur und befahl ihm, mir einen meiner Herrenanzüge und alles dazu Nötige zu bringen, weil ich jemand ein Geschenk damit machen wollte. Dieser Bursche pflegte den Mund nicht aufzutun, und man hatte mehr Mühe, ihn zum Sprechen zu bringen, als andere zum Schweigen. Er führte also meinen Auftrag pünktlichst aus und brachte mir alles, was ich brauchte. Ich schützte Kopfschmerzen vor und ging sehr früh zu Bett. Sowie Madame Wladislawa mich zur Ruhe gebracht und sich zurückgezogen hatte, stand ich wieder auf und zog mir meinen Herrenanzug an; meine Haare arrangierte ich so gut ich konnte, denn ich war darin seit langer Zeit geübt und nicht ungeschickt. Zur bestimmten Stunde miaute Leon Narischkin, der durch die Gemächer des Großfürsten gekommen war, an meiner Tür und ich öffnete ihm. Wir gingen durch ein kleines Vorzimmer in die Halle, setzten uns in seinen Wagen, ohne daß uns jemand gesehen hätte, und lachten wie toll über unsern Streich. Leon bewohnte mit seinem Bruder und dessen Frau ein und dasselbe Haus. Bei unserer Ankunft fanden wir Anna Nikitischna, sowie den Grafen Poniatowski vor. Leon stellte mich als einen seiner besten Freunde vor, den er gut aufzunehmen bat, und der Abend verging in der ausgelassensten Lustigkeit. Nach anderthalbstündigem Besuch verließ ich sie und kam glücklich und wohlbehalten wieder nach Hause, ohne daß eine Menschenseele uns begegnet wäre. Am folgenden Tage, dem Geburtstage der Kaiserin, war morgens Cour und abends Ball bei Hofe. Wir konnten uns nicht ansehen, ohne laut über unsern tollen Streich vom Abend vorher zu lachen. Einige Tage später schlug Leon einen Gegenbesuch vor, der mir gelten sollte. Wieder brachte er auf gleiche Weise seine Gäste in mein Zimmer, ohne daß irgend jemand etwas davon merkte. So begann das Jahr 1756. Wir fanden ein eigentümliches Vergnügen an diesen nächtlichen Zusammenkünften. Jede Woche hatten wir mindestens eine oder zwei, ja sogar drei, bald bei dem einen, bald bei dem andern, und wenn einer von der Gesellschaft unpäßlich war, ging man natürlich zu ihm. Bisweilen verabredeten wir uns auch im Theater, ohne einander zu sprechen, durch gewisse vorher ausgemachte Zeichen — obwohl wir in verschiedenen Logen und einige sogar im Parterre saßen — wo wir zusammen kommen wollten; und niemals gab es ein Mißverständnis. Zweimal indes war ich genötigt, zu Fuß nach Haus zu gehen, aber das war ein Spaziergang für mich.
Krieg mit Friedrich II. — Die Marschallin Apraxin. — Man sucht den Großfürsten immer mehr von mir zu entfernen. — Er ist in Madame Teploff verliebt. — Zweifelhafte Ehrenhaftigkeit der» Ehrendamen «der Kaiserin. — Der Großfürst liebt nur im Winter. — Ankunft der Kadetten in Oranienbaum. — Melgunoff. — Ich nehme wieder Reitstunden. — Madame Schuwaloff und ihre Tochter. — Graf Poniatowski und Graf Horn. — Verräterische Zutunlichkeit des Bologneser Hündchens. — Fürst und Fürstin Galitzin. — Intrige der letzteren. — Aufregende Szene mit dem Großfürsten. — Abberufung Sir Williams'.
Man rüstete sich zum Kriege mit dem Könige von Preußen. Zufolge ihres Vertrages mit dem Hause Oesterreich mußte die Kaiserin 30 000 Mann Hilfstruppen stellen. Dies war wenigstens die Ansicht des Grafen Bestuscheff. Aber Oesterreich wollte, daß Rußland es mit allen seinen Streitkräften unterstützte. Der Wiener Gesandte Graf Esterhazy intrigierte dafür mit aller Macht, wo er nur konnte, und auf die verschiedenste Weise. Die Gegenpartei Bestuscheffs bildeten der Vizekanzler Woronzow und die Schuwaloffs. England verbündete sich damals mit Preußen, und Frankreich mit Oesterreich.
Schon in dieser Zeit fing die Kaiserin Elisabeth an, häufig an Unpäßlichkeiten zu leiden. Anfangs wußte man nicht genau, was es war, und schrieb die wiederholten Nervenanfälle ihrem Eintritt ins Alter zu. Die Schuwaloffs waren oft sehr beunruhigt und betrübt und versuchten sich beim Großfürsten einzuschmeicheln. Man raunte sich zu, die Unpäßlichkeiten Ihrer kaiserlichen Majestät seien bedeutender als man glaubte; die einen nannten es hysterische Leiden, die andern Ohnmachten, Krämpfe oder Nervenanfälle. Dies währte den ganzen Winter von 1755–1756.
Endlich, im Frühjahr erfuhren wir, daß der Marschall Apraxin das Kommando über die Armee, die in Preußen einrücken sollte, übernommen hatte. Die Marschallin kam mit ihrer jüngsten Tochter zu uns, um Abschied zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit sprach ich mit ihr über den Gesundheitszustand der Kaiserin, und wie unangenehm es mir wäre, daß ihr Mann gerade in einer Zeit abreise, wo man sich, wie ich glaubte, nicht besonders auf die Schuwaloffs verlassen könnte. Ich betrachtete sie als meine persönlichen Feinde, weil sie es mir nicht verzeihen würden, daß ich ihre Gegner, besonders die Grafen Razumowski, bevorzugte. Madame Apraxin berichtete Wort für Wort ihrem Gemahle wieder, der sich durch mein Wohlwollen für ihn sehr geschmeichelt fühlte. Auch Graf Bestuscheff war sehr zufrieden mit mir, denn auch er haßte die Schuwaloffs, umso mehr, da er mit den Razumowskis verwandt war; sein Sohn hatte eine Razumowski geheiratet. Apraxin konnte den dabei Interessierten als Vermittler von Nutzen sein wegen des Verhältnisses, das zwischen seiner Tochter und dem Grafen Peter Schuwaloff bestand. Leon übrigens behauptete, Vater und Mutter der jungen Dame wüßten um dieses Verhältnis. Außerdem war es mir vollkommen klar, daß die beiden Schuwaloffs Brockdorf mehr als je dazu benutzten, den Großfürsten möglichst von mir fern zu halten. Trotzdem aber besaß dieser damals noch ein gewisses Zutrauen zu mir, was er merkwürdigerweise nie vollkommen verloren hat; allerdings ohne daß er es selbst wußte oder sich darum kümmerte oder beunruhigte. Damals hatte er sich gerade mit der Gräfin Woronzow entzweit und war in Madame Teploff, eine Nichte der Razumowski, verliebt. Wenn er sie sehen wollte, zog er jedesmal erst mich zu Rate, wie er sein Zimmer ausschmücken sollte, um der Dame besser zu gefallen. Wenn er es dann mit Flinten, Grenadiermützen, Bandelieren u.s.w. ausgeschmückt hatte, so daß es aussah wie ein kleines Zeughaus, zeigte er es mir. Ich ließ ihn gewähren und entfernte mich. Außer dieser Dame brachte man ihm auch noch des Abends eine kleine deutsche Sängerin, Leonore mit Namen, die er unterhielt, zum Souper. An der Veruneinigung des Großfürsten mit der Gräfin Woronzow war besonders die Prinzessin von Kurland schuld, die zu dieser Zeit eine seltsame Rolle am Hofe spielte. Zuvörderst war sie eine alte Jungfer von etwa dreißig Jahren, klein, häßlich und bucklig, wie schon gesagt. Sie hatte es verstanden, sich die Protektion des Beichtvaters der Kaiserin und mehrerer alter Kammerfrauen Ihrer kaiserlichen Majestät zu erwerben, so daß man ihr alles hingehen ließ, was sie tat. Sie wohnte mit den Ehrendamen Ihrer Majestät zusammen, und diese standen unter der Fuchtel einer Frau Schmidt, der Gattin eines Hoftrompeters. Jene Frau Schmidt war eine geborene Finnländerin, erstaunlich dick und massig, übrigens eine herrschsüchtige Person, die den groben, bäurischen Ton ihres ehemaligen Standes beibehalten hatte. Sie spielte indes eine gewisse Rolle am Hofe und stand unter dem unmittelbaren Schutze der alten deutschen und schwedischen Kammerfrauen der Kaiserin. Ebenso begünstigte sie der Hofmarschall Sievers, der selbst ein Finne war, und die Tochter der Madame Kruse, der Schwester einer sehr ergebenen Person, wie schon oben erwähnt, geheiratet hatte. Frau Schmidt regierte das Hauswesen der Ehrendamen mit mehr Kraft als Verstand, erschien aber niemals bei Hofe. In der Oeffentlichkeit stand die Prinzessin von Kurland an der Spitze der Damen, während Frau Schmidt ihr nur insgeheim das Benehmen der Fräuleins am Hofe ans Herz legte. Sie wohnten in hintereinander gelegenen Zimmern, von denen das erste Frau Schmidt und das letzte die Prinzessin von Kurland inne hatte. Sie schliefen zu zwei, drei und vier in einem Zimmer; jede von ihnen hatte eine spanische Wand um ihr Bett, und alle Räume besaßen keinen andern Ausgang, als von einem in den anderen. Auf den ersten Blick hätte man die Wohnung der Ehrendamen für undurchdringlich halten können, denn es war nur möglich, durch das Zimmer der Frau Schmidt oder der Prinzessin von Kurland hineinzugelangen. Aber Frau Schmidt litt oft an Verdauungsbeschwerden von den vielen Straßburger Gänseleberpasteten und anderen Leckerbissen, die ihr die älteren dieser Damen fortwährend zusteckten, so daß nur noch der Ausgang durch das Zimmer der Prinzessin von Kurland blieb. Böse Zungen behaupteten, daß man hier, um in die andern Zimmer zu gelangen, auf diese oder jene Weise Eintritt bezahlen müßte. Was daran Wahres war, ist, daß die Prinzessin von Kurland jahrelang unter den Ehrendamen der Kaiserin Verlobungen stiftete und wieder auflöste, wie sie es gerade für gut befand. Die Geschichte von dem Eingangszoll habe ich aus dem Munde mehrerer Herren, unter andern auch von Leon Narischkin und dem Grafen Buturlin, vernommen, die alle dreist behaupteten, man sei nicht in der Lage, denselben mit Geld zu bezahlen.
Die Liebschaft des Großfürsten mit Madame Teploff dauerte so lange, bis wir aufs Land gingen. Hier wurde sie unterbrochen, weil Seine kaiserliche Hoheit im Sommer unerträglich war. Da sie ihn nun nicht mehr sehen konnte, versprach Madame Teploff ihm wenigstens zwei- bis dreimal wöchentlich zu schreiben. Um ihn also zu einer solchen Korrespondenz zu veranlassen, begann sie damit, ihm einen vier Seiten langen Brief zu schreiben. Kaum hatte er diesen erhalten, kam er mit einem ganz verstörten Gesicht zu mir. Den Brief Madame Teploffs in der Hand, sagte er, vollkommen außer sich und in zornigem Ton:»Denken Sie sich nur, da schreibt sie mir einen vier Seiten langen Brief und will, daß ich das lesen soll. Ja, noch mehr, ich soll ihr antworten, ich, der ich doch exerzieren muß — er hatte neuerdings seine Truppen aus Holstein kommen lassen — dinieren, schießen, dann die Probe der Oper und das Ballett sehen muß, welches die Kadetten darin tanzen sollen. Ich werde ihr sagen lassen, daß ich keine Zeit habe; und ist sie mir böse, so überwerfe ich mich mit ihr bis zum Winter.«—»Das ist jedenfalls der kürzeste Weg, «antwortete ich.
Hier die Erklärung für das Erscheinen der Kadetten in Oranienbaum. Im Frühjahr 1756 glaubten die Schuwaloffs, um den Großfürsten von seinen holsteinschen Truppen abzubringen, sehr politisch zuwege zu gehen, wenn sie die Kaiserin überredeten, Seiner kaiserlichen Hoheit den Befehl über das Landkadettenkorps zu geben, das damals das einzige Korps dieser Art war. Man hatte ihm den intimen Freund Iwan Iwanowitsch Schuwaloffs und seinen Vertrauten Alexander Petrowitsch Melgunoff untergeordnet. Letzterer war mit einer der deutschen Kammerfrauen verheiratet, die bei der Kaiserin in besonderer Gunst stand. So hatten denn die Herren Schuwaloff einen ihnen äußerst ergebenen Mann in der Umgebung des Großfürsten, mit dem er jeden Augenblick sprechen konnte. Unter dem Vorwande des Opernballetts in Oranienbaum brachte man also etwa hundert Kadetten dahin. Herr Melgunoff und die ergebensten seiner Offiziere folgten: alles Aufpasser à la Schuwaloffs. Unter den Lehrern, die mit den Kadetten nach Oranienbaum kamen, befand sich auch ihr Stallmeister Zimmermann, der damals für den besten Reiter in ganz Rußland galt. Da aus meiner vermuteten Schwangerschaft vom vorigen Herbst nichts geworden war, kam mir der Gedanke, bei Zimmermann Reitstunde zu nehmen. Ich sprach davon mit dem Großfürsten, der nichts dagegen hatte.
Schon längst waren die alten, von den Tschoglokoffs eingeführten Regeln vergessen, vernachlässigt oder ignoriert, denn Alexander Schuwaloff genoß seiner selbst wegen gar keine oder doch sehr geringe Achtung. Wir machten uns über ihn, seine Frau, seine Tochter, seinen Schwiegersohn fast in ihrer Gegenwart lustig. Aber sie reizten auch dazu, denn niemals wohl sah man unedlere und gemeinere Gesichter, als die ihrigen. Madame Schuwaloff hatte von mir den Spitznamen Salzsäule erhalten. Sie war mager, klein und gedrungen. Ihr Geiz trat selbst in ihrer Kleidung zutage, denn stets waren ihre Kleider zu eng und hatten eine Breite weniger, als sie haben mußten. Ihre Tochter, die Gräfin Golofkin, war ebenso angezogen. Ihr Kopfputz und ihre Manschetten waren gemein und sahen immer aus, als ob sie daran hätte Ersparnisse machen wollen, obgleich sie sehr reich waren. Aber sie hatten einmal Geschmack für alles Kleinliche und Eingeschränkte, das wahre Bild ihres Geistes.
Sobald ich meine regulären Reitstunden wieder angefangen hatte, gab ich mich diesem Sport von neuem mit ganzer Leidenschaft hin. Ich stand morgens um sechs Uhr auf, zog Männerkleider an und begab mich in meinen Garten, wo ich mir einen Platz hatte herrichten lassen, der mir als Reitbahn diente. Ich machte so rasende Fortschritte, daß Zimmermann oft aus der Mitte der Reitbahn mit Tränen in den Augen auf mich zukam, um mir mit einer Begeisterung, die er nicht beherrschen konnte, die Füße zu küssen.»Nie in meinem Leben, «rief er dann aus,»habe ich einen Schüler gehabt, der mir so viel Ehre gemacht, der in so kurzer Zeit so viel gelernt hätte!«Bei diesem Unterricht waren nur mein alter Wundarzt Gyon, eine Kammerfrau und einige Domestiken zugegen. Da ich meine Stunden regelmäßig jeden Morgen, nur Sonntags ausgenommen, nahm, belohnte Zimmermann meinen Fleiß mit ein paar silbernen Sporen, die er mir nach den Regeln der Reitbahn überreichte. Schon nach drei Wochen war ich alle Exerzitien durch, und im Herbst ließ Zimmermann ein Sprungpferd kommen, worauf er mir die Steigbügel geben wollte. Allein am Abend vorher erhielten wir den Befehl, nach der Stadt zurückzukehren, und die Partie wurde bis zum nächsten Frühling verschoben.
Während dieses Sommers machte Graf Poniatowski eine Rundreise in Polen, von der er mit einem Ministerkreditiv des Königs von Polen nach Rußland zurückkehrte. Vor seiner Abreise kam er nach Oranienbaum, um Abschied von uns zu nehmen. Graf Horn, den der König von Schweden unter dem Vorwande, die Nachricht vom Tode seiner Mutter — meiner Großmutter — nach Petersburg zu bringen, nach Rußland geschickt hatte, um ihn den Verfolgungen der französischen oder Hutpartei gegen die russische oder Mützenpartei zu entziehen, begleitete ihn. Diese Verfolgung wurde in Schweden während des Landtages von 1756 so heftig, daß fast alle Anführer der russischen Partei in diesem Jahre hingerichtet wurden. Graf Horn sagte mir selbst, daß, wenn er nicht nach Petersburg gekommen wäre, er unfehlbar das Schicksal der andern geteilt hätte.
Graf Poniatowski und Graf Horn blieben zwei Tage in Oranienbaum. Am ersten Tage behandelte sie der Großfürst sehr gut, aber schon am zweiten langweilten sie ihn, weil ihm die Hochzeit eines Jägers im Sinne lag, wo er trinken wollte. Als er sah, daß die beiden Herren noch blieben, ließ er sie einfach stehen, und ich mußte die Honneurs des Hauses machen. Nach dem Diner führte ich meine kleine Gesellschaft in die innern Gemächer des Großfürsten und die meinigen. Als wir in mein Boudoir traten, kam uns mein Bologneserhündchen entgegen und bellte den Grafen Horn wütend an, doch als es den Grafen Poniatowski bemerkte, glaubte ich, das Tier würde vor Freude toll werden. Da das Kabinett sehr klein war, sah es außer mir niemand, als Leon Narischkin und seine Schwägerin. Aber Graf Horn ließ sich nicht täuschen, und während ich durch die Gemächer nach dem Saal zurückging, faßte er den Grafen Poniatowski beim Rock und raunte ihm zu:»Mein Freund, das Schrecklichste was es gibt, ist ein Bologneserhündchen. Das erste, was ich stets getan habe, wenn ich Frauen liebte, war, ihnen einen solchen Hund zu schenken, und durch diese Tiere habe ich dann immer erkannt, ob jemand mehr in Gunst stand als ich. Diese Ansicht ist vollkommen zutreffend, denn wie Sie sehen, war der Hund wütend, als er mich sah, wollte mich beinahe auffressen, mich, den er nicht kennt, während er nicht wußte, was er vor Freuden tun sollte, als er Sie gewahrte; offenbar war es nicht das erstemal, daß er Sie an diesem Orte sah.«— Graf Poniatowski behandelte die ganze Sache als Torheit, konnte es ihm aber nicht ausreden. Graf Horn erwiderte nur:»Seien Sie unbesorgt, ich bin vollkommen diskret. «Am folgenden Tag reisten sie ab. Horn pflegte zu sagen, daß, wenn er sich verliebte, er es immer in drei Frauen zugleich täte. Und dies führte er praktisch vor unsern Augen in Petersburg durch, wo er drei jungen Mädchen auf einmal den Hof machte. Zwei Tage später reiste Graf Poniatowski nach seinem Vaterlande ab. Während seiner Abwesenheit ließ mir Sir Williams durch Leon Narischkin sagen, daß der Großkanzler Bestuscheff gegen die Ernennung des Grafen Poniatowski intrigierte und versucht hätte, ihn zu bewegen, dem Grafen Brühl, dem damaligen Minister und Günstling des Königs von Polen, diese Ernennung auszureden. Williams jedoch beeilte sich nicht sehr, diesen Auftrag auszuführen, obwohl er ihn nicht abgelehnt hatte. Dies hatte er aber nur deshalb nicht getan, weil er befürchtete, der Großkanzler würde dann jemand anders damit beauftragen, der sich vielleicht pünktlicher dieses Auftrages entledigte, wodurch er nur seinem Freunde, der sehnlichst wünschte, nach Rußland zurückzukehren, geschadet hätte. Williams vermutete, daß Bestuscheff, dem seit langer Zeit die sächsisch-polnischen Minister zur Disposition standen, einen seiner ergebensten Anhänger zu diesem Posten ernennen lassen wollte. Aber Graf Poniatowski erhielt ihn doch. Im Winter kam er als polnischer Gesandter zurück, und die sächsische Gesandtschaft blieb unter der unmittelbaren Leitung des Grafen Bestuscheff.
Einige Zeit bevor wir Oranienbaum verließen, kamen der Fürst und die Fürstin Galitzin in Begleitung Betzkis dort an. Sie reisten gesundheitshalber ins Ausland, besonders der letztere, der sich ein wenig von dem tiefen Kummer zerstreuen wollte, den ihm der Tod der Prinzessin von Hessen-Homburg verursacht hatte. Diese war eine geborene Fürstin Trubetzkoi, Mutter der Fürstin Galitzin und Tochter aus erster Ehe der Prinzessin von Hessen mit dem Hospodar der Walachei, Prina Kantemir. Da die Fürstin Galitzin und Betzki alte Bekannte waren, lag mir viel daran, sie in Oranienbaum aufs beste zu empfangen. Nachdem ich sie überall umhergeführt hatte, bestieg ich mit der Fürstin Galitzin ein Kabriolet, das ich selbst fuhr, und wir machten eine Spazierfahrt in die Umgebung von Oranienbaum. Unterwegs gab mir die Fürstin, eine sehr sonderbare und beschränkte Person, zu verstehen, daß sie glaube, ich grollte ihr. Aber ich versicherte ihr, ich habe durchaus nichts gegen sie, wisse auch nicht, woher mein Groll rühren solle, da ich nie einen Streit mit ihr gehabt. Hierauf erwiderte sie, sie befürchte, Graf Poniatowski habe ihr bei mir geschadet. Diese Worte überraschten mich aufs höchste, und ich sagte ihr, sie müsse geradezu träumen, denn Poniatowski sei nicht der Mann, ihr in meinen Augen zu schaden, da er längst abgereist und mir übrigens nur von Ansehen und als Ausländer bekannt sei. Ich könne mir wirklich nicht erklären, wie sie auf diesen Gedanken gekommen sei. Zu Hause angelangt rief ich Leon Narischkin und erzählte ihm das erwähnte Gespräch, das mir ebenso dumm als dreist und indiskret erschien. Er erzählte mir nun, daß die Fürstin während des ganzen Winters Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hätte, um Graf Poniatowski an sich zu fesseln. Dieser habe ihr auch aus Höflichkeit einige Aufmerksamkeiten erwiesen, sie sei ihm indes auf jede mögliche Weise entgegengekommen, was, wie ich mir wohl denken könne, wenig Erwiderung gefunden, weil sie alt, häßlich, albern und einfältig, ja toll sei. Als sie nun gesehen, daß er ihre Wünsche nicht berücksichtigte, habe sie wahrscheinlich daraus Verdacht geschöpft, daß Poniatowski sich meistenteils in seiner — Leon Narischkins — und seiner Stiefschwester Gesellschaft befand.
Während des kurzen Aufenthaltes der Fürstin Galitzin in Oranienbaum hatte ich wegen meiner Ehrendamen eine furchtbare Szene mit dem Großfürsten. Ich bemerkte nämlich, daß dieselben, die stets die Vertrauten oder Maitressen Seiner kaiserlichen Hoheit waren, bei verschiedenen Gelegenheiten es an Erfüllung ihrer Pflichten, ja sogar an der mir schuldigen Rücksicht und Achtung fehlen ließen. Ich begab mich daher eines Nachmittags in ihr Zimmer, warf ihnen ihr Betragen vor, erinnerte sie an ihre Pflicht und Schuldigkeit und drohte, mich bei der Kaiserin zu beklagen, wenn sie ihr Benehmen nicht änderten. Einige waren aufs äußerste bestürzt, andere gereizt, noch andere weinten; aber als ich hinaus war, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als sofort dem Großfürsten von dem Vorgefallenen Bericht zu erstatten. Seine kaiserliche Hoheit wurde wütend und eilte sogleich zu mir. Seine ersten Worte beim Eintreten waren: es sei unmöglich, länger mit mir zu leben, von Tag zu Tag werde ich hochmütiger und stolzer, verlange Rücksichten und Ehrerbietungen von den Hofdamen und verbittere ihnen das Leben. Sie seien Mädchen von Rang, aber ich behandle sie wie gewöhnliche Dienerinnen. Wenn ich mich aber bei der Kaiserin über sie beschwere, so werde er sich auch über mich beschweren, über meinen Stolz, meine Anmaßung, meine Schlechtigkeit, und Gott weiß worüber noch. Ruhig hörte ich ihn an und antwortete, er könne von mir denken, was er wolle, denn wenn die Sache seiner Frau Tante hinterbracht werde, würde sie gewiß sehr bald entscheiden, ob es nicht das Vernünftigste wäre, Mädchen, die sich schlecht aufführten und durch ihr Hin- und Herreden ihren Neffen und ihre Nichte veruneinigten, fortzujagen. Unzweifelhaft werde Ihre Majestät, um den Frieden zwischen ihm und mir wieder herzustellen und nicht durch Mißhelligkeiten belästigt zu werden, keinen andern Entschluß fassen; sie werde im Gegenteil unfehlbar zu diesem Mittel greifen. Als er mich so reden hörte, kühlte sich seine Wut ein wenig ab, denn argwöhnisch, wie er war, kam er auf den Gedanken, daß ich mehr von den Absichten der Kaiserin betreffs der Mädchen wisse, als ich merken lasse, und diese wirklich wegen des Vorgefallenen entlassen werden könnten. Er begann daher, mich auszufragen.»Sagen Sie, wissen Sie etwas Näheres darüber? Hat man schon davon gesprochen?«— Ich antwortete ihm, daß, wenn es erst soweit käme, daß die Angelegenheit vor die Kaiserin gebracht würde, ich nicht zweifelte, daß sie auf eine sehr bündige Weise darüber entscheiden werde. Hierauf ging er nachdenklich im Zimmer auf und ab, wurde allmählich ruhiger und ging endlich halb und halb besänftigt hinaus. Am selben Abend erzählte ich der vernünftigsten unter den Damen die ganze Szene, die ihr unkluges Verhalten gegen mich herbeigeführt hatte, Wort für Wort wieder. Seitdem hüteten sie sich, die Umstände auf die Spitze zu treiben, denn sie mußten gewärtig sein, ihnen zum Opfer zu fallen.
Im Laufe des Herbstes kehrten wir in die Stadt zurück. Kurz darauf wurde Sir Williams nach England abberufen. Er hatte seinen Zweck in Rußland verfehlt. An dem Tage nach seiner Audienz bei der Kaiserin hatte er einen Allianzvertrag zwischen Rußland und England in Vorschlag gebracht, und Graf Bestuscheff hatte Befehl und Vollmachten, denselben abzuschließen. In der Tat wurde der Vertrag vom Großkanzler unterzeichnet, und der Gesandte war außer sich vor Freude über seinen Erfolg. Tags darauf jedoch zeigte ihm Graf Bestuscheff durch eine Note den Beitritt Rußlands zu der in Versailles unterzeichneten Konvention zwischen Frankreich und Oesterreich an. Dies war ein Donnerschlag für den englischen Gesandten, der in dieser Angelegenheit von dem Großkanzler hintergangen und betrogen worden war; wenigstens schien es so. Allein Bestuscheff war damals nicht mehr Herr seiner Handlungen. Seine Gegner fingen an ihn zu verdrängen und intrigierten, oder vielmehr man intrigierte bei ihnen, um sie zur französisch-österreichischen Partei überzuführen, wozu sie nur allzusehr geneigt waren. Die Schuwaloffs, besonders aber Iwan Iwanowitsch, liebten Frankreich und alles was von dort kam, bis zur Narrheit. Sie wurden hierin durch den Vizekanzler Woronzow bestärkt, dem Ludwig XV. für diesen Dienst den Palast, den er eben in Petersburg hatte bauen lassen, mit alten Möbeln ausstattete, die der Marquise von Pompadour, seiner Maitresse, nicht mehr gefielen, und die sie dem König, ihrem Geliebten, mit Profit verkauft hatte. Aber der Vizekanzler hatte außer diesem Vorteil noch einen andern Grund für sein Handeln, nämlich den, das Ansehen seines Nebenbuhlers, des Grafen Bestuscheff, zu schmälern und sich seiner Stelle für Peter Schuwaloff zu versichern. Er dachte ferner daran, das Tabakmonopol in seine Gewalt zu bringen, um dann in Frankreich den Tabak verkaufen zu können.
Rückkehr Poniatowskis nach Rußland als polnischer Gesandter. — Brockdorf und seine Intrigen. — Aussprache mit dem Großfürsten und Brockdorf. — Man verspottet den letzteren. — Meine Ratschläge für den Großfürsten. — Wie Peter III. ein Lügner wurde. — Leon Narischkin soll sich verheiraten. — Die Liebe des Großfürsten zu Madame Teploff ist im Abnehmen. — Elisabeth Woronzow gewinnt von neuem seine Gunst. — Intrigen dagegen.