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Als ich bemerkte, daß trotz allem, was ich sagte und tat, um Brockdorfs Einfluß zu schwächen, dieser sich beim Großfürsten behauptete, ja größere Gunst genoß als zuvor, faßte ich den Entschluß, dem Grafen Schuwaloff mitzuteilen, wie ich über diesen Menschen dachte, und ihm zu erklären, daß ich ihn als einen der gefährlichsten Menschen betrachte, die man möglicherweise einem jungen Fürsten, dem Erben eines großen Reichs beigeben könne. Ich hielt es für meine Pflicht, die Sache ganz im Vertrauen mit ihm zu besprechen, damit er die Kaiserin davon benachrichtigen oder passende Maßregeln treffen könne. Darauf fragte Schuwaloff, ob er mich nennen dürfe, was ich ihm getrost gestattete. Sollte übrigens die Kaiserin mich selbst fragen, so würde ich kein Blatt vor den Mund nehmen und alles sagen, was ich wisse und gesehen habe. Graf Alexander Schuwaloff blinzelte mit den Augen und hörte mir sehr ernsthaft zu, wagte indes nicht, ohne den Rat seines Bruders Peter und seines Vetters Iwan Iwanowitsch zu handeln. Lange Zeit hörte ich nichts von ihm, bis er mir endlich eines Tages zu verstehen gab, es sei wohl möglich, daß die Kaiserin mit mir reden würde.
Inzwischen kam eines schönen Morgens der Großfürst in mein Zimmer gestürzt, während ihm sein Sekretär Zeitz mit einem Papier in der Hand folgte. — »Sehen Sie bloß diesen verteufelten Kerl!«rief der Großfürst,»bringt er mir heute, wo ich noch ganz betäubt von dem vielen Trinken von gestern bin, einen großen Bogen Papier, nichts als Register der Angelegenheiten, die ich zu Ende führen soll; er verfolgt mich sogar bis in Ihr Zimmer.«— Zeitz wandte sich zu mir und sagte:»Alles was ich hier habe, kann in einer Viertelstunde durch ja oder nein entschieden werden.«—»Nun, wir wollen sehen, «sagte ich,»vielleicht kommen wir eher damit zu Ende, als Sie glauben.«— Und nun schickte sich Zeitz an zu lesen, und je nach Gutdünken bemerkte ich» ja «oder» nein«. Dies gefiel dem Großfürsten sehr, und sein Sekretär sagte:»Wirklich, gnädigster Herr, wenn Sie erlauben wollten, daß wir es zweimal wöchentlich so machten, würden Ihre Geschäfte nicht stocken. Es sind freilich nur Kleinigkeiten, aber sie müssen doch auch zum Abschluß gebracht werden, und Sie sehen ja, die Großfürstin hat sie mit einem halben Dutzend Ja und ebenso vielen Nein entschieden.«— Von diesem Tage an gefiel es Seiner kaiserlichen Hoheit, Zeitz jedesmal zu mir zu schicken, wenn es Fragen mit ja oder nein zu beantworten gab. Nach einiger Zeit bat ich ihn, mir ein Schriftstück auszustellen über das, was ich ohne seinen speziellen Befehl erledigen und nicht erledigen dürfe, was er denn auch tat. Nur Pechlin, Zeitz und ich wußten von dieser Aenderung, mit der die beiden ersteren außerordentlich zufrieden waren. Wenn es sich darum handelte, zu unterzeichnen, unterzeichnete der Großfürst nur was ich vorher geregelt hatte. Die Affäre Elendsheim blieb in Brockdorfs Händen. Da indes Elendsheim im Gefängnis saß, beeilte sich Brockdorf nicht sehr, sie zu Ende zu bringen, weil sein Zweck so ziemlich damit erreicht war. Er hatte ihn von den Geschäften entfernt und den Holsteinern gezeigt, wie groß sein Einfluß über seinen Herrn war; weiter wollte er nichts.
Eines Tages benutzte ich die Gelegenheit, den Großfürsten zu fragen, ob er, da er die Verwaltung Holsteins schon langweilig finde und sie als eine Probe dessen ansehe, was er eines Tages zu verwalten haben werde, später wenn ihm das russische Reich zufalle, nicht diese Zeit als eine noch viel drückendere Last empfinde. Darauf wiederholte er, was er mir schon tausendmal geantwortet: er fühle, daß er nicht für Rußland geschaffen sei; er gefalle weder den Russen, noch gefielen die Russen ihm, und er sei überzeugt, daß er in Rußland zugrunde gehen werde. Ich meinerseits erwiderte ihm nun, was ich ihm ebenfalls schon oft gesagt, nämlich, daß er sich in diesen verhängnisvollen Gedanken nicht gehen lassen dürfe, vielmehr müsse er alles, was in seinen Kräften stehe, tun, um die Liebe eines jeden Russen zu gewinnen und die Kaiserin bitten, ihn in den Stand zu setzen, sich über die Reichsangelegenheiten zu unterrichten. Ich drängte ihn sogar, um einen Sitz im Rate der Kaiserin nachzusuchen. Und wirklich sprach er mit den Schuwaloffs darüber, die es denn auch bei der Kaiserin durchsetzten, ihn jedesmal zu jenen Konferenzen zuzulassen, wenn sie selbst zugegen war. Dies war aber gerade so, als hätte man ihm den Zutritt verweigert, denn die Kaiserin selbst ging höchstens zwei oder dreimal mit ihm hin, worauf sowohl sie als er ihre Besuche ganz einstellten.
Die Ratschläge, welche ich dem Großfürsten gab, waren im allgemeinen gut und heilsam. Allein wer Ratschläge erteilt, kann dies nur gemäß seinem Geist, seiner Art, zu denken und die Dinge anzuschauen und zu behandeln tun. Der größte Fehler der Ratschläge, die ich dem Großfürsten gab, war nun eben der, daß seine Denk- und Handlungsweise ganz und gar von der meinigen verschieden war, und je älter wir wurden, um so schärfer trat der Unterschied hervor. Ich war bestrebt, in allen Dingen der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, er indes entfernte sich täglich mehr und mehr von derselben, bis er endlich ein leidenschaftlicher Lügner ward. Da die Art, wie er es wurde, sehr sonderbar ist, will ich hier davon sprechen; vielleicht trägt dies ein wenig zu der Erkenntnis der Entwickelung des menschlichen Geistes in dieser Beziehung bei, sowie zur Verhinderung oder Besserung dieses Lasters bei Individuen, die dazu geneigt sind.
Die erste Lüge, welche der Großfürst beging, war, daß er jungen Frauen oder Mädchen, bei denen er sich in Gunst setzen wollte, und auf deren Unwissenheit er rechnete, erzählte, wie ihn sein Vater, als er noch in Holstein war, an die Spitze einer Abteilung seiner Garden gestellt und gegen einen Trupp Zigeuner geschickt habe, die in der Umgebung von Kiel umherschweiften und, wie er behauptete, scheußliche Räubereien begingen. Er erzählte die genauesten Einzelheiten über ihre Verbrechen, sowie von der List, die er angewandt, um die Räuber zu umzingeln, beschrieb die verschiedenen Gefechte, in denen er Wunder von Kunst und Tapferkeit verrichtete, worauf er die Zigeuner gefangen genommen und nach Kiel transportiert habe. Anfangs wandte er immerhin noch eine gewisse Vorsicht bei seinen Prahlereien an, indem er sie nur denen erzählte, die seine Geschichte nicht kannten. Allmählich jedoch faßte er den Mut, seine Erfindung auch bei denen anzubringen, auf deren Diskretion er genügend zählen konnte, um gewiß zu sein, daß sie ihn nicht Lügen strafen würden. Als er aber auch mir diese Erzählung zum besten geben wollte, fragte ich ihn, wie lange Zeit vor dem Tode seines Vaters diese Ereignisse stattgefunden hätten? Ohne zu zaudern, antwortete er:»Etwa drei oder vier Jahre.«—»Nun, dann haben Sie sehr früh angefangen, Heldentaten zu verrichten, «sagte ich,»denn drei oder vier Jahre vor dem Tode Ihres Vaters waren Sie kaum sechs oder sieben Jahre alt. Nach seinem Tode, also mit elf Jahren, sind Sie unter die Vormundschaft meines Onkels, des Kronprinzen von Schweden, gekommen. Was mich aber am meisten Wunder nimmt, «fügte ich hinzu,»ist, daß Ihr Herr Vater, dessen einziger Sohn Sie waren, Sie in so jungem Alter gegen Räuber ausgeschickt hat, zumal da Ihre Gesundheit, wie man mir gesagt, in Ihrer Kindheit sehr zart gewesen ist.«— Darüber wurde der Großfürst schrecklich böse und erwiderte, ich wollte ihn nur vor aller Welt als Lügner hinstellen und in Mißkredit bringen. Aber ich antwortete ihm, daß nicht ich, sondern der Kalender seinen Behauptungen widerspräche; übrigens überließe ich es ihm selbst, zu beurteilen, ob es menschenmöglich wäre, einen kleinen Knaben von sechs Jahren, den einzigen Sohn und Thronerben, die ganze Hoffnung seines Vaters, gegen Räuber und Mörder auszusenden. Dann schwiegen wir beide, aber er grollte mir noch lange Zeit nachher. Als er jedoch meine Einwände vergessen hatte, fuhr er nichtsdestoweniger fort, sogar in meiner Gegenwart dies Märchen von neuem zu erzählen, das er bis ins Unendliche variierte. Später dachte er sich noch eine weit schimpflichere und für ihn schädlichere Geschichte aus, die ich bei passender Gelegenheit ebenfalls mitteilen werde. Gegenwärtig ist es mir unmöglich, alle die Fabeln zu erwähnen, die er zuweilen ersann und für Tatsachen ausgab, woran indes nicht ein Funken Wahrheit war. Uebrigens wird auch diese Probe, wie ich glaube, genügen.
Eines Donnerstags, gegen Ende des Karnevals, war Ball bei uns. Ich saß zwischen der Schwägerin Leon Narischkins und seiner Schwester, Madame Siniawin, und wir sahen zu, wie Marine Ossipowna Sakrefskaia, die Ehrendame der Kaiserin und Nichte des Grafen Razumowski Menuett tanzte. Sie war sehr anmutig und gewandt, und man erzählte sich, daß Graf Horn in sie verliebt sei. Da er es aber immer in drei Frauen auf einmal war, hielt er sich auch an die Gräfin Maria Romanowna Woronzow und an Anna Alexiewna Hittroff, gleichfalls Ehrendamen Ihrer Majestät. Wir fanden, daß Marine Ossipowna sehr gut tanzte und ziemlich hübsch war. Ihr Partner war Leon Narischkin. Bei dieser Gelegenheit erzählten mir seine Schwägerin und seine Schwester, daß seine Mutter mit dem Gedanken umginge, Leon mit Fräulein Hittroff, einer Nichte der Schuwaloffs mütterlicherseits, zu verheiraten. Ihre Mutter war eine Schwester Peter und Alexander Schuwaloffs. Ihr Vater kam oft in das Haus der Narischkins und hatte so lange für seine Tochter Propaganda gemacht, bis sich Leons Mutter schließlich die Heirat in den Kopf gesetzt hatte. Aber weder Madame Siniawin, noch seiner Schwägerin lag etwas an der Verwandtschaft der Schuwaloffs, die sie, wie schon erwähnt, nicht liebten. Was Leon anbetraf, so wußte er nicht einmal, daß seine Mutter die Absicht hatte, ihn zu verheiraten, und war in die Gräfin Maria Woronzow verliebt, von der ich soeben gesprochen. Als ich dies daher vernahm, sagte ich zu den Damen Siniawin und Narischkin, daß man die Heirat mit Fräulein Hittroff, die kein Mensch leiden mochte, weil sie intrigant, boshaft und eine Schwätzerin war, auf keinen Fall zugeben dürfe. Um ähnliche Ideen kurz abzuschneiden, müsse man Leon eine Frau unserer Art geben und die erwähnte Nichte des Grafen Razumowski, Marine Ossipowna, wählen, die obendrein uns allen sehr angenehm und immer in ihrem Hause war. Die beiden Damen billigten vollkommen meine Ansicht. Tags darauf fand bei Hofe Maskenball statt. Bei einer günstigen Gelegenheit wendete ich mich an den Marschall Razumowski, der damals Hetmann der Ukraine war, und sagte ihm rund heraus, er habe unrecht, seiner Nichte eine Partie wie Leon Narischkin entgehen zu lassen. Leons Mutter wolle ihn zwar an Fräulein Hittroff verheiraten, allein Madame Siniawin, seine Schwägerin, und ich hätten entschieden, daß seine Nichte die einzig passende Partie für ihn sei; er möge daher den Beteiligten so bald als möglich diesen Vorschlag machen. Dem Marschall gefiel unser Plan ausnehmend. Er besprach sich sofort mit seinem damaligen Faktotum Teploff, der die Sache sogleich dem Grafen Razumowski, dem älteren, mitteilte. Dieser gab seine Einwilligung, und am folgenden Tag begab sich Teploff zum Bischof von Petersburg, um für fünfzig Rubel den Erlaubnisschein zu erkaufen. Nachdem er ihn erhalten, gingen der Marschall und seine Gemahlin zu ihrer Tante, der Mutter Leons, und stellten ihr die Sache in einem so günstigen Lichte dar, daß sie sich zu allem verstand. Und sie kamen gerade im rechten Augenblick, denn an eben demselben Tage hatte sie Hittroff ihr Wort geben sollen. Nun begaben sich der Marschall Razumowski, die Damen Siniawin und Narischkin zu Leon, um ihn zu überreden, die zu heiraten, an die er nicht im entferntesten gedacht hatte. Obgleich er eine andere liebte, willigte er ein; allerdings war die Gräfin Woronzow mit dem Grafen Buturlin so gut wie verlobt. Was Fräulein Hittroff betraf, so machte er sich nicht den geringsten Kummer. Nachdem er also seine Zustimmung gegeben, ließ der Marschall seine Nichte rufen, die die Heirat zu vorteilhaft fand, um sie zurückzuweisen. So baten die beiden Grafen Razumowski am andern Tag die Kaiserin um ihre Einwilligung, die auch ohne Zögern gegeben wurde. Die Herren Schuwaloff aber waren von der Art und Weise, wie man sie und Hittroff hintergangen hatte, äußerst bestürzt und beleidigt, denn sie erfuhren den ganzen Vorgang nicht früher, als nach der Einwilligung der Kaiserin. So heiratete Leon, der in eine junge Dame verliebt war, und den seine Mutter mit einer andern vermählen wollte, eine Dritte, an die weder er noch irgend jemand drei Tage vorher gedacht hatte. Seine Heirat knüpfte meine Freundschaft mit den Grafen Razumowski fester als je, da sie mir es wirklich Dank wußten, ihrer Nichte eine so gute und glänzende Partie verschafft zu haben. Auch waren sie durchaus nicht böse, daß sie über die Schuwaloffs, die sich nicht einmal beklagen konnten, sondern ihren Verdruß verbergen mußten, den Sieg davongetragen hatten. Letzteres war ebenfalls eine Genugtuung, die sie einzig und allein mir verdankten.
Die Liebe des Großfürsten zu Madame Teploff regte sich nur noch mit mattem Flügelschlage. Eins der größten Hindernisse derselben war die Schwierigkeit, sich öfters zu sehen. Es konnte nur heimlich geschehen, was dem Großfürsten, der Schwierigkeiten ebensowenig liebte, als auf empfangene Briefe zu antworten, sehr unbequem war. Gegen Ende des Karnevals fing seine Liebe an, vollkommen Parteisache zu werden.
Eines Tages benachrichtigte mich die Prinzessin von Kurland, Graf Roman Woronzow, der Vater der beiden Hofdamen — der, beiläufig gesagt, samt seinen fünf Kindern dem Großfürsten damals aufs höchste zuwider war — hätte sehr unüberlegte Aeußerungen auf Rechnung des Großfürsten getan. Unter anderm habe er erklärt, wenn er Lust hätte, so würde es ihn keine große Mühe kosten, den Haß des Großfürsten gegen ihn in Wohlwollen zu verwandeln. Zu diesem Zwecke brauche er nur Brockdorf ein Gastmahl zu geben, ihm englisches Bier vorzusetzen und ihm, wenn er ginge, sechs Flaschen davon für Seine kaiserliche Hoheit in die Tasche zu stecken; dann würden er sowohl als seine jüngste Tochter sofort wieder Matadore in der Gunst des Großfürsten sein. Da ich denselben Abend beim Ball bemerkte, daß Seine kaiserliche Hoheit und die Gräfin Marie Woronzow, die älteste Tochter des Grafen, viel miteinander plauderten, machte es mir nicht gerade ein besonderes Vergnügen, zu denken, daß Fräulein Elisabeth Woronzow wieder obenauf kommen sollte. Um dies zu verhindern, erzählte ich dem Großfürsten die eben erwähnten Aeußerungen, die der Vater der jungen Dame über ihn hatte fallen lassen. Darüber geriet der Großfürst in Wut und fragte, von wem ich dieselben erfahren habe. Lange sträubte ich mich, ihm die Wahrheit zu sagen. Allein er erklärte, da ich niemand nennen könne, müsse er annehmen, daß ich es sei, die die Geschichte erfunden habe, nur um dem Vater und seinen Töchtern zu schaden. Es half nichts, ihm zu entgegnen, daß ich nie in meinem Leben solche Lügen erfunden habe, und ich sah mich schließlich gezwungen, ihm die Prinzessin von Kurland zu nennen. Er würde ihr auf der Stelle einen Brief schreiben, sagte er, um zu erfahren, ob ich die Wahrheit rede. Wenn aber der geringste Mangel an Übereinstimmung zwischen dem, was sie ihm antworten werde und dem was ich ihm gesagt habe, vorkäme, würde er sich bei der Kaiserin über meine Lügen und Intrigen beschweren. Hierauf verließ er das Zimmer. Da ich nicht sicher war, was die Prinzessin ihm antworten werde, und aus Furcht, sie möchte sich zweideutig äußern, schrieb ich ihr folgendes Billett:»Ich beschwöre Sie, sagen Sie die einfache und reine Wahrheit, wenn man Sie fragen wird!«Mein Billett wurde ihr unverzüglich überbracht und kam zur rechten Zeit, denn es erreichte sie noch vor dem Briefe des Großfürsten. Die Prinzessin von Kurland antwortete Seiner kaiserlichen Hoheit die Wahrheit, und er mußte einsehen, daß ich nicht gelogen hatte. Auf diese Weise wurde er wenigstens noch eine Zeitlang von einer Liaison mit den beiden Töchtern eines Menschen zurückgehalten, der ihn so gering achtete und den er selbst nicht ausstehen mochte.
Um ihm indes noch ein weiteres Hindernis in den Weg zu legen, überredete ich den Marschall Razumowski, den Großfürsten ein- bis zweimal wöchentlich ganz insgeheim zu sich einzuladen. Es war sozusagen eine Gesellschaft zu zwei Herren und zwei Damen, denn nur der Marschall, Maria Paulowna Narischkin, der Großfürst, Madame Teploff und Leon Narischkin waren zugegen. Dies dauerte fast die ganze Fastenzeit hindurch und gab zu einem andern Plane Veranlassung.
Das damalige Haus Razumowski war aus Holz gebaut. Die Gesellschaft versammelte sich gewöhnlich in den Gemächern der Marschallin, und da sowohl er als sie gern spielten, wurde fast immer gespielt. Der Marschall ging und kam, hatte aber in seinen Gemächern ebenfalls eine Partie für sich, wenn der Großfürst nicht da war. Nachdem Razumowski ein paarmal bei mir in meiner kleinen geheimen Spielgesellschaft gewesen war, drückte er den Wunsch aus, wir möchten doch auch zu ihm kommen. Zu diesem Zwecke wurde seine Eremitage, wie er es nannte, bestehend aus zwei bis drei Zimmern im Erdgeschoß, uns eingeräumt. Ein jeder versteckte sich vor dem andern, weil wir, wie bereits erwähnt, ohne Erlaubnis der Kaiserin nicht ausgehen durften. Auf diese Weise befanden sich manchmal drei bis vier kleine Gesellschaften im Hause. Der Marschall ging von einer zur andern, aber nur die unsrige erfuhr alles, was im Hause vorging, während die andern nicht einmal wußten, daß wir da waren.
Tod des Ministers Pechlin. — Die Abenteurer in Oranienbaum nehmen von Jahr zu Jahr zu. — Die Gelage des Großfürsten. — Uebergabe Memels am 24. Juni. — Rückkehr nach der Stadt. — Langersehnte Unterredung mit der Kaiserin. — Uebereilter Rückzug Apraxins. — Ich schreibe ihm einen ermahnenden Brief. — Seine Zurückberufung. — Er stirbt. — Fürst Lieven. — General Fermor. — Leon Narischkins verändertes Benehmen. — Besuch des Prinzen Karl von Sachsen am russischen Hofe. — Seine Abreise.
Zu Anfang des Frühlings starb Pechlin, der Minister des Großfürsten für Holstein. Der Großkanzler, Graf Bestuscheff, der seinen Tod voraussah, hatte mir den Rat gegeben, dem Großfürsten einen gewissen Stambke an seiner Stelle vorzuschlagen.
Im Frühjahr gingen wir nach Oranienbaum, wo unsere Lebensweise ganz dieselbe wie in den vorhergehenden Jahren war, nur daß die Zahl der dort stationierten holsteinschen Truppen und der als Offiziere angestellten Abenteurer von Jahr zu Jahr zunahm. Da indes so viele Menschen in dem kleinen Dorfe Oranienbaum, das anfangs aus nicht mehr als achtundzwanzig Hütten bestand, nicht einquartiert werden konnten, wurde ein Lager für die Truppen aufgeschlagen, deren Zahl sich übrigens nie auf mehr als 1300 Mann belief. Die Offiziere dinierten und soupierten bei Hofe, weil es jedoch nur fünfzehn bis sechzehn Hofdamen, die Frauen der Kammerherrn mit inbegriffen, gab, Seine kaiserliche Hoheit aber große Gastmähler leidenschaftlich liebte und solche in seinem Lager und in allen Ecken und Winkeln in Oranienbaum häufig veranstaltete, lud er nicht allein die Sängerinnen und Tänzerinnen der Oper dazu ein, sondern noch eine Menge bürgerlicher Damen aus sehr schlechter Gesellschaft, die man ihm aus Petersburg verschaffte. Sowie ich von der Zulassung der Sängerinnen etc. hörte, enthielt ich mich jeder ferneren Beteiligung an diesen Festen, anfangs unter dem Vorwande einer Brunnenkur. Ich speiste meist mit drei oder vier Personen aus meiner Umgebung auf meinem Zimmer. Später aber sagte ich dem Großfürsten, ich fürchte, die Kaiserin werde es übel aufnehmen, wenn ich in so gemischter Gesellschaft erschiene. Nie kam ich, wenn ich wußte, daß unbeschränkte Gastfreundschaft herrschte, so daß, wenn der Großfürst unbedingt meine Anwesenheit wünschte, nur die Hofdamen zugelassen wurden.
Zu den Maskeraden, die der Großfürst in Oranienbaum veranstaltete, erschien ich immer in sehr einfacher Toilette, ohne Juwelen und sonstigen Schmuck. Dies gefiel besonders der Kaiserin, welche die Feste in Oranienbaum, wo die Gastmähler zu wahren Bacchanalien ausarteten, weder gern sah, noch billigte. Sie ließ sie indes geschehen, oder verbot sie wenigstens nicht. Ich erfuhr, daß Ihre Majestät eines Tages geäußert habe:»Diese Feste machen der Großfürstin ebenso wenig Vergnügen als mir, denn sie erscheint dabei stets in so einfacher Kleidung, wie nur irgend möglich, und speist niemals mit jedermann, der dort Zutritt hat.«
Ich beschäftigte mich damals in Oranienbaum mit der Anlage und Anpflanzung meines Gartens. Während der übrigen Zeit ging, ritt oder fuhr ich aus, und wenn ich in meinem Zimmer war, las ich.
Im Juli erfuhren wir, daß Memel sich den russischen Truppen am 24. Juni durch Vergleich übergeben hätte, und einen Monat später traf die Nachricht von der am 19. August durch die russische Armee gewonnenen Schlacht von Großjägerndorf ein. Am Tage, an dem das Te Deum gesungen wurde, gab ich dem Großfürsten und allen in Oranienbaum anwesenden bedeutenden Persönlichkeiten ein großes Gastmahl, bei welchem der Großfürst und alle übrigen überaus heiter und zufrieden schienen. Dies minderte für kurze Zeit den Schmerz Peters über den zwischen Rußland und dem König von Preußen ausgebrochenen Krieg. Seit seiner Kindheit hatte er für Friedrich den Großen eine große Zuneigung gefaßt, eine Zuneigung, in dem gewiß anfangs nichts Außerordentliches lag, die aber später in reinen Wahnsinn ausartete. Damals indes zwang ihn die allgemeine Freude über den Erfolg der russischen Waffen, seine geheimen Gedanken zu verbergen. Mit Bedauern erfuhr er die Niederlage der preußischen Truppen, die er für unbesiegbar gehalten hatte.
Einige Tage nach diesem Feste kehrten wir in die Stadt zurück und bezogen den Sommerpalast. Hier meldete mir Graf Alexander Schuwaloff eines Abends, daß die Kaiserin sich bei seiner Frau befände und mich auffordere, dorthin zu kommen, um mit ihr zu reden, wie ich es vergangenen Winter gewünscht hätte. Ich begab mich also unverzüglich in die Gemächer des Grafen und der Gräfin Schuwaloff, die hinter den meinigen lagen, und fand dort die Kaiserin ganz allein. Nachdem ich ihr die Hand geküßt und sie mich, ihrer Gewohnheit gemäß, umarmt hatte, erwies sie mir die Ehre, zu sagen, sie habe gehört, daß ich mit ihr zu reden wünsche und sei nun gekommen, um zu erfahren, was ich auf dem Herzen habe. Nun waren aber damals mehr als acht Monate seit meiner Unterredung mit Alexander Schuwaloff, hinsichtlich Brockdorfs, vergangen. Ich erwiderte daher Ihrer Majestät, als ich im vorigen Winter das Benehmen Brockdorfs mit angesehen, hätte ich es für unerläßlich gehalten, mit Graf Alexander Schuwaloff darüber zu sprechen, damit er Ihre Majestät davon in Kenntnis setzen konnte. Er hatte mich dann gefragt, ob er mich erwähnen dürfe, worauf ich ihm erwidert:»Wenn Ihre kaiserliche Majestät es wünschte, würde ich selbst alles wiederholen, was mir bekannt sei. «Dann erzählte ich ihr die Affäre Elendsheim in ihrem wahren Hergange. Sie hörte mir anscheinend mit großer Kälte zu und fragte mich dann nach Einzelheiten über das Privatleben des Großfürsten und über seine Umgebung. Mit der größten Wahrhaftigkeit sagte ich alles, was ich wußte. Als ich aber über die holsteinischen Verhältnisse einige Bemerkungen machte, woraus sie ersehen mußte, daß ich sie gut kannte, sagte sie streng:»Sie scheinen über dieses Land sehr wohl unterrichtet zu sein. «Ich antwortete naiv, dies könne mir nicht schwer fallen, da der Großfürst mir befohlen habe, mich damit bekannt zu machen. Aber ich sah es der Kaiserin an, daß dieses Vertrauen des Großfürsten zu mir einen unangenehmen Eindruck auf sie machte; überhaupt schien sie während der ganzen Unterredung eigentümlich verschlossen. Sie ließ mich reden, fragte mich aus, sagte aber selbst kaum ein Wort, so daß diese Unterhaltung mir von ihrer Seite mehr wie eine Art Verhör, als ein vertrauliches Gespräch vorkam. Endlich verabschiedete sie mich ebenso kalt, als sie mich empfangen, und ich war sehr wenig erbaut von meiner Audienz. Alexander Schuwaloff empfahl mir, sie so geheim wie möglich zu halten, was ich auch versprach — übrigens konnte ich mich ihrer auch nicht rühmen. In mein Zimmer zurückgekehrt, schrieb ich die Kälte der Kaiserin der Abneigung zu, welche, wie ich schon seit längerer Zeit wußte, die Schuwaloffs ihr gegen mich eingeflößt hatten. In der Folge wird man sehen, zu welch abscheulichem Gebrauch von dieser Unterredung, wenn ich so sagen darf, man sie überredete.
Kurz darauf erfuhren wir, daß der Marschall Apraxin, statt seine Erfolge zu benutzen, nach der Einnahme von Memel und dem Siege bei Großjägerndorf sich mit solcher Eile zurückzog, daß dieser Rückzug fast einer Flucht glich, denn er vernichtete und verbrannte sein ganzes Gepäck und vernagelte alle seine Kanonen. Niemand begriff ein solches Verfahren. Selbst seine Anhänger konnten es nicht rechtfertigen, und eben deshalb vermutete man ein Geheimnis dahinter. Obgleich ich wirklich selbst nicht wußte, wem der übereilte und unzusammenhängende Rückzug des Generals Apraxin zuzuschreiben war, da ich ihn niemals wieder zu sehen bekam, so glaube ich doch die Ursache davon zu vermuten. Er erhielt nämlich von seiner Tochter, der Fürstin Kurakin, die noch immer — aus Politik, nicht aus Neigung — mit Peter Schuwaloff ein Verhältnis hatte, sowie von seinem Schwager, dem Fürsten Kurakin, und andern Verwandten und Freunden ziemlich genaue Nachrichten über die Gesundheit der Kaiserin, die von Tag zu Tag schlechter wurde. Man war schon damals ziemlich allgemein überzeugt, daß sie alle Monate regelmäßig an sehr heftigen Krämpfen litte. Diese Krämpfe schwächten ihre Organe zusehends, so daß sie nach jeder Krise drei bis vier Tage in einem solchen Zustand von Schwäche und Entkräftung ihrer Geistesfähigkeiten war, der schon mehr an Lethargie grenzte. Während dieser Zeit konnte man über nichts mit ihr sprechen und sie von nichts unterhalten. Apraxin, der vielleicht die Gefahr für größer hielt, als sie wirklich war, hatte es wahrscheinlich nicht für ratsam gehalten, sich noch weiter in Preußen vorzuwagen, sondern für besser befunden, eine Rückwärtsbewegung zu machen, um sich der russischen Grenze zu nähern. Unter dem Vorwande, daß es ihm an Lebensmitteln gebrach, ging er immer weiter zurück, zumal er voraussah, daß im Falle des Todes der Kaiserin dieser Krieg sofort aufhören würde. Es war schwer, den Schritt Apraxins zu rechtfertigen; aber dies mußte wohl der Grund seiner Handlung sein, denn er hielt sich in Rußland für äußerst nötig.
Graf Bestuscheff ließ mir durch Stambke mitteilen, welche Wendung das Benehmen des Grafen Apraxin nähme, worüber sich der kaiserliche und der französische Gesandte laut beklagten. Er ließ mich dringend bitten, dem Marschall ganz im Vertrauen zu schreiben und meine Vorstellungen mit den seinigen zu vereinigen, um ihn zur Umkehr zu bewegen und eine Flucht zu beendigen, die seine Feinde gehässig und unheilvoll auslegten. In der Tat schrieb ich an den Marschall Apraxin einen Brief, in welchem ich ihn von den üblen in Petersburg umlaufenden Gerüchten in Kenntnis setzte und ihm sagte, daß seine Freunde nur mit Mühe seinen übereilten Rückzug rechtfertigen könnten. Ich bat ihn ferner, wieder vorwärts zu gehen und die von der Regierung erhaltenen Befehle zu befolgen. Der Großkanzler Bestuscheff schickte ihm diesen Brief; Apraxin antwortete mir nicht.
Inzwischen sahen wir den kaiserlichen Generalbaudirektor General Fermor von Petersburg abreisen und von uns Abschied nehmen, der, wie man uns sagte, bei der Armee verwendet werden sollte. Er war früher Generalquartiermeister des Grafen Münnich gewesen. Das erste, was Fermor verlangte, war, seine Untergebenen im Baufach, die Brigadiers Reaznof und Mordwinoff mit sich nehmen zu dürfen. Mit ihnen ging er zur Armee ab. Es waren Militärs, die bisher nur Baukontrakte gemacht hatten. Sobald er angekommen war, befahl man ihm, den Oberbefehl an Stelle des Grafen Apraxin zu übernehmen, der zurückberufen wurde. Auf seiner Reise nach Petersburg fand dieser in Trihorski einen Befehl vor, hier seine Fahrt zu unterbrechen und die Befehle der Kaiserin zu erwarten. Es dauerte lange, bis diese kamen, weil seine Freunde, sowie seine Tochter und Peter Schuwaloff alles taten, Himmel und Erde in Bewegung setzten, um den Zorn der Kaiserin zu besänftigen, den die Grafen Woronzow, Buturlin, Iwan Schuwaloff und andere anfachten. Diese wieder wurden von den Gesandten des Versailler und Wiener Hofes aufgehetzt, Apraxin zu schaden. Endlich ernannte man eine Untersuchungskommission. Aber schon nach dem ersten Verhör bekam der Marschall Apraxin einen Anfall von Apoplexie, woran er vierundzwanzig Stunden später starb.
In diesen Prozeß wäre sicher auch der General Lieven verwickelt worden, denn er war der Freund und Vertraute Apraxins. Dies würde mir noch mehr Kummer verursacht haben, denn Lieven war mir aufrichtig ergeben. Aber so groß auch meine Freundschaft immer für Apraxin und Lieven gewesen, ich kann es beschwören, daß mir die Ursache ihres Verhaltens und dieses selbst völlig unbekannt war, obgleich man versucht hat, das Gerücht auszusprengen, daß sie, nur um mir und dem Großfürsten zu gefallen, rückwärts gegangen wären.
Lieven gab zuweilen sehr sonderbare Beweise seiner Ergebenheit gegen mich; unter andern auch folgenden. Einst veranstaltete der Gesandte des Wiener Hofes, Graf Esterhazy, einen Maskenball, an dem die Kaiserin und der ganze Hof teilnahm. Als Lieven mich durch den Saal gehen sah, sagte er zu seinem Nachbar, dem Grafen Poniatowski:»Das ist eine Frau, für die ein ehrlicher Mann einige Knutenhiebe ohne großen Kummer ertragen könnte.«— Ich habe diese Anekdote vom Grafen Poniatowski, dem nachmaligen König von Polen, selbst.
Nachdem General Fermor das Oberkommando übernommen hatte, beeilte er sich, seine Instruktionen auszuführen, nämlich vorwärts zu marschieren. Trotz der rauhen Jahreszeit besetzte er Königsberg, das ihm am 18. Januar 1758 eine Deputation entgegenschickte.
Im Laufe des Winters bemerkte ich plötzlich eine große Veränderung im Benehmen Leon Narischkins. Er fing an, unhöflich und grob zu werden, kam nur widerwillig zu mir, tat Aeußerungen, die deutlich bewiesen, daß man ihm eine gewisse Abneigung gegen mich, seine Schwägerin, seine Schwester, den Grafen Poniatowski und alle, die zu mir hielten, in den Kopf gesetzt hatte. Ferner erfuhr ich, daß er fast immer mit Iwan Schuwaloff zusammen war, und ich ahnte, daß man ihn von mir abwendig machen wollte, um mich dafür zu strafen, daß ich ihn verhindert hatte, Fräulein Hittroff zu heiraten. Es war mir gewiß, daß man weit genug gehen werde, um ihn zu Indiskretionen zu verleiten, die sehr unangenehme Folgen für mich haben konnten. Seine Schwester und Schwägerin, sowie sein Bruder waren ebenfalls um meinetwillen sehr böse auf ihn. Er betrug sich aber auch wirklich wie ein Verrückter und beleidigte uns mit der größten Dreistigkeit, wo er nur konnte — und dies zu einer Zeit, wo ich auf meine Kosten das Haus ausmöblierte, das er nach seiner Verheiratung bewohnen sollte. Jedermann klagte ihn der Undankbarkeit an und sagte ihm, daß er nicht die geringste Ursache habe, sich zu beschweren und in solcher Weise zu handeln. Kurz, man sah deutlich, daß er denen, die sich seiner bemächtigt hatten, nur als Werkzeug diente. Er machte dem Großfürsten regelmäßiger den Hof, suchte ihn so viel als möglich zu amüsieren und verleitete ihn mehr und mehr zu Dingen, von denen er genau wußte, daß ich sie mißbilligte. Ja, er trieb seine Unhöflichkeit mitunter soweit, daß er, wenn ich mit ihm sprach, nicht antwortete. Und ich weiß bis heute noch nicht, was ihm damals in den Kopf gestiegen war, während ich ihn und seine ganze Familie, solange ich sie kannte, mit Wohlwollen und Freundschaft überhäufte. Ich glaube aber, daß er sich — gleichfalls auf den Rat der Schuwaloffs, bemühte, dem Großfürsten gefällig zu sein, weil sie ihm vorstellten, daß dessen Gunst ihm einst wertvoller sein werde, als die meine, denn ich wäre bei der Kaiserin und dem Großfürsten schlecht angeschrieben und keiner von beiden liebte mich. Er werde daher seinem Glücke nur schaden, wenn er sich von mir nicht lossage, denn nach dem Tode der Kaiserin würde der Großfürst mich in ein Kloster stecken — und andere ähnliche Aeußerungen der Schuwaloffs, die mir alle hinterbracht wurden. Außerdem zeigte man ihm aus der Ferne den St. Annenorden als Beweis der Gunst des Großfürsten. Mit Hilfe solcher Versprechungen und Auseinandersetzungen brachte man schließlich diesen schwachen, charakterlosen Menschen zu all den kleinen Verrätereien, die man von ihm wünschte. Ja, er ging sogar weiter als verlangt wurde, obwohl er — wie sich später zeigen wird — Anwandlungen von Reue hatte. Damals indes tat er alles, was in seiner Macht stand, den Großfürsten von mir zu entfernen, so daß dieser mich fast unaufhörlich schalt und sein Verhältnis mit der Gräfin Elisabeth Woronzow wieder anknüpfte.
Zu Anfang des Frühlings verbreitete sich das Gerücht, daß Prinz Karl von Sachsen, der Sohn des Königs August III. von Polen, nach Petersburg kommen werde. Dem Großfürsten mißfiel dieser Besuch aus verschiedenen Gründen. Erstens, weil er dadurch eine Vermehrung persönlicher Unbequemlichkeiten befürchtete, denn er konnte nicht leiden, wenn die Lebensweise, die er sich zurecht gemacht hatte, auch nur im geringsten gestört wurde; zweitens, weil das sächsische Haus auf seiten der Feinde des Königs von Preußen stand, und drittens vielleicht auch, weil er bei einem eventuellen Vergleich zu verlieren fürchtete. Das letztere zeugte allerdings von größter Bescheidenheit, denn der arme Prinz von Sachsen war ein ganz nichtssagender Mensch, ohne alle Kenntnisse und Bildung. Die Jagd und den Tanz ausgenommen, verstand er nichts; und er selbst sagte mir, daß er in seinem ganzen Leben kein Buch in der Hand gehabt hätte, außer den Gebetbüchern, die ihm seine bigotte Mutter, die Königin, schenkte.
Prinz Karl von Sachsen kam also am 5. April dieses Jahres in Petersburg an. Man empfing ihn mit großer Feierlichkeit und bedeutendem Aufwande von Glanz und Pracht. Sein Gefolge war sehr zahlreich. Eine Menge Polen und Sachsen, unter ihnen ein Lubomirski, ein Pototski, ein Rzewuski, den man den Schönen nannte, ferner zwei Fürsten Sulkowski, ein Graf Sapieha, Graf Branitzki, später Oberfeldherr, ein Graf Einsiedel und viele andere, deren Namen ich mich augenblicklich nicht erinnere, begleiteten ihn. Er hatte auch eine Art Untergouverneur bei sich, namens Lachinal, der sein Benehmen und seine Korrespondenz leitete. Man quartierte den Prinzen in das Haus des Kammerherrn Iwan Iwanowitsch Schuwaloff ein. Dieses war erst vor kurzem fertig geworden, und sein Besitzer hatte all seinen Geschmack daran verschwendet, d. h. es war trotz seiner Kostbarkeit äußerst geschmacklos und schlecht eingerichtet. Es waren zwar viele Gemälde darin, aber meistenteils Kopien. Ein Zimmer war mit Tschinarholz ausgelegt, da aber Tschinar nicht glänzt, hatte man es gefirnißt. Dadurch wurde die Farbe gelb, doch ein unangenehmes Gelb, welches dem Zimmer ein gemeines Aussehen gab; und, um den schlechten Eindruck zu mildern, überlud man es mit schwerem, versilbertem Schnitzwerk. Von außen sah das an sich große Haus wegen der Menge seiner Verzierungen aus wie eine mächtige Alençoner Spitzenmanschette. Man gab dem Prinzen von Sachsen den Grafen Iwan Czernitscheff bei, und er wurde ganz auf Kosten des Hofes unterhalten, sowie auch von den Hofdomestiken bedient.
In der Nacht, die der Ankunft des Prinzen Karl vorausging, hatte ich eine so heftige Kolik gehabt, daß ich wohl mehr als dreißigmal zu Stuhle gehen mußte. Obwohl ich sehr geschwächt war, kleidete ich mich den folgenden Morgen an, um den Prinzen von Sachsen zu empfangen. Man führte ihn um zwei Uhr nachmittags zur Kaiserin, und, als er diese verlassen hatte, zu mir in mein Zimmer. Kurz nach ihm sollte der Großfürst eintreten. Zu diesem Zwecke hatte man drei Fauteuils an die Wand gestellt. Das mittlere war für mich, das zu meiner Rechten für den Großfürsten und das linke für den Prinzen von Sachsen bestimmt. Ich mußte natürlich die Unterhaltung führen, denn der Großfürst war nicht zum Sprechen zu bringen, und Prinz Karl war nicht gesprächig. Endlich, nach einer Unterhaltung von einer Viertelstunde, erhob sich Prinz Karl, um uns sein ungeheures Gefolge vorzustellen. Er hatte, glaube ich, mehr als zwanzig Personen bei sich, wozu sich an diesem Tage noch der polnische und sächsische Gesandte am russischen Hofe mit ihren Sekretären gesellten. Nach einer halben Stunde verließ uns der Prinz. Ich kleidete mich sofort wieder aus, um mich ins Bett zu legen, wo ich drei oder vier Tage im heftigsten Fieber zubrachte. Darauf stellten sich von neuem Zeichen von Schwangerschaft bei mir ein.
Gegen Ende April begaben wir uns nach Oranienbaum. Vor unserer Abreise erfuhren wir, daß Prinz Karl von Sachsen als Freiwilliger zur russischen Armee abginge. Doch ehe er sich dahin begab, begleitete er die Kaiserin nach Peterhof, wo man ihn sehr feierte. Dort und in der Stadt nahmen wir nicht an diesen Festlichkeiten teil, sondern blieben auf unserem Landsitz, wo er auch Abschied von uns nahm und am 4. Juli abreiste.
Ueble Stimmung des Großfürsten. — Mein Gartenfest in Oranienbaum. — Leon Narischkin erneuert seine Besuche bei mir. — Verdiente Züchtigung. — Die Schlacht bei Zorndorf, — Graf Fermor wird abberufen und Peter Soltikoff zu seinem Nachfolger ernannt. — Die Kaiserin bekommt auf offener Straße einen Krämpfeanfall. — Rückkehr in die Stadt. — Der Großfürst langweilt sich. — Er leugnet die Vaterschaft meines Kindes. — Mein Benehmen gegen meinen Gemahl. — Poniatowski wird abberufen. — Einfältiges Benehmen des Großfürsten. — Geburt meiner Tochter. — Zwei Kabinettsordres von je 60000 Rubel. — Vereinsamt!
Da der Großfürst fast immer übler Laune gegen mich war, wofür ich mir keinen andern Grund denken konnte, als daß ich weder Brockdorf noch die Gräfin Elisabeth Woronzow, die wieder anfing, Favoritin zu werden, empfing, kam mir der Gedanke, Seiner kaiserlichen Hoheit ein Gartenfest in Oranienbaum zu geben, um seine schlechte Stimmung so viel wie möglich zu vermindern. Seine kaiserliche Hoheit hatte nämlich jedes Fest gern. So ließ ich denn an einem abgelegenen Orte im Gehölz von meinem damaligen italienischen Architekten Antonio Rinaldi einen großen Wagen bauen, worauf ein Orchester von sechzig Personen, Musikern und Sängern, bequem Platz hatte. Der italienische Hofpoet mußte die Verse machen und der Kapellmeister Araja dieselben in Musik setzen. In der großen Allee wurde ein illuminiertes Transparent mit einem Vorhang angebracht, dem gegenüber die Tafel fürs Souper gedeckt war. Am 17. Juli gegen Abend begaben sich Seine kaiserliche Hoheit und alles was in Oranienbaum war, sowie eine Menge Zuschauer, die aus Kronstadt und Petersburg gekommen waren, in den prächtig illuminierten Garten. Man setzte sich zu Tisch, und nach dem ersten Gang teilte sich der Vorhang, der die große Allee verdeckte. Man sah in der Ferne das Orchester auf einem Wagen herankommen, der von etwa zwanzig mit Kränzen geschmückten Ochsen gezogen wurde, und von allen Tänzern und Tänzerinnen, die ich hatte auftreiben können, umgeben war. Die Allee war illuminiert, und zwar so hell, daß man alle Gegenstände deutlich unterschied. Als der Wagen hielt, wollte es der Zufall, daß der Mond gerade über ihm stand, was eine wundervolle Wirkung hervorbrachte und die ganze Gesellschaft angenehm überraschte, zumal da außerdem das Wetter prachtvoll war. Jedermann sprang von der Tafel auf, um die Schönheit der Symphonie und des Schauspiels voller genießen zu können. Als sie zu Ende war, fiel der Vorhang, und man setzte sich zum zweiten Gang wieder an die Tafel. Darauf hörte man Fanfaren und Zimbeln, und ein Gaukler rief plötzlich:»Meine Herren und Damen, kommen Sie hierher, in meinen Buden werden Lose für die Lotterie umsonst verteilt. «Zu beiden Seiten des Vorhangs teilten sich nun noch zwei kleine Vorhänge und man erblickte zwei hellerleuchtete Buden. In der einen verteilte man gratis Lotterienummern für das darin enthaltene Porzellan, in der andern für Blumen, Bänder, Fächer, Kämme, Geldbeutel, Handschuhe, Degengehänge und andere solche Kleinigkeiten. Als die Buden leer waren, aß man das Dessert, worauf bis sechs Uhr morgens getanzt wurde. Keine Intrige, kein unliebsamer Zwischenfall kam während meines Festes vor. Seine kaiserliche Hoheit, sowie alle, die daran teilnahmen, waren entzückt davon und priesen die Großfürstin und ihr Fest. Aber ich hatte es auch an nichts fehlen lassen. Man fand meinen Wein köstlich, mein Souper herrlich. Alles ging auf meine eigenen Kosten, und das Fest kostete mich gegen 10000 bis 15000 Rubel — man bedenke, daß ich nur 30 000 Rubel jährlich zur Verfügung hatte. Doch dieser Tag wäre mir beinahe noch teurer zu stehen gekommen, denn als ich am Nachmittag mit Madame Narischkin ausgefahren war und gerade aus dem Kabriolett steigen wollte, machte das Pferd eine Bewegung, die mich zur Erde schleuderte, und das im vierten oder fünften Monat meiner Schwangerschaft. Ich tat jedoch, als ob nichts vorgefallen wäre, blieb bis zuletzt auf dem Feste und machte die Honneurs. Dennoch fürchtete ich mich sehr vor einer Fehlgeburt, aber glücklicherweise fand nichts dergleichen statt, und ich kam mit dem bloßen Schrecken davon. Der Großfürst, seine ganze Umgebung, alle seine Holsteiner, ja selbst meine erbittertsten Feinde hörten noch viele Tage nicht auf, mich und mein Fest zu loben, denn jeder, Freund oder Feind, hatte eine Kleinigkeit als Andenken an mich davon mit nach Hause gebracht. Da es ein Maskenfest war und alle möglichen Leute daran teilgenommen hatten, war die Gesellschaft natürlich sehr gemischt gewesen. Unter andern waren eine Menge Frauen da, die sonst nicht am Hofe und in meiner Gegenwart erschienen. Alle rühmten sich nun und prunkten mit meinen Geschenken, obgleich dieselben im Grunde keinen großen Wert hatten, denn ich glaube, es war keins darunter, das mehr als hundert Rubel kostete. Aber es war eben ein Geschenk von mir, und man prahlte gern: Ich habe dies von Ihrer kaiserlichen Hoheit der Großfürstin, ach, sie ist die Güte selbst, sie hat allen Leuten etwas geschenkt, sie ist reizend; sie sah mich so vergnügt und leutselig an, es machte ihr Vergnügen, uns tanzen, essen und spazieren gehen zu sehen; wer keinen Platz hatte, bekam einen von ihr, u.s.w. u.s.w. Kurz, man fand an mir plötzlich Eigenschaften, die man vorher nicht an mir gekannt hatte, und auf diese Weise entwaffnete ich meine Feinde, Das war auch meine Absicht; es dauerte nur leider nicht lange, wie man in der Folge sehen wird.
Nach diesem Feste fing Leon Narischkin wieder an, mich zu besuchen. Als ich eines Tages in mein Boudoir trat, fand ich ihn impertinenterweise auf einem Sofa liegen und ein unsinniges Lied singen. Sowie ich dies sah, ging ich wieder hinaus, schloß die Tür hinter mir ab und begab mich unverzüglich zu seiner Schwägerin. Dieser sagte ich, man müsse eine handvoll Nesseln nehmen und diesen Menschen, der sich schon lange so unverschämt gegen uns benähme, damit züchtigen, um ihn Rücksicht zu lehren. Madame Narischkin stimmte aus ganzer Seele bei, und wir ließen uns sofort gute Ruten bringen, die mit Nesseln eingefaßt waren. Darauf begaben wir uns in Begleitung einer meiner Frauen, namens Tatiana Juriewna, in mein Boudoir, wo Leon Narischkin noch auf demselben Platze lag und aus voller Kehle sein unverschämtes Lied sang. Als er uns sah, suchte er zu entwischen. Allein wir versetzten ihm so viele Schläge mit unsern Nesselruten, daß seine Hände, seine Beine und sein ganzes Gesicht drei Tage lang geschwollen waren, und er am andern Tage nicht mit uns zur Cour nach Peterhof kommen konnte, sondern zu Hause bleiben mußte. Und er hütete sich, mit jemand über das Geschehene zu sprechen, denn wir hatten ihm versichert, daß wir bei der geringsten Veranlassung zur Klage über ihn genau dasselbe Mittel wieder anwenden würden, da es wirklich kein anderes gab, mit ihm fertig zu werden. Wir faßten zwar dies alles als bloßen Scherz auf, allein unser Mann hatte genug gespürt, um sich daran zu erinnern, und gab sich keine Blößen mehr, wenigstens nicht mehr in dem Grade, wie es früher der Fall gewesen war.
Im August erfuhren wir von der am 14. desselben Monats gelieferten Schlacht bei Zorndorf, einer der blutigsten Schlachten des Jahrhunderts, da auf jeder Seite mehr als 20 000 Tote und Verwundete geblieben waren. Unser Verlust an Offizieren war beträchtlich; mehr als 1200 hatten wir zu beklagen. Zwar meldete man uns diese Schlacht als für uns gewonnen, allein im geheimen flüsterte man sich zu, die Verluste wären auf beiden Seiten gleich, und drei Tage hindurch hätte keine der beiden Armeen gewagt, sich den Sieg zuzuschreiben. Endlich, am dritten Tage, habe der König von Preußen in seinem Lager und Graf Fermor auf dem Schlachtfelde das Te Deum singen lassen. Der Aerger der Kaiserin und die Bestürzung der Bevölkerung waren groß, als man alle Einzelheiten dieses blutigen Tages erfuhr, an dem viele ihre Verwandten, Freunde und Bekannten verloren. Lange Zeit hindurch hörte man nur Aeußerungen des Schmerzes. Auch viele Generale waren getötet, verwundet oder gefangen genommen worden. Schließlich fand man, daß Graf Fermors Benehmen nichts weniger als geschickt und militärisch gewesen sei, und der Hof rief ihn zurück und ernannte den Grafen Peter Soltikoff an seiner Stelle zum Befehlshaber des russischen Heeres in Preußen. Soltikoff wurde zu diesem Zwecke aus der Ukraine abberufen, wo er befehligte, und man übertrug sein Kommando einstweilen dem General Froloff Bagreeff, jedoch mit dem geheimen Befehl, nichts zu unternehmen, ohne die Generalleutnants Graf Rumianzoff und Fürst Alexander Galitzin zu befragen. Den letzteren beschuldigte man, er hätte, da er in kurzer Entfernung vom Schlachtfelde mit einem Korps von 10 000 Mann auf den Anhöhen postiert gewesen, von wo er die Kanonade hörte, die Schlacht entscheidender machen können, wenn er der preußischen Armee in den Rücken gefallen wäre, während sie mit der unserigen kämpfte. Allein Graf Galitzin hatte dies unterlassen. Als ihn daher sein Schwager Rumianzoff in seinem Lager aufsuchte und er ihm von der stattgehabten Schlächterei erzählte, war dieser sehr schlecht gelaunt, sagte ihm alle möglichen Grobheiten und wollte später nichts mehr mit ihm zu tun haben, weil er ihn als Feigling betrachtete. Dies war aber Fürst Galitzin keineswegs. Die ganze Armee ist mehr von seiner als von der Unerschrockenheit des Grafen Rumianzoff überzeugt, trotz dessen gegenwärtiger Siege und Berühmtheit.
Anfang September befand sich die Kaiserin in Zarskoje Selo. Am 8., dem Marientage, begab sie sich zu Fuß in die Dorfkirche, die nur ein paar Schritte von dem nördlichen Tore des Schlosses entfernt war, zur Messe. Kaum aber hatte der Gottesdienst begonnen, als sich Elisabeth plötzlich unwohl fühlte und die Kirche verließ. Sie ging den kleinen schräg nach dem Palaste zu liegenden Perron hinab, aber schon kurz hinter der Kirche fiel sie bewußtlos ins Gras. Rings um sie herum wogte die Menge des Volkes, das von allen Dörfern der Umgegend zusammengekommen war, um die Messe zu hören. Niemand von ihrer Begleitung war der Kaiserin gefolgt, als sie die Kirche verließ. Aber bald verbreitete sich das Gerücht von dem Unfall Ihrer Majestät, und die Ehrendamen und Vertrauten kamen eiligst herbei. Sie fanden sie bewußtlos inmitten des Volkes, das sie neugierig betrachtete, ohne indes zu wagen, sich ihr zu nähern und ihr zu helfen. Da die Kaiserin groß und stark war, mußte sie sich beim Fallen erheblich verletzt haben. Man bedeckte ihr Gesicht mit einem weißen Tuch und holte schnell ein paar Aerzte und Chirurgen herbei. Der Wundarzt erschien zuerst. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihr in Gegenwart aller zur Ader zu lassen, aber sie kam nicht zu sich. Ihr Leibarzt konnte nur sehr langsam kommen, da er selbst krank und nicht imstande war zu gehen. Man brachte ihn daher in einem Lehnstuhl getragen. Es war der verstorbene Condoijdij, ein Grieche von Geburt. Der Chirurg Fouzadier war ein französischer Flüchtling. Endlich wurden Wandschirme und ein Kanapee aus dem Schlosse geholt, worauf man die Kaiserin legte. Durch allerlei Heilmittel und die eifrigsten Bemühungen brachte man sie schließlich wieder zum Leben zurück. Allein als sie die Augen öffnete, erkannte sie niemand und fragte in fast unverständlicher Weise, wo sie sich befände. Endlich, nachdem zwei Stunden verflossen waren, beschloß man, Ihre Majestät mit dem Sofa ins Schloß zu tragen. Man kann sich wohl die Bestürzung vorstellen, in die das ganze Hofpersonal geriet; und die Oeffentlichkeit der Sache vermehrte den peinlichen Eindruck. Bis dahin hatte man ihren Zustand äußerst geheim gehalten, aber nun war die Runde davon in alle Schichten der Bevölkerung gedrungen. Ich selbst erfuhr das Geschehene am folgenden Morgen in Oranienbaum durch einen Brief des Grafen Poniatowski. Sogleich benachrichtigte ich den Großfürsten davon, der noch nichts wußte, da man uns ja im allgemeinen alles mit der größten Sorgfalt verschwieg, besonders Dinge, die die Kaiserin persönlich betrafen. Nun war es aber Sitte, daß jeden Sonntag, wenn wir uns nicht an ein und demselben Orte mit Ihrer Majestät aufhielten, einer unserer Kammerherrn abgesandt wurde, um nach dem Befinden der Kaiserin zu fragen, wir unterließen dies natürlich auch den folgenden Sonntag nicht und erfuhren, daß Elisabeth mehrere Tage lang die Sprache verloren hatte und es ihr noch große Anstrengung verursachte, zu reden. Man erzählte, sie habe sich während ihrer Ohnmacht die Zunge zerbissen, was vermuten ließ, daß dieser Unfall mehr von Krämpfen als von einer Ohnmacht herrührte.
Ende September kehrten wir in die Stadt zurück. Da ich meiner Schwangerschaft wegen anfing, schwerfällig zu werden, erschien ich nicht mehr bei öffentlichen Gelegenheiten, zumal ich mich auch meiner Entbindung näher glaubte, als es in Wirklichkeit der Fall war. Dies langweilte den Großfürsten, weil er, wenn ich mich in der Oeffentlichkeit zeigte, öfters die Ausrede gebrauchen konnte, er fühle sich nicht wohl, um in seinen Gemächern zu bleiben. Außerdem erschien die Kaiserin sehr selten bei öffentlichen Gelegenheiten, so daß sich die Hoffeste und Bälle nur um mich drehten, während, wenn ich nicht zugegen war, Seine kaiserliche Hoheit gezwungen war, zu erscheinen, damit wenigstens jemand zum Repräsentieren da war. Seine kaiserliche Hoheit war also sehr ärgerlich über meinen Zustand, und eines Tages kam es ihm in den Sinn, im Beisein Leon Narischkins und anderer zu sagen:»Der Himmel weiß, woher meine Frau guter Hoffnung ist; ich bin durchaus nicht gewiß, ob dies Kind mir gehört, und ob ich es auf meine Rechnung setzen kann.«— Leon Narischkin eilte natürlich sofort zu mir, um mir diese Aeußerung brühwarm wieder zu erzählen. Selbstverständlich erschrak ich nicht wenig und erwiderte:»Ihr seid alle Einfaltspinsel. Laßt ihn doch schwören, ob er nicht mit seiner Frau geschlafen hat, und sagt ihm, wenn er den Eid geleistet, daß Ihr es sofort Alexander Schuwaloff, als Großinquisitor des Reichs, mitteilen werdet.«— Leon ging auch wirklich zu Seiner kaiserlichen Hoheit und forderte ihm den Eid ab. — »Gehen Sie zum Teufel und sprechen Sie mir nicht mehr davon!«war die Antwort des Großfürsten.
Jene unvorsichtige Aeußerung Peters verstimmte mich sehr und ich erkannte seitdem, daß ich von zwei gleich schwierigen Wegen einen besonders einschlagen müßte. Entweder mußte ich die Schicksale des Großfürsten teilen, folglich stündlich allem ausgesetzt sein, was er für oder wider mich anzuordnen beliebte, und mit ihm oder durch ihn zugrunde gehen, oder ich wandelte meine eigene, von allen Ereignissen unabhängige Bahn und rettete dadurch mich selbst, meine Kinder und vielleicht auch den Staat aus dem Schiffbruch, dessen Gefahren alle physischen und moralischen Eigenschaften des Prinzen voraussehen ließen. Das letztere schien mir das sicherste. Ich faßte also den Entschluß, ihm so viel ich konnte mit Rat und Tat zu seinem Besten zur Seite zu stehen, aber mich nie mehr wie früher zu erzürnen, wenn er meine Ratschläge nicht befolgte. Ich wollte ihm, so oft ich Gelegenheit hätte, über seine wahren Interessen die Augen öffnen, mich im übrigen aber in ernstes Schweigen hüllen. Anderseits jedoch mußte auch ich meine Interessen beim Publikum zu wahren suchen, so daß man eintretendenfalls auf mich, als die Retterin der öffentlichen Angelegenheiten, blicken konnte.
Im Oktober erhielt ich vom Großkanzler Grafen Bestuscheff die Nachricht, daß der König von Polen dem Grafen Poniatowski sein Abberufungsschreiben übersandt habe. Graf Bestuscheff hatte darüber einen heftigen Streit mit dem Grafen Brühl und dem sächsischen Kabinett. Er ärgerte sich, daß man ihn nicht wie früher vorher um Rat gefragt hatte. Zuletzt erfuhr er, daß es der Vizekanzler Graf Woronzow und Iwan Schuwaloff gewesen waren, die durch Prasse, den sächsischen Residenten, die ganze Sache durchgesetzt hatten. Dieser Prasse war außerdem über eine Menge Dinge unterrichtet, von denen man nicht begriff, woher er sie wußte. Erst viele Jahre später kam man seinen Quellen auf die Spur. Er war nämlich der sehr geheime und sehr diskrete Liebhaber der Gemahlin des Vizekanzlers, der Gräfin Anna Karlowna Woronzow, geborene Skawronski, die mit der Frau des Zeremonienmeisters Samarin äußerst befreundet war. Bei Madame Samarin trafen sich die Gräfin und Prasse häufig. Der Kanzler Bestuscheff ließ sich das Abberufungsschreiben des Grafen Poniatowski geben und schickte dasselbe unter dem Vorwande eines Formversehens wieder nach Sachsen zurück.
In der Nacht vom 8. zum 9. fing ich an, Geburtswehen zu spüren. Ich schickte daher Madame Wladislawa zum Großfürsten, sowie zum Grafen Alexander Schuwaloff, damit er Ihre kaiserliche Majestät davon benachrichtige. Nach einiger Zeit, ungefähr halb drei Uhr morgens, trat der Großfürst ein. Er kam in seiner holsteinschen Uniform, mit Stiefeln und Sporen, der Schärpe um den Leib und einem großen Degen an der Seite; kurz, in großer Toilette. Erstaunt über diesen Aufzug, fragte ich ihn, weshalb er in so ausgesuchtem Anzug erschiene, worauf er erwiderte, nur bei großen Gelegenheiten erkenne man seine wahren Freunde. In dieser Uniform sei er bereit, seiner Pflicht gemäß zu handeln, denn die Pflicht eines holsteinschen Offiziers sei, seinem Eide gemäß, das herzogliche Haus gegen alle Feinde zu verteidigen. Da ich mich nicht wohl befinde, käme er mir nun so zu Hilfe. Man hätte glauben können, er scherze, allein dies war durchaus nicht der Fall, er sprach vielmehr im vollsten Ernst. Ich bemerkte sofort, daß er betrunken war, und riet ihm, zu Bett zu gehen, damit die Kaiserin, wenn sie käme, nicht den doppelten Schmerz habe, ihn betrunken und auch noch von Kopf bis Fuß in die ihr verhaßte holsteinsche Uniform gekleidet zu sehen. Es kostete mir indes große Mühe, ihn zum Fortgehen zu bewegen, aber schließlich gelang es mir doch mit Hilfe Madame Wladislawas und der Hebamme, die versicherte, daß meine Entbindung noch nicht so bald stattfinden werde. Kaum hatte er sich entfernt, so trat die Kaiserin ein. Sie fragte nach dem Großfürsten, und man antwortete ihr, er sei eben wieder weggegangen, werde aber gewiß bald zurückkommen. Als sie sah, daß meine Schmerzen nachließen und die Hebamme erklärte, es könne noch einige Stunden dauern, entfernte auch sie sich, während ich mich in mein Bett legte und bis zum folgenden Morgen schlief. Ich stand wie gewöhnlich auf, fühlte dann und wann wohl Schmerzen, die aber später ganz verschwanden. Gegen Abend verspürte ich großen Hunger und ließ mir mein Abendessen auftragen. Als die Hebamme, die neben mir saß, sah, mit welchem Heißhunger ich aß, sagte sie:»Essen Sie, essen Sie, das ist von Vorteil für Sie. «In der Tat fühlte ich, als ich vom Tische aufstand, einen so heftigen Schmerz, daß ich einen lauten Schrei ausstieß. Die Hebamme und Madame Wladislawa hoben mich auf ein zu meiner Entbindung bestimmtes Lager und schickten zur Kaiserin, sowie zum Großfürsten. Kaum waren mein Gemahl und Ihre Majestät eingetreten, als ich von einer Tochter entbunden wurde. Es war am 9. Dezember zwischen zehn und elf Uhr abends. Ich bat die Kaiserin, mir zu erlauben, mein Töchterchen nach ihr zu nennen, allein sie entschied, es solle den Namen der ältesten Schwester Ihrer Majestät, der Herzogin von Holstein und Mutter des Großfürsten, Anna Petrowna, tragen. Der Großfürst schien über die Geburt des Kindes sehr erfreut zu sein und veranstaltete in seinen Gemächern große Festlichkeiten. Auch in Holstein ließ er solche veranstalten und nahm alle Glückwünsche, die man ihm darbrachte, mit sichtbarer Zufriedenheit entgegen. Am sechsten Tage hielt die Kaiserin selbst das Kind zur Taufe und überreichte mir eine Kabinettsordre für 60 000 Rubel. Dem Großfürsten schickte sie ebensoviel, was seine Zufriedenheit, wie man sich denken kann, bedeutend erhöhte. Nach der Taufe begannen allerorten die Festlichkeiten. Sie waren sehr schön, wie man mir sagte, ich jedoch habe nichts davon gesehen. Ich lag in meinem Bett ganz einsam und allein, ohne die geringste Gesellschaft, denn sobald ich niedergekommen war, hatte die Kaiserin nicht nur, wie das erstemal, das Kind in ihre Gemächer bringen lassen, sondern man ließ mich noch obendrein unter dem Vorwande, daß ich der Ruhe bedürfe, wie eine arme Unglückliche allein. Niemand setzte den Fuß über meine Schwelle und fragte, noch ließ fragen, wie es mir ginge. Da ich aber schon bei der Geburt meines Sohnes unter dieser gänzlichen Verlassenheit unsäglich gelitten hatte, war ich diesmal vorsichtiger gewesen, mich wenigstens gegen den unangenehmen Zugwind zu schützen. Sobald ich entbunden war, stand ich auf und legte mich in mein Bett. Und da niemand zu mir zu kommen wagte, oder höchstens ganz verstohlen, hatte ich auch dafür gesorgt, daß ich nicht immer ganz allein war. Mein Bett nahm fast die Hälfte meines ziemlich langen Schlafzimmers ein. Rechts vom Bett befanden sich zwei Fenster, und eine Tapetentür führte in eine Art Garderobe, die zugleich als Vorzimmer diente und mit Wandschirmen und Koffern verbarrikadiert war. Von meinem Bett bis zu jener Tür hatte ich eine ungeheure spanische Wand stellen lassen, die das reizendste Kabinett verbarg, das ich je besaß. In diesem kleinen Boudoir befanden sich ein Sofa, Spiegel, tragbare Tische und einige Stühle. Wenn der Vorhang meines Bettes auf dieser Seite zugezogen war, sah man gar nichts; war er offen, so sah ich das Kabinett vor mir und die darin Anwesenden; diejenigen jedoch, die ins Zimmer traten, sahen nur den Wandschirm. Und fragte man, was sich hinter diesem Schirme befände, so sagte man: der Nachtstuhl. Dieser aber befand sich im Schirm und man hätte ihn ruhig zeigen können, ohne in das Kabinett zu kommen, das der Wandschirm vollkommen verdeckte; übrigens war niemand so neugierig, ihn zu sehen.
Lustige Gesellschaft hinter einer spanischen Wand. — Der vermeintliche Musikus. — Erster Kirchgang. — Drei Hochzeiten am Hofe. — Bestuscheff fällt in Ungnade. — Seine Verhaftung setzt mich in große Bestürzung. — Beruhigendes Billett. — Geheime Korrespondenz Bestuscheffs mit Poniatowski und Stambke. — Entdeckung derselben. — Ich schwebe in Gefahr. — Stambke wird nach Deutschland zurückgeschickt. — Entlassung Poniatowskis. — Ich verbrenne alle meine Papiere. — Man meidet mich. — Meine Absicht, mich vom Großfürsten zu trennen. — Mein Brief an die Kaiserin, diese Sache betreffend. — Einige Züge meines Charakters. — Man nimmt mir auch Madame Wladislawa. — Traurige Stunden. — Die Beichte, mein einziger Trost. — Der Großfürst gedenkt Elisabeth Woronzow zu heiraten.
Am 1. Januar 1759 endigten die Hoffeste mit einem sehr großen Feuerwerk, das zwischen dem Ball und der Tafel stattfand. Da ich indes immer noch Wöchnerin war, erschien ich nicht bei Hofe. Vor dem Feuerwerke indes fiel es dem Grafen Peter Schuwaloff ein, mir den Plan des Feuerwerks zu zeigen. Er kam deshalb zu mir, allein Madame Wladislawa sagte ihm, ich schliefe. Auf sein Bitten jedoch versprach sie, nachzusehen, ob ich inzwischen erwacht sei. Es war natürlich nicht wahr, daß ich schlief; ich lag nur im Bett und hatte meine kleine Gesellschaft, die damals immer noch aus den Damen Narischkin, Siniawin, Ismailoff und dem Grafen Poniatowski bestand, bei mir. Letzterer meldete sich seit seiner Zurückberufung krank, kam aber trotzdem nach wie vor zu mir, und die erwähnten Damen hatten mich gern genug, um meine Gesellschaft den Bällen und Festlichkeiten vorzuziehen. Madame Wladislawa wußte zwar nicht genau, wer bei mir war, aber sie hatte eine zu feine Nase, um nicht zu vermuten, daß irgend jemand da war. Am Morgen hatte ich ihr gesagt, daß ich mich aus Langeweile zu Bett legen werde, und dann kam sie den ganzen Tag nicht herein. Nach der Ankunft des Grafen Schuwaloff im Vorzimmer klopfte sie an meine Tür. Schnell zog ich meinen Vorhang, der das kleine Kabinett verdeckte zu und hieß sie eintreten. Sie richtete mir die Botschaft des Grafen Peter Schuwaloff aus, worauf ich ihr sagte, sie solle ihn nur hereinführen. Sie ging, ihn zu holen, während meine Leute hinter ihrem Wandschirm bald platzten vor Lachen über die unglaubliche Extravaganz dieser Szene, daß ich den Grafen Peter Schuwaloff empfangen wollte, der schwören konnte, mich allein in meinem Bett angetroffen zu haben. Und dennoch trennte nur ein Vorhang meine kleine lustige Gesellschaft von dieser so wichtigen Person, dem damaligen Orakel des Hofes und intimen Vertrauten der Kaiserin. Schließlich trat er ein. Er brachte mir seinen kunstvoll angelegten Feuerwerksplan, denn er war zu jener Zeit Großfeuerwerksmeister. Ich bat ihn vielmals um Entschuldigung, daß ich ihn hätte warten lassen, aber ich sei soeben erst erwacht. Dabei rieb ich mir die Augen, als wäre ich noch ganz im Schlaf. Ich log, um Madame Wladislawa nicht einer Lüge zu zeihen. Darauf hatte ich eine ziemlich lange Unterredung mit ihm, so daß er sich am Schluß fast beeilen mußte, um die Kaiserin nicht auf den Anfang des Feuerwerks warten zu lassen. Ich verabschiedete ihn also, und er ging. Sofort öffnete ich den Vorhang wieder. Inzwischen aber hatte meine Gesellschaft vor lauter Lachen Hunger und Durst bekommen, weshalb ich ihnen sagte:»Gut, ihr sollt zu essen und zu trinken haben, denn es ist nur recht und billig, daß ich euch nicht, während ihr mir Gesellschaft leistet, vor Hunger und Durst sterben lasse. «Ich zog also von neuem meinen Vorhang zu und klingelte. Madame Wladislawa erschien. Ich bat sie, mir ein Souper bringen zu lassen, aber es müßten wenigstens sechs gute Gerichte dabei sein, denn ich stürbe vor Hunger. Als das Essen aufgetragen wurde, ließ ich alles neben mein Bett stellen und befahl dem Diener, sich zu entfernen. Nun stürzten meine Leute wie die hungrigen Wölfe hinter ihrem Verstecke vor, um zu essen, was sie fanden, und die Heiterkeit vermehrte noch den Appetit. Ich gestehe, daß dieser Abend einer der tollsten und lustigsten war, die ich je erlebt. Als wir fertig waren mit Essen, ließ ich alles auf dieselbe Weise wieder wegschaffen. Ich glaube aber, die Diener waren doch ein wenig über meinen Appetit überrascht und erstaunt. Als der Hofball seinem Ende zuging, entfernte sich auch meine Gesellschaft, sehr befriedigt von unserer Soiree. Graf Poniatowski setzte beim Fortgehen stets eine blonde Perücke auf, hüllte sich in seinen Mantel, und wenn die Wachen ihn fragten:»Wer da?«nannte er den Namen eines Hofmusikers des Großfürsten. Die Perücke gab uns an jenem Tage besonders viel Stoff zum Lachen.
Mein erster Kirchgang nach den sechs Wochen fand diesmal in der Kapelle der Kaiserin statt; allein mit Ausnahme Alexander Schuwaloffs war niemand zugegen.
Ungefähr am Schluß des Karnevals, nachdem alle Festlichkeiten in der Stadt zu Ende waren, wurden bei Hofe drei Hochzeiten gefeiert: die des Grafen Alexander Stroganoffs mit der Gräfin Anna Woronzow, der Tochter des Vizekanzlers, die Leon Narischkins mit Fräulein Sakreffski, und an demselben Tage die Hochzeit des Grafen Buturlin mit Gräfin Maria Woronzow. Diese drei jungen Mädchen waren Ehrendamen der Kaiserin. Bei Gelegenheit ihrer Vermählung machten der Hetmann Graf Razumowski und der dänische Gesandte Graf von Osten eine Wette, wer von den drei Ehemännern zuerst zum Hahnrei gemacht werden würde. Und es fand sich, daß die, welche gewettet hatten, Stroganoff werde es sein, — dessen Gemahlin die häßlichste und damals die unschuldigste und kindlichste zu sein schien, — die Wette gewannen.
Der Tag vor der Vermählung Leon Narischkins und Buturlins war ein Unglückstag. Schon lange flüsterte man sich zu, daß das Ansehen des Großkanzlers Grafen Bestuscheff im Wanken begriffen wäre und seine Feinde die Oberhand gewännen. Er hatte seinen Freund, den General Apraxin, verloren; Graf Razumowski, der ältere, hatte ihn zwar lange gestützt, allein seitdem die Gunst der Schuwaloffs überwog, mischte er sich nur noch in die Geschäfte, wenn es galt, für seine Freunde oder Verwandten eine kleine Gnade zu erlangen. Die Schuwaloffs und Woronzows wurden in ihrem Hasse gegen den Großkanzler noch durch den österreichischen und den französischen Gesandten, den Grafen Esterhazy und den Marschall de L'Hôpital, bestärkt. Der letztere sah, daß Graf Bestuscheff sich mehr zur Allianz Rußlands mit England, als zu der mit Frankreich neigte, und der österreichische Gesandte kabalierte gegen Bestuscheff, weil der Großkanzler zwar wollte, daß Rußland an seinem Allianzvertrage mit dem Wiener Hofe festhalte und Maria Theresia Hilfe leiste, hingegen nicht wünschte, daß es in erster Linie kriegführend gegen Preußen auftrete. Bestuscheff dachte als Patriot und war nicht leicht zu lenken, während die Herren Woronzow und Iwan Schuwaloff sich ganz in die Hände der Gesandten gegeben hatten. Vierzehn Tage, ehe der Großkanzler Graf Bestuscheff in Ungnade fiel, kam der Marquis de L'Hôpital mit einer Depesche in der Hand zum Vizekanzler Woronzow und sagte ihm:»Herr Graf, diese Depesche habe ich soeben von meinem Hofe empfangen. Es heißt darin, daß, wenn binnen vierzehn Tagen der Großkanzler Ihnen seine Stelle nicht abtritt, ich mich ferner nur an ihn wenden und nur noch mit ihm die Geschäfte unterhandeln soll!«Das zündete! Sofort begab sich der Vizekanzler zu Iwan Schuwaloff, und man stellte der Kaiserin vor, ihr Ruhm leide unter dem Ansehen des Grafen Bestuscheff in Europa. Sie gab Befehl, noch am nämlichen Abend eine Konferenz zu halten, bei der der Großkanzler zugegen sein sollte. Er ließ sich krank melden. Man nannte jedoch diese Krankheit Ungehorsam und befahl ihm, er solle ohne Verzug erscheinen. Er kam und wurde mitten in der Konferenz verhaftet. Man nahm ihm seine Aemter, seine Würden und Orden, ohne daß irgend jemand anzugeben vermochte, wegen welcher Verbrechen oder Frevel man die erste Persönlichkeit des Reiches auf eine solche Weise beraubte, und schickte ihn als Gefangenen auf seine Güter. Als die Kompagnie Gardegrenadiere, die man schon im voraus hatte kommen lassen, durch die Moika marschierte, wo die Häuser der Grafen Alexander und Peter Schuwaloff lagen, sagten die Soldaten:»Gott sei Dank, wir sollen diese verfluchten Schuwaloffs verhaften, die weiter nichts tun, als Monopole einführen. «Aber als sie schließlich sahen, daß es sich um Graf Bestuscheff handelte, drückten sie ihr Mißfallen durch die Worte aus:»Nicht er, sondern die andern unterdrücken das Volk.«
Obgleich Graf Bestuscheff in demselben Palaste verhaftet worden war, dessen einen Flügel wir bewohnten, und zwar gar nicht weit von unsern Gemächern, so erfuhren wir doch an jenem Abend nicht das geringste davon; so sorgfältig suchte man uns alles, was vorging, zu verbergen. Tags darauf — es war ein Sonntag — erhielt ich durch Leon Narischkin ein Billett, das Graf Poniatowski, der schon längere Zeit mit Mißtrauen betrachtet wurde, mir auf diesem Wege zugehen ließ. Es begann folgendermaßen:»Der Mensch ist nie ohne Hilfsquellen. Ich bediene mich dieses Weges, um Sie zu benachrichtigen, daß gestern abend Graf Bestuscheff verhaftet und seiner Würden beraubt worden ist, und zugleich mit ihm Ihr Juwelier Bernardi, Telekin und Abaduroff.«— Ich fiel wie aus den Wolken, als ich diese Zeilen las, und sagte mir, ich dürfe mir durchaus nicht schmeicheln, daß diese Angelegenheit für mich selbst von so geringer Bedeutung sein würde, als es momentan den Anschein hatte. Um dies indes verständlich zu machen, ist folgender Kommentar nötig. Bernardi war ein italienischer Juwelier, dem es nicht an Geist fehlte, und dem sein Beruf Zutritt in die vornehmsten Häuser verschaffte. Ich glaube, es gab kein einziges, das ihm nicht etwas schuldig war, und dem er nicht diesen oder jenen kleinen Dienst erwiesen hatte. Da er beständig überall aus- und einging, beauftragte man ihn auch zuweilen mit Bestellungen an andere, denn ein durch Bernardi geschickter Brief kam schneller und sicherer an, als wenn man ihn durch einen Bedienten beförderte. Nun setzte plötzlich Bernardis Verhaftung die ganze Stadt in Aufregung, denn alle hatten ihm Aufträge gegeben, ich selbst nicht ausgenommen. Telekin war früherer Adjutant des Oberjägermeisters Razumowski gewesen und hatte die Vormundschaft Beketoffs geleitet. Er war dem Hause Razumowski ergeben geblieben und der Freund Poniatowskis geworden. Ueberdies war er ein erprobter, rechtschaffener Mann, dessen Zuneigung man nicht leicht verlor, wenn man sie einmal besaß. Für mich hatte er stets besonderen Eifer und große Ergebenheit gezeigt. Abaduroff war früher mein Lehrer im Russischen gewesen und mir sehr ergeben geblieben. Ich hatte ihn dem Grafen Bestuscheff empfohlen, doch schenkte ihm dieser erst nach zwei oder drei Jahren sein volles Vertrauen. Er war vorher nicht günstig gegen ihn gestimmt, weil Abaduroff zur Partei des Oberstaatsanwaltes Fürst Nikita Juriewitsch Trubetzkoi gehörte, der Bestuscheffs Feind war.
Nach der Lektüre des Briefes und den Betrachtungen, die ich darüber aufstellte, drängten sich eine Menge Gedanken, immer einer unangenehmer als der andere, meinem Geiste auf. Sozusagen mit dem Dolche im Herzen kleidete ich mich an und ging zur Messe. Es kam mir vor, als ob die Gesichter aller, die ich dort sah, ebenso lang geworden wären, als das meinige. Niemand sprach mit mir über das Ereignis auch nur ein Wort — es war, als wisse man von dem Geschehenen nichts. Auch ich sagte den ganzen Tag über nichts. Nur der Großfürst, der den Grafen Bestuscheff nie leiden mochte, erschien mir an jenem Tage besonders vergnügt und heiter, hielt sich aber — was ihm ja nicht schwer fiel — nichtsdestoweniger mit großer Ostentation von mir fern. Am Abend hieß es dennoch zur Hochzeitsfeier gehen. Ich kleidete mich um und war bei der Einsegnung der beiden Ehen Graf Buturlins und Leon Narischkins, sowie beim Souper und Ball zugegen. Während des letzteren näherte ich mich dem Heiratsmarschall Fürsten Nikita Trubetzkoi, und unter dem Vorwande, die schönen Bänder seines Marschallstabes zu besehen, sagte ich mit halblauter Stimme zu ihm:»Was bedeuten alle diese Sachen? Haben Sie mehr Verbrechen als Verbrecher, oder mehr Verbrecher als Verbrechen gefunden?«Hierauf entgegnete er:»Wir haben getan, was man uns befohlen hat, was aber die Verbrechen betrifft, so sucht man noch nach ihnen. Bis jetzt sind die Schritte, die man getan, nicht vom Glücke gekrönt gewesen. «Nachdem ich mit ihm fertig war, ging ich zum Marschall Buturlin, der mir sagte:»Bestuscheff ist verhaftet, doch suchen wir augenblicklich noch nach der Ursache seiner Verhaftung.«— So redeten die beiden Kommissare, die von der Kaiserin ernannt worden waren, um zu untersuchen, weshalb Graf Alexander Schuwaloff den Grafen Bestuscheff verhaftet hatte.
Auf diesem Balle sah ich auch Stambke von weitem und fand ihn sehr leidend und entmutigt aussehend. Die Kaiserin erschien auf keiner dieser Hochzeiten, weder in der Kirche noch bei den Festlichkeiten. Am folgenden Tag kam Stambke zu mir, um mir zu sagen, daß er vom Grafen Bestuscheff ein Billett erhalten, worin dieser ihm eingeschärft hätte, mir zu sagen, ich solle mich nicht über das Vorgefallene ängstigen, denn er habe Zeit gefunden, alles zu verbrennen, und werde mir über seine Verhöre, wenn er überhaupt verhört werden sollte, auf demselben Wege Mitteilung machen. Als ich Stambke fragte, wie dies geschehe, erwiderte er, ein Waldhornbläser des Grafen habe ihm den Zettel überbracht, und man sei übereingekommen, in Zukunft alle Mitteilungen zwischen Ziegelsteinen an einem nicht weit vom Hause Bestuscheffs befindlichen Orte niederzulegen. Obwohl er selbst in der größten Angst zu sein schien, forderte ich Stambke auf, sich in acht zu nehmen, daß diese gefährliche Korrespondenz nicht etwa entdeckt werde. Nichtsdestoweniger setzten er und Graf Poniatowski sie fort. Als Stambke fort war, rief ich Madame Wladislawa und trug ihr auf, ihrem Schwager Pugowoschnikoff ein Billett zu überbringen, das ich ihr einhändigte. Es enthielt nichts als folgende Worte:»Fürchten Sie nichts; man hat Zeit gefunden, alles zu verbrennen!«Dies beruhigte ihn, denn allem Anschein nach mußte er nach Graf Bestuscheffs Verhaftung mehr tot als lebendig sein, und man wird begreifen, weshalb, wenn man weiß, was Graf Bestuscheff Zeit gehabt hatte, zu verbrennen.
Die Kränklichkeit und häufigen Krämpfe der Kaiserin richteten aller Augen natürlicherweise auf die Zukunft. Und Graf Bestuscheff war, wie sich bei seiner Stellung und seinen Geistesfähigkeiten denken läßt, sicherlich nicht der letzte, der darüber nachgedacht hatte. Er kannte die Abneigung, welche man dem Großfürsten schon seit langer Zeit gegen ihn eingeflößt hatte, kannte aber auch die geringen Geistesgaben des Prinzen, des Erben so vieler Kronen. Es ist daher natürlich, daß dieser Staatsmann, wie es jeder andere übrigens auch getan haben würde, sich in seiner Stellung zu behaupten wünschte. Seit einigen Jahren hatte sich meine Meinung über ihn zu seinen Gunsten geändert, und außerdem betrachtete er mich vielleicht als die einzige Persönlichkeit, auf die man in dieser Zeit, für den Fall, daß die Kaiserin starb, die Hoffnung des Reiches gründen könne. Diese und andere ähnliche Betrachtungen hatten ihn zu der Absicht gebracht, beim Ableben der Kaiserin den Großfürsten zum rechtmäßigen Herrscher, aber gleichzeitig mich zur Teilnehmerin an der Regierung erklären zu lassen. Ferner sollten alle Aemter in den Händen derselben Personen bleiben, ihm indes die Stelle eines Generalleutnants über vier Garderegimenter und die Präsidentschaft der drei Reichskollegien, der auswärtigen Angelegenheiten, des Krieges und der Admiralität übertragen werden. Seine Ansprüche waren, wie man sieht, ein wenig übertrieben. Den Entwurf dieses Manifestes, den Pugowoschnikoff eigenhändig geschrieben, hatte er mir durch den Grafen Poniatowski geschickt, mit dem ich übereingekommen war, ihm mündlich für seine guten Absichten gegen mich zu danken. Zugleich aber wollte ich ihm erklären, daß ich die Ausführung seines Planes für sehr schwierig halte. Er hatte seinen Entwurf mehrmals schreiben und wieder abschreiben lassen, hatte ihn geändert, erweitert oder gekürzt und schien sehr damit beschäftigt. Wenn ich aber die Wahrheit sagen soll, so betrachtete ich seinen Plan als eine Art Faselei, eine Lockspeise, die der Alte mir hinhielt, um sich meiner Zuneigung zu vergewissern. Allein ich biß nicht an, weil ich in diesem Plane eine Gefahr für das Reich erblickte, das durch jeden Streit zwischen mir und meinem Gemahl, der mich ohnedies nicht liebte, zersplittert worden wäre. Da indes bis jetzt ein solcher Fall noch nicht eingetreten war, wollte ich einem alten Manne nicht widersprechen, der, wenn er sich einmal eine Sache in den Kopf gesetzt hatte, äußerst hartnäckig und steif dabei verharrte. Sein Plan also war es, den er Zeit gehabt hatte, zu verbrennen, und er benachrichtigte mich davon, um die, welche darum wußten, zu beruhigen. Inzwischen kam mein Kammerdiener Skurin, um mir zu sagen, daß der Kapitän, der den Grafen Bestuscheff bewachte, ein alter Bekannter von ihm wäre und jeden Sonntag bei ihm zu Mittag speise. Wenn die Sache so wäre, sagte ich ihm, und er auf ihn rechnen könne, so solle er doch versuchen, ihn auszufragen, um zu sehen, ob er sich zu einem Einverständnis mit seinem Gefangenen hergeben werde. Dies war um so nötiger, als Graf Bestuscheff Stambke mitgeteilt hatte, man möchte Bernardi dringend empfehlen, im Verhör die reine Wahrheit zu sprechen und alles zu sagen, worüber man ihn befragen werde. Als ich erfuhr, daß Skurin es gern auf sich nehmen wollte, Mittel ausfindig zu machen, um mit dem Grafen Bestuscheff in Verbindung zu treten, sagte ich ihm, er möchte gleichfalls versuchen, mit Bernardi in Berührung zu kommen und zusehen, ob er nicht den Sergeanten oder Soldaten, der ihn in seiner Wohnung bewachte, gewinnen könne. Noch am selben Tage gegen Abend sagte mir Skurin, Bernardi sei von einem Sergeanten der Garde namens Kalischkin bewacht, und er würde morgen mit ihm eine Zusammenkunft haben. Außerdem habe er zu seinem Freunde, dem Kapitän, geschickt, um ihn zu fragen, ob er den Grafen Bestuscheff für einen Augenblick sehen könne. Allein dieser hatte ihm geantwortet, wenn er mit ihm sprechen wollte, sollte er zu ihm kommen. Einer der Unterbeamten indes, den Skurin ebenfalls kannte, und der gleichzeitig ein Verwandter von ihm war, hatte ihm geraten, nicht hinzugehen, weil, sobald er hinkäme, der Kapitän ihn verhaften ließe und sich dies als Verdienst anrechnen würde, dessen er sich schon im geheimen rühmte. Skurin schickte also nicht mehr zum Kapitän, seinem vorgeblichen Freund, dafür aber sagte Kalischkin, den ich in meinem Namen mit ins Vertrauen zu ziehen befahl, Bernardi alles, was man nur wünschte. Uebrigens sollte er nichts als die reine Wahrheit sagen, wozu sich auch beide von ganzem Herzen verstanden.
Nach einigen Tagen kam Stambke eines Morgens sehr früh ganz blaß und entstellt zu mir, um mir mitzuteilen, daß seine Korrespondenz mit dem Grafen Bestuscheff entdeckt worden wäre. Der Waldhornbläser sei verhaftet und allem Anscheine nach hätten ihre letzten Briefe das Unglück gehabt, in die Hände der Wächter des Grafen Bestuscheff zu fallen. Er selbst sei jeden Augenblick gewärtig, des Landes verwiesen, wenn nicht verhaftet zu werden; er wäre nur zu mir gekommen, um mir dies zu sagen und Abschied von mir zu nehmen. Mir war durchaus nicht behaglich zumute, als ich solches hörte, doch tröstete ich ihn, so gut ich konnte, und entließ ihn, überzeugt, daß sein Besuch womöglich die schlechte Stimmung gegen mich noch steigern und daß man mich vielleicht von nun an als eine der Regierung verdächtige Person meiden werde. Aber ich war mir ja selbst vollkommen bewußt, daß ich mir der Regierung gegenüber nicht das geringste vorzuwerfen hatte. Das Publikum im allgemeinen, ausgenommen Michael Woronzow, Iwan Schuwaloff, die beiden Gesandten von Wien und Versailles, sowie diejenigen, die ihnen glaubten, kurz, jedermann in Petersburg, hoch und niedrig, war davon überzeugt, daß Bestuscheff unschuldig war und man ihm weder ein Vergehen noch ein Verbrechen zur Last legen konnte. Man wußte, daß man am Tage vor dem Abende seiner Verhaftung im Zimmer Iwan Schuwaloffs an einem Manifeste gearbeitet hatte, das Herr Wolkoff schreiben mußte. Dieser Herr Wolkoff war früher Bestuscheffs erster Kommissar gewesen, hatte im Jahre 1755 die Flucht ergriffen, sich aber, nachdem er hilflos in den russischen Wäldern herumgeirrt war, fangen lassen und diente nun der Konferenz als Sekretär. Das von ihm geschriebene Manifest wollte man veröffentlichen, um das Publikum von den Ursachen in Kenntnis zu setzen, welche die Kaiserin veranlaßten, mit dem Großkanzler so zu verfahren, wie sie es getan. Jenes geheime Konventikel nun, das sich den Kopf zerbrach beim Suchen nach Vergehen, kam schließlich überein, zu sagen, daß man Bestuscheff wegen Hochverrats verhaftet habe und weil er versucht habe, Zwietracht zwischen Ihrer kaiserlichen Majestät und Ihren kaiserlichen Hoheiten zu säen. Ohne Verhör oder Urteil wollte man ihn am Tage nach seiner Verhaftung auf eines seiner Güter verweisen und ihm sein ganzes Vermögen konfiszieren. Einige darunter fanden es indes doch zu gewagt, jemand ohne irgend eine Ursache und Urteilsspruch zu verbannen und meinten, man müßte wenigstens nach Delikten suchen, denn sie hatten immer noch die Hoffnung, solche zu finden. Wenn man aber keine ausfindig machen könnte, dann müßte der Gefangene, der, ohne daß man wußte weshalb, seiner Aemter, Würden und Orden beraubt war, wenigstens einem Urteile der Kommissare unterworfen werden. Nun waren diese Kommissare, wie bereits bemerkt: Marschall Buturlin, Oberstaatsanwalt Fürst Trubetzkoi, General Graf Alexander Schuwaloff und der Sekretär Wolkoff. Das erste, was sie taten, war, den Gesandten, Bevollmächtigten und Beamten Rußlands an den fremden Höfen durch das Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten zu befehlen, Kopien der Depeschen nach Rußland zu schicken, die Graf Bestuscheff an sie geschrieben hatte, als er sich an der Spitze der Angelegenheiten befand. Dies geschah nur, um in den Depeschen eventuell die gewünschten Vergehen zu finden. Man sagte nämlich, er habe stets geschrieben, was er wollte, und dazu Dinge, die dem Befehle und Willen Ihrer Majestät zuwiderliefen. Da aber Ihre Majestät weder etwas schrieb noch unterzeichnete, war es schwer, ihren Befehlen zuwider zu handeln; und was die mündlichen betraf, so war sie kaum imstande, dem Großkanzler solche zu geben, da sie ganze Jahre lang keine Gelegenheit hatte, ihn zu sehen. Uebrigens konnten ein Drittel der mündlichen Befehle, wenn man es genau nehmen wollte, mißverstanden und schlecht wiedergegeben, oder schlecht empfangen und begriffen worden sein. Doch die Kommissare hatten mit ihrem Vorgehen keinen Erfolg, denn keiner von den Beamten im Ausland gab sich die Mühe, seine Archive auf zwanzig Jahre hin durchzusuchen und abzuschreiben, um Verbrechen eines Mannes darin zu entdecken, dessen Instruktionen und Anordnungen sie selbst befolgt hatten, so daß sie gleichfalls in alles hätten verwickelt werden können, was man etwa Tadelnswertes darin fand. Außerdem hätte die bloße Sendung solcher Archive dem Staate beträchtliche Kosten verursacht, und in Petersburg angelangt, würden sie für eine Reihe von Jahren die Geduld vieler Personen erschöpft haben, die sich hätten bemühen müssen, etwas darin zu entdecken und zu entwirren, was noch dazu vielleicht gar nicht einmal darin zu finden war. Dieser Befehl wurde also niemals ausgeführt. Schließlich wurde die ganze Sache langweilig, und man beendete sie endlich nach Ablauf eines Jahres mit der Veröffentlichung des Manifestes, dessen Abfassung man am Tage vor der Verhaftung des Großkanzlers begonnen hatte.
Am Nachmittag desselben Tages, an dem Stambke zu mir gekommen war, ließ die Kaiserin dem Großfürsten sagen, er solle Stambke nach Holstein schicken, da man sein Einverständnis mit Bestuscheff entdeckt hätte. Er verdiene zwar, verhaftet und verbannt zu werden, allein aus Rücksicht für Seine kaiserliche Hoheit, deren Minister er gewesen, wolle man ihm die Freiheit schenken, unter der Bedingung, daß er sofort entlassen würde. Stambke wurde unverzüglich weggeschickt, und mit seiner Abreise endete auch meine Führung der holsteinschen Geschäfte. Man gab dem Großfürsten zu verstehen, es sei der Kaiserin nicht angenehm, wenn ich mich hineinmische, und Seine kaiserliche Hoheit war so ziemlich derselben Meinung. Ich erinnere mich indes nicht genau, wen er an Stambkes Stelle ernannte, doch ich glaube, es war ein gewisser Wolf.
Damals verlangte das Ministerium der Kaiserin förmlich vom Könige von Polen die Abberufung des Grafen Poniatowski, von dem man ein Billett an den Grafen Bestuscheff — freilich nur ein sehr harmloses, aber immerhin eins an einen vorgeblichen Staatsgefangenen — aufgefunden hatte. Als ich die Entlassung Stambkes und die Abberufung Pioniatowskis erfuhr, bereitete ich mich auf nichts Gutes vor und verhielt mich folgendermaßen. Zuerst rief ich meinen Kammerdiener Skurin und befahl ihm, alle meine Rechnungsbücher, sowie das geringste, was unter meinen Sachen den Anschein eines Papieres haben konnte, zusammenzusuchen und mir zu bringen. Er führte meine Befehle pünktlichst und mit großer Genauigkeit aus. Als alles in meinem Zimmer war, schickte ich ihn fort. Darauf warf ich alles ins Feuer, rief, als die Papiere halb verbrannt waren, Skurin zurück und sagte ihm:»Hier, überzeuge dich, daß alle meine Papiere und Rechnungen verbrannt sind, damit, wenn man dich jemals danach fragen sollte, du schwören kannst, daß du gesehen hast, wie ich sie alle verbrannt habe. «Er dankte mir für mein Vertrauen gegen ihn und teilte mir nachher mit, daß in der Bewachung der Gefangenen eine eigentümliche Veränderung stattgefunden habe. Seit der Entdeckung von Stambkes Korrespondenz mit Graf Bestuscheff ließ man diesen schärfer beobachten, und hatte zu diesem Zwecke den Unteroffizier Kalischkin von Bernardi entfernt und in das Zimmer des ehemaligen Großkanzlers postiert. Sobald dies geschehen, hatte Kalischkin darum gebeten, ihm einen Teil derselben erprobten Soldaten zuzuteilen, die er bei Bernardis Bewachung gehabt hatte. Auf diese Weise gelangte der sicherste und einsichtsvollste Mensch, den wir, Skurin und ich, besaßen, ins Zimmer des Grafen Bestuscheff, der ebenfalls nicht aller Verbindung mit Bernardi entblößt war.