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Während der letzten Tage des Karnevals sollte eine russische Komödie im Hoftheater aufgeführt werden. Graf Poniatowski ließ mich bitten, dorthin zu kommen, weil sich nämlich das Gerücht zu verbreiten begann, daß man meine Entfernung vorbereitete und mich verhinderte, öffentlich zu erscheinen, und was weiß ich noch mehr. Kurz, jedesmal, wenn ich nicht im Schauspiel oder bei Hofe erschiene, suchten alle, entweder aus Neugierde oder aus Interesse für mich, die Ursache zu erfahren. Ich wußte, daß die russische Komödie eins von den Dingen war, die Seiner kaiserlichen Hoheit am wenigsten gefielen, und schon das bloße Aussprechen der Absicht, hinzugehen, mißfiel ihm. Allein diesmal verband der Großfürst mit seinem Widerwillen gegen die Nationalkomödie noch einen andern Grund des kleinen persönlichen Interesses. Er empfing nämlich damals die Gräfin Elisabeth Woronzow noch nicht in seinem Zimmer, sondern unterhielt sich, da sie sich mit den Ehrendamen im Vorzimmer aufhielt, dort mit ihr, oder sie spielten zusammen. Ging ich indes ins Schauspiel, so mußten meine Damen mich selbstverständlich begleiten, was Seiner kaiserlichen Hoheit sehr unbequem war, denn es gab dann keinen andern Ausweg für ihn, als in seinem Zimmer zu zechen. Ohne Rücksicht auf seine Wünsche zu nehmen, ließ ich, da ich mein Wort gegeben, Graf Alexander Schuwaloff bitten, meine Wagen zu bestellen, denn ich wollte unbedingt an jenem Tage ins Theater gehen. Graf Schuwaloff kam und teilte mir mit, daß meine Absicht, die Komödie zu besuchen, dem Großfürsten aufs höchste mißfalle. Ich erwiderte ihm, da ich nicht das Vergnügen hätte, dem Großfürsten für gewöhnlich Gesellschaft zu leisten, dächte ich, es müsse ihm gleichgültig sein, ob ich allein in meinem Zimmer oder in meiner Loge im Theater säße. Er entfernte sich, indem er mit dem Auge blinzelte, was er stets tat, wenn ihm etwas mißfiel. Kurz darauf kam der Großfürst in großer Aufregung in mein Zimmer, kreischte wie ein Adler und schrie, es mache mir wohl Spaß, ihn in Wut zu versetzen, und ich habe mir nur vorgenommen, in die Komödie zu gehen, weil ich genau wisse, er liebe diese Aufführungen nicht. Ich hingegen bemerkte ihm ruhig, daß er sie mit Unrecht haßte, worauf er erwiderte, er werde verbieten, mir einen Wagen zu geben.»Nun, dann gehe ich eben zu Fuß, «entgegnete ich. Ich könne mir vorstellen, was für ein Vergnügen es ihm mache, mich in meinem Zimmer allein mit meinem Hund und meinem Papagei vor Langeweile sterben zu lassen. Nachdem wir lange miteinander heftig gestritten und laut gesprochen hatten, entfernte er sich zorniger als je, während ich darauf bestand, ins Theater zu gehen. Kurz vor Beginn des Schauspiels ließ ich Graf Schuwaloff fragen, ob die Wagen bereit wären. Er kam und sagte mir, der Großfürst hätte verboten, sie für mich anspannen zu lassen. Bei diesen Worten konnte ich meinen Aerger nicht mehr zurückhalten und sagte, ich würde zu Fuß gehen. Falls man den Damen und Herren aber verbieten sollte, mir zu folgen, würde ich mich allein hinbegeben und mich außerdem schriftlich bei der Kaiserin sowohl über den Großfürsten als über ihn beschweren. Darauf fragte er:»Was wollen Sie ihr sagen?«—»Ich werde ihr sagen, auf welche Weise man mich behandelt, und daß Sie, um dem Großfürsten eine Zusammenkunft mit meinen Ehrendamen zu verschaffen, ihn darin bestärken, mich an dem Besuch des Theaters zu verhindern, wo ich das Glück genießen kann, Ihre kaiserliche Majestät zu sehen. Außerdem werde ich die Kaiserin bitten, mich zu meiner Mutter zurückkehren zu lassen, weil ich es müde bin, allein und verlassen in meinem Zimmer, gehaßt vom Großfürsten und nicht eben geliebt von ihr, mein Leben zu verbringen. Mich verlangt nur nach Ruhe, und ich will niemand mehr zur Last fallen, noch auch alle die, die sich mir nähern, ins Unglück stürzen; besonders die bedauernswerten Leute meiner Umgebung nicht, von denen so viele verbannt worden sind, einzig und allein, weil ich ihnen wohlwollte oder Gutes tat. Und wissen Sie, daß ich unverzüglich an Ihre kaiserliche Majestät schreiben und Sorge tragen werde, daß Sie selbst ihr meinen Brief überbringen?«— Der entschiedene Ton, den ich annahm, erschreckte ihn, und er ging hinaus, während ich meinen Brief an die Kaiserin zu schreiben begann. Ich tat dies in russischer Sprache, und zwar so pathetisch wie möglich. Zuerst bedankte ich mich für all die Freundlichkeiten und Gnadenerweisungen, mit denen sie mich seit meiner Ankunft in Rußland überhäuft hatte und fügte hinzu, der Stand der Dinge beweise leider, daß ich dieselben nicht verdient, weil ich mir den Haß des Großfürsten, sowie die entschiedene Ungnade Ihrer kaiserlichen Majestät zugezogen habe. Im Hinblick auf mein Unglück und meine Gefangenschaft in meinem Zimmer, wo man mich selbst des unschuldigsten Zeitvertreibes beraube, bat ich sie inständig, meinen Leiden ein Ende zu machen, indem sie mich auf die ihr am passendsten scheinende Art zu meinen Verwandten zurückschicke. Was meine Kinder beträfe, die ich fast nie zu sehen bekäme, obgleich ich mit ihnen in ein und demselben Hause wohne, so bliebe es sich doch ganz gleich, ob ich an demselben Orte wäre, wo sie sich befänden, oder ein paar hundert Meilen von ihnen entfernt. Ich wisse ja, daß sie ihnen eine Sorgfalt widme, die ihnen angedeihen zu lassen meine schwachen Kräfte weit übersteigen würde. Ich wage sie daher zu bitten, ihnen diese Sorgfalt auch ferner zu bewahren, und in diesem Vertrauen würde ich den Rest meiner Tage bei meinen Angehörigen damit verbringen, für sie, den Großfürsten, meine Kinder, überhaupt für alle, die mir Gutes oder Böses getan, zu Gott zu beten. Aber meine Gesundheit sei durch den Kummer so zerrüttet, daß ich alles, was in meiner Macht stehe, tun müsse, um wenigstens mein Leben zu retten. Und zu diesem Zwecke wende ich mich an sie, mir zu erlauben, zuerst die Bäder zu benutzen und dann in meine Heimat zurückkehren zu dürfen.
Nach Beendigung dieses Briefes ließ ich den Grafen Schuwaloff rufen, der mir beim Eintreten meldete, daß die gewünschten Wagen bereit stünden. Ich erklärte ihm, indem ich ihm meinen Brief an die Kaiserin übergab, er könne den Damen und Herren, die mich nicht ins Theater begleiten wollten, sagen, daß ich sie davon dispensiere. Graf Schuwaloff empfing meinen Brief mit Augenblinzeln; da er indes an Ihre Majestät gerichtet war, mußte er ihn wohl oder übel annehmen. Er übermittelte auch den Damen und Herren meiner Umgebung meine Worte, und Seine kaiserliche Hoheit selbst entschied, wer mit mir gehen und wer bei ihm bleiben sollte. Als ich später durchs Vorzimmer ging, fand ich Seine kaiserliche Hoheit mit der Gräfin Woronzow beim Kartenspiel in einer Ecke sitzen. Er, sowie sie erhoben sich, als sie mich kommen sahen, was Peter sonst nie zu tun pflegte. Ich erwiderte ihren Gruß mit einer tiefen Verbeugung und ging vorüber. Darauf begab ich mich in die Komödie, in welcher die Kaiserin an diesem Tage nicht zugegen war; ich glaube, mein Brief hatte sie davon abgehalten.
Aus dem Theater zurückgekehrt, hörte ich von Graf Schuwaloff, daß Ihre kaiserliche Majestät selbst eine Unterredung mit mir wünschte. Augenscheinlich benachrichtigte Schuwaloff sofort den Großfürsten sowohl von meinem Briefe, als von der Antwort der Kaiserin, denn obwohl Peter sich seit jenem Tage nicht mehr bei mir sehen ließ, tat er doch alles, um bei der Unterredung mit der Kaiserin zugegen zu sein; und man glaubte ihm dies nicht abschlagen zu dürfen.
Inzwischen blieb ich ruhig in meinem Zimmer und war vollkommen überzeugt, daß, wenn man daran gedacht hatte, mich fortzuschicken oder mich auch nur mit der Drohung einer Entfernung in Angst zu jagen, der von mir getane Schritt diesen Plan der Schuwaloffs vollständig vereiteln werde. Ich war mir meiner Sache so gewiß, zumal man nie größeren Widerstand finden konnte, als bei der Kaiserin, die keineswegs zu so eklatanten Maßnahmen dieser Art geneigt war. Außerdem erinnerte sie sich nur noch zu gut der früheren Mißstände in ihrer eigenen Familie und wünschte gewiß nicht, sie wieder erneuert zu sehen. Gegen mich konnte nur eins geltend gemacht werden, nämlich, daß ihr Herr Neffe mir nicht als der liebenswürdigste Mann erschien, gerade wie ich ihm nicht als die liebenswürdigste Frau. Ueber ihren Neffen dachte aber die Kaiserin genau so wie ich. Sie kannte ihn so gut, daß sie schon seit einer langen Reihe von Jahren nirgends eine Viertelstunde mit ihm zusammen sein konnte, ohne Ekel, Zorn oder Kummer zu empfinden. Wenn aber in ihren Gemächern die Rede auf ihn kam, weinte sie entweder über das Unglück, einen solchen Erben zu haben, oder sie drückte nur ihre Verachtung gegen ihn aus und gab ihm oft Beinamen, die er leider nur zu gut verdiente. Ich habe solche Ausdrücke sogar schriftlich in Händen gehabt, denn in den Papieren der Kaiserin fand ich zwei von ihr eigenhändig geschriebene Briefe, von denen der eine an Iwan Schuwaloff, der andere an Graf Razumowski gerichtet schien, in denen sie ihren Neffen verfluchte und zum Teufel wünschte. In dem einen hieß es: Prokliatyi moi plemjannik dasadila kak njelsja boljee. (Mein verdammter Neffe hat mir viel Aerger verursacht), und in dem andern: Plemjannik moi urod, tschjort jewo wosmi. (Mein Neffe ist ein Einfaltspinsel, den der Teufel holen möge).
Uebrigens war mein Entschluß gefaßt. Ich betrachtete meine Rücksendung oder Nichtrücksendung mit sehr philosophischem Auge, denn in keiner Lage, in welche mich auch die Vorsehung versetzt hätte, würde ich ohne die Hilfsquellen gewesen sein, die Geist und Talent jedem nach seinen natürlichen Fähigkeiten gewähren. Ich fühlte den Mut in mir, zu steigen oder zu fallen, ohne daß mein Herz und meine Seele durch Erhebung in Prahlerei oder durch das Gegenteil in Erniedrigung und Demütigung gesunken sein würden. Ich wußte, daß ich ein Mensch war und deshalb ein beschränktes und der Vollkommenheit unfähiges Wesen, aber meine Absichten waren stets rein und aufrichtig. Wenn ich auch von Anfang an gesehen hatte, daß es eine schwierige, wo nicht unmögliche Sache sei, einen Mann zu lieben, der nichts weniger als der Liebe wert war, und sich auch keine Mühe gab, es zu sein, so hätte ich doch wenigstens ihm und seinen Interessen die aufrichtigste Ergebenheit bewiesen, die ein Freund, ja ein Diener, seinem Freund und Herrn beweisen kann. Meine Ratschläge waren stets die besten gewesen, die ich ihm für sein Wohl geben konnte; wenn er sie nicht befolgte, so war dies nicht mein Fehler, sondern ein Fehler seines Urteils, das weder gesund noch gerecht war. Als ich nach Rußland kam, und auch noch während der ersten Jahre unserer Ehe, würde sich mein Herz dem Großfürsten, wenn er sich nur ein wenig bemüht hätte, erträglich zu sein, geöffnet haben; doch als ich bemerkte, daß er gerade mir, und nur, weil ich seine Frau war, die geringste Aufmerksamkeit bewies, war es keineswegs unnatürlich, wenn ich meine Lage weder angenehm, noch nach meinem Geschmack fand und mich langweilte, ja vielleicht grämte. Allein den Gram suchte ich mehr als jede andere Empfindung zu unterdrücken und zu verbergen, denn mein Stolz und meine ganze Gemütsstimmung machten mir den Gedanken, unglücklich zu sein, unerträglich. Ich sagte mir: Glück und Unglück liegen im Herzen und in der Seele des Menschen; fühlst du dich unglücklich, so erhebe dich über dein Unglück und handle so, daß dein Glück von keinem äußeren Ereignisse abhängt. Bei einer solchen Charakterveranlagung war ich mit einem großen Feingefühl und einem zum mindesten interessanten Aeußern von der Natur ausgestattet, das auf den ersten Blick ohne irgendwelche Kunst und Schmuck gefiel. Mein Charakter war von Natur aus äußerst anschmiegend, so daß man mit mir nur eine Viertelstunde zusammen zu sein brauchte, um die Unterhaltung angenehm zu finden, und jeder redete mit mir, als wären wir längst alte Bekannte. Von Natur nachsichtig, erwarb ich mir das Vertrauen derer, die mit mir zu tun hatten, weil ein jeder fühlte, daß Rechtschaffenheit und guter Wille die Triebfedern waren, denen ich am liebsten folgte. Wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, so nehme ich mir die Freiheit, über mich selbst zu äußern, daß ich ein» freimütiger und biederer Kavalier «war, dessen Geist mehr vom Manne als vom Weibe hatte. Und doch war ich nichts weniger als ein Mannweib. Man fand in mir zugleich mit dem Geiste und Charakter eines Mannes die Reize einer sehr liebenswürdigen Frau — man verzeihe mir zugunsten der Wahrheit diese Aeußerung eines Geständnisses, das mir die Eigenliebe abringt, ohne sich hinter falscher Bescheidenheit zu verbergen. Zudem muß diese Schrift ja selbst am besten beweisen, was ich von meinem Geiste, meiner Seele und meinem Charakter behaupte. Ich sagte, daß ich gefiel, und wenn man gefällt, ist der erste Teil der Verführung schon vollzogen, und der zweite kommt leicht hinzu. Es liegt im Wesen der menschlichen Natur, daß versuchen und versucht werden nahe beieinander sind. Trotz der schönsten moralischen Grundsätze ist man, sowie die Sinnlichkeit sich hineinmischt und zum Vorschein kommt, schon unendlich viel weiter als man glaubt, und ich weiß noch heute nicht, wie man sie hindern kann, sich unserer zu bemächtigen. Flucht allein könnte vielleicht helfen; aber es gibt Fälle, Lagen, Umstände, wo Flucht unmöglich ist. Denn wie soll man fliehen, ausweichen, den Rücken kehren inmitten eines glänzenden Hofes? Schon dies würde Geschwätz hervorrufen. Wenn man aber nicht flieht, so ist meiner Ansicht nach nichts schwieriger, als dem zu entgehen, was uns im Grunde unseres Herzens gefällt. Alles, was man hiergegen einwenden mag, ist Prüderie, die dem menschlichen Charakter nicht eigen ist. Niemand hält sein Herz in der Hand und kann es, indem er sie schließt oder öffnet, nach Belieben zusammendrücken oder fahren lassen.
Doch ich kehre zu meinem Bericht zurück. Den Tag nach jener Theatervorstellung gab ich mich für krank aus und verließ mein Zimmer nicht mehr. Ruhig erwartete ich die Entscheidung Ihrer kaiserlichen Majestät über meine untertänigste Bittschrift ab. Nur in der ersten Fastenwoche hielt ich es für angebracht, mich den religiösen Uebungen zu unterziehen, damit man mein Interesse für den orthodoxen griechischen Glauben merken sollte.
In der zweiten oder dritten Woche hatte ich von neuem einen großen Kummer durchzumachen. Eines Morgens, nachdem ich aufgestanden war, benachrichtigten mich meine Leute, daß Graf Alexander Schuwaloff Madame Wladislawa habe rufen lassen. Dies kam mir sonderbar vor, und ich wartete sehnlichst auf ihre Rückkehr — aber umsonst. Gegen ein Uhr nachmittags meldete mir Graf Schuwaloff, die Kaiserin habe es für geeignet gehalten, sie ihrer Stellung bei mir zu entheben. Ich schwamm in Tränen und sagte ihm, Ihre Majestät habe ja zweifellos die Macht, mir jeden zu geben oder zu nehmen, wie es ihr gefiele, aber es schmerze mich unendlich, mehr und mehr zu sehen, wie alle, die in meiner Nähe lebten, der Ungnade Ihrer kaiserlichen Majestät geweiht wären. Und damit es weniger Unglückliche gäbe, bäte ich ihn inständig, Ihre kaiserliche Majestät zu ersuchen, daß sie so bald als möglich dem Zustand, in dem ich mich befinde, nämlich nur Unglück zu bringen, ein Ende mache, indem sie mich zu meinen Angehörigen zurückkehren ließe. Uebrigens versicherte ich ihm, daß Madame Wladislawa in keiner Weise dazu dienen werde, Aufklärung über irgend etwas zu geben, weil weder sie noch irgend jemand mein volles Vertrauen besäße. Graf Schuwaloff wollte sprechen, als er aber mein Schluchzen hörte, fing er gleichfalls zu weinen an und sagte, die Kaiserin werde darüber mit mir persönlich reden. Ich bat ihn, diesen Augenblick zu beschleunigen, was er auch versprach. Sodann setzte ich meine Umgebung von dem Vorgefallenen in Kenntnis und sagte ihnen, wenn man mir an Stelle der Wladislawa eine Hofmeisterin gäbe, die mir mißfiele, so möge sie sich nur auf die schlechteste Behandlung meinerseits, ja selbst auf Schläge gefaßt machen. Ich bat meine Leute, dies überall wiederzuerzählen, damit alle, die man etwa die Absicht hatte, mir beizugeben, sich hüteten, die Stelle anzunehmen. Denn ich war endlich der ewigen Quälereien und Leiden müde und sah ein, daß meine Milde und Geduld nur dazu dienten, meine Lage zu verschlechtern. Deshalb war es unbedingt notwendig, mein Benehmen vollkommen zu ändern. Meine Leute verfehlten natürlich nicht, wiederzuerzählen, was ich wünschte.
Am Abend desselben Tages, an dem ich viel geweint hatte, kam eine meiner Kammerfrauen, Katharina Iwanowna Scheregorodska, in mein Zimmer, wo ich mich wie immer ganz allein befand. Ich war geistig und körperlich in größter Aufregung und ging nervös auf und ab. Als sie mich sah, sagte sie schluchzend und sehr bewegt:»Ach Gott, wir fürchten alle, daß Sie dem Zustande, in welchem Sie sich jetzt befinden, unterliegen. Erlauben Sie mir, daß ich noch heute zu meinem Onkel, dem Beichtvater Ihrer Majestät, der ja auch der Ihrige ist, gehe? Ich will mit ihm sprechen, werde ihm alles sagen, was Sie mir befehlen, und verspreche Ihnen, daß er auf eine Weise mit der Kaiserin reden wird, mit der Sie zufrieden sein werden!«Da ich ihren guten Willen sah, erzählte ich ihr ganz einfach, wie die Dinge lagen, was ich der Kaiserin geschrieben hatte und alles weitere. Sie begab sich zu ihrem Onkel, und, nachdem sie mit ihm gesprochen und ihn zu meinen Gunsten gestimmt hatte, kam sie gegen elf Uhr zu mir zurück, um mir mitzuteilen, daß er mir rate, mich in der Nacht für krank auszugeben. Ich sollte dann nach der Beichte verlangen und zu diesem Zwecke ihn rufen lassen, damit er der Kaiserin alles sagen könne, was er aus meinem Munde vernommen. Ich billigte diesen Vorschlag und versprach, ihn auszuführen. Darauf entließ ich sie, ihr und ihrem Onkel für die Zuneigung, die sie mir bewiesen, aufs herzlichste dankend.
In der Tat klingelte ich in der Nacht zwischen zwei und drei Uhr. Eine meiner Frauen kam. Ich sagte ihr, daß ich mich sehr unwohl fühle und zu beichten wünsche. Statt des Beichtvaters aber eilte Graf Alexander Schuwaloff herbei, dem ich mit matter, gebrochener Stimme meine Bitte, den Beichtvater rufen zu lassen, wiederholte. Statt dessen ließ er die Aerzte rufen, denen ich indes sagte, ich bedürfe nicht ihrer, sondern geistlicher Hilfe, denn ich sei meinem Ende nahe. Einer von ihnen fühlte meinen Puls und meinte, er sei sehr schwach, doch von neuem erklärte ich, meine Seele sei in Gefahr, aber mein Körper bedürfe keiner ärztlichen Hilfe. Endlich kam mein Beichtvater. Man ließ uns allein. Ich ließ ihn an meinem Bett niedersitzen, und wir unterhielten uns wenigstens anderthalb Stunden lang, während welcher Zeit ich ihm den gegenwärtigen und vergangenen Stand der Dinge, das Benehmen des Großfürsten gegen mich, das meinige gegen ihn, den Haß der Schuwaloffs, die unausgesetzten Verbannungen und Entlassungen meiner Leute, besonders aber derer, die mir am meisten zusagten und ergeben waren, erzählte. Ferner teilte ich ihm mit, wie die Schuwaloffs mir den Haß Ihrer kaiserlichen Majestät zugezogen hätten, und endlich meine gegenwärtige Lage, die mich veranlaßt hatte, der Kaiserin den Brief zu schreiben, in welchem ich sie um die Erlaubnis gebeten, mich zu entfernen. Ich beschwor ihn, mir doch eine baldige Antwort auf meine Bitte zu verschaffen, und fand ihn außerordentlich freundlich gegen mich gesinnt; weniger einfältig, als man ihn mir geschildert hatte. Er meinte, mein Brief werde schon die gewünschte Wirkung hervorbringen, ich müsse nur darauf bestehen, zu meinen Verwandten zurückkehren zu wollen. Dann würde man mich sicher nicht fortlassen, weil man einen solchen Schritt nicht vor dem Publikum rechtfertigen könne, dessen ganze Aufmerksamkeit auf mich gerichtet sei. Er gab zu, man behandle mich grausam; die Kaiserin, die mich in zartem Alter zur Gattin ihres Neffen gewählt habe, überlasse mich der Willkür meiner Feinde, während sie wahrhaftig besser tun würde, meine Rivalinnen, besonders Elisabeth Woronzow, fortzuschicken und ihre Günstlinge im Zaume zu halten. Die letzteren seien durch die von den Schuwaloffs täglich neu eingeführten Monopole weiter nichts als die Blutsauger des Volkes und brächten obendrein jeden gegen ihre Ungerechtigkeit auf, wie z.B. in der Sache Bestuscheffs, von dessen Unschuld das Publikum überzeugt wäre. Er schloß seine Rede mit dem Versprechen, sich sofort zur Kaiserin zu begeben, wo er warten wollte, bis diese erwacht sei, um mit ihr zu reden und die Zusammenkunft, die sie mir versprochen, zu beschleunigen. Jedoch würde ich gut tun, im Bett liegen zu bleiben, denn er wolle sagen, Gram und Schmerz könnten mich töten, wenn man nicht ein schnell wirkendes Mittel anwende, mich auf eine oder die andere Weise aus dem Zustand der Verlassenheit zu befreien.
Er hielt Wort. Er schilderte der Kaiserin meinen Zustand in so lebhaften Farben, daß Ihre Majestät den Grafen Alexander Schuwaloff zu sich kommen ließ und ihm befahl, zu sehen, ob ich imstande sei, die folgende Nacht mit ihr zu sprechen. Graf Schuwaloff brachte mir diese Botschaft, worauf ich ihm versprach, alle meine Kräfte zusammennehmen zu wollen. Gegen Abend also stand ich auf; Schuwaloff meldete mir, er werde mich gegen Mitternacht abholen und mich in die Gemächer Ihrer kaiserlichen Majestät geleiten. Der Beichtvater ließ mir durch seine Nichte sagen, alles sei im schönsten Gange und die Kaiserin werde noch heute abend mit mir reden. So kleidete ich mich gegen zehn Uhr abends an und legte mich vollständig angezogen auf ein Sofa, wo ich einschlief. Ungefähr um halb zwei Uhr trat Graf Schuwaloff in mein Zimmer und teilte mir mit, daß die Kaiserin mich zu sehen wünsche. Ich erhob mich und folgte ihm. Wir gingen durch die Vorzimmer, die leer waren. Als wir an die Tür der Galerie kamen, sah ich den Großfürsten durch die gegenüberliegende Tür gehen. Auch er begab sich also zur Kaiserin. Ich hatte ihn seit jenem Tage der russischen Komödie nicht gesehen, denn selbst als ich mich für lebensgefährlich krank erklärt hatte, war er weder gekommen, noch hatte er sich nach meinem Befinden erkundigt. Später erfuhr ich, daß er an eben diesem Tage Elisabeth Woronzow versprochen hatte, sie zu heiraten, wenn ich sterben sollte; beide äußerten über meinen Zustand die größte Freude.
Unterredung mit der Kaiserin. — Verleumderische Anklagen des Großfürsten gegen mich. — Ich gehe siegreich aus dem Kampfe hervor. — Unerwartetes Vertrauen der Kaiserin. — Graf Woronzow. — Ich erscheine wieder in der Oeffentlichkeit. — Prinz Karl von Sachsen. — Man erlaubt mir, meine Kinder zu besuchen. — Zweite Zusammenkunft mit Ihrer Majestät.
In dem Gemache Ihrer kaiserlichen Majestät angelangt, fand ich den Großfürsten dort schon vor. Sowie ich die Kaiserin erblickte, fiel ich vor ihr auf die Knie und bat sie unter Tränen aufs inständigste, mich zu meinen Angehörigen zurückkehren zu lassen. Sie wollte mich aufheben, aber ich verharrte zu ihren Füßen. Sie schien mir an diesem Abend mehr bekümmert als zornig, denn sie sagte mit Tränen in den Augen:»Wie können Sie wünschen, daß ich Sie zurückkehren lasse? Erinnern Sie sich nicht Ihrer Kinder?«— Ich antwortete:»Meine Kinder sind in Ihren Händen und könnten sich nirgends besser befinden; ich hoffe, Sie werden sie nicht verlassen.«— Darauf sagte sie:»Aber was soll ich dem Publikum als Ursache Ihrer Entlassung anführen?«— Ich erwiderte:»Eure kaiserliche Majestät wird ihm, wenn Sie es für passend halten, einfach die Gründe sagen, wegen derer ich mir Ihre Ungnade und den Haß des Großfürsten zugezogen habe.«—»Und wovon wollen Sie bei Ihren Verwandten leben?«fragte sie. — »Wovon ich lebte, ehe Sie mir die Ehre erwiesen, mich hierher zu rufen!«erwiderte ich. — Hierauf bemerkte sie:»Ihre Mutter ist flüchtig, hat ihr Land verlassen und sich nach Paris zurückziehen müssen.«—»Ich weiß es, «sagte ich,»man hat sie für eine allzu ergebene Anhängerin Rußlands gehalten, und der König von Preußen verfolgt sie. «Zum zweiten Male forderte mich jetzt die Kaiserin auf, mich zu erheben; und als ich es getan, entfernte sie sich nachdenklich von mir.
Das Zimmer, in dem wir uns befanden, war sehr lang und hatte drei Fenster, zwischen denen zwei Tische mit den goldenen Waschgeschirren der Kaiserin standen. Außer ihr, dem Großfürsten, Alexander Schuwaloff und mir befand sich niemand in dem Gemache. Der Kaiserin gegenüber standen zwei große spanische Wände, vor die man ein Sofa gestellt hatte. Anfangs vermutete ich hinter diesen spanischen Wänden unzweifelhaft Iwan Schuwaloff und vielleicht auch seinen Vetter, den Grafen Peter. Später erfuhr ich denn auch, daß meine Vermutungen zum Teil richtig waren und Iwan Schuwaloff wirklich dahinter gestanden hatte. Ich näherte mich dem Toilettentisch, welcher der Türe, durch die ich eingetreten war, am nächsten stand und bemerkte, daß in dem Waschbecken verschiedene zusammengefaltete Briefe lagen. In diesem Augenblick aber kam die Kaiserin wieder auf mich zu und sagte:»Gott ist mein Zeuge, wie viel ich um Sie geweint habe. Als Sie nach Ihrer Ankunft in Rußland todkrank wurden, habe ich mich sehr um Sie gesorgt; und hätte ich Sie nicht wahrhaft geliebt, ich würde Sie gewiß nicht behalten haben.«— Dies sollte, wie es mir schien, eine Verwahrung dagegen sein, daß ich gesagt, ich habe mir ihre Ungnade zugezogen. Als Antwort dankte ich Ihrer Majestät für alle Güte und alles Wohlwollen, das sie mir damals und später bewiesen, und sagte, die Erinnerung daran würde sich nie in meinem Gedächtnis verwischen, und stets würde ich es als mein größtes Unglück betrachten, ihr Mißfallen erregt zu haben. Nun trat sie ganz nahe zu mir heran und sagte:»Sie sind überaus stolz. Erinnern Sie sich wohl, daß ich Sie einmal im Sommerpalast fragte, ob Sie Halsweh hätten, weil ich bemerkte, daß Sie mich kaum grüßten? Aber Sie hatten nur aus Stolz mit einem bloßen Kopfnicken gegrüßt.«—»Mein Gott, Madame, «erwiderte ich,»wie können Sie glauben, daß ich Ihnen gegenüber hätte stolz sein wollen? Ich schwöre Ihnen, es ist mir nie im entferntesten in den Sinn gekommen, daß diese Frage, die Sie vor vier Jahren an mich richteten, eine solche Beziehung haben könnte.«— Und nun sagte sie:»Sie bilden sich ein, niemand habe so viel Geist, als Sie, «worauf ich antwortete:»wenn ich diesen Glauben habe, so ist nichts geeigneter, mich zu enttäuschen, als mein gegenwärtiger Zustand und unsere Unterredung, denn ich sehe, daß ich bis zu dieser Stunde rein aus Dummheit nicht begriffen habe, was Ihnen gefiel, mir vor vier Jahren zu sagen.«
Während Ihre Majestät mit mir sprach, flüsterte der Großfürst mit dem Grafen Schuwaloff. Sie bemerkte es und näherte sich ihnen. Sie standen etwa in der Mitte des Zimmers, und ich verstand daher nur wenig von dem, was sie miteinander redeten. Außerdem sprachen sie nicht gerade laut, und das Zimmer war sehr groß. Schließlich aber hörte ich doch, wie der Großfürst mit ziemlich erhobener Stimme sagte:»Ja, sie ist furchtbar schlecht und außerordentlich dickköpfig!«Als ich hörte, daß es sich um mich handelte, wandte ich mich an ihn und sagte:»Wenn Sie von mir sprechen, so gewährt es mir großes Vergnügen, Ihnen in Gegenwart Ihrer kaiserlichen Majestät zu sagen, daß ich in der Tat denen gegenüber schlecht bin, die Ihnen zu Ungerechtigkeiten raten. Dickköpfig bin ich nur geworden, weil ich sehe, daß meine Sanftmut und Freundlichkeit zu nichts führt, als zu Ihrer Feindschaft.«— Er wandte sich an die Kaiserin und bemerkte:»An dem, was sie sagt, können Eure Majestät ja selbst sehen, wie schlecht sie ist.«— Auf die Kaiserin indes, die unendlich viel mehr Geist besaß als der Großfürst, machten meine Worte einen andern Eindruck, und ich sah deutlich, daß, je mehr unsere Unterredung fortschritt, sie, obgleich man ihr sicher empfohlen hatte, oder sie selbst entschlossen war, strenge gegen mich zu verfahren, allmählich ganz gegen ihren Willen und trotz ihrer Entschlüsse milder gestimmt wurde. Dennoch wandte sie sich an ihn und sagte:»O, Sie wissen noch lange nicht alles, was sie gegen Ihre Räte und besonders gegen Brockdorf geäußert hat, hinsichtlich jenes Menschen, den Sie haben verhaften lassen. «Dies mußte als ein förmlicher Verrat meinerseits gegen den Großfürsten erscheinen, denn er wußte kein Wort von meiner Unterhaltung mit der Kaiserin im Sommerpalast. Ueberdies sah er seinen Brockdorf, der ihm so teuer und wertvoll geworden war, bei der Kaiserin angeklagt, und zwar durch mich. Dadurch gestaltete sich natürlich unser Verhältnis schlechter als je, machte uns vielleicht für immer unversöhnlich und raubte mir das Vertrauen des Großfürsten. Ich fiel wie aus den Wolken, als ich die Kaiserin in meiner Gegenwart so zu dem Großfürsten reden hörte, und sah, wie sie das, was ich ihr nur zum Besten ihres Neffen gesagt zu haben glaubte, als mörderische Waffe gegen mich kehrte. Sehr überrascht von diesem plötzlichen Vertrauen der Kaiserin, rief der Großfürst:»Ah! diese Geschichte kannte ich ja gar nicht; sie ist sehr gut und beweist vollkommen ihre Schlechtigkeit.«— Ich dachte für mich:»Gott weiß, wessen Schlechtigkeit sie beweist!«
Von Brockdorf ging Ihre Majestät plötzlich auf das zwischen Stambke und Graf Bestuscheff entdeckte Einverständnis über und sagte:»Ich kann mir unmöglich denken, wie dieser Mensch zu entschuldigen ist, der doch mit einem Staatsgefangenen in Verkehr gestanden hat.«— Da indes in dieser Sache mein Name nicht erwähnt worden war, schwieg ich, zumal mir die Aeußerung ohne Beziehung auf mich schien. Aber die Kaiserin näherte sich mir und begann:»Sie mischen sich in viele Dinge, die Sie nichts angehen. Ich würde nicht gewagt haben, dies zur Zeit der Kaiserin Anna zu tun. Wie zum Beispiel konnten Sie wagen, Befehle an den Marschall Apraxin zu schicken?«—»Ich!«rief ich,»nie ist es mir eingefallen, ihm Befehle zu schicken.«—»Wie?«fragte sie» können Sie wohl leugnen, daß Sie ihm geschrieben haben? Ihre Briefe befinden sich hier in diesem Becken«— sie deutete mit dem Finger darauf hin —»und doch ist Ihnen aufs strengste verboten, zu schreiben.«— Hierauf antwortete ich:»Es ist wahr, ich habe dies Verbot übertreten und bitte Sie deshalb um Verzeihung. Da aber meine Briefe hier sind, können Eure Majestät sich ja selbst überzeugen, daß ich niemals Befehle geschickt habe, sondern ihm nur mitteilte, was man von seinem Benehmen dächte.«— Sie unterbrach mich mit den Worten:»Und weshalb schrieben Sie ihm dies?«— Ich erwiderte ganz offen:»Weil ich mich für den Marschall, dem ich sehr geneigt war, interessierte. Ich bat ihn nur, Ihre Befehle zu befolgen. Von den beiden andern Briefen enthält der eine weiter nichts als einen Glückwunsch zu der Geburt seines Sohnes, und der andere einige Wünsche zum neuen Jahr.«—»Bestuscheff behauptet, es wären noch viele andere da, «rief sie. — Ich antwortete:»wenn Bestuscheff dies sagt, so lügt er.«—»Nun wohl, «entgegnete sie,»da er in Beziehung auf Sie lügt, werde ich ihn foltern lassen.«— Sie glaubte mich nämlich dadurch in Schrecken zu jagen, aber ich antwortete ihr ruhig, sie sei Herrscherin und könne tun, was ihr gut dünke; ich habe nichts an Apraxin geschrieben, als diese drei Briefe. Darauf schwieg sie und schien sich zu sammeln.
Das sind natürlich nur die hervorstechendsten Züge dieser Unterredung, die mir im Gedächtnis geblieben sind; überdies wäre es mir ganz unmöglich, alles zu erwähnen, was während der anderthalb Stunden gesprochen wurde. Die Kaiserin ging im Zimmer auf und ab, sich bald an mich, bald an ihren Herrn Neffen wendend, öfter aber noch an den Grafen Alexander Schuwaloff, mit dem der Großfürst sich meist unterhielt, wenn die Kaiserin mit mir sprach. Ich habe schon oben bemerkt, daß ich an dieser weniger Zorn als Sorge wahrnahm. Was den Großfürsten anbetraf, so ließ er in allen seinen Reden während der Unterhaltung viel Galle, Heftigkeit und Eifer gegen mich durchblicken. Er suchte Ihre Majestät so viel er konnte gegen mich aufzuhetzen. Da er sich aber höchst einfältig dabei benahm und mehr Leidenschaftlichkeit als Gerechtigkeit zeigte, verfehlte er sein Ziel, und die Kaiserin stellte sich auf meine Seite. Mit besonderer Aufmerksamkeit und einer Art vielleicht unfreiwilliger Zustimmung hörte sie meinen festen und gemäßigten Antworten auf die maßlosen Reden meines Herrn Gemahls zu, dem man es deutlich ansah, daß er beabsichtigte, mich aus meiner Stellung zu verdrängen, um am liebsten seine augenblickliche Maitresse dahin zu setzen. Allein es konnte weder nach dem Geschmack der Kaiserin noch dem der Herren Schuwaloff sein, die Grafen Woronzow zu ihren Gebietern zu machen. Doch dies ging über die Urteilsfähigkeit Seiner kaiserlichen Hoheit hinaus, der immer alles glaubte, was er wünschte, und jeden Gedanken, der den seinigen entgegen war, beiseite schob. Ja, er ging darin so weit, daß die Kaiserin zu mir herantrat und leise sagte:»Ich hätte Ihnen noch manches mitzuteilen, aber ich kann nicht sprechen, weil ich Ihnen nicht noch mehr Unfrieden bringen will, als Sie schon haben. «Und mit einer Bewegung der Augen und des Kopfes gab sie mir zu verstehen, daß es die Gegenwart der andern sei, die sie daran verhindere. Bei diesem Zeichen wahrhaften Wohlwollens ihrerseits in einer so kritischen Lage wurde ich ganz gerührt und flüsterte:»Auch ich kann mich nicht aussprechen, ein so mächtiges Verlangen ich auch fühle, Ihnen mein Herz und meine Seele zu öffnen.«— Wie ich bemerkte, brachten meine Worte einen mir günstigen Eindruck hervor. Die Tränen traten ihr in die Augen, und um zu verbergen, daß und in welchem Grade sie bewegt war, verabschiedete sie uns, indem sie bemerkte, es sei schon sehr spät.
Es war wirklich schon drei Uhr morgens. Der Großfürst entfernte sich zuerst. Ich folgte ihm. Als aber auch Graf Alexander Schuwaloff nach mir hinausgehen wollte, rief ihn die Kaiserin zurück, und er blieb bei ihr. Diesmal beeilte ich mich nicht, dem Großfürsten, der immer sehr große Schritte machte, zu folgen. Er kehrte in seine Gemächer, ich in die meinigen zurück. Schon fing ich an, mich zu entkleiden, als ich an meine Tür klopfen hörte. Ich fragte, wer da sei, und Graf Alexander Schuwaloff antwortete, ich möchte ihm doch öffnen. Ich tat es. Darauf forderte er mich auf, meine Frauen zu entlassen, und als diese sich entfernt hatten, teilte er mir mit, daß die Kaiserin ihn zurückgerufen und beauftragt habe, mir ihre Empfehlungen zu bringen und zu sagen, ich solle nicht traurig sein, sie werde eine nochmalige Unterredung mit mir haben. Ich verneigte mich tief vor Graf Schuwaloff und bat ihn, Ihrer kaiserlichen Majestät meine untertänigsten Empfehlungen zu machen und ihr für ihre Güte zu danken, die mich dem Leben zurückgebe. Ich würde diese zweite Zusammenkunft mit ihr mit der lebhaftesten Ungeduld erwarten und bäte sie, den Zeitpunkt derselben zu beschleunigen. Er empfahl mir, mit niemand davon zu sprechen, besonders nicht mit dem Großfürsten, den die Kaiserin zu ihrem Bedauern sehr gegen mich aufgebracht finde. Ich versprach es.»Wenn man sich aber über sein Wesen gegen mich ärgert, «dachte ich,»warum bringt man ihn dann noch mehr durch die Wiedergabe meiner Worte im Sommerpalast auf?«
Diese unerwartete Rückkehr der Freundschaft und des Vertrauens der Kaiserin war für mich ein großer Trost und gewährte mir viele Freude. Tags darauf beauftragte ich die Nichte des Beichtvaters, ihrem Onkel für den wichtigen Dienst zu danken, den er mir geleistet, indem er mir diese Unterredung mit Ihrer kaiserlichen Majestät verschaffte. Als sie von ihrem Onkel zurückkehrte, sagte sie mir, sie wisse, daß die Kaiserin geäußert habe, ihr Neffe sei ein Dummkopf, aber die Großfürstin besäße viel Geist. Und diese Aeußerung wurde mir von mehr als einer Seite wiederholt. Auch sollte Ihre Majestät gegen ihre Vertrauten meine Fähigkeiten aufs höchste gelobt haben, wobei sie oft hinzufügte:»Sie liebt die Wahrheit und Gerechtigkeit und ist eine geistreiche Frau; aber mein Neffe ist ein Einfaltspinsel.«
Dennoch verschloß ich mich nach wie vor in meine Gemächer unter dem Vorwande, daß ich krank sei. Ich erinnere mich, daß ich damals die fünf ersten Bände der» Geschichte der Reisen «las, mit der Karte auf dem Tische, was mich ebenso sehr unterhielt als belehrte. Als ich diese Lektüre satt hatte, durchblätterte ich die ersten Bände der Encyclopädie und erwartete dabei immer sehnsüchtig den Tag, an dem es Ihrer Majestät gefallen würde, mir eine zweite Zusammenkunft zu gewähren. Von Zeit zu Zeit wiederholte ich dem Grafen Schuwaloff meine Bitte und drückte den lebhaften Wunsch aus, mein Schicksal endlich entschieden zu sehen, was den Großfürsten betraf, so hörte ich gar nichts mehr von ihm. Ich wußte nur, daß er meine Entlassung mit großer Ungeduld erwartete und sicher darauf rechnete, Elisabeth Woronzow in zweiter Ehe zu heiraten. Sie kam schon in seine Gemächer und machte dort die Honneurs, wahrscheinlich erfuhr ihr Onkel, der ein vollendeter Heuchler war, alle diese Pläne durch ihren Bruder oder vielleicht auch durch ihren Neffen. Diese waren damals fast noch Kinder, denn der älteste zählte kaum zwanzig Jahre. Aus Furcht aber, sein eben erst gestiegenes Ansehen könnte dadurch bei Ihrer Majestät leiden, suchte Woronzow um den Auftrag nach, mich zu überreden, von der Forderung meiner Trennung vom Großfürsten abzustehen — denn es geschah folgendes.
Eines Morgens meldete man mir, daß der Vizekanzler Graf Woronzow seitens der Kaiserin mit mir zu sprechen verlange. Aufs höchste von dieser ungewöhnlichen Sendung überrascht, ließ ich, obgleich ich mich noch nicht angekleidet hatte, den Herrn Vizekanzler eintreten. Er küßte mir die Hand und drückte sie mit großer Zärtlichkeit. Dann trocknete er sich die Augen, aus denen ein paar Tränen flossen. Da ich damals ziemlich eingenommen gegen ihn war, setzte ich kein großes Vertrauen in diese Einleitung, die seine Ergebenheit für mich beweisen sollte, ließ ihn aber gewähren und bat ihn, sich zu setzen. Er litt an großer Atemnot, woran eine Art Kropf schuld war. Als er sich gesetzt hatte, sagte er, die Kaiserin habe ihn beauftragt, mit mir zu reden, um mir von meiner Rückkehr zu meinen Verwandten abzuraten. Ihre kaiserliche Majestät habe ihm sogar befohlen, mich ihrerseits zu bitten, diesem Gedanken, zu dessen Ausführung sie niemals ihre Zustimmung geben werde, zu entsagen; und er besonders bitte und beschwöre mich, ihm mein Wort zu geben, daß nie mehr die Rede davon sein sollte. Meine Absicht bekümmerte in der Tat die Kaiserin und alle ehrlichen Leute, zu denen zu gehören er beteuerte. Ich antwortete ihm, es gäbe nichts, was ich nicht gern der Kaiserin und allen meinen Freunden zu Gefallen täte, aber ich sähe meine Gesundheit und mein Leben durch die Lebensweise, der ich ausgesetzt sei, bedroht. Außerdem bringe ich nur Unglück, denn alle, die mir zu nahe kämen, würden unausgesetzt verbannt und entlassen. Den Großfürsten reize man bis zum Hasse gegen mich auf, und außerdem habe er mich niemals geliebt. Ihre Majestät selbst gäbe mir fast fortwährend Beweise ihrer Ungnade. Da ich so allen zur Last falle und selbst fast vor Langeweile und Kummer stürbe, habe ich um meine Rücksendung gebeten. Nur so könnte man ein so lästiges, vor Langeweile und Kummer vergehendes Wesen, wie mich, erlösen. Nun fing er von meinen Kindern an zu sprechen. Ich sagte ihm, daß ich sie niemals sähe und seit meinem Kirchgang das jüngste noch nicht zu sehen bekommen hätte; dies sei mir nur auf ausdrücklichen Befehl der Kaiserin, von deren Zimmern sie zwei bewohnten, möglich. Ich zweifele durchaus nicht an der Sorgfalt, die sie ihnen angedeihen lasse, aber so lange ich der Freude, sie zu sehen, beraubt sei, wäre es mir gleichgültig, ob ich hundert Schritte oder hundert Meilen weit von ihnen entfernt sei. Er sagte, die Kaiserin werde eine zweite Unterredung mit mir haben, und fügte hinzu, es sei sehr zu wünschen, daß Ihre kaiserliche Majestät mir näher käme. Ich bat ihn, doch diese Unterredung zu beschleunigen; ich meinerseits werde nichts versäumen, was die Erfüllung seines Wunsches erleichtern könne.
Länger als eine Stunde war er bei mir gewesen. Er hatte lange und viel über die verschiedensten Dinge gesprochen, wobei ich bemerkte, daß sein hoher Einfluß aufs vorteilhafteste seine Redeweise und Haltung gegen früher verändert hatte. Denn es gab eine Zeit, wo ich ihn mit vielen andern zwiebelartig auf einen Faden aufreihte, wo er, unzufrieden mit der Kaiserin, mit den Geschäften und denen, die die Gunst und das Vertrauen Ihrer Majestät genossen, mir eines Tages bei Hofe, als er die Kaiserin Elisabeth sehr lange mit dem österreichischen Gesandten sprechen sah, während er und ich, sowie die ganze Umgebung der Kaiserin umherstanden — wir waren nebenbei zum Sterben müde — sagte:»Wollen wir wetten, daß sie nur albernes Zeug spricht?«—»Mein Gott, was sagen Sie da!«rief ich. — Er aber erwiderte russisch: »Ona ss prirodu dura« (Sie ist von Natur dumm…) — Endlich entfernte er sich mit der Versicherung seiner Ergebenheit und nahm von mir Abschied, indem er mir wieder die Hand küßte.
Für den Augenblick also konnte ich sicher sein, nicht fortgeschickt zu werden, da man mich ja selbst bat, nicht diesen Wunsch auszudrücken. Dennoch hielt ich es für gut, noch nicht auszugehen, sondern wie vorher in meinem Zimmer zu bleiben, als ob ich die Entscheidung meines Schicksals erst von der zweiten Unterredung mit der Kaiserin erwartete. Aber es dauerte lange, ehe mir diese gewährt wurde. Dabei erinnere ich mich, daß mir die Kaiserin am 21. April, meinem Geburtstage, an dem ich ebenfalls nicht ausging, durch Alexander Schuwaloff sagen ließ, sie trinke auf meine Gesundheit. Ich ließ ihr dafür danken, daß sie sich an diesem, wie ich mich ausdrückte, unglücklichen Tage meiner Geburt, den ich verwünschen würde, hätte ich nicht an ihm die Taufe empfangen, meiner gnädigst erinnere. Als der Großfürst erfuhr, daß die Kaiserin mir an diesem Tage eine Botschaft geschickt, kam er gleichfalls auf den Einfall, mir dasselbe sagen zu lassen. Und als man mir seine Wünsche überbrachte, erhob ich mich feierlich und sprach mit einer tiefen Verbeugung meinen Dank aus.
Nach meinem Geburtstage und dem Krönungsfeste der Kaiserin, die nur vier Tage auseinander lagen, blieb ich immer noch in meinem Zimmer, bis Graf Poniatowski mir die Nachricht zugehen ließ, daß der französische Gesandte, Marquis de L'Hôpital, meinem festen Benehmen großes Lob gespendet und erklärt habe, dieser Entschluß, meine Gemächer nicht zu verlassen, könne nur zu meinem Vorteil ausschlagen. Da ich in dieser Aeußerung nur die perfide Lobeserhebung eines Feindes sah, entschloß ich mich sofort, das Gegenteil von dem zu tun, was er pries. Eines Sonntags, als man es am wenigsten erwartete, kleidete ich mich an und verließ das Innere meiner Gemächer. Sowie ich das Zimmer betrat, wo sich die Damen und Herren aufhielten, bemerkte ich ihr Erstaunen und ihre Ueberraschung, als sie mich sahen. Einige Augenblicke später kam der Großfürst. Auch sein Erstaunen malte sich auf seinem Gesichte aus. Da ich mit der Gesellschaft sprach, mischte er sich in die Unterhaltung und richtete einige Worte an mich, auf die ich ihm offen antwortete.
Während dieser Zeit kam Prinz Karl von Sachsen zum zweiten Male nach Petersburg. Der Großfürst, der ihn das erstemal ziemlich ritterlich empfangen hatte, glaubte sich diesmal berechtigt, gar kein Maß in seinem Benehmen gegen den Prinzen zu beobachten, und zwar aus folgenden Gründen. In der russischen Armee war es schon längst kein Geheimnis mehr, daß Prinz Karl von Sachsen in der Schlacht von Zorndorf einer der ersten gewesen, die die Flucht ergriffen. Man sagte sogar, er habe diese Flucht ohne Aufenthalt bis nach Landsberg fortgesetzt. Da Seine kaiserliche Hoheit hiervon gehört hatte, faßte er den Entschluß, mit ihm, als einem erklärten Feigling, nicht mehr zu sprechen. Ueberhaupt wollte er nicht das geringste mit ihm zu tun haben. Allem Anschein nach trug die Prinzessin von Kurland, von der ich schon öfter Gelegenheit hatte, zu sprechen, zu diesem Entschlusse nicht wenig bei, weil sich damals das Gerücht zu verbreiten begann, man habe die Absicht, den Prinzen Karl von Sachsen zum Herzog von Kurland zu machen. Biron, der Vater der Prinzessin, saß noch immer in Jaroslaw gefangen. Sie teilte ihren Groll dem Großfürsten mit, auf den sie immer noch einen gewissen Einfluß hatte. Uebrigens war die Prinzessin damals zum dritten Male verlobt, und zwar mit Alexander Baron Tscherkassoff, mit dem sie sich auch wirklich den Winter darauf vermählte.
Endlich, einige Tage vor unserer Uebersiedlung aufs Land, meldete mir Graf Alexander Schuwaloff seitens der Kaiserin, ich solle am Nachmittage durch ihn darum bitten lassen, meine Kinder zu sehen. Wenn ich sie besucht hätte, würde mir die lange versprochene Unterredung mit Ihrer Majestät gewährt werden. Ich tat, was man von mir verlangte und beauftragte in Gegenwart vieler Leute den Grafen Schuwaloff, Ihre Majestät um die Erlaubnis zu bitten, meine Kinder zu sehen. Er entfernte sich und meldete mir später, daß ich um drei Uhr zu ihnen gehen könne. Ich hielt die Zeit genau ein und blieb bei meinen Kindern, bis Schuwaloff mir meldete, daß Ihre Majestät mich zu empfangen wünsche. Sie war ganz allein. Diesmal befanden sich auch keine spanischen Wände im Zimmer, und wir konnten uns in voller Freiheit aussprechen. Mein erstes war, ihr für die Audienz zu danken, die sie mir gewährte, und ihr zu versichern, schon ihr gnädiges Versprechen allein habe mir meinen Lebensmut zurückgegeben. Hierauf bemerkte sie:»Ich verlange, daß Sie mir über alles, was ich Sie fragen werde, die reine Wahrheit sagen. «Und ich versicherte sie, daß sie nur die volle Wahrheit aus meinem Munde hören werde, denn ich wünsche nichts mehr, als ihr mein Herz rückhaltslos zu öffnen. Sie fragte darauf nochmals, ob ich wirklich nur jene drei Briefe an Apraxin geschrieben hätte, und ich beschwor dies mit der größten Wahrhaftigkeit, wie es sich in der Tat verhielt. Dann fragte sie nach Einzelheiten über das Leben des Großfürsten.
Mit dem zweiundzwanzigsten Kapitel bricht Katharina, dieser weibliche Kaiser, die Geschichte ihrer Jugendjahre kurz ab. Wollte sie über den weitaus interessanteren Teil ihres Lebens als Herrscherin nichts mehr sagen, oder konnte sie es nicht, oder was waren es sonst für Gründe, die sie beeinflußten, der Welt ein so wichtiges Dokument wie ihre Memoiren unvollendet zu hinterlassen? — Wir wissen es nicht und müssen uns daher mit andern authentischen Quellen ihrer Zeitgenossen begnügen, die uns den Entwicklungsgang dieser geistvollen Beherrscherin aller Reußen nicht minder interessant schildern. In der russischen Geschichte, wo ein außerordentlicher Mangel an stark ausgeprägten Individualitäten vorherrschte, muß uns besonders eine Frauengestalt neben Katharina auffallen: die Fürstin Daschkoff, geborene Gräfin Woronzow. In dieser Frau kam das russische Weib, aufgeweckt durch die stark revolutionären Bewegungen, die damals das Land durchwühlten, zum ersten Male aus seiner Bedrückung hervor. Kühn stellte sie sich an die Seite der Kaiserin, an deren Thronbesteigung sie einen bedeutenden Anteil hatte. Mit der größten Aufmerksamkeit und einer scharfen Kritik beobachtete sie alle Ereignisse, die vom Tode Elisabeths bis zum Jahre 1805 den russischen Thron und sein Volk erschütterten. Ihre Memoiren sind für die russische Geschichte von größtem Werte und so interessant geschrieben, daß wir nicht unterlassen können, um die Aufzeichnungen der Kaiserin zu vollenden, das Wichtigste über deren Thronbesteigung, den Tod Elisabeths und Peters III. diesen Memoiren zu entnehmen. Lassen wir also die Fürstin sprechen.
Die abnehmende Gesundheit der Kaiserin Elisabeth. — Besuch bei Ihren kaiserlichen Hoheiten. — Gemeine Gewohnheiten und Neigungen des Großfürsten. — Seine Lieblingsgesellschaft. — Hofanekdoten. — Der herannahende Tod Elisabeths. — Eigentümliche Unterredung mit Katharina.
Die Kaiserin Elisabeth wurde alt und schwach, und schon fingen die Hofleute an, ihre Aufmerksamkeit dem Thronfolger zuzuwenden, dem dadurch über das Garderegiment Preobraschenski, in welchem Fürst Daschkoff Hauptmann war, eine unumschränktere Gewalt gegeben war, als er früher gehabt hatte. Eines Tages besuchte uns mein Vater und teilte uns den kürzlich vom Hofe erlassenen Befehl mit, daß alle Offiziere der Preobraschenskischen Garden sich mit ihren Frauen nach Oranienbaum begeben sollten. Dies war mir eine sehr unwillkommene Nachricht, denn ich besaß eine große Abneigung gegen den Zwang des Hoflebens und fühlte besonders in diesem Augenblick den stärksten Unwillen, mich von meiner kleinen Tochter zu trennen. Da uns indes mein Vater gütig sein Haus, welches zwischen Petersburg und Oranienbaum lag, anbot, so richteten wir uns daselbst froh und wohlgemut ein und fuhren am nächsten Tag zu Ihren kaiserlichen Hoheiten, um unsere Aufwartung zu machen. Wie ich mich erinnere, wandte sich der Großfürst, nachdem wir vorgestellt waren, mit folgenden Worten an mich:»Obgleich Sie entschlossen zu sein scheinen, nicht im Schlosse zu wohnen, so hoffe ich Sie doch jeden Tag zu sehen, und ich denke, daß Sie mehr Zeit in meiner als in der Großfürstin Gesellschaft zubringen werden. «Ich antwortete nichts, was der Mühe wert gewesen wäre, zu bemerken, fühlte aber wenig Neigung, meine Besuche öfter, als es der Anstand erforderte, zu wiederholen. Ein Opfer indes in dieser Beziehung war unerläßlich, wenn ich mir die vorteilhafte Gelegenheit, die Gesellschaft der Großfürstin zu genießen und mich ihrer Freundschaft zu erfreuen, nicht verscherzen wollte. Die verschiedenen und häufigen Vorwände jedoch, welche ich anwenden mußte, um den Partien ihres Gemahls zu entgehen, waren nicht unbeobachtet geblieben, wie er mir zu verstehen gab. Eines Tages nahm er mich beiseite und überraschte mich mit einer Bemerkung, die sehr charakteristisch ist für die Einfältigkeit seines Geistes und die Güte seines Herzens, die aber mit viel mehr Schärfe als gewöhnlich in seiner Unterhaltung lag, ausgesprochen wurde.»Mein Kind, «sagte er,»Sie würden sehr wohl daran tun, sich daran zu erinnern, daß es viel besser ist, sich mit ehrlichen Dummköpfen, wie ich und Ihre Schwester (seine Maitresse) sind, einzulassen, als mit großen Geistern, welche den Saft aus der Orange pressen und die Schale wegwerfen. «Ich stellte mich, als ob ich den Sinn seiner Worte nicht verstände und erinnerte ihn nur daran, daß seine Tante, die Kaiserin, ausdrücklich gewünscht habe, der Großfürstin ebensoviel Ehrerbietung zu bezeigen, als ihrem kaiserlichen Gemahl.
Es war jedoch unmöglich, wie schon bemerkt, die Festlichkeiten des Großfürsten stets zu vermeiden. Sie wurden zuweilen in einer Art Feldlager abgehalten, wo das Rauchen mit seinen holsteinschen Generalen sein Hauptvergnügen war. Diese Offiziere waren meistenteils Korporale und Sergeanten in preußischen Diensten gewesen, Söhne von Schuhmachern oder ähnlichen Leuten aus den untersten Ständen des Volkes, eine Art Ragamuffin-Generale, der Wahl eines solchen Chefs nicht unwürdig. Die Abende endeten immer mit einem Ball und Souper, das in einem Saal gegeben wurde, der mit Tannenzweigen geschmückt war und einen deutschen Namen führte, welcher seiner Ausschmückung und der Art der unter der Gesellschaft herrschenden Phraseologie entsprach.
Während eines solchen Festes des Großfürsten, woran auch die Großfürstin teilnahm, kam bei der Tafel die Rede auf einen Herrn Tschelitschkoff, einen Fähnrich der Garde. Dieser stand im Verdacht, der Geliebte der Gräfin Hendrikoff, einer Nichte der Kaiserin, zu sein. Der Großfürst, der sehr vom Wein belebt war, schwor ganz im Geiste eines preußischen Unteroffiziers, daß man diesem Offizier, zur Warnung seiner Kameraden, den Kopf abschneiden müsse, weil er den Mut gehabt habe, einer Verwandten Ihrer Majestät den Hof zu machen. Während alle seine holsteinschen Sykophanten durch Kopfnicken und andere Zeichen ihre tiefe Bewunderung für ihres Herrn Weisheit zu erkennen gaben, konnte ich mich nicht enthalten, Seiner kaiserlichen Hoheit zu erwidern, daß das Kopfabschneiden mir sehr tyrannisch erschiene. Wenn auch ein Verbrechen bewiesen werden könne, so schiene mir doch eine so furchtbare Strafe damit nicht im Verhältnis zu stehen. — »Sie sind ja nur ein Kind, «war seine Antwort,»und was Sie da sagen, ist ein Beweis dafür, sonst würden Sie wissen, daß mit der Todesstrafe sparsam sein so viel heißt, als Ungehorsam und alle möglichen Ueberschreitungen ermutigen.«—»Aber, «sagte ich,»Euere kaiserliche Hoheit sprechen über diesen Gegenstand in einer Weise, die für die anwesende Gesellschaft höchst beunruhigend sein muß, denn mit Ausnahme einiger ehrwürdiger Generale haben alle, die die Ehre genießen, hier in Ihrer Gesellschaft zu sein, nur unter einer Regierung gelebt, unter der solch eine Strafe verpönt war.«—»Was das anbetrifft, «erwiderte der Großfürst,»so will das gar nichts sagen, oder vielmehr, es ist gerade die Ursache von dem jetzigen Mangel an Disziplin und Ordnung. Aber seien Sie versichert, Sie sind ein reines Kind und verstehen nichts von solchen Dingen. «Alles schwieg, nur wir beide setzten unser Gespräch fort.»Ich bin bereit, einzugestehen, Sire, «sagte ich,»daß ich durchaus nichts von Ihren Absichten verstehe, aber eine Sache, über die ich sehr wohl Bescheid weiß, ist, daß Ihre erhabene Tante noch lebt und den Thron einnimmt.«— Aller Augen richteten sich augenblicklich auf mich. Der Großfürst antwortete glücklicherweise nicht, sondern steckte nur die Zunge heraus, wie er es gewöhnlich zu seiner Unterhaltung gegen die Priester in der Kirche tat. Uebrigens bewies dieses Herausstecken der Zunge stets, daß er nicht böse war, sondern nur weiteren Antworten vorbeugen wollte.
Manchmal auch veranstaltete der Großfürst seine Gesellschaften in einem kleinen Landhause in einiger Entfernung von Oranienbaum, welches seinen Räumlichkeiten nach keine große Anzahl Personen fassen konnte. Hier halfen Tee und Punsch mit dem Geruch des Tabaks vermischt, und das lächerliche Spiel Campis die trostlose Einförmigkeit des Abends hinbringen. Welch auffallender Kontrast mit dem Geist, Geschmack, Verstand und Takt, welche die Feste der Großfürstin auszeichneten!
Der Gesundheitszustand der Kaiserin Elisabeth, der längst im Abnehmen begriffen war, ließ beim Herannahen des Winters wenig Hoffnung, daß sie denselben überleben werde. Auch ich teilte den Kummer, den meine Familie und besonders der Großkanzler darüber empfand, aber nicht nur, weil ich Ihre Majestät liebte, sondern weil ich sah, wie wenig mein Vaterland von dem Großfürsten, ihrem Nachfolger, zu hoffen hatte. Dieser war in die entehrendste Unwissenheit versunken, unbekümmert um das Glück des Landes, und von keinem höheren Gefühl beseelt, als von dem gemeinen Stolz, das Geschöpf des Königs von Preußen zu sein, den er unter seinen holsteinschen Generalen durch den Titel:»der König, mein Herr, «zu bezeichnen pflegte.
Ungefähr Mitte Dezember wurde es bekannt gemacht, daß die Kaiserin nur noch wenige Tage zu leben habe. Ich fühlte mich gerade zu jener Zeit häufig unwohl und war genötigt, das Bett zu hüten; aber uneingedenk jeder andern Gefahr, außer der, welcher die Großfürstin ausgesetzt war, falls die Kaiserin sterben sollte, stand ich am 20. um Mitternacht auf, hüllte mich in meine Pelze und ließ mich zu dem hölzernen Palast an der Moika fahren, wo Ihre Majestät und die übrige kaiserliche Familie damals residierten. In einiger Entfernung vom Palast stieg ich aus, ging zu Fuß bis zu einer kleinen Hinterpforte in dem Flügel, der von Ihren kaiserlichen Hoheiten bewohnt wurde, in der Hoffnung, unbemerkt das Zimmer der Großfürstin zu erreichen. Durch einen glücklichen Zufall, der mich vielleicht vor einem unheilvollen Irrtume bewahrte — denn ich war in diesem Teile des Schlosses völlig unbekannt — begegnete ich der ersten Kammerfrau der Großfürstin, Katharina Iwanowna. Nachdem ich mich zu erkennen gegeben, bat ich sie, mich sogleich zu Ihrer kaiserlichen Hoheit zu führen.»Sie liegt im Bett, «war die Antwort. — »Das tut nichts, «sagte ich,»die Sache, die mich herführt, ist dringend, und ich muß sie noch diese Nacht sprechen. «Die Kammerfrau, die wohl meine Zuneigung für ihre Herrin kannte, machte denn auch trotz der unpassenden Stunde keine weiteren Einwendungen, sondern führte mich zu ihren Gemächern. Die Großfürstin wußte, daß ich krank war, und ich mich daher nicht ohne Gefahr der Kälte einer strengen Winternacht aussetzen konnte, und außerdem kannte sie die Schwierigkeit, in den Palast eingelassen zu werden. Sie wollte kaum ihren Ohren trauen, als ich angemeldet wurde.»Ums Himmels willen!«rief sie aus,»wenn sie es wirklich ist, laßt sie schnell herein.«— Ich fand sie im Bett, aber noch ehe ich ein Wort sagen konnte, rief sie:»Meine teure Fürstin, ehe Sie mir sagen, was Sie zu solch ungewohnter Stunde herführt, wärmen Sie sich erst. Sie sind wirklich zu wenig besorgt um Ihre Gesundheit, die Fürst Daschkoff und mir so teuer ist. «Sie bat mich, zu ihr ins Bett zu kommen, und nachdem sie meine Füße gut eingewickelt hatte, erlaubte sie mir endlich, zu sprechen.
«Bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge, Madame, «begann ich,»da die Kaiserin nur noch wenige Tage, vielleicht nur noch wenige Stunden zu leben hat, kann ich nicht länger die Ungewißheit ertragen, in die ein herannahendes Ereignis das Wohl Ihrer Person bringen kann. Ist es denn nicht möglich, der Gefahr vorzubeugen und die Wolken zu zerteilen, die im Begriff sind, sich über Ihrem Haupte zu entladen? In Gottes Namen vertrauen Sie mir, ich bin es wert und will es beweisen. Haben Sie zu Ihrer Sicherheit irgend einen Plan entworfen oder Vorsichtsmaßregeln getroffen? Geben Sie mir Ihre Befehle und gebieten Sie über mich.«
Unter Tränen drückte die Großfürstin meine Hand an ihr Herz.»Ich bin Ihnen, teure Fürstin, «sagte sie,»unaussprechlich dankbar, aber ich erkläre Ihnen hiermit mit dem völligsten Vertrauen, ich beteure Ihnen, daß ich keinen Plan irgend einer Art habe, daß ich nichts tun kann und mir, wie ich glaube, nichts anderes übrig bleibt, als mit Mut dem zu begegnen, was über mich verhängt ist. Ich übergebe mich den Händen des Allmächtigen und vertraue auf seinen Schutz,«—»Gut, «sagte ich,»dann müssen Ihre Freunde für sie handeln, Madame. Was mich betrifft, so besitze ich genügend Eifer, sie zu entflammen. Und welches Opfer würde ich nicht dafür bringen?«
«Ums Himmels willen, Fürstin, «erwiderte sie,»denken Sie nicht daran, sich einer Gefahr auszusetzen, in der Hoffnung, dem Uebel entgegenzuarbeiten, für das es in der Tat keine Rettung mehr gibt. Wenn Sie sich um meinetwillen ins Unglück stürzten, das würde für mich ein ewiger Vorwurf sein.«—»Alles, was ich in diesem Augenblick sagen kann, Madame, «antwortete ich,»ist, daß ich keinen Schritt tun werde, der Ihre Sicherheit gefährden könnte; und welcher Art die Gefahr auch sein möge, sie treffe nur mich. Wenn mich die blinde Ergebenheit für Ihre Sache aufs Schafott führt, so sollen Sie doch nie das Opfer davon sein.«
Die Großfürstin wollte fortfahren, mich vor der Unerfahrenheit und dem Enthusiasmus meines Alters und Charakters zu warnen, aber ich unterbrach sie, küßte ihr die Hand und versicherte, ich wolle uns beide durch Verlängerung dieser Zusammenkunft nicht weiter einer Gefahr aussetzen. Darauf umarmte sie mich zärtlich, und nachdem wir uns einige Augenblicke gerührt in den Armen gelegen hatten, sprang ich aus dem Bett und eilte mit allem Mut und aller Kraft, die ich besaß, zu meinem Wagen zurück, sie in der Aufregung über das Vorgefallene zurücklassend.
Tod der Kaiserin Elisabeth. — Peter III. lädt mich wiederholt zu seinen Gesellschaften ein. — Ein Gespräch mit dem Kaiser. — Eine kaiserliche Spielgesellschaft. — Ich sage Seiner Majestät die Wahrheit. — Fürst Trubetzkoi. — Peter im Sterbezimmer seiner Tante. — Die neue Etikette.
Am 25. Dezember 1762, am Weihnachtstag, tat die Kaiserin Elisabeth den letzten Atemzug. Der Eindruck, den dies in Petersburg hervorbrachte, war derart, daß trotz des frohen Tages auf allen Gesichtern nur Kummer und Besorgnis zu lesen war. Einige Geschichtsschreiber zwar möchten gerne glauben machen, daß die Garden anders fühlten und mit Entzücken zum Schlosse eilten, um ihrem neuen Herrn den Eid zu leisten, doch ich selbst sah zwei Regimenter, das Semenoffskische und Ismailoffskische, unter meinen Fenstern vorbeimarschieren, und nach dem Zeugnis meiner Augen kann ich versichern, daß in ihren Bewegungen kein Zeichen der Freude oder Befriedigung sichtbar war. Das Aussehen der Soldaten war im Gegenteil düster und niedergeschlagen; ein halb unterdrücktes verwirrtes Gemurmel lief durch die Reihen. Hätte ich keine andere Nachricht gehabt, ich würde aus ihren Mienen erraten haben, daß die Kaiserin tot sei.
Ich war noch immer sehr unwohl und auf mein Zimmer angewiesen. Auch mein Onkel, der Großkanzler, war krank und lag zu Bett, als ihm der Kaiser Peter III. am dritten Tag nach seiner Thronbesteigung einen Besuch machte. Aber das Erstaunen meines Onkels und das meinige wurde noch größer, als man mich für den Abend in den Palast einladen ließ. Meine Krankheit jedoch diente mir zur Entschuldigung, auch am folgenden Abend, wo die Einladung wiederholt wurde. Zwei oder drei Tage später schrieb mir meine Schwester, daß der Kaiser mit meinen fortwährenden abschlägigen Antworten unzufrieden wäre und an meine Entschuldigungsgründe nicht im mindesten glaube. Um Auseinandersetzungen und Bemerkungen zu vermeiden, die dem Fürsten Daschkoff hätten nachteilig werden können, gab ich endlich nach und fuhr in das Schloß. Die Kaiserin Katharina, von der ich nur durch ihren Kammerdiener hörte, war, wie ich wußte, für niemand sichtbar. Erfüllt von Gram und Besorgnissen, hatte sie ihre Gemächer nicht verlassen, außer um anzuordnen und sich zu überzeugen, daß den sterblichen Ueberresten der verewigten Herrscherin alle gebührenden Ehren erwiesen würden.
Sobald Peter III. meiner ansichtig wurde, begann er mich über einen Gegenstand zu unterhalten, der ihm sehr am Herzen zu liegen schien. Er sprach in einer Weise, die all meinen Verdacht und meine Besorgnisse wegen der Kaiserin nur rechtfertigten. Halblaut und in abgerissenen Worten, aber in ziemlich unzweideutigen Ausdrücken, gab er seine Absicht zu erkennen, sie zu beseitigen und Romanowna, wie er meine Schwester nannte, auf den Thron zu erheben. Nachdem er sich ausgesprochen, gab er mir einige heilsame Verwarnungen.»Wenn Sie, meine kleine Freundin, auf meinen Rat hören wollen, «sagte er,»so wenden Sie sich ein wenig mehr zu uns; die Zeit wird kommen, wo Sie es bereuen werden, Ihre Schwester vernachlässigt zu haben. Glauben Sie mir, ich spreche in Ihrem eigenen Interesse. Es bleibt Ihnen kein anderer Weg, sich eine Stellung in der Welt zu schaffen, als der, die Art und Weise Ihrer Schwester zu studieren und sich ihres Schutzes zu versichern.«
Da es mir unmöglich war, in diesem Augenblick etwas Passendes zu entgegnen, stellte ich mich, als ob ich kein Wort von dem, was er gesagt, verstände, und beeilte mich, am Campisspiel teilzunehmen.
Bei diesem Kartenspiel hat jede Person eine gewisse Anzahl Leben, und der Ueberlebende gewinnt. Der Einsatz, den jeder Spielende in den Pot zu setzen hatte, betrug zehn Imperialen (100 Rubel). Diese Summe war schon an und für sich viel zu extravagant für meinen Beutel, besonders aber, weil Seine Majestät, wenn er verlor, anstatt eines seiner Leben nach den Spielregeln aufzugeben, jedesmal einen Imperial aus seiner Tasche nahm und in den Pot legte, wodurch er natürlich stets Gewinner blieb. Sobald das Spiel zu Ende war, schlug er ein zweites vor, das ich mir indes erlaubte, abzulehnen. Aber der Kaiser bestand darauf, noch einmal zu spielen, was ich jedoch ebenso hartnäckig abschlug. Darauf machte er mir den Vorschlag, halb Part mit ihm zu spielen. Auch dies verweigerte ich, und sah mich schließlich gezwungen, ihm zu erklären, ich sei nicht reich genug, um mich betrügen zu lassen; wollte aber Seine Majestät spielen wie andere Leute, so hätte man wenigstens Hoffnung auf einen Gewinn. Der Kaiser, gutmütig wie er war, ließ die Unart passieren, ohne eine andere Antwort als eine seiner gewöhnlichen närrischen Entgegnungen. Dann ward mir erlaubt, mich zurückzuziehen. Seiner Majestät Spielgesellschaft bestand an diesem, wie an den meisten Abenden, aus den beiden Narischkins und ihren Frauen, Ismailoff und seiner Frau, der Gräfin Elisabeth, meiner Schwester, den Herren Milgunoff, Gudowitsch und Angern, dem ersten Generaladjutanten des Kaisers, der Gräfin Bruce ec. Sie alle starrten mich vor Erstaunen entsetzt an, und als ich mich zurückzog, hörte ich sie miteinander flüstern:»Was die Frau für Geist hat!«
Als ich später durch die Reihe der Gemächer eilte, wo die übrigen Hofleute versammelt waren, bemerkte ich eine solche Veränderung in der Kleidung, daß es mir schien, als wäre alle Welt in Maskenanzügen. Ich mußte unwillkürlich lächeln, als ich den alten Fürsten Trubetzkoi, der wenigstens siebzig Jahre alt war, plötzlich in einen Militär verwandelt und jetzt zum erstenmal in seinem Leben in voller Uniform sah, straff gespannt wie eine Trommel, gestiefelt und gespornt und zum verzweifelten Kampfe gerüstet. Diese schreckliche Erscheinung war einer jener furchtbaren Krieger Peters III.
Während Maskeraden am Hofe des neuen Kaisers vor sich gingen, wurden die üblichen Ehrenbezeigungen für die verstorbene Herrscherin nicht vergessen. Sechs Wochen lang lag der Leichnam auf dem Paradebett, abwechselnd von allen Damen von Rang bewacht und beinahe täglich von der Kaiserin besucht, die durch solche Beweise ungeheuchelter Ehrerbietung und Zuneigung gegen ihre verstorbene Tante sich alle Herzen eroberte. Peter III. hingegen kam selten in das Sterbezimmer seiner Vorgängerin, und zeigte damit um so mehr die Hohlheit und den Mangel an Ehrfurcht in seinem Charakter. Wenn er aber einmal kam, so sah man ihn mit den diensttuenden Hofdamen flüstern und kichern, die Priester verspotten und die Offiziere und Soldaten, welche die Wache hatten, über wichtige Gegenstände ihres Anzugs, wie die Krawatte, die Schnallen, den Schnitt der Uniform u.s.w. tadeln.
Unter den Neuerungen, welche bei Hof eingeführt wurden, war auch die, daß die französische Art, sich zu begrüßen, an die Stelle der alten russischen treten sollte. Die Versuche der alten Damen, ihre Knie zu dieser tiefen Verbeugung des ganzen Körpers gelenkig zu machen, waren im allgemeinen sehr unglücklich und lächerlich, und es gereichte dem Kaiser zum besonderen Vergnügen, ihr Mißlingen zu beobachten. Dies war einer der Hauptgründe, weshalb er regelmäßig dem Gottesdienst in der Hofkapelle beiwohnte, zum mindesten dem Schluß desselben, wo er sicher war, seinen Uebermut zu befriedigen.
Nach dem eben Angeführten kann man sich leicht denken, daß des Kaisers Gedanken nicht viel auf seinen Sohn und dessen Erziehung gerichtet waren. Der ältere Panin, welcher der Erzieher des jungen Prinzen war, drückte oft den Wunsch aus, Seine Majestät möchte sich durch seine Anwesenheit bei den Prüfungen von den Fortschritten der Studien seines Sohnes überzeugen, aber der Kaiser entschuldigte sich gewöhnlich mit einem Vorwande, auf den sich freilich nichts erwidern ließ, nämlich, daß er ganz und gar nichts von solchen Dingen verstünde.
Unpopuläres Benehmen des Kaisers. — Festessen bei Gelegenheit des Friedens mit Preußen. — Peter beleidigt seine Frau vor allen Gästen. — Erster Akt der Verschwörung. — Marschall Razumowski. — Panin und die übrigen Personen unserer Partei.