38227.fb2 Geheimnis der Magd - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

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XV

Noch am selben Tag fiel der erste Schnee. In dichten Flocken legte er sich auf die Dächer der Stadt, bedeckte den gefrorenen Matsch in den Straßen und hüllte selbst die dampfenden Misthaufen vor den Türen der Bürgerhäuser nach und nach in weiße Laken.

Es ging sehr schnell, sehr friedlich und sehr leise vor sich.

Im Hause der Kaufmannswitwe Margarethe Pfeffersack begann sich bereits der Duft des Mittagsmahles auszubreiten. Doch Margarethe verspürte keinen Hunger. Sie hatte sich nach dem Kirchgang in ihre Schreibstube zurückgezogen, wo sie sich, die sonntägliche Ruhe missachtend, um ihre Korrespondenz kümmern wollte. Doch sie fand nicht die nötige Muße dazu. Stattdessen schaute sie bereits seit einer Stunde mit leerem Blick aus einer winzigen, geöffneten Luke im Fenster ihrer Schreibstube und verfolgte die wundersame Veränderung, welche der Schnee über den Marktplatz der Stadt Hameln brachte. Ihr Kopf war völlig leer, nichts ging in ihm vor, keine Wünsche, keine Sorgen, keine Hoffnungen, nicht einmal Trauer, er war ebenso leer wie ihr Blick. Dennoch verspürte sie ein beengendes Gefühl in sich. Eine beunruhigende Enge, die nicht zu dem herrlich friedlichen Winterbild passte, das sich nun schon seit geraumer Zeit ihren Augen bot.

Sie verharrte noch eine Weile am Fenster, dann aber war es ihr nicht mehr möglich zu bleiben. Plötzlich erwachte sie aus ihrer starren Haltung, verließ den Raum, um sich in ihr Schlafgemach zu begeben, wo sie einen herrlichen Pelz aus einer großen Eichentruhe nahm. Sie legte ihn sich um und eilte die Treppe hinunter. Ohne sich von ihrer Base und ihrem Gesinde zu verabschieden, öffnete sie die Haustüre und trat hinaus an die frische Luft.

Mit diesem ersten Schritt war sie verflogen, die beengende Unruhe – sie war fort, und stattdessen bemächtigte sich ihrer ein befreiendes Gefühl.

Zielstrebig machte sie sich auf den Weg.

Sie ging die Ritterstraße entlang, um das nahe Neue Tor zu erreichen, der kürzeste Weg, um die Mauer der Stadt so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

Kaum eine Menschenseele war an diesem Sonntagvormittag zu sehen. Allesamt saßen sie in ihren bescheidenen und weniger bescheidenen Häusern, kochten sich eine dünne Hühnersuppe oder ließen sich einen mit Feigen gefüllten Fasan zubereiten. Lediglich einige im Müll wühlende Hausschweine kreuzten Margarethes Weg und zerstörten in ihrer rücksichtslosen Unwissenheit die herrlich weiße Pracht. Und natürlich waren da die Kinder. Die Kinder der Armen, die aus ihren engen Buden in den engen Mauerstraßen und Hinterhöfen hervorgekrochen kamen, um an diesem wunderschönen Sonntag, zumeist barhäuptig und teils sogar barfüßig, im Schnee zu spielen.

Niemand störte sich an der in edlen Pelz gehüllten Frau, nicht die Schweine und auch nicht die Kinder. Lediglich eine blinde, entsetzlich pockennarbige Bettlerin, die ihr unweit des Tores in der engen Gasse entgegenkam, streckte ihre knochigen Finger nach Margarethe aus, als sie deren Anwesenheit gewahr wurde. Doch Margarethe hatte kein Geld dabei. Sie hatte nichts mitgenommen auf ihren Weg.

»Ich gebe dir später, gute Frau«, sagte sie rasch und eilte an der Blinden vorüber, um bald darauf das Neue Tor zu passieren. Der Wärter, ein junger Mann von nicht einmal achtzehn Jahren, nickte ihr nur müde zu, während sie den Weg in Richtung Osten nahm.

Sie bewegte sich nach wie vor im Bannkreis der Stadt, innerhalb des äußeren Ringes, der Landwehr, welcher ebenfalls gut bewacht und gut beschützt wurde, mögliche Feinde jedoch nur durch Wall und Graben, nicht aber durch eine massive Mauer davon abhielt, nach Hameln einzudringen. Dennoch fürchtete Margarethe sich nicht. Es herrschte Frieden, die letzte große Fehde war bereits seit sechs Jahren vorüber, und außer einer kleinen, unbedeutenden Plänkelei in diesem Jahr hatte es keine Übergriffe auf die stolze Stadt gegeben. Hameln war selbstbewusst und stark. Als Bürger dieser Stadt konnte man sich sicher fühlen, auch dann, wenn man sich im Bereich der Landwehr aufhielt. Außerhalb dieses Dunstkreises jedoch sah es vollkommen anders aus. Doch dahin zog es die Witwe Gänslein nicht. Sie ging einen gewohnten Weg, einen Weg, den sie schon oft allein gegangen war. Denn hier, außerhalb der Mauern, dort, wo vereinzelt die Baracken der ganz Armen standen, wo aber auch die Felder der Ackerbürger, die Bienenstöcke und Obstbäume manch eines Handwerksmeisters und die Rosengärten der Kaufleute zu finden waren – hier verfügte auch Margarethe über ein kleines Refugium. Einen umfriedeten, wunderschönen Platz, zu dem es sie nicht oft zog; aber wenn, dann schier magisch.

Der Garten war von einem hohen, dichten Weidezaun umgeben und zu jeder Jahreszeit wild zu nennen. Seit dem Tode Reinolds hatte sich niemand mehr regelmäßig darum gekümmert, lediglich den Zaun hatte Margarethe hier und da ausbessern und zweimal den Wildwuchs ein wenig zurückschneiden lassen. Dennoch gediehen die Rosen prächtig und bedurften offensichtlich nicht der pflegenden Hand eines Gärtners. Selbst jetzt, zu Beginn des Winters, gab es noch vereinzelte Blüten. Schneebedeckt waren ihre roten Blätter an diesem Tage, an welchem Margarethe nach langer Abwesenheit wieder das leichte Tor öffnete, um ihr Reich zu betreten.

Die Laube war bereits kahl. Sie hatte sich aller Blätter entledigt, bot aber dennoch durch ihr dichtes, nacktes Geäst ausreichend Schutz vor dem nun in immer dichter werdenden Flocken vom Himmel fallenden Schnee. Margarethe musste sich bücken, um durch den verwachsenen Eingang in das Innere der an eine riesige Kugel erinnernden Laube zu gelangen. Der Boden war fest und gefroren und leicht mit Schnee bedeckt. Es war kaum zu erkennen, dass er erst am gestrigen Tage ausgehoben worden war. Bennheim hatte trotz seiner mageren Gestalt und seines fortgeschrittenen Alters gute Arbeit geleistet.

»Und der Himmel hat den Schnee geschickt, als Zeichen deiner und deiner Kinder Unschuld, liebe Gerda«, flüsterte Margarethe leise, während sie das Kreuzzeichen machte. »Ruhet in Frieden an diesem wunderschönen Ort.«

Sie verharrte eine Weile regungslos und zu Boden blickend. In Gedanken sprach sie ein Vaterunser, ohne dabei jedoch die tiefe Verbundenheit zu Gott zu spüren. Ihr Weg zu Gott war längst ein anderer, er war kein Bitten, kein Flehen, sondern vielmehr ein Ratsuchen. Die Entscheidung, dass die junge Magd nicht in geweihter Erde und nicht im Beisein eines Geistlichen ihre letzte Ruhe gefunden hatte, bereute Margarethe nicht. Vielmehr dachte sie an die Worte des weisen Erasmus von Rotterdam, nach denen in einem jeden Menschen Gottes Kraft zu finden sei, ein jeder somit in der Lage sei, selbst Entscheidungen zu treffen. Denn warum sonst habe Gott uns zu denkenden Menschen gemacht?

Und darum hatte Margarethe nach ihrem eigenen, besten Gewissen gehandelt. Und wenn der Herr wahrhaft gütig war, dann würde es ihm ein Leichtes sein, seine toten Schäfchen überall zu finden, selbst die ungetauften winzigen Kinder. Allein die Tatsache, dass kein katholischer Pfarrer die beiden Frühgeburten auf einem Kirchhof bestattet hätte, da ihre ungetauften Seelen unweigerlich dem Fegefeuer angehörten, rechtfertigte den heimlichen Schritt, welchen die Witwe Gänslein nach dem schrecklichen Tod der drei veranlasst hatte. Außerdem war dieser Ort vor den Mauern der Stadt eine herrliche Ruhestätte. Margarethe liebte den Garten.

Mit der bloßen, unbehandschuhten Hand wischte sie den Schnee von der steinernen Bank in der Laube und setzte sich. Sie atmete hörbar und lange aus, streckte sich und begann sodann wohlwollend in den winterlichen Garten zu schauen. Sie sog die frische Luft ein. Kein lästiger Geruch nach Gewürzen aller Art, kein beißender Rauch, kein Gestank von Kohl, Zwiebeln und Geräuchertem, keine menschlichen Ausdünstungen. Hier war alles natürlich und rein. Lediglich der Zaun störte die Witwe in der Wahrnehmung dieser ersehnten Freiheit, doch er musste nun einmal sein. Selbst eine Frau wie Margarethe hätte sich allein und ohne diesen Schutz unwohl gefühlt.

Lange saß sie dort, verspürte weder Hunger noch Durst, weder Kälte noch Unruhe. Sie saß einfach dort und rezitierte aus dem Gedächtnis Lieder und Dichtungen aller Art, alles, was ihr in den Kopf kam, und dabei sprach sie, in der festen Annahme, mutterseelenallein zu sein, immer lauter zu sich selbst.

Ein verrücktes Weib war das. Vollkommen verrückt.

Aber gerade das machte sie interessant, und für ihr Alter war sie zudem noch äußerst ansehnlich. Philipp beobachtete sie schon seit geraumer Zeit. Er war ihr von dem Moment an gefolgt, als sie ihr Haus am Pferdemarkt verlassen hatte. Die Zeit war reif für eine Begegnung, auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, wie diese Frau auf sein plötzliches Erscheinen reagieren würde. Sie war unberechenbar, aber Philipp scheute keine Herausforderung. Und darum beschloss er, nachdem er bereits vollkommen eingeschneit war und die Kälte langsam unter seinen dicken Mantel kroch, sich zu erkennen zu geben.

Doch wie stellte man es geschickt an?

Es ärgerte ihn, als er bemerkte, dass er nervös wurde.

Jedes an sich selbst wahrgenommene Zeichen von Schwäche ärgerte ihn.

Doch dann hellte sich seine Miene mit einem Male auf, und die Unsicherheit war verflogen. Denn wie von Gott gesandt, lief ihm ausgerechnet in diesem Moment ein geeigneter Anlass über den Weg, um die Aufmerksamkeit der einsamen Witwe zu erheischen: eine grau gestreifte Katze. Wohlgenährt, wie sie war, hatte sie Mühe, den Zaun zu erklimmen, und wagte es nicht, als sie schließlich oben saß, hinunter in den Garten zu springen. Fast anklagend begann sie zu miauen, und sofort wurde ihr Befehl erhört. Denn im Nu unterbrach die Witwe Pfeffersack ihr Singen und eilte auf den Zaun zu. Sie schien das Tier zu kennen.

»Mein Liebling, was machst du denn hier? Bist du mir gefolgt?«, vernahm Philipp die nahende Stimme der Frau. Und prompt reagierte er.

»Niemals hätte ich zu hoffen gewagt, so angenehm empfangen zu werden«, sagte er, indem er galant die Katze vom Zaun hob und sie der Dame hinüberreichte, welche ihn stumm und staunend anstarrte.

Er war kein Schwächling, aber dennoch bereitete es ihm sehr viel Mühe, das dicke Ding so lange mit ausgestreckten Armen in der Luft zu halten, zumal es begann, sich mit Krallen und Zähnen zu wehren. Doch das schien das Weib gar nicht zu bemerken. Sie starrte ihn mit einem Ausdruck in ihrem schönen Gesicht an, der lediglich verriet, dass sie noch nicht genau wusste, wie sie auf diesen Zaungast reagieren sollte. Er hatte sie offenbar nicht nur überrascht, sondern auch verwirrt. Ja, Philipp gewann sogar den Eindruck, dass sie leicht errötete.

Ihm gefiel diese Reaktion Margarethe Gänsleins außerordentlich gut. Er hatte sich also nicht darin getäuscht, dass ihr kühles Auftreten nur Fassade war. Das würde die Sache um einiges erleichtern.

Margarethe hingegen hasste in diesem Moment keinen Menschen inniger als sich selbst. Was nur war in sie gefahren? Sie war doch kein dummes, kleines Ding, welches sich durch das plötzliche Erscheinen eines jungen Fremdlings völlig verwirren ließ.

Wie lange hatte dieser Mann schon dort gestanden?

Was hatte er alles gehört?

Wusste er von dem Geheimnis unter der Laube?

Musste sie sich ihrer Selbstgespräche schämen?

Schließlich fasste sie sich doch, nahm die zappelnde Katze entgegen und setzte sie auf dem verschneiten Boden ab. Sofort verschwand das Tier unter Margarethes schwerem Rocksaum, wo es auch blieb, und woraufhin dieser ohnehin schon unverschämte Mensch noch unverschämter zu grinsen begann.

»Es ziemt sich gar nicht, eine Frau derartig zu erschrecken, und noch weniger ziemt es sich, ihre Worte absichtlich misszudeuten, um sie in eine unangenehme Lage zu bringen.«

Margarethe hatte nun endlich zu ihrer alten Form zurückgefunden. Der Gesichtsausdruck des Mannes wurde plötzlich ernst, sein Blick jedoch blieb weiterhin keck. Es ärgerte Margarethe, feststellen zu müssen, dass ihr sein schlechtes Betragen durchaus gefiel.

»Sollte ich Euch beleidigt haben, so möchte ich aufrichtig um Verzeihung bitten.« Er verneigte sich ein wenig, wandte aber dennoch seine Augen nicht von ihr ab.

Margarethe hatte wieder das Gefühl zu erröten, deshalb drehte sie sich rasch um und wollte schnurstracks und erhobenen Hauptes zurück zu ihrer Laube gehen, als sie über die noch immer unter ihrem Gewand verweilende Katze stolperte und es trotz aller Mühe nicht verhindern konnte, zu Boden zu stürzen. Das Tier fauchte und tobte, war aber im nächsten Moment bereits behände über den Zaun gesprungen und eilte über die Felder davon – der Schreck hatte offenbar ungeahnte Kräfte in dem fetten Ding zutage gefördert. Margarethe jedoch war nicht so schnell wieder auf den Beinen.

»Habt Ihr Euch verletzt?«

Er hatte das Tor geöffnet und kniete nun neben ihr.

»Nein«, sagte sie rasch und weigerte sich, seine Hand zu nehmen. Stattdessen griff sie lieber in einen dornigen Rosenzweig, um sich wieder aufzurichten.

Und während sie sich den Schnee und den Schmutz von ihrem wertvollen Pelz klopfte, musste sie zu ihrem Entsetzen vernehmen, dass dieser Fremde laut zu lachen anfing.

Er lachte sie aus.

Er lachte die stolze, erhabene Margarethe Gänslein einfach aus.

Empört warf sie ihm einen bitterbösen Blick zu.

Im Nu verstummte er und hatte wieder dieses ernste, abwartende Gesicht.

Doch es dauerte nicht lang, und er begann erneut zu grinsen. Und dieses Mal konnte auch Margarethe ein verschämtes Lächeln nicht unterdrücken.

»Wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Philipp Stadler«, sagte er schließlich.

»Gibt es einen Grund dafür, dass Ihr an meinem Gartenzaun erschienen seid?«, fragte Margarethe, nachdem sie sich geräuspert und somit ihre verlorene Ernsthaftigkeit wiedergefunden hatte.

»Nun«, antwortete er und schaute dabei zum ersten Mal zu Boden. »Ich ging so meines Weges, und da hörte ich diesen lieblichen Gesang.«

»Wollt Ihr mich für dumm verkaufen?«, fragte Margarethe scharf.

»Durchaus nicht. Es muss Euch nicht peinlich sein. Jeder Mensch hat seine Eigenarten. Auch ich bin nicht frei davon.«

»Wollt Ihr damit etwa sagen, es sei eigenartig, wenn eine Frau in einer Laube sitzt und singt?«

»Um Gottes willen, nein«, sagte er, aber seine süffisanten Züge verrieten etwas anderes. Margarethe musterte ihn streng.

Mit den Augen einer Kauffrau betrachtet, handelte es sich um ausgezeichnete Ware. Wäre er ein Sack voll Safran, so gäbe es für sie keinen Grund, um den Preis zu feilschen. Aber dennoch stimmte irgendetwas mit diesem Mann nicht. Das gleiche Gefühl hatte sie schon einmal bei einer Ladung ausgezeichneten Pfeffers gehabt. Ein findiger Bursche hatte ihn ihr auf der Messe in Frankfurt zu einem guten Preis angeboten, doch dann hatte sich herausgestellt, dass es sich um Diebesgut handelte. Margarethe war damals mit einem blauen Auge davongekommen, sie hatte ihre Unwissenheit durch das Zahlen einer unbedeutenden Summe unter Beweis stellen können, der Bursche jedoch war mitsamt seiner Hehlerware verbrannt worden.

Philipp bemerkte sofort, dass ihm die bislang glückliche Situation zu entgleiten schien. So schnell käme er nicht erneut in eine derartig günstige Lage, deshalb galt es, die Dame wieder in den Griff zu bekommen.

»Einen schönen Garten habt Ihr. Ist es Absicht, dass Ihr der Natur freie Hand lasst?«

»Ihr versteht es, Euer Gegenüber mit einem jeden Wort, das Ihr von Euch gebt, zu reizen«, antwortete Margarethe.

»Nun, daran ist eine Eigenschaft schuld, auf die man nicht immerzu stolz sein darf.«

»Und diese Eigenschaft nennt sich Dreistigkeit?«

»Ich würde sie eher als Ehrlichkeit bezeichnen.«

»Was treibt Ihr in Hameln?«

»Ihr wisst, dass ich mich zur Zeit in Hameln aufhalte?«

»Man redet über Euch. Fremde benötigen keine bunt gestreiften Kleider, lustige Kappen und Pfeifen, um in dieser Stadt aufzufallen.«

Philipp kratzte sich nachdenklich am Kopf, indem er seine samtene Kappe ein wenig nach hinten schob, was Margarethe unwillkürlich ein anerkennendes Lächeln abverlangte. Dieser Mann war wahrlich eine Augenweide. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig, seine Nase gerade, der Mund nicht zu voll und nicht zu schmal, die Augen ausdrucksstark, und sein dunkles Haar – das mochte Margarethe besonders gern – war gelockt.

»Nun, ich hoffe, ich bin bislang nicht unangenehm aufgefallen«, sagte er nachdenklich.

»Dazu kann ich nichts sagen, da Ihr mir bislang überhaupt nicht aufgefallen seid. Ich habe lediglich andere von Euch reden hören.«

»Hoffentlich nur Gutes.«

Margarethe legte den Kopf leicht zur Seite und hob die Augenbrauen, während er sich nun verlegen an der Nase kratzte.

In diesem Moment vernahmen beide ein Scheppern und Klappern, welches von dem kleinen Pfad außerhalb des Gartentors herrührte.

»Einen wunderschönen Wintertag wünsche ich Euch, gute Kauffrau Gänslein«, war eine leicht krächzende Stimme zu vernehmen.

»Auch Euch wünsche ich einen wunderschönen Wintertag, guter Jakob«, rief Margarethe dem Mann zu, der an dem geöffneten Tor stehengeblieben war. »Seid Ihr heute wieder fleißig?«

»Ihr wisst doch: Der Sonntag ist nicht uns Juden zur Ruhe bestimmt. Altes Eisen habe ich besorgt, von der Burg Eicheck.«

»So weit seid Ihr schon gegangen an diesem Tag? Dann wünsche ich Euch für die kommende Woche viel Glück beim Verkauf Eures alten Eisens, Jakob.«

»Es ist schon verkauft, gute Frau. Das erhält alles der Apotheker Vinsebeck. Er baut eine Machina, sagt er. Er baut einen Golem, sagen andere. Ich aber frage nicht nach und bin froh, dass er mir meine Ware abnimmt. Ich frage nie nach, das ist besser für unsereins. Glück jedoch kann ich immer gebrauchen, und Glück wünsche ich auch Euch, Frau Margarethe.«

Mit diesen Worten griff er gezielt in seinen Handkarren und zog einen Gegenstand heraus. Philipp wunderte sich. Nicht nur, dass die Witwe freundlich zu einem Juden sprach, nein, sie ließ es jetzt auch noch zu, dass dieser ungebeten ihr Grundstück betrat. Er hielt ein rostiges Hufeisen in der Hand, welches er Margarethe Gänslein mit einem breiten Lachen in seinem faltigen, bärtigen Gesicht reichte.

Sie nahm es dankend entgegen, während der Alteisenhändler, leichte Verbeugungen machend, rückwärts wieder aus dem Garten hinausging.

»Ihr seid wahrlich eine außergewöhnliche Frau«, staunte Philipp noch immer, nachdem das Scheppern und Klappern des mit Alteisen beladenen Schubkarrens in der Ferne langsam verklang.

»Was ist daran außergewöhnlich, wenn man nicht jedem Menschen grundlos argwöhnisch entgegentritt?«

Diese Frau begann ihm zu gefallen. Er würde leichtes Spiel mit ihr haben.

»Nun, dann kann ich mich ja als Fremder zusammen mit dem Juden glücklich schätzen, ein paar Worte mit einer solch edlen Dame wie Euch wechseln zu dürfen. Wenn ich den alten Mann richtig verstanden habe, so steht mir also die Kauffrau Margarethe Gänslein gegenüber.«

»So ist es. Habt Ihr das etwa noch nicht gewusst?«

»Nein«, log er. »Alles, was ich bislang von Euch wusste, war, dass Ihr zu Euch selbst sprecht, einen wilden Garten außerhalb der Stadtmauern zu bewohnen scheint und Euch mit Katzen und Juden abgebt.«

»Wie schmeichelhaft«, lachte sie.

Philipp nickte zufrieden. Er schien tatsächlich auf dem richtigen Weg zu sein.