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XVI

Hans Vinsebeck wusste sich nicht mehr zu helfen. Er hatte alles versucht, was in seiner Macht stand. Dennoch wollte es nicht gelingen. Die Zeit verstrich, aber das Leben kehrte trotz ununterbrochener Mühen des kleinen Alchemisten nicht in den Körper des toten Diebes zurück. Im Gegenteil, das Versuchsobjekt begann nun endgültig zu stinken, und selbst Unmengen an Weihrauch konnten die Tatsache nicht überdecken, dass der Apotheker im Hinterzimmer seiner Offizin eine Leiche verborgen hielt.

Dabei hatte er so voller Hoffnungen gesteckt, hatte sich einreden wollen, dass seine aus Altmetallen konstruierte Pumpvorrichtung unbedingt funktionieren musste. Er hatte aus den verschiedensten Essenzen eine Flüssigkeit gebraut, welche das Blut ersetzen sollte, und er hatte, als auch dies nicht gelingen wollte, auf das frische Blut von streunenden Tieren zurückgegriffen, von denen langsam in der Stadt Hameln der Vorrat ausging. Alles zwecklos. Wahrscheinlich gab es ihn gar nicht, diesen Seelenstoff, auf den Vinsebeck so sehr gesetzt hatte, wahrscheinlich schlummerte in einem toten Menschen genauso wenig Göttliches wie in einem toten Stück Vieh. Es war einfach ein verrottender Kadaver, und etwas anderes anzunehmen nichts als tumber Aberglaube. Aas blieb Aas, ob menschlich oder nicht, und die Entschuldigung, ein unredlicher Mann sei gewiss bereits zu Lebzeiten seines Seelenstoffes beraubt gewesen, wollte der Wissenschaftler in Hans Vinsebeck erst recht nicht glauben. Hätte er es geglaubt, so müsste er nun losgehen und mit eigenen Händen eine unschuldige Jungfrau töten, um an dieser zu experimentieren. Doch auch diese würde gewiss nach wenigen Stunden zu stinken und zu faulen beginnen.

Er war zu eitel gewesen, sich seiner Sache zu sehr gewiss, als er ausgeschlossen hatte, bereits im Vorhinein etwas gegen das Einsetzen der Verwesung zu unternehmen. Er hatte doch tatsächlich angenommen, schnell genug zu sein und mit der Pumpe wieder Leben und damit auch Frische in den toten Körper zurückzubringen.

Jetzt jedoch war es zu spät und Vinsebeck am Ende seiner geistigen und körperlichen Kräfte. Dennoch, oder gerade deswegen, war es ihm nicht möglich aufzugeben. Er wollte und konnte es nicht wahrhaben, er musste weitermachen, eine Lösung finden. Zum Ausruhen war nicht der richtige Zeitpunkt.

Philipp.

Er hätte sich doch den Ratschlag von Marias Sohn anhören sollen, als dieser ihn vor einigen Nächten besucht hatte. Schon als Kind war Philipp kein Dummkopf gewesen, und nun, in den Jahren seiner mysteriösen Abwesenheit, schien er sich eine Menge an Wissen angeeignet zu haben. Nicht einmal die größten Gelehrten dieser Zeit hatten auch nur einen blassen Schimmer von dem großartigen Treiben der alten Ägypter. Philipp hingegen kannte sich aus. In Wien, hatte er erwähnt, sei er lange gewesen, auch in Paris, wo er sogar an der Sorbonne studiert habe, bis aufgeflogen sei, dass es sich bei ihm um einen Schwindler handelte und er hatte fliehen müssen, aber dennoch habe er einiges gelernt. Doch Vinsebeck war zu nervös gewesen, um ihm zuzuhören. Zu sehr von seinen eigenen Ideen und Künsten überzeugt, hatte er nicht einen Gedanken daran verschwendet, andere Meinungen zu Rate zu ziehen. Nicht einmal Philipps Worten über die in Jahrtausenden gereifte ägyptische Erfahrung hatte er Gehör schenken wollen. Und jetzt wurde er für diesen Hochmut schimpflich bestraft.

Wenn er doch nur wüsste, wo Philipp zu finden war.

Egal, er musste hinaus in die Gassen der Stadt und nach ihm suchen.

Peter Hasenstock war mehr als zufrieden, als er das Rathaus verließ und über den schneebedeckten Pferdemarkt zurück zu seinem Haus in der Osterstraße ging.

Er warf einen triumphierenden Blick zu dem prächtigen Heim der verhassten Frau und hoffte heimlich, dass diese leider allzu begehrenswerte Hexe ihn durch eine ihrer teuren Glasscheiben beobachtete. In diesem Moment war er sehr von sich und seinem Glück überzeugt. Er hatte in den letzten Monaten wertvolle Handelskontakte geknüpft, auch in finanzieller Hinsicht hatte er ein zwar dubioses, aber verlockendes Angebot erhalten, und heute war ihm mir nichts, dir nichts ein zusätzlicher Trumpf zugespielt worden, der ihm seine Angelegenheit noch um einiges erleichtern würde. Im Grunde war doch alles zu schön, um wahr zu sein, und auch wenn Misstrauen bei all diesen wunderbaren Fügungen angebracht gewesen wäre, so verspürte Peter Hasenstock nicht die geringste Lust, misstrauisch zu sein. Vielmehr wollte er den Moment genießen, ihn auskosten, auf ein weiterhin gutes Gelingen hoffen. Ja, er war an diesem Tage so sehr mit sich und seiner Welt im Reinen, so sehr überzeugt von seiner eigenen Tatkraft und Geschicklichkeit, dass er nicht einmal die zunehmend juckenden Pusteln an seinem Leibe verspürte.

Kurz überlegte er, ob er direkt zu dem garstigen Weib gehen sollte, um ihr mitzuteilen, was der Rat der Stadt Hameln soeben beschlossen hatte. Aber da dieser Beschluss noch längst nicht offiziell war, musste er sich noch ein wenig in Geduld üben und konnte sich derweil seinen Triumph vor dem geistigen Auge in den buntesten Farben ausmalen. Das war ihm ohnehin lieber als die oftmals enttäuschende und bald langweilige Wirklichkeit.

Man würde Margarethe Gänslein natürlich erst einmal vorladen und sie zu der Sache befragen. Sicherlich durfte sie ihre Meinung äußern, und sicherlich wäre man bereit, ihre Wünsche anzuhören. Aber dennoch hatte der Bürgermeister Hasenstock versichert, dass er alles daransetzen werde, dass die Pfeffersäckin den soeben gefassten Beschluss der Ratsherren annahm. Denn der Bürgermeister, dieser Trottel, war tatsächlich der Meinung, ebendiese Lösung sei das Beste für die in sämtlichen Dingen des alltäglichen und geschäftlichen Lebens überforderte Witwe.

»Sie benötigt Hilfe. Und wer könnte ihr besser behilflich sein als ein Mann, der sich ausgerechnet in den Geschäften, die ihr verstorbener Gatte betrieben hat, bestens auskennt?«

Das waren die Worte des Bürgermeisters gewesen, und zu diesen Worten hatte Hasenstock mit einem mitleidigen und gleichzeitig großherzigen Blick genickt.

»Wunderbar«, sprach er nun zu sich selbst, während er in freudiger Erwartung die in feinstes Leder gehüllten Hände aneinanderrieb. Sie würde ihm also doch noch in die Falle gehen, er würde sie einwickeln, vielleicht sogar abhängig von sich machen, so abhängig, dass sie erst gar nicht auf den Gedanken verfiel, die Drohungen ihres verstorbenen Mannes wahrzumachen und alles zu verraten, was Reinold über Peter Hasenstock gewusst hatte. Ohnehin war gar nicht sicher, inwieweit diese Frau all die verschlungenen, düsteren Geheimnisse der beiden Männer kannte, vielleicht war sie sogar vollkommen ahnungslos. Doch das würde er nun herausfinden können. Sie müsste ihm nur endlich Gelegenheit bieten, ihr näherzukommen. Und bislang hatte keine Frau, die ihm diese Gelegenheit geboten hatte, es je bereut. So zumindest war Hasenstocks feste Überzeugung.

In derart angenehme Gedanken versunken, entdeckte er plötzlich den Zwerg.

Wie eine orientierungslose Ratte huschte er auf dem Pferdemarkt hin und her. Schaute in alle Richtungen, lief zur Kirche, vor der soeben der fahrende Wundarzt Gugelmann seinen Stand aufschlug, lief zum Rathaus und wieder zurück. Erbärmlich sah es aus, das Männlein, irgendetwas schien es verloren zu haben, und das amüsierte Hasenstock sehr.

Es war tatsächlich ein guter Tag für ihn.

»Was sucht Ihr, werter Kollege?«, rief er dem kleinen Vinsebeck zu, als er zum zweiten Male an Hasenstock vorübereilte.

Das Kerlchen war vollkommen blass im Gesicht, wirkte übernächtigt und abgemagert, seine Augen lagen in tiefen Höhlen.

»Ich suche einen großen Mann.«

Vinsebeck war so außer sich, dass er gar nicht bemerkte, mit wem er da sprach. Eigentlich hatte er sich geschworen, nie wieder ein Wort mit diesem Widerling von Hasenstock zu wechseln. Aber in seiner Verzweiflung wäre ihm jetzt sogar die Hilfe des Feindes lieb.

»Einen großen Mann sucht Ihr? Was Ihr nicht sagt«, erwiderte der andere Apotheker, verächtlich auf den Kleinwüchsigen herabblickend. »Da kommen, von Eurer Warte aus betrachtet, sämtliche Männer in dieser Stadt in Frage.«

»In Schwarz ist er gekleidet. Nicht mehr als dreißig Jahre zählt er. Ein angenehmes Äußeres. Vielleicht etwas streng. Mitunter düster wirkend.«

Hasenstock hörte auf zu lachen. Er wusste sofort, wen Vinsebeck so verzweifelt suchte.

»Was wollt Ihr denn von diesem Mann?«

»Er verfügt über Wissen, das ich mit ihm teilen will.«

Was war nur in Hans Vinsebeck gefahren?

Wäre er bei Verstand gewesen, hätte er schnell bemerkt, dass er zu offen zu seinem ärgsten Widersacher sprach.

Aber Vinsebeck war nicht bei Verstand. Er konnte es nicht sein, denn er hatte seit drei Tagen nicht geschlafen, nicht gegessen, kaum getrunken und stattdessen während seiner verzweifelt durchgeführten Experimente ununterbrochen giftige Dämpfe eingeatmet.

»So, so. Wollt Ihr nicht auf einen kleinen Umtrunk mit in mein Haus kommen, werter Kollege? Ihr erweckt den Eindruck, als würdet Ihr im nächsten Moment ohnmächtig werden. Stärkt Euch ein wenig bei mir, erzählt mir von dem, was Euch so quält, und wer weiß, wer weiß, vielleicht kann ich Euch dann sogar weiterhelfen, diesen besagten Mann zu finden.«

Wie ein kleines Kind ließ sich Hans Vinsebeck von dem Apotheker Hasenstock an die Hand nehmen und zu dessen Haus führen.

»Ihr seht nicht gesund aus, Vinsebeck. Erlaubt mir, Euch einen Becher starken Weines zu reichen, dann wird es Euch im Nu besser ergehen.«

Hans Vinsebeck bemerkte erst jetzt, wo er sich aufhielt. Er saß doch tatsächlich zusammen mit dem Mann, den er aus so vielen verschiedenen Gründen verachtete, in dessen Stube. Und das Schlimme war: Es machte ihm nichts aus. Es bereitete ihm kein Unbehagen, im Gegenteil, er fühlte sich sogar wohl, genoss die Wärme des Kamins und freute sich auf einen kräftigenden Trank. Wenn man aus der Hölle kam – und nichts anderem glich im Moment das stinkende, verseuchte Heim des kleinen Alchemisten –, so musste einem die Vorhölle als wahres Paradies erscheinen.

»Was weiß denn nun dieser besagte Mann, den Ihr so verzweifelt sucht?«, begann Hasenstock seinen Gast unverblümt auszuhorchen, nachdem er die Türe zur Stube verriegelt und Vinsebeck einen randvoll gefüllten Becher roten Weines gereicht hatte.

»Apothekerwissen«, murmelte der Angesprochene nur und nahm dann einen enormen Schluck. Hasenstock grinste verächtlich. Welch erbärmliches Bild bot doch dieser Zwerg mit dem riesigen Gral in den kleinen Händen. Dennoch begann sich gleichzeitig seine gute Laune etwas zu trüben. Hatte der Fremde etwa auch vor, mit dem unbedeutenden Winzling Geschäfte zu machen?

»So? Hat er Euch dieses Wissen etwa angeboten?«

»Ja, das hat er. Und ich Tölpel habe es abgelehnt, dachte, ich wüsste es besser.«

»War es nur Wissen, das er Euch angeboten hat, oder etwa auch Geld?«

Vinsebeck stellte den Becher auf den Tisch. Er war leer, in nur zwei Zügen hatte er ihn vollkommen ausgetrunken. Nun schwirrte es vor seinen Augen, bunte Schmetterlinge tanzten, und auch ihm war nach Tanzen zumute. Er war nach nur einem Becher Wein heillos betrunken, kein Wunder, so übernächtigt und halb verhungert wie er war.

»Geld? Wieso sollte Philipp mir Geld anbieten? Er hat doch selber keines.«

»Ihr scheint ihn gut zu kennen, diesen schwarz gekleideten Herrn.«

»Ich kannte ihn bereits, als er ein Bub war, und auch Ihr, Hasenstock, müsstet Euch an ihn erinnern können. Oder besser, an seine Mutter. Dürfte ich um einen weiteren Becher Eures köstlichen Weines bitten?« Und damit reichte der kleine Mann seinem Gastgeber keck, aber bereits ordentlich zitternd das leere Gefäß.

»Gern doch«, antwortete dieser etwas abwesend. Er überlegte, wie er die Worte Vinsebecks einordnen sollte. Der Fremdling war ihm tatsächlich vom ersten Moment an seltsam vertraut erschienen. Er sollte also einst Bekanntschaft mit dessen Mutter geschlossen haben. Nun, das machte die Sache nicht einfacher, denn die Anzahl der Frauen, mit denen Peter Hasenstock in seinem Leben Bekanntschaft geschlossen hatte, war groß. Unwillkürlich begann es ihn wieder schrecklich im Schritt zu jucken.

»Ich rate Euch von einem Schwitzbad mit Quecksilbersalben ab, Hasenstock. Das macht es nicht besser, im Gegenteil«, sagte sein Gast unerwarteterweise, als Peter Hasenstock ihm erneut nachschenkte.

»Was meint Ihr damit?«, fragte dieser irritiert.

»Nun, Ihr wisst schon. Eure Sache.« Und damit wies Vinsebeck mit dem Zeigefinger zwischen seine eigenen Beine und lachte ein wenig dreckig. »Vor mir könnt Ihr das nicht verbergen, Hasenstock, ich bin ein erfahrener Apotheker und zudem schon ein wenig in der Welt herumgekommen. Aber keine Sorge, nicht jeder stirbt daran. Es ist halt äußerst unangenehm, nicht wahr? Ich frage mich nur, wie Euer Weib damit umzugehen pflegt.«

Hasenstock wurde über und über rot. Es waren Scham und Wut zugleich, die ihn schier innerlich zerplatzen ließen. Doch er versuchte, sich zu beherrschen, denn immerhin wollte er etwas von dieser lächerlichen Gestalt. Und darum versuchte er, die beleidigenden, aber leider treffenden Worte seines Gastes zu übergehen, indem er auf das eigentliche Thema zurückkam:

»Ich war also mit der Mutter dieses Fremden bekannt, so behauptet Ihr zumindest.«

»Das muss ich nicht nur behaupten, das weiß ich allzu gut.« Wieder nahm Vinsebeck einen gehörigen Schluck Wein.

»Wie war der Name dieser Frau, wenn ich fragen darf?«

Krachend setzte der Zwerg den Becher zurück auf den Tisch, sodass sein Inhalt sich rot auf das weiße Tuch ergoss. Hasenstock zuckte regelrecht zurück, denn das bis dato belustigende Gesicht des Gnoms glich nunmehr einer angsteinflößenden, hasserfüllten Fratze.

»Maria«, fauchte er. Und da ging Hasenstock plötzlich ein Licht auf. Ein unangenehm grelles Licht. Zwar hatte es in seinem Leben zahllose Marias gegeben, aber an eine erinnerte er sich nur allzu gut. Es würde doch wohl nicht diese sein, von welcher der Zwerg sprach?

Gequält lächelnd führte der Gastgeber nun seinerseits seinen Becher an die Lippen. Er sagte nichts weiter und kümmerte sich auch nicht um Vinsebeck, welcher ihn nach wie vor aus bösen Augen anblitzte.

Marias Sohn. Das konnte nichts Gutes verheißen.

Sein Misstrauen war demnach berechtigt gewesen, und das Geschäft, was ihm dieser Halunke angetragen hatte, war gewiss nichts weiter als eine Falle. Mit Sicherheit sann dieses elende Otterngezücht auf Rache. Doch auf solch ein Spiel hatte Peter Hasenstock ganz und gar keine Lust.

»Ich entsinne mich dunkel«, sagte er nun leise. »Wie geht es denn der guten Maria? Sie müsste nun bereits eine alte Frau sein.«

»Tot ist sie«, lallte der Zwerg.

Hasenstock war erleichtert: »Und was treibt ihren Sohn nun nach Hameln?«

»Er will sich nicht mehr im Wald verstecken müssen«, gab Vinsebeck zur Antwort, ohne den eigentlichen Grund für Philipps Rückkehr zu kennen, denn danach hatte er den jungen Mann gar nicht gefragt.

»Ein wahrlich betrübliches Schicksal, das die beiden ereilt hat«, fuhr Hasenstock fort. »Eine fremde Frau aus den Bergen mit einem rotznäsigen Balg an ihrer Seite. Nun, zum Glück haben sie in Reinold Gänslein einen Wohltäter gefunden. Wobei sich gewiss die Frage stellt, warum er sich ausgerechnet dieser beiden angenommen hat. Es gibt doch so viele andere Arme und Bedürftige.«

Vinsebeck brummte nur unwillig bei diesen Worten, doch das störte Hasenstock nicht, er redete weiter:

»Ihr, mein lieber Kollege, versteht Euch doch prächtig mit der Witwe Reinold Gänsleins. Wie steht sie zu der Tatsache, dass dieser junge Mann wieder in der Stadt ist?«

»Haltet Margarethe aus dem schmutzigen Spiel heraus. Sie ist unwissend und unschuldig«, fuhr ihn der kleine Vinsebeck an.

»Oh, Ihr scheint sie regelrecht zu verehren.«

»Das tue ich. Und anders als Ihr werde ich erfolgreich um ihre Hand anhalten.«

Nun spie Hasenstock in einem Anfall unerträglichen Amüsements den Schluck Wein, den er soeben genommen hatte, auf den Tisch und wischte sich hernach laut lachend den Mund am immer mehr befleckten Tischtuch ab.

»Ihr braucht gar nicht so zu lachen, werter Kollege. Margarethe selbst hat mich regelrecht angefleht, sie zur Frau zu nehmen.«

Vinsebeck war bereits so betrunken, dass er nicht einmal im Nachhinein spürte, wie er sich um Kopf und Kragen redete.

»Warum sollte sie ausgerechnet Euch zum Manne nehmen?«

»Ich weiß, wie gering Ihr mich erachtet. Aber dennoch habe ich Euch einiges voraus, Hasenstock. Bei mir weiß eine Frau, dass sie in guten Händen ist, dass ich sie hoch achte. Ein Weib wie Margarethe darf nicht unterjocht werden. Welch anderer Mann, außer mir, würde ihr ihre Selbstständigkeit erlauben?«

Hasenstock hielt nun inne. Die Worte des kleinen Mannes, so trunken dieser auch war, ergaben durchaus Sinn. Er war ein Niemand, ein Verrückter, ein bedeutungsloser Alchemist und Giftmischer und dennoch zufrieden mit dem, was er tat. Er würde sich nicht für die Handelsgeschäfte einer Gewürzkauffrau interessieren, nicht für ihr Hab und Gut, wahrscheinlich nicht einmal für ihren Leib. Er war in dieser Stadt der einzige halbwegs standesgemäße und dennoch ungefährlichste Heiratskandidat für die reiche Witwe Gänslein, trotz seiner lächerlichen Gestalt. Dieser kleine Mann, dieser vermeintlich harmlose Wicht, konnte ihm also das ganze Spiel verderben.

Nicht nur, dass er ihm unverblümt erzählt hatte, dass Hasenstocks möglicher Kapitalgeber der rachedurstige Sohn einer verstoßenen Hure war. Nein, der Zwerg wollte ihm auch den heute errungenen Trumpf zunichte machen und die Hasenstock in Aussicht gestellte Vormundschaft über Margarethe Gänslein entwerten, indem er die Witwe selbst ehelichte.

So rasch also konnte Glück in Unglück umschlagen.

Eine einzige zufällige Begegnung auf dem Marktplatz, und aus dem mit sich und der Welt rundum zufriedenen Peter Hasenstock war ein zutiefst besorgter Mann geworden. Doch dem dumm plappernden Zwerg durfte man keinen Vorwurf machen. Im Gegenteil, er musste ihm eigentlich dankbar sein, denn so verfügte er nun wenigstens über die Wahrheit, auch wenn es schmerzte, dass diese den wohlgewobenen Schleier der Illusion so jäh zerrissen hatte.

Der Fremde war Marias Sohn, und Margarethe Gänslein gedachte den Gnom Vinsebeck zu ehelichen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man in der Stadt offenbar auch schon von dem heimlichen Leiden Hasenstocks wusste, ein Leiden, welches er sich selbst nicht einmal einzugestehen wagte.

All diese neuen Informationen galt es zu verarbeiten.

»Ihr antwortet nicht mehr? Dann werde ich mich wohl wieder auf den Weg machen«, sagte Vinsebeck plötzlich in das bereits länger bestehende Schweigen hinein und machte Anstalten, von seinem Stuhl herunterzurutschen. »Könnt Ihr mir denn nun sagen, wo ich Philipp finde?«

»Nein«, sagte Hasenstock nur einsilbig.

»Na, dann. Mich zieht es ohnehin zurück in mein Heim. Dort wartet jemand auf mich.«

»Etwa Eure Verlobte Margarethe?«

»Nein.« Und jetzt richtete sich der kleine Mann in voller, etwas schwankender Größe vor seinem Kollegen auf: »Ein Objekt der Wissenschaft, mit dem es Fortschritte zu machen gilt. Ein wahrer Meister seiner Zunft, guter Hasenstock, gibt sich nicht mit dem Mischen von Pusteln abdeckenden Pülverchen zufrieden.«

Hasenstock war nur wenig beleidigt, ihn überraschte nun gar nichts mehr. Gelangweilt fragte er nur:

»Sondern womit?«

»In Bälde könnt ihr mich einen Prometheus nennen, wenn Euch denn die Sagen der Antike bekannt sind. Was ich jedoch stark bezweifle.«

Und damit wankte Vinsebeck erhobenen Hauptes und sehr mit sich zufrieden aus dem Hause seines Feindes. Noch war er der festen Überzeugung, über den verhassten Mann triumphiert zu haben, aber noch umnebelte der reichlich genossene Wein seinen Verstand.

Peter Hasenstock jedoch triumphierte nicht. Er war verwirrt und mit all den neuen Erkenntnissen heillos überfordert.

Erst als er zu seinem reichlich bestückten, aber wenig genutzten Bücherregal ging und eine verstaubte Enzyklopädie hervorzog, um sich danach zu erkundigen, was in drei Teufels Namen ein »Prometheus« sei, begann sich seine Miene wieder aufzuhellen.

»Hab ich dich, Vinsebeck. Dafür wirst du brennen.«

Als Hans Vinsebeck wieder in sein Heim in der engen Gasse an der Ostseite der Stadtmauer zurückkehrte, war er noch immer in frivoler Stimmung, ja geradezu euphorisch. Er hätte singen und tanzen können vor Freude. Doch dieser Zustand kehrte sich nun schlagartig um. Die frische Winterluft hatte das Ihrige dazu beigetragen, dass der kleine Mann schnell wieder ausnüchterte, und seine Rückkehr in die gewohnte, düstere, übelriechende Umgebung seines Hauses tat das Übrige. Im Dunkeln stolperte er über seine Trippen, die Fußuntersätze, welche er, ähnlich einem Gassenkehrer, stets anlegte, sobald er das Haus verließ. Es war nicht etwa der Ekel vor dem knöcheltiefen Schmutz der Straßen, der ihn diese hohen Holzklötze anschnüren ließ, wenn er in die Stadt ging. Nein, sie sollten ihn schlichtweg größer machen, was sie auch taten, um einen halben Kopf gar. Er hatte es sich bereits so sehr zur Gewohnheit werden lassen, außerhalb seiner eigenen vier Wände diese Dinger zu tragen, dass er eher seine Kappe oder seinen Geldbeutel daheim liegen ließ, als seine Trippen zu vergessen.

Er musste demnach in arger Bedrängnis gewesen sein, als er vor einigen Stunden fluchtartig aus dem Häuschen gestürmt war. Und das wurde ihm nun erst bewusst, nun, wo er die Holzgestelle aufgehoben hatte, in den Händen hielt und die gewöhnlichen Trippen betrachtete, als handele es sich dabei um heilige Reliquien aus dem Grabe Jesu Christi.

»Was habe ich diesem Hasenstock nur erzählt?«, fragte er die Fußuntersetzer. Doch sie antworteten ihm nicht.

»Ich bin der größte Narr des gesamten Universums.«

Dann überlegte er eine ganze Weile, dumpf in die nur von einem winzigen Talglicht beleuchtete Düsternis seiner Offizin blickend.

»Er ist ein Zauberer«, sagte er schließlich. »Ich habe ihn schimpflich unterschätzt. Er hat mir etwas in den Wein gemischt, sodass ich nicht aufhören konnte zu reden.«

Vinsebeck war mit einem Mal fest davon überzeugt, das Opfer böser Magie geworden zu sein. Ihm, der von sich behauptete, vollkommen gegen Aberglauben gefeit zu sein, stand nun deutlich vor Augen, dass der Halunke Hasenstock ihm einen Zaubertrank verabreicht hatte, einen, der ihn, den armen Zwerg, auf sämtliche Fragen des anderen Apothekers wahrheitsgemäß und damit unvorsichtig hatte antworten lassen.

Und auch wenn dem nicht so gewesen war, auch wenn Hasenstock schlicht das Glück besessen hatte, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, um den kleinen Apotheker in einem verzweifelten Zustand selbstverschuldeter geistiger Umnachtung anzutreffen, auch dann änderte das nichts an der Tatsache, dass Hans Vinsebeck sich nicht nur um den Verstand, sondern wohl auch um sein Leben geredet haben könnte.

Und nicht nur sich.

Der arme Philipp, die arme Gänslein. Von ihnen war ebenfalls die Rede gewesen.

Er musste sie warnen.

Doch zunächst einmal hieß es, die Reste des stinkenden mechanischen Menschen zu beseitigen, bevor die Büttel des Vogts vor seiner Türe standen.

Wie viel Zeit blieb ihm noch?

Einen ganzen Tag würden die Vorbereitungen schon in Anspruch nehmen.

Es war zu hoffen, dass der eitle Pfau von Hasenstock ihm diesen Vorsprung gewährte.

Alle Müdigkeit, alle Verwirrung war nun von dem kleinen Mann abgefallen, weder Wein noch giftige Gase trübten mehr seinen Verstand. Er dachte plötzlich hell und klar und wusste, was zu tun war.