38227.fb2 Geheimnis der Magd - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 23

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XXI

Auch der Ratsherr und Apotheker Peter Hasenstock war anwesend, als am Nachmittag die Brandstelle und der dort aufgefundene Leichnam in Augenschein genommen wurden.

Er gab sich sichtlich Mühe, seinen zufriedenen, ja triumphierenden Gesichtsausdruck zu verbergen. Stattdessen setzte er eine wenig überzeugende, bekümmerte und entsetzte Miene auf. Grundsätzlich aber hielt er sich zurück und ließ die anderen Ratsmänner und Handwerksvertreter reden. Und die kamen schnell darin überein, dass es sich wohl um ein tragisches Unglück gehandelt haben musste, und dass der Tote zweifelsohne niemand anderes als der einzige Bewohner des teilweise niedergebrannten und nun abzureißenden Hauses sei, nämlich der Pillendreher Vinsebeck. Ein absichtlich gelegtes Feuer oder gar ein Mord waren auszuschließen, ebenso fand man keinen Grund für die Annahme, dass der kleine Apotheker seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte, und so stand also einem ordentlichen Begräbnis nichts mehr im Wege. Allein die Frage des Erbes blieb ungeklärt, aber da von einem Testament nichts bekannt war, würde der Grund und Boden – denn mehr blieb nach den Flammen nicht mehr übrig – nach einiger Zeit auf die Stadt Hameln übergehen.

So schnell also wurde das Kapitel Vinsebeck geschlossen, so schnell verschwand der eigentümliche, interessante kleine Mann aus dem Gedächtnis der Stadt. Und genau das war der Grund für die außerordentliche Zufriedenheit des Peter Hasenstock. Er war sehr damit einverstanden, dass seine Ratsfreunde und die Vertreter der Zünfte in der Annahme gingen, der müde und überarbeitete Zwerg sei gewiss eingeschlafen, ohne zuvor die Kerze in seiner Schlafkammer zu löschen.

»Vielleicht hat er wieder einmal zu viel getrunken. Das war die große Schwäche meines geschätzten Kollegen Vinsebeck«, hatte Hasenstock lediglich leise zum Besten gegeben und sich ansonsten nur durch eifriges Kopfnicken bemerkbar gemacht. Es kam ihm gelegen, wenn nicht viel Aufhebens um diese Sache gemacht wurde. Man musste ja keine alten Unannehmlichkeiten zutage fördern. Hauptsache war, dass der Wicht nun aus dem Weg geräumt war. Endgültig – und ganz ohne sein Zutun.

Dennoch – und das war Hasenstock trotz seines zufälligen Triumphes über Hans Vinsebeck bewusst – durfte nun keine Zeit verloren werden.

Was, wenn die störrische Witwe sich nach dem plötzlichen Ableben des Gnoms einen neuen Verlobten suchte?

Nein, der Vertrag über die Vormundschaft Peter Hasenstocks in geschäftlichen Angelegenheiten der Kaufmannswitwe Gänslein musste endgültig unter Dach und Fach gebracht werden. Und nachdem sich alles bisher so wunderbar gefügt hatte, würde er es noch einmal im Guten mit dem garstigen Weib versuchen.

Ein letztes Mal.

Philipp kehrte erst im Dunkeln in die Stadt zurück.

Der Besuch bei der Hütte seiner Mutter hatte ihm nicht gutgetan. Aber er hatte diesem Menschen helfen müssen, auch wenn es ihm ganz und gar nicht behagte, solche Regungen wie Mitleid, Wohlwollen oder gar Zuneigung in sich zu dulden. Hatte es ihn doch viel Kraft und Anstrengung gekostet, genau das über viele Jahre hinweg in sich abzutöten.

Er hatte Vinsebeck nun geholfen, aber das sollte auch alles gewesen sein. Auf keinen Fall wollte er den kleinen Mann in die Sache hineinziehen und ihn auch nicht weiter als Informationsquelle nutzen. Nicht aus Rücksicht gegenüber Vinsebeck, sondern vielmehr aus Furcht davor, dass Philipp glaubte, sich mit einer anbahnenden Freundschaft zu diesem liebenswerten Gnom in eine ungewollte Abhängigkeit zu begeben. So war er also wortkarg gegenüber Hans Vinsebeck geblieben, hatte mit ihm nicht über Margarethe Gänslein sprechen wollen und auch nicht über seine Mutter. Stumm hatte er ihn lediglich begleitet, ihn sowie den unentbehrlichen Teil seiner Habe dorthin gebracht, wo Vinsebeck in Sicherheit war, wo er bleiben und wo man ihn vergessen konnte. Auch Philipp wollte ihn vergessen, er hatte nicht vor, jemals wieder diesen Wald mit der verfluchten Hütte zu betreten.

Den kleinen Apotheker aufzusuchen war ein Fehler gewesen. Die aufrichtige Freundlichkeit und unschuldige Naivität des Zwerges hatten Philipp schwankend, ja zögerlich gemacht. Doch das durfte nicht sein, er durfte sich keine Sentimentalitäten erlauben. Und eigentlich war es nur gut, dass das Männlein nun fort war aus der Stadt und ihm durch seine pure Anwesenheit nicht mehr ins Gewissen reden konnte.

Philipp war zufällig bei Vinsebeck erschienen, als dieser ihm von seinem Plan, die Stadt zu verlassen, unterrichtete. Der junge Mann hatte ihm sodann geholfen, hatte alle verdächtigen Spuren aus dem Hinterzimmer des Alchemisten beseitigt, während dieser den toten Dieb präparierte. Philipp hatte danach die um einiges verkürzte, faulende Leiche nach oben in die Schlafkammer getragen, und dann hatten sie zusammen das Feuer gelegt, wohl darauf bedacht, dass es nach Möglichkeit nicht arg um sich griff, denn die umliegenden überfüllten Katen der Armen sollten verschont bleiben. Es galt lediglich, verdächtiges Material zu zerstören und den Eindruck zu erwecken, dass Hans Vinsebeck ums Leben gekommen sei. Alles war nach Plan gelaufen, bis plötzlich diese Frau aufgetaucht war.

Sie war, in Sorge um den kleinen Apotheker, schier kopflos in das brennende Haus gestürmt. Philipp hatte sie gepackt, mit einem gekonnten Handgriff für einige Augenblicke unschädlich gemacht und sie dann im Ziegenstall des Hinterhofes abgelegt. Hans Vinsebeck war es nicht recht gewesen, wie grob sein Freund mit der geachteten Kaufmannswitwe umgegangen war, und auch Philipp selbst war nicht mit sich zufrieden. Das Erscheinen Margarethes hatte ihn irritiert, hatte ihn in seinen Zweifeln noch weiter bestärkt. Lieber wäre es ihm gewesen, wenn er in ihr eine selbstverliebte, geldgierige Händlerin vor sich gehabt hätte, die lediglich nach ein wenig Anerkennung und Zuneigung lechzte, um ihr ichbezogenes Herz zu befriedigen. Doch dieser Frau schien aufrichtig an dem Wohl des kleinen Apothekers gelegen zu sein, ganz so wie Philipp auch. Und das war alles andere als gut. Das störte ihn in der kaltblütigen Durchführung seines Vorhabens.

Und dann gab es auch noch diese dritte Person, welche sich in seine Gedanken geschlichen hatte.

Johanna.

Auch sie hätte er lieber weit, weit fort aus Hameln gewusst. Das wäre das Beste für sie, und auch das Beste für Philipp. Ja, mit ihr verband er die mehr als schmerzhafte Erinnerung, welche mit dieser verdammten Hütte im Wald zu tun hatte, aus dem er nun gesenkten Hauptes wieder nach Hameln zurückkehrte. Zu viel Schreckliches lag dort im Wald begraben, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Zu viel, woran er sich zu erinnern verbot, war dort geschehen, aber dennoch trieben ausgerechnet diese Geschehnisse ihn noch immer. Sie waren es, die ihn so handeln ließen, wie er nun zu handeln beabsichtigte. Sie und die Vergangenheit seiner Mutter.

War es das alles wert?

Ihm stand die Welt offen.

Er war reich, er war noch längst kein alter Mann, und klug war er dazu.

Was wollte er also noch hier?

Sollte er die verlorenen Zeiten nicht besser ruhen lassen?

Auf der großen, steinernen Brücke, welche die Weser überspannte und die von Westen her in die Stadt Hameln führte, blieb er stehen und starrte ins schwarz dahinfließende Wasser.

Besser, er drehte um und verschwand für immer.

Doch das hatte er schon einmal versucht, hatte versucht, an anderen Orten sein Glück zu finden. Es war ihm nicht gelungen. Nicht, solange ihm diese Vergangenheit im Nacken saß. Sie galt es mit Haut und Haaren auszulöschen. Erst dann standen ihm alle Wege offen.

Philipp wusste, dass es ein teuflischer Zwang war, unter dem er litt. Doch er hatte sich längst an diesen Zwang gewöhnt und war sich sicher, dass nur er allein es schaffte, ihn zu überwinden. Dazu benötigte er auf keinen Fall den Beistand von Menschen, die sich zu tief in seine Gedanken bohrten. Sie störten ihn nur. Ja, Vinsebeck störte, aber nun war er fort. Und auch Johanna würde verschwinden müssen. Was aber noch schlimmer war, war die Tatsache, dass auch Margarethe Gänslein ihn als Mensch zu beeindrucken begann. Und das durfte ganz und gar nicht sein.

Er durfte keine Schwäche zeigen. Und zeigte er sie dennoch, dann würde kein Weg an der tatkräftigen, kaltblütigen Hilfe eines Till Carnifex vorbeiführen.