38227.fb2 Geheimnis der Magd - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 30

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XXVIII

Noch immer saß Johanna der Schrecken in allen Gliedern, als sie sich im Dunkeln aus dem Hause stahl, um, ganz so, wie ihre Herrin es wünschte, die Übergabe des Lösegeldes für die Geisel Vinsebeck zu erledigen. Aber sie hatte nicht nur den Beutel mit den geforderten Dukaten bei sich, nein, sie trug noch eine leichtere, aber dennoch ungleich schwerere Last – gewaschen und in mehrere Schichten parfümierter Laken gehüllt.

»Begrab sie genau an dem Ort, von welchem sie so schändlich gestohlen worden sind«, hatte Margarethe ihr mit auf den Weg gegeben. »Erzähle Philipp von dem Geschehnis auf unserem Hof und beobachte genau, wie er sich verhält.«

Johanna hatte nur stumm genickt und sich sodann mit dem Segen ihrer Herrin aus dem Hause geschlichen.

Kein Wunder, dass Margarethe nach einem solch grausamen Fund auf ihrem eigenen Grund und Boden von allen Seiten Drohungen auf sich zukommen sah. Ja, in einem ersten Anflug von Wut und Enttäuschung hatte sie gar ihrem treuen Bennheim und Johanna unterstellt, die beiden hätten aus purer Faulheit die Kinderleichen in die Grube geworfen, damit sie sie nicht im gefrorenen Rosengarten vergraben müssten. Natürlich war auch Hasenstock unter den Verdächtigen, genauso wie Philipp, welchen Margarethe am heutigen Tage zum ersten Male laut infrage gestellt hatte. Doch schlussendlich waren die Witwe Gänslein und auch Johanna zu dem Schluss gekommen, dass es sich allein um die geschmacklose und vollkommen verruchte Tat dieses Henkersbruders handeln musste, welcher auf die Art und Weise schlicht an das kommen wollte, was er schlussendlich auch erhalten hatte: Geld. Dennoch galt es, Philipp als den Dienstherrn des rauen Burschen Carnifex scharf im Auge zu behalten.

Johanna hatte Angst, ja, sie fürchtete sich sehr vor der ihr bevorstehenden Erledigung. Dennoch ging sie langsam, aber entschlossen ihres Weges, und es gelang ihr, sich heimlich durch ein enges Schlupfloch in der Stadtmauer zu stehlen, um ungesehen zu dem berüchtigten Rosengarten zu gelangen. Stockfinster wurde es langsam, und sie hatte kein Licht dabei.

Es würde schwierig genug sein, in der Dunkelheit den Weg zu finden.

Und dann? Angekommen im Rosengarten?

Am besten war es, erst gar nicht darüber nachzudenken, wie sie die zu erledigenden Aufgaben bewältigen sollte. Doch das war nicht möglich. In Johannas Kopf schwirrte es nur so.

Das Einfachste würde es noch sein, ihm den schweren Beutel mit Geld auszuhändigen. Schrecklich würde es dann, ein Loch für die beiden leblosen Körperchen zu graben und sie endgültig zur Ruhe zu betten. Als fast unmöglich stellte sie sich vor, ihn darüber zu befragen, was er mit der begangenen Leichenfledderei im Hinterhof des Gewürzkaufmannshauses zu tun hatte. Und generell war es gefährlich, sich mit diesem Mann heimlich, außerhalb der Stadt, ohne Anwesenheit einer anderen Menschenseele zu treffen.

Warum? So dachte sie plötzlich und blieb mit dem Rücken an die kalte, äußere Mauer gelehnt stehen, warum mache ich das eigentlich?

Warum bin ich nur ein solch treudummes Schaf, das sich nicht nur freiwillig zum Schlachter führen lässt, sondern auch noch gleich das gewetzte Messer mitbringt? Ich habe hier einen ganzen Beutel voller Gold. Wieso ihn nicht einfach nehmen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Wieso ins Verderben gehen und auch noch dafür bezahlen, dass man sich mir nichts, dir nichts abschlachten lässt? Nein, vielmehr könnte ich mir doch ein schönes Leben machen, könnte in eine andere, fernere Stadt ziehen, mir teure Kleider kaufen, gar ein Haus. Und eine eigene Magd könnte ich mir auch anstellen.

Johannas Herz klopfte bei diesen Gedanken. Es behagte ihr, mit derlei Vorstellungen zu spielen, auch wenn sie genau wusste, dass sie niemals, niemals den Mut und auch nicht die Kaltblütigkeit besitzen würde, so zu handeln. Immerhin galt es, ein Menschenleben zu retten. Das des kleinen Meisters Vinsebeck, und eine solche Schuld würde sie eines Säckchen Goldes wegen nicht auf sich nehmen.

Mit einem Mal – Johanna stand noch immer mit dem Rücken zur Wand – fiel ein Fackelschein auf die Mauer. Sie hatte gar nicht gehört, dass jemand in der Nähe war. Die Wachen auf dem Wehrgang über ihr hatten sie erst vor wenigen Augenblicken passiert, ohne ihrer gewahr zu werden. Doch nun näherte sich jemand von unten, von außerhalb der Stadtmauer.

»Wer da?«, vernahm sie nun die raue Stimme eines Mannes. Er trug tatsächlich eine Fackel in der Hand, welche sein Gesicht erleuchtete. Es war ein Landsknecht, diensthabender Nachtwächter der Landwehr und mit Sicherheit auf der Suche nach Strauchdieben und verdächtigem Gesindel, das sich des späten Abends in der Nähe der Stadt herumtrieb. Natürlich kannten auch die Wachleute die nur vermeintlich heimlichen Schlupfwinkel in der Mauer. So etwas sprach sich schnell herum, und gerade diese Orte wurden mitunter strenger bewacht als die Tore. Es war dumm von Johanna gewesen, ausgerechnet in der Nähe eines solch gefährlichen Ortes eine Rast einzulegen, und verstecken konnte sie sich nun auch nicht mehr, denn in eben diesem Moment richtete er sein Licht direkt auf sie.

»Wer bist du?«, fragte er barsch.

»Johanna, die Magd der Witwe Gänslein.«

»Was treibst du zu solcher Stunde hier?«

»Ich, ich …«

»Ach, halt’s Maul, ich kann’s mir denken«, unterbrach er sie barsch. »Dies ist nicht der rechte Ort und auch nicht die rechte Jahreszeit für ein Stelldichein unterm Sternenhimmel. Wo ist dein Liebster? Hat er dich vergessen?«

Johanna zuckte leicht mit den Schultern, sie zitterte, versuchte aber, ruhig zu bleiben. Gut, dass er sich selbst auf eine derartig falsche Fährte brachte.

»Was hast du denn da in den Säcken?«, fragte er nun. Und diese Frage war alles andere als gut für Johanna.

Sie überlegte nicht lang und sagte: »Nur etwas zu essen.«

»Hast du das deiner Herrin gestohlen? Du wärst nicht die erste ihrer Mägde, die sie beklaut. Zeig mal her.«

Nun kam er näher, und Johannas Hoffnung auf einen glimpflichen Ausgang dieser Begegnung löste sich in Luft auf. Sie versuchte erst gar nicht, zu entwischen oder ihm die Säcke zu entreißen.

»Der ist ja voller Goldmünzen!«, rief er nun und starrte ihr fassungslos ins Gesicht.

»Nimm es mit und lass mich laufen«, flehte Johanna innerlich. »Aber schau auf keinen Fall in den anderen Beutel hinein.«

Vergebens.

»Gib mir den anderen Sack.«

»Darin ist wirklich etwas zu essen.«

»Ich will es sehen.«

Er riss ihr den Beutel aus der Hand und griff hinein.

Angewidert zog er den Arm wieder heraus.

»Was ist darin eingewickelt? Es fühlt sich seltsam an.«

»Fleisch«, stotterte Johanna.

Nun war auch auf der Stadtmauer das Stapfen eines anderen wachhabenden Söldners zu vernehmen.

»Otto!«, rief nun der Landsknecht nach oben. Vielmehr, er wollte es nach oben rufen, denn urplötzlich weiteten sich seine Augen entsetzlich, und sein geöffneter Mund blieb stumm. Er kippte langsam vornüber in Johannas Arme, die ihn ohne nachzudenken auffing. Leise stöhnend sackte er schließlich in ihrem Schoß zusammen. Ein Messer steckte in seinem Nacken. Doch er atmete noch.

Im gleichen Moment griff jemand nach Johannas Arm und zerrte sie nach oben.

»Hast du das Gold?«, vernahm sie nun die vertraute Stimme Philipps.

»Er hat den Sack noch in der Hand«, stammelte sie, während sie selber nach dem am Boden liegenden anderen Beutel langte.

»Komm, wir müssen verschwinden.«

»Was ist da los?«, hörten sie nun mehrere Stimmen vom Wehrgang auf der Stadtmauer.

»Stehen bleiben!«

»Zwei sind’s. Ein Mann und eine Frau.«

Und wieder: »Stehen bleiben.«

Dann gingen Pfeile auf die beiden Flüchtenden nieder. Doch sie landeten nur zwischen Büschen und im matschigen Schnee.

Johanna rannte um ihr Leben. Sie wusste nicht, wohin er sie zerrte, aber eines wusste sie: Nie wieder würde sie einen Fuß in die Stadt Hameln setzen können.