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II
Guter Vestiarius, was verschafft mir die Ehre?«
»Ich werte es als Gunsterweisung, dass Ihr mich so formlos begrüßt, liebe Frau Margarethe.«
Mit immer den gleichen Worten wurde ein jeder Besuch des Stiftsherrn Hubertus Vestiarius bei der Kaufmannswitwe Margarethe Gänslein eingeleitet. Jedes Mal fragte sie ihn danach, was ihr die Ehre verschaffe, und jedes Mal wurde er nicht müde zu erwähnen, dass er es genoss, in ihrer Gunst zu stehen. Nach Beendigung dieses Rituals ging man meist zusammen in die Stube des prächtigen Kaufmannshauses, um bei einem Becher Glühwein und Konfekt über die neuesten Ereignisse in der Stadt Hameln, in der nahen Umgebung, im gesamten Reich, ja sogar in der ganzen Welt zu plauschen. Denn der Horizont der Margarethe Gänslein war ausgesprochen weit – ebenso wie der Horizont ihres treuen Gastes –, so weit gar, dass sie über den Rand der bis vor Kurzem noch bekannten Welt hinausgingen und gar bis zu dem neuen, noch nicht völlig erkundeten Kontinent im Westen reichten.
Margarethe Gänslein war eine Frau mittleren Alters, deren mehr als ansprechende Erscheinung verriet, dass es sich bei ihr in jungen Jahren um eine wahre Schönheit gehandelt haben musste. Dennoch war sie weit davon entfernt, eitel zu sein. Sie kleidete sich zwar teuer, aber ihrem Witwenstand entsprechend unauffällig und verzichtete gänzlich auf bunte Farben, bestickte Stoffe und ins Auge stechenden Schmuck, obwohl sie sich jeglichen Luxus beileibe hätte leisten können. Eitel war sie also nicht. Aber dennoch galt sie als hochmütig, und sie tat nichts, aber auch rein gar nichts dafür, diesen Leumund zu verbessern.
Nach dem frühen Tode ihres Gatten vor nunmehr fünf Jahren hatte die patente Witwe den Mut aufgebracht, dessen florierende Geschäfte allein weiterzuführen, und es war ihr nach anfänglichen Schwierigkeiten gelungen, den Reichtum ihres Kaufmannshauses sogar zu mehren. Margarethe glaubte diesen Erfolg der Tatsache zu verdanken, dass sie, anders als ihren seligen Reinold, keinerlei Gewissensbisse plagten, wenn es darum ging, das aus ihrem Gewürzhandel erzielte Geld gewinnbringend anzulegen und es nicht etwa zur Hälfte der Kirche und dem eigenen Seelenheil zu vermachen, so wie Reinold es zeit ihrer Ehe mit großer, inbrünstiger Andacht getan hatte. Margarethe Gänslein jedoch machte sich nichts aus Stiftungen, Ablässen, Wallfahrten und Seelenmessen. Sie hielt es nicht für verwerflich, fleißig zu sein und mehr zu erwirtschaften als andere, und wenn sie den Armen geben wollte, dann tat sie es selbst und benötigte dazu nicht den Almosenkasten in der Kirche.
Mit diesem Verhalten machte sie sich unter der führenden Geistlichkeit der Stadt – den Stiftsherren – nur wenige Freunde, sie galt als »lutherisch«, und jeder wusste, dass sie in ihrem Hause sämtliche Schriften des Reformators beherbergte. Es war nicht ungewöhnlich für einen Vertreter des Kaufmannsstandes in Hameln, dass er sich mit den Pfaffen vom Stift überwarf. Reibereien zwischen den katholischen Geistlichen und der selbstbewussten Bürgerschaft waren seit mittlerweile Jahrhunderten an der Tagesordnung und längst zur Tradition geworden. Die Stadt teilte sich also in zwei Lager: den Rat und die einflussreiche Großbürgerschaft einerseits und den katholischen Dekan mit seinen Kanonikern andererseits. Und so gab es in Hameln auch zwei Hauptkirchen, denn neben dem Münster des Stifts im Süden hatte sich die Kaufmannschaft am Pferdemarkt ein eigenes Gotteshaus errichtet, die Nicolaikirche, geweiht dem Patron der Kaufleute. Auch sie war katholisch – noch war sie es, würde es jedoch gewiss nicht mehr lange bleiben, denn Margarethe Gänslein war nicht die Einzige unter den reichen Hamelner Bürgern, der die Lehren des Herrn Luther zusagten.
Trotzdem fand die Witwe auch unter den Ratsherren und Kaufleuten der Stadt keine Freunde. Im Gegenteil, mit diesen verstand sie sich noch weniger als mit den Pfaffen des Stiftes. In diesem Fall war der Grund in ihrem berüchtigten Hochmut zu suchen: Vier Heiratsanträge hatte sie nach dem Tode ihres Gatten Reinold abgelehnt, vier vielversprechende Partien müde lächelnd abgewiesen. Und nicht nur das. Sie fand auch immer wieder schlagende Gegenargumente, wenn der Rat ihr nahelegte, als alleinstehende Kauffrau zumindest einen Vormund in geschäftlichen Dingen an ihrer Seite zu dulden. Allein ihr stets wachsender Reichtum und ihr offensichtlicher Sinn für die erfolgreiche Abwicklung ihrer Geschäfte stimmten die Ratsherren milde, denn niemand brachte zu dieser Zeit mehr Geld in die Stadtkasse als Grete Pfeffersack, wie man die Gewürzhändlerwitwe hinter vorgehaltener Hand zu schimpfen pflegte.
Alles in allem war Margarethe Gänslein also eine reiche und angesehene, aber ebenso hochmütige und unbequeme Frau, die es die meiste Zeit vorzog, sich mit einer möglichst geringen Zahl an Menschen zu umgeben.
Unter den wenigen Besuchern, die sie in ihrem imposanten Hause empfing, war der Kanoniker Hubertus Vestiarius der einzige Geistliche. Margarethe genoss die Gesellschaft dieses gebildeten und durchaus duldsamen Mannes, mit dem es möglich war, vollkommen frank und frei über Gott und die Welt zu reden. Dabei war sie sich durchaus bewusst, dass sich Vestiarius gegenüber ihr, der störrischen Witwe, nicht gänzlich ohne Hintergedanken so freundlich und verständnisvoll verhielt. Er schwärmte für sie, doch daneben gab es weitere, triftige Gründe. Immerhin war sie kinderlos, es gab keine Erben für ihren immensen Reichtum, und insgeheim schien er zu hoffen, dass sie eines Tages, vielleicht im hohen Alter, milde würde und sich doch noch dazu bewegen ließe, das Stift mit ihrer Hinterlassenschaft zu bedenken. Diese Hoffnungen machte sich Vestiarius vollkommen uneigennützig, denn jenen Tag würde er wahrscheinlich nicht erleben, da er bereits älter als die schöne Witwe war.
Im letzten Monat hatte er sein achtundvierzigstes Lebensjahr vollendet. Er war ein stattlicher Mann, und anders als seiner Gastgeberin konnte man ihm den Vorwurf der Eitelkeit durchaus machen, denn auch wenn sein Stand ihm eine gewisse Kleiderordnung vorschrieb, so war Vestiarius einer der vielen Geistlichen seiner Zeit, die ebendiese Ordnung bis zum Maximum hin ausreizten, indem sie es verstanden, das übliche Gewand eines Kanonikers mit möglichst viel edlem Pelz, schwarzem Samt und Goldschmuck zu verfeinern. Vestiarius war nun einmal kein schlichtes Mönchlein, sondern ein Stiftsherr, er lebte nicht in der Abgeschiedenheit des Klosters, sondern war Inhaber eines Herrenhofes sowie einer Kurie und somit Verwalter zahlreicher stiftseigener Ländereien im Umland der Stadt. Zwar hatte er die Gelübde der Frömmigkeit, der Keuschheit und des Gehorsams abgelegt, nicht aber das der Armut. Das konnte man von einem Kurienverwalter nicht verlangen, widersprach es doch seinen tagtäglichen Aufgaben, die da unter anderem waren, das Hab und Gut des Stifts zu wahren und bei Gelegenheit zu mehren. Dennoch war Vestiarius nicht unbedingt ein habgieriger Mensch, vielmehr liebte er den Genuss. Und einen besonderen Genuss bereitete es ihm, einen Nachmittag in der Gesellschaft der verehrten Margarethe Gänslein zu verbringen.
So betraten sie also eine der beiden Stuben des großen Kaufmannshauses, welches unmittelbar am Pferdemarkt in Nachbarschaft zum Rathaus und zur stiftfremden Nicolaikirche gelegen war. Boden, Decke und Wände des gesamten Raumes bestanden aus einer edlen Eichenholzverkleidung, teilweise mit schlichten, aber schmuckvollen Schnitzereien versehen. Ein riesiger, grün lasierter Kachelofen, der vom Nachbarraum aus betrieben wurde, spendete in Anbetracht des ungemütlichen, nasskalten Frühherbstwetters eine wohlige Wärme. Man nahm Platz an einem großen Tisch, der von zehn schweren, gepolsterten Stühlen umgeben war. Eine junge Magd, ein hübsches, aber dümmlich dreinblickendes Ding, brachte unversehens und schüchtern lächelnd eine silberne Kanne mit dampfendem und köstlich duftendem Glühwein sowie ein ebenfalls silbernes Tablett voller verschiedenartiger Konfektstücke.
Noch während das Mädchen im Raume war, begann Margarethe das Gespräch mit ihrem Gast.
»Ruhige Tage sind es, Vestiarius, nicht wahr? Zu ruhige Tage, wie mir scheint. Oder bringt Ihr mir etwa interessante Nachrichten?«
»Nein, Frau Margarethe, nichts Neues ist mir bekannt. Nichts, außer diesem herrlichen Duft Eures köstlichen Gewürzweines. Eine solche Mischung habt Ihr mir nie zuvor kredenzt.«
»Das ist ein Claret, mein lieber Vestiarius. Man nehme einen erlesenen roten Wein, erwärme ihn und hänge ein Beutelchen mit Zimt, Ingwer, Nelken, Safran, Honig und Zucker hinein. Eine Spezialität, die mir aus Venedig geschickt wurde. Man lässt dort wieder besser mit sich handeln, nachdem die Portugiesen den eingebildeten Venezianern so ordentlich ins Handwerk pfuschen. Drei ganze Kisten voll solcher Beutelchen hat man mir zum Geschenk gemacht, nicht einmal die Kosten für den Transport über die Alpen musste ich bezahlen.«
»Bezieht Ihr also fortan Eure Waren wieder unmittelbar aus Venedig?«
»Das wird sich nicht lohnen, Vestiarius. Venedigs Stern sinkt spätestens seit seinem Konflikt mit der Liga von Cambrai immer weiter. Es rechnet sich nicht mehr, Waren über die Berge zu bringen. Selbst bei einem leichten und teuren Gut, wie Gewürze es darstellen, ist ein solch aufwendiger Transport kaum zu bezahlen. Die Zeiten, in denen ein Pfund Safran den Wert eines Pferdes überstieg, sind vorüber.«
»Aber die Venediger steuern doch auch Brügge an«, entgegnete der Stiftsherr.
»Das ist wahr«, gab Margarethe zurück, »doch selbst mit dem guten Brügge ist es bald vorbei, mehr und mehr versinkt es in der Bedeutungslosigkeit. Es heißt, dass es zusehends versandet und von großen Schiffen nicht mehr erreicht werden kann. Antwerpen heißt der neue Stern am Handelshimmel, und mit denen hat Venedig nichts zu tun. Leider auch nicht unsere gute alte Hanse. Ich fürchte, auch sie hat den Wandel nicht erkannt und ist nur noch brauchbar für den einen oder anderen Selschop, also für begrenzte Handelsgesellschaften. Nun, es bleibt mir nichts anderes übrig, als meinerseits die Zeichen der Zeit zu erkennen und mich an andere zu wenden.«
»Ihr sprecht von den Portugiesen und den Spaniern.«
»So ist es. Wir leben in neuen Zeiten, Vestiarius. Da gilt es mitzuhalten oder stehenzubleiben und zu verstauben. Seit ihr Seefahrer Vasco da Gama den Seeweg nach Indien gefunden hat, beziehen die Portugiesen die Gewürze unmittelbar vor Ort, zahlreiche Zwischenhändler fallen aus, sodass ihre Preise so niedrig sind, dass es für mich sogar günstiger wäre, meine Pfeffersäcke auf eigene Kosten aus Lissabon abzuholen, als sie über die Hanse zu beziehen.«
»Aber Ihr wollt doch nicht etwa höchstselbst …«
»Wo denkt Ihr hin, Vestiarius? Es ist nicht notwendig, dass ich mich selbst auf Handelsreise begebe. Wozu hat man all diese wunderbaren, schriftkundigen, aber auch teuren Leute vor Ort, welche die Dinge so hervorragend in meinem Sinne erledigen? Außerdem erlaubt uns unsere ungemein günstige Lage an der Weser einen florierenden Zwischenhandel, auf den ich künftig ein größeres Augenmerk legen werde.«
»Wo wir von der Zukunft sprechen: Verweilt der Sohn Eurer Base denn nach wie vor in Italien und erlernt dort den Kaufmannsberuf?«
»Wie lange haben wir uns nicht mehr gesprochen, guter Vestiarius? Ihr wisst es nicht? Er hat Italien längst verlassen. Ein Turbulentus ist er, ein Herumtreiber und Abenteurer. Ihr glaubt nicht, was er in diesem Moment gerade treibt.«
»Was, Frau Margarethe, was?« Der Besucher nutzte den Eifer seiner Gastgeberin, als sie über den geliebten Sohn ihrer Base sprach, und beugte sich, ihr tief in die Augen blickend, über den Tisch in Richtung der Dame, zu nah für einen Vertreter seines Standes. Sein Interesse an den Abenteuern des jungen Georg war aufrichtig, aber genauso aufrichtig war auch sein Interesse, in Erfahrung zu bringen, ob dieser Herumtreiber tatsächlich einen berechtigten Anwärter auf das Erbe des Gewürzhandels Gänslein darstellte.
»Er war bereits in Lissabon, und erst gestern haben seine gute Mutter und ich einen Brief von ihm erhalten, in dem er berichtet, dass er zusammen mit einem portugiesischen Händler in die Neue Welt aufbricht.«
»Nein!«
»Oh doch. Es ist eine gefährliche Reise, aber mit Gottes Hilfe wird er heil wieder in Portugal eintreffen und mir bald eine ganze Kiste voller neuer Kostbarkeiten schicken.«
»Die da wären?«
»Nun, es heißt, auch dort soll es allerlei unbekannte Gewürze geben. Eine purpurrote Schote gar, die einem ein derartiges Brennen im Hals verursacht, dass man Feuer speien möchte.«
»Aber das ist doch kein Genuss, gute Margarethe«, entgegnete der Kanoniker entsetzt.
»Geschmäcker sind verschieden. Jetzt wollen wir aber über etwas anderes reden. Habt Ihr mir wirklich nichts Neues gebracht, Vestiarius?«
»Hmmmh.« Der Gast legte nachdenklich seinen rechten Zeigefinger an die glatt rasierte Oberlippe und betrachtete eine Weile die hölzerne, polierte Decke. »Nein, mir fällt nichts ein. Nichts, außer dass vorgestern dieser so niederträchtige wie nichtige Raubritter von Eicheck gemeuchelt wurde. Und das auf seinem eigenen Gut, in seinen eigenen vier Wänden.«
»Was Ihr nicht sagt! Aber mit Verlaub, es geschieht ihm recht. Im Grunde dürfte ich es nicht sagen, ist doch meine Familie weitläufig mit derer von Eichecks verwandt. Dennoch, die Welt ist nicht ärmer ohne diesen Straßendieb und Buschklepper. Zum Glück hatte ich nie unter seinen erbärmlichen Raubzügen zu leiden. Solche Waren, wie meine Fuhrleute sie transportieren, waren wohl nicht nach dem Geschmack des Tölpels.«
»Ja, sein Tod stellt für viele wahrlich eine Erleichterung dar«, bestätigte auch Vestiarius. »Mich wundert es, dass der Hamelner Rat beim Herzog nicht schon längst die Zerstörung der Eicheckburg erwirkt hat. Dieses Schicksal haben schon die Räuberlöcher anderer adeliger Wegelagerer erfahren, zuletzt die Hermersche Burg vor etwas mehr als vierzig Jahren. Und eine Sünde ist eine solche Schleifung nun wirklich nicht, geht doch von diesen Halunken und ihren heruntergekommenen Nestern nur Übles aus.«
»Nur gut, lieber Gast, dass es meine Ahnen dereinst vorzogen, ihre verarmenden Güter aufzugeben und hinter den Mauern der Stadt Obdach zu finden. Und in diesen Zeiten haben es Edelleute noch schwerer, wenn sie nicht gerade dem erlauchten Kreise des Hochadels zuzuzählen sind. Wenig Land, wenig Einkünfte. Da bleibt vielen nur das Bauernschinden oder die Wegelagerei. Aber nun sagt mir, Vestiarius: Wer hat es getan? Wer hat den Ritter auf dem Gewissen?«
»Man vermutet einen seiner gequälten Bauern. Sein Gut war damals, vor vier Jahren, ohnehin eines der ganz wenigen in dieser Gegend, auf denen sich die Bauern im Namen des Ketzers Luther gegen ihren Grundherrn erhoben haben. Aufgehängt hat Ritter Eicheck die Empörer, eigenhändig sogar. Das wird man ihm wohl nachgetragen haben.«
»Nennt Luther nicht schon wieder einen Ketzer, lieber Vestiarius. Einen groben Polterer dürft Ihr ihn schimpfen. Ihr wisst, auch ich halte ihn nicht für einen begnadeten Denker, wie es etwa Erasmus von Rotterdam ist. Aber das, was er sagt, ist sicherlich keine Ketzerei, sondern schlicht die unverblümte Wahrheit, gekleidet in die Worte und die Redewendungen eines Bauern. Er ist frei heraus und kein vorsichtiger, abwägender, humanistischer Bücherwurm.«
»Und eben das ist das Entsetzliche an diesem Mann, liebe Frau Margarethe. Luther hat die Worte des großen Erasmus nicht erhört, als dieser ihm riet, bei Dingen, die so fest eingewurzelt sind, dass man sie nicht plötzlich aus dem Herzen reißen kann, besser beständig zu disputieren, statt schroffe Behauptungen aufzustellen. Im Gegenteil, ihm war es wichtig, Erasmus zu trotzen und sich zu gebärden wie ein grobschlächtiger Unhold. Denn nur so versteht man ihn, jeder versteht ihn, selbst der dümmste Knecht. Und das hat nicht allein damit zu tun, dass er sich ausschließlich des Deutschen bedient, sondern wie er sich dessen bedient.«
»So ist es, Vestiarius, und ich halte ebendiese Grobschlächtigkeit für einen mehr als klugen Schachzug, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob dieser Mönch dies auch tatsächlich beabsichtigt hat. Er scheint mir mehr ein Mann des Herzens als einer der Vernunft zu sein und mitunter etwas unbedacht, aber gerade das wirkt so erfrischend ehrlich und verschafft Vertrauen. Ehrlichkeit, guter Vestiarius, ist in diesen Tagen eine wahrlich seltene Tugend.«
»Wem sagt Ihr das, wem sagt Ihr das, Frau Margarethe.«
»Fürwahr, fürwahr«, antwortete sie nur leise, den Gast heimlich musternd, während sie eigenhändig nach der silbernen Kanne griff. »Darf ich Euch noch etwas von dem Claret einschenken, Vestiarius?«
»Gern doch, gern. Habt vielen Dank. Dennoch«, fuhr Vestiarius mit besorgter Miene fort, »wenn ich das anmerken darf, ist es ratsam, gute Frau, nicht zu häufig und zu vehement die Ansichten dieses Luther zu vertreten. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit.«
»Aber Vestiarius, habt Ihr in den letzten Monaten denn geschlafen? Wenn selbst unter den angesehensten Reichsfürsten brennende Verfechter der lutherischen Lehren sind, wie etwa unser Nachbar Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg, dann darf doch wohl auch ein schlichtes Kaufmannsweib es wagen, sich dem anzuschließen. Das hat die Protestatio der Evangelischen auf dem Reichstag zu Speyer im vergangenen Frühjahr mehr als deutlich gemacht.«
»Das wagten sie doch nur, weil der Kaiser auf dem Reichstag nicht anwesend sein konnte. Und da Karl seinen Krieg in Italien nun erfolgreich beendet hat, wird er in Zukunft im Reich wieder härter durchgreifen. Da könnt Ihr Euch sicher sein, Frau Margarethe. Aus brennenden Verfechtern der Lutherschen Lehre könnten dann durchaus brennende Verfechter im wahrsten Sinne des Wortes werden. Abgesehen davon gehört diese Stadt nicht zum Herrschaftsbereich des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, sondern zu dem des Herzogs von Calenberg. Auch wenn Ernst und Erich einer Familie angehören, so bleibt doch Erich von Calenberg der katholischen Sache verhaftet.«
»Das wollen wir abwarten. Gerüchten zufolge sieht seine Angetraute das bereits anders. Sie ist sehr angetan von den neuen Lehren. Und übrigens: Seit wann hat Erich von Calenberg wieder etwas in Hameln zu sagen? Sind wir de facto nicht längst unsere eigenen Herren? Ich verstehe gar nicht, weshalb sich der Rat so sehr ziert, sich zu Luther zu bekennen. Das wäre doch ein gelungener Schachzug im Machtkampf gegen euch katholische Stiftsherren.«
»Ihr wollt mich wieder einmal nur necken, meine Liebe. Doch das wird Euch nicht gelingen, denn nun wechsle ich einfach das Thema. Habt Ihr schon gehört, dass der Ratsherr Peter Hasenstock wieder zurück in der Stadt ist?«
»Ach.« Margarethes Gesichtszüge, die bisher eine gewisse ironische Selbstzufriedenheit verraten hatten, entgleisten plötzlich. »Dann bringt Ihr also doch noch interessante Neuigkeiten.«