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VII

Hast du etwa niemals von dieser Geschichte gehört?«, fragte die Köchin Immeke Johanna, als sie beide in der Küche des Gänslein-Hauses damit beschäftigt waren, das Mittagsmahl zuzubereiten.

Es war eine riesige Küche. In keiner Weise mit dem schmutzigen, düsteren Loch zu vergleichen, in welchem Johanna ihrem ehemaligen adligen Herrn seine Speisen hatte bereiten müssen. In diesem Bürgerhaus bestand der Boden nicht etwa aus plattgestampftem Lehm, nein, er war nahezu fugenfrei mit Ziegelsteinen gemauert und stets sauber gefegt. Der Ofen war keine mit Steinen umrandete offene Feuerstelle in der Mitte des Raumes, über der ein einfacher Kessel hing – es war ein tischartiger, hüfthoch gemauerter Herd, der in einer Ecke der Küche angebracht war und über den ein ebenfalls gemauerter Rauchabzug nach oben ging. Das Beste jedoch an diesem wunderbaren Raum war die Tatsache, dass er über fließendes Wasser verfügte. Vom Hinterhof aus wurde über den dort gegrabenen Brunnen frisches, klares Wasser unmittelbar in ein steinernes Becken geleitet. Diese Küche bot alles, was das Herz einer Köchin und einer Dienstmagd begehrte: Unzählige Pfannen, Töpfe, Kessel, Siebe, Bratroste und -spieße, Hackmesser, Mörser und Krüge standen ihnen zur Verfügung, ganz zu schweigen von den erlesenen Lebensmitteln, die es zu verarbeiten galt. Fleisch und Brot wurden täglich frisch geliefert, Kuchen wurde gebacken, es gab stets frisches Obst und Gemüse, und das in Sorten, welche Johanna niemals zuvor unter die Augen oder gar zwischen die Zähne geraten waren.

Die Herrin musste wahrlich eine reiche Frau sein.

»Nein, ich habe niemals davon gehört. Das ist ja ganz entsetzlich. Wann ist das geschehen?«, antwortete Johanna nun auf die Frage der guten Immeke.

»Das ist schon eine Weile her. Frag mich nicht, wann genau, aber niemand von denen, die es miterlebt haben, dürfte noch am Leben sein. Hundert, zweihundert Jahre, vielleicht gar mehr, sind seither ins Land gezogen.«

»Und damals sind wirklich alle Kinder aus der Stadt verschwunden?«, fragte Johanna ungläubig.

»Ja, und das war ein großes Unglück für die Stadt Hameln. Durchs Ostertor sind sie ausgezogen, niemand konnte sie aufhalten. Noch immer ist es den Menschen ein Anliegen, allen Fremden von diesem Schrecken zu berichten.«

»Aber warum sind sie denn so einfach fortgegangen?«

Die Köchin schüttelte betreten den Kopf, sie wirkte so traurig, als sei ihr eigener Sprössling unter den Ausreißern dieser Legende gewesen.

»Das weiß man nicht. Der Viktor jedoch – du wirst ihn sicherlich bald kennenlernen, das ist der Laufbursche des Ratstubenwirts, ein alter Laufbursche von sicherlich fünfzig Lenzen …« – Johanna bemerkte, dass sich das rosige Gesicht der guten Immeke bei der Erwähnung des Namens »Viktor« plötzlich purpurrot färbte –, »… nun, der Viktor hat da kürzlich etwas herausgefunden.«

»Herausgefunden? Nach so langer Zeit?« Johanna war gespannt.

»Er sprach von einem Rattenfänger, der die Kinder mit sich genommen hat. Flöte habe er gespielt, so schön und betörend, dass die Kleinen ihm wie die Nachtwandler gefolgt seien.«

»Das ist ja schaurig. Und was hat der Rattenfänger dann mit den Kindern gemacht?«

»In einen Berg soll er sie geführt haben, und niemals mehr hat man sie gefunden. So erzählt Viktor zumindest.«

»Aus welchem Grund sollte er so etwas getan haben?«

»Vergeltung. Der Bürgermeister hatte ihm einen ganzen Batzen Gold versprochen, wenn er die Stadt von einer Rattenplage befreit. Das hat der Flötenspieler auch getan, aber als die Ratten fort waren, wollte der Bürgermeister nichts mehr von seinem Versprechen wissen und hat den Kerl einfach fortjagen lassen. Doch dann ist er eines Tages zurückgekehrt und hat alle Kinderlein geholt. So zumindest erzählt Viktor.«

»Und Viktor erzählt viel, wenn der Tag lang ist«, mischte sich plötzlich eine dritte Stimme ein. Es war die Herrin. Sie hatte sich unbemerkt genähert und gelauscht. Johanna beeilte sich, emsig weiter den Kohl zu hacken, während es Immeke gelang, sogar noch roter als purpurrot zu werden.

»Dass zahlreiche Hamelner Kinder vor weit mehr als zweihundert Jahren die Stadt verlassen haben, das ist eine altbekannte Legende«, berichtete Margarethe gutgelaunt, während sie zu dem großen Holztisch in der Mitte des Raumes ging, um sich mit den Fingern eine süße, eingelegte Kirsche aus einem Topf zu nehmen. »Doch dass da ein pfeifender Rattenfänger seine Finger im Spiel hatte, das halte ich wieder für eine der vielen, phantastischen Geschichten des guten Viktor. Recht amüsant ist es jedoch schon. War er es nicht auch, der vor einigen Jahren felsenfest behauptet hatte, auf dem Grund des Brunnens in der Fischpfortengasse lebe ein Basilisk, dessen giftiger Atem schon einige Menschen das Leben kostete?« Margarethe schüttelte lachend den Kopf und griff erneut in den Kirschtopf.

»Mit Verlaub, meine Herrin«, sagte Immeke, schüchtern auf den Boden blickend. »Aber diesen Drachen hat es tatsächlich gegeben. Mein Vetter Vinzenz war seinerzeit eines seiner Opfer. Er hatte von dem Wasser getrunken und war drei Tage danach an einem entsetzlichen Leiden zugrunde gegangen.«

»Das tut mir leid um ihren Vetter, Immeke. Aber ich für meinen Teil glaube eher an die todbringende Kraft des nach altem Fisch stinkenden, schmutzstarrenden Brunnenwassers als an den giftigen Hauch eines Basilisken.« Und das Thema wechselnd, wandte sie sich an Johanna: »Johanna? Ist sie in der Küche entbehrlich? Dann würde ich sie bitten, mir in meine Kammer zu folgen.«

Johanna nickte Immeke kurz zu. Legte das Hackmesser zur Seite, wischte sich die Finger an der Schürze ab und folgte der bereits aus der Küche hinausgetretenen Herrin hinauf in deren privates Gemach.

Nie zuvor hatte Johanna das Schlafzimmer der Witwe Gänslein betreten. Fast andächtig schritt sie nun über die Schwelle und blickte sich zunächst einmal stumm im Raume um. Es war ein äußerst freundliches Zimmer. Die Wände wurden von teuren Teppichen geschmückt, mehrere edel verzierte, fast mannshohe Truhen zeugten davon, dass die Herrin über eine große Garderobe verfügte, es gab außerdem einen hübschen Tisch, auf welchem allerlei Dosen, Kämme, Bürsten und Spangen lagen, sowie einen riesigen Spiegel, der unmittelbar hinter diesem Tisch angebracht war. Alles duftete herrlich frisch nach blumiger Seife.

Das Imposanteste in diesem Raume jedoch war die Bettstatt. Es war ein riesiger, hölzerner Kasten, der einen großen Teil des Platzes einnahm. An drei Seiten war dieser Kasten verschlossen und sein edles Holz mit kunstvollen Schnitzereien sowie einigen hübschen Bildern versehen. Nur eine Längsseite stand offen und konnte des Nachts mit einem schweren, dunkelblauen Tuch verhängt werden. Nun jedoch war dieses zur Seite geschlagen und gab den Blick frei auf einen riesigen Berg an weichen, seidenen, prall mit Daunen gefüllten, schneeweißen Kissen. Eine Truhe, aus dem gleichen glänzenden Holz wie das Bett gefertigt, ermöglichte der Herrin des Abends, des Nachts oder besser des Morgens, wenn sie müde war, den Einstieg in ihr weiches Lager, welches so weit entfernt vom kalten Boden war, dass es mit Sicherheit äußerst schmerzhaft sein musste, wenn man versehentlich im Schlafe hinausfiel.

Margarethe stand am Fenster, als ihre Dienstmagd den Raum betrat. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen beobachtete sie die staunenden Blicke Johannas.

»Der Herr, dem sie bislang gedient hat – welchem Stande gehörte er an?«, fragte sie schließlich.

»Er war ein Ritter«, gab Johanna wahrheitsgetreu zurück.

»Ein Ritter.« Margarethe hob ihre Augenbrauen an. »Es war einst ausgesprochen ruhmreich, ein Ritter zu sein. Doch diese Zeiten sind längst vorüber. Ich nehme an, dass er nicht besonders wohlhabend war.«

Johanna zuckte nur mit den Schultern. Im Vergleich zu dem Leben, in welches sie hineingeboren war, hatte es sich bei Wilhelm von Eicheck um einen äußerst wohlhabenden Mann gehandelt. Immerhin war er Grund- und Burgherr und verfügte zudem über zahlreiches Vieh, darunter zwei edle Streitrösser und eine Meute ausgewählter Jagdhunde. Im Vergleich jedoch zu dem, was sie hier im Hause dieser Bürgersfrau zu sehen bekam, war Ritter Wilhelm wahrlich nicht mehr als ein bettelarmer Habenichts.

»Ich schließe das aus ihrem staunenden Blick. Vieles von dem, was sie in diesem Hause sieht, scheint ihr neu zu sein«, fuhr Margarethe fort und musterte Johanna dabei genau.

»So ist es. Um ehrlich zu sein, ist alles neu für mich. Prächtiger kann es selbst im Hause des Herzogs von Calenberg nicht sein.«

»Da kann ich sie beruhigen«, lachte Margarethe. »Der Herzog versteht es recht wohl, sein Leben weitaus prächtiger einzurichten, als ich es vermag. Dieses Haus glänzt durchaus durch Bescheidenheit. Sie müsste einmal nach Venedig, Florenz oder gar nach Rom reisen, um zu sehen, welcher Prunk auf Erden möglich ist. Gefällt es ihr dennoch in meinem Hause?«

»Ja, unbedingt«, antwortete Johanna rasch.

»Ich habe sie in den letzten Tagen beobachtet. Sie ist eine stille Frau, mitunter ein wenig traurig, wie mir scheint. Fleißig, verständig, und ich gewinne den Eindruck, dass ihr Geist wacher ist, als man zunächst vermuten möchte.«

Johanna wusste nicht, was sie mit diesen Worten der Herrin anfangen sollte, und schwieg, während sie den prüfenden Blick Margarethes auf sich ruhen spürte.

»Sie wird von nun an meine persönliche Magd sein. Ich habe ein neues Gewand für sie schneidern lassen«, sagte die Witwe Gänslein schließlich und deutete auf einen Stuhl, über welchem ein schlichtes, aber fein gearbeitetes, dunkelrotes Kleid, ein blütenweißes Hemd und gleich zwei gestärkte, bestickte Schürzen sowie eine hübsche, helle Haube lagen.

»Sie darf es sofort anlegen und wird mich fortan auf meinen Gängen in die Stadt und auch in die Umgebung der Stadt begleiten.«

Dann nickte sie Johanna freundlich zu und verließ ohne weitere Worte den Raum.

Ungläubig starrte Johanna auf das wunderschöne Kleid. Sollte sie sich jetzt hier, in diesem privaten Gemach ihrer Herrin, entkleiden und in die neuen Gewänder schlüpfen? Johanna zögerte eine Weile und schaute hilfesuchend zur Tür. Doch Margarethe war fort.

Begleiten sollte sie die Witwe. Das war wahrlich eine große Ehre. Leicht strichen ihre rauen Finger über den weichen Stoff.

Das bedeutete, dass sie fortan Zeit allein mit dieser ungewöhnlichen Frau verbringen musste. Ein wenig unwohl war ihr bei diesem Gedanken schon, denn einerseits bewunderte sie die schöne, stolze Margarethe, andererseits flößte sie ihr Furcht ein. Johanna war sich nicht sicher, ob es ihr gelingen würde, der Witwe Gänslein eine gute persönliche Dienstmagd zu sein.

»Wunderschön bist du.«

Immeke staunte, als die verwandelte Johanna nach einer Weile die Küche betrat.

»Hinterherlaufen wird es dir, das Mannsvolk. Nicht einmal deine verstoßene Vorgängerin Gerda kann dir das Wasser reichen. Und das war ein mehr als ansehnliches Mädchen. Komm näher, ich muss dich nur noch richtig schnüren. Das Mieder darf durchaus ein wenig enger sein.«

»Was werde ich denn nun für die Herrin tun müssen, Immeke?«, flüsterte Johanna, während die Köchin damit beschäftigt war, das von Johanna selbst nur schlecht geschnürte Mieder des neuen Gewandes aufzulösen und wieder fester zusammenzuziehen.

»Innerhalb dieser Mauern bist du fortan ihre Zofe, hilfst ihr beim Ankleiden, richtest ihr Bett, säuberst ihre Kammer und ihre Kleider. Und außerhalb des Hauses musst du nichts machen«, antwortete die Köchin hinter Johannas Rücken. »Du bist nur des Anstands wegen bei ihr. Eine Witwe sollte nicht allein das Haus verlassen, sie benötigt eine Begleitung. Die Base der Herrin, die gute Frau Mechthild, weigert sich, und so geht Frau Margarethe meist allein und ab und an halt mit einer Magd hinaus. Von den Beginen aus der Südstadt haben sich schon einige angeboten, doch das will die Herrin nicht. ›Was soll ich mit so einer grauen Maus an meiner Seite?‹, hat sie geschimpft. Ich habe es genau gehört. Sie mag halt auffallen. Und darum trägst du nun dieses hübsche Kleid. Damit will sie die Ratsherren und auch die Stiftsherren ärgern. Denen gilt sie als hochmütig, und anstatt dem bösen Leumund entgegenzuwirken, bestärkt sie sie in ihrer Meinung. So ist sie nun einmal, unsere Herrin. Wunderbar, nun bist du gut geschnürt. Bekommst du noch genügend Luft?«

»Gerade so«, keuchte Johanna. »Ich fürchte nur, dass mir jetzt bei einer unglücklichen Bewegung hier oben alles herausspringen könnte.« Und damit deutete sie auf ihre zusammengepressten Brüste. Immeke zupfte mit ihren geschickten dicken Fingerchen an Johannas Hemd herum, zog es ein wenig mehr unter dem Mieder hervor und bedeckte somit alle Stellen, die unziemlich hätten ins Auge fallen können.

»Nun kannst du dich sogar tief hinabbücken, ohne dass ungewollte Einblicke gewährt werden.«

Die Köchin ging einige Schritte zurück und begutachtete mit untergeschlagenen Armen zufrieden ihr Werk, dann fragte sie: »Wo soll es denn nach dem Mittagsmahl hingehen?«

»Das weiß ich gar nicht«, antwortete Johanna.

»Ich vermute, sie wird entweder den Stiftsherrn Vestiarius aufsuchen, oder aber sie stattet dem entsetzlichen Apotheker Vinsebeck einen Besuch ab. Die leben beide im südlichen Teil der Stadt. Würde sie hier in der Nähe vom Pferdemarkt Erledigungen machen, dann müsstest du sie nämlich nicht begleiten.«