38237.fb2 Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 21

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Schneewittchen einst im Sarge lag

Ich finde, ein Bestatter hat seine Arbeit dann gut und richtig gemacht, wenn der Verstorbene anständig unter die Erde gekommen ist und die Angehörigen sagen, dass alles richtig gemacht worden ist und sie zufrieden sind. Damit das so ist, müssen wir oft genug über unseren eigenen Schatten springen, denn manchmal unterscheiden sich die Vorstellungen der Angehörigen von Trauer doch schon erheblich von unseren. Schlechte Bestatter wiegeln dann gleich ab und sagen, das gehe alles nicht, gute Bestatter versuchen, die Wünsche auf jeden Fall zu erfüllen. Manchmal ist das aber gar nicht so leicht.

Lange graue Haare hat er, obwohl er erst um die dreißig Jahre alt ist. Ein bisschen komisch sieht er schon aus mit seinen roten Turnschuhen und der grünen Hose. Ständig fährt er mit einer Hand durch die Haare, die ihm in die Stirn fallen, mit der anderen Hand nestelt er immer in der selbstgestrickten Umhängetasche herum, die an seiner rechten Seite hängt. Der Gurt dieser Tasche läuft quer über seine Brust.

»Diesen hier nehmen wir!«, ruft er sichtlich erfreut aus und lacht meckernd, während er eine Reihe gelber Pferdezähne entblößt. Dabei deutet er auf einen unserer Särge.

Deshalb ist er nämlich gekommen: Seine Mutter ist verstorben, und zwar in einem Altersheim im Siegerland, wo sie die letzten beiden Jahre lebte, ganz in der Nähe ihrer Tochter, also seiner Schwester. Und genau diese Schwester, eine Frau Doktor Hildegard Rabenacker-Sommerloch, hatte bei mir angerufen. Wir möchten doch bitte einen Fahrer losschicken und die Verstorbene aus dem Siegerland hierher überführen; ihr Bruder komme bald vorbei, um einen Sarg auszusuchen, und genau in diesem Sarg müsse die Mutter geholt werden.

Nun hat er also einen Sarg ausgewählt: Modell Kennedy, ein amerikanischer Klappsarg und zugleich die größte Truhe, die wir haben. Die Bezeichnung »Klappsarg« bedeutet nicht etwa, dass man sie zusammenklappen könnte wie ein Klappfahrrad, sondern der zweigeteilte Deckel kann bei der offenen Aufbahrung am oberen Teil aufgeklappt werden.

3000 Euro soll der kosten – für einen solchen Ami-Sarg ist das ein wahres Schnäppchen.

»Nee, nee, so viel wollen wir nicht ausgeben, wir nehmen den da!«

Wieder blitzt das Pferdegebiss auf, er fährt sich durch die Haare, nestelt an seiner Tasche und hibbelt die ganze Zeit von einem Fuß auf den anderen. Jetzt hat er sich für unseren günstigsten Sarg entschieden, der käme auf 278 Euro und sieht für das Geld gar nicht mal schlecht aus. »Pappelholz«, sage ich. Ich sage immer Pappelholz, denn wenn ich nur Pappel sage, verstehen die Leute immer Pappe. Dem Pferdegebiss ist der Sarg nicht teuer genug – als er den Preis hört, sagt er: »Dann nehmen wir den da!«, und deutet auf die Adenauer-Truhe. Die Adenauer-Truhe ist einer jener Särge, die man als Bestatter im Ausstellungsraum stehen hat, aber niemals verkauft. Es ist ein üppig geschmücktes Riesenmodell mit schweren Schnitzereien, goldfarbenen Beschlägen und wiegt vermutlich zweieinhalb Tonnen. Aus dem Holz, das da dran ist, baut man in Kanada ganze Blockhäuser. Wir haben den eigentlich nur als Dekoelement herumstehen, und da wir sowieso an die vierzig verschiedene Modelle ausgestellt haben, können wir es uns erlauben, den absolut überteuert auszuzeichnen.

Er soll quasi das unbezahlbare Spitzenmodell darstellen und den Leuten, die sich ohnehin für eines der teureren Modelle interessieren, ihre Entscheidung erleichtern. Man darf nicht vergessen, wir haben ein kaufmännisches Unternehmen, und man muss sehen, wo man bleibt.

»Der soll es also sein?«, erkundige ich mich, und er nickt heftig. Gut so, ich nehme mein Klemmbrett und will das notieren, da hüpft er durch den Raum, bleibt vor einem grauen Sarg stehen und ruft: »Ha! Ein grauer Sarg muss es sein!«

Eine Stunde später fährt sich der mit dem Pferdegebiss immer noch durch die Haare, tippt zum siebenundvierzigsten Mal auf einen anderen Sarg und freut sich, endlich das passende Modell gefunden zu haben, um zwei Minuten später wieder einen ganz anderen Sarg toll zu finden. Ich habe mich längst hingesetzt und sehe dem Treiben von einem der Beratungstische aus zu. Mimi, die Putzfrau, hat mir inzwischen einen Kaffee gebracht und mal kurz um den Pferdemann herumgewischt. Jetzt muss ich der Sache ein Ende machen, denn wir müssen ja auch noch die Innenausstattung aussuchen und den Rest besprechen.

»Schauen Sie«, frage ich, »wie groß ist denn Ihre Mutter?«

»So eins sechzig etwa.«

»Dann können wir diese Särge in dieser Reihe hier alle nicht nehmen, die sind zu groß, da rutscht sie dann hin und her«, erkläre ich ihm. Das stimmt zwar nicht, denn wir wollen mit der Frau im Sarg ja nicht Achterbahn fahren, aber irgendwas muss jetzt passieren.

»Ach nee, dann nehmen wir die nicht, das will ich nicht, nee, welchen soll ich denn nehmen?«

Ich deute auf eine mittlere Truhe, Nadelholz in Mahagoni gebeizt. Sie sieht sehr edel aus, macht was her und ist gar nicht so teuer. Oh Wunder, er will die, ich stehe schnell auf, nehme den Zettel vom Sarg ab und schiebe den Pferdemann schon fast mit Gewalt zu den Decken und Kissen: »So!«

Es steht zu befürchten, dass er sich wieder nicht entscheiden kann oder will. Mal soll es etwas Geblümtes sein, mal klassisch weiß mit Rüschen, dann was mit Spitze und dann die anthrazitfarbene Ausstattung für Herren. Mir ist das ja egal, aber wenn der noch lange macht, ist die Mutter im Altersheim im Siegerland schon mumifiziert! Ich tippe auf die weiße Ausstattung mit Spitzenrand und sage: »Zu dem Sarg, den Sie ausgesucht haben, passt diese hier am besten.«

»Ja, dann nehmen wir die!«

Zack, schon hab ich ihn aus dem Ausstellungsraum hinausgeschoben, damit wir nebenan den Rest besprechen können und er bloß nicht mehr in die Versuchung kommt, seine Entscheidungen zu ändern. Ich schaue auf die Uhr: Insgesamt anderthalb Stunden bisher, na ja. Über das Telefon rufe ich eine Mitarbeiterin herein und gebe, ganz entgegen dem sonstigen Betriebsablauf, einen Zettel mit dem Namen des Sarges und der Innenausstattung weiter, damit sie diese Sachen richten und nichts mehr geändert werden kann.

Eigentlich brauche ich es zu nichts, aber manchmal frage ich die Leute einfach nach ihrem Beruf. Für das Standesamt muss ich sowieso alles abfragen, Geburtsdaten, Namen, Wohnorte, alles eben. Er sei Dichter von Beruf. Dichter, interessant! Was er denn so dichte, frage ich. Ja, er schreibe Verse aus der Bibel auf kleine Zettel und verteile die an gute Menschen in der Fußgängerzone, manche gäben ihm dann einen Euro oder so. Ah ja!

Der hat einen Schlag, denke ich mir und hoffe inständig, dass er nicht entmündigt ist.

Den angebotenen Kaffee lehnt er ab, er trinke seit fünfundzwanzig Jahren nur abgekochtes Rheinwasser. Davon hole er sich jede Woche zwei, drei Kanister, koche die ab, wasche sich damit und dann trinke er es, wegen der Energie. Jau!

Vom weiteren Ablauf hat er konkrete Vorstellungen. Die Verstorbene sollen wir am nächsten Morgen im Siegerland abholen, hierher auf den Friedhof bringen, wo sie offen aufgebahrt werden solle, damit alle von ihr Abschied nehmen können, auch die Leute von der Kirche. Von welcher Kirche, erkundige ich mich, und er erklärt mir, dass er, seine Mutter und seine Geschwister der Kirche von »Herz Jesu Blut« angehören, die sein verstorbener Vater selbst gegründet habe. Ja, wer denn da dann die Trauerfeier mache, will ich wissen, ein normaler Pfarrer oder wie oder was? Na, das sei ja wohl sonnenklar, das mache er, er sei der Bibelfeste und Intellektuelle in der Familie.

Ich muss sowas abnicken und ganz ernst bleiben, nicht mal mit der Wimper zucken, er nimmt das ja anscheinend alles ganz ernst. Er komme dann morgen, wenn die Mutter hier bei uns sei, nochmals vorbei und bringe das Brautkleid. Denn seine Mutter solle als unbefleckte Braut Jesu in den Himmel auffahren, und da müsse sie ein Brautkleid tragen und einen Schleier und eine Schärpe. Aber das mit der Schärpe könne auch bis zum Nachmittag dauern, weil er da noch was draufsticken will.

Machen wir alles.

Am nächsten Tag ist eingeplant, dass unser Herr Mölbert gegen 5 Uhr morgens losfährt, um spätestens 8 Uhr die Verstorbene aus dem Heim zu holen. Doch daraus wird nichts. Ich liege noch im Tiefschlaf, es ist kaum 3 Uhr, da geht mein ganz geheimes, ganz privates Telefon, das Telefon, von dem jeder meiner Mitarbeiter weiß, dass, wenn er da wegen was Unwichtigem anruft, sofort die standrechtliche Erschießung droht.

Es ist unser Mann, der Telefondienst hat. »Chef, wir müssen sofort ins Siegerland fahren, das Altersheim hat angerufen. Die haben gesagt, wenn wir nicht sofort die Tote da abholen, rufen die die Polizei.«

Ich lasse mir die Nummer vom Heim geben und rufe da an. Eine Schwester Ignatia meldet sich, vom Namen her also offensichtlich eine Nonne. Wir sollen uns doch bitte beeilen, die Angehörigen dieser verstorbenen Frau seien wohl religiöse Eiferer. Man habe die Verstorbene dort im Heim gewaschen und frisiert, und nun säßen etwa zehn Leute um die Tote herum und würden schon seit Stunden lauthals religiöse Erbauungslieder singen. »Die anderen alten Leute hier im Heim wollen doch auch irgendwann mal schlafen!«

Kaum zwanzig Minuten später hat Herr Mölbert, dem das gar nicht passte und den ich erst mit 50 Euro extra versöhnen muss, den Sarg eingeladen und fährt los. Etwa zwei Stunden, vielleicht zweieinhalb wird er brauchen. Während er unterwegs ist, ruft das Heim noch zweimal an, wann denn der Mann endlich käme, das sei nicht auszuhalten, und die Sänger ließen sich nichts sagen. Kurz vor sieben ruft mich Mölbert, der wieder auf der Rückfahrt ist, an und meldet, die Oma liege jetzt endlich im Sarg. Das sei noch ein Kampf gewesen, weil die Angehörigen so abgedreht gewesen seien, die hätten singend den Sarg begleitet und die ganze Nachbarschaft rebellisch gemacht.

Etwa um 10 Uhr ist der Wagen bei uns auf dem Hof, der Sarg wird ausgeladen und in unsere Räume gebracht. Mölbert nimmt den Deckel ab und sagt mir, ich solle mir DAS mal anschauen. Offenbar haben die Angehörigen die Verstorbene gewaschen, gebürstet und ihr die Haare noch gefärbt. Zumindest ist die ganze Stirn mit Haarfarbe verschmiert, auch aus den Haaren ist die Farbe nicht richtig ausgewaschen, dunkelrot.

»Bringt das in Ordnung!«, sage ich, und die Männer in der Werkstatt nehmen sich der Ärmsten an. Auf dem Sektionstisch wird sie nochmals gewaschen, die Haare ausgespült, und nur unter Mühe gelingt es, die Farbe wieder auszuwaschen, die man – wie wir jetzt sehen – auch in den Nacken und in die Ohren geschmiert hat. Nach einer knappen Stunde sieht die Gute ganz annehmbar aus.

Vorne im Büro wartet das Pferdegebiss und bringt mir das Brautkleid. Das habe er ganz günstig »secondhand« bekommen – und so sieht es auch aus. Es muss irgendwie jahrelang bei einer Raucherfamilie im Schrank gehangen haben, jedenfalls ist es auf einer Seite vollkommen gelb verfärbt. Den Schleier habe er über Nacht aus einer Gardine selbst genäht, und die Schärpe habe er schon in Arbeit, die bringe er am Nachmittag. Jetzt müsse er aber los, weil er noch Handschuhe und Schuhe besorgen müsse. »Moment«, sage ich. »die Verstorbene kommt ja jetzt anschließend auf den Friedhof.« Ja, das mache nichts, er habe schon mit dem Friedhofswärter gesprochen, und man habe ihm gesagt, er könne selbstverständlich der Toten noch Handschuhe und Schuhe anziehen, wenn sie aufgebahrt ist, außerdem bräuchten wir die Verstorbene nicht zu schminken, das mache er ebenfalls selbst.

Meine Güte!

Unsere Männer ziehen der Frau das Brautkleid an, es muss aus den Siebzigern sein, denn es ist eins in Mini-Ausführung, also ganz kurz. Untenrum sieht das nicht schön aus, wirklich nicht, aber da liegt ja die Decke drüber. Der selbstgefertigte Schleier besteht aus einem zwei Meter langen Stück Gardinenstoff, der an einem Ende grob zusammengerafft ist und mit einem blauen Bindfaden zusammengeschnürt wurde. Herr Mölbert und Herr Huber bringen es fertig, dass das gar nicht mal schlecht aussieht.

Nun denn, bringen wir sie auf den Friedhof.

Der Termin steht, Blumen hat man keine gewollt, die Trauerfeier macht das Pferdegebiss selbst, und somit ist für uns nichts mehr zu tun. Trotzdem terminiere ich es so, dass eine Mitarbeiterin am Tag der Trauerfeier zum Friedhof fährt, um alles zu überwachen. Jetzt ist es Dienstag, die Beerdigung soll am Freitag sein.

Am Mittwoch ruft mich einer von den Friedhofswärtern an. So gehe es nicht! Nein, das sei jetzt zu viel! Man habe ja nichts dagegen, dass die Angehörigen in die Aufbahrungszelle kommen, um die Verstorbene auch mehrfach zu besuchen, aber das hier sei mit der Würde einer Toten nicht vereinbar.

Ich fahre da hin, habe ein paar Zwanziger in der Jackentasche, damit kriegt man von den Friedhofsmännern alles. Der Dicke, der immer nach Schweiß riecht, nimmt wortlos den Schlüssel vom Haken und schließt mir die Kapelle auf, neben der Kapelle sind die Aufbahrungszellen. Gleich in der ersten liegt die »Braut«, und er sagt: »Da liegt unser Faschingsschneewittchen!«

Ich schaue ihn vorwurfsvoll an, wie kann er so respektlos sein! Als die Tür aufschwingt, bekomme ich einen Schreck. So was habe ich auch noch nicht gesehen und »Faschingsschneewittchen« ist noch geschmeichelt.

Das Pferdegebiss hat seiner Mutter einen grünen Stoffschal quer über die Brust gelegt, in den er sehr ungelenk mit Goldfaden eingestickt hat: »Ich komme, ich komme.« Da steht zwar noch hinten dran »Herr Jesus, in Dein Reich«, aber das sieht man nicht, weil dieser Teil des Schals seitlich verschwindet. Mit Lippenstift hat er der armen Toten den Mund angemalt, aber mehr so um die Lippen herum als auf den Lippen selbst.

Es sieht grotesk aus. An den Händen hat die Verstorbene lange weiße Seidenhandschuhe, allerdings hat man an diesen Handschuhen die Fingerspitzen abgeschnitten. Die Fingernägel sind grellrot lackiert und ebenfalls mehr so außen herum als direkt auf den Nägeln. In den Händen hält die Tote einen Blumenstrauß aus Plastik – solche Plastikblumen, wie man sie früher auf dem Rummel an der Schießbude bekommen hat, grauenvoll. Das Fußende der Decke hat man umgeschlagen, und unten schauen die nackten dünnen Beine der Verstorbenen heraus, an den Füßen trägt sie viel zu große rote Stöckelschuhe.

Ich muss mich festhalten und tief durchatmen, so etwas habe ich wirklich noch nicht gesehen. »Ist das denn erlaubt?«, fragt mich der schwitzende Dicke, und ich nicke stumm. Was soll man denn machen?

»Der ist aber noch nicht fertig, der will heute noch ein paarmal kommen, und vielleicht bringt der die Sänger wieder mit, die singen hier immer, das geht doch nicht.«

»Okay«, sage ich, »lassen Sie die heute noch machen und sagen Sie denen, dass der Sarg heute Abend zugemacht werden muss, erfinden Sie irgendwas, sagen Sie, das sei wegen dem Seuchenschutz oder so.«

Ich drücke ihm einen Zwanziger in die Hand, und er nickt. Erleichterung macht sich auf seinem Gesicht breit.

Abgesehen davon, dass der Mann mit dem Pferdegebiss seine Mutter in sehr eigenwilliger Weise zurechtgemacht hat, ist erst mal nichts weiter passiert.

Der Freitag kommt, meine Mitarbeiterin ist am Friedhof und gibt mir via Handy Zwischenberichte. Jetzt sei der Sarg noch einmal geöffnet worden, und die etwa dreißig Anwesenden gingen der Reihe nach in die Aufbahrungszelle. Alle fänden es wunderschön und so natürlich, wie die Tote da liege. Als der Deckel wieder geschlossen wird, weil der Sarg in die Kapelle geschoben wird, sage ich zu meiner Mitarbeiterin, sie solle noch ein paar Minuten der Trauerfeier beiwohnen und könne dann wieder ins Büro kommen. Ab dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Zur festgesetzten Zeit, also nach knapp 20 Minuten, werden die Friedhofsmänner den Sargwagen zum Grab schieben, und dann ist es schnell vorbei.

Eine Stunde später – meine Mitarbeiterin ist längst wieder zurück – ruft der schwitzende Dicke an: »Sofort herkommen! Polizei! Unmöglich!«

Ich gebe Gas (für irgendwas müssen die vielen PS in meinem Wagen ja gut sein). Am Tor erwarten mich schon der Dicke und sein kleiner italienischer Kollege. Der Dicke schwitzt, der Italiener hüpft wie ein Vögelchen im Käfig hin und her. »Misse was mache, nixe gehte merr, die nixe machene Schluss!«

In der Trauerhalle sitzen die Angehörigen. Von irgendwoher haben sie sich lange Palmwedel besorgt. »Von wegen besorgt! Die haben die sich vorne am Haupteingang von der großen Phönixpalme einfach abgerissen!«, wettert der Schwitzdicke.

Mit diesen Palmwedeln wedeln die jetzt schon eine halbe Stunde herum und singen dazu. Mehrfach habe man versucht, den Sarg herauszuschieben, aber immer werfe sich eine der anwesenden Frauen weinend auf den Boden und klammere sich an den Sargwagen.

Ich suche das Pferdegesicht. Der hat sich aus einer weißen Tischdecke oder einem Bettlaken einen Umhang gemacht und sieht aus wie Batman mit weißem Cape. Offenbar glaubt er aber, das sehe aus wie ein würdiges Priestergewand.

Egal, ich hole mir das Bürschen und frage ihn, wie es denn jetzt weitergehe. Ja, noch so ein Stündchen würde das gehen, meint er. Man habe ja noch nicht alle Lieder durch. »Nee, nee, da fängt bald die nächste Trauerfeier an, Sie machen jetzt innerhalb von drei Minuten fertig, und dann geht’s zum Grab!«

Ich gehe ans Sprecherpult, wende mich an die Singenden und harre auf eine Sangespause. Als diese eintritt, räuspere ich mich und erkläre, dass wir der Verstorbenen nun genügend gehuldigt haben und die weitere Zeremonie dann am Grab stattfinden würde, und um zu zeigen, wie wichtig uns allen die liebe Verstorbene sei, würde ich nun den Ablauf der weiteren Zeremonie in die Hand nehmen.

Ich sehe und höre keinen Widerspruch, also drücke ich den verborgenen Knopf unter dem Rednerpult, der die Klingel bei den Sargträgern auslöst. So schnell waren die noch nie da! Ruckzuck ist die hintere Tür der Kapelle geöffnet und der Sarg draußen. Würdig laufe ich hinter dem Sarg her, der pferdegesichtige Batman hinter mir und hinter ihm die palmwedelnde Gemeinde.

Am Grab warte ich, bis die Sargträger den Sarg vom Sargwagen gehoben und auf die querliegenden Bretter gestellt haben, dann spreche ich einige Sätze. Ich sage etwas von der Vergänglichkeit des Fleischlichen, dass aber die Seele weiterlebe und die liebe Verstorbene jetzt ganz gewiss zum Herrn Jesus gehen würde. Die Trauergäste weinen und sind sehr ergriffen. Ich nicke dem dicken Schwitzmann zu, und die Männer tun ihre Arbeit, indem sie den Sarg in die Grube hinablassen. Ich bete ein Vaterunser – das kennen die auch und beten mit –, nehme dem Batman seinen Palmwedel ab und werfe ihn ins Grab (den Wedel, nicht den Batman). Ich verneige mich vor dem offenen Grab, trete an die Seite, und alle tun es mir nach, weil sie denken, das gehöre sich jetzt so. Wer weiß, vielleicht habe ich auf diese Weise eine neue Tradition in dieser Kirche ins Leben gerufen.

Um alles zum Abschluss zu bringen, greife ich mir einen Zipfel vom Batman-Gewand, ziehe den Pferdemann mit mir und marschiere langsam zum Ausgang des Friedhofs. Im Augenwinkel sehe ich, dass mir die Trauergemeinde folgt. Prima!

Vor dem Friedhof steht man beisammen, ist sehr ergriffen. Eine Frau steuert auf mich zu, stellt sich als die Tochter Frau Doktor Rabenacker-Sommerloch vor und bedankt sich wortreich und nicht unintelligent für die wunderschöne Zeremonie. So eine tolle Trauerfeier habe sie ja noch nie erlebt, das hätten wir ja alles so perfekt organisiert, und sie habe schon das Geld dabei. Sie drückt mir einen Umschlag in die Hand.

Na denn, ist ja gut gelaufen.