38261.fb2 Gott stirbt am Nil - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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II

Das hohe Eisentor wurde langsam aufgeschwungen, und der Bürgermeister von Kafr El Teen trat heraus. Er war groß, hatte breite, muskulöse Schultern und ein flächiges, fast eckiges Gesicht. Die obere Hälfte hatte er von seiner Mutter: weiches, seidiges Haar und tiefblaue Augen unter einer gewölbten, hohen Stirn. Die untere Hälfte sah seinem Vater ähnlich, der von der Oberschicht im Süden des Landes abstammte: ein dichter, schwarzer Bart, der von einer groben Nase überragt wurde, ein weicher, voller Mund, der mehr Gier als Sinnlichkeit verriet. Er hatte den hochmütigen, arroganten Blick eines englischen Gentleman, der gewöhnt ist, zu befehlen. Wie die Bauern Oberägyptens hatte er eine rauhe, heisere Stimme, in der jedoch Weichheit und Zurückhaltung mitschwangen und der es an der Aggressivität fehlte, die aus den Stimmen von Männern herauszuhören ist, die in ehemaligen Kolonien wie Ägypten und Indien jahrelang unterdrückt und eingeschüchtert wurden.

In einen dunklen, bodenlangen Umhang gehüllt ging er mit langsamen Schritten voran, gefolgt vom Chef der Dorfpolizei und dem Scheich der Moschee. Sie sahen die zwei Schatten, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Dunkeln hockten. Die Gesichter konnten sie nicht erkennen, aber alle drei Männer wußten, daß es Kafrawi und seine Schwester Zakeya waren, denn diese hatten die Angewohnheit, stundenlang nebeneinander zu sitzen, ohne ein einziges Wort zu wechseln. War nur ein Schatten zu sehen, so bedeutete das, daß Kafrawi auf dem Feld geblieben war und bis Sonnenaufgang arbeiten würde.

Um diese Tageszeit gingen sie wie immer zum Abendgebet in die naheliegende Moschee. Anschließend setzten sie sich im Haus des Bürgermeisters auf die Terrasse über dem Nil, oder sie schlenderten zum Geschäft von Haj Ismail, dem Dorfbarbier. Dort saßen sie, rauchten und plauderten und nahmen abwechselnd einen Zug aus dem langen Bambusrohr der Wasserpfeife.

Doch diesmal wollte der Bürgermeister keine Wasserpfeife rauchen. Er holte eine Zigarre aus einer Seitentasche, biß das Ende ab, zündete sie mit einem Streichholz an und begann zu rauchen, während die anderen ihm zusahen. Haj Ismail erkannte an der gerunzelten Stirn des Bürgermeisters, daß er keineswegs guter Laune war. Daher verschwand er in seinem Geschäft und kam einen Augenblick später zurück, schlich sich an ihn heran und wollte ihm ein Stück Haschisch in die Hand drücken, aber der Bürgermeister schob ihn fort und sagte: »Nein, heute abend nicht.«

»Warum nicht, Hoheit?« fragte Haj Ismail.

»Hast du die Nachrichten nicht gehört?«

»Welche Nachrichten, Hoheit?«

»Die Nachrichten über die Regierung.«

»Welche Regierung, Hoheit?«

»Haj Ismail! Was glaubst du, wieviele Regierungen wir haben?«

»Eine ganze Menge.«

»Unsinn! Wir haben nur eine einzige Regierung, das weißt du ganz genau!«

»An welche Regierung denkst du, Hoheit, an die Regierung in Kairo oder an die Regierung in Kafr El Teen?«

»An die Regierung in Kairo selbstverständlich.«

»Und was haben wir mit ihr zu tun?«

Der Polizeichef lachte laut auf und sagte: »Wer würde leugnen wollen, daß wir selbst ebensogut eine Regierung sind?«

Jetzt lachte Scheich Hamzawi. Seine vom Tabak verfärbten Zähne standen aus seinem breiten Mund hervor, und seine Gebetskette aus gelben Perlen schwang hin und her, während er sie nervös durch seine Finger gleiten ließ.

Aber der Bürgermeister fiel nicht in das Gelächter ein. Seine dicken Lippen hielten die Zigarre fest umschlossen, und seine blauen Augen blickten in die Ferne, über den langen Wasserlauf des Nils und die endlose Weite der bebauten Felder, die in der Dunkelheit unsichtbar geworden waren. Er stellte sich vor, wie sie sich zwischen den beiden Dörfern Kafr El Teen und El Rawla ausbreiteten. Wenn er in den Sommermonaten mit seiner Mutter die Gegend besucht hatte, war es ihm nie in den Sinn gekommen, daß er sich eines Tages in Kafr El Teen niederlassen würde. Er liebte das Kairoer Stadtleben, das Lampenlicht auf den dunklen Asphaltstraßen. Die bunten Lichter der Kasinos am Ufer des Nils, die sich im vorbeiziehenden Wasser spiegelten. Die überfüllten Nachtclubs, in denen man an Tischen saß und aß und trank, wo er die Frauen beim Tanzen beobachtete und ihr Parfüm und ihr sanftes Lachen in sich aufsog.

Damals ging er noch zur Universität. Doch im Gegensatz zu seinem älteren Bruder haßte er Vorlesungen und Vorlesungsräume, und er haßte das Gerede über Bildung und seine Zukunft. Und am meisten haßte er es, wenn sich sein Bruder über Politik und politische Parteien ausließ.

Während sie schweigend dasaßen, fiel Haj Ismail plötzlich ein, daß er die Morgenzeitung neben der Waage auf dem Holztisch in seinem Geschäft hatte liegen lassen. Er ging wieder hinein und kam mit der zusammengefalteten Zeitung in der Hand zurück. Er schlug sie auf und begann im Licht der Kerosinlampe die Schlagzeilen zu lesen, als sein Blick auf das unübersehbare Foto in der Mitte der ersten Seite fiel. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, und er begriff sofort, daß es der ältere Bruder des Bürgermeisters war. Er bemühte sich vergeblich, den kleingedruckten Bildtext zu lesen. Er zögerte, dann rückte er näher an den Bürgermeister heran und sagte ihm so leise wie möglich ins Ohr: »Haben die Nachrichten, die du erwähnt hast, etwas mit deinem Bruder zu tun?«

Nach einem kurzen Schweigen bejahte der Bürgermeister die Frage.

Haj Ismails nächste Frage klang besorgt: »Ist ihm ein Unglück widerfahren?«

Stolz schwang in der Stimme des Bürgermeisters mit, als er antwortete: »Nein, im Gegenteil.«

Haj Ismail war so aufgeregt, daß er sich kaum zurückhalten konnte. »Willst du damit sagen, Hoheit, daß er einen höheren Posten bezogen hat?«

Der Bürgermeister stieß eine dichte Rauchwolke aus. »Ja, Haj Ismail, genauso ist es.«

Haj Ismail klatschte vor Freude in die Hände, blickte in die Runde und sagte: »Freunde, das muß mit einem Glas Scherbett gefeiert werden.«

Eine Welle der Erregung ging durch die Männer, die vor dem Geschäft saßen. Die Zeitung ging von einer Hand in die andere. Haj Ismail stand auf und kam mit einer Flasche Scherbett und Gläsern zurück.

Aber der Bürgermeister war in Gedanken versunken. Den ganzen Tag hatte er sich gefragt, warum er sich so unzulänglich und niedergeschlagen gefühlt hatte, als er das Foto seines Bruders in der Zeitung entdeckte. Dieses Gefühl kannte er gut. Es war immer von einem bitteren Geschmack im Mund begleitet, danach bekam er eine trockene Kehle, dann begann seine Brust zu brennen, und schließlich fuhr ein vager, wenn auch scharfer Schmerz durch seinen Magen.

Dieses Gefühl hatte ihn zum ersten Mal befallen, als er ein kleiner Junge war. Er erinnerte sich, wie er ins Badezimmer lief und sich übergab. Anschließend prüfte er sein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken. Es war leichenblaß, seine Lippen hatten sich gelb verfärbt, und aller Glanz in seinen Augen war erloschen. Sie blickten stumpf, apathisch und resigniert, ein Schleier schien sich über sie gelegt und ihre Lebendigkeit erstickt zu haben.

Er spülte seinen Mund aus, um den verbliebenen bitteren Geschmack loszuwerden. Als er wieder den Kopf hob und in den Spiegel sah, war es das Gesicht seines Bruders, das vor ihm auftauchte. Er betrachtete die rosigen Wangen, den triumphierenden Blick. In seinen Ohren hallte die frohlockende Stimme wider, die ihm so vertraut war: »Alles, was ich anfange, gelingt mir. Aber du bist immer ein Versager gewesen.«

Er spuckte auf das Gesicht, das ihm ruhig aus dem Spiegel entgegenlächelte. Dann reckte er den Hals, straffte die Schultern und sagte laut zu sich: »Ich bin tausendmal besser als du.«

Wer ihn aus dem Badezimmer kommen sah, mußte den Eindruck haben, daß er der erfolgreichere von beiden war. Seine Lippen waren wieder rosig, und seine Augen glänzten. Der bittere Geschmack in seinem Mund war verschwunden, und sein fröhliches Lachen schallte durch das Haus, während er ausgelassen herumtobte und versuchte, seiner Mutter, die in ihrem Lehnstuhl saß und strickte, den Wollfaden zu entreißen und das Knäuel aufzurollen. Dann blitzten ihre hochmütigen blauen Augen zornig auf, und das schroffe, mit ihrem englischen Akzent ausgesprochene Urteil verletzte seinen Stolz: »Dein Bruder ist viel besser als du.« Manchmal legte sie ihr Strickzeug beiseite, griff nach der Zeitung auf dem Tisch neben sich, zeigte mit dem Finger auf einen kleingedruckten Namen auf einer Innenseite und sagte: »Dein Bruder hat seine Prüfung glänzend bestanden, du dagegen…«

Und plötzlich hörte er auf zu lachen, es war, als würde ihn jemand an der Kehle packen und würgen, er mußte mehrmals schlucken und konnte nicht antworten. Und ebenso plötzlich wurde ihm bewußt, daß er nicht richtig glücklich war, daß seine Fröhlichkeit erzwungen war. Das Gefühl, seinem Bruder überlegen zu sein, war eine Selbsttäuschung. Diese Wahrheit war so überwältigend, daß sie ihn bis ins Mark erschütterte. Sie schien aus jeder einzelnen Pore seiner Haut mit kaltem, klebrigem Schweiß herauszuströmen. Sie stieg ihm in Nase und Mund und ließ den bitteren Geschmack wieder hochkommen, senkte sich auf seine Brust und schlug ihm auf den Magen. Er rannte ins Badezimmer zurück und erbrach sich so lange, bis es nichts mehr zu erbrechen gab.

Haj Ismail nippte an seinem zweiten Glas Scherbett, als er bemerkte, wie der Bürgermeister verächtlich auf den Boden spuckte, seinen Rücken anspannte, den Kopf hob und sie mit seinem hochmütigen Blick musterte. Er schien sagen zu wollen: »Verglichen mit mir seid ihr nichts wert. Ich stamme von einer adligen Familie ab. Meine Mutter ist Engländerin, und mein Bruder gehört zu den Regierenden dieses Landes.«

Haj Ismail duckte sich auf seiner Bank, er schien sich klein machen und dem Blick des Bürgermeisters ausweichen zu wollen. Er hatte mit ihm scherzen, ihm die neuesten Geschichten erzählen wollen, aber er besann sich schnell eines Besseren. Er sah ständig zwischen dem Foto, das den älteren Bruder des Bürgermeisters mit arrogantem Blick im Kreis der wichtigsten Männer des Landes zeigte, und seinem kleinen Geschäft hin und her, wo ein paar rostige Konservenbüchsen auf morschen, staubbedeckten Regalen standen. Er wollte sich von diesem Vergleich losreißen, aber statt dessen fiel sein Blick auf den teuren Umhang des Bürgermeisters, und er befühlte den rauhen Stoff seiner eigenen galabeya.

Der Bürgermeister beobachtete Haj Ismail, als dieser das Glas Scherbett an den Mund setzte und in einem Zug leerte, als wäre es Rizinusöl. Er lachte laut auf, schlug ihm vergnügt auf die Schenkel und sagte: »Ihr Bauern trinkt den Scherbett, wie wir Medizin hinunterschlucken.«

Als Haj Ismail sah, wie vertraut der Bürgermeister mit ihm scherzte, verließ ihn das Gefühl, minderwertig und bedeutungslos zu sein, das ihn noch vor wenigen Augenblicken beherrscht hatte. Der Bürgermeister scherzte doch wirklich mit ihm, und war das nicht Grund genug, wieder Selbstvertrauen zu haben, zu glauben, daß sich die gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen verringerte? Er fühlte sich geschmeichelt. Jetzt konnte auch er lachen und die Unterhaltung da wieder aufnehmen, wo der Bürgermeister sie unterbrochen hatte, um ihn bei guter Laune zu halten.

»Wir Bauern können den Scherbett nicht vom bitteren Geschmack der Arznei unterscheiden«, sagte er ausgelassen.

Der Bürgermeister antwortete nicht gleich, als wollte er über Haj Ismails Worte nachdenken. Dieser fühlte sich gleich wieder unbehaglich, seine eigenen Worte hallten in seinen Ohren wider. Und wenn der Bürgermeister ihn mißverstanden hatte?

»Hoheit, ich wollte damit sagen, daß im Mund eines Bauern alles bitter schmeckt«, fügte er hastig hinzu, um die Dinge richtigzustellen.

Der Bürgermeister schwieg beharrlich. Bestimmt hatte er etwas falsch gemacht, Haj Ismail war jetzt beinahe überzeugt, daß er mit seinen Worten zu weit gegangen war. Der Bürgermeister konnte sie als eine Anspielung auf das schwere Leben der Bauern verstehen, und das hatte er natürlich nicht gemeint. Und es konnte ihn ebenfalls zu der noch gefährlicheren Schlußfolgerung veranlassen, Haj Ismail sei der Auffassung, das Interesse, das die Regierung am Wohlergehen der Bauern und für die Wahrung ihrer Rechte zeigte, sei nur vorgetäuscht. Und da er als Bürgermeister von Kafr El Teen die Regierung vertrat, konnte er diese Auffassung auch so interpretieren, daß er seine Stellung als verantwortlicher Beamter dazu benutzte, die Bauern auszubeuten, und das Geld, das er aus ihnen herauspreßte, für seinen aufwendigen Lebensstil und seinen ausgefallenen Geschmack in bezug auf Essen, Tabak, Wein und Frauen ausgab.

Ihm schwirrte der Kopf. Er verfluchte seine eigene Dummheit, denn er war vom Regen in die Traufe gekommen. Am besten machte er sich so klein wie möglich. Aber in genau diesem Augenblick sah er ein Glitzern in den Augen des Bürgermeisters, der zum Fluß blickte. Er drehte sich um, denn er wollte wissen, was seine Aufmerksamkeit erregte. Oben am Ufer ging ein hochgewachsenes Mädchen, das einen Wasserkrug auf dem Kopf balancierte. Sie hatte einen geschmeidigen Gang, und ihre großen schwarzen Augen blickten stolz geradeaus und erinnerten ihn an die Frauen in Kafrawis Familie.

Der Bürgermeister rückte mit dem Kopf näher an Haj Ismail und sagte: »Das Mädchen ähnelt Nefissa.«

Eilig antwortete Haj Ismail: »Es ist Nefissas jüngere Schwester.«

»Ich wußte gar nicht, daß Nefissa eine Schwester hat.«

Haj Ismail wußte, was im Kopf des Bürgermeisters vorging, und um sich bei ihm einzuschmeicheln, sagte er: »Eine ist hübscher als die andere.«

Der Bürgermeister blinzelte ihm zu und sagte mit einem leisen Lachen: »Aber die jüngste ist immer am appetitlichsten.«

Haj Ismail lachte laut auf und atmete tief durch Nase und Mund ein. Er war in gehobener Stimmung, und die Niedergeschlagenheit, die eben noch so stark auf ihm gelastet hatte, war verflogen. Jetzt war er sicher, daß der Bürgermeister sein Verhalten ihm gegenüber nicht ändern würde, weil sein Bruder der Regierung angehörte. Scherzte er nicht mit ihm wie mit seinesgleichen? Öffnete er ihm nicht sein Herz wie einem Freund?

Besänftigend flüsterte er dem Bürgermeister zu, wobei er mit den Augen zwinkerte: »Du hast recht, Hoheit, die jüngste macht immer am meisten Appetit.«

Der Bürgermeister schwieg. Seine Augen folgten der hochgewachsenen, schlanken Gestalt Zeinabs, während sie am Ufer entlangging. Ihr festes, rundes Gesäß zeichnete sich unter der langen galabeya ab. Ihre spitzen Brüste wippten bei jedem Schritt. Unter dem Rocksaum schauten zwei rosige, runde Fersen hervor.

Der Bürgermeister drehte sich um und wandte sich an den Polizeichef. »Ich kann um alles in der Welt nicht verstehen, wie Kafrawi seine vielen Töchter ernährt. Sieh sie dir an: sie strotzt nur so vor Gesundheit.«

Der Polizeichef lachte laut und heiser auf und verschluckte viel Luft dabei. Er hatte die ganze Zeit heimliche Qualen ausgestanden, weil er glaubte, die Gunst des Bürgermeisters verloren zu haben. Hatte dieser nicht ununterbrochen mit Haj Ismail geredet? Aber das war jetzt vorbei. Er fühlte plötzlich, wie seine Stimmung wechselte, und wurde wieder fröhlich.

»Sicher bestiehlt er die anderen. Ein Wort von dir, und wir bringen ihn hinter Gitter.«

Er erhob sich würdevoll und machte eine theatralische Bewegung mit dem Arm. Dann tat er, als riefe er einen seiner Adjutanten zu sich: »Bursche, bring sofort Handschellen und Ketten her!«

Der Bürgermeister, den diese Posse belustigte, lachte schallend, und die drei Männer, die neben ihm saßen, folgten seinem Beispiel. Selbst Scheich Hamzawi sah sich gezwungen, die Wasserpfeife, die er voller Hingabe geraucht hatte, aus dem Mund zu nehmen und lauter zu lachen als die anderen.

Der Bürgermeister wartete, bis das Lachen verebbte, dann wandte er sich wieder an den Polizeichef.

»Nein, Scheich Zahran, Kafrawi ist kein Dieb.«

Jetzt hielt es Scheich Hamzawi für angebracht, sich einzumischen, und zwar so kategorisch, als rezitierte er Sprüche des Propheten Mohammed aus dem Heiligen Koran.

»Alle Bauern sind Diebe. Diebstahl liegt ihnen im Blut. Sie stellen sich unschuldig und dumm und fallen vor Allah in die Knie, als würde es ihnen nie einfallen, ungehorsam gegen ihn zu sein, aber in ihrem Innern sind sie gottlose, verworfene, sündige Ketzersöhne. In der Moschee mag sich ein Mann hinter mir zu Boden werfen, aber kaum ist er draußen auf dem Feld, bestiehlt er seinen Nachbarn oder vergiftet dessen Büffel, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.«

Er hielt einen Augenblick inne und beobachtete das Gesicht des Bürgermeisters. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine Worte auf fruchtbaren Boden fielen, fuhr er fort:

»Er könnte sogar einen Mord begehen oder Unzucht treiben.«

Der Polizeichef schlug seine Beine übereinander und schob dabei seine galabeya etwas höher, als wollte er seine neuen Stiefel vorzeigen und gleichzeitig zu verstehen geben, daß sich Scheich Hamzawi auf ein Gebiet vorwagte, das ihm selbst vorbehalten war.

»Wenn von Mord und Unzucht die Rede sein soll, dann hat der Polizeichef ein Wörtchen mitzureden, aber…« Mit einschmeichelndem Lächeln wandte er sich an den Bürgermeister: »Sag mir, Hoheit, wo du doch so viel weißt, sind die Menschen in Kairo genauso wie die Menschen in Kafr El Teen?«

Scheich Hamzawi fuhr dazwischen: »Die Menschen sind heutzutage überall korrupt, Scheich Zahran. Du kannst lange vergeblich nach dem wahren Islam oder einem gottesfürchtigen Moslem suchen, es gibt sie nicht mehr.«

Er bemerkte den mißbilligenden Ausdruck auf dem Gesicht des Bürgermeisters und fügte eilig hinzu: »Angehörige der Oberschicht, die adliger Abstammung sind wie Seine Hoheit, der Bürgermeister, machen da natürlich eine Ausnahme.«

Angestrengt suchte er nach einem Koranvers, mit dem er seine Behauptung untermauern könnte, aber sein Kopf war vom vielen Rauchen dumpf geworden. Doch er ließ sich nicht beirren und beschränkte sich darauf, scheinheilig zu psalmodieren: »Allah macht es dir zur Pflicht, die Herkunft eines Mannes zu überprüfen, denn seine Wurzeln werden immer auf widrigem Weg in seine Seele finden.«

Der Bürgermeister sah den Scheich der Moschee mürrisch an. Warum hatte dieser Mann das Gespräch von Zeinabs rosigen Fersen abgelenkt und ein so ernstes Thema wie Religion und Glauben zur Sprache gebracht? Er lächelte Haj Ismail zu: »Sag du mir in deiner Eigenschaft als Heilkundiger unseres Dorfes, wie es möglich ist, daß ein dunkelhäutiger Teufel wie Kafrawi Töchter gezeugt hat, die weiß wie Sahne sind?«

Wieder mischte sich Scheich Hamzawi ein, denn er wollte die Erinnerung an den mißbilligenden Blick des Bürgermeisters verjagen, der ihm immer noch zu schaffen machte. Er psalmodierte: »Und Allah erschafft aus den Lenden eines gottesfürchtigen Mannes eine korrupte Nachkommenschaft.«

»Du mußt mir deine Gedanken nicht verraten, Haj Ismail«, sagte der Bürgermeister, der Scheich Hamzawis Einwurf überhörte.

Der Dorfbarbier konnte nicht vergessen, daß der Bürgermeister ihn einen »Heilkundigen« genannt hatte. Es war, als ob man ihm den Doktortitel in Medizin verliehen hätte und ihn mit den Ärzten der Gegend auf eine Stufe stellte. Er richtete sich auf und sah mit halbgeschlossenen Augen vor sich hin. Er setzte die Miene eines Wissenschaftlers auf, der die Geheimnisse des Lebens ergründet hat und über großes Wissen verfügt.

»Bei Allah, Hoheit, und Allah allein weiß es, es muß Nefissas Mutter nach Sahne verlangt haben, als sie mit dem Mädchen schwanger ging. Oder vielleicht war sie von einem weißen Teufel besessen!«

Ein unbändiges Lachen ergriff den Bürgermeister. Er warf den Kopf in den Nacken und machte seinem Vergnügen Luft, dann wandte er sich an den Polizeichef, als suche er jemand, der ihm zu Hilfe käme. Dieser erhob sich wieder und rief genauso theatralisch wie zuvor in die Nacht hinein:

»Bursche, bring sofort die Handschellen und Ketten her. Fang den Teufel, Bursche, und leg ihm das Eisen an.« Dann spuckte er in den Halsausschnitt seiner galabeya und flüsterte: »Mögen unsere Worte dich nicht erzürnen, allmächtiger Gott.«

Alle lachten, und am lautesten lachte Scheich Hamzawi, der glaubte, sich besonders anstrengen zu müssen, um das Eis zwischen sich und dem Bürgermeister zu brechen. Er lehnte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist bekannt, daß die Frauen in Kafrawis Familie die Augen weit geöffnet haben und ziemlich frech sind, Hoheit.«

Der Bürgermeister lachte glucksend. »Sind nur ihre Augen weit geöffnet, Scheich Hamzawi?« fragte er halb im Ernst.

Wieder brachen sie in stürmisches Gelächter aus. Es wurde langsam über das unbewegliche Wasser des Flusses fortgetragen, und diesmal klang es sorglos, als hätten die Männer endlich ihre Verbitterung und Melancholie abgeschüttelt. Sogar der Bürgermeister fühlte sich besser. Er hatte die Bitterkeit verscheucht, die ihn überfallen hatte, als er das Foto seines Bruders in der Zeitung entdeckte. Jetzt hatte er nicht länger das Bedürfnis, sich ablenken und unterhalten zu lassen. Er gähnte mit offenem Mund, wobei zwei Reihen langer, weißer Zähne zum Vorschein kamen, die aussahen wie die Fangzähne eines Fuchses oder eines Wolfs. In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, sagte er: »Gehen wir!«

Er stand auf, und im Nu waren auch die drei anderen Männer auf den Beinen.