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Das Auto kam ins Dorf gefahren, angekündigt von einem schrillen Hupen, gefolgt von einer Staubwolke, einem Schwarm Kinder und ein paar streunenden Hunden. Vier Männer stiegen aus, darunter ein Krankenpfleger mit einer Tasche in der Hand, sowie ein Polizist mit einem Hund, der an der Leine riß. Andere Männer gingen geschäftig hin und her und hielten die neugierige Menge zurück oder schlugen den Kindern mit Knüppeln auf die Hintern.
Alle Einwohner von Kafr El Teen hatten sich am Ufer versammelt. Die Männer trugen galabeyas und hielten Stöcke in den Händen. Die Frauen hatten sich in schwarze Tücher gehüllt. Fliegen setzten sich den nackten Kindern, deren Nasen liefen, auf das Gesicht. Alle waren da bis auf drei Menschen. Zakeya hockte wie immer am staubigen Eingang ihrer Hütte, und Zeinab saß neben ihr. Beide schwiegen und starrten mit zornigen, beinahe herausfordernden Blicken auf die Straße.
Kafrawi hockte in einiger Entfernung in einem Maisfeld am Dorfrand, wo er sich versteckt hielt. Er hörte die Stimmen näherkommen, angekündigt vom Bellen und Winseln des Hundes. Er wußte, daß sie ihn gefunden hatten, daher trat er aus dem Feld hervor und erklomm die Böschung. Kinder entdeckten ihn und riefen: »Kafrawi, Kafrawi!«, und liefen hinter ihm her, aber er war schneller und erreichte den Fluß. Bevor der Hund, der wütend an seiner Leine zerrte und den Polizisten hinter sich herzog, sich auf ihn stürzen konnte, hatte er sich ins Wasser geworfen. Er wußte nicht, warum er davonlief oder wohin er ging. Er wollte sich so weit wie möglich von etwas entfernen, das ihm Angst machte, wollte einfach nur weglaufen, ohne zu wissen, wohin. Er wußte nicht, was zwischen dem Augenblick, als er neben dem Büffel gelegen hatte, und dem Moment, als sein Körper auf dem kalten Wasser aufschlug, geschehen war.
Er hörte, wie das Wasser aufspritzte, und wußte, daß jemand schnell hinter ihm herschwamm und immer näher kam. Er ruderte mit Armen und Beinen und blickte krampfhaft zum anderen Ufer, als würde er dort in Sicherheit sein. Er hatte vergessen, daß sich die Orangenhaine des Bürgermeisters von Kafr El Teen am anderen Ufer befanden.
Die am Fluß versammelten Dorfbewohner standen im Hintergrund, vor ihnen drängte sich eine Gruppe von Männern, die sich aus dem Offizier mit dem Hund, dem Polizeichef sowie einigen Dorf- und Bezirkspolizisten zusammensetzte. Sie verfolgten die beiden Schwimmer mit den Augen, waren aufgeregt wie Zuschauer bei einem Wettkampf und gespannt, wer von den beiden gewinnen würde. Sobald sich der Abstand zwischen den beiden vergrößerte, freuten sich die Dorfbewohner insgeheim, denn sie hofften, daß Kafrawi dem Polizisten entkommen würde. Ihr Instinkt sagte ihnen, daß er kein Mörder oder Verbrecher war. Sie haßten alle Polizisten und ihre Hunde, alle Offiziere, alle Gesetzesvertreter und die Regierung. Es war der unterdrückte, uralte Haß der Bauern auf ihre Regierung. Sie wußten, daß sie so oder so immer Opfer waren und ausgebeutet wurden, wenn sie auch meistens nicht verstanden, warum das so war.
Der Offizier sah dem Geschehen mit kalter Gleichgültigkeit zu, ab und zu warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, als hätte er eine wichtige Verabredung und die Absicht, die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Auch den Hund schienen die Vorgänge wenig zu kümmern. Er streckte sich wohlig in der Sonne aus und schien die Schönheiten der Natur zu genießen, als hätte er seit langer Zeit keine Möglichkeit dazu gehabt. Nur der Polizeichef wirkte nervös. Sobald sich der Abstand zwischen den beiden Schwimmern verringerte, rief er aufmunternd: »Gut gemacht, Bayumi!«
Seine Stimme hallte in Bayumis Ohren wie ein Trompetenschall wider und spornte ihn an, schneller zu schwimmen. Warum er das tat, wußte er selbst nicht. Er hatte den Auftrag, dieses Tier zu fangen, mehr nicht. Er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Als er den Befehl bekam, den Mann zu verhaften, hatte er schnell wie eine Kugel seine Verfolgung aufgenommen.
Kafrawi sprang nackt wie er war aus dem Wasser ans Ufer und lief kreuz und quer durch den Orangenhain. Bayumi war ihm dicht auf den Fersen, und auch er war nackt bis auf ein sackartiges Unterhemd. Er war groß und kräftig, und sein Gesicht war hart wie Granit. Es war das Gesicht eines Polizisten, das weder Freude noch Trauer, weder Angst noch Hoffnung ausdrückte, ein Gesicht, das kein Gefühl verriet und keinen Gedanken, denn sie waren bereits so lange unterdrückt, daß nichts von ihnen übrig geblieben war. Es war leblos wie ein Bronzegesicht oder wie ein kupferner Türklopfer, der den Menschen im Haus ankündigt, daß draußen jemand steht, der sie in ihrer Ruhe stören will. Auch sein Körper war hart und kupfern, und er rannte, schwamm oder lief mit unverändert gleichmäßigen und schwungvollen Bewegungen, so unermüdlich und ausdauernd, daß er nichts Menschliches an sich hatte, daß er nicht aus Fleisch und Blut sein konnte, sondern wie ein Roboter mit eisernen Gelenken und Gliedern wirkte.
Kafrawi versteckte sich hinter einem Baum. Er sah Bayumi auf sich zukommen, und eine schreckliche Angst überfiel ihn, als hätte er etwas gesehen, das nicht Mensch noch Teufel, das weder lebendig noch tot, sondern ein böser Geist in Menschengestalt war.
Die Angst schlug wie eine eiskalte Welle über ihm zusammen. Er konnte seinem Körper nicht länger folgen, er verstand nicht, was er tat, ob er sich hinter den Bäumen versteckte oder sich zwischen ihnen hindurchschlängelte. Denn dieser unheimliche Schatten jagte mit mechanischen Bewegungen hinter ihm her, die weder langsam noch schnell waren, ähnlich wie die Zeiger einer Uhr, die unaufhaltsam bis zum Moment der Hinrichtung voranschreiten. Als sich die stählerne Hand um seinen Arm legte, wußte er, daß seine Zeit abgelaufen war, und er sagte mit ruhiger, leiser Stimme: »Wahrlich, ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah.« Dann wurde ihm schwarz vor den Augen und er hörte und sah nichts mehr. Nichts bewegte sich mehr in dieser Schwärze, als wäre sein Leben plötzlich zu Ende und der Augenblick gekommen, in dem er abtreten mußte.
Als er wieder zu sich kam und wieder hören und sehen konnte, blickte er sich erstaunt um. Er befand sich in einem großen Raum voller Menschen, die ihn anstarrten. Vor ihm saßen drei Männer hinter einem hohen Tisch.
Einer der Männer gestikulierte aufgeregt mit den Händen und warf ihm drohende Blicke zu. Er sah sich wieder nach allen Seiten um und versuchte zu verstehen, was geschah. Plötzlich bohrte sich spitz wie ein Nagel ein Finger in seine Schulter, und eine dünne, scharfe Stimme drang an sein Ohr: »Hast du nicht gehört? Warum antwortest du nicht?«
Kafrawi öffnete den Mund und sagte: »Redet jemand mit mir?«
Wieder zerriß die dünne, scharfe Stimme die Luft: »Ja, schläfst du denn? Wach auf und beantworte die Fragen Seiner Exzellenz!«
Kafrawi wußte nicht, wer Seine Exzellenz sein sollte, ebensowenig konnte er sich erklären, wo er war. Bestimmt war er nicht mehr in Kafr El Teen, vielleicht in einem anderen Dorf, vielleicht sogar in einer anderen Welt? Er wunderte sich, wie er hierher gekommen war.
Plötzlich hörte er, wie jemand mit wütender Stimme sagte: »Wie heißt du?«
»Kafrawi«, antwortete er.
Da war wieder die wütende Stimme: »Dein Alter?«
Er zögerte einen Moment, dann antwortete er: »Vierzig oder fünfzig.«
Er hörte die Anwesenden lachen und wußte nicht, warum.
Und wieder sagte die wütende Stimme: »Du bist des Mordes an Elwau angeklagt und solltest lieber ein Geständnis ablegen, statt wie eine Katze um den heißen Brei herumzureden.«
»Was für ein Geständnis?« fragte er.
»Daß du Elwau getötet hast.«
»Ich habe ihn nicht getötet. Elwau war ein guter Mann.«
Die Stimme fuhr fort: »Wußtest du nicht, daß es Elwau war, der deine Tochter Nefissa vergewaltigt hat?«
»Das habe ich gehört.«
»Und wolltest du ihn nicht töten, nachdem du das gehört hast?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Der Gedanke ist mir nicht gekommen.«
»Ist das normal für einen Mann, dessen Ehre beschmutzt worden ist?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Kafrawi.
Die Stimme klang immer wütender. »Ist das natürlich?«
»Was bedeutet ›natürlich‹?«
Wieder hörte er Lachen und sah sich erstaunt um. Warum lachten die Leute immerzu? Vielleicht hatte es gar nichts mit ihm zu tun?
Die Stimme fragte weiter. »Warum bist du an jenem Freitag auf dem Feld geblieben, statt wie alle Männer des Dorfes zum Gebet in die Moschee zu gehen?«
»Ich gehe nicht mehr zum Gebet, seit Nefissa fort ist.«
»Warum?«
»Nefissa ist immer bei dem Büffel geblieben, wenn ich beten ging.«
»Hast du nicht gewußt, daß Elwau anders als alle Männer des Dorfes am Freitag nie in die Moschee ging?«
»Ja.«
»Hast du es gewußt oder nicht?«
»Ja, ich wußte es. Jeder wußte, daß Elwau nicht in die Moschee ging.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht, warum. Die Leute sagen, weil der Großvater seiner Mutter ein Kopte war, aber nur Allah kennt den Grund.«
Hinterlistig fragte die Stimme: »Hast du Elwau nicht leiden können?«
»Nein.«
»War es nicht deine Überzeugung, daß ein Mann wie er das Ritualgebet verrichten muß, wie es Allahs Wille ist?«
»Elwau war ein guter Mann«, antwortete Kafrawi.
»Weißt du nicht, daß Beten vor Sünde schützt?«
»Ja, das hat uns Scheich Hamzawi immer gesagt.«
»Und Elwau hat deine Tochter vergewaltigt und eine schwere Sünde begangen!«
»Das ist behauptet worden.«
»Du bestehst also darauf, daß du ihn nach allem, was geschehen ist, nicht töten wolltest?«
»Nein, ich wollte ihn nicht töten.«
»Und warum wolltest du ihn nicht töten.«
»Elwau war ein guter Mann«, wiederholte Kafrawi.
Und die Stimme fragte hartnäckig weiter: »Und deine Ehre? Liegt dir nichts an deiner Ehre und an der Ehre deiner Familie?«
Kafrawi schwieg einen Moment, dann antwortete er: »Doch.«
Mit kaum verhohlener Genugtuung sagte die Stimme: »Und deshalb hast du Elwau getötet.«
»Aber ich habe ihn nicht getötet.«
Wieder klang die Stimme sehr wütend: »Und warum hat man dich bei der Leiche gefunden?«
Kafrawi schwieg, er versuchte sich zu erinnern, aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Er antwortete nicht.
Die wütende Stimme fragte: »Und warum bist du weggelaufen, warum wolltest du fliehen?«
»Ich hatte Angst vor dem Hund.«
»Weißt du, warum der Hund von allen Männern des Dorfes gerade dich ausgesucht hat?«
»Nein. Der Hund weiß das.«
Er hörte Lachen und drehte sich erstaunt um. Warum lachten die Leute schon wieder?
Jetzt war die Stimme außer sich vor Wut. »Versuche nicht, mich hinters Licht zu führen! Du solltest lieber ein Geständnis ablegen. Weißt du, was dich erwartet?«
»Nein«, sagte er.
Wieder dröhnte das Lachen in seinen Ohren. In seinen Augen lag Verwirrung. Gleich darauf spürte er, wie sich die stählerne Hand um seinen Arm legte und ihn durch einen langen, dunklen Korridor führte. Er schloß die Augen und murmelte: »Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah.«