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«Direktor? Ich?»
«Sicher. Die Beförderung ist schon Oberpersonalchef Feuz gemeldet, der Sie übrigens auch grüßen läßt.»
«Der Geburtszangenabteilung?»
«Vielleicht auch noch der Atomkanonen, wer weiß das. Oberpersonalchef Feuz hält alles für möglich.»
«Aber warum denn?«schrie Archilochos, der nichts mehr begriff.
«Liebster, Bester! Sie vergessen Ihre ausgezeichneten Berichte über Oberitalien…»
Er bearbeite die Ostschweiz und das Tirol, verbesserte der Unterbuchhalter hartnäckig.
«Ostschweiz und Tirol, werfe die Landschaften etwas durcheinander, bin ja auch kein Geograph.»
«Das kann doch nicht ein Grund sein, mich zum Geburtszangendirektor zu ernennen.»
«Na, na.»
«Ich besitze doch gar nicht die Fähigkeit zu einem Direktor«, protestierte Archilochos.
OB9GZ schüttelte den Kopf und sah Archilochos mit einem rätselhaften Blick an, lächelte, so daß seine Goldzähne zum Vorschein kamen, und faltete die Hände über dem gepflegten Bauch.»Den Grund«, sagte er,»liebster, vereintester Freund, den Grund, weshalb Sie zum Direktor befördert worden sind, müssen Sie wissen, nicht ich, und wenn Sie ihn nicht wissen, forschen Sie nicht. Es ist besser so. Nehmen Sie meinen Rat an. Es ist wohl das letzte Mal, daß wir uns gegenübersitzen. Direktoren und Oberbuchhalter pflegen nie miteinander zu verkehren, wäre auch ganz gegen das ungeschriebene Gesetz unseres vorbildlichen Hauses. Stand ich doch heute zum ersten Mal Direktor Zeus gegenüber, in der Stunde seines Untergangs freilich, während man den armen Vizedirektor Stüssi, der mein eigentlicher Vorgesetzter ist, und der allein mit den Oberbuchhaltern verkehrt, gerade auf einer Bahre hinaustrug, eine wahre Götterdämmerung.
Schweigen wir über diese eindrucksvolle Szene. Ihr Bedenken: Sie fürchten, das Metier eines Direktors nicht zu beherrschen. Bester, liebster Freund, das Metier eines Direktors beherrscht jeder, im Vertrauen gesagt, jeder Trottel ist dazu fähig. Sie haben nichts anderes zu tun, als einfach Direktor zu sein, als Direktor zu existieren, die Würde zu übernehmen, zu repräsentieren, Inder, Chinesen, Zulukaffern durch die Räume zu führen, Mitglieder der Unesco und des Ärzteverbandes und wer sich sonst noch in Gottes großer Welt für die edle Geburtszange interessiert. Die praktischen Angelegenheiten, der Betrieb, das Technische, die Berechnungen, die Planung, dies alles wird von den Oberbuchhaltern gedrechselt, um mich etwas frei einem verehrten Freund gegenüber auszudrücken. Da brauchen Sie sich keine grauen Haare wachsen zu lassen. Wichtig freilich wird sein, wen Sie sich zum Vizedirektor aus den Reihen der Oberbuchhalter erküren, Stüssi ist ja nun erledigt, war auch höchste Zeit, war zu sehr mit Direktor Zeus verbunden, eine Kreatur des hohen Herrn — nun ja, ich will mich über die fachliche Qualität Zeusens nicht äußern. Das ziemt sich nun wohl nicht. Er hat seinen Nervenzusammenbruch. Kritik liegt mir ferne. Es war ein Kreuz mit ihm, ganz unter uns gesprochen, war er doch unfähig, die Berichte über Dalmatien, die Sie, vereintester Freund und Gönner, verfaßt haben, auch nur zu begreifen, und auch im übrigen ohne Schimmer — ich weiß, ich weiß, es war nicht Dalmatien, es war das Toggenburg oder die Türkei: Schwamm drüber, Sie sind zu höheren Zielen geboren. Adlergleich schwingen Sie sich über uns staunende Oberbuchhalter ins Blaue. Jedenfalls noch einmal im Vertrauen: Wir Oberbuchhalter freuen uns, Sie nun als Direktor zu haben! Daß ich als Ihr bester Freund besonders Halleluja und Hosianna jauchze (hier wurden OB9GZ' Augen feucht), will ich nicht noch einmal betonen, das wäre nun doch zu ungehörig, sähe aus, als wollte gerade ich Vizedirektor werden, wenn ich auch der Rangälteste bin. Wie immer auch Ihre Wahl unter uns Oberbuchhaltern ausfallen wird, wen Sie nun auch zu Ihrem Stellvertreter ernennen werden, ich nehme die Wahl mit Demut entgegen, bleibe Ihr größter Verehrer — Kollege Spätzle möchte Sie noch sprechen, und dann Kollege Schränzle, aber ich fürchte, ich fürchte, ich muß Sie nun Hals über Kopf zu Petit-Paysan begleiten, um Sie in dessen Vorzimmer unbeschädigt abzuliefern, ist doch die Stunde vorgerückt. Kommen Sie nun also, Kopf hoch, genießen Sie Ihr Glück, sind ja auch der würdigste, der begabteste von uns allen, goldrichtig sozusagen, ein geniales Glückskind, die Geburtszangenabteilung wird sogar noch die Maschinengewehrabteilung mit Elan überflügeln, sehe ich voraus, mit Schwung und Kraft, verehrter, lieber Herr Direktor, wie ich nun wohl am besten gleich sage, darf ich bitten, ich habe die Ehre, es ist mir ein großes Vergnügen, wir nehmen denn auch gleich den Direktorenlift.»
Archilochos betrat mit OB9GZ niegeahnte Räume, Reiche aus Glas und unbekanntem Material, glänzend vor Sauberkeit, wunderbare Lifts, die ihn nach den oberen geheimnisvollen Stockwerken des Verwaltungsgebäudes hoben. Sekretärinnen schwebten, dufteten an ihm vorüber, lächelten, blonde, schwarze, braune und eine mit herrlichem zinnoberrotem Haar, Sekretäre machten ihm Platz, Direktoren verneigten sich, Generaldirektoren nickten ihm zu, sanfte Korridore nahmen ihn auf, über deren Türen bald rote, bald grüne Lämpchen aufleuchteten, die einzigen Anzeichen einer diskreten Verwaltungstätigkeit. Sie wandelten lautlos auf weichen Teppichen, schien doch jeder Lärm, auch das leiseste Räuspern, das verstohlenste Husten verpönt. Französische Impressionisten leuchteten an den Wänden (Petit-Paysans Bildersammlung war berühmt), eine Tänzerin von Degas, eine Badende von Renoir, Blumen dufteten in hohen Vasen. Je höher sie kamen, schwebten, desto menschenleerer wurden die Korridore und Hallen. Sie verloren das Sachliche, Übermoderne, Kalte, ohne die Proportionen zu ändern, wurden phantastischer, wärmer, menschlicher, Gobelins hingen nun an den Wänden, goldene Rokoko- und Louis XIV-Spiegel, einige Poussins, einige Watteaus, ein Claude Lorrain, und als sie das letzte Stockwerk erreichten (OB9GZ, ebenso eingeschüchtert wie Archilochos, war er doch nie so weit gedrungen, verabschiedete sich hier), wurde der Unterbuchhalter von einem würdigen ergrauten Herrn in tadellosem Smoking in Empfang genommen, wohl von einem Sekretär, der den Griechen durch heitere Korridore und lichte Hallen führte, mit antiken Vasen und gotischen Madonnen, mit asiatischen Götzen und indianischen Wandteppichen. Nichts erinnerte mehr an die Herstellung von Atomkanonen und Maschinengewehren, vielleicht nur, daß man beim Anblick einiger Putten und Dreikäsehochs, die dem Unterbuchhalter von einem Rubensgemälde entgegenlachten, entfernt an Geburtszangen hätte denken können. Alles war heiter hier oben. Durch die Fenster schimmerte die Sonne als warme wohlige Scheibe, obwohl sie in Wirklichkeit in einem eiskalten Himmel stand. Bequeme Sessel und Kanapees standen herum, irgendwo war ein helles Lachen zu hören, das Archilochos in seinem grauen Arbeitskittel an das Lachen Chloés erinnerte, an den heiteren Sonntag, den er erlebt hatte, und der nun eine märchenhafte Fortsetzung nahm, irgendwo zitterte Musik, Haydn oder Mozart, kein Schreibmaschinengeklimper war vernehmbar, kein Hin- und Hergehen aufgeregter Buchhalter, nichts, das ihn an die Welt erinnerte, der er eben entstiegen war, die nun tief unter ihm lag wie ein böser Traum. Dann standen sie in einem hellen Raum, mit roter Seide ausgeschlagen, mit einem großen Gemälde, eine nackte Frau darstellend, wohl der berühmte Tizian, von dem man überall sprach, dessen Preis man sich überall zuflüsterte. Zierliche Möbelchen, ein kleiner Schreibtisch, eine kleine Wanduhr mit silbernem Ticktack, ein Spieltischchen mit einigen Sesselchen waren da und Blumen, Rosen, Kamelien, Tulpen, Orchideen, Gladiolen in verschwenderischer Fülle, als gäbe es keine Jahreszeit, keine Kälte, keinen Nebel und keinen Winter. Kaum waren sie eingetreten, öffnete sich eine kleine Seitentüre und Petit-Paysan trat herein, angezogen wie der Sekretär, im Smoking, eine Dünndruckausgabe der Gedichte Hölderlins in der linken Hand, den Zeigefinger zwischen den Seiten. Der Sekretär ging hinaus. Archilochos und Petit-Paysan standen sich gegenüber.
«Nun«, sagte Petit-Paysan,»mein lieber Herr Anaximander —»
Sein Name sei Arnolph Archilochos, verbesserte der Unterbuchhalter und verneigte sich.
«Archilochos. Sehr gut. Wußte, daß Ihr Name so was Griechisches, Balkanisches war, mein lieber Herr Oberbuchhalter.»
«Unterbuchhalter«, stellte Archilochos seinen sozialen Stand richtig.
«Unterbuchhalter, Oberbuchhalter, das ist doch ziemlich dasselbe«, lächelte der Großindustrielle,»oder nicht? Wenigstens ich mache da keinen Unterschied. Wie gefällt denn Ihnen mein Aufenthaltsort da oben? Schöne Aussicht, muß ich selber sagen. Sie sehen die ganze Stadt, den Strom und sogar das Palais des Staatspräsidenten, von der Kathedrale ganz zu schweigen, und in der Ferne den Nordbahnhof.»
«Sehr schön, Herr Petit-Paysan.»
«Sie sind auch der erste der Atomkanonenabteilung, der dieses Stockwerk betritt«, gratulierte der Großindustrielle Archilochos, als hätte er eine sportliche Leistung vollbracht.
Er komme von der Geburtszangenabteilung, entgegnete Archilochos. Er bearbeite die Ostschweiz und das Tirol, gegenwärtig den Kanton Appenzell Innerrhoden.
«Schau, schau«, wunderte sich Petit-Paysan.»Sie kommen aus der Geburtszangenabteilung, wußte gar nicht, daß wir solche Apparate fabrizieren. Was ist denn das?»
Die Geburtszange, erklärte Archilochos, lateinisch >Forceps<, sei ein geburtshilfliches Instrument, welches bestimmt sei, beim Geburtsakt den Kopf des Kindes zu fassen, so daß die Entbindung schneller vonstatten gehen könne als bei der Wehentätigkeit allein. Die Petit-Paysan-Maschinenfabrik AG fabriziere Zangen verschiedener Konstruktion; bei allen aber unterscheide man einerseits die beiden gefensterten Löffel, die gekrümmt seien, um den Kopf zu umfassen und eine zweite Krümmung besäßen, die Beckenkrümmung; auch wohl noch eine Dammkrümmung, die sie zur Einführung geeignet mache; andererseits die Griffe, welche, kurz oder lang, in Holz oder Metall ausgeführt seien, die mit oder ohne besondere Handhaben und Quergriffe sein könnten; und dann unterscheide man noch das Schloß, das heißt die Vorrichtung, mittels der beide Löffel im Augenblick des Gebrauchs kreuzweise zu einer Zange bereitet würden. Die Preise…
«Sie beherrschen Ihre Materie ja ausgezeichnet«, lächelte der Großindustrielle.»Aber die Preise wollen wir uns ersparen. Nun, mein lieber Herr —»
«Archilochos.»
«Archilochos, um es kurz zu machen und Sie nicht länger auf die Folter zu spannen, ich ernannte Sie zum Direktor der Atomkanonen. Sie gestanden mir zwar eben, Sie gehörten der Geburtszangenabteilung an, von deren Existenz ich wirklich keine Ahnung hatte. Das überrascht mich ein wenig, muß irgendwo eine Verwechslung stattgefunden haben, ständig wird ja in einem solchen Riesenbetrieb irgend etwas verwechselt. Nun gut, das macht nichts, legen wir die beiden Abteilungen zusammen, betrachten Sie sich demnach als Direktor der Atomkanonen- und der Geburtszangenabteilung, werde die Pensionierung der betreffenden Direktoren anordnen. Ich freue mich, Ihnen die Beförderung persönlich mitteilen zu dürfen, und wünsche Ihnen Glück.»
«Herr Direktor Zeus von der Geburtszangenabteilung befindet sich bereits im Krankenhaus.»
«Ach, was hat er denn?»
«Nervenzusammenbruch.»
«Ei, da wird meine Absicht schon zu ihm gedrungen sein«, schüttelte Petit-Paysan verwundert den Kopf,»und dabei wollte ich doch den Direktor Jehudi von der Atomkanonenabteilung entlassen. Irgendwo sickert immer etwas nach unten, wird viel zu viel geschwatzt, nun gut, Direktor Zeus ist mir zuvorgekommen mit seinem Nervenzusammenbruch. Hätte ihn ja nun auch entlassen müssen. Hoffen wir nur, daß Direktor Jehudi seine Sistierung mit um so größerer Fassung entgegennehmen wird.»
Archilochos nahm sich zusammen und wagte Petit-Paysan mit seinem Dünndruckband zum ersten Mal offen anzusehen.»Dürfte ich fragen«, sagte er,»was dies alles bedeutet. Sie lassen mich rufen, Sie befördern mich zum Direktor der Atomkahonen- und der Geburtszangenabteilung. Ich bin beunruhigt, wie ich gestehen muß, weil ich dies alles nicht begreife.»
Petit-Paysan sah den Unterbuchhalter ruhig an, legte den Band Hölderlin auf das grüne Spieltischchen, setzte sich, lud mit einer Handbewegung Archilochos ein, sich ebenfalls zu setzen. Sie saßen einander im Sonnenlicht gegenüber, auf weichen Polstern, Archilochos wagte kaum zu atmen, so feierlich kam ihm die Szene vor. Endlich würde er den Grund der rätselhaften Vorfälle vernehmen, dachte er.
«Herr Petit-Paysan«, begann er deshalb von neuem mit schüchterner stockender Stimme:»Ich habe Sie immer verehrt, Sie sind Nummer drei in meinem sittlichen Weltgebäude, das ich mir zusammengezimmert habe, um einen moralischen Halt zu besitzen. Sie kommen unmittelbar nach unserem verehrten Staatspräsidenten und Bischof Moser von der Altneupresbyteranischen Kirche, das sei alles gestanden; um so mehr möchte ich Sie anflehen, mir den Grund Ihres Handelns zu erklären: Buchhalter Rummel und Oberbuchhalter Petit-Pierre wollen mir einreden, es sei meiner Berichte wegen über die Ostschweiz und über das Tirol, aber die liest doch kein Mensch.»
«Lieber Herr Agesilaos«, sagte Herr Petit-Paysan feierlich —
«Archilochos.»
«Lieber Herr Archilochos, Sie waren Buchhalter oder Oberbuchhalter — ich werde aus dem Unterschied, wie gesagt, nicht klug — und sind nun Direktor; das scheint Sie zu verwirren. Sehen Sie, mein lieber Freund, Sie müssen all diese für Sie merkwürdigen Vorgänge in weltweiten Zusammenhängen sehen, als einen Teil der mannigfaltigen Tätigkeit, die meine liebe Maschinenfabrik ausübt, fabriziert sie doch — wie ich heute zum ersten Mal zu meiner Freude höre — sogar ja auch Geburtszangen. Hoffentlich rentiert diese Fabrikation auch etwas.»
Archilochos strahlte.
Allein im Kanton Appenzell Innerrhoden habe man in den letzten drei Jahren zweiundsechzig Stück abgesetzt, berichtete er.
«Hm, etwas wenig. Doch sei es. Wird sich eben mehr um eine humane Abteilung handeln. Es tut nur gut, daß wir zu den Dingen, die die Menschheit aus der Welt schaffen, auch Dinge fabrizieren, die sie hineinbringen. Ein gewisses Gleichgewicht muß eben bestehen, auch wenn nicht alles rentiert. Da wollen wir denn dankbar sein.»
Petit-Paysan machte eine Pause und sah dankbar aus.
«Hölderlin nennt den Kaufmann, den Industriellen somit, in seinem Gedicht Archipelagos >fernhinsinnend<«, fuhr er endlich fort, etwas seufzend.»Ein Wort, das mich erschüttert. So ein Betrieb ist ungeheuer, mein lieber Herr Aristipp, die Zahl der Arbeiter und Angestellten, der Buchhalter und der Sekretärinnen ist unmäßig, nicht mehr zu überblicken, kenne ich ja kaum die Direktoren und nur etwas flüchtig die Generaldirektoren, der Kurzsichtige geht in diesem Dschungel irre, nur wer fernsichtig nicht die Einzelheiten und Einzelschicksale, sondern das Ganze im Auge behält, das Fernziel nicht verliert, fernhinsinnend ist, wie eben der Dichter sagt — Sie kennen doch seine Werke —, nur wer immer aufs neue zu planen, immer neue Unternehmen aufzuziehen versteht, in Indien, in der Türkei, in den Anden, in Kanada, geht nicht unter in den Sümpfen der Konkurrenz und der Trusts. Fernhinsinnend: Bin eben dabei, mich mit dem Gummi- und Schmieröltrust zu verbinden. Das wird das Geschäft.»
Petit-Paysan machte eine neue Pause und sah fernhinsinnend aus.
«So plane, so arbeite ich«, sagte er dann,»webe ein wenig mit am sausenden Webstuhl der Zeit. Wenn auch bescheiden nur. Was ist die Petit-Paysan-Maschinenfabrik neben dem Stahl-Trust oder den Allzeit-Freuden-Hütten, den Pestalozziwerken oder der Hösler-La Biche! Nichts! Aber wie steht es nun mit meinen Arbeitern und Angestellten? Mit all den Einzelschicksalen, die ich übersehen muß, das Ganze im Auge zu behalten? Diese Frage beschäftigt mich oft. Sind sie glücklich? Es geht um die Freiheit der Welt; sind meine Arbeiter frei? Ich habe soziale Unternehmungen eingerichtet, Mütter-, Väter-Erholungsheime, Sporthallen, Schwimmbäder, Kantinen, Gesundheitspillen, Theaterbesuche, Konzerte. Aber bleibt nicht die Welt, die ich beschäftige, im Materiellen stecken, im schmutzigen Geld? Eine Frage, die mich bis zur Peinlichkeit berührt. Ein Direktor bricht zusammen, nur weil ein anderer an seine Stelle kommt. Das ist doch ekelhaft. Wie kann man das Geld so wichtig nehmen. Nur der Geist zählt, lieber Herr Artaxerxes, es gibt nichts Verächtlicheres, Unwichtigeres als das Geld.»
Petit-Paysan machte eine weitere Pause und sah besorgt aus.
Archilochos wagte kaum, sich zu rühren.
Doch nun straffte sich die Gestalt des Großindustriellen, seine Stimme klang mächtig und kalt.
«Sie fragen, warum ich Sie zum Direktor ernannt habe. Es sei, ich will Ihnen die Antwort geben: Um die Freiheit nicht nur zu predigen, sondern auch durchzuführen. Ich kenne meine Angestellten nicht, begreife sie nicht, sie scheinen sich doch wohl nicht völlig zum rein geistigen Verstehen der Dinge durchgerungen zu haben, Diogenes, Albert Schweitzer, Franziskus scheinen nicht ihre Ideale zu sein im Gegensatz zu mir. Sie wollen die Meditation, das dienende Helfen, die Beglückung der Armut für das Blendwerk des sozialen Flitters hingeben. Nun gut, man gebe der Welt, was sie will. Diese Regel des Laotse habe ich stets beachtet. Darum gerade habe ich Sie zum Direktor ernannt. Damit auch in diesem Punkt Gerechtigkeit herrsche. Wer von der Pike auf dient, wer die Sorgen und Nöte der Angestellten von Grund auf kennt, soll auch Direktor sein. Ich plane das Gesamtunternehmen, doch wer mit den Buch- und Oberbuchhaltern, mit den Sekretären und den Sekretärinnen, mit den Ausläufern und Putzfrauen des Verwaltungsapparats in Berührung kommt, soll auch aus ihrer Reihe stammen. Direktor Zeus und Direktor Jehudi stammen nicht aus ihren Reihen, ich habe sie der inzwischen ruinierten Konkurrenz einst abgekauft als fix und fertige Direktoren. Laß fahren dahin. Es ist Zeit, daß wir unsere westliche Welt radikal verwirklichen. Die Politiker haben versagt. Versagt nun auch die Großindustrie, geht alles zu Grunde, lieber Herr Agamemnon. Nur schöpferisch ist der Mensch ganz Mensch, Ihre Ernennung stellt einen schöpferischen Akt dar, eine Tat des schöpferischen Sozialismus, den wir dem unschöpferischen Kommunismus entgegenstellen müssen. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Von nun an sind Sie Direktor, Generaldirektor. Doch zuerst nehmen Sie Ferien (fuhr er lächelnd fort), der für Sie bereitgestellte Scheck liegt an der Kasse. Richten Sie sich ein. Sah Sie neulich mit einer entzückenden Frau —»
«Meine Braut, Herr Petit-Paysan.»