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Acht Tage später
Betreff: Wieder da!
Hallo Emmi, ich bin wieder zurück. Ich war in Amsterdam. Marlene hat mich begleitet. Wir hatten wieder einen Anlauf genommen. Es war ein kurzer Anlauf. Nach zwei Tagen lag ich mit einer Lungenentzündung im Bett. Es war beschämend für mich, sie hat fünf Tage lang Fiebermesser geschüttelt und mich dabei bitter-gütig angelächelt, wie eine Krankenschwester im 30. Dienstjahr, die ihren Job hasst, aber ihre Patienten dafür nicht verantwortlich zu machen versucht. Amsterdam war das Gegenteil von dem, was ich mir darunter vorgestellt hatte, kein Neubeginn, sondern ein Alt-Ende, eines, worin wir in den Jahren ja schon große Routine gesammelt haben. Wir sind diesmal sehr respektvoll auseinander gegangen. Sie hat gesagt, wenn ich etwas brauche, ist sie jederzeit für mich da. Sie hat gemeint - irgendwas aus der Apotheke. Und ich habe gesagt: Wenn du dir wieder einmal einbildest, nicht ohne mich leben zu können, und ich mir noch immer sicher bin, nicht ohne dich leben zu können, dann fliegen wir einfach ein paar Tage nach Amsterdam - und beweisen uns das Gegenteil.
Ich habe Marlene übrigens von uns erzählt. Sie hat darauf reagiert, als wäre dieser Zustand kritischer als meine Lungenentzündung. Ich habe gesagt: Es gibt da eine Frau aus dem Internet, die mich sehr beschäftigt. Sie: Wie alt ist sie? Und wie sieht sie aus? Ich: Keine Ahnung. Zwischen dreißig und vierzig. Entweder blond, dunkel oder rot. Jedenfalls ist sie glücklich verheiratet. Sie: Du bist krank!
Diese Frau, sage ich zu ihr, gibt mir die Möglichkeit, an wen anderen zu denken als an dich, Marlene, und trotzdem Ähnliches zu fühlen. Sie wühlt mich auf, regt mich auf, ich könnte sie manchmal auf den Mond schießen, aber genauso gerne hole ich sie mir von dort wieder herunter. Ich brauche sie nämlich hier auf der Erde. Sie kann zuhören. Sie ist klug. Sie ist witzig. Und, was das Wichtigste ist: Sie ist für mich da. »Wenn es gut für dich ist, ihr zu schreiben, dann schreibe ihr«, hat mir Marlene mit auf den Weg ins Bett gegeben. »Und nimm die Tabletten!«, hat sie ergänzt.
Emmi, ich bin ratlos. Wie komme ich von dieser Frau weg? Sie ist eine Kühlbox, aber mir wird heiß, wenn ich sie angreife. Wenn ich neben ihr durch Amsterdam gehe, hole ich mir eine Lungenentzündung. Aber wenn sie mir in der Nacht ihre Hand auf die Stirn legt, beginne ich zu glühen.
So, Emmi, Teil zwei: Ich bin also wieder zurück. Ich denke nicht daran, meine Zelte unter Ihrer Hirnrinde freiwillig abzubrechen. Ich möchte, dass wir uns weiter schreiben. Und ich möchte, dass wir uns auch persönlich kennen lernen. Wir haben alle der Vernunftbegabung des Menschen entsprechenden, logischen, nahe liegenden, richtigen Zeitpunkte dafür bereits versäumt. Wir haben die simpelsten Spielregeln des Miteinanders negiert. Wir sind alte innige Freunde, gegenseitige Alltagsstützen, ja manchmal sind wir sogar ein Liebespaar. Und bei alldem fehlt uns der natürliche Anfang der Begegnung. Wir werden ihn nachholen, ganz bestimmt! Wie wir das anstellen, ohne etwas von dem, was uns beide ausmacht, zu verlieren, weiß ich noch nicht. Wissen Sie's?
So, Emmi, Teil drei: Ich habe meine E-Mail bewusst mit Marlene begonnen. Ich wünsche mir nämlich, dass wir uns mehr aus unserem Leben erzählen. Ich will nicht mehr so tun, als gäbe es nur uns zwei. Ich will wissen, wie Sie Ihre Ehe meistern, wie Sie mit den Kindern zurechtkommen und all diese Dinge. Es wäre schön, wenn Sie mir auch Ihre Sorgen mitteilen. Es tröstet mich zu wissen, dass nicht nur ich welche habe. Es tut mir gut, darauf einzugehen. Es ehrt mich, in Ihr engstes Vertrauen gezogen zu werden. So, Emmi, Teil vier: Hassen Sie mich bitte nie wieder präventiv! Ich ertrage das nicht. Ich habe meine Mitarbeit an der Studie über den Einfluss der E-Mail auf unser Sprachverhalten und ihre Bedeutung als Transportmittel von Gefühlen Anfang März aufgekündigt. Als offiziellen Grund habe ich Zeitmangel angegeben. Tatsächlich ist mir dieses Thema zu »privat« geworden, um mich damit wissenschaftlich beschäftigen zu wollen. Alles klar, Emmi? Schönen Tag, Ihr Leo. (PS: Einerseits war meine »Abwesenheitsnotiz« die gerechte Strafe für Ihre aggressive Misstrauensnote. Anderseits haben Sie mir Leid getan. Sie haben mir eine wahnsinnig schöne, offene, aufrichtige und ausführliche Mitteilung geschrieben. Danke für jedes Wort! Jetzt haben Sie wieder ein paar Frechheiten gut.)
45 Minuten später
RE:
Sie haben Ihre Studie wegen uns beiden aufgegeben? - Leo, das ist schön, dafür liebe ich Sie! (Zum Glück ahnen Sie nicht, in welcher Weise ich Ihnen das gerade gesagt habe.) Ich muss jetzt mit Jonas zum Zahnarzt. Leider steht er noch nicht unter Vollnarkose. Das nur auf Ihre Frage, wie ich mit den Kindern zurechtkomme. Bis später, Emmi.
Sechs Stunden später
RE:
So, Leo. Ich sitze in meinem Zimmer, Bernhard arbeitet noch, Fiona nächtigt bei einer Freundin, Jonas schläft (mit zwei Zähnen weniger), Wurlitzer frisst Hundefutter (kommt billiger und Wurlitzer ist es egal, Hauptsache viel). Streifenhörnchen haben wir bekanntlich keines, das würde dem Kater vermutlich auch ganz gut schmecken. Die Möbel starren mich vorwurfsvoll an. Sie wittern Verrat. Sie drohen mir: Wehe, du verrätst, wie teuer wir waren, welche Farbe wir haben und welches Design! Das Piano sagt: Wehe, du erzählst ihm, dass Bernhard dein Klavierlehrer war! Und wie ihr euch das erste Mal geküsst habt und wie ihr auf mir gesessen seid und euch geliebt habt. Das Bücherregal fragt: Wer ist überhaupt dieser Leo? Was tut er hier? Warum verbringst du so viele Stunden mit ihm? Warum greifst du so selten auf mich zurück? Warum bist du so nachdenklich geworden? Der CD- Player sagt: Vielleicht kommt es noch so weit, und du wirst nicht mehr Rachmaninow spielen - du weißt, du und Bernhard, euch verbindet nicht zuletzt die Musik -, sondern du wirst dir anhören, was dieser Leo gerne hört, vielleicht die Sugar Babes! Einzig das Weinregal hält dagegen: Also ich habe nichts gegen diesen Leo, wir drei harmonieren gut miteinander. Das Bett aber gebärdet sich bedrohlich: Emmi, wenn du hier liegst, dann träume nicht von anderswo. Lass dich hier nie mit diesem Leo erwischen! Ich warne dich!
Leo, ich kann es nicht. Ich kann Ihnen diese Welt nicht mitteilen. Sie können niemals ein Teil davon werden. Sie ist zu kompakt. Sie ist eine Festung. Kann nicht erobert werden, duldet keine Eindringlinge, hält geschlossen dagegen. Leo, wir beide müssen »draußen« bleiben, das ist unsere einzige Chance, sonst verliere ich Sie. Sie wollen wissen, wie ich meine Ehe »meistere«? - Mit Bravour, Leo, ehrlich! Und Bernhard auch. Er verehrt mich. Ich achte und schätze ihn. Wir gehen respektvoll miteinander um. Er würde mich nie betrügen. Ich könnte ihn nie im Stich lassen. Wir wollen einander nie verletzen. Wir haben miteinander aufgebaut. Wir zählen aufeinander. Wir haben die Musik, das Theater. Wir haben viele gemeinsame Freunde. Fiona, die 16-Jährige, ist wie eine jüngere Schwester zu mir. Und für Jonas bin ich tatsächlich noch so etwas wie eine kleine Mama geworden. Er war drei, als seine Mutter starb.
Leo, zwingen Sie mich nicht, mein Familienalbum aufzublättern. Machen wir es bitte so: Ich erzähle von »daheim«, wenn mir echt danach ist, wenn wirklich einmal der Schuh drückt, wenn ich die Meinung von einem ganz, ganz engen Freund einholen will. Sie aber können mir jederzeit aus Ihrem Privatleben berichten, bis in die brisantesten Details. (Nur nichts Erotisches, das erlaube ich Ihnen nicht!)
So, und jetzt gehe ich ins Bett - und werde endlich wieder einmal gut schlafen. Leo, so schön, dass Sie wieder da sind!! Leo, ich brauche Sie! Ich muss mich auch außerhalb meiner Welt bewegen und spüren können. Leo, Sie sind meine Außenwelt! Und morgen reden wir über Marlene, dafür benötige ich einen klaren Kopf. Gute Nacht, mein Lieber! Gutenachtkuss!
Am nächsten Tag
Betreff: Marlene
Guten Morgen, Leo. Wenn es weder miteinander noch ohne einander geht, gibt es nur eine Möglichkeit: stattdessen! Leo, Sie brauchen eine andere. Sie müssen sich wieder verlieben. Erst dann wissen Sie, was Ihnen die ganze Zeit gefehlt hat. Nähe ist nicht die Unterbrechung von Distanz, sondern ihre Überwindung. Spannung ist nicht der Mangel an Vollkommenem, sondern das stete Zusteuern darauf und das wiederholte Festhalten daran. Leo, es hilft nichts, wir brauchen eine Frau für Sie! Sicher, es ist naiv zu sagen: Vergessen Sie Marlene! Aber tun Sie's trotzdem, und zwar wirklich. Folgender Vorschlag: Denken Sie statt an Marlene bewusst immer an mich! Sie dürfen sich alles mit mir vorstellen, was Sie mit Marlene gerne machen würden. (Meine Möbel schauen mich schon wieder einigermaßen an.) Ich meine, das ist nur ein Übergangsstadium, bis wir eine Frau für Sie gefunden haben. Was wollen Sie für eine? Wie soll sie aussehen? Los, sagen Sie's doch endlich! Vielleicht habe ich tatsächlich wen für Sie. Im Ernst: Eine Frau, die über uns sagt: »Wenn es gut für dich ist, ihr zu schreiben, dann schreibe ihr«, die ist kilometerweit von dem entfernt, was ich unter Liebe verstehe. Marlene liebt Leo nicht. Leo liebt Marlene nicht. Beide Nicht-Liebenden schöpfen aus der Sehnsucht nach der Liebe des anderen ihre Leidenschaft. So, klüger kann ich's nicht. Ich muss jetzt arbeiten. Bis bald. Emmi, die virtuelle Alternative.
Vier Stunden später
AW:
Liebe Emmi von der Außenwelt, ich genieße Ihre EMails. Ich bin wirklich dankbar dafür. Richten Sie Ihren Möbeln aus, dass ich ihre Haltung bewundere und ihren Teamgeist schätze. Ich werde kein Eindringling im Hause Rothner sein, die Emmi okkupiere ich nur auf dem Bildschirm! Besonderes Kompliment an den Weinschrank: Vielleicht legen wir drei wieder einmal ein Mitternachts-Happening ein. (Ich verspreche, nicht wieder so ergiebig vorzutrinken.) Besonders entzückend finde ich, dass Sie mit dem Gedanken spielen, mich zu verkuppeln. Welche Frauen mir gefallen? Frauen, die so aussehen, wie Sie schreiben, Emmi. Und Frauen, bei denen ich die Chance wittere, auch einmal Innenwelt zu sein, nicht nur Außenwelt. Kurzum Frauen, die nicht unbedingt bereits »glücklich verheiratet« sind, in eine Familienfestung eingebunden sind und von den Möbeln ihrer Wohnungen bewacht werden. Bis mir so eine über den Weg läuft, komme ich gerne auf Ihr Angebot zurück, bewusst an Sie zu denken, bevor ich an Marlene denke. - Wird mir nicht immer gelingen, aber wenn Sie mich weiter so mit E-Mails verwöhnen, werde ich mich dem Ziel sukzessive annähern.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Ich treffe heute noch meine Schwester Adrienne. Sie wird sich für mich freuen, dass ich mich von Marlene wieder einmal erfolgreich getrennt habe. Und sie wird sich freuen, dass ich mit Ihnen noch in Kontakt bin. Sie kennt nur ein paar Zeilen aus Ihren Texten, meine Worte über Sie - und drei Emmi-Kandidatinnen. Sie mag Sie, egal, welche der drei Sie sind. Sie sieht das so wir ihr Bruder.
Am nächsten Tag
Betreff: Mia!
Hallo Leo, in der Nacht habe ich sie gefunden. Natürlich: Mia! Das ist sie! Leo und Mia - wie das schon klingt! Hören Sie zu, Leo: Mia ist 34, bildhübsch, Sportpädagogin, lange Beine, super Figur, kein Gramm Fett zu viel, dunkler Teint, schwarze Haare. Einziger Nachteil: Vegetarierin, aber man muss immer nur sagen, »das ist Tofu«, dann isst sie auch Fleisch. Sie ist sehr belesen, hochintelligent, unternehmungslustig, fröhlich, immer gut drauf. Kurzum, eine Traumfrau. Und: Sie ist Single! Soll ich Sie beide bekannt machen?
Eineinhalb Stunden später
AW:
Emmi, Emmi, Emmi! Über solche langbeinigen »Mias« weiß, ich Bescheid. Praktisch jede Woche stellt mir meine kleine Schwester eine neue vor. Ich kenne Modekataloge voll mit 0,0 Prozent fetten Models a la »Mia«, eine schöner und langbeiniger als die andere. Und alle sind sie Singles. Und wissen Sie warum, liebe Emmi? - Weil sie es gerne sind! Und weil sie es noch eine Weile bleiben wollen.
Außerdem: Ich will Sie ja nicht bremsen in Ihrer Euphorie, liebe Außenwelt-Emmi. Aber mir ist derzeit eigentlich gar nicht danach, eine Traum-Mia kennen zu lernen. Ich bin sehr zufrieden so, wie ich lebe. Trotzdem danke für Ihre Bemühungen!
Übrigens: Liebe Grüße von meiner Schwester. Sie sagt, dass ich nur ja nicht den Fehler machen darf, Sie zu treffen. Sie sagt wörtlich: »Ein Treffen wäre das Ende eurer Beziehung. Und diese Beziehung tut dir wahnsinnig gut!« Schönen Tag, Leo.
Zwei Stunden später
RE:
Okay, Leo, unser Treffen kann warten, an diesen Gedanken habe ich mich schon gewöhnt. - Sie machen noch einen geduldigen Menschen aus mir! Freut mich ganz besonders, wie Ihre Schwester über uns denkt. Aber warum ist sie so sicher, dass eine Begegnung unsere »Beziehung« beenden würde? Meint sie: beendet von Ihnen oder von mir?
Und noch etwas, Leo: Sie haben in Ihrer gestrigen Abend-E-Mail wieder einmal meinen Zustand »glücklich verheiratet« erwähnt. Warum haben Sie »glücklich verheiratet« unter Anführungszeichen gesetzt? Das erweckt den Anschein, als wollten Sie etwas Phrasenhaftes daraus machen, mit so einer leicht spöttischen Note. Wissen Sie, was ich meine?
Aber nun zu Mia, da haben Sie mich komplett falsch verstanden. Das ist nicht so eine plakative Schönheit aus dem Modemagazin. Mia ist eine echte Klassefrau. Und Sie ist absolut ungewollt in ein Single-Dasein geschlittert. Ein typischer Fall von Beziehungsfehlsteuerung in jungen Jahren. Man lernt mit neunzehn einen Mann kennen, außen ein Adonis, ein Testosteron- Paket, ein richtig praller Sex-Koffer. Innen: hohl, vor allem in der Gehirngegend. Zwei aufwühlende Jahre des Wartens und Hoffens vergehen, bis er endlich den Mund aufmacht. Dann ist der Zauber vorbei. Dann ist man 21 - und lernt natürlich sofort wieder so eine schön verpackte Schachtel kennen. Und man denkt: Diesmal muss aber mehr drinnen sein. Wieder nicht, nächster Versuch. Daraus entwickelt sich ein klassisches Frauenschicksal: Sie glaubt, den immer gleichen Typen zu brauchen, um den »Irrtum vom ersten Mal« zu korrigieren. Jeder weitere Irrtum bindet sie aber noch mehr an diesen Typen.
Bei Mia hat einer wie der andere ausgesehen, und keiner hat den Fehler seines Vorgängers ausgemerzt. Im Gegenteil: Jeder hat eindrucksvoll bestätigt, dass sein Vorgänger der gleiche Hohlkörper war wie er. Seit zwei Jahren ist sie der Männer müde, antriebsschwach, was neue Begegnungen betrifft. Sie geht keinen Schritt mehr auf jemanden zu. Zu mir hat sie unlängst gesagt: Wenn du wen Netten kennen lernst, kannst du ihn mir ruhig vorstellen. Aber ich will dabei absolut keine Arbeit haben. Es muss alles von selbst laufen. Wenn es nicht von selbst läuft, dann läuft nichts mehr. - Das ist Mia. Leo, ich sage Ihnen, Sie werden begeistert von ihr sein.
Eineinhalb Stunden später
AW:
Liebe Emmi, zuerst einmal zu Ihren Eröffnungsfragen:
1.) Meine Schwester hat nicht präzisiert, wer von uns beiden unsere »Beziehung« (darf ich Beziehung unter Anführungszeichen setzen?) nach einem physischen Treffen zuerst beenden würde. Sie meint wohl eher die Unvereinbarkeit des geschriebenen Dialogs mit dem gelebten als solche, die bald zu einem Ende des Ganzen führen würde. 2.) Was Ihnen alles auffällt! Die Anführungszeichen bei »glücklich verheiratet« habe ich aber gar nicht bewusst gesetzt. Vielleicht macht das das Schreibprogramm automatisch. Nein, im Ernst: Der Ausdruck kommt von Ihnen - und ich zitiere ihn, denn »glücklich verheiratet« scheint mir stets eine subjektive Wahrnehmung zu sein. Ich bezweifle zum Beispiel, dass ich unter »glücklich verheiratet« das Gleiche verstehe wie Sie oder Ihr Mann. Ist auch gar nicht so wichtig, oder? Spöttisch soll es keinesfalls gewesen sein, und ich werde die Anführungszeichen künftighin weglassen, okay?
Und nun zu Ihrer Freundin Mia: Wenn Sie sie wieder einmal treffen, können Sie ihr gerne erzählen, dass Sie einen Mann kennen, der nur eine einzige Frau benötigt (hat), um den »Irrtum vom ersten Mal« NICHT UND NICHT zu korrigieren. Ein Mann, der ebenso müde und antriebsschwach geworden ist, was neue Begegnungen betrifft. Einen, der ebenfalls keinen Schritt mehr auf eine Frau zugeht, der keine Arbeit haben will, bei dem alles von selbst laufen muss, und wenn es nicht von selbst läuft, dann läuft gar nichts. Sagen Sie ihr: Das ist Leo, Mia! Aber sagen Sie nicht: »Du wirst begeistert von ihm sein.« Denn Begeisterung würde voraussetzen, dass man einander wenigstens einmal in die Augen schaut. Aber das wäre momentan vermutlich zu viel »Beziehungsarbeit« für Mia und Leo.
(Außerdem beleidigt es mich ein bisschen, wie schnell Sie mich an Ihre erstbeste Freundin vergeben, Emmi. Ich vermisse Ihre Eifersucht!)
40 Minuten später
RE:
Ach Leo, Eifersucht hin, Eifersucht her, ich kann Sie ja doch nicht mehr »besitzen« als hier in der Mailbox. Außerdem: Wenn Sie einer meiner besten Freundinnen »gehören«, gehören Sie auch ein bisschen mir. (Glauben Sie wirklich, ich verkupple Sie ohne eigennützigen Hintergedanken?) Im Übrigen habe ich Mia schon öfters von Ihnen erzählt. Wollen Sie wissen, wie sie über Sie denkt? (Ich traue Ihnen ja glatt zu, dass Sie jetzt sagen: Nein, will ich nicht wissen. Aber ich verrate es Ihnen trotzdem.) Sie hat gesagt, siehst du, Emmi, genauso einen Mann hätte ich gerne, einen, der lieber eine E-Mail von mir haben will als Sex. Sex wollen alle Männer. Klasse hat einer, der nicht das eine, sondern das andere von mir will: Post!
Fünf Minuten später
AW:
Emmi, Sie sind schon wieder beim Sex!
Drei Minuten später
RE:
Danke, ist mir aufgefallen. Ich bin eben wieder in die Männerwelt eingetaucht.
Acht Minuten später
AW:
Fast scheint's, Sie tauchen deshalb so gerne dort ein, um ungehemmt über Sex schreiben zu können.
Sechs Minuten später
RE:
Lieber Leo, tun Sie nicht so scheinheilig! Erinnern Sie sich an Ihre weindurchtränkte E-Mail mit der Augenbinde und Ihren postalkoholischen Begierdeanfall am Tag danach? Sie sind nicht der über Triebhaftes erhabene, libidofreie Bergprediger, den Sie manchmal so gerne hervorkehren! Also, soll ich ein Treffen zwischen Ihnen und Mia arrangieren?
Drei Minuten später
AW:
Das ist aber kein ernst gemeintes Angebot!
Eine Minute später
RE:
Selbstverständlich ist das ernst gemeint! Ich bin überzeugt davon, dass weder Sie noch Mia »arbeiten« müssen, um einander sofort zu mögen. Vertrauen Sie auf meine Menschenkenntnis.
Sieben Minuten später
AW:
Ich lehne dankend ab. Ich halte das für ein bisschen pervers, statt Emmi Ihre Freundin kennen zu lernen. Gute Nacht! (Immer noch) IHR Leo.
Acht Minuten später
RE:
Mich wollen Sie ja nicht persönlich kennen lernen! Ebenfalls gute Nacht (ebenfalls immer noch und immer wieder), IHRE Emmi, in gewisser Weise.
50 Sekunden später
RE:
Ach, eines noch: Auf Ihre Ausführungen zum Thema »glücklich verheiratet« unter Anführungszeichen komme ich noch zu sprechen!! Fassen Sie das ruhig als Drohung auf. Schlafen Sie gut, mein Lieber. Emmi.
Am nächsten Abend
Betreff: ???
Krieg ich heute keine E-Mail von Leo? Ist er sauer? Wegen Mia? Gute Nacht, Emmi.
Am nächsten Morgen
Betreff: Mia
Guten Morgen, Emmi, ich habe es mir überlegt. Ich komme auf Ihr Angebot zurück. Wenn Sie das einfädeln und Ihre Freundin Mia wirklich will, dann treffe ich sie! Lieber Gruß, Leo.
15 Minuten später
RE:
Leeeeoooo? Verarschen Sie mich?
30 Minuten später
AW:
Nein, überhaupt nicht. Ich meine das ganz im Ernst. Ich treffe Mia gerne auf einen Kaffee. Seien Sie nur so nett, liebe Emmi, und übernehmen Sie die Koordination. Samstag oder Sonntag am Nachmittag ginge bei mir gut. Ein Kaffeehaus im Zentrum wäre mir recht. Entweder wieder das Messecafé Huber oder das Europa oder Café Paris, ganz egal.
40 Minuten später
RE:
Leo, Sie sind mir unheimlich. Woher dieser plötzliche Stimmungsumschwung? Machen Sie sich wirklich nicht lustig über mich? Soll ich Mia tatsächlich fragen? Sie dürfen dann aber keinen Rückzieher mehr machen! Mia ist keine Frau, mit der man spielt
Drei Stunden später
AW:
Und ich bin kein Mann, der mit einer Frau spielt, die er nicht kennt: zumindest nicht solche Spiele. Ich habe einfach umgedacht: Wenn einem eine Frau schon so wärmstens ans Herz gelegt wird, warum soll man sie dann nicht treffen? Gegen eine unverbindliche Stunde Plauderei ist nichts einzuwenden. Ja, je mehr ich darüber nachdenke, desto netter finde ich Ihr Arrangement, Emmi. Schönen Abend, Leo.
Zehn Minuten später
RE:
Ich denke mir jetzt meinen Teil dazu, Leo! Ich werde mit Mia telefonieren und gebe Ihnen dann Bescheid.
Eineinhalb Minuten später
AW:
Welchen Ihren Teil denken Sie sich wozu?
20 Minuten später
RE:
Lieber Leo, ich habe den Verdacht, dass Sie sicher sind, dass ich diejenige bin, die jetzt einen Rückzieher macht. Weil Sie nämlich glauben, dass ich nie die Absicht hatte, Sie mit einer - noch dazu attraktiven - Freundin bekannt zu machen. Sie meinen, »Mia« sollte nur den Zweck haben, mich bei Ihnen interessant zu machen, stimmt's? Lieber Leo, Sie irren! Ich rufe Mia jetzt an, und wenn Sie Ja sagt, dann müssen Sie sie aber wirklich treffen, sonst bin ich stinksauer auf Sie! Alles Liebe einstweilen, Emmi.
18 Minuten später
AW:
Mia wird aber nicht Ja sagen. Denn Mia wird nicht verstehen, warum sie einen fremden Mann treffen soll, der ein Freund ihrer Freundin ist, ein Freund allerdings, den die Freundin selbst noch nie getroffen hat. Mia wird sich zu Recht fragen, warum ausgerechnet sie diesen Mann treffen soll. Mia wird sich wie ein Versuchskaninchen vorkommen. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Gute Nacht, grüßen Sie mir das Weinregal! Wenn wir den »Fall Mia« abgeschlossen haben, können wir ja wieder einmal ein Glas auf uns trinken, Emmi, wie wäre das?
Am nächsten Tag
Betreff: Mia
Hallo Leo, wie geht es Ihnen? Wahnsinnig heiß heute. Ich weiß schon nicht mehr, was ich ausziehen soll. Tragen Sie eigentlich manchmal kurze Hosen und Sandalen? Eher T-Shirt oder Polo-Shirt oder faltenfrei gebügeltes Hemd? Wie viele oberste Knöpfe offen? Jeans oder Bundfaltenhose oder - schluck - Bermudas? Wie hell muss es sein, damit Sie Sonnenbrillen aufsetzen? Haben Sie Haare auf den Unterarmen? Und auf der Brust? - Okay, ich höre schon auf damit. Was ich Ihnen eigentlich sagen wollte: Ich habe mit Mia telefoniert. Sie würde Sie prinzipiell ganz gerne auf einen Kaffee untertags treffen. »Warum nicht«, hat sie gesagt. Aber Sie müssten sie anrufen. (Was Sie natürlich nicht tun werden.) Mia glaubt nämlich, dass Sie sie gar nicht kennen lernen wollen, dass das eher eine Soloaktion ihrer um Verkupplung bemühten Freundin Emmi ist. Außerdem will sie wissen, wie Sie aussehen. Ich habe gesagt: Hässlich ist er nicht, glaube ich. Aber ich habe eigentlich nur seine Schwester gesehen ... Tja, ein bisschen mühsam, das Ganze. Wird wohl nichts! Kommen Sie gut über die Brennpunkte des heißen Tages hinweg! Ihre Emmi.
Zweieinhalb Stunden später
AW:
Liebe Emmi, auf Ihre Fragen: Ja, es geht mir ganz gut. Wahnsinnig heiß, in der Tat! Wenn Sie mir schreiben: »Ich weiß schon nicht mehr, was ich ausziehen soll«, dann heißt das, Sie wollen, dass ich mir vorstelle, wie das aussieht, wenn Emmi schon nicht mehr weiß, was sie ausziehen soll. Gewonnen, Emmi: Ich stelle es mir vor!
Kurze Hosen trage ich nur am Strand. (Hier gibt es aber gerade keinen, oder?) Sandalen: an sich nie, aber wenn Sie wollen, lege ich mir welche zu - für unser erstes Treffen. Ob T-Shirt oder Hemd? - Beides, oft auch übereinander. Offene Knöpfe? - Witterungsbedingt. Derzeit habe ich alle Knöpfe offen, es kann mich allerdings niemand dabei beobachten. Hosen? Eher Jeans als Bundfaltenhosen. Bermudas? - Spätestens bei unserem ersten Treffen, Emmi, sofern es in einem Sommer (der nächsten Jahre) stattfindet! Sonnenbrillen? - In der Sonne. Haare? - Kopf, Kinn, Schläfe, Arme, Beine, Brust ... Da kommt schon einiges zusammen.
Ach ja, was Mia betrifft: die Telefonnummer bitte! Schöne heiße Stunden, Ihr Leo.
45 Sekunden später
RE:
Was? Sie wollen Mia tatsächlich anrufen? Sie glauben noch immer, dass ich bluffe, oder? Also bitte: 0773/8636271. Mia Lechberger. Zufrieden?
Eineinhalb Stunden später
AW:
Danke, Emmi. Dass ein Ende-Mai-Tag so schweißtreibend sein kann ... Ich fliege jetzt zu einem zweitägigen Kongress nach Budapest. Ich melde mich, sobald ich zurück bin. Haben Sie eine angenehme Zeit, Emmi. Alles Liebe, Leo.
Zwei Tage später
Kein Betreff
Hallo Leo, sind Sie schon zurück? Raten Sie einmal, mit wem ich heute früh telefoniert habe. Und raten Sie einmal, was sie mir berichtet hat. »Dein E-Mail-Freund hat mich angerufen. Ich war so überrascht, dass ich gleich wieder auflegen wollte. Aber er war so nett! So ein höflicher, freundlicher, ein bisschen schüchterner, charmanter ... Blablabla, säusel, säusel ...« -»Und so eine angenehme Stimme! Und so eine schöne Aussprache! ...« Leo, Leo, Sie haben anscheinend alle Register gezogen. Ich muss gestehen: Ich hätte Ihnen niemals zugetraut, dass Sie Mia tatsächlich anrufen. Ich wünsche euch viel Spaß bei eurem Treffen morgen! - Mia hat übrigens gefragt, ob ich nicht mitkommen will. Ich habe geantwortet: Das ist IHM aber ganz bestimmt nicht Recht. Ich bin für ihn eher so eine Fantasiegestalt, eine Frau mit drei Gesichtern, die er alle nicht kennt, da will er sich nicht auf eines davon festlegen müssen. - Stimmt doch, oder? Lieber Gruß, Emmi.
Drei Stunden später
AW:
Hallo Emmi, ich bin zwar schon zurück - aber leider noch sehr im Stress. Ihre Freundin Mia klingt wirklich sehr sympathisch am Telefon. Ich melde mich, Leo. (PS: Sie müssen nicht persönlich erscheinen, Emmi. Mia wird Ihnen ohnehin alle Details unserer Begegnung brühwarm erzählen, nehme ich an.)
Zwölf Minuten später
RE:
Leo, Sie kommen mir in letzter Zeit so spitzbübisch vor. Ich weiß gar nicht recht, was ich davon halten soll. Na dann, gutes Gelingen! Emmi. Man sieht sich! (Im nächsten Leben.)