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9

Eine Woche später weiß ich noch immer nicht, was ich mit Elinor machen soll. Ehrlich gesagt hatte ich so viel zu tun, dass ich ihr kaum einen Gedanken widmen konnte. Wir wurden geradezu überrannt von Kundinnen, die unseren vertraulichen Kaufservice nutzen wollten! Es ist unglaublich! Die Fernsehnachrichten mögen trostlose Bilder von menschenleeren Einkaufsstraßen zeigen ... aber die sollten mal in unsere Abteilung kommen -die brummt nämlich!

Und ich habe noch mehr um die Ohren als sonst, denn heute fangt unsere neue Nanny an.

Sie heißt Kyla und ist ganz fabelhaft. Sie hat ihren Abschluss in Harvard gemacht und einen Magister in Pädagogik, und sie ist ausgebildete Lehrerin für Mandarin und Tennis und Flöte und Gitarre und Gesang und ... noch irgendwas, das ich vergessen habe. Harfe vielleicht. Ursprünglich kam sie mit einer amerikanischen Familie nach Großbritannien, aber die ist wieder nach Boston zurück, und Kyla wollte lieber bleiben, weil sie nach Feierabend ihre Dissertation an der Goldsmiths University schreibt und hier drüben Familie hat. Daher möchte sie nicht mehr als drei Tage die Woche arbeiten, was uns nur recht ist.

Und sie hat echte Pferdezähne.

Die sind riesig. Fast wie ein Elch.

Nicht, dass ihr Äußeres von Belang wäre. Warum sollte es? Ich habe keine Vorurteile. Ich bin ja schließlich kein Mensch, der auf Oberflächlichkeiten achtet. Ich hätte sie auch engagiert, wenn sie ein megastrahlendes Supermodel-Lächeln gehabt hätte.

Aber trotzdem. Ihre Zähne haben mich irgendwie für sie eingenommen. Außerdem sind ihre Haare nicht mal im Entferntesten seidig.

Was im Übrigen beim Vorstellungsgespräch keine Rolle spielte. Als ich Kylas seidiges Haar schrieb, meinte ich damit was total anderes, und Luke hätte mich damit keineswegs aufziehen müssen. Kylas Haare sind mir nur so nebenbei aufgefallen, aus Interesse, und sie trägt einen ausgesprochen tristen Bubikopf mit ein paar grauen Strähnen.

Im Grunde ist sie also perfekt!

»Julie Andrews müsste bald hier sein, oder? »Mum kommt in die Küche, wo Minnie mit Knetgummi spielt und ich etwas lustlos bei eBay herumstöbere. Sie sieht die Website und holt tief Luft. »Bist du am Shoppen, Becky?« 

»Nein!« , sage ich empört.

Dass ich bei eBay bin, muss doch nicht zwingend heißen, dass ich irgendwas kaufe, oder? Selbstverständlich brauche ich keine Türkisen Lacklederschuhe von ehloe, einmal getragen, nur Paypal. Ich halte mich auf dem Laufenden, was es da so gibt. Wie man sich eben über den Lauf der Welt informiert.

»Ich hoffe, du hast Minnies Lederhosen griffbereit?«, fügt Mum hinzu. »Und deine Hundepfeife?« 

»Ha ha«, sage ich höflich.

Mum ist nach wie vor reichlich kratzbürstig, was unsere Nanny angeht. Sie war richtig eingeschnappt, als Luke und ich sie nicht bei den Vorstellungsgesprächen dabeihaben wollten. Kopfschüttelnd schlich sie draußen vor der Tür herum und musterte jede Kandidatin abschätzig von oben bis unten. Und als sie dann Kylas Lebenslauf las, mit all dem Zeug über ihre Gitarre und das Singen, war der Fall für sie klar. Sie taufte Kyla auf den Namen »Julie Andrews«, weil sie sie an besagte Schauspielerin in The Sound of Music erinnerte, und lässt seitdem kleine, ach so lustige Bemerkungen fallen. Sogar Janice macht mit und nennt Luke inzwischen »Baron von Trapp«, was echt nervig ist, weil für mich dann nur entweder die tote Ehefrau oder die Baronin übrig bleibt.

»Falls sie Kleider aus Gardinen nähen will, könntest du ihr dann sagen, sie soll die aus dem blauen Zimmer nehmen?«, fügt Mum hinzu.

Ich werde einfach so tun, als hätte ich sie nicht gehört. Und außerdem klingelt mein Telefon. Lukes Nummer steht auf dem Display. Wahrscheinlich will er wissen, wie es läuft.

»Hi«, sage ich, als ich rangehe. »Sie ist noch nicht da.« 

»Gut.« Er klingt knisterig, als wäre er im Auto. »Ich wollte dir nur etwas sagen, bevor sie kommt. Becky, du musst ihr gegenüber ehrlich sein.«

Was soll das denn heißen?

»Ich bin immer ehrlich!«, sage ich leicht indigniert.

»Diese Nanny muss über das Ausmaß des Problems Bescheid wissen«, fährt er fort, als hätte ich nichts gesagt. »Wir haben sie aus einem bestimmten Grund eingestellt. Es hat keinen Sinn, so zu tun, als wäre Minnie eine Heilige. Wir müssen ihr sagen, was los war, welche Probleme wir hatten ... « 

»Okay, Luke!«, sage ich etwas verärgert. »Du musst mir keinen Vortrag halten. Ich werde ihr alles erzählen.« 

Nur weil ich bei dem Vorstellungsgespräch nicht übertrieben gesprächig war, was Minnie anging. Ich meine, was sollte ich denn machen? Über meine eigene Tochter herziehen? Also habe ich ein bisschen geflunkert und gesagt, Minnie hätte in ihrer Krabbelgruppe sechs Wochen in Folge den Preis für vorbildliches Benehmen bekommen. Und Luke meinte, es würde den ganzen Sinn und Zweck der Übung zunichtemachen, und daraufhin hatten wir eine leicht ... erhitzte Diskussion.

»Wie dem auch sei, sie kommt gerade«, sage ich, als es an der Tür klingelt. »Ich muss auflegen. Bis später.«

Als ich die Tür aufmache, steht Kyla da, mit einer Gitarre in der Hand, und ich muss mir ein Lachen verkneifen. Sie sieht tatsächlich aus wie Julie Andrews, nur in Jeans. Ich frage mich, ob sie die Straße heraufgetanzt ist und Have Confidence In Me gesungen hat.

»Hi, Mrs. Brandon.« Schon bleckt sie die Pferdezähne zu einem freundlichen Lächeln. « »Bitte, nennen Sie mich Becky!« Ich lasse sie herein. »Minnie ist schon ganz gespannt auf Sie! Sie spielt gerade mit Knetgummi«, füge ich ein wenig selbstgefällig hinzu, als ich sie in die Küche führe. »Ich lasse sie ihren Tag gern mit etwas Kreativem beginnen.«

»Wunderbar!« Kyla nickt begeistert. »Ich habe viel mit Knetgummi gearbeitet, als Eloise, mein ehemaliger Schützling, noch ganz klein war. Sie hatte ein echtes Talent dafür. Eine ihrer Kreationen wurde sogar bei einem lokalen Kunstwettbewerb ausgezeichnet.« Sie lächelt bei der Erinnerung. ,)Wir waren alle so stolz.«

»Großartig!« Ich lächle zurück. »Nun, da wären wir ... « Schwungvoll öffne ich die Tür.

Mist. Minnie spielt nicht mehr mit ihrer Knete. Sie lässt die Klumpen Klumpen sein und hämmert fröhlich auf mein Notebook ein.

»Minnie! Was machst du da?« Ich stoße ein schrilles Lachen aus. »Das gehört Mami!«

Ich nehme ihr das Notebook weg -und als mein Blick auf den Bildschirm fällt, gerinnt das Blut in meinen Adern. Sie will gerade 2.673.333.333 für die Chloe-Schuhe bieten.

»Minnie!« Ich reiße ihr das Notebook weg.

»Meeeiiin!«, schreit Minnie wütend. »Meeeeiiin Schuhe!« 

»Macht Minnie so etwas wie Computergrafik?«, Freundlich lächelnd kommt Kyla zu mir herüber, und ich drehe das Notebook eilig weg.

»Sie hat nur gerade mit ... Zahlen gespielt», sage ich etwas schrill. »Möchten Sie vielleicht einen Kaffee? Minnie, kennst du Kyla noch?«

Minnie würdigt Kyla nur eines herablassenden Blickes und fängt an, die Knetgummitöpfe aneinanderzuschlagen.

»Ich werde von jetzt an eigenes Knetgummi herstellen, wenn es Ihnen recht ist, Mrs. Brandon«, sagt Kyla. »Ich bevorzuge Bio-Mehl.« 

Wow. Bio-Mehl, selbstgemachtes Knetgummi. Dafür hat man eine Ultimate Nanny. Ich kann es kaum erwarten, bei der Arbeit mit ihr anzugeben.

»Und was glauben Sie, wann Sie mit dem Mandarin-Unterricht anfangen könnten?“, frage ich, weil Luke mich danach fragen wird.

Luke ist richtig scharf darauf, dass Minnie Mandarin lernt. Dauernd erklärt er mir, wie nützlich es im späteren Leben sein wird. Und ich finde es auch echt cool, nur dass ich gleichzeitig auch ein etwas ungutes Gefühl habe. Was ist, wenn Minnie fließend Mandarin spricht und ich sie nicht verstehe? Muss ich es dann auch lernen? Dauernd stelle ich mir vor, wie die pubertierende Minnie mich auf Mandarin beschimpft, während ich dastehe und panisch im Wörterbuch herumblättere.

»Es hängt von ihrer Begabung ab«, antwortet Kyla. »Bei Eloise habe ich mit achtzehn Monaten angefangen, aber sie war auch ein außergewöhnliches Kind. Besonders intelligent und aufgeschlossen. Und so folgsam.“

»Das klingt ja toll“, sage ich höflich.

»Oh, Eloise ist ein wundervolles Kind.«  Kyla nickt begeistert. »Sie skyped mich immer noch jeden Tag aus Boston an, um Integralrechnung und Mandarin zu üben. Vor ihrem Leichtathletiktraining. Mittlerweile treibt sie nebenher noch Sport.« 

Okay, ich habe jetzt schon bald genug von Eloise. Integralrechnung, Mandarin und Leichtathletik? Das ist doch die reine Angeberei.

»Nun, Minnie ist auch sehr intelligent und aufgeschlossen. Tatsächlich ... hat sie erst neulich ihr erstes Gedicht geschrieben«, kann ich mir nicht verkneifen.

»Sie hat ein Gedicht geschrieben?“ Zum ersten Mal klingt Kyla beeindruckt. Ha! Nimm das, Eloise! »Sie kann schon schreiben?« 

»Sie hat es mir aufgesagt, und ich habe es für sie niedergeschrieben«, erkläre ich nach einer kurzen Pause. »Es war ein Gedicht in mündlicher Tradition.«

»Sag mir dein Gedicht auf, Minnie!«, ruft Kyla Minnie fröhlich zu. »Wie ging es denn?“ Minnie starrt sie finster an und stopft sich Knete in die Nase.

»Vermutlich erinnert sie sich gar nicht mehr«, sage ich eilig. »Aber es war ganz schlicht und hübsch. Es ging ... « Ich räuspere mich, um die Wirkung zu verstärken. »Warum müssen Regentropfen fallen?«

»Wow.« Kyla ist überwältigt. »Das ist wunderschön. Es hat so viele Ebenen.«

»Ich weiß.« Ich nicke ernst. »Wir wollen es auf unsere Weihnachtskarten drucken lassen.«

»Gute Idee!«, sagt Kyla. »Wissen Sie, Eloise hat so viele wundervolle Weihnachtskarten gebastelt, dass sie für wohltätige Zwecke verkauft wurden. Dafür hat sie den Preis für Praktizierte Nächstenliebe an ihrer Schule gewonnen. Kennen Sie St. Cuthbert's in Chelsea?«

St. Cuthbert's in Chelsea ist die Schule, auf die auch Ernie geht. Gott im Himmel, kein Wunder, dass er sich mies fühlt, wenn es da nur Eloisen gibt.

»Fantastisch! Gibt es irgendetwas, was Eloise nicht kann?« Meine Stimme wird leicht schneidend, aber ich bin nicht sicher, ob Kyla es merkt.

»Also, ich denke, heute verbringen Minnie und ich nur ein wenig Zeit zusammen, lernen uns kennen ... « Kyla gibt Minnie einen kleinen Stups unters Kinn. »Offensichtlich ist sie hochintelligent, aber gibt es sonst noch etwas, was ich über sie wissen sollte? Irgendwelche Eigenheiten? Kleine Problemchen?«

Einen Moment lang lächle ich starr zurück. Ich weiß, was Luke gesagt hat. Aber nie im Leben werde ich sagen: »Um ehrlich zu sein, hat sie bei vier Weihnachtsmännern Hausverbot, und alle halten sie für einen Wildfang, und deshalb will mein Mann kein zweites Kind.«  Nicht, nachdem ich alles über die Heilige Eloise erfahren habe.

Und außerdem, wieso sollte ich sie im Voraus beeinflussen? Falls sie als Nanny irgendetwas wert sein sollte, wird sie Minnies kleine Marotten schnell erkennen und selbst lösen. Ich meine, das ist doch ihr Job, oder?

»Nein«, sage ich schließlich. »Keine Probleme. Minnie ist ein wunderbares, liebevolles Kind, und wir sind sehr stolz auf sie.« 

»Großartig « Kyla bleckt ihre Pferdezähne zu einem breiten Lächeln. »Und isst sie alles? Gemüse? Erbsen, Möhren, Broccoli? Eloise hat mir immer so gern dabei geholfen, Risotto mit Gemüse aus dem Garten zu bereiten.« 

Daran habe ich nie gezweifelt. Ich gehe davon aus, dass sie außerdem einen gottverdammten Michelin-Stern hat. »Absolut« antworte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. »Minnie liebt Gemüse. Stimmt es nicht, Schätzchen?«

Minnie hat in ihrem ganzen Leben noch keine Möhre gegessen. Als ich einmal versucht habe, welche im Shepherd's Pie zu verstecken, hat sie den Shepherd's Pie davon abgelutscht und eine Möhre nach der anderen durchs Zimmer gespuckt.

Aber das werde ich vor Miss Perfect nicht zugeben. Wenn sie so eine tolle Nanny ist, kann sie Minnie ja wohl auch dazu bringen, Möhren zu essen, oder?

»Also, vielleicht sollten Sie sich eine Weile zurückziehen, während Minnie und ich uns kennenlernen!«, Strahlend wendet sich Kyla Minnie zu. »Willst du mir dein Knetgummi zeigen?« 

»Okay!«, sage ich. »Bis später.«

Ich verziehe mich mit meiner Tasse Kaffee aus der Küche und stoße beinah mit Mum zusammen, die sich auf dem Flur herumtreibt.

»Mum!«, rufe ich aus. »Spionierst du uns etwa aus«, »Kennt sie schon die Liedzeilen von >Edelweiss<?«, sagt sie verschnupft. »Oder sind wir immer noch bei >Alle meine Entchen<? Arme, alte Mum. Ich sollte wirklich versuchen, sie ein wenig aufzuheitern.

»Hör mal, wieso gehen wir zwei nicht shoppen?<" schlage ich spontan vor. »Kyla möchte Minnie kennenlernen, und Dad ist zu Hause. Für den Fall, dass sie irgendwelche Probleme bekommt ...<'

»Ich kann nicht shoppen gehen!«, erwidert Mum zickig. »Weißt du nicht mehr? Wir sind verarmt. Ich musste bereits alle unsere Bestellungen bei Ocado absagen. Dein Vater hat darauf bestanden. Keine exquisiten Quiches mehr, keinen Räucherlachs ... Alles ist streng rationiert.« Mums Stimme bebt. »Wenn ich überhaupt irgendwo hingehe, dann in den Pound Shop!«

Plötzlich habe ich Mitleid mit ihr. Es überrascht mich nicht, dass Mum in letzter Zeit so unglücklich ist.

»Na, dann gehen wir eben in den Pound Shop!« Ich versuche, sie irgendwie bei Laune zu halten. »Komm schon, das wird lustig!«

Bis ich meinen Mantel angezogen habe, hat Mum mit Janice telefoniert, die uns zum Pound Shop begleiten möchte. Und als wir vor die Tür treten, muss ich feststellen, dass Jess bei ihr steht und wartet, in einer uralten Skijacke und Jeans.

»Hi, Jess!«, sage ich, als wir losgehen. »Wie geht's?«

Ich habe Jess seit Ewigkeiten nicht gesehen. Sie und Tom wollten letzte Woche nach Cumbria, und ich wusste gar nicht, dass sie schon wieder zurück sind.

»Ich dreh bald durch«, sagt sie mit brodelndem Unterton. »Ich halt's nicht aus. Hast du schon mal versucht, bei Janice und Martin zu wohnen?«

»Äh ... nein.« Ich kann mir kaum vorstellen, dass Janice und Jess allzu gut miteinander auskommen. »Was ist passiert?«

»Zuerst hat sie uns ständig bedrängt, dass wir noch mal Hochzeit feiern sollen. Nachdem sie das jetzt aufgesteckt hat, sollen wir ein Baby kriegen.«

»Schon?« Ich möchte lachen. »Aber ihr seid doch erst fünf Minuten verheiratet!«

»Genau! Aber Janice hört nicht auf, Anspielungen zu machen. Jeden Abend sitzt sie da und strickt irgendwas Gelbes, Flauschiges, will aber nicht sagen, was es wird.«

»Tja. Da sind wir ...« Mum unterbricht unser Gespräch, als wir zur Hauptstraße kommen. Rechts von uns gibt es einen Pound Shop und gegenüber einen 99p-Shop. Einen Moment lang betrachten wir beide schweigend und zweifelnd. »In welchen wollen wir gehen?«, meint Janice schließlich. »Der 99p-Shop ist natürlich etwas billiger ... « Ihr Satz verrinnt.

Mums Blick schweift immer wieder über die Straße zum Emma Jane Gift Shop, dieser zauberhaften Boutique mit Kaschmir-Strickwaren und handgemachter Keramik, in dem wir beide gern stöbern. Ich sehe sogar ein paar von Mums Bridge Freundinnen da drinnen, die uns zuwinken. Doch dann reißt sich Mum zusammen, als zöge sie in eine Schlacht, und sie wendet sich dem Pound Shop zu.

»Ich habe gewisse Ansprüche, Janice«, sagt sie mit stiller Würde, wie ein General, der verkündet, dass er sich zum Essen umzieht, obwohl überall um ihn herum die Bomben fallen. »Ich glaube nicht, dass wir jetzt schon in den 99p-Shop müssen.«

»Okay«, flüstert Janice etwas fahrig.

»Ich schäme mich nicht, hier gesehen zu werden«, fügt Mum hinzu. »Wofür sollte ich mich schämen? Das ist unser neuer Lebensstil, und wir werden uns alle einfach daran gewöhnen müssen. Wenn dein Vater sagt, wir müssen uns von Rübenmarmelade ernähren, dann soll es so sein.«

»Mum, er hat nicht gesagt, dass wir uns von Rübenmarmelade ... «, will ich sagen, aber Mum stolziert bereits hinein, mit hoch erhobenem Kopf. Jess und ich werfen uns einen Blick zu und folgen ihr.

Wow. Der Laden ist größer, als ich dachte. Und es gibt so viel Zeug! Mum hat sich schon einen Korb genommen und stellt mit eckigen, widerwilligen Bewegungen irgendwelche Dosen mit zweifelhaft aussehendem Fleisch hinein.

»Dein Vater wird einfach seine Geschmacksknospen auf seine Brieftasche einstellen müssen!«, sagt sie und stellt klappernd die nächste Dose in den Korb. »Vielleicht können wir uns so etwas wie Nährwert einfach nicht mehr leisten! Vielleicht sind Vitamine nur noch etwas für die Superreichen!«

»Oh, Cognacbohnen!«, sage ich, als ich welche entdecke. »Kauf welche davon, Mum! Und Toblerone!«

Hey. Da drüben ist ein Regal mit Wattebäuschchen. Es wäre doch verrückt, sich keinen Vorrat davon anzulegen. Ich meine, es wäre ökonomisch unsinnig. Und da gibt es Make-up-Applikatoren und sogar Wimpernformer! Für nur ein Pfund! Ich schnappe mir einen Korb und fange an, ihn vollzupacken.

»Jane!« Ich höre eine atemlose Stimme und sehe Janice, die einen Stapel von Schachteln mit der Aufschrift »Solar-Gartenlichter« an sich presst. »Hast du die hier gesehen? Die können doch unmöglich nur ein Pfund kosten! «

»Ich glaube, hier kostet alles nur ein Pfund ...«, will ich sagen, doch sie tippt bereits einer Verkäuferin an die Schulter.

»Verzeihung«, sagt sie höflich. »Wie viel kostet das?«

Die Verkäuferin wirft ihr einen abgrundtief verächtlichen Blick zu. »Pund.« »Und das da?« Sie deutet auf einen Gartenschlauch. »Pund. Kostet alles Pund. Ist Pundshop, oder?«  »Aber ... aber ... « Janice scheint vor lauter Aufregung die Luft auszugehen. »Das ist ja unglaublich! Sind Sie sich darüber im Klaren, was die bei John Lewis kosten würden?«

Ich höre ein Stöhnen aus dem Nachbargang und sehe, dass Mum einen Stapel Plastikdosen schwenkt. Sie hat ihre Märtyrermiene abgelegt, und ihre Augen leuchten. »Janice! Tupperware!«

Gerade will ich ihnen folgen, als mir ein Regal mit glitzernden Schlangenhautgürteln auffällt. Es ist unglaublich. Ich meine, jeder Gürtel nur ein Pfund! Es wäre kriminell, nicht zuzuschlagen. Und da gibt es einen ganzen Haufen Hair-Extensions und Perücken ... mein Gott, dieser Laden ist das Größte! Wieso war ich noch nie hier?

Ich lege fünf Gürtel und eine Auswahl von Perücken in meinen Korb und werfe diverses Make-up von »berühmten Marken« dazu (obwohl ich von keiner dieser Marken je etwas gehört habe), dann wandere ich weiter und finde mich vor einem Regal wieder, auf dem steht: »Partyservice Retouren -gekauft wie gesehen.“

Wow. Sieh sich das mal einer an! Da gibt es massenweise Platzkarten und Tischkonfetti und so Zeug. Perfekt für eine Party.

Schweigend stehe ich eine Weile davor. In meinem Kopf dreht sich alles. Natürlich kann ich die Sachen für Lukes Party nicht in einem Pound Shop kaufen. Es wäre echt schäbig und geizig von mir.

Aber alles kostet nur ein Pfund. Und das Zeug ist von einem echten Partyservice. Und hätte er was dagegen?

Sagen wir es mal so: Je weniger ich für Platzkarten und Tischfeuerwerk ausgebe ... desto mehr kann ich für Champagner ausgeben. Und alles kostet nur ein Pfund. Ein Pfund!

Oh, Gott, ich kann es nicht lassen. Die Gelegenheit ist einfach zu gut. Hastig staple ich Pakete mit Platzkarten, Knallfröschen, Tischkonfetti und Serviettenhaltern in meinen Korb. Ich werde niemandem erzählen, dass ich alles aus dem Pound Shop habe. Ich werde sagen, ich habe es von einer Spezialfirma für Abendunterhaltung.

»Brauchst du noch einen Korb?“ Plötzlich taucht Jess neben mir auf.

« Oh, danke.« Ich nehme ihn und lege noch ein paar Tischleuchter zum Aufklappen aus Pappe dazu, die ich eben entdeckt habe. Die sehen etwas schmuddelig aus, aber in gedimmtem Licht wird das niemand merken.

»Ist das für Lukes Party?“ Nickend deutet sie auf meinen Korb.« Wie laufen denn die Vorbereitungen?«  Mist, verdammter. Ich kann nicht zulassen, dass Jess allen erzählt, woher ich die Deko habe.

»Nein!“, sage ich eilig.« Natürlich ist das Zeug nicht für Luke! Ich brauche nur ... ich suche Inspiration. Willst du nichts kaufen?“, füge ich hinzu, als ich merke, dass sie gar keinen Korb hat. »Willst du dir keinen Vorrat an wattierten Umschlägen oder so was anlegen?“

Ich hätte gedacht, dass dieser Laden genau nach Jess' Geschmack ist. Dauernd hält sie mir Vorträge, dass ich zu viel Geld ausgebe und wieso ich nicht Großpackungen kaufe und mich von Kartoffelschalen ernähre.

»Nein, ich kaufe nichts mehr«, sagt Jess trocken.

Habe ich mich verhört?

»Was soll das heißen? Du kaufst nichts mehr?«, sage ich, während ich meinen Korb belade.« Du musst was kaufen. Jeder muss was kaufen.« 

»Ich nicht.« Sie schüttelt den Kopf. »Seit wir in Chile leben, haben Tom und ich beschlossen, Null-Konsumenten zu werden, oder zumindest so weit wie möglich. Stattdessen tauschen wir.« 

»Ihr tauscht?« Ich drehe mich um und starre sie an. »Wie, gegen Perlen und so?« 

Jess schnaubt vor Lachen. »Nein, Becky. Alles. Essen, Kleidung, Heizung. Wenn ich etwas nicht eintauschen kann, will ich es nicht.

»Aber ... mit wem?«, sage ich ungläubig. »Heutzutage treibt doch niemand mehr Tauschhandel. Das ist doch wie im Mittelalter.« 

»Du wärst überrascht. Da draußen gibt es viele Menschen, die ähnlich denken. Es gibt Netzwerke, Websites ... « Sie zuckt mit den Schultern. »Letzte Woche habe ich sechs Stunden Gartenarbeit gegen einen British-Rail-Gutschein getauscht. Damit bin ich bis rauf nach Scully gekommen. Hat mich keinen Penny gekostet.« 

Ich starre sie an, baff. Wenn ich ehrlich sein soll, war ich ein kleines bisschen vor den Kopf gestoßen. Hier sind wir im Pound Shop und haben alle das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Und dann muss Jess alle übertrumpfen, indem sie überhaupt nicht shoppen geht, nie mehr. Das ist mal wieder typisch. Als Nächstes erfindet sie wahrscheinlich eine Art Anti-Shopping. Wie Anti-Materie oder Anti-Schwerkraft.

»Also ... könnte ich auch tauschen?« sage ich, als mir plötzlich ein Gedanke kommt.

»Selbstverständlich«, sagt Jess. »Das solltest du sogar tun. Du kannst absolut alles bekommen. Kleider, Lebensmittel, Spielzeug ... Ich schick dir die Links zu den Websites, die ich am meisten nutze.«

»Danke!«

Ja! Ich höre auf, meinen Korb vollzustapeln. Das ist die Lösung! Ich tausche alles, was ich für Lukes Party brauche. Das wird ganz einfach. Und diese stinkvornehmen Millionärsparty-Macher können mir gestohlen bleiben. Wer braucht die schon, wenn man einen Pound Shop und eine Tausch-Website hat?

Ooh. Stadllars-Leuchtketten, zwei für ein Pfund! Und Yoda Schnapsgläser!

Nachdenklich halte ich inne. Vielleicht könnte es eine Star-Wars-Party werden. Ich meine, ich bin mir nicht ganz sicher, ob Luke eigentlich auf Star-Wars steht ... aber schließlich könnte ich ihn dafür begeistern, oder? Ich könnte die DVDs ausleihen und vorschlagen, dass wir einem Fanclub beitreten, und dann müsste er doch bis zum 7. April eigentlich total begeistert sein, oder?

Aber dann sind da außerdem noch ein paar echt hübsche Diskokugel-Girlanden. Und nachgemachte Zinnteller, auf denen »King Arthur's Court« steht, mit den dazu passenden Kelchen. Oh, Gott, jetzt bin ich total hin und her gerissen.

Vielleicht sollte es eine 70ies-Disco-Star-Wars-King-Arthur-Party werden?

»So was könntest du auch auf einer der Tausch-Websites kriegen«, sagt Jess, als sie abschätzig beobachtet, wie ich eine Diskokugel-Girlande in die Hand nehme. »Oder noch besser: Mach die Deko selbst, aus recycelten Materialien. Das ist erheblich umweltfreundlicher. «

»Ich weiß«, sage ich geduldig. »Ich soll trostlose Girlanden aus Zeitungspapier basteln.«

»Ich rede nicht von Girlanden aus Zeitungspapier!« Sie sieht gekränkt aus. »Es gibt haufenweise kreative Deko-Ideen im Internet. Man kann gebrauchte Alufolie nehmen, dekorative Plastikflaschen ... « 

Alufolie? Plastikflaschen? Bin ich sechs Jahre alt, oder was?

»Guck mal, Jess!« Janices helle Stimme unterbricht uns, und ich sehe sie um die Ecke kommen, mit einem kleinen Päckchen in der Hand. »Ich habe ein paar Vitamine gefunden! Folsäure! Das soll gut sein für euch junge Frauen, oder?«

Jess sieht mich an.

»Nur wenn sie schwanger werden wollen«, sagt Jess eisig.

»Nun denn, ich werfe es einfach trotzdem in mein Körbchen.« Janices lockerer Ton täuscht niemanden.« Und sieh dir das hier an! Ein Buch mit Babynamen! Tausend Namen für nur ein Pfund! Mädchen und Jungen.«

»Ichfasse es nicht«, knurrt Jess und schlingt die Arme trotzig um sich. »Wozu brauchst du ein Buch mit Babynamen, Janice?«, frage ich. »Nun!« Janices Wangen werden noch rosiger, und ihr Blick wandert von mir zu Jess. »Man weiß ja nie ... «

»Ich weiß es aber!«, platzt es plötzlich aus Jess heraus. »Hör zu, Janice. Ich bin nicht schwanger. Und ich werde auch nicht schwanger werden. Tom und ich haben beschlossen, dass wir, wenn wir denn eine Familie gründen wollen, ein unterprivilegiertes Kind aus Südamerika adoptieren. Und es wird kein Baby sein, und es wird einen südamerikanischen Namen haben. Du kannst deine dämliche Folsäure und dein Buch mit den Babynamen also gern für dich behalten!«

Sie stakst davon, zur Tür hinaus, und lässt Janice und mich absolut sprachlos zurück.

Ein südamerikanisches Kind! Das ist so cool.

»Hat sie eben gesagt, dass sie ein Kind adoptieren wollen?«, sagt Janice schließlich mit bebender Stimme.

»Ich finde, das ist eine tolle Idee!«, sage ich energisch. »Hey, Mum!«, rufe ich. Mum packt gerade einen Korb mit Strohblumen voll. »Jess will ein Kind aus Südamerika adoptieren!«

« Ooh!« Mums Augen leuchten auf.« Wie schön!«

»Und was wird mit meinen ganzen Stricksachen?« Janice sieht aus, als müsste sie jeden Moment in Tränen ausbrechen .

Ich habe eine komplette Babyausstattung gemacht! Gelb und weiß, passend für beide Geschlechter, und kleine Weihnachtskostüme bis zum sechsten Lebensjahr!« Okay, Janice ist offiziell geistesgestört . Tja, es hat dich aber niemand darum gebeten, oder?«, sage ich. »Vielleicht könntest du sie der Wohlfahrt spenden.«

Mir scheint, langsam verwandle ich mich in Jess. Ich habe sogar diese Schärfe in der Stimme. Aber, mal ehrlich! Wieso um alles in der Welt hat Janice schon Babykleidung gestrickt, bevor Jess und Tom auch nur verlobt waren?

»Ich muss mit Tom sprechen.« Es scheint, als hätte Janice einen plötzlichen Entschluss gefasst.« Er macht bei diesem dummen Plan nur mit, um es Jess recht zu machen. Bestimmt möchte er ein eigenes Kind, da bin ich mir ganz sicher. Bestimmt will er unsere Gene weitergeben. Weißt du, Martins Familie reicht bis zu Cromwell zurück. Er hat einen Stammbaum anlegen lassen.«

»Janice», setze ich an .« An deiner Stelle würde ich mich lieber nicht einmischen ... « »Guck mal!« Plötzlich fallt ihr Blick auf das Regal direkt vor ihrer Nase. »Gartenhandschuhe! Gepolstert. Für ein Pfund!«

Auf dem Heimweg von unserem kleinen Ausflug sind alle guter Dinge. Wir mussten uns für den Rückweg ein Taxi nehmen, weil wir zu viele Tüten zu tragen hatten -aber wir haben so viel Geld gespart, da müsste ein Taxi wohl drin sein, oder?

Janice hat nichts mehr über Babys oder Gene gesagt, holt jedoch allerlei Zeug aus ihren Taschen und führt es uns vor.

»Ein komplettes Dentalset mit Spiegel! Für ein Pfund!« Sie sieht sich im Taxi um, weil sie sichergehen möchte, dass wir alle ebenso sprachlos sind wie sie. »Ein Mini-Billardtisch! Für ein Pfund!«

Mum scheint den gesamten Vorrat an Tupperware aufgekauft zu haben, massenweise Küchenutensilien und große Schmortöpfe, mehrere Flaschen L'Oreal-Shampoo mit polnischer Aufschrift, ein paar Plastikblumen, eine große Schachtel mit Geburtstagskarten und einen echt coolen Mopp mit pink gestreiftem Stiel, den Minnie bestimmt toll findet.

Und ganz am Ende habe ich einen ganzen Schwung Holzbügel entdeckt. Drei für ein Pfund, was echt geschenkt ist. Überall sonst kosten die Dinger mindestens zwei Pfund das Stück. Also habe ich hundert gekauft.

Mit der Hilfe des Taxifahrers wanken wir ins Haus und stellen unsere Tüten in der Diele ab.

»Puh!«, sagt Mum. »Ich bin erschöpft nach all der harten Arbeit! Möchtest du ein Tässchen Tee, Liebes? Und eine von diesen Cognacbohnen ... ?« Sie fängt an, in einer der Pound-Shop Tüten herumzuwühlen, als Dad aus seinem Arbeitszimmer kommt. Einen Moment starrt er uns nur an, mit offenem Mund.

Vermutlich sehen siebzehn Einkaufstüten doch nach ziemlich viel aus. Vor allem, wenn sie unerwartet kommen.

»Was ist das?«, sagt er schließlich. »Was ist das alles?«

»Wir waren im Pound Shop«, sage ich fröhlich. »Es hat sich echt gelohnt!« »Jane ... « Dad blickt ungläubig von Tüte zu Tüte. »Wir wollten Geld sparen, falls du dich erinnerst.«

Mit roten Wangen blickt Mum von einer Tüte voller Lebensmittel auf. »Ich habe Geld gespart. Hast du nicht gehört? Wir waren im Pound Shop!«

»Habt ihr denn den ganzen Laden gekauft?« Dad betrachtet den Berg von Plastiktüten. »Habt ihr was übrig gelassen?« Oh-oh. Mum holt tief Luft, als wollte sie sagen: »Noch nie in meinem Leben bin ich so beleidigt worden!« 

» Wenn du es genau wissen willst, Graham, habe ich uns Shepherd's Pie in Dosen und Kekse aus dem Sonderangebot gekauft, da wir uns ja Ocado nicht mehr leisten können!« Sie schwenkt die Cognacbohnen vor seiner Nase. »Weißt du, wie viel die hier kosten? Fünf Päckchen für ein Pfund! Nennst du das etwa Geldverschwendung?«

»Jane, ich habe nie gesagt, dass wir uns Ocado nicht leisten können«, gibt Dad gereizt zurück. »Ich habe nur gesagt ... «

»Aber nächstes Mal gehe ich zum 99p-Shop, okay?« Ihre Stimme wird immer schriller. »Oder zum 10p-Shop! Wärst du dann zufrieden, Graham? Oder vielleicht möchtest du ja die Einkäufe erledigen. Vielleicht möchtest du ja mit dem knappen Haushaltsgeld jonglieren, um diese Familie zu ernähren und einzukleiden. «

»Zu ernähren und einzukleiden?«, erwidert Dad höhnisch. »Und wie willst du damit jemanden ernähren und kleiden?« Er greift sich den pink gestreiften Mopp.

»Jetzt können wir uns also nicht mal mehr Putzmittelleisten, ja?« Mum ist puterrot vor Zorn. »Jetzt können wir es uns schon nicht mehr leisten, den Boden zu wischen?«

»Wir könnten ihn mit dem Schrank voll Mopps wischen, die wir bereits haben!«, bricht es aus Dad hervor.« Wenn ich noch einmal ein nutzloses Putzgerät in diesem Haus sehe ..«

Oookay. Ich glaube, ich sollte mich mal still und leise aus dem Staub machen, bevor ich da mit reingezogen werde und beide sagen: »Becky ist ganz meiner Meinung, stimmt's nicht, Becky?« 

Außerdem kann ich es kaum erwarten, mir anzusehen, wie Kyla und Minnie miteinander auskommen.

Seit vollen zwei Stunden sind sie nun zusammen. Bestimmt hat Kyla schon einen positiven Einfluss auf Minnie genommen. Vielleicht hat sie schon mit Mandarin oder Französisch angefangen. Oder mit Stickereien!

Auf Zehenspitzen schleiche ich zur Küchentür, in der Hoffnung, Minnie ein Madrigal singen oder perfekt Un, deux, trois sagen zu hören, oder vielleicht rechnet sie mal kurz den Satz des Pythagoras durch. Stattdessen aber höre ich nur, wie Kyla sagt: »Minnie, komm! Jetzt komm schon!«

Sie klingt etwas erschöpft, was seltsam ist. Ich hatte gedacht, sie gehört zu diesen Broccoli-Saft-Leuten mit unerschöpflicher Energie.

»Hi!«, rufe ich und stoße die Tür auf. »Da bin ich wieder!« 

Ach, du Schande. Was ist denn hier los? Kyla sprüht gar nicht mehr vor Energie. Ihre Haare sind zerzaust, ihre Wangen gerötet, und sie hat Kartoffelbrei auf ihrem T-Shirt. Minnie dagegen sitzt auf ihrem Kinderstuhl, mit einem Teller vor sich, und sieht aus, als amüsiere sie sich königlich.

»Nun!«,  sage ich fröhlich. »Hattet ihr einen schönen Morgen?«

»Super!« Kyla lächelt, aber es ist so ein aufgesetztes Lächeln, das nicht bis zu den Augen dringt. In Wahrheit sagen ihre Augen: »Ich will hier weg, und zwar sofort!« 

Ich denke, ich werde sie einfach ignorieren. Ich tue so, als spräche ich die Sprache der Augen nicht. Und auch nicht die der geballten Fäuste hinterm Stuhl.

»Und haben Sie schon mit dem Sprachunterricht angefangen?«, sage ich ermutigend.

»Noch nicht.« Wieder lässt Kyla ihre Zähne blitzen. »Ehrlich gesagt, würde ich mich gern mal kurz mit Ihnen unterhalten, wenn es Ihnen recht ist.«

Am liebsten würde ich sagen: »Nein, leg endlich los mit Mandarin!«, die Tür hinter mir zuknallen und wegrennen. Aber es würde nicht gerade dafür sprechen, dass ich eine verantwortungsvolle Mutter bin, oder?

»Natürlich!« Mit gewinnendem Lächeln wende ich mich ihr zu. »Was ist denn los?«

»Mrs. Brandon.« Kyla spricht leiser, als sie näher kommt. »Minnie ist ein süßes, charmantes, intelligentes Kind. Aber wir hatten heute ein paar ... Probleme.« 

»Probleme?«, wiederhole ich unschuldig, nach einer winzig kleinen Pause. »Was für Probleme denn?«, »Es gab heute ein paar Momente, in denen Minnie ein wenig starrsinnig war. Ist das normal bei ihr?«

Ich kratze mich an der Nase, um Zeit zu schinden. Wenn ich zugebe, dass Minnie der starrsinnigste Mensch ist, dem ich je begegnet bin, ist Kyla aus dem Schneider. Sie soll Minnies Starrsinn heilen. Wieso hat sie es eigentlich noch nicht getan?

Und außerdem weiß jeder, dass man Kinder nicht abstempeln darf. Davon kriegen sie Komplexe.

»Starrsinnig?« Ich lege meine Stirn in Falten, als wäre ich erstaunt. »Nein, das sieht Minnie gar nicht ähnlich. Mir gegenüber ist sie nie starrsinnig«, füge ich dann noch hinzu. »Sie ist ein kleiner Engel, stimmt's nicht, Schätzchen?« Ich strahle Minnie an.

»Verstehe.« Kylas Wangen sind gerötet, und sie scheint mir ein wenig unter Druck zu stehen. »Nun, ich denke, es ist vielleicht noch etwas zu früh, um etwas sagen zu können, nicht wahr, Minnie? Die andere Sache ... « Sie flüstert. »Sie will keine Möhren essen. Bestimmt will sie mich nur ärgern. Sie sagten doch, sie isst Möhren, oder?«

»Absolut«, sage ich nach einer ultrakurzen Pause. »Immer. Mach schon, Minnie! Iss deine Möhren!« 

Ich gehe zum Kinderstuhl hinüber und sehe mir Minnies Essen an. Hühnchen und Kartoffeln sind fast weg, aber da liegt noch ein ganzer Stapel hübsch gekochter Möhren, die Minnie anstarrt, als wären sie der Schwarze Tod.

»Ich begreife nicht, was ich falsch mache.« Kyla klingt, als stünde sie ziemlich unter Druck. »Solche Probleme hatte ich mit Eloise nie ... «

»Könnten Sie mir vielleicht einen Becher geben, Kyla?«, sage ich beiläufig. Als sie sich zum Regal hinwendet, nehme ich schnell eine Möhre vom Teller, stopfe sie mir in den Mund und schlucke sie in einem Stück herunter.

»Eben hat sie eine gegessen«, sage ich und gebe mir Mühe, dabei nicht allzu selbstgefallig zu klingen. »Sie hat eine gegessen?« Kyla fahrt herum. »Aber ... aber ich versuche es schon seit einer Viertelstunde!«

»Sie kriegen den Dreh schon noch raus«, sage ich freundlich. »Könnten Sie mir vielleicht auch noch ein Kännchen reichen?« Als sie sich abwendet, stopfe ich mir die nächste Möhre in den Mund. Eins muss ich Kyla lassen -sie schmecken ziemlich lecker.

»Hat sie schon wieder eine gegessen?« Ich sehe, wie Kyla begeistert die Möhren auf dem Teller zählt. Gut, dass ich so schnell kauen kann.

»Ja!« Ich räuspere mich. »Braves Mädchen, Minnie! Jetzt iss auch noch den Rest für Kyla ... « Eilig gehe ich quer durch die Küche und fange an, Kaffee zu kochen. Hinter mir höre ich Kyla, entschlossen optimistisch.

»Komm schon, Minnie! Lecker Möhren. Zwei hast du schon gegessen. Zeig uns mal, wie schnell du auch noch den Rest aufessen kannst!«

»Neeeeiiiin!«, schreit Minnie sie an, und als ich mich umdrehe, sehe ich, dass sie ihr fast die Gabel aus der Hand schlägt. »Neeeiiiin Möö-hrn!«

Oh, Gott. Jeden Moment pfeffert sie die Möhren durch die Gegend.

»Sagen Sie, Kyla ... «, frage ich hastig. »Wären Sie wohl ein Schatz und würden mir meine Einkäufe nach oben tragen? Die Tüten in der Diele. Ich passe so lange auf Minnie auf.«

»Klar.« Kyla wischt sich die Stirn. »Kein Problem.«

Sobald sie draußen ist, hetze ich zu Minnies Kinderstuhl und stopfe mir alle Möhren in den Mund. Gott im Himmel, wieso musste sie nur so viele von den Dingern kochen? Ich kriege meinen Mund kaum wieder zu, ganz zu schweigen davon, dass ich sie kauen könnte ...

»Becky?« Entsetzt erstarre ich, als ich Kylas Stimme hinter mir höre. »Ihre Mum sagt, ich soll diese Tüten hier in die Küche bringen. Ist das okay?«

Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe die Backen voller Möhren.

Okay, geht schon. Ich drehe ihr den Rücken zu. Sie kann meinen Mund nicht sehen.

»Mmm-hmm«, bringe ich undeutlich hervor.

»Oh, mein Gott! Hat sie alle Möhren aufgegessen?« Kyla lässt die Einkaufstüten fallen. »Und so schnell! Was ist passiert? Hat sie sie einfach runtergeschlungen?«

»Mmm-hmmm.« Ohne sie anzusehen, zucke ich ausdrucksvoll -wie ich hoffe -mit den Schultern.

Da kommt Kyla zum Kinderstuhl hinüber. Eilig weiche ich zurück, bis ich am Fenster stehe, noch immer von ihr abgewandt. Gott, es ist grässlich. Von den vielen Möhren tut mir der Unterkiefer weh, und von der Anstrengung wird mein Gesicht ganz heiß. Ich riskiere einen kleinen Biss, dann noch einen ...

»Das gibt's doch nicht.« Kylas Stimme kommt aus dem Nichts. Mist! Sie steht einen halben Meter vor mir und starrt mich an. Wie ist sie um mich herumgeschlichen, ohne dass ich es gemerkt habe? Heimlich werfe ich einen kurzen Blick in den Edelstahlkühlschrank.

Oh, Gott. Da ragt die Spitze einer Möhre aus meinem Mund. Einen Moment lang starren wir einander nur an. Ich traue mich nicht recht, mir das Gemüse in den Mund zu schieben. »Minnie hat die Möhren gar nicht selbst gegessen, stimmt's?«, sagt Kyla höflich, wenn auch mit einer gewissen Schärfe. Verzweifelt starre ich sie an. Ob mir die Möhren auf den Boden fallen, wenn ich etwas sage? »Möglich, dass ich ihr geholfen habe«, sage ich schließlich eher undeutlich. »Ein bisschen.« Ich sehe, dass Kylas Blick ungläubig von mir zu Minnie wandert, und dann wieder zurück.

»Ich habe so das Gefühl, dass sie auch das Gedicht nicht selbst verfasst hat, was?«, sagt sie, und nun klingt definitiv Sarkasmus durch. »Mrs. Brandon, wenn ich effektiv mit einer Familie arbeiten soll, bin ich auf offene und ehrliche Kommunikation angewiesen. Ich brauche Aufrichtigkeit. Und darauf kann ich hier offensichtlich nicht hoffen. Tut mir leid, Minnie. Ich hoffe, ihr findet eine Betreuerin, die dir gewachsen ist.«

»Sie können doch nicht einfach gehen ...«, sage ich bestürzt und etwas unverständlich, und mir fallen drei Möhren aus dem Mund.

Verdammt.

Von: [email protected] Betreff: Re: Kleiner Gefallen Datum: 8. Februar 2006 An: Becky Brandon

Liebe Mrs. Brandon,

vielen Dank für Ihre telefonische Nachricht. Es tut uns leid, dass es mit Kyla nicht geklappt hat.

Leider können wir keine Post-its an alle unsere Mitarbeiter ausgeben, wie Sie vorschlagen, damit diese, falls Ihr Mann anruft, Bescheid wissen, »dass Kyla sich das Bein gebrochen hat«. Hinsichtlich eines sofortigen Ersatzes, »der wie Kyla aussieht«, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass auch ein solcher leider nicht zur Verfügung steht.

Vielleicht könnten Sie mich anrufen, falls Sie die Angelegenheit noch weiter erörtern möchten.

Herzlichst,

Cathy Ferris

Geschäftsleitung, Ultimate Nannies

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ZENTRALBEHÖRDE FÜR FINANZ UND WIRTSCHAFTSPOLITIK

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180 Whitehall Place

London

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Mrs. Rebecca Brandon

The Pines

43 Elton Road

Oxshott

Surrey

                                                                                             10. Februar 2006

Liebe Rebecca,

vielen Dank für Ihren Brief vom 8. Februar und für Ihre wiederholten Vorschläge.

Der Tauschhandel bietet sicher eine Möglichkeit, die Wirtschaft zu stützen, jedoch bin ich mir nicht sicher, wie praktikabel es für den Schatzkanzler wäre, irgendwelchen alten Museumskram, den wir sowieso nicht brauchen gegen »bergeweise französischen Käse« zu tauschen, »den wir uns dann alle teilen könnten«. Darüber hinaus wäre es nicht durchsetzbar,ein unbedeutenderes Mitglied der königlichen Familie in die USA zu schicken, um im Gegenzug dafür, »massenweise J-Crew-Kleidung für alle« zu erhalten.

Dennoch danke ich Ihnen für Ihr anhaltendes Interesse an unserer Wirtschaftslage.

Mit freundlichen Grüßen,

Edwin Tredwell

Abteilungsleiter Strategierecherche